14.52

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Das Gesetzespaket, das wir soeben diskutieren, enthält zwei für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ganz, ganz schlechte Punkte, die man nur ablehnen kann. Das eine ist das Lohn- und Sozialdumping-Bekämp­fungs­gesetz, dazu wird Kollege Schachner sprechen. Mit diesem eröffnet man Lohn- und Sozialdumping als Geschäftsmodell.

Das zweite Gesetz, das uns große Sorgen bereitet und von dem wir nicht wissen, warum man es nun verschlechtern muss, ist das Sonderunterstützungsgesetz. Da geht es um 600 Bergleute. Sie verschlechtern deren Lebenssituation und Sie greifen in Sozialpläne ein – nicht verhandelt, als Initiativantrag. Bergleute arbeiten in der Hitze, in der Kälte, bei Staub und Dreck. Arbeiten im Bergwerk bedeutet nicht, im klimatisierten Raum zu arbeiten und schöne Reden zu halten. Sie verschlechtern die Situation der Arbeit­nehmerinnen und vor allen Dingen – in dem Fall sind es Männer – der Arbeitnehmer. Man fragt sich schon: Wie kann einem Derartiges einfallen? Sitzen Sie in Planungs­gruppen zusammen und überlegen sich, wie Sie das Leben der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verschlechtern können? Sie haben die Grünen als perfekte Zaungäste in diesem System. Ich verstehe wirklich nicht, warum die Grünen nicht stärkere Gegenwehr gegen diese furchtbaren Verschlechterungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeiter­nehmer leisten! (Beifall bei der SPÖ.)

Es gibt keine Angleichung der Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten, die Hacklerregelung wurde abgeschafft! Die Hacklerregelung, die jetzt für Frauen greifen würde, gibt es nicht mehr – die schauen nun durch die Finger. Die Lohnanpassung wurde gestrichen! Sie fördern das Lohn- und Sozialdumping als Geschäftsmodell. Schwan­gere wurden im Stich gelassen! Es ist eine Krise unglaublichen Ausmaßes mit Arbeitslosen ohne Ende – und als Höhepunkt erhöhen Sie, Herr Bundesminister, den Druck auf die Arbeitslosen. Da läuft etwas in eine völlig falsche Richtung. Es braucht höhere Löhne und nicht erhöhten Druck auf die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben. (Beifall bei der SPÖ.)

Fakt ist – und das wissen Sie ganz genau –: Arbeitslose wurden auch während der Coronapandemie kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert. Wer tatsächlich keine für ihn oder sie geeignete Arbeitsstelle annimmt, muss mit der Streichung des Arbeits­losengeldes rechnen. Mehr Druck auf Arbeitslose bringt allerdings keinen einzigen neuen Job, sondern vergrößert den Niedriglohnsektor und erhöht die Erwerbsarmut. (Beifall bei der SPÖ.) Die Betroffenen werden stigmatisiert und nehmen dann unter Druck schlechtere Stellen an. So kommt es zu einem Lohndruck und in weiterer Folge zu einem noch größeren Niedriglohnsektor und damit zu höherer Erwerbsarmut. Zu­sätzlich treten dann Qualifizierung und Ausbildung in den Hintergrund. Das kann doch für unser Land und vor allen Dingen in Hinblick auf die zukünftigen wirtschaftlichen und klimapolitischen Herausforderungen nicht der richtige Weg sein.

Herr Bundesminister! Sie haben in der letzten Bundesratssitzung zum Thema, wann nun endlich das Programm Sprungbrett für langzeitarbeitslose Menschen beginnt, gesagt: „Ich verstehe auch nicht ganz, warum immer gesagt wird, wir warten zu lange.“ – Stellen Sie sich vor, wir hätten dieses Programm schon vor drei Monaten gestartet – in einer Phase, in der noch bei Weitem mehr Menschen arbeitslos waren, in der bei Weitem weniger Beschäftigung geschaffen worden ist! Dann hätten diese zusätzlichen Arbeits­plätze Leute verdrängt, sie hätten keine Förderung bekommen. Dieser Verdrängungs­effekt ist im Aufschwung bei Weitem geringer. Deswegen macht es ja auch absolut Sinn, zu diesem Zeitpunkt, wenn der Aufschwung da ist, das Programm auszurollen. All das macht Sinn.

Herr Bundesminister! Diese Haltung ist schon erstaunlich für einen Arbeitsminister, weil es übersetzt heißt: Na, warten wir ab mit den Arbeitsmarktprogrammen, vielleicht tut sich ja noch etwas am Arbeitsmarkt! – Aber nein, das kann doch nicht der Weg sein! Wir brauchen jetzt sofort Qualifizierungsprogramme und nicht, bis sich die Situation am Arbeitsmarkt verbessert. Das kann es nicht sein! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben Langzeitarbeitslosenzahlen, dass die Tür nicht zugeht, wir befinden uns mitten im größten Umbruch der Arbeitswelt seit vielen Jahrzehnten, und Sie sagen: Ab­warten, das wird sich schon regeln!

Herr Bundesminister! Sie wären auch zuständig für die Arbeitsbedingungen von Arbeit­nehmern und Arbeitnehmerinnen. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.) Ausbeutung von Arbeitskräften darf in Österreich nicht vorkommen. Für uns alle muss klar sein, dass die Arbeitslosigkeit und die Gefahr, arbeitslos zu werden, in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Jene Leistungsträgerinnen und Leistungsträger, die so viele Jahre ganz fleißig und spitzenmäßig, mit vollem Einsatz und begeistert gearbeitet haben, haben ihre Arbeit verloren. Das ist im Mittelstand angekommen, und das darf nicht sein.

Herr Bundesminister! Sie drohen Arbeitslosen mit Sanktionen, wenn sie Jobangebote ablehnen, und fordern, dass auch Arbeitslose aus anderen Branchen in Berufe in der Tourismusbranche vermittelt werden sollen, sobald diese nicht mehr dem sogenannten Berufs- und Einkommensschutz unterliegen. Was heißt das? – 100 Tage, also etwa drei Monate, unterliegen Arbeitslose einem Berufsschutz. Das heißt, sie müssen keine Arbeit annehmen, die nicht ihrem bisherigen Beruf entspricht, zum Beispiel muss ein Wirt­schaftsforscher dann keine Küchenhilfe werden. Findet man in den ersten 100 Tagen allerdings keine Arbeit im bisherigen Beruf, was in der Coronakrise bei der Masse an Arbeitslosen und den wenigen angebotenen offenen Stellen keine Seltenheit war, dann gibt es keinen Berufsschutz mehr. Auch mit dem Übertritt in die Notstandshilfe fällt der Berufsschutz weg.

Ähnlich ist das mit dem Schutz des Einkommensniveaus. In den ersten 120 Tagen hat man noch Anspruch auf einen Arbeitsplatz, bei dem man 80 Prozent des Letztein­kom­mens verdient, dann bis zur Notstandshilfe 75 Prozent des Letztverdienstes. Fällt man dann in die Notstandshilfe, besteht kein sogenannter Entgeltschutz mehr. (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)

In Österreich schützen immer mehr Vollzeitjobs nicht mehr vor Armut. (Zwischenruf bei der FPÖ.) Es gibt 300 000 Menschen in Österreich, die arm oder armutsgefährdet sind, obwohl sie hackeln, obwohl sie arbeiten. Sie sind BäckerInnen oder sie arbeiten in der Gas­tronomie. Am Anfang des Lockdowns haben viele von ihnen die Kündigung bekommen. Die Kurzarbeit hat gegriffen – nun öffnen Handel, Hotellerie und Gastro wieder, und sie suchen Personal, das sie vor einem Jahr noch vor die Tür gesetzt haben. Mittlerweile haben sich viele Gekündigte jedoch anders orientiert oder bessere Arbeitsplätze gesucht – das ist ja selbstverständlich! Und auch viele, die aus den Nachbarländern zu uns zur Arbeit gekommen sind, haben sich in ihren eigenen Ländern Arbeitsplätze gesucht, denn nach einem Jahr Arbeitslosigkeit – gerade bei uns, mit nicht einmal 55 Prozent vom Letzteinkommen – brauchen viele einen Arbeitsplatz, der genug zum Leben bietet, mit dem sie ihr Leben bestreiten können, mit dem sie ihre Miete und ihre Rückstände zahlen können.

Wir wissen aus vielen Fällen: Arbeitgeber, die gut mit ihren Beschäftigten umgegangen sind, haben sie auch während der Krise gehalten – und die sind wieder zurückge­kom­men.

Es ist ja auch eine beliebte Forderung, man möge doch bitte als Arbeitnehmerin, Arbeitnehmer flexibler sein und in ein anderes Bundesland wechseln. Ja, gut – gute Idee! Dann machen wir es bitte so wie bei den Managern: Wir bieten den Personen erstens eine Wohnung am neuen Arbeitsort, auch für die Partnerin, den Partner eine Möglichkeit zu arbeiten, Kinderbetreuung, Schule – all das und die Sicherheit, dass sie länger an dem Arbeitsort bleiben können. So funktioniert der Wechsel von einem Ort zum anderen, aber nicht Marke: Schau, wechsel irgendwohin, gehst halt, und dann schau halt, küm­mere dich um deine Umgebung! – So kann es nicht funktionieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Herr Bundesminister, die Diskussion um die Arbeitslosen, die Arbeitslosen in Misskredit und in Verruf zu bringen, ist keine gute Idee, weil es in einer Zeit, in der wir bereits von der Pandemie so schwer gebeutelt sind, gesellschaftlich noch mehr zur Spaltung beiträgt. Jetzt die Diskussion über Menschen, die nicht arbeiten oder nicht fleißig sind, zu beginnen, das ist nicht richtig und nicht gut.

Wir stehen wie gesagt durch die Digitalisierung, durch den Klimawandel vor dem größten Wandel der Arbeitswelt insgesamt. Da sind unglaubliche Ängste da, es werden Men­schen ihre Arbeit verlieren und sie brauchen Perspektiven. Jetzt zu sagen: Arbeitslose, da müssen wir den Druck ansetzen!, das ist absolut der falsche Weg. So kann man mit Menschen nicht umgehen, und so werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemo­kraten auf keinen Fall mit den Menschen umgehen, die unverschuldet ihre Arbeit verloren haben und jetzt Unterstützung brauchen, damit sie wieder eine Perspektive be­kommen, damit sie wieder einen Arbeitsplatz bekommen. Das ist ein Bashing unglaub­lichen Ausmaßes, und so geht man mit Menschen nicht um. (Beifall bei der SPÖ.)

15.01

Vizepräsident Günther Novak: Danke, Frau Bundesrätin. – Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. Ich erteile es. (Ruf bei der SPÖ: Der Arbeitsmarktexperte kommt!)