11.43

Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksanwälte! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Sehr geehrte Zusehe­rinnen und Zuseher! Die Volksanwaltschaft hat die Kompetenz und den gesetzlichen Auftrag erhalten, öffentliche und private Einrichtungen zu überprüfen, in denen Men­schen in ihrer Freiheit beschränkt werden. Laut einer Imas-Studie hat die Volksanwalt­schaft in der Bevölkerung einen sehr hohen Bekanntheitsgrad und genießt großes Ver­trauen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Ringer.)

Wie mein Vorredner schon gesagt hat: Rund 18 000 Personen wandten sich im Vorjahr an die Volksanwaltschaft, das sind immerhin um 2 000 mehr als im Jahr zuvor. Es wur­den über 8 000 Prüfverfahren eingeleitet und nahezu 490 Kontrollen in der präventiven Menschenrechtskontrolle durchgeführt. Die meisten Kontrollen fanden in den Alten- und Pflegeheimen statt, nämlich 109, in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe 102 und in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung 93. Bei 75 Prozent dieser Kontrollen wurden Mängel festgestellt – eine doch erkleckliche Zahl.

Die durchgeführten Prüfungsverfahren zeigen Schwachstellen auf, aber sie bieten auch eine Chance auf Verbesserung. Konkret wurden jetzt Justizanstalten, Polizeiinspek­tionen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Einrichtungen der Kinder- und Jugend­wohlfahrt, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Psychiatrien und vieles, vieles mehr überprüft.

Der vorliegende Bericht hat drei Teilbereiche: einmal die öffentliche Verwaltung – dazu hat sich mein Kollege schon ein bisschen geäußert –, die präventive Menschenrechts­kontrolle und einen eigenen Bericht über Covid-19 aufgrund der vielen Fälle, die, logi­scherweise, aufgepoppt sind.

Die Pandemie hat sich aufgrund der rechtlichen Bestimmungen auch auf die Kontrolle der Einrichtungen ausgewirkt, das heißt, auch die Volksanwaltschaft war in gewissen Teilen begrenzt und hat dann Videokonferenzen und andere Maßnahmen ergriffen und hat keine Kontrollen vor Ort durchführen können – das wollte ich auch anmerken. Auf alle Fälle möchte ich mich sehr herzlich bei den Volksanwälten und bei den Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern für den sehr umfangreichen Bericht bedanken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Eder-Gitschthaler.)

Was die Berichte aber auch zeigen, ist, dass es seitens der Regierung ein ziemliches Chaos bei der Pandemiebewältigung gab: schlechte Kommunikation, Ankündigungen, zu späte Verordnungen und vieles mehr – Verwirrung war auf alle Fälle gegeben. Ich bin Bereichssprecherin für die Senioren und in diesem Fall möchte ich konkret das Thema der Alten- und Pflegeheime beleuchten. Für die Leitung in den Pflegeheimen gab es keine konkreten Handlungsanweisungen, es gab keine Rechtssicherheit für gewisse Maßnahmen, jedoch gab es eine monatelange Überbelastung des Personals. Obwohl das Personal weitgehend unvorbereitet und phasenweise selbst unzureichend geschützt war, haben sie einen wirklich wichtigen und entscheidenden Beitrag geleistet, damit es nicht zu einem wesentlich höheren Krankheits- und Sterbegeschehen kam. Dafür ge­bührt ihm auch großer Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

Der chronische Personalmangel wirkte sich jedoch besonders dramatisch auf Patientin­nen und Patienten aus. So mussten aufgrund dieses Personalmangels und der schnellen Handlungsweise dann HeimbewohnerInnen eine Quarantäne von bis zu 14 Tagen über sich ergehen lassen. Das ist etwas, was ich mir persönlich gar nicht vorstellen mag. Ich habe eine Bekannte aus dem Bezirk Sankt Pölten, die zweimal jeweils 14 Tage mit einer demenzkranken Person in einem Zimmer eingesperrt war, ohne Möglichkeit, wenigstens einmal am Tag 1 Stunde im hauseigenen Park spazieren zu gehen. Das heißt, die arme Frau hat aus dem Fenster gesehen, hat zwar die Grünfläche gesehen, konnte aber nicht hinaus. Ein vorsorglicher Infektionsschutz durch Freiheitsentzug ist unzulässig.

Besonders dramatisch war die Situation auch bei den DialysepatientInnen, die oft ihre Zimmer mehrere Monate lang nicht verlassen durften und überhaupt keinen persönli­chen Kontakt mit den Angehörigen oder MitbewohnerInnen hatten. Jeder von uns kann es sich vielleicht vorstellen, mag es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, aber das ist furchtbar, das ist menschenunwürdig und ein schwerer Eingriff in die Grund- und Frei­heitsrechte. Ich denke, sowohl das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als auch die Heimaufsichtsbehörden der Länder haben da alle versagt. Das tut mir leid, aber es ist so.

Zwischen Bund und Ländern ist nach wie vor ungeklärt, wie die nachhaltige Finanzierung der Pflege künftig sichergestellt wird und wie die Versorgungslandschaft bundesweit bedarfsgerecht ausgebaut wird. Offen ist noch immer, wie man dem Personalnotstand insbesondere im Bereich der Langzeitpflege und bei den mobilen Pflegediensten begeg­nen will. Hier ist rascher Handlungsbedarf unbedingt gegeben, denn es ist ein Gebot der Stunde, sonst haben wir einen Systemkollaps im Pflegebereich. „Alarmstufe Rot“ titelte vor Kurzem der ORF. Auch die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes sagt: Es gibt in fast allen Bundesländern, die wir vertreten, Probleme beim Pflegepersonal. Auch das Hilfswerk Niederösterreich schlägt in Sachen Personalmangel in der Pflege Alarm und fordert eine Reform der Pflegeausbildung – auch das ist beim ORF nachzulesen.

Eine zweite Gruppe, die ich näher betrachtet habe, waren die Einrichtungen für Men­schen mit Behinderung. Aufgrund der Einschränkung sozialer Kontakte und dem Wegfall der Tagesroutine sowie von Therapiemöglichkeiten bestand für diese Menschen ein er­höhtes Risiko, zusätzlich körperliche und psychische Störungen zu erleiden. Schwer­punktmäßig wurde der Umgang mit den Herausforderungen durch die Coronapandemie kontrolliert, das machte einige grobe Mängel sichtbar, die sehr ausführlich in den Be­richten beschrieben sind. So wurde es lange Zeit verabsäumt, Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen konkrete Informationen über die Pandemie in barrierefreier Form zur Verfügung zu stellen. Auch gab es keine Informationen in leicht verständlicher Sprache.

Es gab auch nicht ausreichend Schutzmaßnahmen: Es mangelte an Schutzausrüstung für das Personal, und es gab keine beziehungsweise unzureichende Informationen über den Umgang mit dieser Schutzausrüstung sowie über Hygienemaßnahmen. Zum Teil wurden sogar Hygieneschulungen gar nicht durchgeführt.

Gravierende Auswirkungen hatten auch die rigorosen Ausgangs- und Besuchsbeschrän­kungen: Die Schließung der Tagesstätten war einerseits für die Klienten und Klientinnen, andererseits aber auch für das Betreuungspersonal eine Maßnahme, die sich nachhaltig in die Köpfe der Leute eingebrannt hat, weil man solche Erlebnisse nicht so einfach weg­stecken kann. Diese Freiheitsbeschränkungen – physisch und sozial – stellen gerade für Menschen mit Behinderungen ernsthafte Risikofaktoren dar, die Bedenken darüber darf man nicht so einfach wegwischen.

Die Volksanwaltschaft hat diese Dinge heftig kritisiert und schließlich bei der Politik auch Änderungen durchgesetzt. In den von der Bundesregierung und der Landesregierung eingerichteten Covid-19-Krisenstäben waren keine beziehungsweise sehr wenige Men­schen mit Behinderungen vertreten, was ebenfalls schlecht war.

Es gibt dann noch ein eigenes Kapitel zum Thema Einrichtungen der Kinder- und Ju­gendhilfe, zu dem meine Kollegin Daniela Gruber-Pruner dann einige Worte ausführen wird.

Ich möchte als niederösterreichische Bundesrätin im Zusammenhang mit dem Thema Kinder- und Jugendarbeit auf die Initiativen meiner niederösterreichischen Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig verweisen: Aufgrund der Berichte der Volksanwaltschaft hat sie nämlich die ambulanten Hilfsleistungen erhöht und mehr finanzielle Mittel zur Verfü­gung gestellt, womit den Kindern geholfen werden konnte. Dadurch wurde erreicht, dass die Kinder nicht von den Familien weg und in Einrichtungen untergebracht werden muss­ten. Herzlichen Dank dafür auch von meiner Seite. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Zeidler-Beck.)

Den Bericht der Volksanwaltschaft nehmen wir natürlich zur Kenntnis, danke noch ein­mal für Ihre umfangreiche Arbeit. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

11.52

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.