15.59

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Armut wirksam zu bekämpfen, das wollen wir alle, dafür treten wir alle ein. Wir haben oft verschiedene Zugänge!

Meine Vorrednerin Daniela Gruber-Pruner hat es schon angesprochen: Es hat im März eine Konferenz der LandessozialreferentInnen gegeben, bei der alle Länder gemeinsam einen Beschluss gefasst und an den Bundesminister geschrieben haben. Sie haben ihn beauftragt, eine Studie in Auftrag zu geben. Die Studie ist auch in Auftrag, und man sollte die Ergebnisse jetzt einmal abwarten. Es geht dabei genau um folgenden Inhalt: Analyse des letzten sozialen Sicherungsnetzes auf seine Wirkungsdimension unter Berücksichti­gung der aktuellen Covid-19-Krise. Wie weit ist das letzte soziale Sicherheitsnetz ar­mutsfest? Werden alle von Armut und sozialer Ausschließung betroffenen Personen durch das letzte soziale Sicherungsnetz aufgefangen? Wo gibt es Lücken? Welche neu­en Armutslagen sind im Zuge der Covid-19-Krise zu erwarten? Welche Gruppen sind vom Sozialhilfe-Grundsatzgesetz besonders betroffen?

Ich denke, man sollte wirklich einmal abwarten, was bei dieser Studie, die in Auftrag gegeben wurde, herauskommt.

Du (in Richtung Bundesrätin Gruber-Pruner) hast auch die Kindergrundsicherung ange­sprochen. Dabei ist es ganz einfach so, dass die Länder nach eigenem Ermessen nach dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz alle erforderlichen Leistungen für Kinder festsetzen und Qualifizierungen, auch insbesondere die Sprachausbildung, zusätzlich zu den Geld­leistungen anbieten.

Es hat dann vom Bund Sachleistungen für die Schule – Schulbücher, Freifahrt et cetera – oder eine unentgeltliche Krankenversicherung für Kinder und darüber hinaus Geldleistungen wie Familienbeihilfe und Unterhaltsvorschuss gegeben. Diverse Covid-19-bedingte Sonderzahlungen des Bundes für Kinder, für Energie wurden gesetzlich von der Anrechnung auf Sozialhilfeleistungen ausgenommen. Ich glaube, da wird wirklich sehr viel gemacht, um allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Jetzt kommt meine persönliche Betrachtung dazu: Geld allein kommt mir aber wie ein Pflaster vor, das lindert, aber nicht hilft. Angesprochen wurde, dass es ganz einfach wichtig ist, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben und sie unterstützen, damit sie bei uns so weit sind, dass sie in der Arbeitswelt eine Aufgabe, einen Platz finden, wo sie einfach auf eigenen Beinen stehen können.

Ich kümmere mich seit Jahrzehnten um junge Menschen, die überhaupt keine Ausbil­dung haben, die sogenannten Neets. Seit einem Jahr darf ich ehrenamtlich auch ein Ausbildungszentrum führen, gemeinsam mit dem AMS, der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer, wo wir Menschen zwischen 18 und knapp vor dem Pensionsantritts­alter betreuen. Dort müssen wir eigentlich noch verstärkt etwas machen – ich urteile überhaupt nicht. Da gibt es Menschen, das ist für uns unvorstellbar, die können nicht allein mit dem Bus fahren. Man kann nicht sagen: Wurscht, das geht nicht, das muss er!, das kann er nicht. Man muss ihn so weit bringen, dass er das kann. Wenn man diese Menschen immer nur unterstützt, indem man, wenn sie sagen: Das kann ich nicht!, auch sofort sagt: Dann musst du nicht!, dann hilft man ihnen nicht.

Ich erzähle jetzt nur von zwei Vorfällen, die ich in den letzten drei Wochen gehabt habe: Ein junger Mann hat nach einem Dreivierteljahr eine Aufnahmeprüfung in eine Pflege­schule gemacht. Wir waren alle sehr stolz, haben uns riesig gefreut. Am Nachmittag, bevor er am nächsten Tag in die Schule gehen sollte, habe ich einen Anruf bekommen: Er geht nicht. Ich habe mit ihm eineinhalb Stunden telefoniert und gesehen: pfff, schwie­rig. Ich habe dann seine Mutter angerufen – im Nachhinein habe ich erfahren, dass ich das gar nicht hätte machen dürfen, es war mir aber ganz einfach ein Anliegen ‑, danach habe ich noch einmal mit ihm telefoniert. Es hat damit geendet, dass er furchtbar geweint hat, ich ihm mehr oder minder erklärt habe, dass das eigentlich für ihn so wichtig ist und dass er eine Verantwortung sich gegenüber hat, einmal den Schritt zu machen. (Zwi­schenrufe der BundesrätInnen Schumann und Schennach.) Ich habe ihm gesagt: Schauen Sie, Sie gehen hin und was geschieht dort? Gar nichts geschieht Ihnen dort, da wird Ihnen nicht der Kopf abgeschlagen. Schauen Sie sich die Schule einmal an, trauen Sie sich, gehen Sie den Schritt! Und außerdem, habe ich gesagt, dürfen Sie nicht vergessen, dass Sie unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Ausbildungszentrum die Chancen nehmen, denn wenn wir schauen, dass die dort einen Platz kriegen, sagt jeder: Wer weiß, ob der dann kommt!

Er ist am nächsten Tag hingegangen, aber ich muss sagen, ich habe eine schlechte Nacht gehabt, weil ich es nicht gewusst habe, weil der sich so aufgeführt hat. Ich will damit nur sagen, dass wir auf der einen Seite die Menschen selbstverständlich unter­stützen, das tun wir ja auch, aber auf der anderen Seite braucht es begleitende Maß­nahmen, dass wir sie auch so weit bringen. Jener ist jetzt stolz (Zwischenruf der Bun­desrätin Schumann), er kommt einmal in der Woche und holt einen zweiten ab. Er hat jetzt einen Pager und sagt: Pfff, mit dem fetze ich rein! – Hätte ich mich aber auf ihn nicht draufgesetzt, dann wäre das nicht geschehen.

Für einen anderen habe ich einen Betrieb gesucht, in dem er ein Praktikum machen kann. Ich habe dem Unternehmer gesagt: Pass auf, ich sage dir etwas, er hat kein Auto. Bei uns im Waldviertel ist das oft nicht so einfach. Der hat gesagt: Macht nichts, er wird in der Früh abgeholt und am Abend wieder zurückgebracht. Was war? – Am Montag in der Früh kam der Anruf von seiner Freundin: Er ist krank, er kann nicht. – Ich will damit nur sagen: Bei der Armutsbekämpfung, ich glaube, darin sind wir uns alle einig, machen wir viel, aber das muss zutiefst professionell geschehen. Darum ist es mir auch wichtig, dass man sich anschaut, was bei der Studie herauskommt.

Aus meiner Erfahrung – darum habe ich jetzt diese Beispiele erzählt – ist es so, dass Geld allein gar nichts nützt, sondern da muss man auch etwas machen. Das sind keine Einzelfälle, Korinna, schau es dir an (Bundesrätin Schumann: ..., ich betreue solche Menschen!) und frag einmal Präsidenten Markus Wieser! Wir haben viele solche Men­schen, und wenn man sie wirklich aus der Armutsfalle herausholen will, dann müssen sie ganz einfach Selbstbewusstsein kriegen (Bundesrätin Schumann: Genau!), dann müssen sie sich etwas zutrauen, denn sie sagen: Ich bin ja nichts, ich kann ja nichts, mich mag ja keiner! – Das muss man machen!

Was mich noch stört und mir total wehtut, ist ganz einfach, dass Kinder in eine solche Situation hineingeboren werden. Deshalb ist es wichtig, und daher meine Bitte, dass wir uns zusammensetzen und uns wirklich anschauen, was bei dieser Studie herauskommt, und das dann gemeinsam umsetzen.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe natürlich mit meiner Landesrätin gesprochen, weil in eurem Antrag diese Konferenz und der Beschluss erwähnt waren. Meine Bitte ist: Warten wir ganz einfach diese Studie ab und schauen wir, was wirklich noch wichtig ist, um noch erfolgreicher, als wir es schon tun, Menschen aus der Armutsfalle zu holen! – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.07

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.