16.08

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit 1. Juni 2019 ist das türkis-blaue Sozialhilfe-Grundsatzge­setz in Kraft getreten, und die Länder hatten sieben Monate Zeit, entsprechende Ausfüh­rungsgesetze zu erlassen. Einer der wesentlichen Strickfehler dieses Gesetzes ist, dass anstelle von Mindeststandards nun Höchstsätze oder Minimalbeträge vorgesehen wer­den.

Wir haben jetzt auch schon gehört, dass die Konferenz der Landessozialreferentinnen und -sozialreferenten dazu einen Beschluss gefasst hat, dass es grundsätzlich ein neues Sozialhilfe-Grundsatzgesetz braucht, das aber auch insbesondere die Notstandshilfe und die Mindestsicherung, allenfalls auch die Grundversorgung, vereinen soll.

Der NEOS-Standpunkt zur Mindestsicherung/Sozialhilfe ist, dass diese kein Dauerbezug werden darf, sondern ein Sicherungssystem für alle Menschen sein soll, die es brau­chen. Da unser Sozialsystem ein komplexes Gewirr an Maßnahmen und Förderungen ist, profitieren davon mittlerweile nicht mehr diejenigen, die es am notwendigsten brau­chen, sondern diejenigen, die sich im System am besten auskennen.

Dafür ist die Sozialhilfe das beste Beispiel. Wir sehen da in allen neun Bundesländern unterschiedliche Leistungen bei gleicher sozialer Notlage, fehlende Leistungsanreize, insbesondere fehlende Unterschiede zwischen Erwerbseinkommen und Sozialhilfe, und ein komplexes System von Sach- und Geldleistungen. Um die Leistungsanreize zu erhö­hen, fordern wir, dass in den Fällen, in denen neben der Sozialhilfe ein Erwerbseinkom­men bezogen wird, dieses nicht mehr eins zu eins abgezogen werden soll.

Wir fordern flexible Zuverdienstmöglichkeiten, was bedeutet, dass die Sozialhilfe in ei­nem geringeren Verhältnis reduziert wird, damit von jedem aus Erwerbstätigkeit verdien­ten Euro auch etwas übrig bleibt.

Wir NEOS fordern mehr Sachleistungen in den Bereichen Wohnen, Bildung und Kinder­betreuung, im Sozialhilfebereich auch die Übernahme von Miet- und Heizkosten unter Berücksichtigung eines angemessenen Wohnraums. Das würde bedeuten, dass die Miete direkt vom Staat an die Vermieterinnen und Vermieter der Wohnung ausbezahlt wird. Ebenso fordern wir die Übernahme sämtlicher Kosten in der Kinderbetreuung be­ziehungsweise bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen als Sachleistungen.

Langfristig stellen wir uns anstelle von Dutzenden Sozialleistungen ein Bürgerinnen- und Bürgergeld vor. Darin werden bereits bestehende Sozialleistungen zusammengefasst, der Zugang und die Verwaltung werden vereinfacht. Für alle Sozialleistungen, die nicht als Sachleistungen konzipiert sind, würde sich das Bürgerinnen- und Bürgergeld wie folgt zusammensetzen: Verschiedene Sozialleistungen, die dieselben Lebensbereiche be­treffen, werden in Komponenten zusammengefasst und mit pauschalen Beträgen hinter­legt. Die Untergliederung in Module lässt es zu, dass die Bedürftigkeit für jedes dieser Module einzeln geprüft werden kann. Dementsprechend werden auch nur jene Module gewährt, für die eine Bedürftigkeit feststeht. Konkret geht damit auch die Zusammenle­gung von Notstandshilfe und Mindestsicherung einher. Ein Vorbild in dieser Richtung ist die Regelung im Bundesland Vorarlberg.

Weiters fordern wir eine Residenzpflicht – eigentlich eine -obliegenheit –, das bedeutet, der Bezug von Leistungen wird an eine Wohnsitzauflage gekoppelt. Diese greift aber dann nicht, sobald an einem anderen Ort/in einem anderen Bundesland eine Berufstätig­keit oder Jobzusage nachgewiesen wird.

Und wir fordern einen Fokus auf Sachbezüge. Das schließt ein, dass auch Kinder zu direkten Leistungsempfängern werden. Das ist nämlich notwendig, um sie mit Werkzeu­gen auszustatten, damit sie ihr Leben eigenständig und unabhängig meistern können. Das ist auch deswegen so wichtig, weil zum Beispiel in Wien ein Drittel der Mindestsi­cherungsbezieherinnen und -bezieher Kinder sind, ungefähr jedes siebte minderjährige Kind in Wien in einer Mindestsicherungsbedarfsgemeinschaft lebt. (Bundesrätin Schar­tel: Das sind aber keine österreichischen Staatsbürger!) Deshalb muss sichergestellt werden, dass die Kinder, die Mindestsicherung beziehen, direkte Leistungsbezieherin­nen und -bezieher sind, und das kann durch Sachleistungen am ehesten garantiert wer­den. Mit Sachleistungen werden die Kinder nämlich direkt erreicht, wodurch ihnen faire Chancen zur Bildung ermöglicht werden.

Solche Sachleistungen kann es etwa in Form von Kinderbetreuung, Verpflegungsange­boten in der Schule und im Kindergarten und bei der Lernhilfe geben. Es können Aus­flüge bezahlt werden, insbesondere Schikurse oder eine Sommersportwoche – da se­hen wir die positiven Auswirkungen der Erlebnispädagogik – oder die Teilnahme an Frei­zeitsportangeboten. Ganz wichtig sind auch Schulsozialarbeit und Schulpsychologinnen und -psychologen für den Beziehungsaufbau. Kontinuität ist ein wichtiger Faktor in der sozialpädagogischen Arbeit.

Mit diesen Sachleistungen einhergehen würden das Setzen von Beziehungsangeboten, individuelle Förderungen, die Zukunftsentwicklung und vor allem die Entwicklung von Zuversicht.

Die Mindestsicherung muss ein Auffangnetz für Kinder sein, wodurch garantiert ist, dass sie faire Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden. Im fairen und chancengerechten Zugang zur Bildung liegt nämlich die Zukunft unserer Kinder. – Danke. (Beifall bei BundesrätIn­nen der SPÖ.)

16.13

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.