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Plenarsitzung
des Bundesrates


Stenographisches Protokoll

 

930. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 7. Oktober 2021

 

 

 

Großer Redoutensaal

 


Stenographisches Protokoll

930. Sitzung des Bundesrates der Republik Österreich

Donnerstag, 7. Oktober 2021

Dauer der Sitzung

Donnerstag, 7. Oktober 2021: 9.00 – 16.24 Uhr

*****

Tagesordnung

1. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden

2. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird

3. Punkt: 44. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2020)

4. Punkt: Bundesgesetz, mit dem das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – EAG geän­dert wird

5. Punkt: Bericht über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2020

6. Punkt: Verkehrstelematikbericht 2021

7. Punkt: Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020

8. Punkt: Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung und Technologieentwick­lung 2020

9. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung (303/A(E)-BR/2021)

10. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Modell Hundecampus (304/A(E)-BR/2021)

11. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen (305/A(E)-BR/2021)

12. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photovol­taik-Anlagen (306/A(E)-BR/2021)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 2

13. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Mi­chaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Touris­muskasse (307/A(E)-BR/2021)

14. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sozialhilfe-Grundsatzge­setz reparieren, Armut wirksam bekämpfen! (308/A(E)-BR/2021)

15. Punkt: Wahl einer/eines Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 2. Halbjah­res 2021

*****

Inhalt

Bundesrat

Schreiben des Bundeskanzlers Sebastian Kurz gemäß Artikel 23c Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Nominierung eines Mitgliedes in den Ausschuss der Regionen ...................................................................................................................      36

Schreiben des Generalsekretärs für auswärtige Angelegenheiten gemäß Arti­kel 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz betreffend Erteilung der Vollmacht zur Aufnahme von Verhandlungen über einen Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Hochwasser­schutz am Alpenrhein durch den Herrn Bundespräsidenten ...................................      42

15. Punkt: Wahl einer/eines Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 2. Halb­jahres 2021 ...............................................................................................................    132

Personalien

Verhinderungen ........................................................................................................         9

Ordnungsruf ..............................................................................................................      53

Aktuelle Stunde (89.)

Thema: „Konferenz zur Zukunft Europas – gemeinsam Europa verändern für Österreich“ ..............................................................................................................         9

RednerInnen:

Ing. Eduard Köck ....................................................................................................      10

Stefan Schennach ...................................................................................................      11

Dr. Johannes Hübner .............................................................................................      13

Marco Schreuder ....................................................................................................      16

Bundesministerin Mag. Karoline Edtstadler ............................................  18, 27

Dipl.-Ing. Andrea Holzner .......................................................................................      21

Mag. Elisabeth Grossmann ...................................................................................      22

Andreas Arthur Spanring .......................................................................................      24

MMag. Elisabeth Kittl, BA ......................................................................................      25

MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky .......................................................................      26

Bundesregierung

Vertretungsschreiben ....................................................................................  32, 46


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 3

Schreiben des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt von Mitgliedern der Bun­desregierung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union  33, 34, 35

Nationalrat

Beschlüsse und Gesetzesbeschlüsse ......................................................................      47

Ausschüsse

Zuweisungen ...............................................................................................  28, 133

Verhandlungen

Gemeinsame Beratung über

1. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbli­che Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden (1823/A und 1038 d.B. sowie 10733/BR d.B.) ..............................................................................      47

Berichterstatterin: Claudia Hauschildt-Buschberger ............................................      48

2. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird (1039 d.B. sowie 10734/BR d.B.) .....................................................................      47

Berichterstatterin: Claudia Hauschildt-Buschberger ............................................      48

RednerInnen:

Christoph Steiner ....................................................................................................      48

Claudia Hauschildt-Buschberger ..........................................................................      52

Dr. Karlheinz Kornhäusl .........................................................................................      53

Markus Leinfellner ..................................................................................................      55

Korinna Schumann .................................................................................................      57

Ingo Appé ................................................................................................................      60

Marco Schreuder ....................................................................................................      61

Andrea Michaela Schartel ......................................................................................      62

Entschließungsantrag der BundesrätInnen Christoph Steiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Diskriminierungsverbot für Covid-19-Ungeimpfte“ – Ableh­nung ...............................................................................................................  51, 64

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 1, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ....................................      64

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 2, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben ....................................      64

3. Punkt: 44. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2020) (III-750-BR/2021 d.B. sowie 10736/BR d.B.) ...........................................................      64

Berichterstatter: Sebastian Kolland ........................................................................      65

RednerInnen:

Ernest Schwindsackl ..............................................................................................      65

Eva Prischl ...............................................................................................................      67

Andrea Michaela Schartel ......................................................................................      69

Claudia Hauschildt-Buschberger ..........................................................................      70


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 4

Mag. Daniela Gruber-Pruner ..................................................................................      72

Volksanwalt Dr. Walter Rosenkranz .....................................................................      74

Volksanwalt Werner Amon, MBA ..........................................................................      77

Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz .......................................................................      79

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-750-BR/2021 d.B zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................      81

4. Punkt: Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – EAG geändert wird (1843/A sowie 10741/BR d.B.) .................................................................................      81

Berichterstatter: Marco Schreuder ..........................................................................      82

RednerInnen:

Michael Bernard ......................................................................................................      82

Ing. Isabella Kaltenegger .......................................................................................      83

Günther Novak ........................................................................................................      83

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ..........................................................................................      85

Staatssekretär Dr. Magnus Brunner, LL.M. .........................................................      86

Günter Kovacs ........................................................................................................      87

Annahme des Antrages des Berichterstatters, 1. gegen den vorliegenden Be­schluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben und 2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen ............................................................................................      88

Gemeinsame Beratung über

5. Punkt: Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobili­tät, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2020 (III-752-BR/2021 d.B. sowie 10743/BR d.B.) ...........................................................      88

Berichterstatterin: Elisabeth Mattersberger ...........................................................      88

6. Punkt: Verkehrstelematikbericht 2021, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-754-BR/2021 d.B. sowie 10744/BR d.B.) ........................................................................      88

Berichterstatterin: Elisabeth Mattersberger ...........................................................      88

RednerInnen:

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ..........................................................................................      89

Ing. Judith Ringer ...................................................................................................      91

Horst Schachner .....................................................................................................      92

Michael Bernard ......................................................................................................      93

Mag. Harald Himmer ...............................................................................................      96

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 5, den Bericht III-752-BR/2021 d.B zur Kenntnis zu nehmen .....................................................................      97

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 6, den Bericht III-754-BR/2021 d.B zur Kenntnis zu nehmen .....................................................................      97

7. Punkt: Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-756-BR/2021 d.B. sowie 10745/BR d.B.) ......................................      97

Berichterstatterin: Ing. Isabella Kaltenegger ..........................................................      97


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 5

RednerInnen:

Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross ..........................................................................................      98

Bernhard Hirczy ......................................................................................................    100

Horst Schachner .....................................................................................................    102

Markus Leinfellner ..................................................................................................    103

Annahme des Antrages der Berichterstatterin, den Bericht III-756-BR/2021 d.B zur Kenntnis zu nehmen ...........................................................................................    104

8. Punkt: Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung und Technologieentwick­lung 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mo­bilität, Innovation und Technologie (III-758-BR/2021 d.B. sowie 10740/BR d.B.)         104

Berichterstatter: Marco Schreuder ..........................................................................    104

RednerInnen:

Marco Schreuder ....................................................................................................    105

Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA ..........................................................................    106

Stefan Schennach ...................................................................................................    107

Thomas Dim ............................................................................................................    108

Annahme des Antrages des Berichterstatters, den Bericht III-758-BR/2021 d.B zur Kenntnis zu nehmen .................................................................................................    110

Gemeinsame Beratung über

9. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung (303/A(E)-BR/2021 so­wie 10738/BR d.B.) ...................................................................................................    110

Berichterstatterin: Marlies Steiner-Wieser .............................................................    110

10. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Modell Hundecampus (304/A(E)-BR/2021 sowie 10735/BR d.B.) .........................................................................................................    110

Berichterstatterin: Marlies Steiner-Wieser .............................................................    110

RednerInnen:

Marlies Steiner-Wieser ...........................................................................................    111

Martin Preineder .....................................................................................................    113

Mag. Bettina Lancaster ..........................................................................................    114

Andreas Lackner .....................................................................................................    116

Antrag der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR zu Punkt 9, dem Entschließungsantrag 303/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen – Ablehnung ..................................  111, 117

Annahme des Antrages der Berichterstatterin zu Punkt 10, dem Entschließungs­antrag 304/A(E)-BR/2021 keine Zustimmung zu erteilen ........................................    117

Gemeinsame Beratung über

11. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen (305/A(E)-BR/2021 sowie 10739/BR d.B.) ................................................    117

Berichterstatter: Dominik Reisinger .......................................................................    118


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 6

12. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photovol­taik-Anlagen (306/A(E)-BR/2021 sowie 10742/BR d.B.) .........................................    118

Berichterstatter: Dominik Reisinger .......................................................................    118

RednerInnen:

Dominik Reisinger ..................................................................................................    118

Bernhard Hirczy ......................................................................................................    119

MMag. Elisabeth Kittl, BA ......................................................................................    120

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 11, die dem schriftlichen Ausschussbericht 10739/BR d.B. beigedruckte Entschließung betreffend „Ausstat­tung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen“ (305/A(E)-BR/2021) an­zunehmen (352/E-BR/2021) .....................................................................................    120

Annahme des Antrages des Berichterstatters zu Punkt 12, dem Antrag 306/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen (351/E-BR/2021) ...........................................    120

13. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Mi­chaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Touris­muskasse (307/A(E)-BR/2021 sowie 10737/BR d.B.) .............................................    121

Berichterstatter: Horst Schachner ..........................................................................    121

RednerInnen:

Horst Schachner .....................................................................................................    121

Robert Seeber .........................................................................................................    122

Andrea Michaela Schartel ......................................................................................    124

Antrag der BundesrätInnen Horst Schachner, Andrea Michaela Schartel, Kol­leginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR, dem Entschließungsan­trag 307/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen – Ablehnung ...........  122, 125

14. Punkt: Entschließungsantrag der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reparieren, Armut wirksam bekämpfen! (308/A(E)-BR/2021 sowie 10746/BR d.B.)          125

Berichterstatter: Ingo Appé ......................................................................................    125

RednerInnen:

Mag. Daniela Gruber-Pruner ..................................................................................    126

Sonja Zwazl .............................................................................................................    127

MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky .......................................................................    129

Andrea Michaela Schartel ......................................................................................    131

Andreas Lackner .....................................................................................................    132

Annahme des Antrages des Berichterstatters, dem Entschließungsantrag 308/A(E)-BR/2021 keine Zustimmung zu erteilen ...................................................................    132

Eingebracht wurden

Anträge der BundesrätInnen

Michael Bernard, Kolleginnen und Kollegen betreffend Rücknahme der Nova-Erhöhung (309/A(E)-BR/2021)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 7

Michael Bernard, Kolleginnen und Kollegen betreffend keine Erhöhung der motorbezo­genen Versicherungssteuer (310/A(E)-BR/2021)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Attraktivieren des Bundeshee­res durch Anpassungen im Gehaltsgesetz (311/A(E)-BR/2021)

Anfragen der BundesrätInnen

Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Justiz betreffend Berücksichtigung der Kinderrechte im Bereich des Asylrechts und in Asyl- und Bleiberechtsverfahren (3903/J-BR/2021)

Doris Hahn, MEd MA, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Inneres betreffend Berücksichtigung der Kinderrechte im Bereich des Asylrechts und in Asyl- und Bleiberechtsverfahren (3904/J-BR/2021)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung betreffend steigende Schulabmeldungen in der Steiermark (3905/J-BR/2021)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Stromtank­stellen für die wachsende E-Mobilität in Österreich (3906/J-BR/2021)

Korinna Schumann, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Wiederaufbauplan für Österreich – Mittel aus dem Resilienzfonds (3907/J-BR/2021)

Horst Schachner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Maßnahmen zur Er­haltung von Eisenbahnstecken (3908/J-BR/2021)

Mag. Bettina Lancaster, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen betreffend Investitionsprämie als Anstoß für Neuinvestitionen (Folgeanfrage) (3909/J-BR/2021)

Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Digitalisie­rung und Wirtschaftsstandort betreffend Investitionsprämie als Anstoß für Neuinvesti­tionen (Folgeanfrage) (3910/J-BR/2021)

Horst Schachner, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Finanzen be­treffend Eingliederung der GKB in die ÖBB? (3911/J-BR/2021)

Mag. Elisabeth Grossmann, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Kli­maschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Eingliede­rung der GKB in die ÖBB? (3912/J-BR/2021)

Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie betreffend Zukunft der Graz-Köf­lacher-Bahn (3913/J-BR/2021)

Andreas Arthur Spanring, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für Bil­dung, Wissenschaft und Forschung betreffend Druck auf Kinder mittels Impfbusse vor Schulen (3914/J-BR/2021)

Andreas Arthur Spanring, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für So­ziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend Corona-Testlabor in St. Pöl­ten (3915/J-BR/2021)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 8

Andrea Michaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen an den Bundesminister für So­ziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz betreffend psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Zeiten von Corona (3916/J-BR/2021)

Doris Hahn, MEd MA, Kolleginnen und Kollegen an die Bundesministerin für Landes­verteidigung betreffend „Blackout – der Herzschlag-Event unserer Republik“ oder teure PR-Show? (3917/J-BR/2021)

Anfragebeantwortungen

des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf die Anfrage der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betref­fend Life Science (3604/AB-BR/2021 zu 3890/J-BR/2021)

des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz auf die Anfrage der BundesrätInnen Mag. Daniela Gruber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Versorgungslage psychiatrisch erkrankter Kinder und Jugendlicher mit spe­ziellem Fokus auf das Jahr 2020 bis heute (3605/AB-BR/2021 zu 3895/J-BR/2021)

der Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus auf die Anfrage der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen betreffend 3G-Status der Bun­desministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus im Schweizerhaus (3606/AB-BR/2021 zu 3893/J-BR/2021)

des Bundeskanzlers auf die Anfrage der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen betreffend 3G-Status des Bundeskanzlers im Schweizerhaus (3607/AB-BR/2021 zu 3894/J-BR/2021)

des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport auf die Anfrage der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen betreffend 3G-Status der Kul­turstaatssekretärin im Schweizerhaus (3608/AB-BR/2021 zu 3891/J-BR/2021)

des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport auf die Anfrage der BundesrätInnen Josef Ofner, Kolleginnen und Kollegen betreffend 3G-Status des Bundesministers für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport im Schweizerhaus (3609/AB-BR/2021 zu 3892/J-BR/2021)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der BundesrätInnen Markus Leinfell­ner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Straftaten am Naherholungsgebiet Auwiese in Graz (3610/AB-BR/2021 zu 3896/J-BR/2021)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Festnahme eines Journalisten (3611/AB-BR/2021 zu 3897/J-BR/2021)

der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie auf die Anfrage der BundesrätInnen Andreas Arthur Spanring, Kolleginnen und Kollegen betreffend Öffentlicher Personennahverkehr im Weinviertel (3612/AB-BR/2021 zu 3899/J-BR/2021)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der BundesrätInnen Markus Leinfell­ner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Kriminalität in steirischen Parkanlagen in den Jahren 2018 bis 2021 (3613/AB-BR/2021 zu 3900/J-BR/2021)

der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie auf die Anfrage der BundesrätInnen Christoph Steiner, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend Klimaerwärmung und Einführung emissionsarmer Pkw (3614/AB-BR/2021 zu 3902/J-BR/2021)

der Bundesministerin für Justiz auf die Anfrage der BundesrätInnen Mag. Daniela Gru­ber-Pruner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Berücksichtigung der Kinderrechte im Bereich des Asylrechts und in Asyl- und Bleiberechtsverfahren (3615/AB-BR/2021 zu 3903/J-BR/2021)

des Bundesministers für Inneres auf die Anfrage der BundesrätInnen Doris Hahn, MEd MA, Kolleginnen und Kollegen betreffend Berücksichtigung der Kinderrechte im Bereich des Asylrechts und in Asyl- und Bleiberechtsverfahren (3616/AB-BR/2021 zu 3904/J-BR/2021)


 


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 9

09.00.32Beginn der Sitzung: 9 Uhr

Vorsitzende: Präsident Dr. Peter Raggl, Vizepräsident Günther Novak, Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs.

09.00.36*****


Präsident Dr. Peter Raggl: Hoher Bundesrat! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich eröffne die 930. Sitzung des Bundesrates. Ich begrüße unsere Frau Bundesministerin für EU und Verfassung Karoline Edtstadler. – Danke, dass du heute im Bundesrat bist. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der SPÖ.)

Ich begrüße auch alle Bundesrätinnen und Bundesräte. Es freut mich sehr, dass wir uns nach der sitzungsfreien Zeit heute wieder hier im ehrwürdigen Bundesrats- und Natio­nalratssitzungssaal, im Redoutensaal, wiederfinden.

Nachdem bereits 50 Prozent meiner Präsidentschaftszeit verstrichen sind – eine sehr intensive Zeit, aber auch eine sehr schöne Zeit –, habe ich mir heute erlaubt, euch ein kleines Präsent auf den Tisch zu legen. Mein Präsidentschaftsmotto lautet ja: „Starke Regionen, starke Republik“. Mir geht es dabei insbesondere darum, die Chancengleich­heit für den ländlichen Raum aufzuzeigen, einzufordern und voranzutreiben. Ein sehr wesentlicher Erfolgsfaktor für den ländlichen Raum ist dabei die Regionalität, und die heute übergebenen Schokoladen stammen aus einer Schokoladenmanufaktur aus mei­ner Bezirkshauptstadt Landeck. Dort hat sich ein relativ kleiner Konditor darauf spe­zialisiert, hochwertige Schokoladen mit ausschließlich nachhaltigen und regionalen In­haltsstoffen herzustellen. Das geschieht sehr, sehr erfolgreich und ist auch ein bisschen ein Beispiel dafür, wie der ländliche Raum sich durch Innovation, Fleiß und Ideenfreu­digkeit natürlich auch selber helfen kann.

Das kurz zur Einleitung, und ich darf jetzt zur offiziellen Eröffnung kommen.

Das Amtliche Protokoll der 928. Sitzung des Bundesrates vom 14. Juli 2021 und die nicht verlesenen Teile des Amtlichen Protokolls der 929. Sitzung des Bundesrates vom 15. Juli 2021 sind aufgelegen und wurden nicht beanstandet.

Als verhindert gemeldet sind die Mitglieder des Bundesrates Mag. Christian Buchmann und David Egger.

09.03.00Aktuelle Stunde


Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen nun zur Aktuellen Stunde mit dem Thema:

„Konferenz zur Zukunft Europas – gemeinsam Europa verändern für Österreich“

mit Frau Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag.a Karoline Edtstadler, die ich hier noch einmal herzlich willkommen heiße.

In der Präsidialkonferenz wurde Einvernehmen über folgenden Ablauf erzielt: Zunächst kommt je ein Redner/eine Rednerin pro Fraktion zu Wort, dessen beziehungsweise de­ren Redezeit jeweils 10 Minuten beträgt. Sodann folgt die Stellungnahme der Frau Bun­desministerin, die ebenfalls 10 Minuten nicht überschreiten soll. Danach folgt wiederum je ein Redner/eine Rednerin der Fraktionen sowie anschließend eine Wortmeldung des Bundesrates ohne Fraktion mit einer Redezeit von jeweils 5 Minuten. Zuletzt kann noch eine abschließende Stellungnahme der Frau Bundesministerin erfolgen, die nach Mög­lichkeit 5 Minuten nicht überschreiten soll.


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Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ing. Eduard Köck. Ich erteile es ihm und mache darauf aufmerksam, dass entsprechend der Vereinbarung in der Präsidialkonfe­renz die Redezeit 10 Minuten beträgt. – Bitte.


9.04.20

Bundesrat Ing. Eduard Köck (ÖVP, Niederösterreich): Sehr geehrter Präsident! Sehr geehrte Frau Minister! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseher! Wir leben in Europa in einer Region, die sehr schön ist, die sehr wohlhabend ist, die friedlich ist, und wir können sehr stolz und glücklich sein, wenn wir uns die ganze Welt ansehen, dass wir hier in dieser Region aufgewachsen sind und leben können.

Trotzdem muss man sich auch Gedanken machen, ob man für die Zukunft etwas verän­dern kann oder soll. Warum? – Entscheidungsprozesse, die einem Einstimmigkeitsprin­zip unterliegen, sind nicht immer leicht. Es ist doch da und dort immer wieder auch sehr viel Egoismus zu spüren. Es ist in den Nationalstaaten populär, sich an der EU zu reiben, und wenn das zu intensiv begangen wird, dann kommt es vielleicht sogar zu einem Bre­xit. Da sehen wir jetzt, dass es dann auf beiden Seiten Verlierer gibt.

Auf der anderen Seite müssen wir auch die wirtschaftspolitischen Entwicklungen auf der ganzen Welt beachten. Wenn wir nach Südostasien blicken, sehen wir, dass sich da sehr viel tut, worauf wir reagieren müssen, worauf wir Antworten haben müssen. Nicht zuletzt müssen wir auch darauf achten, dass wir unsere Eigenständigkeit zurückbekom­men – das haben wir in den letzten zwei Jahren gesehen –, Eigenständigkeit im Bereich der Medikamente, der Rohstoffe, der Energie und vielem mehr.

Wie soll man sich Gedanken über diese Zukunft machen? – Das passiert in einer Konfe­renz über die Zukunft Europas, in einer Konferenz in Straßburg, in den Mitgliedsländern, im Internet kann man sich beteiligen. Auch wir hier im Bundesrat haben darüber eine Konferenz abgehalten, mit Vertretern aus Jugendorganisationen wurde hier eine sehr gute Diskussion abgehalten, diese wurden auch nach Straßburg entsendet. Ich denke, unser damaliger Präsident Christian Buchmann hat damit eine tolle Initiative gesetzt und das richtige Thema aufgegriffen, sodass auch diese Kammer in diesen Prozess eingrei­fen und mitwirken kann.

Wichtige Zukunftsthemen für Europa sind sicher eine gemeinsame Außenpolitik, eine gemeinsame Klimapolitik, eine einheitliche Politik in der Sache der Migration und vor allem auch der Demokratie. Diese Dinge können wir nur gemeinsam angehen. Wenn wir hier in Österreich die beste Klimapolitik machen, werden wir die Umwelt nicht retten, wenn nicht auch Europa mitzieht und letzten Endes die ganze Welt dann auch mit ein­steigt und mitzieht. Natürlich können wir immer positive Beispiele setzen, aber das muss man auch auf ganz Europa ausrollen, so wie andere Themen eben auch nur dort wirklich gut und stark wahrgenommen werden können.

Daneben muss es auch die Freiheit geben, im eigenen Bereich Dinge zu regeln, wie es für die Bürger und Bürgerinnen vor Ort gut ist. Ein ganz gutes Beispiel aus den letzten Tagen ist die Steuerreform. Sie wird im Ausland schon gelobt (Heiterkeit bei SPÖ und FPÖ), die Deutschen sagen schon, sie wollen eine Steuerreform, wie sie die Ösis haben. Da sieht man wirklich, was man für Bürger erwirken kann (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel), dass man eine Steuersenkung in allen Bereichen und gleichzeitig (Bundesrat Steiner: Über die Steuerreform wird halt nicht mehr viel geredet werden in den nächsten paar Tagen!) eine Energiewende und eine tolle Klimapolitik machen kann. (Beifall bei der ÖVP.)

Da sind zwei gute Dinge zusammengekommen: auf der einen Seite sicherlich die Wirt­schaftskompetenz der ÖVP (Heiterkeit bei der FPÖ – Bundesrat Steiner: Da muss er selber lachen, gell? Ja, ja!) und auf der anderen Seite die Umweltkompetenz der Grünen; wenn man das intelligent angeht, dann kann nur etwas Gutes herauskommen, und das


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ist auch herausgekommen. (Bundesrat Steiner: So witzig habe ich dich lang nicht mehr gesehen, Kollege! Also gewöhnlich bist du ein sehr ernster Mensch! – Weitere Zwischen­rufe bei der FPÖ.) – Ihr habt eh genug zu denken! Also mit euch wäre da sicher vieles nicht machbar gewesen, mit den Kollegen von der FPÖ (Heiterkeit bei der FPÖ – Bun­desrätin Schartel: Wir sind nicht korrupt, da gebe ich Ihnen recht, Kollege!), und bei der SPÖ ist es ja immer nur um Steuererhöhungen gegangen. Die Steuerpolitik muss aber eben auch europaweit gemeinsam betrieben werden, vor allem auf dem Sektor der inter­nationalen Konzerne. Da haben wir noch große Defizite und können nur gemeinsam europaweit auftreten.

Es hat dazu erst eine Diskussion im Europarat gegeben, da habe ich mich auch ge­meldet, weil wir in Österreich ja die Einzigen auf der ganzen Welt sind, die bereits eine Digitalsteuer haben. (Zwischenruf des Bundesrates Schennach.) Da wurde von OECD-Vertretern vorgestellt, dass es noch vor dem Sommer eine Einigung betreffend eine ge­meinsame internationale Steuer im Internetsektor, für Internethändler geben würde. Es wurde ein großer Wurf angekündigt, leider wurde dieser große Wurf verworfen oder nach hinten geschoben. Da müssen wir, denke ich, draufbleiben, weil es für unsere KMUs wichtig ist, dass es Steuergerechtigkeit auf allen Ebenen gibt. Sie müssen jeden Euro versteuern, und das muss daher für große Händler wie Alibaba, wie Airbnb oder wie sie alle heißen ganz einfach auch so sein. Die machen bei uns Riesengewinne, wir wissen aber nicht, ob sie Umsatzsteuer zahlen, Einkommensteuer zahlen oder das alles unter dem Schirm des Internets, der alles irgendwie verklärt, machen.

Wenn man gestern in der Sendung „Weltjournal“ gesehen hat (Bundesrat Steiner: Ich habe gestern „ZIB 2“ geschaut!), welche Entwicklung China nimmt, welche Entwicklung Südostasien nimmt: Da müssen wir wirklich auf der Hut sein, dass wir nicht zu einer wirtschaftlichen Kolonie dieser Bereiche der Welt werden. Daher muss es ein gemein­sames Auftreten der Europäischen Union gerade in diesem Bereich geben.

Ich denke, diese Europapolitik wird von unserer Ministerin sehr gut wahrgenommen. Sie hat bereits sehr viele Konferenzen in Europa hinter sich, auch in allen Bundesländern zu sehr vielen Themen, im Parlament und bei uns im Bundesrat. – Du vertrittst uns auch hervorragend bei dieser Konferenz in Straßburg. Ich glaube, dass du die richtigen Maß­nahmen einbringen wirst, die in einem Bottom-up-Prozess direkt von unseren Bürgern kommen werden, sodass wir Europa ein Stück in die richtige, bessere Richtung weiter­entwickeln können. Danke dafür, du hast unsere vollste Unterstützung. – Danke für die Aufmerksamkeit! (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

9.11


Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stefan Schennach. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


9.11.21

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun­desministerin! An einem Tag der Eruption in Österreich – wenn man heute in die europäi­schen Zeitungen und Zeitschriften schaut, sieht man, dass die Fassungslosigkeit von der „Süddeutschen“ über die „Neue Zürcher“ bis zur „Frankfurter Allgemeinen“ geht – diskutieren wir: „gemeinsam Europa verändern für Österreich“. Seien wir einmal froh, dass Europa auf Werte und Grundwerte und Rechte Wert legt und auch immer wieder Staaten, die diesen europäischen Werten und diesen Rechten nicht gerecht werden, in die Schranken weist! Ich spreche hier von Polen, von Ungarn, von Rumänien.

Was aber erleben wir? – Sie, Frau Bundesministerin, haben als eine der Ersten angefan­gen, unsere Justiz zu kritisieren, zu destabilisieren. Sie selbst waren eine der Ersten, ich meine, später ist ein durchgeknallter Hinterbänkler dazugekommen, der von „linken Zel­len“ in der Staatsanwaltschaft gesprochen hat. Sie selbst haben angefangen, diesen


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Rechtsstaat durch Kritik zu unterminieren (Beifall bei der SPÖ)  noch dazu als Richterin und als Angehörige jener Staatsanwaltschaft, die Sie durch Kritik ins Wanken bringen wollten.

Das, was gestern passiert ist, ist aber nicht nur eine Sache der Staatsanwaltschaft – Frau Bundesministerin, das wissen auch Sie –, denn man kann nur dann Hausdurchsu­chungen machen, wenn ein Gericht sie anordnet und wenn ein Gericht Fakten prüft. Kein Gericht würde einfach so Hausdurchsuchungen in so sensiblen Bereichen, wie etwa dem Bundeskanzleramt oder der ÖVP-Zentrale, zulassen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Sind eh vorher informiert worden!) Ja, das ist eine Frage der Rechtsstaatlichkeit, um die es hier geht, und Rechtsstaatlichkeit ist jener Wert, für den die Europäische Union immer und immer wieder eintritt.

Auch dann, wenn sich Staatschefs plötzlich in den Pandorapapers wiederfinden, stellt sich die EU dieser Frage, denn eines der ganz großen Ziele der EU ist es, die Korruption zu bekämpfen und die Rechtsstaatlichkeit hochzuhalten. Greco schaut sich in seinen Jahresberichten Rechtsstaatlichkeit und Korruption an und findet betreffend Österreich dahin gehend immer wieder und nicht wenig Kritik.

Kollege Köck hat gesagt: Schauen wir nach Südostasien! – Im Augenblick müssen wir einmal in unser Land schauen. In erster Linie müssen wir jetzt einmal in unserem Land wieder Recht und Ordnung schaffen. Die Frage ist, welche Entwicklung Österreich nimmt. Wie findet Österreich wieder zu europäischen Grundwerten und -rechten zurück und kann auch die Hilfen nützen, die ihm die Europäische Union anbietet? Wir hätten in Österreich im Augenblick deutlich andere Sorgen: Es gibt nach wie vor eine hohe Ar­beitslosigkeit; es sind nach wie vor die Kosten der Pandemie zu tragen; vor allem ist der Klimawandel anzugehen.

Jetzt wurde uns eine sogenannte ökosoziale Steuerreform vorgelegt: Na schauen wir einmal! Morgen wird sie in Stams von den Ländern näher betrachtet. Wir hören ja, dass das, was da vorgelegt wurde, im Wesentlichen von einem gewissen Löger mit einem gewissen Fuchs ausgehandelt wurde – neu, liebe Grüne, scheint daran also nicht sehr viel zu sein. Ihr habt ein türkis-blaues Papier abgenickt, das merkt man auch an gewis­sen Inhalten.

Eines muss man natürlich schon sagen, wenn man so eine Steuerreform macht und sagt, dass man das den Wienerinnen und Wienern um die Ohren knallt: So geht das nicht! Auch die Sozialversicherung wird wahrscheinlich den Weg zum Verfassungsge­richtshof gehen – davon gehe ich aus –, um Fehlentwicklungen, die in dieser sogenann­ten ökosozialen Steuerreform drinnen sind, entgegenzuwirken. Man hat gesagt, man habe sich an Deutschland orientiert – in Deutschland sind ja derzeit Koalitionsverhand­lungen –, aber der Preis von 30 Euro wird in Deutschland mit Sicherheit verdoppelt, wenn nicht verdreifacht werden. Das heißt, wir machen jetzt ein Papier, das in wenigen Wochen, wenn die deutsche Bundesregierung steht – wie immer sie aussehen wird –, auf jeden Fall so was von überholt und eigentlich lächerlich sein wird.

Frau Bundesministerin! Am Sonntag ist meine Mutter verstorben. Sie wurde 104 Jahre alt, ist also im Ersten Weltkrieg geboren, hat die ganz schwierige Zeit des Zweiten Welt­kriegs überlebt und sich immer damit befasst, was in diesem Land los ist. Im August war ich lange bei ihr, und sie hat gefragt: Stefan, warum ist diese Regierung so herzlos und geschichtslos? – Ich habe gefragt: Mutter, was meinst du damit? – Sie sagt: Wieso ha­ben wir, obwohl Innsbruck – das liegt ihr als Tirolerin näher –, Wien und andere Städte und Gemeinden gesagt haben, sie nehmen Kinder von den Inseln auf, kein Kind aufge­nommen? Haben die denn vergessen, dass das arme, kleine Portugal nach dem Zweiten Weltkrieg Tausende Kinder aus Österreich aufgenommen hat, um diese Kinder über einen längeren Zeitraum zu ernähren?


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Diese Herzlosigkeit und Geschichtslosigkeit in diesen Fragen ist irgendwie ein Kennzei­chen dieser Regierung. Da sollten und können wir froh sein, dass Europa uns – hoffent­lich – verändert, dass Europa uns etwa die Afghanistanfrage erklärt. Dort zittern Frauen um ihr Leben, die wie Sie Richterinnen waren, die Bürgermeisterinnen waren, die Frau­enanwältinnen waren, die zum ersten Mal gespürt haben, was es bedeutet, als Frau ein selbstbestimmtes Leben zu führen und in der Gesellschaft mitzuwirken. Wir sind ge­meinsam mit Ihrem früheren Parteifreund Orbán aber die Einzigen, die sagen: Njet, wir nehmen niemanden! – Das kann einfach nicht wahr sein.

Die Klarheit dessen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention in Europa durchzusetzen ist und nicht illegale Pushbacks, wie es sie an manchen unserer Grenzen gibt – auch das garantiert Europa und mahnt uns Europa zu tun. Deshalb: Es ist wichtiger, dass wir uns mehr durch Europa verändern lassen, als dass wir Europa österreichisch werden lassen. Das, denke ich mir, ist eines der wichtigen Dinge.

Natürlich gibt es auch an Europa vieles zu kritisieren und vieles zu ändern, aber wir haben eine Bundesregierung, die derzeit nicht handlungsfähig ist, die derzeit in erster Linie versuchen muss, die Vorhalte der Bestechung, der Bestechlichkeit und der Untreue abzuwehren, und seit gestern ist die Unabhängigkeit der Medien in diesem Land eine ganz, ganz zentrale Frage – einer der zentralen Bausteine der Demokratie ist die Unab­hängigkeit der Medien. All das werden wir zu diskutieren haben. In keinem anderen eu­ropäischen Land wäre der Bundeskanzler heute noch im Dienst – in Österreich ist er im Dienst, was sehr bedauerlich ist; er hat jetzt anderes zu tun.

Ja, verändern wir Europa, arbeiten wir an diesem Europa mit, aber nicht in die falsche Richtung! – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.21


Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Johannes Hübner. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


9.21.47

Bundesrat Dr. Johannes Hübner (FPÖ, Wien): Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Dem letzten Satz des Kollegen kann ich vollinhaltlich zustimmen: Ja, wir müssen schauen, dass sich dieses Europa und auch Österreich in die richtige Richtung bewegen. Das tun ja beide nicht.

Die Frau Ministerin wird zu dem, was der Kollege über den Zustand der österreichischen Bundesregierung schon ausgeführt hat, und zum Gewicht der Vorwürfe, die da in der Luft liegen, vielleicht kurz Stellung nehmen. Ich weiß nicht, wer sich heute in der Früh schon die Gelegenheit verschafft hat, die Sicherstellungsanordnung der Staatsanwalt­schaft ein bisschen durchzulesen – das ist wirklich ein Konvolut an Dingen –, die ja rich­terlich genehmigt wurde. Da stimme ich dem Kollegen zu: Ich glaube, in keinem anderen europäischen Land wäre die Regierung heute früh noch im Amt, zumindest nicht der Bundeskanzler. (Beifall bei FPÖ und SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Wenngleich es weder das heutige Thema ist, noch wir hier ein Gericht sind: Ein politi­sches Gremium sind wir jedenfalls, und da kann ich die Bundesregierung, vor allem den Kanzler, nur auffordern, noch im Laufe des heutigen Tages seinen Rücktritt zu erklären und für eine Aufarbeitung dieses Augiasstalls, der offenbar in Österreich eingerichtet wurde, Platz zu machen. (Beifall bei der FPÖ.)

Jetzt aber trotz all dieser unerfreulichen Dinge zu den meiner Ansicht nach auch nicht allzu erfreulichen Entwicklungen in der Europäischen Union, zu den europäischen Wer­ten und – wie Kollege Schennach gesagt hat – zur Notwendigkeit, dass Österreich von Europa lernt: Ich habe da ein bisschen mitgedacht und habe mich gefragt, was wir von Europa eigentlich lernen können.


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Was wir von Europa lernen könnten: überbordende Bürokratie und Regelung von Dingen des persönlichen und öffentlichen Lebens bis in die kleinste Fußnote hinein. Wir sind in Österreich bürokratisch zwar gut aufgestellt, aber mit der EU können wir diesbezüglich nicht mit. Wenn wir also eine weitere Bürokratisierung unseres öffentlichen Lebens, eine Einschränkung der unternehmerischen Freiheiten, der Freiheiten des Individuums, der Presse-, der Meinungsfreiheit und dergleichen sowie eine Regelung jedes einzelnen Le­bensbereichs wollen, dann müssen wir von Europa lernen und dann müssen wir vor allem diese Europäische Union vertiefen und verstärken, wie das so schön heißt – wenn wir das nicht wollen, allerdings nicht. Dann werden wir wohl auf alte Grundsätze zurück­greifen müssen, die wir hier zumindest verbal verteidigen und die auch verbal in diesen sogenannten Werten der EU drinnen stehen. Das sind nämlich die Grundsätze der de­mokratischen Selbstbestimmung jedes Volkes und jeder staatlichen Einheit.

In erster Linie entscheidet das Volk – und das Volk ist nicht die EU, das ist nicht der Rat der Europäischen Union und das ist auch nicht das Europäische Parlament, das ist al­lenfalls eine Delegiertenkonferenz der einzelnen Völker. Die entscheidenden Fragen, wie das Zusammenleben gestaltet wird, müssen aber in den Nationalstaaten, in den Völ­kern, die diese Nationalstaaten bilden, fallen. Das ist ein Prinzip, das derzeit mit Füßen getreten wird. (Beifall bei der FPÖ.)

Es wird zwar von Kollegen Köck beispielsweise, aber auch sehr gerne von der ÖVP – ich bin überzeugt, in der Folge auch von der Frau Europaministerin – immer erwähnt, wofür man Europa und die Europäische Union braucht. Ja, da gibt es schon Dinge, bei denen wir eine Zusammenarbeit in Europa brauchen. Wir brauchen eine starke Stimme auf internationaler Bühne, wir brauchen eine Kooperation in wirtschaftlich zentralen Din­gen, aber genau diese Kooperation gibt es nicht. Stattdessen gibt es eine immer detail­liertere und immer strangulierendere Regelung unseres Lebensbereichs.

Es waren ja einige Kollegen gestern mit mir zusammen im sogenannten Europaaus­schuss, da haben wir die vier Vorlagen der Kommission zur weiteren Einschränkung der bestehenden Freiräume gesehen – teilweise völlig absurde Regelungen. Natürlich, wir arbeiten als nationales Parlament, als Bundesrat da mit, aber wir arbeiten in der Weise mit, dass wir uns anhören, was die wollen, und nichts tun können. Ich kann jetzt darüber reden und kann darüber schimpfen, das ist aber auch nicht sehr viel, das ist vor allem keine besonders demokratische Partizipation des österreichischen Volkes.

Wenn ich mir zum Beispiel – ich habe mir ein paar Dinge, die besonders sind, notiert – die grüne Anleihe anschaue: Ich möchte wissen, wo argumentativ die Notwendigkeit einer europäischen Regelung dafür, wie eine sogenannte grüne Anleihe aussieht, ge­geben ist. Eine grüne Anleihe ist eine Anleihe, die nachhaltige, ökologische Projekte in Europa fördert, als – sagen wir einmal – Begleiterscheinung des sogenannten Green Deals.

Das klingt ja alles ganz schön, aber: Was ist auch ein grünes Projekt, ein nachhaltiges Projekt, ein sauberes Projekt in Europa? – Die Atomenergie. Das heißt, wenn wir diese Verordnung – das ist eine Verordnung, nicht nur eine Richtlinie der Europäischen Union, also ein Akt, der unmittelbare Gesetzeswirkung in Österreich entfaltet – übernehmen, dann haben wir einen Katalog, der uns vorgibt, welche Anleihe wir als nachhaltig, grün, als goldgeplatet von der EU ansehen müssen.

Wenn jetzt in Österreich jemand eine Atomenergieanleihe begibt, die ganz oder teilweise der Förderung von atomaren Einrichtungen außerhalb Österreichs dient – bei uns ja nicht, aber in Deutschland, in Frankreich, wo immer das noch möglich ist, schon; Deutschland: schwierig, Frankreich: sehr leicht, Belgien: möglich –, wenn wir so etwas hier haben, dann wird das eine EU-zertifizierte grüne, nachhaltige Anleihe, und wir können uns nicht dagegen wehren, dass bei unseren Bankschaltern, bei unseren


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Vermögensverwaltern solche EU-zertifizierte grüne Anleihen, die nichts anderem als der Förderung der Atomenergie dienen, aufgelegt werden. (Bundesrat Schennach: Sie wis­sen, dass das ...!)

Ich weiß es, Sie wissen es auch, weil Sie dabei waren. Wir haben die Vertreter des Ministeriums gefragt, bestreiten konnten sie es nicht, aber sie haben gesagt: Na ja, aber so eine Anleihe wird sich ja nicht verkaufen, weil die Anleihekäufer und Emittenten ja schauen werden, was wirklich drinnen ist! – Ja, aber da frage ich mich, wozu wir dann diese Verordnung brauchen. Wenn eh die Anleihekäufer und Emittenten schauen, was wirklich drinnen ist, dann brauchen wir die ganze Verordnung nicht. Entweder die Ver­ordnung ist sinnlos, weil eh keiner hineinschaut, oder die Verordnung macht Sinn, dann lassen sich diejenigen, die das kaufen, von solchen Gold Plates oder grünen Dingen beeinflussen beziehungsweise zu einer Entscheidung bringen.

Das ist aber nur ein kleiner Teil. Wir können auch zur Verbraucherkreditrichtlinie gehen: Da geht es um eine Materie, die in Österreich bereits bis zum Abwinken bürokratisiert und geregelt ist, und zwar in einer Weise, dass es für Nichtunternehmer oft geradezu unmöglich ist, Kredite zu erlangen; das sind diese ganzen Baselabkommen im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die in den letzten 15 Jahren die Kredit­vergabe so erschwert und so bürokratisiert haben. Jetzt kommt eine Verbraucherkredit­richtlinie, die sozusagen noch den Hut auf diese ganze Bürokratie setzt: Jetzt ist sogar das Gewähren einer Stundung durch einen Gläubiger bereits ein Kreditakt, der dieser Richtlinie unterliegt und verbürokratisiert wird, sogar Verbraucherkredite unter 200 Euro müssen nach diesen bürokratischen Vorschriften, deren Einhaltung allein wahrscheinlich ein Vielfaches von 200 Euro ausmacht, abgehandelt werden. (Zwischenrufe der Bundes­rätinnen Eder-Gitschthaler und Zwazl.) – Ja, Kollegin, so ist es.

Das sind Dinge, die nicht nur angesprochen gehören, sondern auch – um das schöne Wort zu verwenden – diskutiert gehören. Wenn man ein Forum zur Zukunft Europas macht, sollte es nicht so sein, wie es jetzt geplant ist, dass die Themen, die vorgegeben sind – der Wert Europas für die Bürger, immer tiefere Integration zu einem Europa der Werte, Integration Europas, der transparente Markt und unsere Zukunft, unser Leben in Europa und so weiter; da haben Sie diese Überschriften –, nur in eine Richtung gehen. Zugelassen werden Diskussionen ausschließlich in diese Richtung: Wir brauchen mehr Europa, mehr Integration, weniger Nationalstaat, keine Vetorechte, keine Mitbestim­mungsrechte, sondern die Delegationen, die Europäische Union, die alles macht.

Das ist ein Forum und das ist ein Projekt, das kein Mensch braucht, das wirklich kein Mensch braucht (Beifall bei der FPÖ – Zwischenruf bei der ÖVP), außer diejenigen, die damit ein Geschäft machen, und Geschäfte gibt es da allemal. Diese ganzen Aktionen kosten ja nicht Millionen, sondern Dutzende Millionen. Das, was herauskommt, ist natür­lich demokratiepolitisch null. Es wird diskutiert, es wird vielleicht ein Protokoll gemacht, das in einer Lade verstaubt – und das ist es.

Das ist so wie unsere parlamentarische Mitbestimmung, nämlich die Subsidiaritätsrüge. Wir wissen eh, selbst wenn 21, 22, 23, 24 Staaten eine Subsidiaritätsrüge machen – das ist in unseren Parlamenten ein Riesenaufwand, das zu machen, und dazu haben wir gewaltige Kontrollmechanismen, Reportingmechanismen, die uns immer sagen, was da los ist –, passiert auf europäischer Ebene gar nichts, denn nur dann, wenn alle euro­päischen Staaten eine Subsidiaritätsrüge erheben, muss sich die Kommission überhaupt noch einmal befassen. Das heißt aber nicht, dass die Sache gestorben ist, sondern dann muss sich die Kommission noch einmal damit befassen. Nicht einmal alle Staaten ge­meinsam haben also ein Vetorecht – es genügt die Stimme Maltas, das keine Subsi­diaritätsrüge macht, weil man dort vielleicht nicht dazukommt oder weil das Parlament damit überlastet ist.


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Das ist eine Mitbestimmung, das ist ein Europa der Zukunft, das niemand will. Das ist ein Europa der Scheindemokratien, das ist ein Europa der Scheinwerte – um Kollegen Schennach noch einmal zu zitieren, der von den europäischen Werten gesprochen hat. Das ist ja der Inbegriff der Scheinwerte überhaupt. Die willkürliche Auslegung von dem, was rechtsstaatlich ist, was demokratisch ist, das zeichnet die EU überhaupt aus.

Der Kollege erwähnt ja immer wieder die schönen Beispiele Ungarn und Polen: Dort ist die Demokratie gefährdet, dort darf das Parlament nicht entscheiden, was es will, dort muss die Europäische Union entscheiden, Wirtschaftssanktionen verhängen. – Wenn in einem Land wie Spanien, das sich politisch korrekt verhält, der Präsident einer Regio­nalregierung flüchten muss, weil er verfolgt wird, und zwar aus dem einfachen und ein­zigen Grund, weil er eine Volksabstimmung über die mögliche Unabhängigkeit Katalo­niens anberaumen will, dann hören Sie von der Kommission kein Wort. (Beifall bei der FPÖ.)


Präsident Dr. Peter Raggl: Herr Bundesrat Hübner, ich bitte, die Redezeitbeschrän­kung von 10 Minuten einzuhalten. Ich bitte um den Schlusssatz.


Bundesrat Dr. Johannes Hübner (fortsetzend): Er kriegt mit Mühe eine Aufenthaltsbe­rechtigung in Belgien und muss also bis zu 30 Jahre Gefängnis erwarten. Ich glaube, er wird nun begnadigt werden.

Da hören Sie nichts, und das ist genau diese Europäische Union nicht der zwei Ge­schwindigkeiten, sondern der zwei Werte und der Scheinheiligkeiten, die wir nicht wol­len. – Vielen Dank. (Beifall bei der FPÖ.)

9.32


Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächster ist Bundesrat Marco Schreuder zu Wort gemel­det. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


09.32.55

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Minis­terin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mir ist natürlich schon klar, dass man gleich am frühen Morgen nach einem durchaus ereignisreichen Tag versucht, General­abrechnungen zu machen. Es ist in den Reden jetzt eigentlich nie um die Konferenz zur Zukunft Europas gegangen. Erlauben Sie mir aber, an dieser Stelle schon zu sagen, dass die Rechtsstaatlichkeit eines der Grundprinzipien der Europäischen Union ist und die Rechtsstaatlichkeit und die unabhängige Justiz auch gerade jetzt gefeiert werden und beschützt werden müssen.

Ich bin sehr froh, dass wir heute trotzdem über ein europäisches Thema sprechen, dass dieses europäische Thema im Zentrum einer Bundesratsdebatte steht, denn diese Kam­mer ist immer so stolz darauf, sich als Europakammer zu verstehen. Wir haben aber nicht immer und nicht sehr oft Europadebatten von dieser Stelle aus, deswegen bin ich sehr froh, dass wir das hier machen. Ich weiß nicht, Herr Kollege Hübner, Sie haben gesagt, Sie sind Mitglied des „sogenannten“ Europaausschusses: Also ich bin Mitglied des Europaausschusses des Bundesrates, und ich finde, das ist auch eine sehr wichtige und gute Sache. (Zwischenruf des Bundesrates Hübner. – Heiterkeit bei der FPÖ. – Bundesrat Steiner: Ihr seid ein Mitglied der sogenannten Regierung, stimmt!)

Erlauben Sie mir trotzdem den kleinen Hinweis, dass ich das Thema der Aktuellen Stun­de auch ein bisschen erweitern möchte, denn der Titel lautet ja: „Konferenz zur Zukunft Europas – gemeinsam Europa verändern für Österreich“. – Ich glaube, die Aufgabe ist tatsächlich eine viel vielfältigere, nämlich dass wir gemeinsam Europa für Europa verän­dern müssen und dass wir manchmal auch Österreich für Europa verändern müssen – das ist immer eine Wechselwirkung, und das halte ich für ganz wichtig.


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Ich möchte schon noch einmal daran erinnern, warum es dieses Projekt überhaupt gibt – und deswegen ist es auch so wichtig, dass wir die Bürgerinnen und Bürger immer ein­binden –: Ich denke daran, dass noch meine Mutter – das ist nur eine Generation vor mir! – in einer Stadt geboren wurde, in Rotterdam nämlich, die vom Nachbarstaat Deutschland zerstört worden ist, dass sich die Nachbarländer gegenseitig bekriegt haben und dann in einem Prozess nach diesem Krieg gesagt haben: Wir wollen das nicht mehr, wir wollen nicht mehr gegeneinander Krieg führen, wir wollen uns nicht mehr gegenseitig beschie­ßen, sondern wir wollen miteinander Handel treiben! – So hat das ja angefangen, und dann hat man gesagt: Wir wollen miteinander Frieden schaffen, wir wollen miteinander Kultur austauschen!, und das ging immer weiter. Da kann man natürlich kritisieren, dass etwas zu zentral wird – meinetwegen –, aber genau dafür gibt es diese Konferenz, um genau solche Diskussionen zu führen. Das ist aber doch eine Errungenschaft, die auf der ganzen Welt einzigartig ist, so etwas wie die Europäische Union gibt es sonst auf diesem ganzen Planeten nicht, und ich finde, wir sollten stolz darauf sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Die Herausforderungen einer solch einzigartigen multinationalen Organisation wie der Europäischen Union sind ja nun auch einmal einzigartig. Wir haben derzeit etliche He­rausforderungen zu bewerkstelligen, am internationalen Parkett – Sie werden das ken­nen – redet man mittlerweile von den three C’s, mit denen wir uns beschäftigen: Corona, Climate, China, und das sind natürlich auch die drei großen Fragen, die wir als kleiner Staat in Europa nicht alleine bewerkstelligen könnten. Dafür brauchen wir die Koopera­tion und die Internationalität, und die Antwort darauf kann für uns nur Europa sein.

Wenn wir schon über die Klimafragen sprechen: Es ist ja auch interessant, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern in der Konferenz bis jetzt eines der absoluten Hauptthemen war, wie wir die Klimafragen lösen.

Dann – weil ich jetzt auch China angesprochen habe –: Wie positioniert sich Europa geopolitisch in einer etwas komplizierter gewordenen Welt? Man denke nur daran, wir haben gerade die Afghanistankrise erlebt und den Rückzug der USA, dieser Hegemo­nialmacht, wie man sie immer genannt hat. Diese Ordnung aus der Zeit nach dem Zwei­ten Weltkrieg ändert sich gerade radikal.

Was wir auch erleben – das ist vielleicht neu –: 1989 war ja auch so ein wichtiges Jahr, an das ich mich sehr gut erinnern kann und in dem wir erlebt haben, was Europa be­deutet, als eine Mauer, die uns getrennt hat, plötzlich nicht mehr da war; das vergisst man alles wieder so gerne. Damals haben wir geglaubt, dass die freie Marktwirtschaft gesiegt hat und dass diese nur unmittelbar mit Demokratie funktioniert. Wir lernen mitt­lerweile, dass es die Autokratien dieser Welt gelernt haben, sich mit einer freien Markt­wirtschaft zu versöhnen, und dass die Demokratie für viele Staaten nicht mehr die Vo­raussetzung dafür ist. Gerade da eine demokratische Antwort zu finden, die Europa lautet, halte ich für ganz wichtig. Europa ist im Moment, finde ich, auf diesem Planeten einer der größten Verteidiger von Menschenrechten und Demokratie, und das halte ich für wirklich wichtig.

Wie aber halt immer in solchen demokratischen Prozessen: Demokratie ist nie so ein­fach. Natürlich ist eine Diktatur ein bisschen einfacher; ein Gremium, ein Komitee, eine Person bestimmt und alle machen das, was gesagt wird. Die Konferenz zur Zukunft Eu­ropas war natürlich am Anfang durchaus auch ein bisschen kompliziert. Da kommen Menschen zusammen und diskutieren ganz lange – schade, dass heute Kollege Buch­mann nicht da ist, weil er ja auch dabei ist (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Er hört via Livestream zu!) –, da wird ganz lange auch über Geschäftsordnungen diskutiert, wie man das organisiert. Es ist wirklich mühsam, aber ich sage: Mir ist eine mühsame De­mokratie immer noch lieber, als wenn es nicht mühsam ist, und manchmal darf das auch mühsam sein. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky.)


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Nun sollen also BürgerInnenforen stattfinden, die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wer­den nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Das wird nun länger als geplant stattfinden, nehme ich an – vielleicht werden wir über das nachher auch noch reden –, weil einfach der Vorprozess etwas länger dauerte.

Was schon auch interessant ist, ist eben, welche Themen – ich habe eines schon he­rausgenommen – die Menschen besonders interessieren. Interessant ist auch, zu se­hen, welche Themen in diesen Rankings gar nicht so weit oben sind. Eines der wich­tigsten Themen – und das ist an einem Tag wie heute vielleicht auch wichtig zu sagen –, das die Bürgerinnen und Bürger in diesen Foren tatsächlich bewegt, das sie voranbrin­gen wollen, das ihnen wichtig ist, ist die demokratische Grundpositionierung der Europäi­schen Union, dass es Transparenz gibt, dass Korruption bekämpft wird und dass die Rechtsstaatlichkeit hochgehalten wird. Und darauf werden wir genau schauen, denn das wird besonders wichtig sein, auch für Österreich. (Bundesrat Schennach: Wir auch!) – Ja, absolut.

Das Klima, auch interessant, ist ebenso ein Topthema. Ein Thema aber, das in der Politik gerne verwendet wird, um einen Keil in die Europäische Union zu treiben, nämlich die Migrationsfrage, wird innerhalb dieser Zukunftskonferenz von den Bürgerinnen und Bür­gern tatsächlich nicht so hoch eingestuft. Es ist ein wichtiges Thema, aber es hat nicht Toppriorität. Das einmal festzuhalten finde ich auch wichtig. Es gibt manchmal zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Politik unterschiedliche Wahrnehmungen der Wichtig­keit – und das einmal festzustellen ist auch ein Wert.

Wir brauchen bei schwierigen und immer komplizierteren globalen Themen ein starkes Europa, wir brauchen aber vor allem auch ein handlungsfähiges Europa. Kleinstaaterei wird uns in all diesen wichtigen Fragen nicht helfen. Österreich kann nur eine gewichtige globale Rolle innerhalb dieser Europäischen Union haben. Manchmal würde es auch helfen – natürlich, das wird sicher Thema sein –, zu hinterfragen: Wie schaffen wir Mehr­heitsbeschlüsse? Brauchen wir immer – da hat ja Kollege Hübner durchaus recht – alle Staaten, die zustimmen müssen? Kann ein Staat alles verhindern? – Das werden sicher sehr, sehr interessante Fragen sein.

Ich kann dieser Konferenz zur Zukunft Europas alles Gute wünschen, nicht nur für Öster­reich, sondern vor allem für dieses Europa – es ist unser Europa. – Vielen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.41


Präsident Dr. Peter Raggl: Zu einer ersten Stellungnahme zu Wort gemeldet hat sich Frau Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt. Ich erteile es ihr. Auch ihre Redezeit soll 10 Minuten nicht überschreiten. – Bitte.


9.42.11

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Herr Präsident! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Jeder Tag ist es wert, über die Zukunft der Europäischen Union zu reden, und es ist es immer wert, das hier im Hohen Haus zu tun. Ja, es wurde schon gesagt, wir haben viel zu selten die Gelegenheit, auch hier im Bundesrat über die Zukunft Europas zu reden. Deshalb freue ich mich, dass diese Gelegenheit heute gege­ben ist, und ich werde sie auch nützen.

Die Pandemie hat schonungslos eines gezeigt: die Stärken, aber auch die Schwächen dieser Europäischen Union. Erinnern Sie sich zurück! Ich werde den 13. März 2020 nie­mals vergessen, als ich mit meinen RegierungskollegInnen aus Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Slowenien geredet habe, als wir darüber diskutiert haben, wie viele Kilometer für Pendlerinnen und Pendler zulässig seien, um nach Österreich zu kommen, ohne in Quarantäne gehen zu müssen. Es stand damals sehr vieles auf dem Spiel, und wir ha­ben dann kurze Zeit danach auch am eigenen Leib gemerkt, was es bedeutet, wenn


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plötzlich Freiheiten, die wir für selbstverständlich genommen haben, weg sind, wenn die PendlerInnen nicht mehr kommen können, wenn die Betriebe ohne Facharbeiter daste­hen, wenn Familien von heute auf morgen ohne ihre 24-Stunden-BetreuerInnen aus­kommen müssen oder – erlauben Sie mir als Salzburgerin, das auch zu sagen – wenn der Weg vom Pinzgau nach Salzburg nicht 45 Minuten dauert, sondern plötzlich gut 2 Stunden über das gesamte Salzachtal.

Hand aufs Herz, gerade am Beginn der Pandemie hat nicht alles perfekt funktioniert. Die Europäische Union ist in eine Art Schockstarre verfallen, und es hat zunächst lange Zeit gar nichts auf dieser Ebene gegeben. Daher stehe ich dazu, dass Kritik da auch berech­tigt war. Kritik muss in einer Demokratie, in einem Rechtsstaat, auch in einer Europäi­schen Union, die auf gemeinsamen Werten gründet, erlaubt sein.

Dann allerdings ist auch vieles sehr gut gelaufen. Denken Sie an den Juli des letzten Jahres, als nicht nur das größte Budget aller Zeiten beschlossen worden ist, das routine­mäßig alle sieben Jahre beschlossen wird, sondern auch ein gemeinsamer Resilienz- und Aufbaufonds, womit wir uns klar zur Solidarität mit denen, die am härtesten von der Krise getroffen waren, bekannt haben! Wir haben beschlossen, 750 Milliarden Euro zu investieren, aber nicht für irgendetwas, sondern für ganz klare Ziele, und die wurden dann, auch auf Drängen Österreichs, im Verbund der frugalen vier und mit Finnland von der Kommission vorgegeben. Wir wollen gemeinsam mit diesem Budget, mit diesem Aufbau- und Resilienzfonds, den grünen und den digitalen Wandel schaffen – zum Bes­ten für uns alle.

Erinnern Sie sich ebenso zurück, dass wir wohl alle am Beginn der Krise es nicht für möglich gehalten haben, dass es nur ein knappes Jahr dauern wird, bis Impfstoffe ent­wickelt sind – Impfstoffe, die uns wieder einen normalen Umgang miteinander ermögli­chen, Impfstoffe, die uns aus der Krise herausführen und die das ermöglichen, was wir gewohnt sind: ein Leben face to face, ein gesellschaftliches Leben!

Dann, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist natürlich die Pandemie auch etwas gewesen, das alle Kräfte gebündelt hat.

Wir dürfen darüber hinaus natürlich nicht vergessen, dass wir noch sehr viele ungelöste Probleme auf europäischer Ebene haben, die kurzfristig aus dem Blickfeld gerückt worden sind. Die Zukunftskonferenz hätte nämlich schon am 9. Mai 2020 starten sollen, unter kroatischem Ratsvorsitz. Das ist wegen der Pandemie nicht möglich gewesen. Dennoch haben wir im Rat schon vor der Pandemie für ein Mandat gekämpft, das es möglich machen sollte, alle Bürgerinnen und Bürger nicht nur einzubeziehen und zu fra­gen, was sie sich wünschen, sondern ohne Denkverbote darüber nachzudenken, wohin die Reise gehen soll, was man sich erwartet.

Wenn wir uns heute den Zustand der Europäischen Union vor Augen führen, dann muss man auch ganz deutlich sagen: Ja, da stehen wir vor großen Herausforderungen; etwa im Bereich des noch nicht vollendeten Binnenmarktes, der aber gleichzeitig eines un­serer größten Assets ist, das uns in der Welt unvergleichlich und stark macht; im Bereich der Digitalisierung, die durch die Pandemie geboostet worden ist und uns ein Leben ermöglicht hat, miteinander in Kontakt zu bleiben, die aber auf der anderen Seite noch über weite Strecken ungeregelt ist – denken Sie etwa an Cybersecurity, denken Sie an die rechtlichen Rahmenbedingungen der Digitalisierung, die quasi prähistorisch sind, weil sie aus dem Jahr 2000 stammen!

Oder auch die EU-Außenpolitik: Wir brauchen ein gemeinsames Vorgehen im Bereich der Außenpolitik, um auch im globalen Gefüge ernst und wahrgenommen zu werden. Da braucht es schnellere Entscheidungen. Auch das müssen wir uns überlegen.

Die Rechtsstaatlichkeit ist selbstverständlich eines der drei Konglomerate, auf denen unsere Zusammenarbeit fußt, und ja, da gibt es in einigen Staaten Defizite, die auch


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deutlich angesprochen werden müssen und letztlich auch mit den finanziellen Zuwen­dungen der Europäischen Union zu verbinden sind; was wir auch geschafft haben.

Die Migrationspolitik – darauf komme ich noch zu sprechen – bereitet mir insofern Sorge, als wir noch kein gemeinsames europäisches Asylsystem haben, das wir aber mehr denn je dringend brauchen.

Klimapolitik – auch darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Natürlich müssen wir da vieles machen, aber es passiert jetzt schon vieles.

Und letztlich, auch aus gegebenem Anlass, aus aktuellem Anlass: die Westbalkanerwei­terung, die gestern auch wieder unter slowenischem Vorsitz in Brdo besprochen worden ist. Ich hoffe sehr, dass es nicht ewig die Karotte für die Westbalkanstaaten gibt, damit diese uns nicht abhandenkommen und das Machtvakuum dort gefüllt wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist ein Befund, der auf den ersten Blick vielleicht etwas negativ anmuten wird, es ist aber ein Befund, der notwendig ist, um die Herausforderungen auch anzugehen, um jetzt gemeinsam Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. Und ja, das wird funktionieren, wenn wir die Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass jetzt die Möglichkeit ist, sich zu beteiligen, die Wünsche, die Ängste, die Sorgen, die Nöte, die Zukunftsperspektiven zu skizzieren und uns als Politikerinnen und Politiker auch auf den Weg mitzugeben.

Die Zukunftskonferenz habe ich in Österreich bereits im Juni letzten Jahres gestartet, mit vielen Gesprächen, mit Konferenzen, mit dem Austausch mit Expertinnen und Ex­perten. Ich lade unter dem Titel Zukunftslabore zu den einzelnen Themen, die in dieser digitalen Plattform vorgeschlagen worden sind, die aber nicht abschließend sind, son­dern nur als eine Ideengeberserie sozusagen betrachtet werden sollen, regelmäßig zu Gesprächen ins Bundeskanzleramt ein.

Ich versuche, innerhalb der Europäischen Union auch grenzüberschreitende Gespräche zu initiieren; so vor wenigen Tagen erst im Dreiländereck zwischen Bayern, Österreich und Tschechien mit der bayerischen Staatsministerin für EU, mit dem tschechischen Außenminister und mit regionalen Vertretern aus allen drei Ländern, um wirklich ins Ge­spräch zu kommen, um zu sehen: Was wollen die Menschen denn? Was brauchen sie? Die Europäische Union ist ja vor allem dort spürbar, wo keine Grenzen mehr spürbar sind, wo die Regionen zusammengewachsen sind, wo vielleicht gerade in dem ange­sprochenen Bereich noch eine Sprachbarriere herrscht, nämlich Tschechisch und Deutsch, aber die Menschen ansonsten vieles gemeinsam machen, vom Rettungsdienst über die Unterstützung in Katastrophenfällen bis hin zu gemeinsamen Aktivitäten, auch kulturell und traditionell.

Das ist es, was wir jetzt brauchen: Allianzen innerhalb der Europäischen Union (Zwi­schenruf des Bundesrates Hübner), Allianzen, die sich auch darauf verständigen – ge­rade dann, Herr Bundesrat Hübner, wenn es schwierig ist –, hinzuschauen, zu diskutie­ren, sich auf Augenhöhe auszutauschen und auch zu versuchen, die Position des ande­ren zu verstehen, um die Dinge voranzubringen. (Neuerlicher Zwischenruf des Bundes­rates Hübner.)

Ja, ich bin bei all jenen, die sagen, wir können auf unseren European Way of Life, auf unsere Werte stolz sein. Kein anderer Kontinent pflegt in allem, was wir tun, so un­eingeschränkt wie wir diese drei großen Werte: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte. Auch das ist etwas, was als selbstverständlich hingenommen wird, wenn es da ist. Erst dann, wenn es nicht vorhanden ist – oder auch weil es eine Pan­demie gibt, die eine Einschränkung im Hinblick auf manche Grundrechte bringt –, spürt man, was man eigentlich jetzt nicht leben kann. Deshalb ist mein Aufruf tatsächlich, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger beteiligen sollten und dass wir gerade jene, die sich


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jetzt noch nicht on a daily basis mit Politik, mit Europapolitik und mit der Zukunft be­schäftigen, auffordern sollten, mitzugestalten.

Eine Initiative, die ich auch aufgegriffen habe, ist vom Bundesrat unter steirischem Vor­sitz ausgegangen. Hier auf dieser Regierungsbank sind junge VertreterInnen aus allen neun Bundesländern gesessen, haben sich mit der Zukunft Europas beschäftigt und das uns, im Plenum sitzend, auch erzählt. Die Zeit war natürlich zu kurz, um mit allen zu reden. Deshalb habe ich sie kurze Zeit darauf ins Bundeskanzleramt eingeladen und dort mit ihnen die Diskussionen weitergeführt. Es ist für mich nicht überraschend ge­wesen, dass sie sehr konkrete Vorstellungen davon haben, wie die Europäische Union in Zukunft ausschauen soll, was sie sich wünschen, was sie vermissen – etwa Austausch mit anderen, Sprachen erlernen, sich wechselseitig beflügeln, die Wirtschaft auch da­durch nach oben bringen, dass persönliche Kontakte bestehen, sich darüber austau­schen, welche innovativen Unternehmen es hier gibt. Die, die sich heute für Politik inter­essieren, sind ja unsere Zukunftshoffnungen.

Ausgehend von diesen Gesprächen hier im Bundesrat, weiterführend im Bundeskanz­leramt, werde ich im Herbst auch eine große Jugendkonferenz organisieren. Ich habe alle neun Vertreterinnen und Vertreter gebeten, zumindest 20 Personen in ihrem Umfeld zu suchen, die sich aus ihrer Sicht heute noch nicht für Europa interessieren. Genau mit denen möchte ich ins Gespräch kommen.

Sie, geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte, sind für mich natürlich ein ganz wichti­ger Dreh- und Angelpunkt, um das auch in die Bevölkerung hinauszutragen. Reden wir über Europa! Reden wir über die offenen Punkte, über die Herausforderungen, die wir noch haben, um es besser zu machen! Gehen wir jetzt in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, um im Mai während der französischen Ratspräsidentschaft ein erstes Zwi­schenergebnis auf dem Tisch zu haben und es dann in politische Handlungen umzu­setzen! Das ist mein großer Wunsch. Das ist auch unser aller Herausforderung, um weiterzukommen, um wirklich ein Europa zu bauen, das dem entspricht, was wir uns vorstellen.

Eines auch noch abschließend: Wenn wir beispielsweise über die EU-Erweiterung am Westbalkan sprechen und wenn da bei manchen in der Bevölkerung auch die durchaus berechtigte Sorge vorherrscht, wohin das führen könnte, dann darf ich all denen sagen: Der Westbalkan ist für uns in Österreich, für uns in Europa eine Frage der Sicherheit, und es ist umgekehrt eine Frage der Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, da die nächsten Schritte zu setzen, damit wir die Bevölkerung nicht verlieren.

Es ist ähnlich wie mit dem Konferenzprojekt: Es ist nicht eines, das morgen oder nächstes Jahr fertig ist, sondern es ist eines, an dem wir alle stetig bauen müssen, damit diese Perspektive für die Länder des Westbalkans eröffnet ist, damit unsere Wirtschaft davon profitieren kann, damit wir die Sicherheit fühlen können und damit letztlich auch in 50 Jahren die Bürgerinnen und Bürger noch wissen, warum wir diese Europäische Union mehr denn je brauchen. – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

9.54


Präsident Dr. Peter Raggl: Ich danke der Frau Bundesministerin für ihre Stellung­nahme.

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz 5 Minuten nicht übersteigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Holzner. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.


9.54.45

Bundesrätin Dipl.-Ing. Andrea Holzner (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Haus! Frau Bundesministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Europa ist ein Synonym für Frieden,


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Sicherheit und Wohlstand, aber: Europa, wohin gehst du? Brexit, Covid-19, Digitalisie­rung, Klimawandel: Die Weichen müssen neu gestellt werden, basierend auf unseren humanistischen Werten, auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Unter dem Motto „Die Zukunft gehört dir“ sind die Bürger der Europäischen Union aufge­rufen, mit ihren Ideen Europa mitzugestalten. Österreich beteiligt sich sehr aktiv an die­sem Zukunftsprozess. So hat der Bundesrat zum Beispiel hier im Plenarsaal mit Jugend­lichen über die Zukunft Europas diskutiert. Unsere Europaministerin hat die Bundeslän­der besucht und sich im Rahmen der Zukunftsdialoge mit EU-Gemeinderäten, mit Bür­gerinnen und Bürgern getroffen. In den Zukunftslabs stehen Ideen für Innovationen im Vordergrund.

Ich möchte mich noch kurz auf ein paar meiner Meinung nach wichtige Weichenstel­lungen für unser Land fokussieren. Europa muss wieder bei den Bürgern ankommen. Daher wurde in diesem Zukunftsprozess bereits mit Folgendem begonnen: Einbindung der Bürger, besonders auch der Jungen, Einbindung der Zivilgesellschaft, Einbindung der Sozialpartner und der nationalen Parlamente. Die demokratische Legitimation der europäischen Institutionen muss verbessert und der Gesetzgebungsprozess transpa­renter werden.

Gestern haben wir im EU-Ausschuss wieder einige Richtlinien behandelt. Ja, es fällt auf: Die Bürokratie ist überbordend. Die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und vor allem der Subsidiarität werden oft nicht gewahrt. Wir im Bundesrat sind die Länderkammer, wir stehen für ein Europa der Regionen, und genau in diese Richtung muss es gehen, damit sich die Menschen wieder stärker mit der Europäischen Union identifizieren.

Der milliardenschwere Aufbaufonds macht Europa nur zum globalen Vorreiter in Trans­formationsprozessen, wenn diese technologie- und effizienzgetrieben sind, also: Investi­tionen in Forschung und Entwicklung, Vorsicht vor unüberlegten Regulierungen und Ver­boten!

Österreich liegt im Herzen Europas, es geht nur gemeinsam. Schreiben wir das neue Kapitel in der Geschichte der Europäischen Union mit, damit dieses Herz für ein gutes Leben bei uns und in Europa schlägt! – Vielen Dank. (Beifall bei der ÖVP.)

9.57


Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisabeth Gross­mann. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.


09.57.37

Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Bundesministerin, an­gesichts der aktuellen Ereignisse ist es tatsächlich sehr schwer, auf das Thema der Ak­tuellen Stunde, „Konferenz zur Zukunft Europas“, konkreter einzugehen, weil einfach die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung durch die im Raum stehenden Vorwürfe massiv eingeschränkt und Österreich dadurch ein großer Schaden zugefügt wird. (Bei­fall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Kollege Schreuder – er ist gerade unterwegs hinaus –, auch die Herausforderungen, die du in deiner Rede angesprochen hast, die wirklich wichtigen, großen Herausforderun­gen, können mit dieser, sagen wir einmal, Kurz-Truppe, Kurz and friends, nicht bewältigt werden. Bitte nimm auch das zur Kenntnis! Geh in dich und überleg, was an Schritten zu setzen ist! Es sind große Herausforderungen, die vor uns stehen, gerade wenn es um die Aufarbeitung der Pandemiefolgen und vieles mehr geht, Klimaschutz und so wei­ter. Da braucht es eine handlungsfähige Regierungsmann- und -frauschaft. Die brau­chen wir dringend.


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Die Konferenz zur Zukunft Europas ist sicherlich ein ganz, ganz wichtiges Gremium. – Ich will dich (in Richtung des den Saal verlassenden Bundesrates Schreuder) nicht auf­halten, du bist schon am Sprung, lieber Kollege! – Ich möchte konkret auf diese Konfe­renz eingehen. Auch die Zusammensetzung ist sehr klug gewählt: Nicht nur Politikerin­nen und Politiker als gewählte Repräsentantinnen und Repräsentanten nehmen teil und nehmen die Konferenz hoffentlich auch sehr ernst, sondern auch Bürgerinnen und Bür­ger, die eben nicht dieses Selektionsverfahren durch politische Parteien haben durchlau­fen müssen, können ihre Beiträge einbringen. Davon verspreche ich mir auch sehr viele frische, neue Ideen abseits der bisher vielleicht in den Fraktionen vertretenen Positionen. Auch die Beteiligung der Sozialpartner, von Regionsvertreterinnen und -vertretern, des Ausschusses der Regionen, des Europäischen Jugendforums: All das ist gut überlegt und bietet auch Potenzial für kluge Antworten – zweifellos!

Die Erwartungen an diese Konferenz sind dementsprechend hoch, und wenn etwas Ge­scheites dabei herauskommt, dann ist es auch den ganzen Aufwand, der – auch in Ös­terreich – betrieben wird, wert. Das möchte ich einmal voranstellen.

Die Herausforderungen unserer gemeinsamen Europäischen Union sind immens groß, und es ist schon vieles von den Kolleginnen und Kollegen angesprochen worden: Wie verarbeiten wir die Folgen der Coronakrise? Wer bezahlt letztendlich auch dafür? Wir haben eine soziale Schieflage, die größer geworden ist. Die Schere zwischen Arm und Reich ist durch die Pandemie noch weiter aufgegangen, die Armen sind ärmer gewor­den, die Reichen sind reicher geworden. Wir sehen anhand von vielen Untersuchungen und Statistiken eine soziale Schieflage, die dringend beseitigt gehört.

Bei der Gründung der EU und bei allen Beitrittsverträgen, zuletzt auch beim Vertrag von Lissabon, wurde immer ein Wohlstandsversprechen abgegeben. Es wurde den Men­schen in Aussicht gestellt, dass es ihnen in Zukunft besser gehen soll. Und dieses Wohl­standsversprechen muss auch eingelöst werden, aber die Entwicklungen, die Realität ist oft gegenläufig. Lohn- und Sozialdumping gepaart mit Steuerdumping verstärken die soziale Schieflage, und vom Wohlstandsversprechen bleibt immer weniger übrig.

Es gehört natürlich auch geschlossen vorgegangen, wenn es um den Klimawandel geht. Auch da braucht es eine vertiefte, gesteigerte europäische Zusammenarbeit.

Das sind ganz, ganz wichtige Themen, denen man sich stellen muss. Wir sehen aber, dass das Reden und das Tun der Vertreter Österreichs im Rat, vor allem im Rat der Ministerinnen und Minister, aber auch im Europäischen Rat der Staats- und Regierungs­chefs einfach nicht zusammenpassen, sie reden anders, als sie handeln. Dazu möchte ich einige Beispiele anführen.

Zum Beispiel wurde im Februar eine Börsensteuer vorgeschlagen, nachdem schon seit 2011 durch die Konservativen die Einführung einer Finanztransaktionssteuer immer wie­der torpediert wurde – zuletzt durch Finanzminister Blümel, aber auch sein Vorgänger Löger hat diesbezüglich schon eine unrühmliche Rolle gespielt. Auch da hat die ÖVP offensichtlich das Ruder herumgedreht, denn der ehemalige ÖVP-Parteichef und Vize­kanzler Mitterlehner hat sich sehr wohl für eine Finanztransaktionssteuer starkgemacht, daran kann ich mich noch genau erinnern, aber ihn haben Sie ja unrühmlicherweise, worüber wir jetzt immer mehr erfahren, in die Wüste geschickt.


Präsident Dr. Peter Raggl: Frau Bundesrätin, ich darf Sie bitte auf die Redezeit auf­merksam machen!


Bundesrätin Mag. Elisabeth Grossmann (fortsetzend): Es geht also wirklich um die Glaubwürdigkeit und um die Handlungsfähigkeit. – Vielen herzlichen Dank für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

10.03



BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 24

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Arthur Span­ring. – Bitte.


10.03.33

Bundesrat Andreas Arthur Spanring (FPÖ, Niederösterreich): Herr Vorsitzender! Frau Minister! Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren Zuseher! Wieder einmal – wie von der EU und auch von der ÖVP üblich – ein klingender Titel, viele Worte, inhaltslos, dafür exorbitant teuer auf Kosten der Steuerzahler, und dafür schafft man wieder ein paar gut dotierte Arbeitsplätze für die Familie. So würde es zumindest die ÖVP bezeichnen.

Um im ÖVP-Jargon zu bleiben: Wir, also der Pöbel, werden wenig bis nichts davon ha­ben, außer jene, die sich vorgaukeln lassen, dass man damit ernsthaft etwas in der Euro­päischen Union verändern könnte. – Das mag jetzt hart klingen, aber genau das trifft ins Schwarze. (Beifall bei der FPÖ.)

Der ÖVP möchte ich zum heutigen Titel „gemeinsam Europa verändern für Österreich“ etwas mitgeben: Beginnen Sie damit lieber einmal in Österreich, denn Sie ruinieren mit Ihrer Politik gerade unser Land! Sie ruinieren gerade den Ruf Österreichs, und wenn Sie etwas Gutes für Österreich tun wollen, liebe ÖVP, dann treten Sie zurück! (Beifall bei der FPÖ.)

Herr Bundesrat Dr. Hübner hat heute hier schön aufgezeigt, wie das alles in der Euro­päischen Union läuft: Ein Apparat nach dem anderen wird eingerichtet, um noch größer, noch mächtiger, noch zentralistischer zu werden, und gleichzeitig versagt diese EU in den wirklich wichtigen Dingen. Das zeigt der gemeinsame Außengrenzschutz, der nicht mehr als ein Asylwerberbegrüßungskomitee ist, genauso wie das Versagen dieser EU in der Coronakrise und auch in der gemeinsamen Impfbeschaffung, um nur einige Bei­spiele zu nennen.

Geht es aber nach der ÖVP oder Frau Minister Edtstadler, dann sind das alles ja große Erfolge. Ich persönlich habe in meiner erst kurzen politischen Zeit im Bundesrat eines gelernt: Wenn diese ÖVP etwas groß ankündigt und lobt, dann sollten grundsätzlich bei uns allen die Alarmglocken läuten. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Schartel: Genau!) Aber natürlich, Frau Minister, wie bei der ÖVP bestens bekannt und auch üblich, gilt auch da die Unschuldsvermutung. (Heiterkeit und Beifall des Bundesrates Steiner.)

Zurück zur Konferenz: Meiner Meinung nach wird da den Bürgern und in erster Linie natürlich den jungen Menschen vorgegaukelt, sie könnten etwas bewegen oder sogar verändern – dazu drei Punkte von mir.

Erstens: Wäre die Europäische Union tatsächlich an einer Bürgerbeteiligung interessiert, dann hätte man diese ganz leicht mit direktdemokratischen Maßnahmen einfließen las­sen können. Direkte Demokratie ist in dieser Union aber ein Fremdwort, ja vielmehr so­gar ein Reizwort, weil ja sogar die Mitgliedstaaten selbst immer weniger zu sagen ha­ben – Stichwort Einstimmigkeit abschaffen; Herr Bundesrat Köck hat das heute zum Ausdruck gebracht, weil er das ja in seiner Rede mehr oder weniger wieder gefordert hat –, geschweige denn werden irgendwelche Bürgerbeteiligungsprojekte von Ihnen ernst genommen. Die Karas-ÖVP steht für ein zentralistisches Europa, und genau das wollen wir nicht. Wir lehnen das ab.

Zweitens: Es gibt die Möglichkeit von Bürgerbeteiligungen. Nimmt man zum Beispiel Österreich, so gibt es unzählige Volksbegehren, unter denen sehr viele sehr gute sind. Die meisten davon wurden und werden von den Regierenden belächelt. Hat ein Volks­begehren über 100 000 Unterstützer, muss es im Nationalrat behandelt werden. Ja, und dann, meine Damen und Herren, dann wird es schubladisiert, ignoriert und wohlwollend vergessen. Das ist eine Schande, meine Damen und Herren von der ÖVP! (Beifall bei der FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 25

Drittens: Es gibt in Wahrheit in der Europäischen Union neben dem Europäischen Rat, dem Ministerrat, der Kommission und dem Europäischen Parlament sowieso Bürger, die wahrscheinlich viel mehr Macht haben als all die von mir genannten Institutionen zu­sammen. Ja, Sie hören richtig, das sind die sogenannten Lobbyisten, Lobbyisten, die bis ins ganz Innerste der Europäischen Union ihre Finger im Spiel haben und vorgeben, was zu passieren hat. Darum, meine Damen und Herren, sage ich, dass es sich hierbei um Augenauswischerei handelt. (Beifall bei der FPÖ.)

Schließen möchte ich mit etwas ganz anderem, etwas Aktuellem, weil ja die ÖVP seit geraumer Zeit immer wieder die unabhängige Justiz attackiert: Ich habe selbst mit Er­staunen vor einiger Zeit das Urteil von H.-C. Strache zur Kenntnis genommen, aber zu keiner Zeit habe ich es gewagt, deshalb die Integrität der Gerichtsbarkeit oder von Teilen davon infrage zu stellen. Eines weiß ich aber: Wenn das Urteil von Heinz-Christian Strache als Basis für weitere Urteile herangezogen wird, dann brauchen wir bald sehr viel Platz in unseren Gefängnissen, weil viele ÖVPler für sehr lange Zeit weggesperrt werden. (Beifall bei der FPÖ sowie Bravoruf des Bundesrates Steiner.)

10.09


Präsident Dr. Peter Raggl: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Elisa­beth Kittl. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.


10.09.18

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Liebe Kolleginnen und Kolle­gen! Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Frau Ministerin! Liebe Zuseherinnen und Zuse­her hier und vor den Bildschirmen! Ja, vergegenwärtigen wir uns den Titel der Aktuellen Stunde: „Konferenz zur Zukunft Europas – gemeinsam Europa verändern für Öster­reich“! Er hat viele Konnotationen, und ich möchte vor allem die konstruktiven hervorhe­ben und die vielleicht fraglichen positiv deuten.

Ich finde es ganz interessant, dass der Kollege vor mir genau dieses partizipative For­mat, das ich – ganz im Gegenteil zu meinem Kollegen – eigentlich herausstreichen und dem ich eben genau eine Chance geben und eine Vorbildwirkung zuschreiben möchte, anders sieht.

Beginnen wir mit der „Zukunft Europas“: Dieses Begriffspaar verwenden wir, wenn wir jemanden daran erinnern wollen, seine Potenziale zu nutzen und seine Handlungen daran auszurichten. Wir verwenden diese Worte, wenn wir jemanden daran erinnern wollen, sich eine Basis für eine gute, sichere und glückliche Zukunft aufzubauen, und das Wichtigste dabei ist, dass wir jenen, denen wir einen solchen Rat geben, Gutes wollen. Wir wollen sie wachsen sehen, und wir wollen, dass sie selbstständig werden – das wollen wir auch für Europa.

Weiter heißt es: „gemeinsam Europa verändern“. – Das ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Punkte, denn die Konferenz ruft alle ihre EU-MitbürgerInnen auf, mitein­ander zu überlegen, zu diskutieren und Reformvorschläge zu formulieren. Das ist eine organisatorische Herausforderung, sie wird aber durch die Stärkung von Demokratie be­lohnt, im Sinne von Mitbestimmung und Verantwortungsübernahme.

Schauen Sie auf die Website, man braucht nur die Worte Konferenz, Zukunft und Europa einzugeben und kommt dorthin! Ich möchte mich da der Frau Bundesministerin anschlie­ßen: Machen Sie diese Konferenz im Sinne von Mitbestimmung bekannt, ermuntern Sie vor allem Junge und ermuntern Sie vor allem Frauen, daran teilzunehmen! Es zeigt sich nämlich – das ist ein Phänomen, das man auch bei den Beiträgen auf Wikipedia sieht, die fast zu 90 Prozent von Männern gemacht werden –, dass auch da zwei Drittel der Beiträge von Männern stammen beziehungsweise sie sich an dieser Konferenz beteili­gen, weniger als ein Fünftel sind Frauen – ein Teil gibt sein Geschlecht nicht an. Helfen wir, machen wir das bekannt, ermuntern wir Frauen!


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 26

Ich möchte noch kurz auf die BürgerInnenforen eingehen, weil diese schon ein sehr spannendes demokratisches Mittel und vor allem ein Mittel der direkten Demokratie sind. Der Herr Kollege hört jetzt nicht zu, genau das ist aber das Spannende: Man schreibt zwar manchmal, das sei ein innovatives Mittel, eigentlich ist es aber ein sehr altes Instru­ment der Demokratie. Die TeilnehmerInnen werden unter den EU-BürgerInnen ausge­lost – wirklich ausgelost – und können dann beitragen. Es werden dort auch die verschie­denen Bevölkerungsgruppen repräsentiert, sie werden ausgewählt beziehungsweise eben ausgelost, und sie werden auch bezahlt; das heißt, es können auch die mitmachen, die es sich sonst vielleicht nicht leisten könnten. Ihre Aufgabe ist es dann, die einge­gangenen Beiträge zu sichten und daraus Empfehlungen für die EU abzuleiten, die dann gemeinsam mit dem Plenum in Gesetzesinitiativen und Reformen umgemünzt oder umgeschrieben werden.

Ja, ich bin ein großer Fan dieser BürgerInnenräte oder -foren, denn sie trauen jedem und jeder in unserer Gesellschaft zu, politisch agieren zu können, Verantwortung für die Gesellschaft – in diesem Fall für Europa, für die EU – zu übernehmen und entsprechen­de Schritte zur Umsetzung vorzuschlagen.

Zum letzten Teil des Titels der Aktuellen Stunde, „gemeinsam Europa verändern für Österreich“: Das irritiert im ersten Moment, denn das Gemeinschaftsprojekt der EU ist eben ein Gemeinschaftsprojekt, und es geht nicht darum, Vorteile zum Nachteil der an­deren daraus zu ziehen oder die gemeinsame Sache infrage zu stellen, sondern es geht darum, die Gemeinschaft zu stärken und PartnerInnen zu haben, mit denen wir in einer lebenswerten, gleichberechtigten, humanen und friedlicheren Welt arbeiten können.

Die EU ist ein Pool an Ressourcen. Nützen wir sie für Österreich, schauen wir die Dinge an, die wir für dieses friedliche und gute Leben brauchen, und vergemeinschaften wir sie! Manchmal ist es auch wichtig, PartnerInnen zu haben, die einen darauf aufmerksam machen, wenn man das gerade nicht so im Fokus hat. Setzen wir uns für mehr demo­kratiepolitische Instrumente ein, genauso wie für eine dichtere soziale Absicherung, eine klare Klima- und Umweltschutzpolitik, Chancengleichheit und Menschlichkeit! Arbeiten wir gemeinsam an Europa – für Österreich! – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Verzeihung, ich muss jetzt noch etwas sagen: Ich bedanke mich sehr beim Herrn Prä­sidenten für das nette Geschenk; ich glaube, das hat noch niemand gemacht. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei BundesrätInnen von SPÖ und FPÖ.)

10.14


Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


10.14.45

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Österreich hat nur in einem starken Europa eine erfolgreiche Zukunft. Wir NEOS wünschen uns ein hand­lungsfähiges Europa, das zum Beispiel in einer Pandemie schnell entscheiden kann, wir wünschen uns ein zukunftsfähiges Europa, das seine Kräfte bei der Bekämpfung der Klimakrise bündelt, und wir wünschen uns ein mutiges Europa, das die Digitalisierung aktiv mitgestaltet, anstatt Innovation mit nationalstaatlichen Alleingängen zu behindern.

Der Europatag am 9. Mai war auch der Startschuss für die Konferenz zur Zukunft Euro­pas, bei der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der EU-Institutionen und Mitgliedstaaten über die Zukunft und Reformen der Europäischen Union beraten, und wir NEOS freuen uns, dass für uns unsere Europaabgeordnete Clau­dia Gamon daran teilnimmt.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 27

Wir NEOS haben drei konkrete Forderungen an die Zukunft Europas.

Die erste Forderung ist die Verbindlichkeit der Zukunftskonferenz durch eine europäi­sche Volksabstimmung. Wir finden, dass die Ergebnisse der Zukunftskonferenz in eine Volksabstimmung münden sollen, bei der, wie das zum Beispiel in der Schweiz bei Volksinitiativen der Fall ist, eine doppelte Mehrheit erforderlich sein soll: Sowohl eine Mehrheit der europäischen Bevölkerung als auch eine Mehrheit der Staaten muss den Vorschlag unterstützen. Das ist notwendig, weil die Zukunftskonferenz unseres Erach­tens Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit braucht, die nur dann möglich sind, wenn die Ergebnisse der Konferenz nicht wieder im Rat, also bei den Regierungen der Mitglied­staaten, verenden. Das europäische Volk hat ein Recht darauf, über seine gemeinsame Zukunft zu entscheiden, und diese Volksabstimmung würde einen Weg für die notwen­digen Vertragsänderungen, für einen Neustart Europas weisen.

Unsere zweite Forderung ist, dass die Zukunftskonferenz zu einer Klimakonferenz wer­den muss. Wir müssen Europa für die Europäerinnen und Europäer erlebbar machen. Die Europäische Union sind ja nicht nur die Politikerinnen und Politiker in Brüssel oder Straßburg, sondern wir alle. Damit dies auch spürbar wird, müssen die Menschen mit­einbezogen werden, ihre Wünsche, Meinungen und Anliegen müssen gehört werden. Daher sollen im Rahmen der Zukunftskonferenz verbindliche Maßnahmen zum Errei­chen der beschlossenen Klimaziele gemeinsam mit den Europäerinnen und Europäern erarbeitet werden, um so auch mehr Verbindlichkeit bei der Umsetzung durch die Mit­gliedstaaten zu erlangen, sodass ein Herausreden nicht mehr möglich ist.

Unsere dritte Forderung ist, den Rat abzuschaffen. Der Rat, also die Vertretung der Re­gierungen der Mitgliedstaaten, tritt in fast allen Bereichen als Blockierer, Verhinderer und Verzögerer auf. Große Ambitionen, die im EU-Parlament geboren werden, werden oft im Rat erstickt. Das Europäische Parlament soll sich unseres Erachtens daher zum echten Gesetzgeber entwickeln und zu einem Zweikammernparlament werden. In der neuen zweiten Kammer werden dann die Interessen der Mitgliedstaaten vertreten, diese Kam­mer würde also die Aufgaben des Rates übernehmen; die Abgeordneten der zweiten Kammer würden von den nationalen Parlamenten entsandt werden und so die politische Zusammensetzung der nationalen Parlamente widerspiegeln.

Das Resümee ist: Die europäischen Institutionen müssen sich zu einer leistungsfähigen Führung der europäischen Gemeinschaft entwickeln, die über eine Politik des nationalen Minimalkonsenses hinausgeht. Wir brauchen einen Neustart für Europa – ein Europa, das besser ist, als es jemals war. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie bei BundesrätIn­nen der ÖVP.)

10.18


Präsident Dr. Peter Raggl: Zur Abgabe einer abschließenden Stellungnahme hat sich nochmals die Frau Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihr und darf sie bitten, die Redezeit von 5 Minuten nach Möglichkeit einzuhalten. – Bitte.


10.18.37

Bundesministerin für EU und Verfassung im Bundeskanzleramt Mag. Karoline Edtstadler: Daran werde ich mich selbstverständlich halten. Geschätzte Bundesrätin­nen und Bundesräte! Ich möchte mich bedanken. Ich möchte mich einerseits dafür be­danken, dass Sie das Thema Zukunftskonferenz hier im Hohen Haus aufgebracht ha­ben, und mich auch vorauseilend dafür bedanken, dass Sie diese Zukunftskonferenz und die dahinterstehende Idee zu den Bürgerinnen und Bürgern hinaustragen. Ich darf mich darüber hinaus auch für die wirklich offene Debatte und für die kritischen Anmer­kungen bedanken, denn genau die brauchen wir, wenn wir vorankommen wollen.


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Ich habe an den Beginn meiner Rede einen durchaus kritischen, realistischen Befund gestellt. Ich sage aber gleichzeitig, dass wir noch nie – noch nie! – so viele Chancen wie jetzt vor uns liegen hatten, was die europäische Zusammenarbeit und das Weiterentwi­ckeln betrifft – nicht nur aufgrund des Umstandes, dass wir wahnsinnig viel Geld auf dem Tisch haben, das wir zum Besten für uns alle einsetzen (Zwischenruf des Bundesrates Hübner), das wir auch so einsetzen sollten, dass unsere Wirtschaft davon profitiert, denn wir haben in Österreich unglaublich viele innovative Unternehmen, die diesen digitalen und grünen Wandel voranbringen können, sondern auch weil genau in diesem Rat, der jetzt auch diskutiert worden ist, ganz klar auf dem Tisch liegt, dass wir sehr viele Dinge jetzt am besten gleichzeitig machen müssen.

Durch die Pandemie sind Dinge aufgedeckt worden und Zusammenhänge klar gewor­den, die es jetzt zu nutzen gilt, um für die Zukunft eine gute, resiliente, starke Europäi­sche Union auf den Weg zu bringen. Dazu gehört auch eine schlankere Union, eine Union, die schneller reagiert – sei es im außenpolitischen Bereich, was globale Krisen betrifft, sei es in den vielen Dingen, bei denen die Wirtschaft noch gehemmt wird. Die Vervollständigung des Binnenmarktes (Zwischenruf des Bundesrates Steiner), die schnelleren und kürzeren Wege sind – aufbauend auf unseren Grundwerten – sicher ein ganz wesentliches Fundament dafür, dass wir bestmöglich von der Europäischen Union profitieren können und dass die zukünftigen Generationen das auch können. Ich spreche hier für mich, ich spreche in meiner Funktion als Europaministerin, ich spreche hier aber auch für die nachfolgenden Generationen. Ich denke an meinen Sohn und die zukünfti­gen Generationen, und dafür lohnt es sich, jeden Tag für die Europäische Union, für die Zukunftskonferenz einzutreten.

Ich darf Sie noch einmal bitten: Tragen Sie es hinaus! Machen wir es gemeinsam! Sam­meln wir alles – auch das, was an kritischen Punkten da ist –, um es in der Zukunft bes­ser zu machen! – Vielen herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

10.21


Präsident Dr. Peter Raggl: Frau Bundesminister, danke für die Stellungnahme und danke auch für die Zeitdisziplin.

Ich darf Bundesminister Kocher im Bundesrat begrüßen. Herzliches Grüß Gott! (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Die Aktuelle Stunde ist somit beendet.

10.21.28Einlauf und Zuweisungen


Präsident Dr. Peter Raggl: Hinsichtlich der eingelangten und verteilten Anfragebeant­wortungen,

jenes Verhandlungsgegenstandes, der gemäß Art. 42 Abs. 5 Bundes-Verfassungsge­setz nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt,

eines Schreibens des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend Beendi­gung der Vertretung eines Mitglieds der Bundesregierung,

der Schreiben des Ministerratsdienstes des Bundeskanzleramtes betreffend Aufenthalt des Bundeskanzlers und von Mitgliedern der Bundesregierung in einem anderen Mit­gliedstaat der Europäischen Union,

der Unterrichtung des Bundeskanzlers gemäß Art. 23c Abs. 5 Bundes-Verfassungsge­setz

sowie eines Schreibens des Generalsekretärs des Bundesministeriums für europäische und internationalen Angelegenheiten gemäß Art. 50 Abs. 5 Bundes-Verfassungsgesetz


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verweise ich auf die Sitzungssaal verteilte Mitteilung gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäfts­ordnung des Bundesrates, die dem Stenographischen Protokoll dieser Sitzung ange­schlossen wird.

Soeben ist auch die Mitteilung eingelangt, dass Herr Bundesminister Mückstein leider erkrankt ist. (Ruf bei der FPÖ: Wahrscheinlich Sauerstoffmangel durch übermäßiges ...!) Bundesminister Kocher wird ihn vertreten. – Danke dafür.

Ebenso verweise ich hinsichtlich der eingelangten Verhandlungsgegenstände und deren Zuweisungen im Sinne des § 19 Abs. 1 der Geschäftsordnung auch auf diese gemäß § 41 Abs. 1 der Geschäftsordnung im Sitzungssaal verteilte Mitteilung, die dem Steno­graphischen Protokoll dieser Sitzung angeschlossen wird.

Die schriftliche Mitteilung hat folgenden Wortlaut:

A. Eingelangt sind:

1. Anfragebeantwortungen

(Anlage 1) (siehe auch S. 7)

2. Eingelangter Verhandlungsgegenstand, der gemäß Art. 42 Abs. 5 B-VG nicht dem Mitwirkungsrecht des Bundesrates unterliegt

Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Geschäftsordnungsgesetz 1975 geändert wird (1086/A und 1025 d.B.)

3. Schreiben des Bundeskanzleramtes

betreffend die Beendigung der Vertretung von Frau Bundesministerin für Frauen, Fa­milie, Jugend und Integration MMag. Dr. Susanne Raab durch Frau Bundesministerin für EU und Verfassung Mag. Karoline Edtstadler gemäß Art. 73 Abs. 1 B-VG mit Ablauf 7. September 2021 (Anlage 2)

und

betreffend den Aufenthalt von Herrn Bundeskanzler Sebastian Kurz am 7. und 8. Okto­ber 2021 in Berlin, wobei seine Angelegenheiten im Bundesrat gemäß Art. 73 Abs. 3 B-VG der Vizekanzler Mag. Werner Kogler wahrnehmen wird (Anlage 3)

und

betreffend den Aufenthalt von Frau Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschafts­standort Dr. Margarete Schramböck am 7. Oktober 2021 in Italien, wobei ihre Angele­genheiten im Bundesrat gemäß Art. 73 Abs. 3 B-VG die Bundesministerin für EU und Verfassung Mag. Karoline Edtstadler wahrnehmen wird (Anlage 4)

sowie

betreffend den Aufenthalt von Frau Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Leonore Gewessler, BA vom 5. bis 7. Oktober 2021 in Luxemburg, wobei ihre Angelegenheiten im Bundesrat gemäß Art. 73 Abs. 3 B-VG der Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Dr. Magnus Brunner, LL.M. wahrnehmen wird (Anlage 5)

4. Unterrichtung des Bundeskanzlers gemäß Art. 23c Abs. 5 B-VG

Nominierung von Herrn Vizebürgermeister Mag. Bernhard Baier als Mitglied in den Aus­schuss der Regionen (Anlage 6)

5. Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs. 5 B-VG

Schreiben des Generalsekretärs betreffend die Vollmacht zur Aufnahme von Verhand­lungen über einen Staatsvertrag zwischen der Republik Österreich und der Schweizeri­schen Eidgenossenschaft über den Hochwasserschutz am Alpenrhein (Anlage 7)


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B. Zuweisungen

1. Gesetzesbeschlüsse (Beschlüsse) des Nationalrates

(siehe Tagesordnung) sowie

2. Vorlagen der Bundesregierung oder ihrer Mitglieder

(siehe Tagesordnung) sowie

Kunst- und Kulturbericht 2020 der Bundesregierung (III-755-BR/2021)

zugewiesen dem Ausschuss für Tourismus, Kunst und Kultur

und

Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020, vorgelegt von der Bundesministe­rin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-756-BR/2021)

zugewiesen dem Ausschuss für Verkehr

und

Grüner Bericht 2021 der Bundesregierung (III-757-BR/2021)

zugewiesen dem Ausschuss für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft

sowie

Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung- und Technologieentwicklung 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-758-BR/2021)

zugewiesen dem Ausschuss für Innovation, Technologie und Zukunft

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Präsident Dr. Peter Raggl: Eingelangt sind und den zuständigen Ausschüssen zuge­wiesen wurden jene Beschlüsse des Nationalrates, jene Berichte beziehungsweise jene Entschließungsanträge, die Gegenstand der heutigen Tagesordnung sind.

Die Ausschüsse haben ihre Vorberatungen abgeschlossen und schriftliche Ausschuss­berichte erstattet.

Ich habe die zuvor genannten Verhandlungsgegenstände,

den Entschließungsantrag 303/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung,

den Entschließungsantrag 304/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Modell Hundecampus,

den Entschließungsantrag 305/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolle­ginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen,

den Entschließungsantrag 306/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Wolfgang Beer, Kollegin­nen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photo­voltaik-Anlagen,

den Entschließungsantrag 307/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Schartel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Tourismuskasse sowie

den Entschließungsantrag 308/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reparieren, Armut wirksam bekämpfen!

und die Wahl eines Schriftführers, einer Schriftführerin für den Rest des zweiten Halbjahres 2021

auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung gestellt.

Wird zur Tagesordnung das Wort gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Behandlung der Tagesordnung


Präsident Dr. Peter Raggl: Aufgrund eines mir zugekommenen Vorschlages beab­sichtige ich, die Debatten über die Tagesordnungspunkte 1 und 2, 5 und 6, 9 und 10 sowie 11 und 12 jeweils unter einem zu verhandeln.

Erhebt sich dagegen ein Einwand? – Das ist nicht der Fall.

Wir gehen in die Tagesordnung ein.

10.24.501. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz, das Gewerbliche So­zialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozialversicherungsgesetz und das Be­amten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geändert werden (1823/A und 1038 d.B. sowie 10733/BR d.B.)

2. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundes­gesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz geändert wird (1039 d.B. sowie 10734/BR d.B.)



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Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen zu den Tagesordnungspunkten 1 und 2, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatterin zu den Punkten 1 und 2 ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Ich bitte um die Berichte.


10.25.23

Berichterstatterin Claudia Hauschildt-Buschberger: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister! Ich darf den Bericht über den Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozial­versicherungsgesetz, das Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz, das Bauern-Sozial­versicherungsgesetz und das Beamten-Kranken- und Unfallversicherungsgesetz geän­dert werden, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober mit Stim­menmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich bringe auch den Bericht über den Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsge­setz geändert wird.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antragstel­lung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.


Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Christoph Steiner. Ich erteile es ihm. – Bitte.


10.26.33

Bundesrat Christoph Steiner (FPÖ, Tirol): Herr Vorsitzender! Herr Minister! Kollegen im Bundesrat! Ja, ich weiß es jetzt gar nicht, ich hoffe, ihr seid auf dem gleichen aktuellen Stand wie ich; es ist gerade die neueste Meldung eingetroffen, und ich war ganz verblüfft: Anscheinend gehen wir jetzt von der 3G-Regel weg. Also kurz gesagt kommt jetzt die neue Regel, die 3K-Regel. Ich habe dann genau lesen müssen, was das überhaupt heißt, aber es trifft ganz genau die Zeit, in der wir jetzt leben. Die 3K-Regel besagt näm­lich: kriminell, korrupt und käuflich. (Beifall bei der FPÖ.)

Es ist in der Zeit, in der wir jetzt seit gerade einmal ein paar Stunden leben, natürlich schwer – und sehr unvorstellbar, was das System Kurz-Truppe da in Österreich anrich­tet –, zur Tagesordnung überzugehen, aber ich versuche mein Bestes.

Es liegen zwei unterschiedliche Gesetzentwürfe vor, einer davon wird durchaus unsere Zustimmung finden, und zwar die Pflegefreistellung für Eltern, die ja durchaus sinnvoll ist. Ich frage mich nur, ganz ehrlich, weshalb diese Regelung nur bis Dezember gilt, Herr Minister, Herr Arbeitsminister, Herr Kocher. Vielleicht wissen Sie das? Ist eure pandemi­sche Verordnungswut dann zu Ende und Sie heben dann alle Zwangsmaßnahmen wie­der auf? Andernfalls ist schon sehr schwer zu erklären, warum die Regelung betreffend Sonderbetreuungszeit nur bis Dezember gelten sollte. Wie lange wollen wir denn die Kinder in unserem Land noch quälen?

Da gibt es ein gutes Zitat. Es kommt vom Sprecher der deutschen Kinderärzte, Herrn Maske, der also für relativ viele Ärzte in Deutschland spricht und den ich jetzt zitieren


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darf – das bitte merkt euch von den Grünen und von den Schwarzen und schreibt es euch endlich einmal in euer Stammbuch –, er sagt: „Wir quälen Kinder mit Maske, wir quälen sie mit Testen [...]. Das ist die einzige Gruppe, die sich das gefallen lassen muss, weil sie sich nicht selber wehren kann.“

Man sieht Videos und Fotos, wie die ÖVP präpotent, wie sie halt einmal ist, am Parteitag und auf Veranstaltungen Bussi-Bussi-Feste feiert – und unsere Kinder sitzen mit Masken in den Klassen, 6, 7, 8 Stunden lang. (Zwischenruf des Bundesrates Preineder.) Und ihr da aus den ÖVP-Reihen grinst noch ganz blöd. Schämt euch einmal in Grund und Bo­den! Herr Preineder, schäm dich! (Beifall bei der FPÖ.)

Betreffend den zweiten Gesetzentwurf gibt es von uns eine glasklare Ablehnung. Ja na­türlich sollen Ärzte für ihre Arbeit auch ein Honorar bekommen, allerdings sollen sie es nur für zugelassene Impfungen bekommen. Sogar Pfizer selbst empfiehlt keine Drittimp­fung für alle. Deshalb werden wir diesem Gesetzentwurf natürlich nicht unsere Zustim­mung geben.

Mir ist aber natürlich klar: Wenn eine Regierung ihre ganze Hoffnung nur und ausschließ­lich auf eine Impfung setzt, die bei Weitem nicht das hält, was versprochen wurde, muss man jetzt auf einen dritten, auf einen vierten, auf einen fünften, sechsten, siebten – ich weiß ja nicht, wie weit das noch gehen wird – Stich drängen (Bundesrat Köck: Sind ... alle geimpft!), um sich irgendwie aus dieser Sackgasse (Zwischenruf des Bundesrates Span­ring), in die man sich selbst hineinmanövriert hat, herauszulavieren, und das ist traurig genug. (Beifall bei der FPÖ.)

Wie diese Regierung aber mit allen umgeht – nicht nur mit den Bürgern, auch mit uns hier im Bundesrat –, hat man ja gestern im Gesundheitsausschuss wieder gesehen. Da diskutieren wir zwei für Herrn Minister Mückstein nicht unwesentliche Punkte, und er fand es weder der Mühe wert, selbst zu erscheinen, noch, einen Beamten oder irgend­eine Auskunftsperson aus dem Gesundheitsministerium zu schicken. Das ist beschä­mend und eine Geringschätzung des österreichischen Parlamentarismus. Schämt euch, ihr Grünen, ihr sitzt mit im gleichen Boot wie alle ÖVPler! (Beifall bei der FPÖ.)

Ich frage mich ja allen Ernstes, wann denn einmal das Licht am Ende des türkis-grünen Impftunnels in Sicht ist. Das ist ja noch ganz weit weg, denn 18 Monate lang – das muss man sich einmal vorstellen: 18 Monate! – hat es diese Versagerregierung nicht ge­schafft, ein einziges zusätzliches Bett in einem Krankenhaus auf die Reihe zu bringen. Nach 18 Monaten hat es diese Versagerregierung nicht geschafft, die Kapazitäten in unseren Krankenhäusern zu erhöhen (Zwischenruf des Bundesrates Preineder), ganz im Gegenteil, Herr Kollege, man droht nun dem Gesundheitspersonal mit der Zwangs­impfung, weil sich ja dann so viele im Bereich des Gesundheitspersonals noch impfen lassen werden.

Wissen Sie, was in den Krankenhäusern passieren wird? – Das Personal im Gesund­heitsbereich wird in die Industrie abwandern, und wir werden noch weniger Fachkräfte im Gesundheitsbereich haben. Das ist eine völlig bescheuerte und verkorkste Politik, die ihr da verfolgt (Bundesrat Preineder: ... zu wenig Personal!), das kann ich euch sagen. (Beifall bei der FPÖ.)

Bis heute bringt es die schlechteste Regierung der Zweiten Republik nicht auf die Reihe, valide Zahlen und Daten zu erheben und zu liefern. Wie viele Intensivbetten gibt es denn überhaupt in Österreich? – Wir wissen es ganz einfach nicht. Wie viele Geimpfte liegen auf den Normalstationen? Wie viele Geimpfte liegen auf den Intensivstationen? Wie viele Impfdurchbrüche gibt es? Wie viele Genesene liegen auf Normalstationen? Wie viele Genesene liegen auf Intensivstationen? Wie viele Ungeimpfte liegen auf Intensivsta­tionen, und wie viele Ungeimpfte liegen auf Normalstationen? (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)


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All diese klaren Zahlen wären notwendig, um endlich eine ordentliche Gesundheitspolitik sicherzustellen, und nur diese Zahlen dürften die Grundlage sein, um endlich ordentlich zu arbeiten. Diese Regierung operiert aber mit unehrlichen Zahlen, mit unehrlichen Da­ten, um ein Ziel zu verfolgen, nämlich um den Impfdruck immer, immer weiter zu er­höhen. Seit gestern wissen wir ja, dass diese Regierung auch mit gekauften Umfragen arbeitet, und deshalb wird euch auch niemand mehr eure Coronascheinzahlen glauben, das kann ich euch versprechen. (Beifall bei der FPÖ.)

Wurde jemals in Betracht gezogen, eine mit Sicherheit gegebene Grundimmunität in Österreich zu erheben? – Nein, das wurde es nicht. Warum wohl nicht? Warum wird in Österreich nicht endlich mit einer flächendeckenden Antikörperstudie begonnen? – Ich sage euch, warum: Weil diese Regierung dann zig Millionen Impfdosen in die Tonne schmeißen müsste. Manchmal frage ich mich wirklich, ob diese Regierung oder Teile dieser Regierung an dieser Impfung mitverdienen, denn anders ist euer Impffetischismus nicht zu erklären. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)

Kommen wir noch zum obersten Impfprediger, zum Impfgott aller Zeiten, Herrn Mück­stein, der ja vor Kurzem über 50 Personen in einer Stunde geimpft hat! Jetzt muss ich mich wirklich fragen: Wie viel Zeit hat er denn noch für das persönliche Aufklärungsge­spräch aufgewendet? Mehr als 30 Sekunden – wer rechnen kann, weiß das – können es wohl nicht gewesen sein. Wenn Herr Mückstein das mit seinem Gewissen als Arzt vereinbaren kann, ist das eigentlich traurig, denn ein Minister sollte ja ein Vorbild für seinen Berufsstand sein, aber was dieser Herr macht, ist ja wirklich erschreckend. (Bei­fall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Dem nicht genug, werden nun Ungeimpfte sowie Genesene ohne Absonderungsbe­scheid auch noch gebrandmarkt. Ungeimpfte und Genesene müssen nun im Gegensatz zu Geimpften ein öffentliches Zeichen tragen: die FFP2-Maske. Mich und viele Österrei­cher, aber vor allem unsere Großeltern erinnert diese Politik der Ausgrenzung und öf­fentlichen Schlechterstellung und Brandmarkung (Bundesrätin Zwazl: Na, na, na!) an eine Zeit, in der die Nationalsozialisten in Österreich an der Macht waren. (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Schumann und Zwazl.) Allerdings hoffe ich, dass wir hier im Saal (weitere Zwischenrufe bei ÖVP und SPÖ) parteiübergreifend nur eine Meinung vertre­ten, die da lautet: Niemals wieder! (Beifall bei der FPÖ.)

Man probiert es aber natürlich mit allen Mitteln. Da ist man sich dann auch nicht zu blöd und lässt sich in seiner Verzweiflung dazu herab, einer Partei im Land die Schuld für eine für euch zu niedrige Impfquote zu geben, aber wir kennen das schon: Bei der ÖVP ist nie jemand schuld, die ÖVP ist nie selber schuld. Da sind immer alle anderen schuld (Zwischenruf des Bundesrates Preineder: Nur bei der FPÖ ...!), da ist die FPÖ schuld, da ist die SPÖ mit Rendi-Wagner schuld, da sind die Mitarbeiter schuld, wie wir gestern gehört haben, da sind in Tirol die Stäbe schuld, die Stäbe im Bundeskanzleramt sind schuld. Er selbst war nie schuld, aber seit gestern wissen wir: Der Zirkel um den Herrn Kanzler hat nichts mit ihm zu tun, das sind Mitarbeiter. Also es ist primitiv, wenn ein Kanzler nur diesen Ausweg findet, sich an den Mitarbeitern abzuputzen. Der soll sich schämen! (Beifall bei der FPÖ, bei BundesrätInnen von SPÖ und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.) Aber dieser Regierung – und das wissen wir – ist mittlerwei­le nichts mehr zu blöd.

Dann kommt ihr immer mit dem Beispiel Dänemark; Israel ist ja nicht mehr en vogue. (Bundesrat Preineder: Redezeit!) Warum wohl? (Bundesrat Köck: Redezeit!) Das Vor­zeigeland Israel ist nicht mehr en vogue. Nur: Der Unterschied, Kollegen von der ÖVP, zwischen Dänemark und Österreich ist gravierend, denn in Dänemark hat man sich darauf geeinigt, dass es, wenn allen Dänen ein Angebot zur Impfung gelegt wurde – egal ob sie es annehmen oder nicht –, mit den Zwangsmaßnahmen vorbei ist. Das ist der grundlegende Unterschied (Beifall bei der FPÖ), ganz ohne Zwang, ganz ohne Druck


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und ohne dunkle Methoden, die an schlechte Zeiten erinnern. (Bundesrat Schennach: Dort sind aber auch 80 Prozent geimpft, in Dänemark!)

Euer Kanzler aber – jetzt muss man ja „euer Kanzler“ sagen, denn der Kanzler der Öster­reicher ist er ja schon länger nicht mehr, und ich habe heute auch gelesen, die Grünen zweifeln endlich an seiner Regierungsfähigkeit – rief ja die Pandemie der Ungeimpften aus, was, wie wir ja mittlerweile wissen, ein völliger Schwachsinn war und ist – aber was zeigt uns das? Ein Blick zum geimpften ÖVP-Cluster in Salzburg straft euch wieder ein­mal Lügen. (Bundesrätin Eder-Gitschthaler: Also bitte!)

Das heißt, wir ziehen Resümee, ein Resümee über Versprechen, über Ankündigungen, über Horrorgeschichten dieser Regierung, aber vor allem des Herrn Kanzlers höchstper­sönlich. (Zwischenrufe der Bundesräte Köck und Schwindsackl.) „100 000 Tote“ sind Gott sei Dank nie eingetreten. „Jeder“ wird „jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, das ist Gott sei Dank auch nie eingetroffen. (Ruf bei der ÖVP: Erzähl das dem Haim­buchner und seiner Frau!) Wir werden einen „normalen Sommer“ 2021 erleben. (Zwi­schenrufe der Bundesräte Köck und Preineder.) Dies ist leider nicht eingetroffen. Man sah das „Licht am Ende des Tunnels“, auch dies traf natürlich nicht ein. Jeder, der nicht geimpft ist, wird sich anstecken – auch das ist Gott sei Dank niemals eingetroffen. (Bun­desrätin Eder-Gitschthaler: Ja!) Was hätten wir letzten Sommer ohne Maßnahmen ge­macht? – Wir wären wohl alle verstorben. „Für Geimpfte ist die Pandemie vorbei.“ – Auch das ist zum Leidwesen aller Geimpften nicht eingetroffen.

Nun lasst einmal diese Beispiele auf euch wirken! Wir werden von dieser Regierung, aber vor allem von diesem Kanzler seit 18 Monaten belogen und betrogen. (Beifall bei der FPÖ.)

Deshalb bringe ich noch einen Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der BundesrätInnen Christoph Steiner, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Diskrimi­nierungsverbot für Covid-19-Ungeimpfte“

Der Bundesrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Nationalrat eine Regierungsvorlage zuzu­leiten, die folgende gesetzliche Regelungen umfasst:

- Ein ausdrückliches und bindendes Diskriminierungsverbot für Covid-19-Ungeimpfte in Gesellschaft, Wirtschaft, am Arbeitsplatz, an den Schulen und Universitäten, insbeson­dere

- ein Verbot der Kürzung oder sogar Streichung von Versicherungs- und Sozialleistungen durch Arbeitsmarktservice (AMS) oder die Sozialämter für Covid-19-Ungeimpfte

- ein Verbot der Kündigung oder Nichtanstellung von Lehrlingen und Arbeitnehmern, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen

- einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Rechtshilfe der Arbeiterkammer bei der Vertre­tung von Arbeitnehmern zur individuellen Durchsetzung von Rechtsansprüchen gegen den Bund, die Länder und Gemeinden, die Sozialversicherungsträger, das Arbeitsmarkt­service, die Sozialämter und Arbeitgeber in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst gegen Diskriminierungen im Zusammenhang mit dem Covid-19-lmpstatus“

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Zum Abschuss: Liebe ÖVP, wenn ihr die eigenen Maßstäbe, die eures Kanzlers rund um Ibiza anlegen würdet, dann bliebe dieser Regierung – vor allem aber den Grünen als


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angeblicher Anstand – nur eines: Diese schwarz-türkise Truppe muss sofort zurücktre­ten! (Anhaltender Beifall bei der FPÖ.)

10.41


Vizepräsident Günther Novak: Der von den Bundesräten Christoph Steiner, Kollegin­nen und Kollegen eingebrachte Entschließungsantrag betreffend „Diskriminierungsver­bot für Covid-19-Ungeimpfte“ ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Ver­handlung.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. – Bitte.


10.41.52

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsi­dent! Herr Minister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Ich muss heute leider mit Bedauern feststellen, dass zwei Dinge sich nach der Sommerpause immer noch nicht verändert haben (Bundesrätin Steiner-Wieser: Oje!): Es ist das Andauern der Coronapandemie, und es sind leider auch immer diese hetze­rischen Worte meines Vorredners. (Beifall bei BundesrätInnen von Grünen und ÖVP. Bundesrat Hübner: Was ist daran hetzerisch? – Bundesrätin Steiner-Wieser: Was ist da hetzerisch? Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Das Thema Corona und insbesondere der Gesundheitsschutz stehen heute wieder als erstes auf der Tagesordnung, und zwar deshalb, weil die Pandemie noch nicht vorbei ist. Es gilt daher heute, weitere gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um weitere Vorge­hensweisen zu sichern. Ja, und damit bin ich auch schon wieder ein bisschen beim Vorredner. Warum ist das so? – Weil es uns nämlich immer noch nicht gelungen ist, die Durchimpfungsrate auf das Niveau zu bringen, das uns zu einer Herdenimmunität führt. Mit heute tagaktuell nur 61,07 Prozent Durchimpfungsrate sind wir wirklich kein Vorreiter in Europa. Daher ist es auch nicht möglich, dass wir Maßnahmen aufheben, weil wir eben noch nicht genug Schutz haben. (Zwischenruf des Bundesrates Leinfellner.)

Da ich selber weiß, was eine Coronainfektion bedeutet, und obwohl ich mittlerweile voll­immunisiert bin, habe ich überhaupt gar kein Problem damit, weiterhin die FFP2-Maske zu tragen (Bundesrätin Steiner-Wieser: Da sieht man, was das für Auswirkungen hat!), weil es zu meinem Schutz und zum Schutz meines Gegenübers ist. (Bundesrat Steiner: Für Ungeimpfte ist die Pandemie vorbei, für ...!) Gerade gestern war in den „Oberöster­reichischen Nachrichten“ zu lesen, dass sich in einem Kindergarten in Bad Hall 20 Kinder mit Corona infiziert haben, und zwar kleine Kinder, Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren, die sich nicht impfen lassen können und bei denen es in unserer, in der Verant­wortung der Erwachsenen liegt, diese bestmöglich zu schützen. (Bundesrat Steiner: Was haben sie für Verläufe, die Kinder? Was haben diese drei Kinder für Verläufe? Nur weil sie sich angesteckt haben! – Ruf bei der FPÖ: Was haben sie für Vorerkrankun­gen?) – Wir wissen, auch Kinder können schwer an Covid-19 erkranken (Bundesrat Stei­ner: Mit Vorerkrankung!), und das kann weitreichende Folgen haben, die wir vielleicht überhaupt noch nicht abschätzen können. (Bundesrat Steiner: Drei in ganz Europa! Drei!) Jede Infektion ist eine Infektion zu viel, und alleine in Bad Hall geht es um 20 Kin­der, die erkrankt sind. (Bundesrat Spanring: Genauso wie jeder Impfschaden ... ist einer zu viel! – Bundesrat Steiner: Jeder Impfschaden ist einer zu viel!)

Somit bin ich eigentlich auch schon beim Thema: Um den ausreichenden, den validen Impfschutz auch in Zukunft weiter zu gewährleisten, ist es wichtig, dass in nächster Zeit eine Boosterimpfung stattfindet. Genau das beschließen wir heute: dass ein sogenann­ter dritter Stich in der nächsten Zeit möglich ist. Neben dem dritten Stich geht es in un­serem heutigen Beschluss auch um die finanzielle Abgeltung für Ärzte – die diese Imp­fung dann in Zukunft durchführen können –, und zwar rückwirkend mit dem 1. Septem­ber, weil es durchaus auch Menschen gibt, die sich im Februar und März haben impfen


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lassen, bei denen der Impfschutz bereits zurückgeht und die bereits ein drittes Mal ge­impft sind.

Es wird in diesem Zusammenhang – denn die Pandemie ist noch nicht zu Ende – auch nötig sein, eine Phase fünf der Sonderbetreuungszeit für Eltern zu beschließen. Diese Phase fünf wird sich an der Phase vier orientieren und wird für ein Ausmaß von drei Wochen ausgelegt. Es wird auch grundsätzlich davon ausgegangen, dass der häufigste Anwendungsfall die Absonderung eines Kindes gemäß § 7 Epidemiegesetz sein wird; genau so, wie ich das vorhin mit dem Beispiel Bad Hall beschrieben habe, wo 20 Kinder erkrankt und viele weitere Kinder in Quarantäne sind, um die sich deren Eltern jetzt zu Hause kümmern müssen.

Ich muss es eh nicht extra betonen, ich glaube, da sind wir uns in dem Fall alle einig: Dieser Beschluss ist wichtig und wesentlich und daher heute zu treffen.

Diese Vereinbarung betreffend Sonderbetreuungszeit endet mit Ende Dezember, und was mich wirklich freuen würde, ist, wenn wir es endlich schaffen würden, die Immunisie­rungsrate auf so ein Ausmaß zu steigern, dass wir mit Ende des Jahres, mit Beginn des neuen Jahres dann endlich ein Ende der Pandemie hätten. Daher noch einmal der Auf­ruf: Bitte impfen lassen! Bleiben Sie weiter gesund! – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

10.46

10.46.52*****


Vizepräsident Günther Novak: Herr Kollege Steiner, für Ihren Ausspruch, der Bundes­kanzler habe die Bevölkerung „belogen und betrogen“, erteile ich Ihnen im Nachhinein einen Ordnungsruf. (Bundesrat Steiner: Aber ist ja die Wahrheit! – Heiterkeit bei Bun­desrätInnen der FPÖ. – Ruf bei der FPÖ: Münchhausensyndrom!)

*****

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Dr. Karlheinz Kornhäusl. – Bitte sehr.


10.47.24

Bundesrat Dr. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP, Steiermark): Herr Vorsitzender! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, die via Livestream zugeschaltet sind! – Kollege Steiner, ich frage mich das (den ge­streckten Zeigefinger an die Stirn bewegend – Bundesrätin Steiner-Wieser: Finger weg vom Kopf!) ein um das andere Mal, wenn du da heraußen stehst: Wie haben sie dich jemals durch die Schule lassen können? (Heiterkeit bei BundesrätInnen der ÖVP – Bun­desrätin Steiner-Wieser: Hallo! – Ruf bei der FPÖ: Das ist jetzt aber ein Ordnungsruf!) Eine Rede wie die andere ist eine glatte Themenverfehlung! Du redest über alles, schwa­dronierst in der Gegend herum (Beifall bei der ÖVP), redest aber nie zu den Themen, über die wir eigentlich reden sollten. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Freie Rede! Parla­mentarismus nicht verstanden!)

Es würde die Redezeit sprengen, wenn man auf jeden Unsinn eingehen würde, den Herr Kollege Steiner von sich gibt (Zwischenruf des Bundesrates Hübner – Bundesrätin Stei­ner-Wieser: Parlamentarismus nicht verstanden!), aber auf etwas möchte ich schon gerne eingehen: Du hast Dänemark, den Unterschied zwischen Dänemark und Öster­reich angesprochen, aber du hast einen Unterschied vergessen, und zwar einen großen: In Dänemark ziehen alle Parteien im Parlament an einem Strang, ganz egal welche Par­tei. (Zwischenruf des Bundesrates Hübner. – Bundesrätin Steiner-Wieser: Wahlfrei­heit!) In Österreich sind vier Parteien in diesem Haus, die sich staatstragend verhalten


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und Verantwortung übernehmen (Bundesrat Steiner: Stimmt, und eine schützt die Ös­terreicher!), aber eine tut es nicht – und das ist die Freiheitliche Partei! (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

Meine Damen und Herren, das, was wir hier heute mit diesen Änderungen der Sozialver­sicherungsgesetze und des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz beschließen wol­len, kann ich recht gut in einer kurzen Geschichte – und zwar dazu, wie es in meinem erweiterten Familienumfeld vor 14 Tagen zugegangen ist – umreißen: Da ist in der Früh angerufen worden, dass die Kinder nicht in den Kindergarten kommen können, weil zwei Betreuerinnen – nicht geimpft, aber anyway – erkrankt sind und deshalb die Kinder nicht betreut werden können. – Natürlich stellt so etwas Familien in ganz Österreich vor große Herausforderungen – und so war es auch in meiner Familie. (Bundesrat Spanring: Was ist der Unterschied, ob ein Geimpfter erkrankt oder ein Ungeimpfter?) In diesem Fall ist der Papa dann zu Hause geblieben, weil es nicht möglich war, dass die Kinder betreut werden. (Bundesrat Spanring: Was ist der Unterschied, ob ein Geimpfter oder ein Unge­impfter erkrankt?) – Herr Kollege, ich glaube, ich brauche Ihnen nicht noch einmal die Studien zu erklären (Bundesrat Spanring: Nein, du brauchst sie mir eh nicht zu erklä­ren!): 90-prozentiger Impfschutz, 90-prozentiger Schutz, besser geht es nicht! (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen. – Bundesrat Spanring: Aber nicht für die anderen! ... Ungeimpfte, dann wärt ihr genauso daheim gewesen, also tu nicht Schauermärchen erzählen!) Ich glaube, dass diese kurze Geschichte das recht gut um­reißt. (Bundesrat Steiner: Was ist mit dem Haslauer? – Bundesrat Spanring: Alle in dem Cluster sind geimpft! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Es geht auf der einen Seite um das Thema Impfen, ganz konkret um die Erweiterung der Honorar- und Kostenerstattung im niedergelassenen Bereich für den dritten Stich. Auf diesen dritten Stich möchte ich kurz zu sprechen kommen, weil er wichtig ist. (Bundesrat Hübner: Nicht so wichtig wie der vierte Stich! Der ist, glaube ich, wichtiger! – Bundesrat Steiner: Der siebente ist der ...!) Warum? – Viele Studien zeigen, dass es bei einem Teil der Patientinnen und Patienten, die multimorbid oder älter sind, zu einem rascheren Abfall der Zahl der Antikörper kommt. Das ist der einzige Grund, warum wir diesen dritten Stich brauchen: nicht weil die Impfung nicht wirkt (Bundesrätin Steiner-Wieser: Geh, so ein Schwachsinn ...! – Bundesrat Steiner: Viel wichtiger ist der vierte Stich! Der vierte Stich ist wichtig!), sondern weil es bei einem gewissen Patientengut zu einem schnelle­ren Abfall kommt, wie sich in Israel gezeigt hat. (Bundesrat Spanring: Der Drosten hat aber gesagt, es sollen sich alle doppelt Geimpften anstecken! ... Das hat der Drosten gesagt! Ihr müsst euch einmal einigen, ihr Experten für eh alles!)

Sie können reden, was Sie wollen: Die Impfung wirkt, die Impfung ist sicher. Was wichtig ist: Wir müssen die Unsicheren überzeugen, die, die vielleicht Bedenken haben, die Sor­gen haben. Die Kickls lasse ich mittlerweile links liegen, die werden wir nicht mehr über­zeugen (Zwischenrufe der Bundesrätinnen Schartel und Steiner-Wieser), die will ich auch gar nicht überzeugen, aber es gibt viele Menschen, die einfach noch Fragen haben, die man dann im persönlichen Gespräch klären kann. Sie werden mir wohl glauben, dass ich jeden Tag die Situation habe (Bundesrat Spanring: Ja, ja, das glaube ich schon aufgrund eurer Politik! ... Menschen ...!), dass Menschen zu mir kommen und fragen: Was würden Sie machen, was sind die Pros und Kontras? – Und dann lassen sie sich – Gott sei Dank – impfen. (Bundesrat Spanring: Aufgrund eurer Politik haben viele Men­schen in Österreich Angst! Das ist so!) Wir haben nur eine Chance, endgültig herauszu­kommen, und zwar indem wir die Impfquote anheben. (Bundesrat Spanring: Impfen Sie auch 50 Leute in 1 Stunde, Herr Kollege?)

Jetzt komme ich zum zweiten wesentlichen Punkt, der Sonderbetreuungszeit. Meine Da­men und Herren, die Sonderbetreuungszeit ist mehr als wichtig. (Zwischenruf der Bun­desrätin Schumann.) Frau Kollegin Hauschildt-Buschberger hat das bereits angespro­chen: Wir verlängern die Regelung zum vierten Mal, wir gehen in eine fünfte Phase. Sie


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ist wichtig – das habe ich vorhin bereits bildlich erklärt –, aber die Sonderbetreuungszeit kann nur ein Mittel zum Zweck sein und kein Selbstzweck. Was uns am Ende des Tages hilft, ist etwas anderes, nämlich eine Durchimpfungsrate von 80, 85 oder 90 Prozent, wie wir sie zum Beispiel in Dänemark haben. (Widerspruch bei der FPÖ.) Das ist das, was wir brauchen. (Bundesrat Steiner: Ja, genau! – Ruf bei der FPÖ: Die Antikörper helfen, aber nicht die Impfung!) Die Sonderbetreuungszeit ist eine Erfolgsgeschichte in dieser schwierigen Zeit. (Bundesrätin Schartel: So ein Scheiß!) – Ich würde mit diesen vul­gären Ausdrücken ein bisschen aufpassen, aber in Ihrem Fall bin ich nichts anderes gewöhnt, das muss ich auch dazusagen. (Zwischenrufe der BundesrätInnen Hübner und Steiner-Wieser.)

Seit März 2020 haben wir die Sonderbetreuungszeit, und sie ist in dieser schwierigen Zeit eine Win-win-Situation, nicht nur weil Eltern bei ihren Kindern, bei den zu pflegenden Angehörigen zu Hause bleiben können, sondern auch weil die Unternehmen, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freistellen, die Kosten rückerstattet bekommen. Über 27 000 Menschen in Österreich sind bis Stichtag heute freigestellt worden, und über 47 000 Menschen in Österreich sind aufgrund dieser Sonderbetreuungszeit bereits be­treut worden.

Ich darf auch schon zum Ende kommen. Was ist die Conclusio? – Wir beschließen heute eine wesentliche gesundheitspolitische Maßnahme, und wir beschließen des Weiteren eine wichtige familienpolitische Maßnahme. Ich darf um Ihre Zustimmung bitten. – Herzli­chen Dank. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

10.53


Vizepräsident Günther Novak: Ich habe gerade gesehen, dass ein alter Bundesrats­kollege und ehemaliger Vizepräsident heute hier zu uns ins Plenum gekommen ist: Herz­lich willkommen, Ewald Lindinger! (Allgemeiner Beifall.)

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Markus Leinfellner. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte. (Beifall bei BundesrätInnen der FPÖ. – Rufe bei der FPÖ: Bravo, Markus, bravo! – Bun­desrat Hübner: Endlich mal wieder zur Sachpolitik!)


10.53.55

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Herr Vorsitzender! Herr Bundesmi­nister! Hohes Haus! Liebe Österreicher! Ich muss sagen, ich bin von den Redebeiträgen einiger meiner Vorredner in dieser Debatte etwas schockiert. Der Gesundheitsschutz steht auf der Tagesordnung. Frau Kollegin Hauschildt-Buschberger, ich würde mir wün­schen, dass in Ihren Reihen der Gesundheitsschutz auf der Tagesordnung steht. In Wahrheit stehen eine Impfapartheid, eine Trennung der Österreicher und eine immer tiefer gehende Spaltung der Gesellschaft auf der Tagesordnung, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Bader: Da sind die Freiheitlichen gut! Da seid ihr schuld! – Bundesrat Spanring: ... beschimpft! Oder wart das ihr? – Bun­desrat Steiner: Ihr seid nie schuld!)

Sie haben gesagt, die Impfung hilft. Mein direkter Vorredner Kollege Kornhäusl hat im selben Atemzug gesagt, vier Parteien agieren verantwortungsvoll, und der dritte Stich ist wichtig. Primum non nocere, kann ich nur sagen: zuerst einmal nicht schaden. Dir als Arzt sollte das ja etwas sagen. Ich glaube, wir alle haben inzwischen gesehen, wie viel diese hochgepriesene Impfung hilft. Ich kann nur von mir selber reden: Wisst ihr, wann ich das letzte Mal wirklich mit Bedenken zur Testung gegangen bin? – Nachdem ich mit Geimpften zusammen gewesen war, die mich am nächsten Tag angerufen haben, dass sie krank und positiv sind und seit einigen Monaten nicht mehr testen waren. (Beifall bei der FPÖ.)

Da haben Sie ja im Bereich des Gesundheitsschutzes wirklich verantwortungsvoll für dieses Land gearbeitet, für unsere Österreicher, dass nämlich genau diese Personen


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nicht mehr zur Testung gehen. Wie wir alle wissen, sind die letzten, die erkrankt sind – und das ist nicht einer, sind nicht zwei, sondern das sind viele, die erkrankt sind –, Ihre doppelt Geimpften, bei einem angeblich 90-prozentigen Schutz, wie Sie gesagt haben, Kollege Kornhäusl. (Beifall bei der FPÖ.)

Wie gut das System Gesundheit und ein verantwortungsvoller Umgang mit der Gesund­heit funktionieren, zeigt sich auch am Beispiel Weststeiermark, nämlich bei dem Schul­cluster, der letzte Woche in Rosental aufgetreten ist. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Kin­der wurden nach Hause geschickt, ein Kind wurde positiv getestet, und bis heute sind – trotz täglicher Anrufe – weder Bescheide für die Eltern noch für die Geschwister da. Also Ihr System funktioniert ja wirklich hervorragend! Seien wir froh, dass wir die Freiheitliche Partei haben, die diese Fehler aufzeigt, die verantwortungsvoll mit der Gesundheit der Menschen umgeht und den Menschen auch sagt, dass diese von Ihnen so hochgeprie­sene Impfung in Wahrheit nichts hilft, meine sehr geehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Köck: Wieso hat sich ... impfen lassen? Rede einmal mit ihm! – Zwischenrufe der BundesrätInnen Schumann und Kornhäusl.)

Das ist nicht der eigentliche Grund, warum ich hier herausgegangen bin. Ich bin hier wegen eines viel, viel wichtigeren Themas herausgegangen, nämlich des Themas Impf­apartheid, Gesundheitsapartheid in unseren Einsatzorganisationen, insbesondere im Bundesheer. (Bundesrat Köck: Die Wiener FPÖ fragen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich in einem Schreiben einen Befehl der Direktion 8 – wie sie jetzt neu heißt – lese, dass in geschlossenen Räumen für Unge­impfte ab sofort die FFP2-Masken-Pflicht gilt, dann muss ich sagen: Vielleicht gehen manche nicht mit offenen Augen durchs Leben. Entweder wollen wir die Gesundheit schützen - - (Neuerlicher Zwischenruf des Bundesrates Köck.) Jetzt wissen wir, der Ge­impfte kann es übertragen, und jetzt wissen wir, der Geimpfte kann es bekommen. In Wahrheit geht es darum, die Leute zu drangsalieren, um durch diese Quälereien unsere Österreicher zum Stich zu bringen. Das hat hier in diesem Land nichts verloren. Geimpfte und Genesene sind von der FFP2-Masken-Pflicht ausgenommen – obwohl wir wissen, dass sie es bekommen, nicht einmal testen gehen und genauso übertragen können.

Ein weiterer Befehl aus dem Bereich des Bundesheeres lautet, dass Betreuungseinrich­tungen nur mit einem 2G-Nachweis betreten werden dürfen. Das ist schön, da werden sich die Bediensteten bedanken, die tagtäglich für die Sicherheit dieses Landes da sind und sich in Wahrheit ihr Wurstbrot von zu Hause mitnehmen müssen, weil sie nicht mehr in Betreuungseinrichtungen hineingehen dürfen.

Ein anderer Befehl beim Bundesheer besagt, dass Laufbahnkurse und sonstige Kurse nur mehr mit 2G-Nachweis – oder wie es im Bereich der LVAk ist: mit 2,5G – absolviert werden dürfen. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wo kann man denn innerhalb der LVAk, für einen Kurs, diesen PCR-Test machen? Wo ist das möglich? – 48 Stunden ist er gültig, mehr als 24 Stunden dauert es, bis man ein Ergebnis bekommt. Wie wir wissen, dauern die Kurse meistens nicht von 8 bis 12 Uhr, sondern den ganzen Tag, und daher frage ich mich schon: Wie kann ein Ungeimpfter und Nichtgenesener – der es geschafft hat, sich vernünftig zu verhalten, der es geschafft hat, sich eineinhalb Jahre nicht anzustecken – noch Kurse absolvieren?

Sie sorgen nicht für den Schutz der Gesundheit unserer Österreicher, sondern Sie ge­fährden im wahrsten Sinne des Wortes die Sicherheit der Österreicher, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren. (Beifall bei der FPÖ.)

All das geschieht nur, damit Sie Ihre 42 Millionen Impfdosen, die Sie bestellt haben, auf­brauchen. Ich weiß nicht, wer das ausgerechnet hat, vielleicht war es Finanzminister Blümel. Ich kann mir nicht erklären, warum man für ein Land wie Österreich 42 Millionen


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Impfdosen bestellt, aber es wird schon Gründe dafür geben. (Zwischenruf des Bundes­rates Kornhäusl.) Deswegen, Kollege Kornhäusl, reden wir wahrscheinlich nicht vom dritten Stich, sondern wir reden vom vierten Stich, der genauso wenig hilft, und dann reden wir vom fünften Stich und vom sechsten Stich. Irgendwann werden wir die 42 Mil­lionen Impfdosen ja hoffentlich aufgebraucht haben. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Köck.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist Wahnsinn, was diese türkis-grüne Fa­milie in diesem Land aufführt, das ist verantwortungslos. Seien wir froh, dass es zumin­dest eine Partei gibt, die diese Dinge noch aufzeigt! (Beifall bei der FPÖ.)

Es geht ja noch weiter: Jetzt schaffen wir innerhalb des Bundesheeres sozusagen diese Apartheid. Wir schaffen in den Bundesländern unterschiedliche Vorgaben. Wir schaffen innerhalb der Bundesländer in den militärischen Liegenschaften unterschiedliche Vorga­ben, und wir schaffen außerdem auf den militärischen Liegenschaften bei den einzelnen Dienststellen unterschiedliche Befehle mit unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten. Im Hinblick darauf frage ich mich: Was machen jetzt überprüfende Vorgesetzte – der eine ist geimpft, der andere ist getestet – bei einer 2G-Regelung? Wenn es da wirklich um Angelegenheiten geht, bei denen die zwei hineingehen müssen: Bleibt dann einer von diesem Team draußen stehen?

All das sind Dinge, die man vielleicht einmal zu Ende denken sollte: Um wie viel mehr gefährdet der Getestete die Gesundheit unserer Mitmenschen im Vergleich zu einem Geimpften, der seit einem halben Jahr nicht mehr testen war? – Ich glaube, da ist unser Zugang sehr wohl der vernünftigere, meine sehr geehrten Damen und Herren! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf der Bundesrätin Grimling.)

Ich habe fast den Eindruck, dass Sie sich selbst bei diesem ganzen Wirrwarr nicht mehr auskennen. Ich habe ja fast geglaubt, die ganze Pandemie ist vorbei, als ich diesen Bussi-Bussi-Parteitag gesehen habe, bei dem eine Schwangere anwesend war. Einer­seits wird von den großen Gefährdern geredet, andererseits umarmt ihr euch und bus­selt euch ab: Ich kann die Welt nicht mehr verstehen! (Zwischenruf des Bundesra­tes Kornhäusl.)

Abschließend kann ich nur sagen: Uns ist die Gesundheit der Österreicher wirklich ein Anliegen. Die ÖVP ist derzeit allerdings viel mehr mit ihrer Familie beschäftigt. Das ist tatsächlich eine sehr, sehr große Familie, und sie muss sich auch mit dieser Familie beschäftigen. Im Hinblick darauf würde ich vorschlagen: Geben wir der ÖVP die Zeit, sich mit der Familie zu beschäftigen! Der einzige Schutz der Gesundheit unserer Men­schen, nämlich auch der psychischen Gesundheit unserer Menschen, ist der geschlos­sene Rücktritt dieser Bundesregierung! – Danke. (Beifall bei der FPÖ.)

11.03


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Korinna Schumann. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


11.03.28

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundesminister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen! Ich glaube, heute ist nicht der Tag für große künstliche Aufgeregt­heiten, sondern es ist ein Tag der Erschütterung: Diese Republik wurde gestern durch die Vorkommnisse in ihren Grundfesten politisch erschüttert. Das ist hier festzuhalten. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir als Demokratinnen und Demokraten und Mitglieder dieses Hohen Hauses sollten dem auch Rechnung tragen. Es geht um ganz schwere Vorwürfe gegen den Kanzler dieser Republik: Untreue, Korruption, Verwendung von Steuermitteln für parteipolitische


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 58

Interessen. – Das ist unerträglich! Wir haben erlebt, wie von einem Abgeordneten der ÖVP in unsachgemäßer Weise mit pauschaler Kritik auf die Justiz hingehauen wurde. – Auch das ist unerträglich, und das darf von uns Parlamentarierinnen und Parlamenta­riern nicht hingenommen werden! (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Der ÖVP ist zu sagen: Sie müssen Ihre staatspolitische Verantwortung wahrnehmen! Ich bin sehr gespannt, wie sich die ÖVP-Landeshauptleute in diesem Fall verhalten wer­den. Von den Grünen haben wir bereits gehört, dass sie die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage stellen. Das ist ein wichtiger und richtiger Schritt! (Bundesrat Steiner: Endlich!) In dieser Form kann Politik nicht gemacht werden. Es geht um die Demokratie, es geht um das Vertrauen in die Politik, und so kann nicht weitergemacht werden. Wir hoffen, dass der Kanzler die Verantwortung übernimmt und – das hätte er bereits gestern machen müssen – seinen Rücktritt erklärt. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Nun zur Materie: Wir haben einen Coronaherbst im reinen Chaos hinter uns und noch vor uns. Der September verging ohne klare Coronaregelungen. Es hieß: Ja nicht hingrei­fen beim Thema Corona – das war das Motto der Regierung –, das ist zu gefährlich für die Ergebnisse bei der Landtagswahl in Oberösterreich! – Das ist zynisch! Man nimmt lieber in Kauf, dass ein Land im Coronachaos versinkt. Man hat das Überbringen von unangenehmen Nachrichten vermieden beziehungsweise versucht, das irgendwo an­ders hinzuschieben – zu den Ländern, zu den Sozialpartnern, zur Ärzteschaft. Wir haben Chaos in den Schulen. Hunderte Klassen sind in Quarantäne, es gibt entsetzte Eltern. Mütter rufen mich und vielleicht auch Sie verzweifelt an und sagen: Ich packe nicht noch einmal Homeschooling! Nein, auf keinen Fall! – Pädagoginnen und Pädagogen hat man am Schulanfang eine Zerreißprobe des Machbaren aufgebürdet.

Somit sind wir beim Thema Sonderbetreuungszeit. Dieses Thema und der entsprechen­de Verlauf der Regelung sind so symptomatisch für dieses Coronachaos. Die Regierung hat ganz bewusst die Sonderbetreuungszeit auslaufen lassen: Weg mit dem Rechtsan­spruch! Weg mit dem Recht der Eltern, pro Elternteil drei Wochen Sonderbetreuungszeit zur Verfügung zu stellen, falls Klassen gesperrt sind!

Jetzt haben wir als Gewerkschaftsfrauen und als SPÖ Druck gemacht, weil wir wussten, dass wir die Sonderbetreuungszeit brauchen, denn bei dieser Impfrate in diesem Land war ja klar, dass der Herbst nicht locker und flockig ohne Corona über die Bühne gehen wird. Wir haben verlangt: Bitte, die Sonderbetreuungszeit muss wieder kommen! – Gut. Der Herr Minister hat zuerst gemeint: Nein, das ist nicht notwendig, das ist eh alles im Arbeitsrecht geregelt, und in den Betrieben kann man das schon jeweils lösen! – Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele verzweifelte Mütter, besonders aus dem Bereich des Handels, am Schulbeginn nicht gewusst haben, wie sie tun sollen. Sie haben sich für den Schulanfang freigenommen. Danach ist die Klasse in Quarantäne gegangen, und sie haben gar nicht mehr gewusst, wie sie all das irgendwie hinbringen sollen.

Es wurde Druck aufgebaut, die Sonderbetreuungszeit wurde eingeführt, aber im ersten Schritt erst ab 1. Oktober. Da erhob sich die Frage: Was aber machen wir jetzt im Sep­tember? Lassen wir es da so laufen? – Gut, es wurde noch einmal Druck aufgebaut. Jetzt gibt es die Sonderbetreuungszeit rückwirkend, aber zu kurz, denn bis Dezember werden wir das auch nicht über die Bühne kriegen. – So kann man beim Coronama­nagement nicht agieren!

Was Sie da machen, ist eine Form des Coronamanagements, die natürlich den Wider­stand der anderen Gruppen beziehungsweise der radikalisierteren Gruppen hervorruft. Das ist doch ganz klar! Wenn man nicht klar regelt, wenn man nicht sagt, dass das die Regeln sind und das mit den Virologinnen und Virologen ausgeforscht und vereinbart wurde, dann lässt man doch alle Türen und Tore offen für alle Möglichkeiten der Inter­pretation und der Desinformation. (Zwischenruf des Bundesrates Hübner.) Das ist nicht


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die Form, wie man mit Corona- und Pandemiebekämpfung umgehen kann, und das hat diese Regierung zu verantworten! (Beifall bei der SPÖ.)

Nun zur Arbeitsmarktpolitik – Herr Bundesminister, Sie sind heute bei uns –: Die Arbeits­marktzahlen gehen zurück, und wir alle, die wir hier sind, freuen uns über jeden Arbeits­losen und jede Arbeitslose weniger, gar keine Frage. Trotzdem müssen wir hinschauen und feststellen, wie die Zahlen denn genau ausschauen: Wie sehen die Arbeitsplätze aus? Kann man von der Arbeit leben? Wie schauen die Arbeitsbedingungen aus? Die Zahl der Langzeitarbeitslosen geht nicht zurück. Ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer haben es sehr, sehr schwer auf dem Arbeitsmarkt, das können Sie wirklich nicht leugnen, Herr Bundesminister! (Bundesminister Kocher: Doch!) Sie haben es wirklich schwer. Ich kann Ihnen sagen: Es gibt ältere ArbeitnehmerInnen, die Hunderte von Be­werbungen schreiben, und bei großen Unternehmen, die in den Bewerbungsvorgängen Algorithmen im computerisierten Vorgang laufen haben, haben Ältere keine Chancen. – Genau da muss man ansetzen! Da braucht es wirklich Maßnahmen, um auch Langzeit­arbeitslose in Beschäftigung zu bringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir brauchen 70 000 Pflegekräfte – dabei sehen wir jetzt, dass in diesem Budget nicht das Geld für eine Pflegereform zur Verfügung gestellt wird. – Nein, wir entlasten Konzer­ne, wir schaffen für sie mehr Gewinne; nein, wir stellen nicht mehr Geld für die Pflege bereit, wir geben nicht mehr Geld für den Ausbau der Elementarpädagogik aus. Das ist nicht die Politik, die wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten uns vorstellen, um Menschen helfen und diesen Staat wirklich sozial gestalten zu können.

Auf einen Punkt möchte ich ganz stark hinweisen, weil wir am Montag wieder eine Pres­sekonferenz der SozialpartnerInnen zu diesem Thema haben werden: Es gibt die For­derung der SozialpartnerInnen auf Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für jedes Kind ab dem ersten Lebensjahr – leistbar und mit Vollzeitarbeit vereinbar. Das ist eine ganz, ganz wichtige Forderung – besonders auch an Sie, Herr Arbeitsminister, ge­richtet. Es geht darum, wie man es schaffen kann, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich wird. Wir brauchen diesen Austausch! (Beifall bei der SPÖ.)

Auch wenn wir sagen, es fehlen die Fachkräfte: Das Potenzial der Frauen und ihre Chan­cen am Arbeitsmarkt werden zukünftig ganz, ganz wichtig sein, und wenn man die Rah­menbedingungen dafür nicht schafft, dann wird es nicht möglich sein, darauf zurückzu­greifen. Herr Bundesminister, bitte unterstützen Sie also auch da! Im Budget sehen wir dafür kein Geld, aber es ist jetzt mehr als notwendig, da Handlungsschritte zu setzen. (Beifall bei der SPÖ.)

Eines lassen Sie mich noch sagen: Es wird kalt, es wird Winter, es gibt eine Teuerung, die unvorstellbar ist, und in der Zeitung lesen wir heute, es wird auch wieder angekün­digt, dass die Milchpreise steigen werden. Das ist aus der Sicht der Bauern verständlich, aber es ist ein Problem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die Menschen. Man muss sich diese Teuerung irgendwie leisten können, aber wir wissen, dass sehr viele Menschen bereits jetzt keine Chance haben, gut über einen Monat zu kommen, die sich am 15. überlegen: Wie kriege ich diesen Monat noch hin? Wie kriege ich meine Kinder satt? – Das ist nicht nur eine kleine Gruppe, sondern das ist eine große Gruppe. (Bundesrat Köck: So geht es den Bauern auch!)

Die Teuerung trifft alle. Die Kosten für das Heizen sind ganz extrem gestiegen, auch inklusive der Stromkosten. Das ist ja nicht nichts! Dann zu sagen, mit dem Klimabonus, den man dann hergibt – der eh erst ab 1.7.2022 kommt, aber dazwischen haben wir halt leider einen kalten Winter, in dem die Leute heizen und sich etwas zu essen kaufen müssen –, deckt man davon ein bisschen etwas ab: Das wird so nicht funktionieren.

Noch eines sei gesagt: Es ist nicht gut, durch politisches Handeln die Gesellschaft zu spalten – in Jung und Alt, in Reich und Arm, in Stadt und Land. Gerade die Spaltung in


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Stadt und Land ist nicht klug, sie sollte nicht vorangetrieben werden. Natürlich ist es für die Türkisen und für die Grünen vielleicht ganz nett, politisch auf Wien hinzuhauen, aber es ist nicht klug! Die Wienerinnen und Wiener zu den VerliererInnen dieser Klimapolitik zu erklären – ja was ist Ihnen da bitte eingefallen?! Das kann doch nicht wahr sein! (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Schennach: Köstinger!)

Österreich kann nur in Form eines guten Miteinanders, in einem respektvollen Miteinan­der von Stadt und Land, von Jung und Alt, in dem Erkennen von- und Verständnis für­einander stark und erfolgreich sein, aber doch nicht im Auseinanderdividieren! Das ist doch keine Politik, die wir wollen!

Wir werden sehen, wie sich die Politik in den nächsten Tagen und Wochen weiterentwi­ckeln wird, aber eines ist sicher: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden niemanden zurücklassen. Wir wollen eine Gesellschaft, die das Verbindende sucht und nicht das Trennende fördert. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

11.14


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster ist Herr Bundesrat Ingo Appé zu Wort ge­meldet. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


11.14.36

Bundesrat Ingo Appé (SPÖ, Kärnten): Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesmi­nister! Hohes Haus! Werte Zuseher und Zuseherinnen! Herr Bundesminister, ich würde darum bitten, gewisse Schwerpunkte meiner jetzt folgenden Rede dann vielleicht an den zuständigen Bundesminister für Gesundheit weiterzuleiten, da essenzielle Dinge doch noch zu klären sind.

Eingangs möchte ich festhalten, dass wir den beiden nunmehr zur Diskussion stehenden Tagesordnungspunkten die Zustimmung erteilen werden, da diese so in Ordnung sind. Die Honorarfrage für die Ärzte als wichtigstes Faktum ist somit geklärt. – Gut so, jetzt können wir uns auf Nebenschauplätze begeben.

Eingangs möchte ich noch – so wie Kollege Steiner, dem ich in diesem Punkt zustim­me – auf die vorgestrige Sitzung des Gesundheitsausschusses Bezug nehmen. Es ist leider zum wiederholten Mal passiert, dass kein fachkundiger Beamter oder eine Aus­kunftsperson des Ministeriums bei dieser Sitzung anwesend war. Von einer Wertschät­zung des Bundesrates können wir da sicher nicht sprechen. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.) Gerade in der noch immer anhaltenden Pandemiezeit bei so einem Thema durch Abwe­senheit zu glänzen ist eigentlich ein trauriges Zeichen der Missachtung des Gesund­heitsausschusses – oder es ist Inkompetenz. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)

Ich muss feststellen, es wurde auch nicht besser, auch wenn mich im Laufe des Nach­mittages zwei Beamte des Gesundheitsministeriums beziehungsweise Sozialministeri­ums noch persönlich aufgesucht haben und ich sie dann mit meinen Fragen konfrontie­ren konnte, da die beiden, obwohl die Fragen bereits im Ausschuss klar deponiert wur­den, diese nicht beantworten konnten. Was da an der Kommunikation nicht funktioniert hat, weiß ich auch nicht, aber vielleicht ist es ein Zusammenfluss all dessen, was ich bereits erwähnt habe.

Nun aber zurück zur Tagesordnung: Haben wir noch im Juni aus dem Mund des Bun­deskanzlers gehört: „Die Pandemie gemeistert, die Krise bekämpft: Endlich wieder mit­einander“ – dafür wurden sogar die dazugehörigen ÖVP-Plakate gedruckt –, hebelte der Deltavirus dieses türkise Narrativ aus. Die Realität zu dieser Botschaft schaut lei­der ganz anders aus: Gestern gab es 2 693 Coronaneuinfektionen – die höchste Zahl seit 10. April (Bundesrat Spanring: Wie gibt es das, wenn so viele geimpft sind?) –, und aktuell betrifft laut Auswertung der Ages jede fünfte Coronainfektion die Gruppe der Sechs- bis 14-Jährigen. Schüler, Lehrlinge und Auszubildende weisen die höchste


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Siebentageinzidenz auf. Es gibt aber auch Positives zu berichten: Erfreulich ist die hohe Durchimpfungsrate von fast 80 Prozent bei den Studierenden.

Interessant wäre für uns nunmehr die Strategie, wie man mit dem Faktum der hohen Infektionszahlen in der Gruppe der Jugendlichen umgeht. Da sind sicher umfassende Informationsveranstaltungen an den Schulen, aber auch für die Eltern notwendig und, wie ich hoffe, auch angedacht. (Beifall bei der SPÖ.)

Eine Frage, die sich für mich stellt, ist: Welche Rolle spielen da die Schulärzte? Funk­tioniert das System Schularzt überhaupt noch? Da geht es nämlich um den Schutz un­serer Kinder, und selbst ausgewiesene Experten stellen fest, dass eine freiwillige Imp­fung dieser Altersgruppe wichtig für den Individual- und den Gemeinschaftsschutz ist. Ich erinnere mich an meine Volksschulzeit zurück, da gab es ein solches funktionieren­des System – ich glaube, den meisten hier im Plenum Anwesenden wird es gleich ge­hen. Ob es die Pockenimpfung war, die Tbc-Impfung oder die gegen Kinderlähmung: Das hat funktioniert, und der Erfolg dieser Kampagne ist eigentlich unumstritten.

Heute herzugehen und die Wirksamkeit der Impfung in Abrede zu stellen ist absurd. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Schwarz-Fuchs.) Vergleichen wir doch die Durchimpfungsrate in den Bezirken mit den Neuinfektionen! Da wird man ganz klar feststellen: Wo viel geimpft wird, gibt es weniger Infektionen. Mehr Beweis kann man eigentlich nicht erbringen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich möchte noch zur Thematik des dritten Stiches kommen und diesen ansprechen: Bis heute sind circa 80 000 Menschen, vorrangig in Pflegeheimen, zum dritten Mal geimpft worden. Es stellt sich die Frage: Warum sind diese Daten bis heute noch nicht am Dash­board des Gesundheitsministeriums abrufbar? So überraschend kam die dritte Impfung ja doch nicht – oder doch?

Wie sieht es mit Kreuzimpfungen aus? – Meine ersten beiden Impfungen erhielt ich mit dem Impfstoff von Astra Zeneca. Nun wird geraten, sich bei der dritten Impfung nicht mehr diesen Impfstoff verabreichen zu lassen. Wo ist dazu die Information für die Ge­impften? Dies fördert nicht das Vertrauen in der Bevölkerung und nicht das Vertrauen, das nötig ist, um die angepeilte Impfquote von 70 Prozent zu erreichen. Von den 80 Pro­zent, wie sie vorbildlich im Burgenland bald erreicht werden, sind wir österreichweit noch meilenweit entfernt.

Die nächste offene Frage: Wann ist die dritte Impfung eigentlich wirklich notwendig? Wäre es da nicht ratsamer, vor der dritten Impfung mit einem Gratisantikörpertest dies­bezüglich Klarheit zu schaffen? Bei jeder anderen Impfung ist das eigentlich gang und gäbe. Jeder Mensch reagiert anders auf die Impfung, daher wäre es in diesem Fall drin­gendst notwendig, da klare Fakten zu schaffen. Dies passiert ja auch bei Auffrischungs­impfungen gegen Hepatitis A, Hepatitis B, FSME und so weiter. Da wird nicht wild durch die Gegend geimpft, sondern: Wenn der Antikörpernachweis beweist, dass die Impfung notwendig ist, dann wird diese auch durchgeführt, und in bestimmten Fällen werden die Kosten sogar auch von den Sozialversicherungsträgern getragen.

Sie sehen, es gibt noch sehr viel zu tun, um in die Gänge zu kommen und die PS im Gesundheitsministerium auf den Boden zu bringen, nicht nur bezüglich der Wertigkeit des Gesundheitsausschusses oder des Bundesrates, denn da geht es um die Gesund­heit von uns allen. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

11.22


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mar­co Schreuder. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


11.22.25

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch für einen ganz kurzen Redebeitrag gemeldet. Ich will


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in diese Debatte nicht weiter einsteigen, aber ich habe immer wieder eine besondere Sensibilität, wenn es um historische Vergleiche geht.

Wir haben vorhin mehrmals das Wort Apartheid gehört, und ich möchte einfach dieses Wort schärfstens zurückweisen und hier nicht so stehen lassen. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP. – Bundesrat Spanring: Es ist aber sehr passend!)

Apartheid ist (Bundesrat Spanring: Wir wissen, was es ist! Was es ist, wissen wir eh selber!) – nein, da bin ich mir nicht so sicher (Bundesrat Spanring: Du bist ja so gscheit!) –, Apartheid war die rassistische Unterdrückung einer schwarzen Bevölkerungsmehrheit in Südafrika. (Bundesrat Spanring: Und jetzt werden die Ungeimpften unterdrückt von euch!) Das hat im frühen 20. Jahrhundert begonnen, hatte den Höhepunkt 1948 und wurde 1994 dann mit der Wahl von Nelson Mandela beendet. (Bundesrat Spanring: Da brauchen wir auch einen Mandela in Österreich! – Bundesrat Steiner: Wir haben einen Herbert Kickl!) Alle Opfer dieses Apartheidregimes haben es verdient, dass sie die Opfer von Apartheid sind – und nur sie. Es ist eine Frage, eine historische Frage, die Südafrika und Südwestafrika betrifft. (Ruf bei der FPÖ: Aber die Nichtgeimpften sind auch Opfer!)

Herr Kollege Leinfellner, wir haben hier in Österreich eine Politik, die es Ihnen oder MFG und allen erlaubt, politisch teilzuhaben. (Bundesrat Spanring: Danke! Danke! – Bundes­rat Steiner: Danke! Herzlichen Dank!) Ich werde mich dafür einsetzen, dass Sie hier stehen dürfen. (Bundesrat Steiner: Herzlichen Dank!) Im Apartheidregime war das ver­boten, und deshalb ist dieser Vergleich nicht statthaft. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

11.24


Vizepräsident Günther Novak: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor. – Doch! – Bitte sehr, Frau Kollegin.


11.24.21

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Minis­ter! Herr Kollege Schreuder, ich finde es bewundernswert – und anscheinend liegt es daran, dass Sie jetzt schon länger mit der ÖVP regieren –, dass Sie sich anmaßen, zu beurteilen, wer in einem Parlament vertreten sein darf. Niemand hat Ihnen zu verdan­ken, dass wir im Parlament sind, sondern das haben wir Gott sei Dank der Tatsache zu verdanken, dass wir in einem demokratischen Land leben, in dem es Wahlen gibt und Menschen, die Parteien und dadurch Mandatare unterstützen! Das ist nicht deswegen so, weil Sie das so haben wollen. (Beifall bei der FPÖ.)

Wissen Sie, was mich in all den Debatten immer so stört? – Zum Beispiel dass Sie – speziell Sie machen das – bestimmen, wer wann wofür welches Wort benutzen darf. Ja Himmel noch einmal! Ich meine, Entschuldigung, es gibt schon eine Wortpolizei, und jetzt gibt es dann auch eine Gesundheitspolizei, eine Kennzeichnung, wer ungeimpft, nicht geimpft ist – und dann verwehren Sie sich dagegen, dass es angesichts dieser Umstände durchaus dazu kommen kann, dass man Vergleiche aus einer ganz, ganz schlimmen Zeit zu ziehen beginnt?! Was ist denn da jetzt der Unterschied? (Bundesrat Spanring: Dass die Grünen gut sind!) Was ist da jetzt der Unterschied? (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrat Spanring: ... die Grünen scheinheilig ...!)

Nein, das ist eine Schande! Alleine wie die Wörter gewählt werden: Keiner erwähnt in diesen Debatten, in denen es nur immer um die Geimpften und um die Ungeimpften geht, dass es sehr, sehr viele Menschen gibt, die sich wirklich aus medizinischen Grün­den nicht impfen lassen können – und die müssen sich tagtäglich im ORF, im Fernsehen ansehen, im Radio anhören, sie sind unsolidarisch, sie sind gemein, sie sind gesund­heitsgefährdet. Da denkt keiner daran, wie es diesen Menschen geht, dass die auch gerne eine Lobby hätten, die einmal sagt: Bitte, warum stecken wir nicht genügend Ener­gie und Forschung in Medikamente, damit dann auch diesen Menschen im Ernstfall ge­holfen werden kann? – Davon hört man nichts, von niemandem! (Beifall bei der FPÖ.)


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Wissen Sie, es ist nicht so, wie gesagt wurde, dass wir die Wirkung der Impfung generell in Abrede stellen. Was wir hinterfragen, ist, dass sie das Allheilmittel ist – was Sie alle versprochen haben –, und die letzten 18 Monate und die Durchimpfungsraten haben ge­zeigt, dass sie das nicht ist. So ist es im Endeffekt, und deshalb ist es nicht gerecht­fertigt, dass man den Impfzwang indirekt durch die Hintertür einführt, und vor allem dann nicht, wenn es um werdende Mütter und um unsere Kinder geht. Also das empfinde ich als die größte Frechheit! (Beifall bei der FPÖ.)

Jede werdende Mutter lernt: Bitte vorsichtig sein, aufpassen, keine Medikamente neh­men, aufpassen, was du isst, aufpassen, was du trinkst, weil das Kind all das unmittelbar in seinen Organismus, in den Blutkreislauf aufnimmt!

Momentan gibt es eine Werbung – die finde ich katastrophal –, in der man eine werden­de Mutter sieht – es dürfte ein Model sein, weil sie sagt, sie war vor fünf Monaten impfen und ist jetzt schwanger, aber eigentlich, optisch gesehen, einen Bauch hat, angesichts dessen man glaubt, sie geht gleich zur Geburt. Ich weiß nicht, welche Gedanken man haben muss, wie man da veranlagt sein muss, dass man überhaupt solche Dinge be­nutzt.

Also es geht einzig und allein darum: Sie machen alles, um indirekt Menschen dazu zu zwingen, dass sie in Bezug auf ihren Körper etwas zulassen, was sie, wenn sie die Dinge ganz realistisch und faktenbezogen betrachten, unter Umständen niemals machen wür­den. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Grimling: Dann hätten wir die Kinderlähmung auch nicht ...!)

Nein, also Sie können Impfungen, die vor mehreren Jahren entwickelt worden sind und Gott sei Dank durchaus – da gebe ich Ihnen recht – Krankheiten eingedämmt haben, zumindest in jenem Bereich, in jenem Raum, wo wir Europäer, Österreicher und auch andere, uns aufhalten, nicht damit vergleichen. Das ist alles länger entwickelt, und jetzt probiert man. Nein, Sie können das nicht vergleichen, denn die jetzigen Dinge sind auch zu unterschiedlich. Es gibt zwar Studien, laut denen, was den Impfstoff selber betrifft, die Nebenwirkung mehr oder minder nicht so stark sind – was teilweise auch nicht stimmt –, aber es weiß kein Mensch, was mit jungen Menschen in fünf Jahren, in zehn Jahren, in 15 Jahren und so weiter passiert. (Beifall bei der FPÖ. – Bundesrätin Grim­ling: Die Zeckenimpfung ...!)  Ja, die Zeckenimpfung ist zum Beispiel auch etwas, zu dem jeder Kinderarzt sagt: Erst ab einem bestimmten Alter und nicht gleich ein einjäh­riges, zweijähriges oder dreijähriges Kind impfen! – Das zur Thematik betreffend die Impferei.

Weil Frau Kollegin Schumann gerade vorhin zu Recht mahnend darauf hingewiesen hat: Vor allem die Energiekosten explodieren, und es wird für viele, viele Menschen gerade jetzt im Winter wirklich ein Problem sein, sich zum Beispiel ein warmes Zuhause zu schaffen. Oder – ich bringe als Beispiel die Situation meiner Eltern –: Mein Vater ist 78, meine Mutter ist 77. Sie haben sich vor 25 Jahren einen Traum erfüllt und ein Haus gekauft. Natürlich war das ein älteres Haus – mit einer Ölheizung. Sie haben aber, was die Befunde von den Rauchfangkehrern oder auch im Zusammenhang mit den Öllie­ferungen betrifft, immer sehr positive Werte. Der Kessel ist älter als 25 Jahre, und auf­grund des neuen Gesetzes müssen sich meine Eltern spätestens im Jahr 2025 etwas überlegen, da es andernfalls zu Hause kalt ist. Sie von der SPÖ haben hoffentlich nicht vergessen, dass Sie im Nationalrat die Zweidrittelmehrheit für das Gesetz überhaupt ermöglicht haben; ich möchte nur daran erinnern. (Zwischenruf der Bundesrätin Schu­mann.) – Ich sage es nur. (Beifall bei der FPÖ.)

So, und das sind dann schon Dinge, bei denen ich oft verwundert bin. Ja, die Sozialde­mokratie war wirklich jemand – vor allem in früheren Zeiten –, der irrsinnig viele Dinge, gute Dinge, vor allem für die arbeitenden Menschen, geschaffen hat. Der ÖGB hat wirklich gekämpft und war wichtig. (Bundesrätin Schumann: Kurzarbeit! 1,3 Millionen


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Arbeitslose ...!) Jetzt aber ist es so, dass Sie in vielen Bereichen den Arbeitnehmer­schutz aufweichen, dass Sie ihn verraten, denn wie sonst kann es sein, dass Sie sich dafür einsetzen und dem zustimmen, dass der Arbeitgeber weiß, ob jemand geimpft, genesen oder getestet ist, wie der Status ist? Es war einmal ein Gut, das ihr sehr hoch­gehalten habt, nämlich dass es nicht geht, dass Arbeitgeber auch nur in irgendeiner Art und Weise etwas gesundheitlicher Natur von ihren Arbeitnehmern wissen wollen. (Zwi­schenrufe der Bundesrätinnen Grimling und Schumann.)

Ihr verratet die Arbeitnehmer! (Beifall bei der FPÖ.) Ich muss ehrlich sagen, ich verstehe das nicht. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Nein, das geht niemanden etwas an. Und ich muss ehrlich sagen (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn) – nein, das stimmt –, ich finde das sehr, sehr traurig. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Nein, das ist nicht künstlich, das sind die Tatsachen. Wenn ich daran denke, wie wichtig das damals war, als es um HIV ging, um dieses Virus, diese Krankheit. Damals seid ihr auf die Straße gegangen, habt alle Arbeitgeber pauschal mehr oder minder dahin gehend diskriminiert, dass gesagt wurde: Um Gottes willen, es will keiner dem die Hand geben, es will ihn keiner anstellen!, und jetzt macht ihr da mit, sodass Menschen ihren Job verlieren, nur weil sie unter Um­ständen eines von den 3G nicht erfüllen? – Na, danke. (Beifall bei der FPÖ. – Bundes­rätin Schumann: Was ist mit den anderen ...?)

11.31


11.31.57

Vizepräsident Günther Novak: Es liegen dazu keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Damit ist die Debatte geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung, die über die gegenständlichen Tagesordnungspunkte getrennt erfolgt. – Bitte nehmen Sie die Plätze ein.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 22. Septem­ber 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Sozialversicherungs­gesetz und weitere Gesetze geändert werden, 1823/A und 1038 der Beilagen sowie 10733/BR der Beilagen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag ist somit angenommen.

Es liegt ein Antrag der Bundesräte Christoph Steiner, Kolleginnen und Kollegen auf Fas­sung einer Entschließung betreffend „Diskriminierungsverbot für Covid-19-Ungeimpfte“ vor. Ich lasse über diesen Entschließungsantrag abstimmen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Entschließungsantrag zu­stimmen, um ein Handzeichen. (Bundesrat Steiner: So viel zum Verrat an den Arbeit­nehmern!) – Das ist die Stimmenminderheit. Der Antrag auf Fassung der gegenständli­chen Entschließung ist somit abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Beschluss des Nationalrates vom 22. Septem­ber 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Arbeitsvertragsrechts-Anpassungs­gesetz geändert wird, 1039 der Beilagen sowie 10734/BR der Beilagen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

11.34.463. Punkt

44. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2020) (III-750-BR/2021 d.B. sowie 10736/BR d.B.)



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Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nun zum 3. Punkt der Tagesordnung.

Ich begrüße die Volksanwälte Bernhard Achitz, Walter Rosenkranz und Werner Amon. (Allgemeiner Beifall.)

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Sebastian Kolland. – Ich bitte um den Bericht.


11.35.48

Berichterstatter Sebastian Kolland: Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Volks­anwälte! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für BürgerInnenrechte und Petitionen über den 44. Bericht der Volksanwaltschaft, von 1. Jänner bis 31. Dezember 2020.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für BürgerInnenrechte und Petitionen stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 den Antrag, den 44. Bericht der Volksanwaltschaft (1. Jänner bis 31. Dezember 2020) (III-750-BR/2021 d.B.) zur Kenntnis zu nehmen.


Vizepräsident Günther Novak: Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Ernest Schwindsackl. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


11.36.32

Bundesrat Ernest Schwindsackl (ÖVP, Steiermark): Herr Präsident! Geschätzte Volksanwälte! Werte Kolleginnen und Kollegen! „In der Krise beweist sich der Charak­ter.“ – Das ist ein Zitat eines ehemaligen deutschen Bundeskanzlers. Wer Lust und Zeit hat, kann nachgoogeln, von wem.

Unsere Bundesregierung und die Volksanwaltschaft haben das Pandemiejahr 2020 bravourös gemeistert und Charakter bewiesen. Die gesetzten Maßnahmen zeugten ja von hoher staatspolitischer Verantwortung und waren zum Wohle aller Österreicherin­nen und Österreicher ausgerichtet – international bewundert, im eigenen Land zum Teil aus parteipolitischen, rationell nicht nachvollziehbaren Gründen schlechtgeredet. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn man keine Inhalte hat, wenn man keine Ideen hat und auch keine Verantwortung, dann folgt eben solches Gerede.

Ein ehrenhaftes Dankeschön an die Bundesregierung für diese gesundheitspolitische Großleistung! (Beifall bei der ÖVP.) – Sie können sich ja dem gerne anschließen; man kann ja auch einmal über seinen eigenen Schatten springen.

In diesem Krisenjahr hat sich die Pandemie nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Leben ausgewirkt und somit auch die Arbeit der Volksanwaltschaft verän­dert.

Das heißt, die Sprechtage wurden eher telefonisch abgehalten, die Akte dann im Home­office bearbeitet. Der Kontakt zu den Bürgern ist jedoch aufrecht geblieben – das zeigen die Zahlen, die ja auch ständig gestiegen sind.

Was nimmt man wahr? – Wahr nimmt man die Kernaufgabe der Volksanwaltschaft, und das ist die sogenannte nachprüfende Kontrolle. Das ist jene, die man am Samstag um 18 Uhr in der ORF-Sendung „Bürgeranwalt“ erlebt, wenn irgendeine Behörde oder ein Verwaltungsorgan auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene nach Meinung eines Bür­gers/einer Bürgerin einen Fehler begangen hat oder er/sie etwas als ungerecht erachtet.

Für viele Menschen ist daher die Volksanwaltschaft die einzige Anlaufstelle, wenn sie im Kontakt mit den Behörden verzweifeln, etwa weil die Entscheidungen der Verwaltung nicht nachvollziehbar sind oder auf die Erledigung durch die Behörden unzumutbar lange gewartet werden muss.

18 000 Menschen suchten 2020 bei der Volksanwaltschaft um Unterstützung für ihre Anliegen an. Es sind durchschnittlich 72 Beschwerdefälle pro Tag, bei denen die Volks­anwaltschaft den Menschen hilft oder sie über die gesetzlichen Regelungen aufklärt,


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Unklares verständlich macht und natürlich auch in vielen Fällen zwischen den Men­schen, die Probleme haben, und der Verwaltung zu vermitteln versucht.

Von den rund 9 000 eingeleiteten Prüfverfahren betreffen circa 25 Prozent den Bereich Gesundheit und Soziales, dabei vor allem Coronamaßnahmen und Krankenversiche­rung, also eigentlich die ganz elementaren und fundamentalen Lebensbereiche unserer Mitbürger. Die Pandemie forderte rasche, schnelle Entscheidungen und neue Maßnah­men, Strukturen für Auszahlung von finanziellen Hilfen mussten in kurzer Zeit aufgebaut werden. Wie ein Bericht der Volksanwaltschaft ausführt, hat die Bundesregierung, wie ich eingangs bereits erwähnte, eine großartige Leistung erbracht, und auf die Anregun­gen, die die Volksanwaltschaft eingebracht hat, auch schnell reagiert. Die Volksanwalt­schaft stellte zum Beispiel in Zusammenhang mit den selbstständigen Pflegekräften fest, dass sie, wenn sie kein Konto in Österreich hatten, nicht am Härtefallfonds teilnehmen konnten. Dies wurde berücksichtigt und auch relativ rasch erledigt.

Die Volksanwaltschaft hat bei ihrer Arbeit als Kontrollorgan auch festgestellt, dass es Fehler im Maßnahmenvollzug bei der Justiz und auch bei den Gemeinden im Bereich der Raumordnung und des Baurechts gibt. Im Bereich Prävention und Schutz der Men­schenrechte haben die sechs Kommissionen der Volksanwaltschaft 448 Kontrollen durchgeführt.

Auf die seit Jahren schwelende Altersdiskriminierung wurde großes Augenmerk gelegt, da es diese gab, aber auch noch immer gibt. Da muss sich noch einiges verbessern, denn es kann nicht sein, dass Personen, nur weil sie altersmäßig in einem Bereich sind, in dem sie vielleicht nicht mehr im Arbeitsprozess stehen, in verschiedenen Bereichen zurückgestellt werden und keine Versicherung, keinen Überziehungsrahmen, keinen Kredit et cetera bekommen. Volksanwalt Amon hat in Graz bei einer großen Senioren­veranstaltung sehr deutlich auf den Punkt gebracht, wie wichtig es gerade in diesem Bereich ist, dass schon Lösungswege eingeleitet wurden und auch weiterhin eingeleitet werden. Das betrifft letztlich irgendwann einmal jede und jeden.

Auch im Bereich der Justiz sind durch die Volksanwaltschaft Probleme aufgezeigt wor­den. Ein erheblicher Teil der 1 221 Beschwerden betraf dabei den Straf- und Maßnah­menvollzug. Dabei wurden neben baulichen Mängeln auch die Kapazitätsgrenzen und das Warten auf freie Plätze kritisiert. Diese Reform wurde bereits gestartet und das ist auch wichtig und richtig.

Einen weiteren Punkt möchte ich herausgreifen, nämlich die Finanzämter in Österreich. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.) Eine wichtige, ausgezeichnete Reform wur­de schon auf den Weg gebracht, um die Finanzämter zu entbürokratisieren, mehr Frei­heit für die Menschen zu schaffen und den Dienstleistungscharakter noch mehr hervor­zuheben. Die Volksanwaltschaft war und ist hier am Drücker, herzlichen Dank dafür. (Beifall bei der ÖVP.)

Abschließend gestatten Sie mir ein großes Dankeschön an das Dreigestirn der Volks­anwaltschaft, Werner Amon, Bernhard Achitz und Walter Rosenkranz, sowie die rund 170 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und die über 100 Expertinnen und Experten in den unterschiedlichsten Kommissionen, die dort tätig sind, auszusprechen. Sie werden in der Öffentlichkeit durch ihre hohe Sensibilität und ihre hohe Professionalität nicht nur wahr­genommen, sondern auch sehr geschätzt. Gut, dass es die Volksanwaltschaft gibt! – Ein steirisches Glückauf! (Beifall bei der ÖVP.)


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11.43


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Eva Prischl. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


11.43.40

Bundesrätin Eva Prischl (SPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Volksanwälte! Werte Kolleginnen und Kollegen des Bundesrates! Sehr geehrte Zusehe­rinnen und Zuseher! Die Volksanwaltschaft hat die Kompetenz und den gesetzlichen Auftrag erhalten, öffentliche und private Einrichtungen zu überprüfen, in denen Men­schen in ihrer Freiheit beschränkt werden. Laut einer Imas-Studie hat die Volksanwalt­schaft in der Bevölkerung einen sehr hohen Bekanntheitsgrad und genießt großes Ver­trauen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Ringer.)

Wie mein Vorredner schon gesagt hat: Rund 18 000 Personen wandten sich im Vorjahr an die Volksanwaltschaft, das sind immerhin um 2 000 mehr als im Jahr zuvor. Es wur­den über 8 000 Prüfverfahren eingeleitet und nahezu 490 Kontrollen in der präventiven Menschenrechtskontrolle durchgeführt. Die meisten Kontrollen fanden in den Alten- und Pflegeheimen statt, nämlich 109, in den Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe 102 und in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung 93. Bei 75 Prozent dieser Kontrollen wurden Mängel festgestellt – eine doch erkleckliche Zahl.

Die durchgeführten Prüfungsverfahren zeigen Schwachstellen auf, aber sie bieten auch eine Chance auf Verbesserung. Konkret wurden jetzt Justizanstalten, Polizeiinspek­tionen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime, Einrichtungen der Kinder- und Jugend­wohlfahrt, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Psychiatrien und vieles, vieles mehr überprüft.

Der vorliegende Bericht hat drei Teilbereiche: einmal die öffentliche Verwaltung – dazu hat sich mein Kollege schon ein bisschen geäußert –, die präventive Menschenrechts­kontrolle und einen eigenen Bericht über Covid-19 aufgrund der vielen Fälle, die, logi­scherweise, aufgepoppt sind.

Die Pandemie hat sich aufgrund der rechtlichen Bestimmungen auch auf die Kontrolle der Einrichtungen ausgewirkt, das heißt, auch die Volksanwaltschaft war in gewissen Teilen begrenzt und hat dann Videokonferenzen und andere Maßnahmen ergriffen und hat keine Kontrollen vor Ort durchführen können – das wollte ich auch anmerken. Auf alle Fälle möchte ich mich sehr herzlich bei den Volksanwälten und bei den Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern für den sehr umfangreichen Bericht bedanken. Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Eder-Gitschthaler.)

Was die Berichte aber auch zeigen, ist, dass es seitens der Regierung ein ziemliches Chaos bei der Pandemiebewältigung gab: schlechte Kommunikation, Ankündigungen, zu späte Verordnungen und vieles mehr – Verwirrung war auf alle Fälle gegeben. Ich bin Bereichssprecherin für die Senioren und in diesem Fall möchte ich konkret das Thema der Alten- und Pflegeheime beleuchten. Für die Leitung in den Pflegeheimen gab es keine konkreten Handlungsanweisungen, es gab keine Rechtssicherheit für gewisse Maßnahmen, jedoch gab es eine monatelange Überbelastung des Personals. Obwohl das Personal weitgehend unvorbereitet und phasenweise selbst unzureichend geschützt war, haben sie einen wirklich wichtigen und entscheidenden Beitrag geleistet, damit es nicht zu einem wesentlich höheren Krankheits- und Sterbegeschehen kam. Dafür ge­bührt ihm auch großer Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

Der chronische Personalmangel wirkte sich jedoch besonders dramatisch auf Patientin­nen und Patienten aus. So mussten aufgrund dieses Personalmangels und der schnellen Handlungsweise dann HeimbewohnerInnen eine Quarantäne von bis zu 14 Tagen über sich ergehen lassen. Das ist etwas, was ich mir persönlich gar nicht vorstellen mag. Ich habe eine Bekannte aus dem Bezirk Sankt Pölten, die zweimal jeweils 14 Tage mit einer demenzkranken Person in einem Zimmer eingesperrt war, ohne Möglichkeit, wenigstens einmal am Tag 1 Stunde im hauseigenen Park spazieren zu gehen. Das heißt, die arme Frau hat aus dem Fenster gesehen, hat zwar die Grünfläche gesehen, konnte aber nicht hinaus. Ein vorsorglicher Infektionsschutz durch Freiheitsentzug ist unzulässig.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 68

Besonders dramatisch war die Situation auch bei den DialysepatientInnen, die oft ihre Zimmer mehrere Monate lang nicht verlassen durften und überhaupt keinen persönli­chen Kontakt mit den Angehörigen oder MitbewohnerInnen hatten. Jeder von uns kann es sich vielleicht vorstellen, mag es sich wahrscheinlich nicht vorstellen, aber das ist furchtbar, das ist menschenunwürdig und ein schwerer Eingriff in die Grund- und Frei­heitsrechte. Ich denke, sowohl das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als auch die Heimaufsichtsbehörden der Länder haben da alle versagt. Das tut mir leid, aber es ist so.

Zwischen Bund und Ländern ist nach wie vor ungeklärt, wie die nachhaltige Finanzierung der Pflege künftig sichergestellt wird und wie die Versorgungslandschaft bundesweit bedarfsgerecht ausgebaut wird. Offen ist noch immer, wie man dem Personalnotstand insbesondere im Bereich der Langzeitpflege und bei den mobilen Pflegediensten begeg­nen will. Hier ist rascher Handlungsbedarf unbedingt gegeben, denn es ist ein Gebot der Stunde, sonst haben wir einen Systemkollaps im Pflegebereich. „Alarmstufe Rot“ titelte vor Kurzem der ORF. Auch die Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes sagt: Es gibt in fast allen Bundesländern, die wir vertreten, Probleme beim Pflegepersonal. Auch das Hilfswerk Niederösterreich schlägt in Sachen Personalmangel in der Pflege Alarm und fordert eine Reform der Pflegeausbildung – auch das ist beim ORF nachzulesen.

Eine zweite Gruppe, die ich näher betrachtet habe, waren die Einrichtungen für Men­schen mit Behinderung. Aufgrund der Einschränkung sozialer Kontakte und dem Wegfall der Tagesroutine sowie von Therapiemöglichkeiten bestand für diese Menschen ein er­höhtes Risiko, zusätzlich körperliche und psychische Störungen zu erleiden. Schwer­punktmäßig wurde der Umgang mit den Herausforderungen durch die Coronapandemie kontrolliert, das machte einige grobe Mängel sichtbar, die sehr ausführlich in den Be­richten beschrieben sind. So wurde es lange Zeit verabsäumt, Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen konkrete Informationen über die Pandemie in barrierefreier Form zur Verfügung zu stellen. Auch gab es keine Informationen in leicht verständlicher Sprache.

Es gab auch nicht ausreichend Schutzmaßnahmen: Es mangelte an Schutzausrüstung für das Personal, und es gab keine beziehungsweise unzureichende Informationen über den Umgang mit dieser Schutzausrüstung sowie über Hygienemaßnahmen. Zum Teil wurden sogar Hygieneschulungen gar nicht durchgeführt.

Gravierende Auswirkungen hatten auch die rigorosen Ausgangs- und Besuchsbeschrän­kungen: Die Schließung der Tagesstätten war einerseits für die Klienten und Klientinnen, andererseits aber auch für das Betreuungspersonal eine Maßnahme, die sich nachhaltig in die Köpfe der Leute eingebrannt hat, weil man solche Erlebnisse nicht so einfach weg­stecken kann. Diese Freiheitsbeschränkungen – physisch und sozial – stellen gerade für Menschen mit Behinderungen ernsthafte Risikofaktoren dar, die Bedenken darüber darf man nicht so einfach wegwischen.

Die Volksanwaltschaft hat diese Dinge heftig kritisiert und schließlich bei der Politik auch Änderungen durchgesetzt. In den von der Bundesregierung und der Landesregierung eingerichteten Covid-19-Krisenstäben waren keine beziehungsweise sehr wenige Men­schen mit Behinderungen vertreten, was ebenfalls schlecht war.

Es gibt dann noch ein eigenes Kapitel zum Thema Einrichtungen der Kinder- und Ju­gendhilfe, zu dem meine Kollegin Daniela Gruber-Pruner dann einige Worte ausführen wird.

Ich möchte als niederösterreichische Bundesrätin im Zusammenhang mit dem Thema Kinder- und Jugendarbeit auf die Initiativen meiner niederösterreichischen Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig verweisen: Aufgrund der Berichte der Volksanwaltschaft hat


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sie nämlich die ambulanten Hilfsleistungen erhöht und mehr finanzielle Mittel zur Verfü­gung gestellt, womit den Kindern geholfen werden konnte. Dadurch wurde erreicht, dass die Kinder nicht von den Familien weg und in Einrichtungen untergebracht werden muss­ten. Herzlichen Dank dafür auch von meiner Seite. (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie der Bundesrätin Zeidler-Beck.)

Den Bericht der Volksanwaltschaft nehmen wir natürlich zur Kenntnis, danke noch ein­mal für Ihre umfangreiche Arbeit. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

11.52


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


11.52.40

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Werte Volksanwälte! Zu Beginn möchte auch ich mich recht, recht herzlich bei Ihnen und Ihren Mitarbeitern für diese drei wirklich tollen Berichte bedanken. Was ich besonders schätze: Diese Berichte haben trotz ihrer Fülle eine Leichtigkeit beim Lesen, vom Inhaltsver­zeichnis bis zu den Anmerkungen, der ganze Aufbau ist wirklich eine ganz, ganz tolle Arbeit. Recht herzlichen Dank dafür! (Allgemeiner Beifall.)

Es sind drei umfassende Berichte, wie schon erwähnt, mit 183 bis 197 Seiten. Auch wenn es sicherlich sehr wichtig und interessant wäre, muss ich ehrlich zugeben, dass man sich nicht alle drei Berichte zur Gänze durchlesen kann, sondern man nimmt sich ein paar Themen heraus.

Ich habe mir den Bereich, in dem es um Familie, Jugend und Bildung geht, näher ange­schaut. Da bin ich dann sehr verwundert, wenn mein Kollege Schwindsackl in seiner Rede einleitend sagt, er danke der Regierung für diese hervorragende Krisenbewälti­gung. – Deshalb gibt es einen eigenen Bericht der Volksanwaltschaft zu Covid-19 zum Jahr 2020, weil alles so hervorragend ist? – Das finde ich schon spannend! (Beifall bei der FPÖ.)

Wie wir wissen, hilft die Volksanwaltschaft Menschen, die das Empfinden haben, dass ihnen Unrecht widerfahren ist, und die auf normalem Wege keine Chance haben, sich in irgendeiner Art und Weise mit ihren Anliegen und Beschwerden zu artikulieren. Ich glau­be also, dieser Bericht widerspricht Ihrer Aussage auf jeden Fall.

Auch die Volksanwaltschaft selbst war natürlich im vergangenen Jahr aufgrund der Pan­demie und der dadurch veränderten Rahmenbedingungen sehr gefordert, Lösungen zu finden, um für die Menschen trotzdem einen niederschwelligen Zugang zur Volksanwalt­schaft zu gewährleisten. Wie Sie auch im Ausschuss schon berichtet haben, haben Sie versucht, das mithilfe von Telefonsprechstunden zu ermöglichen, weil das Abhalten von Terminen vor Ort in Bezirkshauptmannschaften nicht möglich war. Auch dafür möchte ich mich recht herzlich bedanken, das bedeutet nämlich sicherlich einen wesentlich hö­heren Aufwand. Man bräuchte eigentlich mehr Personal – ich gehe einmal davon aus, dass Ihnen das leider nicht zur Verfügung gestanden ist. Sie haben im vergangenen Jahr mit denselben Ressourcen arbeiten müssen wie im Jahr davor ohne Pandemie.

Nun aber zum Bericht zu Covid-19: Wenn man sich das Kapitel „Familie, Jugend und Bildung“ ansieht, und das würde ich jedem ÖVP-Funktionär empfehlen, dann sieht man: Dieser Bericht bestätigt, dass das geschieht, was wir immer aufzeigen: Überheblichkeit, Ignoranz und Ankündigungen, aber keine Umsetzungen. (Beifall bei der FPÖ.)

Wenn Sie jetzt wieder meinen, ich würde hetzen und Dinge erfinden, dann möchte ich gern ein bisschen aus dem Bericht zitieren. Ab Seite 85 liest man da beispielsweise, dass rund um den Familienhärtefonds das Kollegium der Volksanwaltschaft in mehreren Fällen einstimmig Missstände feststellte. Die Volksanwaltschaft bestätigt damit, dass


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durch die Ankündigungen Erwartungen der Bevölkerung geweckt und Hoffnungen ge­macht wurden, man letztlich aber die tatsächliche Umsetzung schuldig blieb. Das steht im Bericht, und das haben wir immer gesagt: Ihr kündigt nur an, macht großartige Show­politik und verkauft den Leuten Dinge – aber in Wirklichkeit helft ihr den Menschen abso­lut nicht!

Am schlimmsten finde ich dann die Ignoranz, wenn die Volksanwaltschaft Missstände feststellt – und meint, da gehe es oft gar nicht um große Dinge, sondern um Kleinigkei­ten, die man einfach ändern könnte – und das zuständige Ministerium dann antwortet, es sehe keinen Anlass, von der bisherigen Vorgehensweise abzugehen. Das ist bevölke­rungsfreundlich? Das ist die tolle Bewältigung der Krise? – Ich stelle mir die Dinge an­ders vor, nämlich so, wie angekündigt wurde: rasch helfen, sofort helfen, schnell helfen!

Jetzt stellen Sie sich alle hier ans Rednerpult und sagen: Ja, im Pflegebereich haben wir wirklich ein riesengroßes Problem! Gleichzeitig schafft es die Regierung bis heute nicht einmal, die versprochenen 500 Euro auch nur einem Einzigen, der diesen Beruf ausübt, zu überweisen und ihm das Versprochene zu geben. Noch einmal: Hervorragendes Meistern der Krise schaut anders aus! (Beifall bei der FPÖ.)

11.57


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


11.57.46

Bundesrätin Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne, Oberösterreich): Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Herren Volksanwälte! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Kollege Schwindsackl hat schon sehr viel zum Rahmen des Berichts der Volksanwaltschaft gesagt, und Frau Kollegin Prischl hat schon weitreichen­de Ausführungen über die Dinge, die in der Pflege passiert sind, gemacht. Sie hat ganz richtig erwähnt, dass auch der ORF diese Woche schon getitelt hat: „‚Alarmstufe Rot‘ in der Pflege“. Auch ich hatte einige Worte dazu vorbereitet, möchte das Gesagte aber jetzt nicht wiederholen.

Was mir aber trotzdem besonders wichtig ist, zu erwähnen, da ja die Pflege Länderkom­petenz ist: Teilweise wurden von den Ländern – da möchte ich dann speziell auf Oberös­terreich eingehen – überschießende Maßnahmen getroffen, für die es in den Gesetzen keine rechtliche Grundlage gab. Das wurde auch festgestellt.

Man muss schon ganz offen sagen – da beziehe ich mich jetzt eben auf Oberösterreich ‑: Es war tatsächlich so, dass in vielen Heimen, in Alten- und Pflegeheimen, die Menschen eingesperrt wurden, obwohl es im Prinzip dafür keine Veranlassung gab. Es gab nämlich für alle – für Sie und mich – vier Gründe, das Haus zu verlassen, aber gerade im Kontext der Altenbetreuung wurde das oft anders gehandhabt.

Wie gesagt, viele Sachen wurden schon angesprochen, aber einige ganz krasse Punkte möchte ich noch ausführen. Das Land Oberösterreich hat zum Beispiel im April 2020 bei Wiederaufnahme beziehungsweise Neueinzug aus dem häuslichen Bereich den Einrich­tungen empfohlen, Personen neben einem negativen Covid-19-Testergebnis auch noch vorsorglich 14 Tage im Einzelzimmer zu isolieren.

Das hat in der Realität wirklich bedeutet, dass Menschen – die Aufnahme ist hauptsäch­lich ab Pflegestufe 4 – sich in einer völlig fremden Umgebung alleine zurechtfinden mussten und lediglich mit dem Pflegepersonal in Schutzausrüstung Kontakt hatten. Das war natürlich eine enorm belastende Situation, für die tatsächlich keine gesetzliche Grundlage bestand, sondern die lediglich auf dem Argument des Gesundheitsschutzes basierte. Diese Praxis fand dann auch Eingang in den Bericht der Volksanwaltschaft, und das – eben diese präventiven Isolierungen – wurde auch in anderen Bundesländern wie in der Steiermark, im Burgenland und in Salzburg festgestellt.


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Auch bei Rücküberstellungen aus Spitälern beziehungsweise, wie schon erwähnt, bei Neuaufnahmen wurde, selbst wenn davor ein negativer PCR-Test gemacht wurde und Nachweise darüber vorlagen, eine 14-tägige beziehungsweise später dann eine zehntä­gige vorsorgliche Absonderung angeordnet. Was die vorsorgliche Zimmerisolierung in diesen Fällen betrifft, gibt es sogar eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, die klarstellt, dass im konkreten Fall von der Bewohnerin – da geht es konkret um eine Be­wohnerin – kein Risiko zur Ansteckung mit Covid-19 ausging beziehungsweise das Ri­siko nicht über jenem lag, das bei anderen Menschen bestanden hat. Aus diesem Grund war diese Freiheitsbeschränkung, speziell in der Form einer vorsorglichen Zimmerisolie­rung – aufgrund der hausinternen Richtlinie nämlich –, unzulässig.

Ganz krass fand ich zum Beispiel auch, dass es bei Zuwiderhandlung gegen Anord­nungen der Heimleitung Drohungen im Sinne der Kündigung eines Heimvertrages gege­ben hat, die tatsächlich teilweise auch das Tatbild der Nötigung erfüllt haben. (Zwischen­ruf des Bundesrates Hübner.) Das sind schon Sachen, die ausgesprochen werden müs­sen.

Etwas Positives muss ich aber auch erwähnen: Aufgrund dieser besonderen Situation, die in den Pflegeheimen noch zusätzlich durch Corona entstanden ist, war es so, dass im Januar dieses Jahres unser Gesundheitsminister auch die Taskforce Pflege ins Le­ben gerufen hat und noch einmal ganz genau eben diese schlechten Zustände in der Pflege angeschaut wurden. Dort wurden auch schon prioritäre Themenfelder erarbeitet und für die Pflegereform herauskristallisiert. (Vizepräsidentin Schwarz-Fuchs über­nimmt den Vorsitz.)

Da geht es eben um die Verlässlichkeit in der Pflege, um die Betreuung und um die Sicherheit des Systems, darum, die Einsamkeit zu mindern und das Miteinander zu fördern, die Leistung der Pflegenden – auch ein ganz wichtiger Punkt – durch angemes­sene Rahmenbedingungen anzuerkennen, die Entlastung für pflegende Angehörige zu schaffen, Demenz zu begegnen und vorausschauend zu planen und zu gestalten. Zu diesen fünf Themenfeldern wurden zusätzlich noch 17 Ziele formuliert und mit 64 Maß­nahmenpaketen untermauert.

Ich möchte aber trotzdem jetzt noch ganz kurz auf einen weiteren Themenbereich ein­gehen, der heute noch nicht besprochen wurde. Da geht es um doch 40 Prozent der Fälle im Bereich des BMI, die Anlass zu einer Tätigkeit der Volksanwaltschaft gaben, und da möchte ich ein paar kleine Sequenzen aus dem Bereich des Asyl- und Fremden­rechtes erwähnen.

Da war es insbesondere die Verzögerung bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln, die im Fokus der Kritik stand, aber auch die langen Beschwerdeverfahren vor dem BVwG. Wie klar sein muss, bringen gerade die Verzögerungen bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln die Antragstellerinnen und Antragsteller oftmals in finanzielle Notlagen, führen oftmals zum Verlust des Arbeitsplatzes beziehungsweise sogar zum Verlust der Wohnung. Das sind natürlich weitreichende Probleme, die möglicherweise auch vermeidbar gewesen wären, und – das wurde auch schon im Bericht 2019 erwähnt – die lange Verfahrens­dauer von Säumnisbeschwerden vor dem BVwG sieht die Volksanwaltschaft als beson­ders problematisch.

Ein Punkt, den ich nicht unerwähnt lassen möchte, ist die Unterbringungssituation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Daran ist das UNHCR sehr interessiert und hat sich Betreuungsstellen und Rückkehrberatungseinrichtungen in Schwechat und in Fieberbrunn genau angeschaut. Das UNHCR kam zu dem Ergebnis, dass die Unter­bringung sowohl am Standort Schwechat als auch in Fieberbrunn mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist.


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Die Kritikpunkte reichen von der Unterbringung in schlecht isolierten Containern – teil­weise gemeinsam mit Erwachsenen in schlechter Verfassung – über fehlende Grünflä­chen, Spiel- und Sportplätze – also eigentlich ganz einfache Dinge, die man machen könnte – bis hin zur mangelnden Betreuung. Leider gibt es auch keinen Schulbetrieb oder schulähnlichen Betrieb oder ein passendes Bildungskonzept oder qualifiziertes Per­sonal.

Da kritisiert die Volksanwaltschaft die nicht kindeswohlgerechte Unterbringung von Min­derjährigen in der Betreuungsstelle Schwechat, insbesondere von Januar bis März 2020, begrüßt im Gegenzug aber auch die Verbesserungen, die durchgeführt worden sind. Aber – und ich glaube, das ist ein wesentlicher Punkt – solange nicht alle Empfehlungen des UNHCR umgesetzt sind, vertritt die Volksanwaltschaft die Auffassung, dass zum Schutz des Kindeswohls keine Kinder oder Jugendlichen in der Betreuungsstelle Schwe­chat untergebracht sein sollten. Jetzt komme ich schon zum Ende. Es ist leider so: Auch heute sind Kinder und Jugendliche unter den bestehenden, weiterhin noch schlechten Bedingungen dort untergebracht. Ich schließe meine Ausführung an diesem Punkt.

Ich möchte mich an dieser Stelle auch sehr herzlich für die umfangreichen Berichte, die Dinge ans Licht bringen, die man auch erwähnen muss, bedanken, und möchte noch einmal für die wertvolle Arbeit danksagen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

12.06


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag.a Daniela Gruber-Pruner. Ich erteile ihr dieses. – Bitte.


12.07.03

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Frau Präsidentin! Sehr ge­ehrte Herren Volksanwälte! Geschätzte Zuseherinnen und Zuseher! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich dem Dank meiner Vorrednerinnen und Vorredner an­schließen und dem Team der Volksanwaltschaft mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbei­tern sehr herzlich für die wertvolle Arbeit und für die tatsächlich sehr ausführlichen und übersichtlichen Berichte danken. Ich schätze diese Art von Monitoring sehr, wenn auf prekäre Themen gewissenhaft geschaut wird, Verbesserungen oder Stillstand oder so­gar Rückwärtsbewegungen festgestellt werden, weil das die wesentliche Basis für Quali­tätsentwicklung, die wir ja in verschiedensten Bereichen brauchen, ist.

Wir wünschen uns so etwas übrigens auch speziell im Kinderrechtebereich. Da wird schon seit vielen Jahren von verschiedensten Organisationen so eine Monitoringstruktur gewünscht und darauf gedrängt, aber vonseiten des Familienministeriums gibt es da tatsächlich keinerlei Unterstützung. Im Gegenteil: Es wird eigentlich blockiert, was wir sehr bedenklich finden, weil eben dieses Monitoring ein wichtiger Schritt wäre, um da Verbesserungen vorantreiben zu können. Da wären wir sehr froh, wenn auch die Volks­anwaltschaft dieses Anliegen mit unterstützt und mitträgt. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich bin damit in diesen Berichten schon beim Kapitel über Kinder und Jugendliche, weil es für mich als Kinder- und Jugendsprecherin meiner Fraktion von besonderem Interes­se ist. Im Rahmen der präventiven Menschenrechtskontrolle wird da beschrieben, wie es Einrichtungen geht, in denen Kinder und Jugendliche quasi außerhalb ihrer Familie untergebracht sind. Wir alle wissen, dass die Qualität dieser Arbeit und die Qualität der Betreuung speziell vom Betreuungsschüssel – ähnlich natürlich wie in der Pflege – und natürlich auch von der Qualifizierung dieses Personals abhängt. Sie steht und fällt mit diesem Schlüssel und mit der Qualifizierung.

Ähnlich wie derzeit auch in der Elementarbildung gibt es da Bestrebungen, die Qualitäts­standards österreichweit zu vereinheitlichen. Da gibt es noch viel Luft nach oben, und da muss man natürlich konsequent dranbleiben. Ich denke beispielsweise an die Tag­sätze in diesem Bereich, die in den Bundesländern sehr unterschiedlich sind, oder auch


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an den Umgang mit Kindern mit Behinderung, welchen Zugang sie zu Einrichtungen haben, und auch an die Qualität der Betreuung speziell für diese Kinder.

Ich möchte aber auch einen Fortschritt betonen, weil man auch Dinge erwähnen soll, die in solchen Berichtszeiträumen verbessert wurden: Viele MitarbeiterInnen aus dem Be­reich der Kinder- und Jugendhilfe, aber durchaus auch PolitikerInnen – ich denke an meinen Kollegen im Wiener Gemeinderat Marcus Gremel – haben in den letzten Jahren viel Energie in das Thema der Careleavers hineingesteckt, das sind jene Jugendlichen, die in solchen Einrichtungen mit voller Erziehung leben und diese Einrichtungen mit dem 18. Geburtstag eigentlich verlassen müssten; so war bisher die Rechtsordnung.

Ein bisschen sagt einem schon der Hausverstand, dass junge Menschen mit so einem Rucksack aufgrund ihrer Biografie damit überfordert sind, mit dem 18. Geburtstag völlig selbstständig ihr Leben meistern zu müssen, wie übrigens auch viele andere 18-Jährige, die gar nicht so eine schwierige Biografie hinter sich haben. Man kann aber sagen, in dieser Frage gibt es Bewegung, und viele Bundesländer haben sich dazu durchgerun­gen, diese Situation zu verbessern, Übergangsbestimmungen zu ermöglichen. Das ist wichtig, gut und richtig. Jetzt geht es darum, das noch gesetzlich zu verankern und die Anhebung des Höchstalters festzulegen. Es soll aber positiv erwähnt werden: Da ist in den letzten Jahren tatsächlich Gutes gelungen.

Der Kinderschutz spielt in solchen Einrichtungen natürlich mehrfach eine bedeutsame Rolle. Einerseits geht es darum: Wie sicher sind Kinder im Umgang mit anderen Kindern in einer Einrichtung? Wir müssen uns vergegenwärtigen: Diese Kinder haben teilweise Gewalt erfahren, sind im Umgang mit Gewalt und Konfliktlösung nicht sehr sicher. Es gibt aber natürlich auch Gewalt, die von der Struktur ausgeht, und Gewalt, die von Be­treuungspersonen ausgeht. Da haben sie bei ihren Besuchen auch immer wieder fest­stellen müssen: Es gibt eine Lücke dahin gehend, wohin sich Kinder wenden können, wenn sie solche Gewalt in der Einrichtung erleben. Sind also diesen Kindern externe Stellen, wie beispielsweise Rat auf Draht, die Kinder- und Jugendanwaltschaften, be­kannt? Darauf muss immer wieder hingewiesen werden, dass es Aushänge, dass es Infomaterial für die betroffenen Kinder gibt. Da muss man nach wie vor dranbleiben.

Jetzt komme auch ich zur Covid-Pandemie, weil so eine Pandemie für solche sensiblen Einrichtungen natürlich eine besondere Bedeutung hat. Die MitarbeiterInnen in der Kin­der- und Jugendhilfe haben vor allem am Beginn der Pandemie mehrfach betont, dass sie das Gefühl haben, vergessen worden zu sein. Die Einrichtungen waren selbstver­ständlich offen, weil die Kinder und Jugendlichen ja da waren. Es wurde aber zum Bei­spiel bei den ersten Impftranchen vergessen, auch diese MitarbeiterInnen zu impfen. Sie waren lange ungeschützt, hatten keine Schutzausrüstung und andere Dinge. Es gab eine große Sorge um dieses Personal.

Zusätzlich gab es im Lockdown natürlich auch Schwierigkeiten mit Kindern, die man nicht hinausschicken soll, die Ängste haben, die ihre Familien vielleicht am Wochenende nicht mehr sehen können – damit musste man umgehen, das Homeschooling bewälti­gen; in einer WG mit vielen Kindern braucht es dazu auch technische Ausstattung. Also all diese Herausforderungen gab es, und zusätzlich musste man natürlich vermerken, dass auch beim Personal Menschen in Quarantäne mussten, RisikopatientInnen waren. Es stand also weniger Personal zur Verfügung und dieses musste mehr Betreuungsar­beit leisten. Dass da die Qualität gelitten hat, ist offensichtlich, und das zeigt auch, dass dieser Bundesregierung Kinder und Jugendliche kein Anliegen sind. Bis zu dem Punkt, an dem Kinder und Jugendliche das erste Mal in Pressekonferenzen Thema waren, sind viele, viele Monate vergangen. Das ist nicht akzeptabel.

Kollegin Schartel hat auch schon darauf hingewiesen, dass Sie in Ihrem speziellen Co­vid-Bericht auch diese finanziellen Zuwendungen ins Auge gefasst haben und es da sehr


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viele Beschwerden von Bürgerinnen und Bürgern gab. Meine Kollegin hat den Familien­härtefonds schon beschrieben. Sie haben dann dankenswerterweise diese Sache und die Anliegen der BürgerInnen auch beim „Bürgeranwalt“ thematisiert, aber es wurde mit den langen Fristen, bis das Geld wirklich bei den Menschen ankam – und es kam nicht in der Höhe an, wie ursprünglich vereinbart, und so weiter –, in Kauf genommen, dass Familien in Not geraten und in dieser Pandemie in Not leben müssen. Das ist für uns als SozialdemokratInnen immer inakzeptabel.

Auch betreffend Familienkrisenfonds gab es zahlreiche Beschwerden, zu Recht, weil Menschen beispielsweise diskriminiert wurden, weil sie an einem Stichtag zufällig krank waren und damit keinen Anspruch auf dieses Geld hatten. Auch darauf haben Sie hin­gewiesen.

Ein Letztes noch: Der Coronakinderbonus ist auch im Bericht ein Thema. Da gibt es ja eine Klage der EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof, dass Österreich Fa­milien und vor allem Kinder diskriminiert. Das sehen wir genauso, klagen das auch an und sind dankbar, dass auch Sie dieses Thema noch einmal aufgegriffen haben.

Noch viele Themen gäbe es zu behandeln. Ich danke Ihnen, dass Sie Dinge im Interesse der betroffenen Menschen immer wieder zum Thema machen. Jetzt bräuchte es noch eine Regierung, die all diese Empfehlungen und Dinge aufgreift und umsetzt. Da blei­ben wir als PolitikerInnen dran. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesra­tes Arlamovsky.)

12.16


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Volksanwalt Dr. Walter Rosenkranz. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


12.16.51

Volksanwalt Dr. Walter Rosenkranz: Frau Vorsitzende! Geschätzte Mitglieder des Bundesrates! Ja, ich habe den Dank aller Rednerinnen und Redner für die Tätigkeit der Volksanwaltschaft vernommen.

Die Volksanwaltschaft wurde vor nahezu 45 Jahren in Österreich ins Leben gerufen und hat seit Kurzem die Bundespräsidentschaftskanzlei, was den Personalbedarf betrifft, um zwei oder drei Dienstposten überholt. Das heißt, wir sind jetzt die zweitkleinste Organisa­tionseinheit im Bereich des Bundes. Wir jammern aber nicht wegen einer Personal­knappheit oder Ähnlichem. Es ist trotzdem möglich, dass sich mit den 170 Mitarbeitern bei 89 Dienstposten – wir versuchen, bei Teilzeitarbeit sehr mitarbeiterfreundlich zu sein – und den zusätzlichen ehrenamtlichen Mitgliedern der Opcat-Kommissionen alles ausgeht. Die Opcat-Kommissionen wurden bereits erwähnt, sie kontrollieren Anstalten und Einrichtungen, in denen eine Zwangsanhaltung passiert, entsprechend dem Auftrag, Erniedrigung oder Folter zu ahnden und darüber zu berichten. Diese Tätigkeit machen wir gemeinsam mit den Kommissionen.

Nebenbei noch erwähnt: Wir sind auch Sitz des IOI, des International Ombudsman Insti­tute – dazu vielleicht Kollege Amon –, und wir betreuen auch die Heimopferrentenkom­mission; da geht es darum, dass Kinder in staatlichen Jugendheimen eine „Behand­lung“ – unter Anführungszeichen – erfahren und erdulden mussten, aufgrund derer ih­nen jetzt der Bundesgesetzgeber eine entsprechende Rente zubilligt. Das wird auch in unserem Haus mitbetreut.

Die Qualität ist auch durch die verfassungs- und einfachgesetzliche Einbettung möglich, dadurch, dass wir vom gesetzlichen Auftrag her ganz klar in jedem Bereich absolut un­abhängig und weisungsfrei arbeiten können.


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Es gibt auch eines, das wir uns zugutehalten können: dass die juristischen Bediensteten für die nachprüfende Kontrolle eine sehr hohe Expertise aufweisen: vom Bereich des Sozialrechts – der Gesetzgeber weiß am besten, welche Novellen es da gibt und wie da die Schränke alle Wochen, Monate und Jahre gefüllt werden – über Fragen der sieben Bauordnungen – warum sieben?; weil, um es hier zu erwähnen, Vorarlberg und Tirol ja eigene Landesvolksanwaltschaften eingerichtet haben, von denen die Verwaltungstätig­keit der Gemeinden und der Bundesländer behandelt wird – bis hin zu Fragen des Was­serrechts, des Naturschutzrechts, des Umweltrechts – zu all dem ist Expertise bei uns da, sodass wir nicht nur, wie ich schon gesagt habe, unabhängig und weisungsfrei, son­dern auch mit entsprechend hoher Expertise arbeiten können.

Es wurde bereits die Zahl genannt: 18 000 Beschwerden im Jahr. Das klingt nach einer sehr hohen Zahl, aber setzen Sie diese doch nur ganz kurz in Relation zu der Zahl der tagtäglichen Verwaltungsakte in der Republik Österreich auf jeder Ebene – Gemeinde, Gemeindeverbund, Länder, unmittelbare oder mittelbare Bundesverwaltung –: Ich glau­be, da ist das insgesamt schon ein relativ verschwindender Teil.

Manche meinen, Österreich sei vielleicht ein überverwalteter Staat, aber auch aufgrund der Beschwerdeanzahl kann man sagen, es ist grundsätzlich ein gut verwalteter Staat. Dennoch erreichen uns Beschwerden, und so haben wir im Jahr 2020 bei den 6 000 Be­schwerden, die es auf Bundesebene gab, und bei den 3 000 Länderbeschwerden die entsprechenden Prüfverfahren eingeleitet und konnten zu 1 350 Missstandsfeststellun­gen kommen. In Relation zu den Millionen Einwohnern der Republik ist das vielleicht wenig, nur, und das sehen wir ganz deutlich bei uns in der Volksanwaltschaft, es ist das Schicksal jedes Einzelnen, das zählt, der sagt, sein spezieller Fall ist das Wichtigste, das es momentan auf der ganzen Welt für ihn gibt.

Daher sind wir als Volksanwaltschaft nicht aufgerufen, die großen Dinge des Lebens anzugehen – Klimaschutz, Weltfrieden, so wünschenswert es ist, aber bei uns nicht im Vordergrund –, sondern die Probleme des Einzelnen, und daher haben wir auch ver­sucht, in den Zeiten der Pandemie entsprechend diese – wie man so schön sagt – nie­derschwellige Zugangsmöglichkeit zu uns zu finden. Man braucht bei uns keine wissen­schaftliche Arbeit über die Beschwerde einzuschicken, sondern es genügen ein paar Zeilen, auch auf schriftlichem Weg oder in einem Telefonat, und unsere Bediensteten wissen mit dem nötigen Fingerspitzengefühl, wo sie nachfragen müssen und wie sie zur Information kommen, um zu helfen – auch um zu helfen, wenn wir, was der Österreicher gar nicht so gerne hört, nicht zuständig sind.

Wir kontrollieren nur die Verwaltung beziehungsweise im Rahmen des Opcat-Mandates, aber wir sind nicht für Gerichtsverfahren zuständig. Sehr viele Menschen wenden sich an uns und sagen, sie brauchen Hilfe in diesem oder jenem Verfahren. Wir sind kein kostenloser Rechtsanwalt, aber wir sagen nicht einfach, wir sind unzuständig und legen den Hörer auf, sondern wir sagen, wir können es leider nicht machen, da haben wir eine gesetzliche Schranke, aber wir wissen ganz genau, wohin sie sich wenden sollen. Da versuchen wir auch möglichst einfach, klar und vollständig, die Menschen dorthin zu weisen, wo ihr Anliegen unter Umständen gehört wird.

Das bezieht sich auch auf Anliegen, die uns in der Verwaltung betreffen würden, nur manche Beschwerdeführer haben der Verwaltung noch gar keine Chance gelassen, richtig zu handeln, da sie sich nicht an die Gemeinde, an die Bezirkshauptmannschaft gewendet und gesagt haben: Das Lokal neben mir ist laut!, oder: Dort stinkt es!, Da gibt es einen Schwarzbau!, oder Ähnliches. Die waren noch nie beim Bauamt der Gemeinde, die waren noch nie bei einem Gesundheitsamt, bei der Bezirkshauptmannschaft. Das heißt, da drängen wir dann schon darauf, denn bevor eine Beschwerde zu uns kommt, muss die österreichische Verwaltung die Chance bekommen, richtig zu handeln.


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Erst dann, wenn der Bürger glaubt, die Verwaltung hat nicht richtig gehandelt, und es ist auch kein Instanzenzug zu einem Gericht, insbesondere zu einem Verwaltungsgericht, mehr möglich – denn auch das hinterfragen wir nicht, wir hinterfragen logischerweise auch nicht die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, das ist unser Prüfmaß­stab –, schauen wir uns die einzelnen Situationen an. Im Großen und Ganzen versuchen wir aber, den Menschen zu helfen.

Da in einzelnen Geschäftsbereichsfeldern – die Kollegen werden dann zu ihren Berei­chen sicherlich noch Stellung nehmen – die Verfahrensdauer bei der MA 35 angespro­chen wurde: Ja, es ist ein Problem, das schon seit mehreren Jahren in jedem Bericht aufgetaucht ist. Aus der Pandemie heraus ist natürlich auch herausfordernd, dass wir lange nicht gewusst haben, welche Sicherheitsmaßnahmen zum Beispiel bei den Opcat-Kommissionen, die in ein Pflegeheim hineingehen, vorgenommen werden müssen. Die Auskunft, es wären dieselben wie bei Verwandtenbesuchen, ist ein bisschen zu wenig. Da ist dann ein menschenrechtliches, verfassungsmäßig geschütztes Mandat, das wir kontrollieren, schon auch ein wenig höher. Nur müssen alle dort in die Zimmer mit Voll­schutzausrüstung gehen und verbreiten dann unter Umständen mehr Panik und lösen Angstzustände aus. Es war durchaus ein heikler und sensibler Weg, dennoch, es sind im Jahr 2020 – wir haben im budgetären Wirkungsziel 400 Besuche für normale Zeiten angegeben – rund 450 Besuche gewesen, die unsere Kommissionen auch unter diesen erschwerten Bedingungen gemacht haben.

Wir haben wegen der Pandemie zum ersten Mal einen dritten, speziell Corona gewidme­ten Bericht aufgelegt, um diese Sonderproblematik, die für jeden in Österreich etwas Neues war, dazulegen. Und da die Orte der Freiheitsentziehung angesprochen worden sind, klassischerweise Gefängnis, eine psychiatrische Anstalt, ein Pflegeheim, eine Poli­zeiinspektion, ein Schubhaftzentrum, was auch immer: Sehr viele Österreicher waren auch in einer Anhaltesituation. Und da gab es natürlich die Fragen der Grundrechtsab­wägungen, in meinem Bereich zur Frage, inwieweit sich ein Demonstrationsrecht, ein Kundgebungsrecht mit dem Schutz der Gesundheit verträgt. Da hat uns auch der bei uns angesiedelte Menschenrechtsbeirat mit der entsprechenden gutachterlichen Stel­lungnahme ein Handwerkszeug mitgegeben, mit dem man kontrollieren kann.

Eines funktioniert natürlich nicht: Sicherheitsabstände vorzuschreiben, aber umgekehrt Einkesselungen vorzunehmen. Irgendwann gibt es einmal Punkte, bei denen sich die Argumentation gegenseitig ausschließt. Da muss man eben fein abwägen und letztlich muss unter Umständen der Verfassungsgerichtshof sein Erkenntnis fällen.

Was hat es sonst gegeben? – Natürlich und logischerweise war auch die Exekutive im Dienst bis zu einem gewissen Grad vor Herausforderungen gestellt. Der Polizeisprecher der Stadt Wien hat in einer Diskussion angegeben, es sei schwierig, wenn die Polizei im Auftrag der Gesundheitsbehörde tätig ist und Verwaltungsstrafahndungen kontrollieren und auch vollziehen muss und ein Beamter Montagfrüh in den Dienst kommt und die entsprechende Verordnung des Gesundheitsministeriums am gleichen Tag heraus­kommt. Da hat es durchaus Handlungen gegeben, die einfach rechtswidrig waren. Der Polizeisprecher meinte, der arme Polizist, der am Montag in den Dienst kam und für den keine Möglichkeit zur Einschulung bestand, habe geglaubt, was in der Pressekonferenz von einem Regierungsmitglied am Samstag oder Sonntag bekannt gegeben wurde.

Da wird eindeutig gewünscht, dass Vorlaufzeiten länger dauern und dass man unter Umständen eine Rechtssicherheit schafft, indem man Verordnungen und anderes recht­zeitig macht, sodass die Vorgesetzten und diejenigen, die dann bei den Bürgern sind, entsprechend richtig handeln können.

Ein weiteres großes Thema in der Pandemie selbst war, vor allem am Anfang, als alle Institutionen, so auch Privatkindergärten und Privatschulen, gesperrt waren, dass sehr


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viele Eltern fragten, was jetzt mit den Kindergartengebühren ist, die auf der einen Seite notwendig sind, um die privaten Kindergarteneinrichtungen überhaupt am Leben zu halten, jedoch rechtlich nicht zu bezahlen sind. Wahrscheinlich wird es auf die Sat­zungen ankommen, aber ob diese dann wieder rechtmäßig sind, ist die Frage. Und da ich vor der Länderkammer spreche: Die Bundesländer haben in großer Zahl gesagt, sie ersetzen diesen privaten Betreibern die Einnahmenverluste, um die Verluste auch für diese wichtigen Einrichtungen, ohne die eine flächendeckende Kindergartenbetreuung überhaupt nicht erfolgen könnte, abzufedern oder abzumildern.

Abschließend möchte ich mich noch einmal sehr, sehr herzlich für den Dank bedanken, den ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Volksanwaltschaft weiterleiten möchte. Den Dank möchte ich auch mit einer Bitte verbinden: Die Volksanwaltschaft bemüht sich ähnlich wie der Rechnungshof darum, dass wir auch die ausgegliederten Unternehmen der Republik kontrollieren dürfen. Derzeit passiert das auf Good-Will-Basis. In meinem Geschäftsbereich sind es zum Beispiel die Asfinag oder die Bundesforste. Es kommen die Beschwerden zu uns, wir leiten sie weiter und haben derzeit die Erfahrung, dass wir dort auf fruchtbaren Boden stoßen und versucht wird, die Probleme auch entsprechend zu lösen. Es ist aber kein Recht.

Genauso geht es den Kollegen hier zum Beispiel, wenn es Friedhöfe in Wien betrifft oder Krankenanstalten, die ausgegliedert sind. Also es gäbe genug, und es wäre mein Wunsch an einen Teil der Bundesgesetzgebung, dass wir auch da entsprechend ausge­stattet werden. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

12.30


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Volksanwalt Werner Amon. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


12.30.22

Volksanwalt Werner Amon, MBA: Frau Präsidentin! Hoher Bundesrat! Geschätzte Amtskollegen! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt ein dreiteiliger Bericht vor, das ist erstmals in der Geschichte der Volksanwaltschaft der Fall. Der dritte Band ist der soge­nannte Covid-19-Band, der sich mit den Fragen der Pandemie beschäftigt. Es ist wohl unzweifelhaft so, dass die Covid-19-Pandemie alle gesellschaftlichen Schichten durch­drungen hat, und so ist es auch kein Zufall, dass es doch eine beträchtliche Zahl an Beschwerden bei der Volksanwaltschaft gegeben hat, die unter dem Titel Covid-19-Pan­demie zu subsumieren sind.

Weil es angesprochen worden ist, möchte ich betonen, dass 18 000 Beschwerden bei der Volksanwaltschaft nicht nur auf den ersten Blick eine beträchtliche Anzahl sind. Auch mein Vorredner, Volksanwalt Dr. Rosenkranz, hat darauf verwiesen. Das sind doch be­trächtlich mehr als sonst. Im Jahr 2020 haben wir eine Spitze gehabt, eben die Pandemie betreffend. Es ist aber nicht das erste Mal, dass es einen derartigen Ausreißer bei einer sonst etwa gleichbleibenden Anzahl von Beschwerden gibt. Wir hatten das etwa auch im Jahr 2015, als es zu einer Fülle von Asylverfahren kam, mit der Folge, dass es eine Fülle von Beschwerden bei der Volksanwaltschaft gab. Die Pandemie war sicherlich auch so eine Ausnahmeerscheinung.

Ich möchte auch unterstreichen, dass es uns gemeinsam ein großes Anliegen war, dass wir diese Niederschwelligkeit des Zugangs erhalten, gerade in Zeiten der erhöhten Frei­heitsbeschränkung – und die hat es natürlich gegeben: durch die Lockdowns, durch die Einschränkungen im Hinblick auf das Verlassen der eigenen Wohnräumlichkeiten, auch durch Anordnungen, die von privaten, aber auch öffentlichen Betreibern von Pflegehei­men, aber vor allem von Seniorenheimen vorgenommen worden sind, ohne dass es da­für einschlägige Rechtsvorschriften gab. Das hat die Menschen natürlich unheimlich aufgeregt. Diese Freiheitsbeschränkungen hat zunächst einmal ein sehr großer Teil der Beschwerden, die im Covid-19-Band abgebildet sind, betroffen.


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Der zweite Teil, der die Menschen offensichtlich danach besonders berührt hat, war die Frage des Umgangs mit den Förderungen und Unterstützungsmaßnahmen, die, wie ich meine, schon in einem beträchtlichen Ausmaß vonstattengegangen sind.

Weil manchmal ein bisschen der Eindruck entstehen könnte, die Volksanwälte agieren gleichsam ein bisschen besserwisserisch vis-à-vis der Verwaltung, möchte ich sagen: So ist es ausdrücklich nicht, das möchte ich betonen. Wir haben gerade am Anfang der Pandemie auch im Umgang mit der Kritik sehr zurückhaltend agiert, weil wir gesagt haben: Na ja, das ist eine Ausnahmesituation, das ist eine völlig neue Situation, auch für die Verwaltung. Wir wurden dann aber mit der Fortdauer der Pandemie natürlich etwas strenger, wenn ich so sagen darf, denn man muss sich mit dem Fortlauf einer solchen Situation dann irgendwann auch anfreunden, und die Maßnahmen müssen dann schon auch passen, und da ist uns – insbesondere wenn es um finanzielle Fördermaßnahmen gegangen ist – natürlich einiges untergekommen.

Der Pflegebereich etwa ist angesprochen worden, ein Bereich, der besonders wichtig ist und an dem ja niemand vorbeikommt, auch in der Debatte um eine Reform, und es war sehr unverständlich für uns, dass man vonseiten der Finanzverwaltung gerade bei den Pflegekräften zunächst einmal auf ein österreichisches Konto bestanden hat – eine klar europarechtswidrige Handlungsweise, immerhin gibt es ja die Sepa-Verordnung, also einen gemeinsamen europäischen Zahlungsmarkt, und einschlägige Richtlinien sagen ausdrücklich, es darf keine Diskriminierungen aufgrund eines Bankkontos geben. Dass das gerade jene Kräfte betroffen hat, die wir in Österreich so dringend brauchen, war etwa für die Volksanwaltschaft überhaupt nicht nachvollziehbar. Glücklicherweise – ich glaube, Bundesrat Schwindsackl hat darauf verwiesen – hat man dann im Finanzressort darauf reagiert und dieses Problem gelöst.

Überhaupt meine ich, dass eigentlich auf einen guten Teil der Kritik der Volksanwalt­schaft vonseiten der Verwaltung positiv reagiert wird, ganz gleich auf welcher Ebene, ob Bundesverwaltung, Landesverwaltungen oder Gemeindeverwaltungen. Man soll ja die Kritik nicht als Justamentkritik verstehen, sondern wir bemühen uns, glaube ich, sehr um eine sachliche Kritik, die gerechtfertigt ist. Insofern ist ja auch die Arbeit der Volksan­waltschaft aus einer demokratiehygienischen Perspektive von besonderer Bedeutung, denn viele Menschen kommen natürlich zu uns, weil sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen, weil sie ohnmächtig vor den Mächtigen stehen und die Volksanwaltschaft sozu­sagen der letzte Rettungsanker ist.

Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass wir diesen Dank, der tatsächlich von allen Fraktionen hier in unsere Richtung geäußert worden ist, an unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben wollen, denn die Expertise, die wir in der Volksanwaltschaft ha­ben, ist wirklich beeindruckend, sowohl was – wenn ich das so sagen darf – das Stamm­personal im Haus betrifft, als auch was die Expertise in unseren Opcat-Kommissionen betrifft, also jenen Kommissionen, die die Orte der Freiheitsbeschränkung oder Freiheits­entziehung visitieren, oder auch der Kommission, die für die Vollziehung der Heimopfer­renten zuständig ist, der Expertinnen und Experten, die alles aufbereiten und uns bera­ten. Diese Expertise ist wirklich beeindruckend.

Ich möchte noch einen weiteren Punkt aufgreifen, weil auch Herr Dr. Rosenkranz auf die Problematik verwiesen hat, dass wir gewisse Einrichtungen, die ausgegliedert sind, selbst wenn sie zu 100 Prozent im Eigentum einer Gebietskörperschaft stehen, nicht prüfen können. Das ist ein Punkt, den wir ansprechen möchten. Ich glaube, es wäre sinnvoll, eine solche Möglichkeit zu eröffnen.

Was ich außerdem ansprechen möchte, ist natürlich, dass es immer wieder auch zivil­rechtliche Fragen gibt, die an uns herangetragen werden, etwa im Zusammenhang mit Altersdiskriminierung. Wir bekommen im Finanzbereich, den ich prüfe, zuneh­mend Beschwerden über Geldinstitute oder auch Versicherungen, bei denen es zu


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altersdiskriminierenden Handlungen kommt, wenn es etwa darum geht, eine Fördermaß­nahme in Anspruch zu nehmen. Nehmen wir an, jemand ist betagt, und dann steht in der Förderrichtlinie, dass eine Förderung nur möglich ist, wenn sie über einen Kredit finan­ziert ist, und das Geldinstitut sagt: Tut uns leid, in Ihrem Alter kriegen Sie aber keinen Kredit mehr bei uns. – Das ist natürlich nicht in Ordnung, das darf nicht sein, und ich bemühe mich gerade in Verhandlungen mit der Geldwirtschaft – also Banken – und der Versicherungswirtschaft, eine Form der Kooperation aufzusetzen, um eben rasch zu Lö­sungen zu kommen. Wir sehen schon Licht am Ende des Tunnels.

Das ist zwar nicht ganz unmittelbar etwas, das wir prüfen können, also jedenfalls nicht dort, aber die Frage der Altersdiskriminierung, auch im Hinblick auf unsere Verantwor­tung für Menschenrechte, ist schon etwas, das uns etwas angeht und dem wir uns auch widmen wollen. Wie gesagt, ich bin da guter Dinge, weil ja niemand Interesse daran haben kann, dass die Gesellschaft gleichsam in Personen, die gerade noch Berücksich­tigung finden, und solche über einer gewissen Altersgrenze, die dann nicht mehr berück­sichtigt werden, gespalten wird. Das ist natürlich inakzeptabel.

Insgesamt glaube ich, dass die Berichte schon sehr gut darlegen, was sich im Jahr 2020 abgespielt hat. Danke auch für den Hinweis, dass die Berichte gut lesbar sind, wir sind da aber natürlich auch offen für Kritik. Wenn es irgendwo etwas gibt, von dem Sie mei­nen, das sollten wir anders gestalten, anders darlegen, dann nehmen wir das sehr, sehr gerne auf. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

12.39


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


12.39.52

Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz: Frau Vorsitzende! Hoher Bundesrat! Meine Da­men und Herren! Liebe Kollegen! Auch ich freue mich sehr über das geäußerte Lob und werde es selbstverständlich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weitergeben.

Es freut mich auch, dass Sie sich so ausführlich mit unseren Berichten beschäftigen. Ich halte das für sehr, sehr wichtig, denn wir berichten über Probleme, die Menschen in Österreich haben; über Probleme, die sie mit der Verwaltung haben, über Probleme, die sie mit Einrichtungen potenzieller Freiheitsentziehung wie Gefängnissen, Pflegeheimen, Psychiatrien, Krankenhäusern oder Jugendwohlfahrtseinrichtungen haben, und diese Probleme muss man sehr ernst nehmen.

Wie Kollege Amon gesagt hat, führt unser Einschreiten in vielen Fällen schon dazu, dass die Behörden ihre Vorgangsweise ändern, dass die genannten Einrichtungen dafür Sor­ge tragen, dass Missstände beseitigt werden. Das ist gut, das sollte man auch wissen. Es gibt darüber hinausgehend aber Probleme, auf die die Behörden, auf die die Ein­richtungen, die kritisiert werden, selbst bei bestem Willen nicht positiv reagieren können, weil die Rechtslage, weil die politischen Rahmenbedingungen das nicht zulassen. Bei den Einrichtungen sind es sehr oft die Finanzen, die Verbesserungen nicht zulassen. Das ist besonders für die Politik wichtig zu wissen, und das ist auch der Grund, warum diese Berichte hier in den Gesetzgebungsorganen diskutiert werden müssen und so wichtig sind.

Im Bundesrat möchte ich Ihre Aufmerksamkeit besonders auf ein paar Problembereiche lenken, die die Schnittmenge von Bundesgesetzgebung und Landesgesetzgebung be­treffen, weil das erfahrungsgemäß bei den Menschen auch zu großem Unverständnis und zu großen Problemen führt. Im Covid-19-Band zieht es sich wie ein roter Faden durch, dass die Menschen einheitliche Vorgehensweisen wollen, wenn man sich schon mit so heiklen Fragen wie Einschränkung von Grundrechten im Verhältnis zum Schutz der Gesundheit der Allgemeinheit beschäftigt.


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Was für die Leute vollkommen unverständlich ist und was zu mangelnder Akzeptanz führt, ist, wenn man in diesen heiklen Fragen in einem Bundesland so vorgeht und in einem anderen Bundesland anders vorgeht. Wenn Sie Beispiele dafür wollen, kann ich Ihnen gerne welche nennen. Die Pflegeheime wurden schon erwähnt: Die Ausgangsbe­schränkungen für die BewohnerInnen von Pflegeheimen waren in einzelnen Bundeslän­dern durchaus unterschiedlich, ebenso die Besucherregelungen.

In Tirol durfte man etwas, das man in Niederösterreich nicht durfte. In Niederösterreich durfte man dafür etwas anderes, das in Oberösterreich nicht möglich war. Das ist dann so weitergegangen, auch bei den Impfungen wurden verschiedene Priorisierungen vor­genommen, je nachdem in welchem Bundesland man gerade war und was die jeweilige Landesregierung für wichtig erachtet hat.

Das hat dazu geführt, dass die Akzeptanz für viele Maßnahmen gesunken ist, dass die Leute kein Verständnis mehr für Vorschriften gehabt haben. Ich glaube, es ist wichtig zu wissen, dass man sich, um die Akzeptanz zu erhöhen, um insgesamt die Maßnahmen wirksamer zu gestalten, bemühen sollte, eine bundesweit einheitliche Vorgangsweise zu wählen. Es wäre im Übrigen in der Pandemie durchaus möglich, dass der Gesundheits­minister da eine einheitliche Vorgabe macht, die dann, auch wenn es landesgesetzliche Materie ist, für die Bundesländer verpflichtend ist. Das zieht sich wie ein roter Faden durch und sollte, glaube ich, in Zukunft berücksichtigt werden.

Was im Covid-19-Band noch sehr auffällig ist, ist, dass durch die Pandemie herausge­kommen ist, wie anfällig unser Pflegesystem ist. In der 24-Stunden-Betreuung hatten wir im ersten Lockdown die Situation, dass es überhaupt keine 24-Stunden-BetreuerInnen in Österreich mehr gegeben hat, weil die die Grenze nicht überschreiten durften. Der Lockdown hat zu verstärkten Grenzkontrollen oder Grenzschließungen geführt. Die
24-Stunden-BetreuerInnen kommen zu nahezu 100 Prozent aus osteuropäischen Län­dern, sie konnten in Österreich nicht einreisen, das System der 24-Stunden-Pflege ist einige Wochen darniedergelegen.

Man könnte jetzt sagen: Alles nicht so schlimm, es gibt ja viele Pflegeeinrichtungen in Österreich. Diese waren aber genauso anfällig, auch die haben darunter gelitten, dass Pendlerinnen und Pendler aus der Slowakei, aus Tschechien, aus Ungarn nicht über die Grenze kommen konnten. Natürlich hat es noch Beschäftigte gegeben, die in Österreich ihren Wohnsitz hatten und nicht über eine Grenze mussten. Diese waren dadurch allerdings doppelt belastet. Sie waren zum Teil natürlich auch krank, weil sie sich ange­steckt haben, hätten zum Teil in Quarantäne gehen sollen. All das hat zu Riesenperso­nalengpässen geführt und dazu, dass die, die gesund und arbeitsfähig und in den Pfle­geeinrichtungen, in den Krankenhäusern im Einsatz waren, immens belastet waren und enorm viele Überstunden geleistet haben.

Aus unserer präventiven Menschenrechtskontrolle wissen wir, dass genau dies die ge­fährlichen Situationen sind, in denen die Beschäftigten nicht aus bösem Willen, sondern aus Überforderung Dinge tun, die menschenrechtlich nicht angebracht sind. Darauf müs­sen wir unseren Fokus in Zukunft richten. Wir müssen das System krisenfester machen. Wir müssen in die Pflege, in die Betreuung von älteren, aber auch von behinderten Men­schen, in die Jugendwohlfahrtseinrichtungen und dergleichen mehr investieren. Wir müssen die Beschäftigten dort entlasten, wir müssen ihnen wieder Freude am Beruf geben.

Weil ich schon bei den Pflegeeinrichtungen bin und weil ich gesagt habe, ich möchte besonders auf Dinge an der Schnittstelle zwischen Bund und Ländern hinweisen: In der nachprüfenden Kontrolle – vollkommen unabhängig von Covid-19 und der Pandemie – ist uns ein Phänomen aufgefallen, das auch immer wieder zu großen Problemen führt. Sie haben Ihre Eltern in einem Pflegeheim in Oberösterreich, um irgendetwas zu sagen,


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sind aber beruflich in Wien tätig. Die Anknüpfungspunkte in Oberösterreich für die Eltern, die Verwandten dort, die Freunde dort werden weniger, Ihr Lebensmittelpunkt ist Wien, Sie wollen die Eltern vom Pflegeheim in Oberösterreich in ein Wiener Pflegeheim ho­len. – Versuchen Sie das einmal! Es scheitert an der Finanzierung, weil die Oberösterrei­cher sagen: Wir zahlen selbstverständlich ein oberösterreichisches Pflegeheim; nach Wien schicken wir euch das Geld nicht nach. Die Wiener sagen: Wir zahlen selbstver­ständlich, wenn ein Wiener bei uns ins Pflegeheim geht; einen Oberösterreicher nehmen wir aber nicht und zahlen dafür nicht. Das kann es wohl nicht sein.

Früher hat es dazu eine 15a-Vereinbarung zwischen den Bundesländern gegeben, in der diese Problematik geregelt wurde. Diese ist irgendwann einmal, ich weiß nicht aus welchen Gründen, aufgekündigt worden. Jetzt gibt es eine derartige Vereinbarung nicht und man ist immer darauf angewiesen, zu schauen, wie die bilateralen Vereinbarungen gerade ausschauen. Ist es möglich oder ist es nicht möglich, man kommt da zu den skurrilsten Ergebnissen. Wir hatten einen Fall, da ist jemand von Kärnten ins Burgenland gewechselt. Das war, was die Finanzierung betrifft, so gut wie nicht möglich, in die an­dere Richtung wäre es interessanterweise gegangen. Das hängt dann von der jeweiligen landesgesetzlichen Regelung ab, und das sollte es doch wohl nicht sein.

Abschließend vielleicht noch: Wir verlieren unsere Anliegen, die wir in den Berichten äußern, nicht aus den Augen. Deshalb möchte ich Ihr Augenmerk auf einen Bericht len­ken, der heute nicht vorliegt, sondern den wir schon letztes Jahr diskutiert haben, den Sonderbericht über Menschen mit Behinderung, die in Werkstätten arbeiten und dort nur ein Taschengeld und kein Entgelt bekommen.

Warum erlaube ich mir, das zu erwähnen, obwohl es nicht auf der Tagesordnung steht? – Weil wir auch dort so eine interessante Situation haben, in der der Bund sagt: Die Länder sollen denen doch ein Entgelt zahlen, dann ist die Geschichte erledigt, dann sind die versichert. Dafür sind aber die Länder zuständig. Die Länder sagen: Der Bund soll doch eine Sondersozialversicherungsbemessungsgrundlage schaffen, dann wären die Leute auch versichert. In diesem Spannungsfeld bleiben die Betroffenen auf der Stre­cke.

Vielleicht – das wäre meine Hoffnung, der ich zum Schluss Ausdruck verleihen möchte – kann der Bundesrat als Länderkammer da auch ein bisschen eine Mediations- oder Ver­mittlungsfunktion einnehmen, um genau in solchen Situationen die Menschen zufrieden­zustellen und zu einer vernünftigen Lösung beizutragen. – Herzlichen Dank. (Allgemei­ner Beifall.)

12.49


12.49.48

Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank. Weitere Wortmeldun­gen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist somit geschlos­sen.

Wir gelangen zur Abstimmung. – Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmeinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

12.50.224. Punkt

Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesge­setz, mit dem das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – EAG geändert wird (1843/A so­wie 10741/BR d.B.)



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Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Wir gelangen nun zum 4. Punkt der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Ich bitte um den Bericht.


12.50.44

Berichterstatter Marco Schreuder: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf den Bericht des Wirtschaftsausschusses über den Beschluss des Nationalrates vom 22. September 2021 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz – EAG geändert wird, zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Wirtschaftsausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 mit Stimmenmehrheit den Antrag,

1. gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben,

2. dem vorliegenden Beschluss des Nationalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die ver­fassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Wir begrüßen den inzwischen bei uns eingetroffenen Herrn Staatssekretär Dr. Magnus Brunner. (Allgemeiner Beifall.)

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Michael Bernard. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


12.51.49

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrte Frau Vizepräsi­dentin! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Bildschirmen! Ich habe die Worte der türkis-grünen Bundesregierung und von deren Abgeordneten noch im Ohr: Mit dem Beschluss des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes ist der große Wurf gelungen.

Ich frage mich, was vom großen Wurf übergeblieben ist. Was ist bisher geschehen? Wieder die nächste leere Luftblase? – Nein, leider ist es nicht eine leere Luftblase, son­dern viel schlimmer. Die wichtigen Bereiche wie Energieeffizienz, das Grünes-Gas-Pa­ket oder die Netzsicherheit werden anscheinend als nicht wichtig ad acta gelegt.

Mithilfe der sogenannten Sozialdemokraten reiten die türkis-grünen Belastungsritter aus, um den österreichischen Mittelstand zu bekriegen und ihn auszurotten. Alle Mittel sind der Einsperr- und Belastungsregierung – mit Unterstützung der roten und pinken Frak­tionen – recht, um die anständigen Bürger dieses Landes, die sich durch mühevolle Ar­beit in den österreichischen Mittelstand hinaufgearbeitet haben, in die Armutsfalle zu treiben. (Beifall bei der FPÖ.)

Das Motto der Türkis-Grünen war – unter dem Titel, eine saubere und neue Politik für unser Land sicherzustellen –: das Beste aus zwei Welten. Wenn das das Beste der zwei Welten ist, dann frage ich mich – und seit gestern wissen wir es –, was dann das Schlechteste der zwei Welten ist.

Die CO2-Steuerreform ist eine einzige Mogelpackung, ein Strafpaket für den österreichi­schen Steuerzahler. Es ist im Endeffekt einzig und allein eine Preissteigerung. Wir reden von Preissteigerungen in der Höhe von über 30 Prozent für die Bürger. Ganz genau sind es ja alleine nur bei der Ökostrompauschale plus 26 Prozent, die die Bürger betreffen und in Zukunft auch belasten.

Es sind Belastungen ohne Ende, die diese Regierung einführt! Nehmen wir nur die NoVA her: Die Steigerung bei der Normverbrauchsabgabe geht ins Unendliche. Alleine bei nor­malen Familien-Pkws – das betrifft die Familien! – sind es plus 4 000 Euro. Bei Klein­transportern gibt es eine Steigerung um 100 Prozent, es sind dies am Ende des Ausbaus der NoVA über 22 000 Euro an Mehrbelastung.


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Ähnlich ist es bei der Erhöhung der Mineralölsteuer. Sollten alle diese Ziele, die jetzt auf europäischer Ebene gesetzt worden sind – in Österreich natürlich überbordend –, bis 2030 nicht erreicht werden, gibt es eine Mineralölsteuererhöhung um 50 Prozent. Was ist Ihr Ziel? Wollen Sie den Wirtschaftsstandort Österreich komplett vernichten? Ja oder nein?

In Ihrer Umweltpolitik gibt es speziell aus dem grün geführten Ministerium mit türkiser Unterstützung nur mehr eine rein ideologisch behaftete Thematisierung. Es geht schon längst nicht mehr um Fakten, Zahlen und Daten, sondern man spürt förmlich den Hass gegenüber der Bevölkerungsgruppe, die zum Beispiel am Land auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist. Wie weit das CO2-Hirngespinst geht oder ob es Zufall ist, dass es bei offiziellen Buffets im grünen Ministerium angeblich nur mehr vegane Verpflegung geben soll – wahrscheinlich produzieren der grünen Ministerin Schweine und Rinder zu viel CO2 –, sei dahingestellt.

Wir Freiheitlichen stellen uns schützend vor die österreichische Bevölkerung. Sie werden es nicht schaffen, mit Windrädern und Fotovoltaik den kompletten Strombedarf ohne weiteren Ausbau von Wasserkraft, den Sie ja auch nicht wollen, sicherzustellen, um dann über die Hintertür unter dem Deckmantel CO2-Ausstoß Atomkraftwerke zu etablie­ren. Wir Freiheitlichen stellen uns auch in diesem Punkt schützend vor die Bevölkerung.

Anscheinend ist Ihnen der Standort Österreich als Wirtschaftsstandort und als Leben­sraum sehr, sehr wenig wert. Ich glaube, es ist wirklich höchste Zeit, Umweltschutz und Umweltpolitik mit Hausverstand zu machen. Diesen Hausverstand vermisse ich bei den Regierungsparteien sowohl bei der ÖVP als auch bei den Grünen. Seit gestern stehen aber ohnedies die Zeichen ganz gut, dass die Bevölkerung demnächst die Möglichkeit haben wird, den türkis-grünen Wahnsinn zu beenden. (Beifall bei der FPÖ.)

12.56


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ing.in Isabella Kaltenegger. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


12.56.33

Bundesrätin Ing. Isabella Kaltenegger (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es nur um eine redaktionelle Rich­tigstellung, einen Tippfehler, einen Verweisfehler.

Wir haben das EAG ja schon im Sommer ausführlich diskutiert und ein komplexes und gutes Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz auf den Weg gebracht. Jetzt geht es nur mehr um eine rasche Umsetzung in der Praxis. Projektwerber müssen so gut wie möglich unter­stützt werden, und das hat natürlich auch mit der Verkürzung von UVP-Verfahren zu tun.

Ich werde die Diskussion jetzt aber nicht unnötig verlängern und bitte Sie, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, um Ihre Zustimmung zu diesen Richtigstellungen. – Danke. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

12.57


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Günther Novak. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


12.57.39

Bundesrat Günther Novak (SPÖ, Kärnten): Herr Staatssekretär! Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das EAG, also das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, ist zweifelsohne ein historischer Schritt, der definitiv die Klima- und Energiewende eingeläu­tet hat. Das hat auch lange genug gedauert.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 84

Darüber hat seitens der SPÖ im Grunde genommen nie ein Zweifel bestanden, es wurde halt versucht, noch einiges herauszuverhandeln. Wie von der Vorrednerin schon richtig gesagt wurde, ist im Grunde nur eine redaktionelle Richtigstellung im Bereich der Förder­mittel vorzunehmen.

Ich darf nochmals betonen, wie sehr wir dieses Gesetz aus umweltpolitischer Sicht be­grüßen und damit zum Weg der Stromerzeugung aus erneuerbarer Energie stehen. Es ist uns aber ein absolut wichtiges Anliegen, dass diese Energiewende in Österreich nicht zulasten der einkommensschwachen Haushalte geht. Der notwendige Ausbau von Öko­strom darf nicht auf deren Kosten erfolgen. Die SPÖ steht nämlich für eine faire und soziale Klimapolitik, und diesen Grundsätzen entsprechend war unser Anliegen, diesen sozialen Aspekt in diesem Gesetz ganz deutlich zu verankern.

Ich glaube, dass uns das gemeinsam auch gelungen ist. Alle GIS-befreiten Personen sind nunmehr automatisch von den Ökostromkosten befreit, und wir haben die Kosten für armutsgefährdete Haushalte mit 75 Euro pro Jahr gedeckelt. Das betrifft immerhin eine Gruppe von 1,2 Millionen Menschen. Insofern kann ich jetzt den Ausführungen von Herrn Bernard nicht folgen. Damit ist ein treffsicheres Sicherheitsnetz für die einkom­mensschwachen Haushalte geschaffen worden.

Das Einzige – es wurde heute auch schon ganz kurz angesprochen –, was wir mit Be­sorgnis beobachten, ist die Entwicklung der Energiepreise. Die Großhandelspreise für Strom und Gas haben sich binnen Jahresfrist verdoppelt, ja verdreifacht, und laut E-Con­trol wird dieser Preisanstieg spätestens ab dem Winter für uns sehr spürbar werden.

Es ist daher dringend notwendig, dass die Regierung konkrete Maßnahmen in diesem Bereich setzt. Ich glaube, im Nationalrat ist in diesem Zusammenhang über 500 Euro als Unterstützung gesprochen worden. Was auch immer, es braucht Lösungen, und das, glaube ich, rasch. Wenn die Energiepreise steigen, gibt es nämlich nur einen Gewinner, und das ist der Finanzminister, denn er kassiert natürlich die Mehrwertsteuer. Wir wollen, dass jene Leute, die halt nicht so viel im Börsl haben, auf dem Weg nicht verloren gehen. (Beifall bei der SPÖ.)

Frau Kollegin Schartel hat im Vorfeld einer Rede auf die Situation betreffend Heizkessel hingewiesen, nämlich darauf, dass die bis 2025 auszutauschen sind. – Ja, da hat sie nicht unrecht, aber irgendwann müssen wir einmal anfangen. Es ist ja schon jetzt so, dass wir als Bürgermeister über Ölheizungen nicht mehr verhandeln.

Ich kann nur noch einmal betonen – und das habe ich an dieser Stelle auch Frau Bun­desministerin Gewessler gesagt –: Was werden jene Leute tun, die keine Kohle, kein Geld im Sack haben? Auch wenn es 50 Prozent und mehr an Förderungen gibt, was wird man machen, wenn der Rest nicht zu bezahlen sein wird? Ich sehe, welche Anträge täglich bei uns hereinkommen. Da geht es zum Beispiel um eine Pelletheizung, Preis: etwa zwischen 20 000 Euro und 25 000 Euro. Angenommen, man kriegt als Privatper­son eine Förderung von 50 Prozent; selbst dann muss man etwa als alleinstehende Frau immerhin 12 500 Euro bezahlen können. Um diese Menschen zu unterstützen, soll es anscheinend ein eigenes Budget geben. Ich weiß nicht, ob das schon beschlossen wor­den ist; es ist zumindest hier versprochen worden. Ich glaube trotzdem nicht, dass diese Menschen es schaffen werden, die Heizungen um 5 000 Euro oder 6 000 Euro zu finan­zieren. Also da ist sicher noch einiges zu tun.

Ich denke, dass mit dem EAG ein wichtiger Schritt in der Umweltpolitik gesetzt wurde, nun müssen aber auch konkrete Taten folgen. Es sind nun auch weitere Gesetze umzu­setzen. Da stimme ich dem zu, was Kollege Bernard gesagt hat. Das Energieeffizienzge­setz – da wird uns der Staatssekretär sagen, wie weit man da ist –, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz und das Grüngaspaket, das sind die Dinge, die jetzt offen sind und rasch umzusetzen sind. Die Klima- und Energiepolitik muss jedenfalls in der eingeschlagenen Richtung mutig und effizient weitergeführt werden.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 85

Gerade jetzt braucht es daher nicht einen Nationalratsabgeordneten Hanger, der die Rechtsstaatlichkeit bei uns in Österreich infrage stellt. Das ist unerträglich, das muss ich sagen. Deswegen wollen wir ja zusammenarbeiten und nicht nach außen hin ein schlech­tes Bild abgeben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Schererbauer.)

13.03


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächster ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. – Bitte.


13.03.17

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Werte Kolle­ginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Ich habe das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz bei der Beschlussfassung im Juli sehr ausführlich dargelegt, das werde ich jetzt nicht mehr machen.

Es ist und bleibt jedenfalls ein Meilenstein, nämlich mit seinen wirklich umfassenden und verbindlichen Rahmenbedingungen von 100 Prozent Ökostrom bis in neun Jahren, mit einer bis dahin ausgelösten Investitionssumme von rund 30 Milliarden Euro, mit einer Reduktion der Importabhängigkeit, mit dadurch – und das ist ganz wichtig – stabilen und leistbaren Strompreisen und natürlich mit einer massiven Reduktion der Klimagiftemis­sionen, und dabei ist jetzt der Arbeitsplatzeffekt noch gar nicht angesprochen.

Ein wichtiger Bestandteil sind die Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften, in deren Rah­men – und das ist jetzt neu – es Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht wird, ihren Strom gemeinsam zu produzieren und zu verbrauchen. Das ist ein ganz wichtiger Zugang in Sachen Akzeptanz für den Ökostromausbau und natürlich auch hinsichtlich der nötigen Geschwindigkeit, die wir brauchen.

Mit dem EAG einher geht weiters ein riesiges Paket für den Ausbau der Fernwärme – jetzt auch anknüpfend an das, was vorhin Kollege Novak betreffend Preissituation ge­sagt hat – und ein großes Paket für die Forcierung der Nutzung von Wasserstoff als Energiequelle, jetzt einmal mit einem Fokus auf industrielle Anwendungen.

Auch gibt es – der Kollege hat es erwähnt – ein umfangreiches Paket zur sozialen Abfe­derung: 300 000 Haushalte brauchen gar nichts zu bezahlen, und noch einmal so viele Haushalte haben eine sehr scharfe Kostenbegrenzung, wobei die Beträge übrigens un­ter jenen liegen, die derzeit zu bezahlen sind.

Jetzt noch ergänzend – weil das Thema der Preisanstiege ganz aktuell ist, vor allem im Bereich Gas, aber auch im Bereich Öl, möchte ich etwas dazu sagen –: Das Entschei­dende, das jetzt zu tun ist, ist, umzusteigen. Raus mit den Ölheizungen, raus mit den Gasheizungen! Die Instrumente oder die Mittel dazu sind jedenfalls da, und zwar in ei­nem Ausmaß, wie wir es noch nie hatten oder nicht annähernd hatten: 650 Millionen Euro für heuer und nächstes Jahr für den Kesseltausch. Es gibt 100 Millionen Euro als Sonderprogramm für die Unterstützung von einkommensschwachen Haushalten. Das geht richtigerweise so weit, dass Haushalten beziehungsweise Menschen, die ein sehr geringes Einkommen haben – die untersten 20 Prozent der Einkommen, es sind also sehr viele Haushalte, die das betrifft –, bis zu 100 Prozent der Kesseltauschkosten ver­gütet werden. – Das ist schon etwas!

Ganz wichtig: Niemand soll aus finanziellen Gründen nicht in der Lage sein, auf erneuer­bare Energieträger und damit auf geringe Betriebskosten umzusteigen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt im Zusammenhang mit dem, was wir hier diskutieren.

Mit der jetzt vereinbarten Steuerreform wird in diesem Punkt noch einmal etwas draufge­legt: noch einmal 500 Millionen Euro in den nächsten zwei Jahren für den Kesseltausch, noch einmal 80 Millionen Euro für die soziale Abfederung in den nächsten zwei Jahren, 160 Millionen Euro für ein steuerliches Modell, Absetzbeträge für die thermische Sanie­rung und so weiter. – Also das ist schon ein riesiges Paket.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 86

Auch sind wir intensiv dran, auch einen Rechtsrahmen herzustellen, nämlich zuverläs­sige Rahmenbedingungen zu formulieren und gesetzlich zu verankern.

Wie wir von Kollegin Kaltenegger gehört haben, ist leider ein redaktioneller Formalfehler passiert. Bei so einem komplexen und umfänglichen Werk kann so etwas schon einmal passieren. Der Fehler betrifft die Aufbringung der Fördermittel. Das ist passiert, leider, aber das werden wir heute beheben. Die Basis ist ein Initiativantrag im Nationalrat, nämlich von allen Parteien außer der FPÖ.

Was Herr Kollege Bernard dazu gesagt hat, ist schon sensationell faktenbefreit. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Auf jeden Fall macht sich die FPÖ lieber von Gas­importen abhängig und setzt damit die Kunden stark schwankenden und steigenden Strompreisen aus. Es wird nämlich auch viel Gas beispielsweise für die Verstromung gebraucht. Jedenfalls wird die FPÖ als die Partei in die Geschichte eingehen, die den Ausbau von Ökostrom verhindern wollte und nichts unternommen hat, um den steigen­den Gaspreisen irgendetwas entgegenzusetzen. Dabei wäre, habe ich gehört, sogar der Hausverstand dafür. (Zwischenruf des Bundesrates Leinfellner.)

Zum umfänglichen Start des EAG sind noch einige Verordnungen ausständig, das stimmt. Es wird intensiv daran gearbeitet, diese werden auch demnächst kommen, etwa was den Teil betreffend Investitionsförderungen betrifft. Ebenso ist in Bälde ein Abschluss der leider sehr langwierigen Verhandlungen mit der EU-Kommission, was Notifizierung betrifft, zu erwarten. Dann wird es darum gehen, dass die Länder und Gemeinden mitma­chen, denn die Umsetzung liegt ganz, ganz stark in deren Händen, wenn es um Bewil­ligungsverfahren geht, wenn es um Raumplanung geht, wenn es um den Ausbau von Windenergie, Wasserkraft und Fotovoltaik geht.

Gemeinsam werden wir das schaffen, denn immerhin hat kaum etwas eine so hohe Grundzustimmung wie der Ausbau von Ökostrom. – Danke sehr für die mehrheitliche Zustimmung heute. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

13.09


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächster hat sich Herr Staatsse­kretär Dr. Magnus Brunner zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm. – Bitte.


13.09.51

Staatssekretär im Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie Dr. Magnus Brunner, LL.M.: Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Bundesräte! Ich wollte eigentlich inhaltlich nicht viel sagen, weil es wie gesagt um einen Verweisfehler geht, der heute korrigiert wird, aber Kollege Bernard hat mich natürlich schon sozusagen indirekt aufgefordert, ein paar Dinge klarzustellen.

Das ist zum Ersten einmal die ökosoziale Steuerreform, die du genannt hast: Das ist einfach – das ist, glaube ich, ganz klar, ist jedem klar, der sich damit beschäftigt – das größte Steuerentlastungspaket, das wir je gehabt haben; das ist eindeutig. (Rufe bei der SPÖ: Nein! – Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es ist vor allem auch zum ersten Mal - ‑ (Rufe bei der FPÖ: Nein! – Zwischenruf des Bundesrates Bernard.) – Lass mich einmal ausreden! (Beifall bei ÖVP und Grünen.) Das hat vorher noch niemand geschafft (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann), das ist eigentlich auch das Geniale, und da­rum heißt es ökosozial: Es ist auf der einen Seite zum ersten Mal der Einstieg in eine CO2-Bepreisung. Das hat es noch nie gegeben. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das ist unbedingt notwendig. Die erstmalige Umsetzung dieser CO2-Bepreisung ist auch ein Teil eines Gesamtpakets – ich komme dann zum Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das ist nämlich auch ein Teil davon. (Bundesrat Bernard: Am Land ...!)

Auf der anderen Seite gibt es eine Entlastungsseite – da bin ich jetzt beim ländlichen Raum, weil du (in Richtung Bundesrat Bernard) es angesprochen hast –: Natürlich, der


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Klimabonus ist genau dafür da, nämlich den Ausgleich zu schaffen, auf die Lebensreali­täten entsprechend Rücksicht zu nehmen, und das ist genau in der Länderkammer ei­gentlich der entscheidende Punkt, also das ist überhaupt kein Thema. Dieses Eingehen auf die Lebensrealitäten der Menschen ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig, weil wir die Ziele nur erreichen werden, wenn wir die Menschen mitnehmen, wenn wir die Unterneh­men mitnehmen, damit uns nicht das Gleiche passiert wie in der Schweiz bei einer CO2-Abstimmung oder in Frankreich mit den Gelbwesten. Genau das müssen wir verhindern, und das verhindern wir auch, indem der soziale Ausgleich – das ist das Soziale am Öko­sozialen – auch entsprechend gegeben ist.

Neben der ökosozialen Steuerreform ist das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz Teil dieses Gesamtpakets – das wurde bereits erwähnt. Das ist das größte Investitionspaket, das wir in den letzten 20 Jahren erlebt haben: 1 Milliarde Euro pro Jahr, die investiert wird, 30 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Investitionen, die ausgelöst werden, in den nächsten zehn Jahren. Weil du (in Richtung Bundesrat Bernard) es auch angesprochen hast: natürlich nicht nur mit Fotovoltaik und Wind, denn wir werden jede Kilowattstunde an erneuerbarem Strom brauchen, wenn wir die Ziele erreichen wollen, vor allem das 2030er-Ziel von 100 Prozent erneuerbarem Strom aus Österreich für Österreich – jede Kilowattstunde! Deswegen haben wir auch geschaut, dass in Zukunft neben der Fotovol­taik, neben der Windkraft natürlich auch Biomasse – auch die bestehenden Anlagen bei der Biomasse – und Wasserkraftausbau eine Rolle spielen.

Das ist ein Rieseninvestitionspaket. Das sind Anreize, die mit diesem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz gesetzt werden. Ich glaube, mit der Steuerreform, mit dem Erneuerba­ren-Ausbau-Gesetz ist das ein fantastisches Paket – das hat es noch nie gegeben. Zudem sind im Budget auch noch andere Dinge enthalten, was den Umstieg auf neue Heizformen betrifft.

In nächster Zeit kommt noch einiges auf uns zu. Es kommt das Energieeffizienzgesetz auf uns zu (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann), es kommt das Wärmegesetz auf uns zu. Bei diesem werden die Länder eine ganz entscheidende Rolle spielen, weil das Thema zum Großteil in Länderkompetenz ist. Da sind die Länder Gott sei Dank auch schon sehr stark eingebunden – das ist auch gut so.

Da kommt also in den nächsten Monaten noch einiges auf die Bundesregierung zu. Einen Teil haben wir mit der ökosozialen Steuerreform und mit dem Erneuerbaren-Aus­bau-Gesetz geschafft. Ein erster Einstieg in eine CO2-Bepreisung: Das war dringend notwendig und wichtig, wie auf der anderen Seite auch, die Lebensrealitäten der Men­schen zu berücksichtigen und eine entsprechende Entlastung, die hiermit gegeben ist. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

13.13


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Zu Wort gemeldet ist Günter Kovacs. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


13.13.48

Bundesrat Günter Kovacs (SPÖ, Burgenland): Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, du hast mich direkt noch gezwungen, hier herauszukommen. (Bundesrätin Zwazl: ... brauchst dich nicht dazu zu zwingen!) – Die ÖVP, gell. (Allgemeine Heiterkeit.)

Ich möchte schon noch eines festhalten – vor allem für viele Pendlerinnen und Pendler ‑: Wenn die CO2-Steuer der große Wurf ist – wir haben es ausgerechnet, 400 Euro - - Ja, Frau Präsidentin (in Richtung Bundesrätin Zwazl), du lachst da immer wieder. (Bundes­rätin Zwazl: Na, ich habe gar nicht gelacht!) Pendlerinnen und Pendler haben 400 Euro Mehrkosten im Jahr, das lassen wir uns sicher nicht als riesengroßen Erfolg seitens der Bundesregierung verkaufen. Es ist für mich unfassbar, wie man das nur andenken kann. (Beifall bei SPÖ und FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 88

Auch die Wiener sind in dieser Sache völlig benachteiligt: 200 Euro am Land, 100 Euro in der Stadt. Wir haben es in den letzten Tagen gehört: Herr Bader, sind die Heizkosten in Wien günstiger? – Wahrscheinlich eher nicht, das heißt, das ist auch eine völlig unge­rechte Maßnahme. Dieses Paket schimpft sich vielleicht von Ihrer Seite ein riesengroßer Erfolg, von unserer Seite sicher nicht. – Danke schön. (Beifall bei der SPÖ.)

13.15


13.15.07

Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Gibt es noch weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall.

Wir gelangen zur Abstimmung. – Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.

Dieser Beschluss ist ein Fall des Art. 44 Abs. 2 B-VG und bedarf daher der in Anwesen­heit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.

Ich stelle zunächst die für die Abstimmung erforderliche Anwesenheit der Mitglieder des Bundesrates fest – anwesend sind 58 Mitglieder, also mehr als die Hälfte.

Wir gelangen zunächst zur Abstimmung, gegen den vorliegenden Beschluss des Natio­nalrates keinen Einspruch zu erheben.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben, um ein Handzeichen. – Es ist dies die Stimmenmehrheit. Der Antrag, keinen Einspruch zu er­heben, ist somit angenommen.

Nunmehr lasse ich über den Antrag abstimmen, dem vorliegenden Beschluss des Natio­nalrates gemäß Art. 44 Abs. 2 B-VG die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, um ein Handzeichen. Auch ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch und ebenso der Schriftführer. – Es ist dies die Zweidrittelmehrheit. Der gegenständliche Antrag ist so­mit unter Berücksichtigung der besonderen Beschlusserfordernisse angenommen.

Ausdrücklich stelle ich die verfassungsmäßig erforderliche Zweidrittelmehrheit fest.

13.17.155. Punkt

Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innova­tion und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2020 (III-752-BR/2021 d.B. sowie 10743/BR d.B.)

6. Punkt

Verkehrstelematikbericht 2021, vorgelegt von der Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (III-754-BR/2021 d.B. sowie 10744/BR d.B.)


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Wir gelangen nun zu den Tagesord­nungspunkten 5 und 6, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatterin zu den Punkten 5 und 6 ist Frau Bundesrätin Elisabeth Mattersber­ger. – Ich bitte um die Berichte.


13.17.54

Berichterstatterin Elisabeth Mattersberger: Hohes Präsidium! Herr Staatssekretär! Kolleginnen und Kollegen! Ich erstatte Bericht über die Verhandlungen des Ausschusses für Verkehr über den Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mo­bilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2020.


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Der Bericht liegt in schriftlicher Form vor, ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 den Antrag, den Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskontrollen im Jahr 2020 zur Kenntnis zu nehmen.

Des Weiteren erstatte ich Bericht über die Verhandlungen des Ausschusses für Verkehr über den Verkehrstelematikbericht 2021, vorgelegt von der Bundesministerin für Klima­schutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie.

Dieser Bericht liegt Ihnen ebenfalls vor, ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 den Antrag, den Verkehrstelematikbericht 2021, vorgelegt von der Bundesministerin für Kli­maschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, zur Kenntnis zu neh­men.

Danke schön.


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross. Ich erteile ihm dieses. – Bitte.


13.19.42

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Hohes Haus! Herr Staatssekretär! Wie wichtig Unterwegskontrollen sind, sieht man sehr ein­deutig an der Statistik in diesem Bericht. Es ist durchaus erschreckend, was da alles auf den Straßen herumfährt und in welchem Umfang die Fahrer unter Druck stehen und Ruhebestimmungen nicht einhalten beziehungsweise nicht einhalten können.

Im Jahr 2020 wurden rund 120 000 Fahrzeuge mit Verdacht auf technische Mängel einer so­genannten anfänglichen technischen Unterwegskontrolle unterzogen. Fast 17 000 Fahr­zeuge wurden dann in der Folge einer, wie man das nennt, gründlicheren technischen Unterwegskontrolle unterworfen. Dabei wurden von diesen 17 000 wiederum 9 900 aus­findig gemacht, die dermaßen massive Mängel hatten, dass sie nicht mehr verkehrs- und betriebssicher waren. Diese Fahrzeuge müssen dann vor einer weiteren Verwen­dung entsprechend repariert werden. Von diesen 9 900 wiesen über 3 600 Fahrzeuge sogar Mängel mit Gefahr im Verzug auf. Das bedeutet, die Mängel sind so schwerwie­gend, dass jedwedes Weiterfahren nicht möglich ist und die Nummerntafeln vor Ort ab­genommen werden.

Das zeigt übrigens auch die hohe Effizienz der Kontrollen in Österreich. Von den 17 000 Fahrzeugen, die einer gründlichen Kontrolle zugewiesen wurden, hatten wie er­wähnt 9 900 schwere Mängel. Das sind 60 Prozent. Das zeigt also auf, dass die an­fängliche Stichprobenkontrolle sehr professionell durchgeführt wird.

Neben der technischen Kontrolle spielt die Überwachung der Sozialvorschriften im Stra­ßenverkehr eine wichtige Rolle bei den Kontrollen von Lastkraftwagen. So wurden 2020 circa 73 000 Fahrer mit in Summe 1,2 Millionen Arbeitstagen kontrolliert. Leider wurden dabei sehr viele Verstöße gegen diese Sozialvorschriften festgestellt. Da geht es vor allem um Lenkzeiten, um Ruhezeiten und auch um Manipulation an den Kontrollgeräten. Das – und es ist mir wichtig, das zu betonen – ist allerdings weniger den Fahrern zuzu­schreiben, sondern den Arbeitsbedingungen und dem Zeitdruck, unter dem sie stehen. Also wäre auch dort entsprechend anzusetzen.


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Es zeigt sich zweifelsfrei, welche Bedeutung die Unterwegskontrollen für die Sicherheit haben, denn nach wie vor ist der Blutzoll auf Österreichs Straßen hoch – zu hoch. Trotz ge­ringerem Verkehrsaufkommen 2020 gab es immer noch 344 Tote und über 38 000 ver­letzte Menschen.

Unterwegskontrollen sind auch wichtig für Umwelt und Klimaschutz, da auch die Ab­gasrückhaltesysteme und -reinigungssysteme untersucht werden. Leider kommen bei den sogenannten Adblue-Systemen immer wieder Manipulationen vor, es wird immer wieder versucht, sie zu umgehen.

Es zeigt sich auch, wie wichtig diese Kontrollen für eine Gruppe sind, die ohnehin sehr harte Arbeitsbedingungen hat. Die Kontrollen erfolgen zum Schutz der FahrerInnen, auch wenn es vielleicht im ersten Moment nicht so aussieht, und zwar doppelt: Es geht um die Sicherheit der Fahrzeuge, die sie lenken – sie sind ja nicht ihr Eigentum –, und es geht um die Einhaltung der Ruhebestimmungen. Natürlich dürfen die Fahrer und Fahrerinnen nicht zum Buhmann gemacht werden, das ist völlig klar. Der Grund liegt schon woanders: Es liegt an den Spediteuren und an dem extremen Druck, unter dem sie stehen. Man sieht übrigens in der Statistik sehr schön, dass Verstöße gegen die Ruhezeiten vor allem bei Fahrern aus anderen EU-Staaten festgestellt werden. Sie sind am stärksten betroffen. Da darf man getrost annehmen, dass das in einem großen Aus­maß vor allem sogenannte scheinselbstständige Fahrer aus Oststaaten sind, die unter ganz, ganz miserablen Bedingungen arbeiten müssen. Jedenfalls ein Danke an die Leu­te vor Ort, da wird gute Arbeit gemacht. Es ist ja auch ein Job, der nicht immer so lustig ist.

Noch kurz zum Verkehrstelematikbericht, der zugegeben sehr technisch daherkommt. Es ist wahrlich ein spannender Bericht, der einen Blick in die Zukunft erlaubt, in die Zu­kunft der Mobilität, weil kaum ein anderes Feld so von der fortschreitenden Digitalisie­rung betroffen ist. Da geht es um Verkehrssteuerung und ‑lenkung, um Kommunikations-, Ortungs- und Navigationssysteme, um Bezahlsysteme und so weiter. Dieser Bericht ist durchaus eine Fundgrube und zeigt eindrücklich, was sich da in Österreich alles tut.

Ich greife zwei Projekte kurz heraus, um sie auch ein bisschen aus der Abstraktion zu holen. Das erste Projekt kommt auch noch ein bisschen sperrig daher, das sind die soge­nannten Cooperative Intelligent Transport Systems, das Kürzel – auf Deutsch ausge­sprochen – C-ITS kann man sich vielleicht merken, Sie werden in Zukunft mit Sicherheit davon hören. Dabei geht es darum, dass Fahrzeuge auf der Straße miteinander kommu­nizieren – und nicht nur das. Es kommunizieren also nicht nur die Fahrzeuge miteinan­der, sondern sie empfangen auch Informationen von Sensoren, die am Straßenrand oder an der Straßeninfrastruktur angebracht sind und Informationen in die Fahrzeuge ein­speisen.

Das heißt ganz praktisch zum Beispiel, dass man im Auto informiert wird, wenn einer der vorausfahrenden Wagen plötzlich abbremst. Das wird sofort in der Informationskette wei­tergegeben, und man wird am Armaturenbrett gewarnt. Theoretisch könnte es so weit gehen, dass dann das Auto zum Beispiel automatisch abbremst. Oder man wird infor­miert, wenn sich ein Fahrzeug auf der falschen Spur befindet, Stichwort GeisterfahrerIn­nen beispielsweise. Es können zwischen den Autos Informationen weitergereicht wer­den. Jenes weiter vorne kann genau angeben, in welcher Distanz sich ein Stau befindet, mit welcher Geschwindigkeit man sich nähert, wie lange dieser Stau ist und so weiter. Oder man wird darüber informiert, in welcher Distanz und auf welcher Seite sich eine Fahrbahnverengung befindet. Das ist besonders wichtig bei schlechter Sicht. Es gibt im­mer wieder Unfälle, bei denen Autos in Baustellenabgrenzungen hineinfahren und dabei auch Menschen verletzen, die dort arbeiten. Die Asfinag ist sehr intensiv dabei, diese Einrichtungen einzubauen und die Systeme entsprechend auszustatten. Das können außerdem Infos über Ampelphasen, über Geschwindigkeitsbeschränkungen, über den


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Status vor Eisenbahnkreuzungen und so weiter sein, viele Dinge. Das dient dem Stress­abbau, aber natürlich vor allem der Verkehrssicherheit.

Ein zweites Beispiel aus den vielen Projekten hat auch ein englisches Kürzel: GIP4Rad­routing, eine sehr schöne Sache, eine nette Sache, die auch an Bedeutung gewinnen wird. Erstmals wird es in Österreich ein eigenes Radrouting für Fahrräder geben. Tirol ist übrigens Pilotbundesland. Da gibt es einheitliche Basisdaten zu Radwegen, Radrou­ten, Radwanderwegen, Mountainbikerouten, Rennradrouten und so weiter. Diese wer­den standardisiert und in einer hohen Qualität von einer neutralen Plattform zur Verfü­gung gestellt. Da gibt es auch eine detailgenaue Erfassung der Straßenquerschnitte. Man weiß dann beispielsweise genau, auf welcher Seite die Radstreifen sind, erhält Infos über Straßenbeläge und so weiter.

Das ist eine sehr schöne und wichtige Sache, weil Radfahren ein sehr großes Potenzial hat. Das wird immer noch unterschätzt. Über 60 Prozent aller Wege, die mit dem Auto zurückgelegt werden, sind unter zehn Kilometer lang. Das ist schon eine riesige Ver­kehrsmenge, und das sind Distanzen, die man mit dem Rad ganz wunderbar bewerkstel­ligen kann, vor allem jetzt mit den E-Bikes. Solche Navisysteme sind natürlich ganz wich­tig, weil Mobilität etwas Besonderes ist. Mobilität ist ein Grundbedürfnis und muss frei sein. Sie muss ökologisch und leistbar sein. Das braucht vor allem eine Veränderung des Modal Split: weg vom Auto, weil es das Teuerste ist, hin zum Fahrrad. Diese digitalen Telematiksysteme können das sehr gut unterstützen und sind ein wichtiger Baustein. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

13.28


Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Vielen Dank.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Ing. Judith Ringer. Ich erteile die­ses. – Bitte.


13.29.05

Bundesrätin Ing. Judith Ringer (ÖVP, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuschauerin­nen und Zuschauer! Mein Vorredner hat ja schon erklärt, worum es bei diesen Tagesord­nungspunkten geht. Ich möchte das nur noch einmal kurz zusammenfassen. Die Unter­wegskontrollen waren natürlich auch 2020 eingeschränkt, bedingt durch die allgemeinen Maßnahmen, aber sie sind wichtig, nicht nur zur Sicherstellung der Fahrtauglichkeit und der Verkehrssicherheit, sondern sie dienen auch der Verhinderung von Wettbewerbsver­zerrungen. Da ist aus meiner Sicht vor allem wichtig, dass diese Kontrollen effizient und zeitsparend durchgeführt werden, damit die Lkw-Fahrerinnen und ‑fahrer sowie die Om­nibusfahrerinnen und ‑fahrer dadurch nicht lange aufgehalten werden.

Das wird in dem Bericht durch die anfänglichen Sichtkontrollen bestätigt. Österreich nimmt diese Kontrollen als Transitland sehr ernst und überschreitet mit 120 363 Über­prüfungen das von der EU vorgegebene Mindestmaß von 8 700 Überprüfungen um ein Vielfaches.

Ich finde es sehr gut, dass es Abstimmungen und gemeinsame Schulungen der Beauf­tragten aus den Ländern und der Asfinag gibt, um eine einheitliche Beurteilung innerhalb Österreichs sicherzustellen. Leider mussten auch dabei coronabedingt Abstriche ge­macht werden. Bei über 9 900 Fahrzeugen wurden schwere und gefährliche Mängel festgestellt, 3 600 wurden sofort aus dem Verkehr gezogen. Bemerkenswert finde ich den hohen Anteil von 59 Prozent an Fahrzeugen, die bei eingehender Untersuchung derartige Defizite aufwiesen. Im EU-Durchschnitt sind es nämlich nur 7,6 Prozent. Nur in Estland, Italien und Malta sind es mehr als 50 Prozent. (Präsident Raggl übernimmt den Vorsitz.)


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Sinnvoll ist auch die Weiterleitung der Information über Mängel von ausländischen Fahr­zeugen an die betroffenen Staaten innerhalb der EU und umgekehrt.

Beim Thema Adblue entwickelt sich anscheinend die Manipulation zur großen Heraus­forderung, und dem wird Rechnung getragen, indem es eine eigene Arbeitsgruppe gibt, die von der Technischen Universität Wien unterstützt wird.

Auch im Bereich der Verkehrstelematik haben wir in Österreich einige Vorzeigeprojekte vorzuweisen. So sind wir das erste Land, das eine straßenseitige Ausrollung des koope­rativen ITS-Systems im Autobahnnetz macht. Das sind die ersten Bausteine für ein ko­operatives und integratives automatisiertes Mobilitätssystem. Es soll dazu 575 Straßen­stationen und eine zentrale Station geben. Weiters gibt es im urbanen Raum, in den Städten Wien, Salzburg und Graz, auch schon Pilotversuche in diesem Bereich.

Mit der Digitalisierung im Verkehrsbereich eröffnen sich viele Chancen, vor allem im Be­reich der Verkehrssicherheit, wie mein Kollege schon erwähnt hat, in der rechtzeitigen Absicherung der Baustellen und in entsprechenden Warnungen. Auch die Vernetzung der vorhandenen Verkehrsinformationen ist ein wichtiger Baustein. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Einbindung des Bahn- und Radverkehrs. Gerade Letzterer ist ein Punkt, bei dem ich auch ein großes touristisches Potenzial sehe.

Außerdem werden im Bericht auch Forschungsprojekte zur Entwicklung nachhaltiger Mobilität wie das Güterverkehrsmodell Ostregion vorgestellt. Alles in allem nimmt unser Land da eine Vorreiterrolle ein, und die gilt es weiter auszubauen. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

13.33


Präsident Dr. Peter Raggl: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Bundesrat Horst Schachner. – Bitte.


13.33.33

Bundesrat Horst Schachner (SPÖ, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat! Jetzt sind ja schon viele draußen – beim Mittagessen, glaube ich –, da kann ich es kurz machen.

In Wirklichkeit hat Adi Gross – das muss man ganz ehrlich sagen – einen super Bericht gegeben, hat alles ganz richtig gesagt. Was aber noch ganz wichtig anzumerken ist: Dass man bei 120 000 Kontrollen in Österreich 10 000 Fahrzeuge mit wirklich schweren Mängeln findet, muss einem schon zu denken geben. Was für mich auch ganz wichtig ist, gerade wenn die Leute tagtäglich draußen auf der Straße sind, ist, dass es bei all den Kontrollen bei uns in Österreich bei 59 Prozent mehr oder weniger schwere Bean­standungen gibt, während der EU-Durchschnitt nur bei 7,6 Prozent liegt. Das gibt einem eigentlich zu denken.

Was heißt das jetzt? Kontrollieren wir strenger, kontrollieren wir besser, haben die ande­ren EU-Staaten weniger strenge Kontrollen oder kontrollieren sie gar nicht? Ich glaube, wir sollten uns noch Gedanken darüber machen, wie das zustande kommt und in Zukunft sein soll.

Zu den Kontrollen der Lenk- und Ruhezeiten muss ich auch ganz ehrlich sagen: Der Fahrer kann nichts dafür, wenn um 5 Minuten, 10 Minuten, 15 Minuten oder 20 Minuten überzogen wird. Das gehört auch abgestraft – aber nicht der Fahrer, denn der steckt ja im Stau oder sonst irgendetwas.

Da gibt es eine Menge Probleme, bei denen wir auch diskutieren müssen, wie wir das Gesetz neu aufsetzen können, damit das nicht immer wieder passiert, denn noch einmal: Wenn der Fahrer heute nach Wien hineinfährt, dann 1,5 Stunden im Stau steht und seine Fahrzeit um 10 Minuten überzieht, was heißt das für den Fahrer? – Der Fahrer kriegt


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dann eine Strafe von über 1 000 Euro, wenn ihm das ein-, zweimal passiert, und die muss er aus seiner eigenen Tasche zahlen – abgesehen davon, dass der Unternehmer genauso gestraft wird.

Ich glaube, da müssten wir uns irgendetwas überlegen, wie man ein solches Gesetz eventuell anders schreiben kann. Nichtsdestotrotz kann es aber nicht sein, dass man jetzt sagt: Eine Viertelstunde wird toleriert!, oder: 10 Minuten werden toleriert!, sondern dann muss man es sich eben so einteilen, dass man sagt: Okay, mit dieser Zeit muss man einfach auskommen. – Ich weiß, dass das ein gordischer Knoten ist, und er wird nicht so einfach zu lösen sein, aber trotzdem gehört da in Wirklichkeit etwas gemacht.

Wenn 73 000 Lenker kontrolliert wurden und es dabei 107 000 Verstöße gegeben hat, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss uns das ja auch zu denken geben – dass man da irgendetwas machen muss. Der Druck auf die Fah­rerinnen und Fahrer ist eigentlich viel zu groß, und man merkt es ja auch: Es gibt ja fast keine Lenker mehr, es will ja niemand mehr mit einem Lkw fahren, es will niemand mehr die Dinge, die wir tagtäglich brauchen, irgendwo hinbringen, weil das Image der Fahrer einfach am Boden ist.

Man findet keine Fahrer. Ich selber komme ja auch aus einem Betrieb, in dem wir Bus­lenker beschäftigt haben. Wir haben 500 Buslenker beschäftigt, und ich kann nur sagen, es ist keine einfache Geschichte mehr, einen Buslenker zu finden. Wir zahlen nicht so schlecht, aber im Güterbeförderungsbereich wird ja auch noch schlecht gezahlt, da passen die Arbeitsbedingungen von hinten bis vorne nicht, und deshalb muss man da schleunigst etwas machen, damit wir nicht Verhältnisse bekommen, wie es sie jetzt in Großbritannien gibt: dass die Regale leer sind und die Menschen nichts mehr einkaufen können. Das ist nämlich die Wahrheit. (Beifall bei der SPÖ.)

Zum Verkehrstelematikbericht kann ich auch nur sagen, dass eigentlich wirklich alles gesagt worden ist. Was mir beim Verkehrstelematikbericht ein bisschen aufgefallen ist: Warenanhänger, die eine Lichtanlage haben, sind 4 Meter hoch, und wenn die irgendwo stehen, aufgrund von Reparaturarbeiten, Unfällen oder sonst irgendetwas, werden sie oft – jedes Jahr 10 Prozent dieser Warenanhänger – weggeschoben oder angefahren beziehungsweise gibt es Unfälle. Das muss uns auch zu denken geben: 10 Prozent der Warenanhänger, die 4 Meter hoch sind und ein Licht haben, das normalerweise jeder früh genug sehen müsste. Da müssen wir wirklich darüber nachdenken, wie wir das re­duzieren können, denn was heißt das? – Das heißt, jemand hat ihn übersehen und fährt dann hinein, weil der Anhänger eben hinter einer Kuppe oder sonst irgendwo steht.

Ich glaube, da muss man vieles für die Menschen machen. Vergessen wir bei der ge­samten Digitalisierung nicht: Das Fahren erfordert, dass Menschen das tun. Die Fahre­rinnen und Fahrer sollen bei der Digitalisierung auch ihre Sichtweise, vielleicht ihre Prak­tiken und das, was sie brauchen, mit einbringen können, damit wir in Zukunft, sage ich jetzt einmal, diesen Telematikbericht verstärkt auf Fahrerinnen und Fahrer ausrichten können. Solange nicht alles voll automatisiert ist, bringt nämlich der Fahrer oder die Fah­rerin – und nicht ein Computernetzwerk – die Ware. Das ist die Wahrheit. – Danke, Glück auf! (Beifall bei der SPÖ.)

13.38


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke für den Redebeitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Bundesrat Michael Bernard. – Bitte.


13.38.36

Bundesrat Michael Bernard (FPÖ, Niederösterreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Kollegen im Bundesrat! Sehr geehrte Damen und Herren auf der Galerie und vor den Bildschirmen! Eines vorweg: Die Sicherheit von sich


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im Verkehr befindenden Fahrzeugen ist sehr wichtig. Die Sicherheit von Menschen, die ein Kfz lenken, ist auch sehr wichtig, dazu stehe ich auch.

Was verstehe ich darunter? – Ein Lkw mit abgefahrenen Reifen, defekten Bremsen, gebrochenen Blattfedern: Das sind schwere Mängel, das gehört geahndet, und solche Lkws sind auch nicht verkehrssicher. Lenker von Lkws, die die Lenkzeiten um mehrere Stunden überziehen, dadurch übermüdet unterwegs sind und so die Verkehrssicherheit gefährden, gehören auch zur Verantwortung gezogen.

Die technischen Unterwegskontrollen sollen ein entscheidendes Element sein, um wäh­rend der gesamten Nutzungsdauer eines Nutzfahrzeuges ein beständig hohes Niveau der Verkehrs- und Betriebssicherheit zu erreichen. Sie sollen helfen, Wettbewerbsver­zerrungen im Straßenverkehrssektor zu verhindern, die dadurch entstehen, dass hinge­nommen wird, dass das Kontrollniveau je nach Mitgliedstaat unterschiedlich ist. So steht es auch als Grundlage im Bericht.

Um den Zeitverlust für Unternehmen und Fahrzeugführer möglichst gering zu halten und um die Wirksamkeit von technischen Unterwegskontrollen insgesamt zu verbessern, sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, die gemeinsame Durchführung von technischen Unterwegskontrollen und von Kontrollen insbesondere der Einhaltung von Sozialvor­schriften im Straßenverkehr zu fördern.

Des Weiteren beinhaltet der Bericht das Thema Austausch der Prüfergebnisse durch die nationalen Kontaktstellen: Seit Anfang des Jahres 2019 werden von der Asfinag als nationaler Kontaktstelle in Österreich inländische Prüfergebnisse, welche mit schwerem Mangel beurteilt wurden, den Heimatbehörden der betroffenen Länder zur Kenntnisnah­me übermittelt. Die ausländischen Behörden werden dadurch in die Lage gebracht, wir­kungsvoll gegen in den jeweiligen Mitgliedstaaten zugelassene Fahrzeuge, die die Ver­kehrssicherheit ernsthaft gefährden, vorzugehen. So wurden seitens der österreichi­schen Kontaktstelle 9 931 diesbezügliche Informationen an die Kontaktstellen der Mit­gliedstaaten übermittelt. Im Gegenzug erhielt die österreichische Kontaktstelle lediglich 38 Berichte über mangelhafte österreichische Fahrzeuge von den anderen europäi­schen Behörden. Diese wurden an die zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden weiter­geleitet.

Diese Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, und im Zuge dessen möchte ich mich bei allen Werkstätten, Unternehmern und Mitarbeitern, die mit dem Sektor Lkw-Fuhrpark zu tun haben und damit für die Verkehrssicherheit auf unseren Straßen einen wesentli­chen Beitrag leisten, bedanken. (Beifall bei der FPÖ.)

Nun zum Thema Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten: Im Jahr 2020 wurden im Rahmen der Überwachung der Sozialvorschriften im Straßenverkehr – wir haben es vorhin schon gehört – von Mitarbeitern der Polizei 73 277 Lenker von Fahrzeugen zur Personenbeför­derung und Güterbeförderung, die diesen Vorschriften unterliegen, kontrolliert. In den Kontrollzahlen sind eigene Staatsangehörige sowie Angehörige von anderen Mitglied­staaten und von Drittstaaten beinhaltet. Im Zuge dieser Kontrollen wurden im Jahr 2020 1 228 758 Arbeitstage anhand von Schaublättern und Auswertungen von Fahrerkarten geprüft und dabei 107 723 Verstöße gegen die Sozialvorschriften festgestellt.

Bei der Verkehrsausschusssitzung habe ich die genauen Details, um diesen Bericht be­werten zu können, urgiert und diese auch bekommen. Das ist in letzter Zeit nicht selbst­verständlich, und dafür möchte ich mich auch bei den handelnden Personen bedanken.

Aus dem Detailbericht geht hervor, dass von den 107 000 Verstößen ein Drittel, nämlich 35 000, von eigenen Staatsangehörigen begangen wurden und zwei Drittel von fremden Staatsangehörigen oder von Angehörigen von Drittstaaten begangen wurden. Das zeigt wieder, dass sich unsere Fahrzeuglenker an unsere Gesetze halten und trotzdem dafür


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sorgen, dass es in ganz Österreich diesbezüglich keine Probleme gibt, dass Lebens­mittel, Güter des täglichen Lebens pünktlich geliefert werden; bis zum Abtransport von Müll – dafür einen großen Dank von uns Freiheitlichen. (Beifall bei der FPÖ.)

Leider wird aber in diesem Bereich den Unternehmern, den Dienstnehmern die hervor­ragende Arbeit, die sie zum Wohle der Bevölkerung leisten, sehr erschwert, nämlich derart erschwert, dass viele den Job als Lkw-Fahrer an den sogenannten Nagel hängen. Warum ist das so? – Ich kann es Ihnen sagen und es auch mit Zahlen aus der urgierten Liste belegen: Von den 35 000 sogenannten Verstößen sind 7 194 wegen Fahrtunterbre­chung, 8 619 Verstöße deshalb, weil nicht alle Nachweise mitgeführt wurden, und ein kleiner Teil von 2 716 Verstößen wegen Überschreitung der täglichen Lenkzeit.

Nun zu den Details, erklärt mit praktischen Beispielen: Ein anständiger Familienvater, ver­heiratet, im Haushalt mit seinen drei Kindern lebend, hat ein Nettogehalt von 2 400 Euro, das er sich mit ein paar Überstunden mühevoll erarbeitet hat, und bekommt eine Strafe in der Höhe von unglaublichen 1 800 Euro. Warum und wofür? – Nicht, weil er stunden­lang die Lenkzeiten überzogen hat, nein, sondern weil er nicht genau – minutengenau – nach viereinhalb Stunden Lenkzeit seine Pause macht. Dies wird zusätzlich durch eine grüne Verkehrsministerin angeheizt, die, anstatt Straßen ausbauen zu lassen, Verkehrs­projekte behindert und verhindert, unterstützt von Linksextremisten, die bei abgehalte­nen Pressekonferenzen für Straßenprojekte den Vortragenden Torten ins Gesicht schmeißen und das Dach des Gastronomen eintreten und anzünden. (Beifall bei der FPÖ.)

Steht man zum Beispiel auf der Südosttangente im Stau, so ist die minutengenaue Ein­haltung der Zeit sehr schwer möglich. Für ein Überziehen über 5 Minuten erhält der Mit­arbeiter 100 Euro Strafe und der Dienstgeber bekommt auch noch eine zusätzliche Strafe.

Auf der Fahrerkarte sind die Daten eines längeren Zeitraums gespeichert. Bei den Kon­trollen werden diese Fahrerkarten minutengenau ausgelesen und die Mitarbeiter für ei­nen längeren Zeitraum rückwirkend bestraft. Das Wort Sozialbetrug, welches vom grü­nen Vorsitzenden, Herrn Kollegen Bundesrat Gross, zu diesem Thema sensationell fak­tenbefreit in den Mund genommen wurde, nur zu erwähnen, weise ich strikt zurück, und ich stelle mich schützend vor die anständigen Mitarbeiter und Unternehmer. (Beifall bei der FPÖ.) Diese Handlungen haben nichts mit Verkehrssicherheit zu tun, sondern gehen Richtung Abzocke.

Nun noch ein paar Worte zum Thema der technischen Überprüfung der Lkw: Wenn ein Haarriss im Heckcelon – das Licht funktioniert – ein schwerer Mangel ist und mit 150 Eu­ro für den Unternehmer und mit 75 Euro für den Mitarbeiter bestraft wird, ein abgenützter Pedalgummi mit 150 Euro – da fragt man sich, wann der Pedalgummi abgenützt ist – oder eine soeben leer gewordene Scheibenwaschanlage – ebenfalls ein schwerer Man­gel – mit 150 Euro bestraft wird, dann relativieren sich die Zahlen bezüglich schwerer Mängel sehr schnell, und es lässt sich auch die große Differenz zum Durchschnitt der schweren Mängel in anderen Ländern erklären.

Wir Freiheitlichen nehmen die vorgelegten Berichte zur Kenntnis. Ich hoffe aber, ich konnte die Zahlen ein wenig plausibilisieren. Wir Freiheitlichen werden uns weiterhin vor die Bevölkerungsgruppe, welche die Versorgungssicherheit gewährleistet, stellen und uns dafür einsetzen, dass ihre Arbeitsbedingungen wieder so werden, dass sie gerne wieder den Beruf als Lkw-Fahrer ausübt, ohne schikanös behandelt zu werden. (Beifall bei der FPÖ.)


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13.47


Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Harald Himmer. Ich erteile dieses. – Bitte.


13.47.31

Bundesrat Mag. Harald Himmer (ÖVP, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon sehr viel zum vorliegenden Tagesordnungspunkt gesagt worden. Ich selber bin, obwohl ich zugebe, nicht jeden Bericht, der uns zugestellt wird, detailliert durchzuarbeiten, an sich ein Anhänger von diesen Berichten, weil sie doch zur Versachlichung der Debatte beitragen.

Wir haben heute zuvor die Volksanwaltschaft hier gehabt, und ich habe Debatten über Berichte der Volksanwaltschaft schon öfters erlebt und finde das immer wieder faszinie­rend, mit welcher Einigkeit hier die Debatte abgeht, wobei zum Teil auch die Volksan­wälte ehemalige Parlamentarier sind, die die politische Agitation durchaus gelernt ha­ben, und wobei in den Berichten letztendlich auch Politiker unterschiedlichster Couleur in Wahrheit zum Teil auch heftig kritisiert werden. Es gelingt da aber immer wieder, bei der Sache zu bleiben und sich zu bemühen, aus einer gesamthaften Betrachtung der vorliegenden Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Darum geht es eigentlich auch bei den beiden vorliegenden Berichten. Die Berichte ha­ben genau den Sinn, dass es eine Datenevidenz gibt und man aus dieser vorliegenden Datenevidenz dann auch die entsprechenden Konsequenzen ziehen kann. Wir haben im Ausschuss gut Auskunft bekommen und auch eine interessante Debatte gerade die Mängel betreffend gehabt, bei der Kollege Bernard auch aus eigener Erfahrung dann mit Punkten, die er auch jetzt hier vorgebracht hat, Kritik geübt hat.

Ich glaube, dass das ja eigentlich genau der Grund ist, weshalb wir diese Berichte haben: damit es dann eben diese Versachlichung gibt, dadurch, dass tatsächlich alle Fälle er­fasst werden, und damit sich auch Kollege Bernard die Anzahl jener Fälle, die eben auch geringfügigere Delikte betreffen, genau anschauen kann und aufgrund dieser Datenlage natürlich infrage stellen kann, ob die eine oder andere Sanktionierung zutreffend ist. Ich glaube, das ist genau der Grund, weshalb es diese Berichte gibt: damit man das dann auch in die politische Debatte hineinbringen kann.

An dieser Stelle sage ich – ich habe übrigens überhaupt keine Erfahrung, wie es ist, als Fernfahrer unterwegs zu sein, obwohl ich vielleicht selber schon die eine oder andere längere Fahrt gemacht habe –: Ganz generell ist es natürlich so, dass es immer schwierig ist, die Sanktionierung von Überschreitungen wirklich intelligent zu lösen. So­bald man beginnt, Kompromisse zu machen, dass eine Viertelstunde nicht so schlimm ist, ist natürlich eine halbe Stunde auch wiederum nur um eine Viertelstunde länger als eine Viertelstunde, et cetera. Gleichzeitig ist es aber sicher so, dass es nicht sein kann, dass der Lkw-Fahrer persönlich immer die gesamte Verantwortung trägt und für jede Kleinigkeit zum Handkuss kommt.

Was den Verkehrstelematikbericht betrifft, kann ich mich den Worten des Kollegen Gross anschließen, wenn er sagt, er komme ein bisschen technisch daher. – Ja, das sehe ich auch so, daher möchte ich auch jetzt nicht hergehen und die unterschiedlichen Projekte, die darin beschrieben worden sind, mit ihren Begrifflichkeiten zitieren. Was ich aber zu­sammenfassend dazu sagen möchte, ist, dass uns wohl klar ist, dass Themen wie Big Data, Big-Data-Analysen und Cybersecurity enorm wichtige Forschungsschwer­punkte sind und dass auch die herausgearbeiteten Objektbereiche, nämlich im Bereich der Digitalisierung, im Bereich der Vernetzung und im Bereich der Mobilität, enorm span­nende Bereiche sind, welche für intelligente Verkehrsleitsysteme zentral sind.

Bei all diesen Projekten, die da erfasst sind, geht es um große Mengen an Daten. Zum Beispiel hat die Asfinag ja einiges an Verkehrsleitzentralen, kriegt eine Unmenge von Daten hinein, und natürlich ist es sinnvoll, dass diese auch an die Fahrer herangetragen werden, dass beispielsweise nicht nur, sage ich einmal, über Ö3 eine Geisterfahrerwar­nung kommt, sondern dass natürlich auch Informationen über Straßenzustände, über


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Verkehrsunfälle et cetera ganz, ganz rasch in das einzelne Fahrzeug hineinkommen. Da bringt uns die Forschung und die Entwicklung eine Vielzahl an Möglichkeiten, die zu zwei wesentlichen Bereichen, nämlich zur Verkehrssicherheit, aber natürlich auch zur Ökolo­gisierung unseres Verkehrssystems, unserer gesamten Verkehrsleitsysteme, enorm viel beitragen können.

Diese Forschungsschwerpunkte in den unterschiedlichen Bereichen sowie auch die in­ternationalen mit den nationalen Projekten in Verbindung zu bringen, hier regelmäßig zu berichten, damit wir uns auch ein Bild davon machen können, auf dem neuesten Stand sind und auch nicht den Fokus verlieren, als Republik Österreich an der vordersten Front der digitalen Entwicklung zu sein, ist mit Sicherheit sehr sinnvoll. In diesem Zusammen­hang kann man nichts anderes machen, als diesen Bericht natürlich zur Kenntnis zu nehmen. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

13.53


13.53.59

Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank für die Wortmeldung. Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist damit geschlos­sen.

Wir kommen zur Abstimmung, die über die gegenständlichen Tagesordnungspunkte getrennt erfolgt.

Bitte, nehmen Sie Ihre Plätze ein. – Das ist passiert.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Bericht der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über technische Unterwegskon­trollen im Jahr 2020.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen. (Bundesrätin Steiner-Wie­ser – erheitert –: Das ist aber nur wegen dem Magnus! – Staatssekretär Brunner: Dan­ke! – Weitere Zwischenrufe bei der FPÖ.)

Wir gelangen zur Abstimmung über den Verkehrstelematikbericht 2021, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Tech­nologie.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Auch dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

13.55.157. Punkt

Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020, vorgelegt von der Bundes­ministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Techno­logie (III-756-BR/2021 d.B. sowie 10745/BR d.B.)


Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen zu Punkt 7 der Tagesordnung.

Berichterstatterin ist Frau Bundesrätin Isabella Kaltenegger. – Ich bitte um den Bericht.


13.55.34

Berichterstatterin Ing. Isabella Kaltenegger: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Ihnen den Bericht des Ausschusses für Verkehr über den Tätigkeitsbericht der Schienen-Con­trol GmbH 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, zur Kenntnis bringen.


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Der Bericht liegt Ihnen vor, ich komme daher zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Verkehr stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 den Antrag, den Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020, vorgelegt von der Bun­desministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, zur Kenntnis zu nehmen. – Danke schön.


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke schön für die Berichterstattung.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Adi Gross. – Bitte.


13.56.27

Bundesrat Dipl.-Ing. Dr. Adi Gross (Grüne, Vorarlberg): Herr Präsident! Hohes Haus! Ein weiteres Mal: Herr Staatssekretär! Der Schienenverkehr ist zweifelsfrei das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs. Die Bahn ist nicht nur bei uns, sondern international im Auf­schwung, gewinnt an Attraktivität – das war ja nicht immer so –, Bahnhöfe rücken wieder ins Zentrum und werden zu Zentren. In der Nähe von Haltestellen zu wohnen ist inzwi­schen fast schon ein Privileg und sehr begehrt sowie auch teuer geworden – leider.

Dennoch ist es nach wie vor ein harter Kampf, mehr Menschen und Güter auf die Schiene zu bekommen, in die Bahn zu bekommen. Der wachsende Markt bringt auch mit sich, dass der Konkurrenzkampf auf der Schiene deutlich zugenommen hat. Das merkt man am Güterverkehr besonders stark. Da werden bereits von anderen Unterneh­men als den ÖBB 30 Prozent des gesamten Güterverkehrs abgewickelt.

Das Jahr 2020 war bekannterweise ein besonderes. Der Schienenpersonenverkehr hat die Auswirkungen sehr stark gespürt. Die Anzahl der Fahrgäste in Österreich sank um 39 Prozent – das ist schon sehr massiv.

Die größten Rückgänge gab es im Fernverkehr. Das Klimaschutzministerium ist da hel­fend eingesprungen, es gab, wie Sie wissen, die Notvergabe auf der Weststrecke; das heißt, der Bund bestellt die Dienstleistungen, er musste sozusagen die Züge bezahlen. Da haben sich immerhin 160 Millionen Euro angesammelt, die dafür ausgegeben wur­den, dass ein dichtes Intervall aufrechterhalten werden konnte.

Was den Personenverkehr betrifft, ist Österreich gut unterwegs. Es ist Bahnland Num­mer eins in der EU. 1 500 Kilometer pro EinwohnerIn ist man in Österreich Zug gefahren, in Schweden waren es 1 400. Deutlich darüber liegt allerdings noch die Schweiz – sie ist zwar kein EU-Land, aber trotzdem ist die Schweiz natürlich ein Vorbild, was die Bahn betrifft.

Generell haben wir im Personenverkehr grundsätzlich eine erfreuliche Entwicklung. Ei­nen weiteren Schub wird das Klimaticket mit sich bringen. Es wird die Nachfrage schü­ren, gar keine Frage, und in der Folge wird sich auch das Angebot verbessern. Das ist ein ganz normaler Mechanismus, wir sehen das zum Beispiel sehr gut in Vorarlberg, wo wir vor inzwischen sieben Jahren das 365-Euro-Ticket eingeführt haben. Das hat zu ei­nem enormen Anstieg der Fahrgastzahlen geführt und zu einem Nachziehen, einem sehr kräftigen Nachziehen, des Angebotes.

Hervorzuheben ist sicher noch das wirklich tolle Engagement der ÖBB, was die Nacht­züge betrifft, was die Nightjets betrifft. Die ÖBB sind europaweit inzwischen der größte Anbieter, haben das größte Nachtzugnetz. – Das ist sehr schön.

Im Güterverkehr war der Rückgang nicht ganz so massiv wie im Personenverkehr, be­trug aber immer noch um die 7 Prozent. Die Rail Cargo Austria hat allerdings wieder einen Rückgang der Marktanteile erlitten – sie hat immer noch zwei Drittel, aber er geht zurück. Die Konkurrenz am Cargomarkt ist wirklich heftig, da gibt es viele Anbieter. Be­sonders stark ist das auf der Brennerachse und auf der Westachse zu sehen, wo schon fast die Hälfte der Güterverkehrsleistung von anderen bewerkstelligt wird.


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Was ich nicht versäumen möchte zu erwähnen, ist, dass all diese Bahnunternehmen wichtige Arbeitgeber sind. Über 31 000 Menschen finden Beschäftigung in diesen Unter­nehmen, und wenn man noch die Angehörigen mitrechnet, ist das schon ein ganz wich­tiger Faktor.

Durch die Situation 2020 sind jetzt die Trends schwer erkennbar und die Vergleiche mit der Straße schwer zu ziehen, aber was natürlich nach wie vor gilt – das sieht man ja in ganz Europa, leider auch bei uns –: Die Grundherausforderungen bleiben die gleichen, nämlich den Anteil des Gütertransportes auf der Schiene zu erhöhen. Wir haben in Ös­terreich mit etwas über 20 Prozent einen hohen Anteil, das ist international gut, aber natürlich trotzdem – da sind wir uns wohl alle einig – sind wir nicht dort, wo wir hinsollen und -wollen.

Warum ist das so? – Ein Fakt ist, dass die Kostenstruktur der Bahnsysteme nun einmal ist, wie sie ist, und diese erschwert die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Lkw-Ver­kehr. Es ist eine sehr teure und eine sehr aufwendige Infrastruktur, die die Bahn auch selber finanzieren muss – das ist ja anders als bei den Straßen –, aber immerhin gibt es Einigkeit darüber, dass diese Verlagerung stattfinden muss. Man denke nur an die mas­siven Belastungen von Anrainern an Autobahnen und an die fatale Wirkung der Ver­kehrsemissionen auf die Klimaerhitzung. Der Lkw-Verkehr hat um den Faktor 20 höhere spezifische Emissionen als der Bahnverkehr – Faktor 20, das ist schon massiv! ‑, die CO2-Emissionen aus dem Güterverkehr haben sich seit 1990 mehr als verdoppelt.

Diese Entwicklung gilt es mit aller Kraft zu stoppen und zugunsten der Bahn umzudre­hen, und das wird nur gehen, wenn wir endlich dem motorisierten Personen- und Güter­verkehr die Kosten anrechnen, die er auch tatsächlich verursacht – und die sind riesig.

Der gesamte Straßenverkehr – Pkw und Lkw – verursacht im Jahr in Österreich 7 bis 10 Milliarden Euro an Kosten, die nicht über die Treibstoffe bezahlt werden: 7 bis 10 Mil­liarden Euro jedes Jahr, die einfach auf die SteuerzahlerInnen umgelegt werden. Darin liegt natürlich die entscheidende Wettbewerbsverzerrung und die entscheidende Sub­vention, gerade beim Schwerverkehr und übrigens auch beim individualen Personenver­kehr.

Ein erfreulicher Beginn wurde nun mit der Bepreisung von CO2 gemacht. Ich habe es heute ja noch nicht erwähnt und möchte auch ein paar Sätze zur ökosozialen Steuerre­form anbringen: Das Modell, wie es jetzt vorliegt, ist gut. Es sieht eine dynamische Ent­wicklung des Preises vor und bringt sämtliche Einnahmen wieder zurück, sodass in Sum­me in der Volkswirtschaft keine Mehrbelastung entsteht. Das ist sehr wichtig. Beziehern kleiner Einkommen bleibt automatisch schon dadurch mehr, dass sie deutlich geringere Emissionen verursachen und ihnen somit auch mehr vom Bonus, der zurückgespielt wird, bleibt.

Ich bin jetzt auch schon lange im Klimaschutz engagiert, und nach mindestens drei Jahr­zehnten Debatte über eine ökosoziale Steuerreform haben wir es endlich geschafft, die­se einzuführen. Sie wird bleiben und sie wird exponentiell wichtiger werden. Es werden zunehmend Investitionsentscheidungen durch dieses Modell beeinflusst werden, und allen muss klar sein, dass CO2 sukzessive teurer werden wird.

Was wichtig ist: Es kann umgestiegen werden. Da muss ich Kollegin Rendi-Wagner schon massiv widersprechen, die gestern oder vorgestern gesagt hat, es gäbe diese Umstiegsmöglichkeiten nicht. Es ist genau das Gegenteil der Fall, siehe beispielsweise das Klimaticket, mit dem jetzt um einen extrem günstigen Preis in ganz Österreich ge­fahren werden kann, wodurch in vielen Fällen weit über 1 000 Euro eingespart werden kann. Hunderte Millionen Euro stehen für die Länder zur Verfügung, damit diese ihre Verkehrssysteme ausbauen können, es gibt massive Förderungen für E-Autos und so weiter, und so weiter, die Liste könnte man noch lange fortführen.


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Eine wichtige – das muss ich schon noch anmerken – Sofortmaßnahme wäre natürlich trotzdem, endlich mit dem Dieselprivileg abzufahren, weil das nun wirklich nicht mehr zu argumentieren ist. Da möchte – oder kann – ich auch nicht unkommentiert lassen, was Herr Wirtschaftskammerpräsident Mahrer gestern in einem Interview im „Kurier“ von sich gegeben hat. Das ist schon beeindruckend und wirft ein weiteres Mal Licht auf das fossile Denken dieser Institution in Sachen Klimaschutz: Herr Mahrer brüstet sich unverhohlen damit, die Abschaffung des Dieselprivilegs verhindert zu haben. Allerdings übersieht er dabei einiges, zum Beispiel etwas ganz Wesentliches, dass nämlich ein großer Teil des Dieselkonsums schlicht und einfach in Transit-Lkws gepumpt und ein weiterer beträcht­licher Teil durch unsinnige Tankverkehre aus dem angrenzenden Ausland verursacht wird.

Das Dieselprivileg ist nichts anderes als ein Schwerverkehrsmagnet und damit ein mas­siver Verursacher unerträglicher Verkehrsbelastung. Ich schaue da bewusst zu meinen Tiroler KollegInnen – auch zum Herrn Präsidenten –, die davon ein Lied singen können, sofern sie überhaupt noch Lust haben, zu singen, was das Thema betrifft. (Bundesrat Leinfellner: Und mit den Traktoren dürfen die Bauern nicht ...!)

Studien zeigen, dass ein Drittel und mehr des Schwerverkehrs über den Brenner schlichtweg Verlagerungsverkehr ist. Das hat sehr viel mit diesen Preisunterschieden beim Diesel zu tun. Ich kann Herrn Mahrer nur raten, doch einmal nach Tirol zu fahren und dort deutlich zu sagen, dass er nicht will, dass der Schwerverkehr in diesem Bundes­land reduziert wird. Ich bin mir aber trotz des Bemühens der Wirtschaftskammer sicher, dass das Dieselprivileg fallen wird, er wird sehen. (Bundesrat Steiner: Jetzt fällt einmal die Regierung zuerst! – Heiterkeit bei der FPÖ.) – Wir werden am Schluss besser la­chen, da mache ich mir gar keine Sorgen.

Abschließend aber noch zum Schienen-Control-Bericht: Die Bahn hat eine große Zu­kunft, steigen Sie ein, steigen Sie um! – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Bundes­rätInnen der ÖVP.)

14.06


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke für die Wortmeldung.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bernhard Hirczy. Ich erteile dieses. – Bitte.


14.07.07

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Wir behandeln den Tätigkeitsbericht der Schienen-Control GmbH 2020.

In einigen Bereichen zum Bericht kann ich meinem Vorredner volle Unterstützung ge­währen. Ich warte Jahr für Jahr gespannt auf diesen Bericht, da er immer wieder neue Facetten präsentiert. Auf diesen 177 Seiten des vorliegenden Berichtes finden sich auch viele Meilensteine – Marktentwicklung, Ausbau und Ausbauziele, Pünktlichkeit, Perso­nennahverkehr, Güterbeförderung; viele Details wurden ja bereits genannt. Es geht auch um Qualitätsverbesserung für die Kunden durch Angebotsverdichtung, natürlich auch durch neue Fahrzeuge, und nicht zu vergessen um die Umstellung auf CO2-neutrale Technologien.

Positiv festzuhalten ist auch, dass die Pünktlichkeit im schienengebundenen Personen­nahverkehr und Personenverkehr im Jahr 2020 mit 97,2 Prozent deutlich höher war als im Vorjahr, in dem es 95,2 Prozent waren. Ich darf mich hier auch bei den vielen Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern bedanken, die ihren Beitrag leisten. Ich persönlich bin der­zeit zwei- bis fünfmal pro Woche mit dem Zug unterwegs und kann feststellen, dass diese Mitarbeiter stets freundlich und kompetent sind. Besonders wenn es darum geht,


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das neue Klimaticket – auch unter 1-2-3-Ticket bekannt – zu bewerben, spürt man ein­fach die Freude der Mitarbeiter, dass der Schwerpunkt auf die Bahn gelegt und dieser Themenkomplex attraktiviert wird.

„Willkommen in der Mobilität der Zukunft“ kann man lesen, wenn man sich für das Kli­maticket interessiert, und mit dem Early-Bird-Rabatt kostet dieses Ticket nun 949 Euro statt 1 095 Euro, die anschließend der Fixpreis sein werden. Der Vergleich macht Sie sicher, ohne Bundesländer oder Namen zu nennen: Es ist eine deutliche Verbesserung gegenüber der Zeit davor und speziell für Pendlerinnen und Pendler eine große Chance. Daher möchte ich auch auf die Initiativen der Bundesländer und Regionen positiv ver­weisen. Details entnehmen Sie dem Bericht auf Seite 72.

Der Vergleich mit der Schweiz zeigt: Dort kostet das sogenannte Generalabo für alle Züge im Schweizer Bundesgebiet exakt 3 860 Schweizer Franken, das sind 3 442 Euro.

Festzustellen ist auch, dass im Güterverkehrsbereich eine massive Dynamik steckt.

Im Rahmen der Personenbeförderung ist diese Bewegung nicht so deutlich zu bemer­ken, da ist vor allem die Westbahn und da als Beispiel speziell der Stundentakt auf der Strecke Wien–Salzburg zu nennen. Die besonderen wirtschaftlichen Umstände im Jahr 2020 führten allerdings dazu, dass die Bundesregierung im Rahmen von Notverga­ben Lösungen finden musste – wichtige Lösungen –, denn viele Personen waren und sind noch heute auf diese Zugverbindungen angewiesen.

Ein ebenso wichtiger Bereich ist der Bereich Ausbau. Auch da kann man das Land Salz­burg als positives Beispiel nennen. Dort gibt es gute Beispiele, vor allem im Bereich der letzten Meile. Es wird dort in regionale Projekte investiert, um die Menschen wirklich dorthin zu bringen, wohin sie müssen. Ich darf da auch auf die Chancen durch Mikro-ÖV-Projekte verweisen. Auch da versuchen wir, die letzte Meile abzudecken, damit für die Menschen der öffentliche Verkehr noch interessanter wird.

Persönlich liegt mir die Strecke Jennersdorf–Graz sehr am Herzen. Seit vielen Jahren wird da viel Zeit und Energie investiert, und – ja – die als Steirische Ostbahn bekannte Strecke wird durch die Elektrifizierung entsprechend attraktiviert. Ich möchte auch darauf verweisen, dass es eine wichtige Handelsroute ist – und da sind wir wieder beim The­menkomplex Güterverkehr.

Wichtig ist für mich auch die Attraktivierung von Bahnhöfen – das findet man im Bericht wieder, der Vorredner hat es auch gesagt –: Das neue Ticket wird den Bedarf steigern, und dadurch ist es notwendig, Bahnhöfe zu beleuchten und Überdachungen auf Bahn­steigen als Standard zu betrachten. Zudem ist die Befestigung der Parkplätze wichtig, aber man braucht grundsätzlich Parkplätze, Park-and-ride-Anlagen, Abstellmöglichkei­ten für Fahrräder, aber auch Energietankstellen müssen hier flächendeckend installiert werden. Wir sind auf einem sehr guten Weg und müssen diesen Weg auch konsequent fortsetzen.

Ein wichtiger Bereich – er wurde schon genannt – ist der Güterverkehr. Es geht darum, mehr Transporte von der Straße auf die Bahn zu bringen. Dabei geht es konkret um Anschlussbahnen, sprich Gleise, die direkt in die Produktionshallen oder zu den Unter­nehmen führen, wobei diesen dabei eine wesentliche Bedeutung zukommen wird.

Abschließend möchte ich ebenfalls an alle appellieren: Nutzen Sie die Möglichkeiten, nutzen Sie die Chancen, steigen Sie um, steigen Sie ein! Ich persönlich werde mir das morgen schon wieder zu Herzen nehmen: Um 6 Uhr werde ich im Zug von Jennersdorf nach Graz sitzen, denn es ist einfach entspannender, die Strecke mit dem Zug zu bewäl­tigen und während der Fahrt zu arbeiten, als gestresst im Auto zu sitzen und vielleicht aufgrund der Parkplatzsuche zu spät anzukommen. (Zwischenruf bei der SPÖ.)


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In diesem Sinne: Ich danke allen Beteiligten für die Erstellung des Berichtes. Wir sind hier auf einem guten Weg. (Beifall bei der ÖVP und bei BundesrätInnen der Grünen.)

14.12


Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Horst Schachner. – Bitte.


14.12.57

Bundesrat Horst Schachner (SPÖ, Steiermark): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär! Lieber Präsident! – Ich habe jetzt mit der Begrüßung von hinten begon­nen. Ich habe mir den Bericht der Schienen-Control GmbH durchgelesen; es sind wirk­lich über 170 Seiten. Wenn wir ihn zur Kenntnis nehmen, brauchen wir darüber im Prin­zip auch nicht mehr viel zu diskutieren. Was aufgefallen ist, ist, dass die Personenkilo­meter um 45 Prozent gesunken sind, aber trotzdem sind die Zugkilometer nur um 6 Pro­zent gesunken. Der Güterverkehr hat um 7 Prozent weniger Nettotonnen befördert. Da­für, dass wir ein Coronajahr gehabt haben, ist das auch nicht so viel weniger.

Was mich ein bisschen verwundert hat, ist – ich habe im Ausschuss auch nachgefragt ‑, dass wir 77 Eisenbahnunternehmen in Österreich haben – das kommt mir sehr viel vor. Ich weiß jetzt, dass es am Brenner sehr viele gibt und heuer, glaube ich, beim Brenner noch 20 dazugekommen sind; das ist mir dort gesagt worden. 77 Eisenbahnunterneh­men – da muss man schauen, wie das mit den Wettbewerbsfragen ausschaut, was sich da mehr oder weniger abspielt.

Generell vielleicht zu meinen Vorrednern, weil ihr über E-Autos und Wasserstoffautos und erneuerbare Energie gesprochen habt –: Ich kann dazu nur sagen, dass E-Autos, wenn man nicht wirklich genug erneuerbare Energie hat, mit der man die E-Autos speist, in Zukunft nichts bringen werden. Man muss schauen, dass so viel erneuerbare Energie geschaffen werden kann, dass man die E-Autos damit auch tanken kann. Und ich kann euch auch sagen, was das wirklich große Problem bei den E-Autos ist: Wenn die E-Autos kaputt werden, in fünf, sechs Jahren, wenn man dann die Batterien austauschen muss, stellt sich die Frage der Entsorgung, wie viel Energieaufwand man braucht, damit diese Autos entsorgt werden können.

Das Nächste sind die Wasserstoffautos. Wir haben in ganz Österreich, glaube ich, ins­gesamt – ihr dürft mich ausbessern – sechs Wasserstofftankstellen. Eine davon ist auf dem Gelände der Technischen Universität bei uns in Graz. Wir haben selber einen Was­serstoffbus ausprobiert, das hat hervorragend funktioniert, aber wenn die Betankung al­lein schon 27 Minuten dauert, dann hat man, wenn man das in Zukunft so machen will, wahrscheinlich ein riesengroßes Problem.

Warum sage ich das? – Weil man oft in eine Lüge verfällt. Nicht alles, was ökosozial beziehungsweise ökonomisch gut ausschaut, ist es auch. So auch, wenn man sich ein Stromauto beziehungsweise ein Wasserstoffauto kauft, um dann rein und sauber unter­wegs zu sein, denn um Wasserstoff zu produzieren, braucht man noch mehr Energie als sonst. Wir alle müssen genau wissen, wovon wir da reden.

Ich möchte jetzt noch auf etwas ganz anderes kommen, auf die GKB, die Graz-Köflacher Bahn bei uns in der Steiermark. Für diejenigen, die es nicht wissen: Die GKB ist ein Zugunternehmen, ein Schienen-, ein Eisenbahnunternehmen in der Steiermark, das es schon seit 160 Jahren gibt – seit 160 Jahren! Und was uns als Steirer ein bisschen weh­getan hat, das muss ich ganz ehrlich sagen, ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeit­nehmer durch die Medien erfahren mussten, in den Medien lesen mussten, dass ihr Unternehmen, ein Teil des Unternehmens – die Infrastruktur –, mehr oder weniger mit den ÖBB fusioniert werden soll. Davon haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichts gewusst. Natürlich sind da alle nervös geworden, es ist beim Betriebsrat, beim


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ÖGB, in der Arbeiterkammer angerufen worden – überall. Dann wurde gefragt, was denn da los ist, und es hat eine Betriebsversammlung gegeben – da war ich selber dabei –, und ich sage euch: Dort waren 360 Leute, und denen sind die Tränen in den Augen gestanden, weil sie nicht gewusst haben, wie es weitergeht.

Ich weiß, dass es dem Bund gehört, aber ich will darauf hinweisen, dass die Kommu­nikation, die da gelaufen ist, einfach zu wünschen übrig lässt. So sollte man mit Men­schen, die wertvolle Arbeit leisten, die sich mit dem Unternehmen identifizieren, indem sie sagen: Ich bin ein GKBler und ich bin da schon so lang, ich bin seit 30, 40 Jahren in dem Unternehmen beschäftigt!, nicht umgehen. Diese Menschen müssen in der Zeitung lesen, dass ihr Betrieb verkauft wird. Ich finde das schäbig, so etwas tut man einfach nicht! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Leinfellner.)

Wie ich schon gesagt habe, war ich bei der Betriebsversammlung dabei. Das war wirklich eine traurige Geschichte, weil man einfach gemerkt hat, dass diese Menschen mit Herz und Seele dabei waren. Das sind gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einfach sa­gen: Okay, das ist mein Unternehmen! Die hätten alles für das Unternehmen gegeben, und dann muss man ihnen sagen: Es gibt Pläne, die sind leider so weit rausgegangen, dass sie zuerst in den Medien gestanden sind. Das war für diese Menschen wirklich ein richtiger Schock.

Wir (in Richtung Staatssekretär Brunner) haben dann auch miteinander telefoniert, wir haben gesagt: Wie kann man die Leute wieder einfangen?, damit sie nicht sagen: So, jetzt ist unser Betrieb weg! Wir haben dann gesagt, wie es in Zukunft ausschauen könnte, worauf man aufpassen muss. Was ich ganz ehrlich auch noch sagen muss, ist: dass ein Betriebsrat bei Verhandlungen mit dem Ministerium nicht dabei ist, zeugt nicht von großer Sozialpartnerschaft. Es ist dann aber doch gelungen – dank dir (in Richtung Staatssekretär Brunner) –, dass der Betriebsrat bei den Verhandlungen, was weiter pas­sieren wird, dabei sein konnte.

Ich hoffe, dass man das weiterhin so laufen lassen kann, denn wenn ein gutes Unter­nehmen seit 160 Jahren super funktioniert, keine Probleme hat, jetzt noch die Elektrifi­zierung bevorsteht, muss ich euch ganz ehrlich sagen: Das anzugreifen und einen Teil herauszuschälen und irgendwo zu den ÖBB rüberzugeben ist für alle Menschen, die in der Steiermark wohnen, unverständlich. – In diesem Sinne: Glück auf! – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

14.18


Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank.

Als vorerst letzter Redner dazu ist Markus Leinfellner gemeldet. – Bitte.


14.18.45

Bundesrat Markus Leinfellner (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Hohes Haus! Liebe Österreicher! (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.) Ich glaube, es ist schon sehr, sehr viel über Neuerungen, über neue Taktungen, neue Zugverbindungen gesagt worden. Ich möchte das gar nicht alles wiederkäuen, aber beim Lesen dieses Berichts hat sich mir schon eine Frage gestellt, und die richte ich vor allem an die Regie­rungsparteien: Gefällt euch wirklich, was da drinnen steht? Seid ihr mit diesem Bericht wirklich zufrieden? Wenn ich jetzt die ÖBB hernehme: 45 Prozent weniger Personenver­kehr – alles können wir nicht auf Corona schieben –, es sind schon mit Masse die Maß­nahmen gewesen, die diese Regierung gesetzt hat.

Ein Umsatzrückgang von 700 Millionen Euro – also das ist nicht nichts! Für alles kann man nicht Corona verantwortlich machen. Sich hierherzustellen und sich für diese Zah­len auf die Schultern zu klopfen – ich glaube, das ist gleich wenig ein Schulterklopfen wert wie die Baustopps bei der Asfinag oder dieser Klimabonus. (Beifall bei der FPÖ.)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 104

Zum Klimabonus möchte ich jetzt auch noch etwas aus meinem Heimatbezirk erzählen: Graden bei Köflach befindet sich in der dritten Stufe, das heißt, man bekommt 167 Euro im Jahr. Die Menschen in Graden haben zweimal am Tag, nämlich um 6.54 Uhr und 14.34 Uhr, einen Bus, um von dort wegzukommen, und jeweils um 14 Uhr und 15 Uhr einen Bus, um wieder zurückzukommen. Vielleicht sollte man sich da etwas überlegen und auch genauer hinschauen, wie man diese Einstufungen macht. Das war ein Schnell­schuss, der, warum auch immer – ich weiß es nicht –, am Sonntag hinausgegangen ist. Seit gestern wissen wir, dass es vielleicht später nicht mehr möglich gewesen wäre.

Zur GKB möchte ich auch noch etwas sagen, Kollege Schachner hat ja schon sehr viel angesprochen. Die GKB ist ein Unternehmen mit 1,7 Millionen Zugkilometern pro Jahr, 99 Prozent Pünktlichkeit, 12 Millionen Fahrgästen pro Jahr, 446 betroffenen Mitarbeitern und für uns in der Steiermark ein Betrieb von unschätzbarem Wert, den wir Steirer fast als unser Familiensilber bezeichnen möchten. Von diesem Betrieb möchte man jetzt Tei­le auslagern beziehungsweise von den ÖBB aufsaugen lassen. Ich frage mich: Warum ist das so? Darf es bei den österreichischen Verkehrsbetrieben keinen Betrieb geben, der positiv bilanziert? – Die GKB ist einer der wenigen Betriebe, die positiv bilanzieren.

Der Bericht ist zur Kenntnis zu nehmen, aber das, was drinnen steht, gefällt uns ehrlich gesagt eher weniger. Mehr haben wir uns aber von dieser Bundesregierung auch nicht erwartet. (Beifall bei der FPÖ.)

14.21


14.21.58

Präsident Dr. Peter Raggl: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung. – Bitte nehmen Sie die Plätze ein.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.22.308. Punkt

Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung und Technologieentwicklung 2020, vor­gelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, In­novation und Technologie (III-758-BR/2021 d.B. sowie 10740/BR d.B.)


Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen nun zu Punkt 8 der Tagesordnung.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Marco Schreuder. – Ich bitte um den Bericht.


14.22.51

Berichterstatter Marco Schreuder: Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich darf den Bericht des Ausschusses für Innovation, Techno­logie und Zukunft über den Tätigkeitsbericht des Rates für Forschung und Technologie­entwicklung 2020, vorgelegt von der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Ener­gie, Mobilität, Innovation und Technologie zur Kenntnis bringen.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für Innovation, Technologie und Zukunft stellt nach Beratung der Vorlage am 5. Oktober 2021 mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, den gegenständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen.


Präsident Dr. Peter Raggl: Vielen Dank für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Marco Schreuder. – Bitte.



BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 105

14.23.39

Bundesrat Marco Schreuder (Grüne, Wien): In dem Bericht, den wir jetzt behandeln, stecken viel Weisheit und vor allem auch sehr viele Empfehlungen. Eigentlich geht es weit über das hinaus, was wir sonst oft in Berichten zur Kenntnis nehmen. In diesem Bericht steckt in Wahrheit die Zukunftsfähigkeit Österreichs: die Fähigkeit, Innovationen zu bestreiten, eine Wirtschaft zu entwickeln, die zukunftsfähig ist und die uns zugleich dabei helfen kann, die großen Probleme, vor denen wir nun einmal stehen, zu meistern.

Für alle, die zuschauen: Was bedeutet FTI? – Forschung, Technologie und Innovation. FTI-Investitionen sind die nachhaltigsten Investitionen, weil zukunftsfähige Technolo­gien – etwa in den Bereichen Gesundheit, Digitalisierung und allen voran auch Klima­schutz – enorm wichtig sind. Sie entfalten ihre Intelligenz und Wirksamkeit manchmal nicht sofort, dafür aber dann umso nachhaltiger und umso besser.

FTI-Investitionen sind aber auch die resilientesten Investitionen. Das wissen wir seit der Finanzkrise 2009, Kollegin Zwazl und ich haben vorhin ein bisschen darüber geflüstert. Damals hat man gesagt: In einer Krise ist es wichtig, statt auch in diesem Bereich zu sparen, die Investitionen in Forschung und Entwicklung stabil zu halten, ja sogar zu in­tensivieren. Damals kam Österreich ziemlich gut durch die Krise. Diese Haltung wird sich auch in der jetzigen Coronakrise als die richtige erweisen, vielleicht noch mehr als im Jahr 2009, aber selbstverständlich resultieren aus ihr auch budgetäre Notwendigkeiten und Herausforderungen.

Der Bericht des Rates ist voller Empfehlungen, die man hier gar nicht alle aufzählen kann, da das den Rahmen einer Bundesratssitzung sprengen würde. Ich kann Ihnen die Lektüre des Berichtes tatsächlich empfehlen, vor allem denjenigen unter Ihnen, die in den Bereichen Forschungs-, Wirtschafts- und Innovationsförderung tätig sind, egal ob im Bund oder in den Ländern. Ich glaube, diesen Bericht kann man auch in den Wirt­schaftsressorts der Länder sehr gut präsentieren, weil auch dort Investitionen in For­schung und Wissenschaft getätigt werden.

Ganz großartig finde ich, dass der Rat für Forschung und Technologieentwicklung etwas ganz Entscheidendes gemacht hat, und zwar hat er den Istzustand erhoben: Wo liegen in Österreich eigentlich die Stärken, wo die Schwächen? – Es handelt sich um eine ganz klassische Stärken-Schwächen-Analyse. Bereits da sieht man, dass wir zwar nicht ganz schlecht dastehen – das möchte ich schon deutlich sagen –, wenn man aber den Anspruch hat, sich an den Besten zu messen – und das sind die innovationsfreundli­chen, technikfreundlichen Länder in Europa wie Schweden, Finnland, Niederlande und Dänemark –, dann haben wir noch etwas zu tun. Das ist ja das Gute an solch einem Bericht: dass er auch motiviert, wirklich die Ärmel hochzukrempeln und etwas zu tun.

Bei den Stärken ist es übrigens ganz wichtig, sie zu halten, und sich nicht nur die Schwä­chen, das, was man verbessern kann, anzuschauen. Die Stärken sind es, die für unser Land sprechen, und die Stärken Österreichs liegen in der Finanzierung von Forschung und Entwicklung – da sind wir sogar weit vor den Spitzenreitern –, in der Governance und darin, dass Österreich ein attraktiver Standort ist. Das ist eine ganz wichtige Sache. Außerdem funktioniert in Österreich die internationale Kooperation hervorragend.

Wir müssen uns aber natürlich auch die Schwächen, und zwar die größten Schwächen, anschauen. Da gibt es natürlich den meisten Änderungsbedarf. Es fehlt in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor an innovativen Start-ups. Die Themen Klima­schutz und Digitalisierung sind noch nicht ausreichend vorhanden. Wenn es um Start-ups geht, sind andere Länder immer noch deutlich voran und wir hinken etwas hinterher.

Zum Glück gibt der Bericht einige gute Empfehlungen ab, wo wir ansetzen können, und – das ist auch wichtig zu sagen – die Bundesregierung hat eine FTI-Strategie 2030 festgelegt und bereits präsentiert. Das sind die guten Nachrichten. Da werden genau diese grund­sätzlichen Punkte aufgegriffen und das ist auch wirklich wichtig und notwendig.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 106

Ausgaben in Forschung und Entwicklung sind keine Belastung von Budgets – es ist ganz wichtig, das zu verinnerlichen –, weil sie die Investitionen für zukünftige Budgets sind. Ausgaben in Forschung und Entwicklung sind keine Kosten, sie sind wirtschaftliche und wissenschaftliche Motoren. – Vielen Dank. (Beifall bei den Grünen, bei BundesrätInnen der ÖVP sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

14.28


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke.

Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Marlene Zeidler-Beck. Ich erteile es ihr. – Bitte.


14.28.53

Bundesrätin Mag. Marlene Zeidler-Beck, MBA (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsi­dent! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zusehe­rinnen und Zuseher! „Innovationen sind ein Bündnis mit der Zukunft“ – so hat es der deutsche Chemiker Prof. Quadbeck-Seeger einmal formuliert. Um dieses Bündnis mit der Zukunft geht es, glaube ich, wenn wir uns den Weg Österreichs im Bereich Wissen­schaft und Forschung anschauen, wenn wir uns das Ziel Österreichs, nämlich vom Inno­vationfollower zum Innovationleader zu werden, näher anschauen. Um dieses Bündnis mit der Zukunft geht es meines Erachtens auch, wenn wir den Bericht des Rates für Forschung und Technologieentwicklung für das Jahr 2020 diskutieren.

Wir blicken mit diesem Bericht auf ein Jahr zurück, das mit sehr vielen Veränderungen für jeden Einzelnen von uns und für uns als Gesellschaft verbunden war, auf ein Jahr, das Belastungen, mit vielen Konsequenzen und Folgen, die für uns bis heute nicht ab­schätzbar sind, mit sich gebracht hat.

Wir blicken aber auch, so glaube ich, auf ein Jahr zurück, das die Scheinwerfer auf den Bereich Wissenschaft und Forschung gelenkt hat, und gerade das vergangene Jahr hat das Aufkommen von Innovationen, von neuen Technologien in gewisser Weise sogar befeuert. Denken Sie an neue Kommunikationstechnologien, denken Sie an neue Orga­nisations- und Arbeitsformen, denken Sie vor allem aber auch an die Entwicklung und Produktion eines Impfstoffes!

Das vergangene Jahr hat uns gezeigt, wie wichtig Forschung und Innovation gerade in Krisenzeiten sind und dass uns gerade Forschung und Innovation helfen können, Ant­worten auf die kleineren, aber auch auf die großen Fragen unserer Zeit zu geben, und da geht es nicht nur um die Bekämpfung der Pandemie, sondern natürlich auch darum, der Klimakrise zu begegnen.

Gerade für ein Land wie Österreich wird das auch in Zukunft ganz entscheidend sein. Hochinnovative Produkte und Dienstleistungen sind die Grundvoraussetzung dafür, dass wir im internationalen Wettbewerb bestehen können. Da ist es, glaube ich, ganz zentral – und das wird vom Rat im Bericht ja auch positiv angemerkt –, dass wir uns im vergangenen Jahr eben nicht nur intensiv mit der Pandemiebekämpfung beschäftigt ha­ben, sondern dass wir in diesem Jahr auch das Forschungsfinanzierungsgesetz be­schlossen haben, dass wir eine FTI-Strategie und einen FTI-Pakt verabschiedet haben und dass wir damit, glaube ich, ganz wesentliche Weichenstellungen in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Innovation und Entwicklung vorgenommen haben.

Wenn wir heute auf das FTI-System blicken, dann gibt es da ganz klar identifizierte Stär­ken, auf die wir bauen können – Kollege Schreuder hat vorhin schon einige angeführt. Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung attestiert uns unter anderem eine sehr gute internationale Vernetzung, eine hohe Standortattraktivität und auch eine über­durchschnittliche F&E-Finanzierung.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 107

Es gibt Leuchttürme, an denen wir uns in Österreich orientieren können und bei denen es darum geht, diese auch in Zukunft abzusichern – auch ganz im Sinne der Empfehlung des Rates, dass wir die Mittel für die kompetitive Finanzierung der Grundlagenforschung weiter erhöhen sollten.

Aus niederösterreichischer Sicht besonders erfreulich ist da die Finanzierung und die abgeschlossene 15a-Vereinbarung zur Finanzierung des IST Austria. 3,2 Milliarden Euro investieren Bund und Land Niederösterreich in die weitere Entwicklung des IST Austria. Ich glaube, dass das ganz wesentlich ist, um das IST Austria als noch junge Forschungsinstitution am Weltmarkt wirklich langfristig zu etablieren, dass das unser Turbo für die Grundlagenforschung sein kann, dass es mit dem IST Austria aber vor allem wirklich gelingen kann, unser Ziel zu erreichen, nämlich dass wir als kleines Land in 15 Jahren vielleicht ein Spitzenforschungsinstitut auf absolutem Weltklasseniveau ha­ben. Ich möchte ein herzliches Dankeschön an alle sagen, die dazu einen Beitrag leisten.

Wenn wir uns den Bericht des Rates anschauen, dann sehen wir aber auch: Es gibt Schwächen, bisher ungenützte Potenziale, Bereiche, bei denen wir mit Blick in die Zu­kunft ganz klar noch stärker werden müssen. Der Rat identifiziert dabei unter anderem die FTI-Querschnittsthemen Digitalisierung sowie Umwelt und Klima oder auch den Be­reich der Unternehmensgründungen. Einige der Empfehlungen sind bereits umgesetzt – denken Sie an die Maßnahmen zum Klimapaket Fit for 55 oder an die Initiativen im Be­reich der Digitalisierung.

Ich glaube, gerade wenn es um die Gründung innovativer Unternehmen geht, haben wir da einen ganz wesentlichen Hebel in der Hand, um die Effektivität und die Effizienz un­seres FTI-Systems auch langfristig zu steigern. Lassen Sie mich da noch einmal einen kurzen Blick in mein Heimatbundesland Niederösterreich werfen: Wir haben dort die For­schungs- und Wissenschaftsachsen in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut. Wir haben heute 14 Fachhochschulen und Unis, wir haben vier Technopole, sechs For­schungszentren, es wird unglaublich viel geforscht. Wir haben die Zahl der wissen­schaftlichen Publikationen stark gesteigert, und was uns jetzt gelingen muss, ist, glaube ich, dass wir den Durchbruch, den viele in der Wissenschaft erleben, auch wirklich in die Realwirtschaft umsetzen können.

Gerade dazu gibt es in Niederösterreich jetzt eine neue Initiative: Science to Business, eine Spin-off-Initiative, mit der wir sozusagen den Zugang zu Know-how und einer Fi­nanzierung erleichtern wollen, mit der wir auch ganz maßgeschneidert in allen Phasen der Gründung unterstützen wollen. Das Ziel ist ambitioniert, es lautet, bis 2030 250 Un­ternehmen zu gründen und mehr als 1 000 Arbeitsplätze in diesem Bereich zu schaffen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Innovationen sind ein Bündnis mit der Zukunft, und ich bin fest davon überzeugt, dass innovative Unternehmen der Motor sind, der dieses Bündnis auch am Leben hält! Ich glaube, dass uns der vorliegende Bericht ein guter Kompass auf dem Weg in die Zukunft sein kann, und ich freue mich, wenn wir gemeinsam daran arbeiten, Österreich immer stärker in Richtung Innovation Leader zu positionieren. – Vielen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

14.34


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke für den Redebeitrag.

Als nächster Redner gelangt Bundesrat Stefan Schennach zu Wort. – Bitte.


14.34.47

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Sehr geschätzter Herr Staatssekretär! Ich habe es ja gut: Ich kann an meine Vorrednerin und an meinen Vor­redner nahtlos anknüpfen.

Der vorliegende Bericht des Rates für Forschung und Technologieentwicklung 2020 zeigt viel Licht, aber natürlich auch einige Schatten, und es ist wichtig, dass wir da im


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 108

internationalen Vergleich dranbleiben. Vielleicht eine kleine Einschränkung, Frau Zeid­ler-Beck: Sie sagen, wir sind ein kleines Land, die Spitzenreiter sind aber auch kleine Länder. (Bundesrätin Zeidler-Beck nickt.) Wenn man Dänemark hernimmt, sieht man, das ist kein Riesenland, wenn man die skandinavischen Länder und die Niederlande dazunimmt, sieht man: Okay, die Einwohnerzahl in den Niederlanden ist deutlich größer, aber wir sind ein kleines Land, das gute Voraussetzungen erfüllt, um da weiterzukom­men.

Das Interessante ist ja – Frau Zeidler-Beck hat es erwähnt –, dass wir auf der einen Seite bei Governance und Finanzierung ein wahnsinniges Plus haben, und auf der anderen Seite haben wir bei den Neugründungen ganz niedrige Zahlen. Das heißt also, wir haben eine super Finanzierung, es steigen aber zu wenige ein, und daran müssen wir arbeiten.

Im internationalen Vergleich – das haben meine Vorrednerin und mein Vorredner auch gesagt – ist, wie ich meine, der Standort hier in Österreich ein riesiges Plus, wie auch, dass es hier eine hohe Entwicklungsdynamik gibt: Unsere F&E-Quote ist die zweithöchs­te in Europa – ich meine, das muss man sich schon auf der Zunge zergehen lassen – und weltweit die fünfthöchste! Das ist nicht schlecht, und da können wir ansetzen und anpacken. Dass wir im Bereich sowohl des universitären als auch des außeruniversitä­ren Bereiches eine hohe wissenschaftliche Reputation haben, kann uns nur freuen. Trotzdem aber müssen wir dranbleiben, denn wenn man jetzt das Plus und das Minus vergleicht, ist der wissenschaftliche Output eher mager. Das heißt, daran müssen wir noch arbeiten, und vor allem müssen wir im Bereich der Digitalisierung ganz, ganz, ganz stark aufholen.

Und weil wir ja gerade über die ökosoziale Steuerreform reden, muss man sagen, dieser Bereich – Klima – ist eine der großen Schwächen, die wir im F&E-Bereich haben. Da muss mehr kommen!

Kritisiert wird, was wir ja immer schon kritisieren, Frau Schumann, nämlich dass wir eine extrem hohe soziale Selektion in unserem Bildungssystem haben. (Beifall bei der SPÖ.) Das gehört angepackt! Und wenn man das schon schriftlich hat und wenn man das in Berichten bestätigt bekommt, dann unterstreicht das das, was wir hierzulande schon im­mer sagen: Schauen wir doch in das Bildungssystem!

Die Chancengleichheit in unserem Bildungssystem ist eben mager. Dieser Bericht zeigt uns schriftlich, dass die soziale Selektion viel, viel zu hoch ist, und er sagt auch, dass das sekundäre Bildungssystem ein ganz unterschiedliches Leistungssystem hat, was gleichzeitig die niedrige Akademiker-, Akademikerinnenrate bedingt.

Daher haben wir hier im Bildungssystem wirklich anzupacken. Wir dürfen nicht immer nur abgespeist werden! Das kommt aber im Bildungssystem nicht von allein, da gehören soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit hinein, und nicht, dass die Geburt bereits die Bildungskarriere determiniert. (Beifall bei der SPÖ.) Das kann es nicht geben, und deshalb haben wir da extremen Aufholbedarf – aber nicht an Sonntagsreden, sondern an Taten.

Wir nehmen diesen Bericht zur Kenntnis und verknüpfen ihn damit, dass im Bildungsbe­reich wirklich Taten gesetzt werden. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

14.39


Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Bundesrat Thomas Dim. Ich erteile dieses. – Bitte.


14.40.02

Bundesrat Thomas Dim (FPÖ, Oberösterreich): Herr Präsident! Herr Staatssekretär! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ja, Herr Kollege Schennach, ich habe es noch besser, denn ich kann nach drei Rednern sprechen und auf ihre Aussagen replizieren.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 109

Wir sind uns ja in der Thematik großteils einig (Bundesrat Schennach: Das ist schön!) – ja, es ist immer schön –: In einem rohstoffarmen Hochlohnland wie Österreich ist natür­lich ein effizientes FTI-System eine Grundvoraussetzung für künftige Wettbewerbsfähig­keit. Österreich war in der Vergangenheit, zumindest in Europa, unter den führenden Ländern, was Forschung und Technologieentwicklung betrifft. Das hat sich in den letzten 15, 20 Jahren etwas gewandelt, und Staaten – Sie haben es schon gesagt – wie Schwe­den, Finnland, Dänemark und auch die Niederlande haben uns um Längen überholt.

Was machen also diese Länder besser und welche Maßnahmen können wir in Öster­reich setzen, um den Innovationsgrad zu verbessern? Wie können wir es schaffen, dass Österreich wieder ein attraktives Zielland für Forscherinnen und Forscher wird? Und – noch besser – wie schaffen wir es, im eigenen Land, die Humanressourcen zu heben, die mit Sicherheit in Österreich vorhanden sind? In diesem Bericht sind ja einige Bei­spiele dazu angeführt, und meine Vorredner haben es auch schon kurz angesprochen. Österreich kommt trotz seiner überdurchschnittlich hohen Ausgaben nicht an die Effi­zienz und Effektivität anderer Länder heran. Die Empfehlung, die ich in dem Bericht lese, ist eine Prüfung der Mitteleinsätze im FTI-System zur Korrektur existierender Schiefla­gen in der Mittelverwendung. Jedoch soll es zu keinen Kürzungen der Mittel kommen – der Effekt wäre zwar unmittelbar nicht sichtbar, auf lange Sicht aber mit Sicherheit äu­ßerst negativ für den Standort Österreich.

Nächster Punkt: die Hebung der Humanressourcen – auch das hat Kollege Schennach schon angesprochen – durch eine Modernisierung der Strukturen des gesamten Bil­dungswesens mit einem Fokus auf die Reduktion der sozialen Selektivität. Das heißt für mich im Klartext: In Österreich ist es immer noch so, dass Studierende offenbar haupt­sächlich aus Akademikerfamilien kommen. Ein zeitgemäßes Stipendienwesen wäre si­cherlich auch nur ein Ansatz, um die Ressourcen in diesem Bereich zu heben.

Nächster Punkt: Dem Bericht entnehme ich auch, dass es im Vergleich zu anderen Ländern ungünstige bürokratische Regulative und steuerliche Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen im innovativen Bereich gibt. Auch da gehört nachgebessert, das haben wir bereits gehört. Die Rahmenbedingungen an Hochschulen und die For­schungsförderung im universitären und außeruniversitären Bereich müssen verbessert werden. Und noch ein Punkt – da verrate ich auch nichts Neues –: Wir haben Aufholbe­darf im Bereich der Digitalisierung.

Wie gesagt, der Bericht ist eine Momentaufnahme und nach fast einem Jahr schon wie­der veraltet. Die von mir dargestellten Punkte sind aber immer noch hochaktuell, und dort besteht dringender Handlungsbedarf. (Beifall bei der FPÖ.)

Ich darf Ihnen aber zum Abschluss noch ein Beispiel für eine Vorgangsweise aufzeigen, die jegliche Bemühungen, und seien sie noch so gut gemeint, scheitern lässt, ein Bei­spiel aus meiner Region dafür, wie man es nicht machen soll:

Im Jahr 2016 wurde im Bezirk Ried die Idee eines Wirtschaftsparks aus der Taufe ge­hoben und gegründet. Beinahe alle Gemeinden im Bezirk haben sich daran beteiligt. Die Idee dahinter war: Die Mitgliedsgemeinden sollen ihre möglichen Gewerbegebiete ein­melden, die dann in der Folge gemeinsam einer Zweckwidmung zugeführt werden. Der Sinn dahinter ist natürlich die gemeinsame Finanzkraft, um einen möglichen Ankauf und eine Aufschließung solcher Gebiete stemmen zu können. – So weit, so gut, die Idee ist großartig.

Erstes großes und bisher einziges Projekt daraus war der Ankauf eines mehrere Hektar großen Grundstückes in der Nähe von Großbetrieben, die sich hauptsächlich mit Leichtbau beschäftigen. Der Ankauf wurde dann über einen Kredit finanziert – im Übri­gen handelte es sich um bestes Ackerland für die Landwirtschaft –, es sollten Einrichtun­gen für Forschung im Bereich Leichtbau, aber auch Produktionsstätten entstehen.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 110

Infolge der Pandemie ist jedoch ein erheblicher Anteil, beispielsweise für die Flugzeugin­dustrie, weggefallen, und das Grundstück wird in nächster Zeit dafür vermutlich nicht gebraucht. Um das Areal jedoch trotzdem verwerten zu können – schließlich sind auch die Kreditraten irgendwann einmal zu bedienen –, wurden nun die Kriterien für die Be­triebsansiedlung so weit herabgesetzt, dass auch nur Lagerhallen auf dem Areal – wie gesagt, bestes Ackerland – entstehen können. Und statt eines – wie uns versprochen wurde – Silicon Valley für Leichtbau bekommen wir vielleicht jetzt ein Verteilerzentrum für den Onlinehandel.

Meine Damen und Herren! So kann man eine gut gemeinte Idee konterkarieren und ad absurdum führen. Auch das passiert in Österreich und steht in keinem Bericht. (Beifall bei der FPÖ.)

14.45


14.45.47

Präsident Dr. Peter Raggl: Danke für die Ausführungen.

Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem Antrag zustimmen, den ge­genständlichen Bericht zur Kenntnis zu nehmen, um ein Handzeichen. – Dies ist die Stimmeneinhelligkeit. Der Antrag ist somit angenommen.

14.46.159. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung (303/A(E)-BR/2021 sowie 10738/BR d.B.)

10. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kol­legen betreffend Modell Hundecampus (304/A(E)-BR/2021 sowie 10735/BR d.B.)


Präsident Dr. Peter Raggl: Wir gelangen zu den Punkten 9 und 10 der Tagesordnung, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatterin zu den Punkten 9 und 10 ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wie­ser. – Ich bitte um die Berichte.


14.46.45

Berichterstatterin Marlies Steiner-Wieser: Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne mit Tagesordnungspunkt 9 und bringe den Bericht des Aus­schusses für Land-, Forst- und Wasserwirtschaft vom 5. Oktober 2021 über den Ent­schließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung (303/A(E)-BR/2021).

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Ein Beschluss über den Antrag, dem vorliegenden Entschließungsantrag 303/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen, ist infolge Stimmengleichheit nicht zustande ge­kommen.

Ich komme sogleich zu Tagesordnungspunkt 10 und bringe den Bericht des Gesund­heitsausschusses vom 5. Oktober 2021 über den Entschließungsantrag der Bundesrä­te Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Modell Hundecampus (304/A(E)-BR/2021).


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 111

Dieser Bericht liegt Ihnen ebenfalls in schriftlicher Form vor, ich komme daher sogleich zur Antragstellung.

Der Gesundheitsausschuss stellt nach Beratung am 5. Oktober 2021 mit Stimmenmehr­heit den Antrag, der Bundesrat wolle dem Antrag 304/A(E)-BR/2021 keine Zustimmung erteilen.


Präsident Dr. Peter Raggl: Danke für die Berichterstattungen.

Wir gehen sogleich in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser. Ich bitte darum.


14.48.12

Bundesrätin Marlies Steiner-Wieser (FPÖ, Salzburg): Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich fange wiederum mit Tagesordnungspunkt 9 an und wie­derhole, da im Ausschuss ein Beschluss über den Antrag infolge Stimmengleichheit nicht zustande gekommen ist, was im Antrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolle­ginnen und Kollegen steht: „Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus, wird aufgefordert ein Förderprogramm zur Rettung von Rehkitzen vor dem drohenden Mähtod einzurichten, wobei insbesondere der Ankauf von Vergrämungsgeräten und der Einsatz von Drohnen gefördert werden soll.“

Ich stelle folgenden Antrag:

Antrag

der BundesrätInnen Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen zu TOP 9

„Die unterzeichneten [...] Bundesräte stellen gemäß § 43 Abs. 1 GO-BR den Antrag, dem gegenständlichen Entschließungsantrag die Zustimmung zu erteilen.“

*****

Zum Thema: In den Monaten Mai und Juni werden in der Natur mehrheitlich die Rehkitze gesetzt. Zeitgleich fangen aber unsere Bauern mit der ersten Mahd an, und für diese Jungtiere sind diese Riesenmähmaschinen eine große Gefahr. Als Schutz vor natürli­chen Feinden wie Fuchs oder Bussard werden die Jungtiere von den Müttern ins hohe Gras gelegt, um dort Schutz zu finden. Die Rehkitze verbringen dort ihre ersten Lebens­monate, meistens eingerollt, und verlassen den Platz nur, wenn sie trinken möchten oder wenn sie zur Geiß gehen, damit sie von dieser geputzt werden.

Die Kitze haben ja, wie wir oder einige von euch vielleicht wissen, keinen Fluchtinstinkt. Das heißt also, wenn die Mähmaschine kommt, laufen die Jungviecher nicht davon, son­dern sie rollen sich zusammen und ducken sich im Gras. So verlieren wir jährlich circa 25 000 Rehkitze beim Mähen, bei einer natürlichen Handlung. Alleine bei uns in Salz­burg sind über 1 000 Rehkitze den Mähmaschinen zum Opfer gefallen. Oft einmal er­wischt man die Rehkitze nicht gleich, sondern man fährt einen Lauf ab und die Kitze müssen elendiglich zugrunde gehen. Jeder Bauer, dem das passiert, ist zutiefst getrof­fen, denn das will wirklich kein Landwirt, das will kein Jäger, das will kein Mensch auf der Welt, dass die Tiere so ums Leben kommen.

Es ist schon einiges unternommen worden, um die Rehkitze zu retten. Ich denke an Akustikwarner oder auch Menschenketten, die gehen. Hunde können nur bedingt einge­setzt werden, weil die Tiere keine Eigenwitterung haben, und so können die Hunde sie nicht aufspüren und retten. Als besonders effektiv haben sich eben, wie auch im Antrag


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gewünscht wird, Drohnen mit Wärmebildkameras erwiesen. Da gilt es bitte aufzupassen, dass nicht zu spät in der Früh gestartet wird, weil man den Temperaturunterschied dann nicht mehr erkennt. Viele Freiwillige stellen diese Drohnen zur Verfügung, haben auch den Pilotenschein dazu und helfen mit. Man glaubt kaum, wie viele Freiwillige das sind, die mithelfen, diese Rehkitze beziehungsweise überhaupt das Niederwild zu retten.

Um aber diese Lücke zu schließen, müssen die Drohnenflieger klarerweise vernetzt wer­den. Da gibt es von der Rehkitzrettung auch eine Plattform: „Gemeinsam gegen den Mähtod“; im „Salzburger Bauer“ ist schon darüber berichtet worden, der ORF Salzburg hat darüber berichtet. Jeder, der schon einmal dabei war, weiß, wie einem das Herz übergeht, wenn man ein Rehkitz retten kann. Damit das Kitz den menschlichen Geruch nicht annimmt, nimmt man ein Grasbüschel in jede Hand, dann nimmt man das Rehkitz, legt es an den Rand der Wiese, und der Bauer kann die Wiese mähen; danach legt man das Tier wieder zurück an die ursprüngliche Stelle, und die Geiß kann ihr Kitz großzie­hen. Das ist wirklich ein tolles Erlebnis.

Darum verstehe ich überhaupt nicht – ich verstehe es wirklich nicht –, warum die ÖVP gegen diesen Antrag stimmt. Ich verstehe es nicht. Ich verstehe noch weniger, warum die zwei Salzburger Bundesräte gegen diesen Antrag stimmen. In Salzburg haben wir so einen Antrag gehabt, Landesrat Schwaiger hat sogar eine Brandrede dafür gehalten. Ich empfinde das wirklich als Augenauswischerei, dass ihr zwar in Salzburg einem Post­kastenantrag nach Wien eure Zustimmung erteilt, hier in Wien aber dagegenstimmt – das ist eine Augenauswischerei –, nur weil dieser Antrag von uns Freiheitlichen kommt. (Beifall bei der FPÖ.) Das hat nichts mit Sachpolitik zu tun, das ist reine ÖVP-Partei­politik. (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Schennach.)

Beim zweiten Antrag geht es um Hundebetreuung. Wir wissen ja, dass während Corona die Menschen aufgrund dieser schikanösen Regierungssanktionen teilweise in Depres­sionen verfallen sind. Sie waren einsam und haben sich vermehrt Tiere angeschafft, um gegen die Einsamkeit, gegen die Depressionen anzukämpfen. Vor allem Hunde waren begehrt. Es haben sich viele Menschen einen Hund angeschafft, und da hat schon das erste Problem angefangen, weil ein junger Welpe gut erzogen und wirklich in die richtige Richtung geführt gehört. Es waren aber die Hundeschulen gesperrt, es hat keine Wel­penkurse gegeben, es hat keine Junghundeschule gegeben. Irgendwann sind die Hunde größer geworden, der Arbeitsalltag ist wieder losgegangen und die Menschen sind völlig überfordert davon gewesen, was sie jetzt mit ihren vierbeinigen Lieblingen machen sollen. So sind sie kurzerhand vielfach in einem Tierheim abgegeben worden.

Die Tierheime, das lesen wir tagtäglich, gehen über. Was wir traurigerweise auch immer wieder lesen, ist, dass die Tiere einfach ausgesetzt werden. Beides ist nicht notwendig. Beides, sage ich, ist nicht notwendig, wenn man sich ernsthaft darüber Gedanken macht, wie man dem entgegenwirken könnte. Ich habe das gemacht und habe in Salzburg ein Modell entdeckt, und zwar den Hundecampus, wo niederschwellig Tiere – Hunde – be­treut werden können. Es sind nicht nur Coronahunde dort. Durch Scheidungen können Hunde auf einmal zu Scheidungswaisen werden. Es kann plötzlich jemand krank wer­den, man muss ins Krankenhaus und weiß nicht, wo man den Hund hingeben kann. Dann ist man auf eine externe Hundebetreuung, nicht im Familienverband, angewiesen.

Genau dieses Modell bietet der Hundecampus. Die Hunde leben dort nicht in einem Zwinger wie im Tierheim. Die Hunde werden dort im Familienverband betreut. Ihr könnt das alle googeln, bitte schaut euch das an, das ist wirklich ein tolles Projekt! Das Projekt betreibt ein junges Ehepaar, das das mit viel Herzblut macht. Man weiß seine vierbeini­gen Lieblinge dort wirklich gut aufgehoben, sie werden artgerecht gehalten, sie dürfen im Haus ein- und ausgehen. Gegen die Hitze im Sommer ist ein kleines Schwimmbad gemacht worden, damit sich die Hunde abkühlen können. Die Hunde haben Freilauf –


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auf 10 000 Quadratmetern können sich die Hunde austoben. Die Hundehalter sind glücklich, die Hunde sind glücklich.

Bei diesem Antrag geht es lediglich darum, dass geprüft wird, ob es möglich wäre, öster­reichweit ähnliche Modelle umzusetzen, damit Tiere nicht ins Tierheim abgeschoben werden müssen, sondern gut aufgehoben sind, wenn die Hundehalter arbeiten gehen, sonstige Verpflichtungen haben oder tatsächlich im Krankenhaus landen. Das ist ledig­lich ein Prüfantrag. Ich glaube, das wäre nicht zu viel verlangt. Am Montag war Welttier­schutztag, und ich traue mich zu wetten, dass sich 99,9 Prozent der hier Anwesenden dazu in irgendeiner Art und Weise geäußert haben. Jetzt können wir drei Tage nach dem Welttierschutztag mit zwei Anträgen ein Zeichen setzen und sagen: Jawohl, uns ist Tier­schutz wirklich wichtig, wir nehmen das wirklich ernst! Ich hoffe, dass es bei der ÖVP und bei den Grünen ein Umdenken gibt und sie diesen beiden Anträgen zustimmen. – Danke schön. (Beifall bei der FPÖ.)

14.56


Präsident Dr. Peter Raggl: Der von den Bundesräten Marlies Steiner-Wieser, Kollegin­nen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eingebrachte Antrag zum Verhandlungsgegenstand, dem Entschließungsantrag 303/A(E)-BR/2021 die Zustim­mung zu erteilen, ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Martin Preineder. Ich erteile ihm die­ses. – Bitte.


14.57.28

Bundesrat Martin Preineder (ÖVP, Niederösterreich): Geschätzter Herr Präsident! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Marlies Wieser, danke für die Darstel­lung der Problematik, weil ich als Landwirt selbst auch davon betroffen bin und weiß, wie es schmerzt, wenn man mit einem Mähwerk ein junges Rehkitz erwischt. Das ist das Letzte, was man sich wünscht und was man erleben möchte. Darum ist es notwendig, Initiativen zu setzen, zum einen die technischen Möglichkeiten, die sich entwickeln, zu nutzen, zum anderen aber auch die gesellschaftlichen Möglichkeiten, die es gibt, auszu­loten. Da gilt es, entsprechend zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen.

Der niederösterreichische Landesjagdverband hat heuer einen Schwerpunkt zum The­ma Kitzrettung gesetzt, um Landwirte und Jäger zu vernetzen. Ich habe das auch ge­nützt. Dort, wo dieser Kontakt funktioniert, funktioniert auch – nicht zu 100 Prozent, aber großteils – die Kitzrettung. Ich habe, bevor ich zu mähen begonnen habe, meinen Jagd­ausübungsberechtigten angerufen; dieser hat nach Möglichkeit eine Gruppe mit mehre­ren Jägern zusammengestellt, die das Grünland vorher durchkämmt und die Kitze aus dem Grünland herausgeholt, herausgebracht, herausgetragen haben, um sie vor dem Mähtod zu retten. Das ist eine wesentliche Aufgabe.

Nur, Frau Kollegin: Wir sind Vertreter des Bundesrates, der Länderkammer, und betref­fend Kompetenzen ist klar geregelt, dass die Bereiche Jagd und Schutz von Wildtieren in der Landeskompetenz liegen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Drohnen!) Ich finde, als Vertreter der Länderkammer sollten wir die Kompetenzen dort belassen, wo sie sind und wo sie auch gut aufgehoben sind, weil dieses Problem der Rehkitze eines ist, das man nicht überregional und auf Bundesebene regeln kann, muss und soll. Je regionaler, je dezentraler wir dieses Problem in Angriff nehmen, umso effizienter werden wir es auch lösen. Ich bin dankbar, dass in diesem Bereich sehr viele Initiativen bestehen.

Der niederösterreichische Landesjagdverband hat gemeinsam mit der Landwirtschafts­kammer eine Initiative gesetzt. Der Tiroler Landesjagdverband hat gemeinsam mit dem Land Tirol, mit der Tiroler Landwirtschaftskammer auch eine Initiative gesetzt, um eben gegen diesen Mähtod vorzugehen. Es gibt verschiedene Plattformen – rehkitzrettung.at


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zum Beispiel –, über die man sich vernetzen kann. Dort kann sich die Jägerschaft, wenn sie überfordert ist, oder die Landwirtschaft, die Bauern, wenn sie das wünschen, mit Drohnenbesitzern, mit Drohnenpiloten vernetzen. Es ist ja nicht so einfach, sich eine Drohne zu kaufen. Selbst wenn das jetzt gefördert würde, müsste man auch einen Pilo­tenschein, sprich eine Flugberechtigung, dazu erwerben. Es gibt aber Leute, die Droh­nen besitzen. Mit denen kann man sich vernetzen, um sie da entsprechend einzusetzen. Ich glaube, all diese Initiativen sollten wir unterstützen, all diese Initiativen sollten wir auf regionaler Ebene fördern. (Vizepräsident Novak übernimmt den Vorsitz.)

Da sind die Länder, die Landesjagdverbände entsprechend aufgerufen, etwas zu tun. Man sieht am Beispiel Landesjagdverband Niederösterreich, am Beispiel Landesjagd­verband Tirol, dass sich auch einiges tut. Diese Beispiele ziehen auch ihre Kreise. Damit sage ich: Danke für die Initiative (in Richtung Bundesrätin Steiner-Wieser), nur der Ad­ressat ist der falsche. Belassen wir doch die Themen dort, wo sie regional besser aufge­hoben sind! Aus diesem Grund lehnen wir diesen Antrag ab.

Ihr zweiter Antrag zum Thema Hundecampus zeigt natürlich, wie stark Sie der Tierliebe verbunden sind. Das spricht für Sie, Frau Kollegin, es gibt aber auch so etwas wie die Eigenverantwortung eines Tierbesitzers. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Aber die Tierhei­me sind voll!) Wenn ich mir ein Tier anschaffe, wenn ich ein Tier kaufe, erwerbe, mir zulege, es übernehme, dann trage ich für dieses Tier Verantwortung und dann kann ich diese Verantwortung nicht einfach, weil es mir nicht mehr beliebt, an die öffentliche Hand abgeben. Es ist ein privates Interesse, wenn es einen Hundecampus, einen Tiercampus geben soll – auf privater Ebene bitte gerne, aber nicht mit Unterstützung der öffentlichen Hand. Frau Kollegin Schumann hat auch im Ausschuss darauf hingewiesen, dass es Probleme im humanen Bereich gibt, die wesentlicher sind, die wir vorher lösen sollten, bevor wir uns diesem Problem zuwenden.

Dazu möchte ich auch noch Folgendes sagen: Dieser Antrag hat im Ausschuss nur die Stimmen der Freiheitlichen gefunden, und darum glaube ich, dass wir das nicht unbe­dingt sofort ins Plenum verfrachten sollten (Bundesrat Spanring: Mit nur einem ÖVP-Inserat weniger hätten wir sechs Drohnen mehr in Österreich!) eine Diskussion, die schon im Ausschuss eine sehr starke Ablehnung gefunden hat. Auch diesen Antrag wer­den wir ablehnen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der ÖVP.)

15.02


Vizepräsident Günther Novak: Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Mag. Bettina Anna Lancaster. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


15.02.49

Bundesrätin Mag. Bettina Lancaster (SPÖ, Oberösterreich): Geschätzter Herr Präsi­dent! Geschätzte Bundesrätinnen und Bundesräte! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Bevor ich zum Thema komme, möchte ich Folgendes sagen: Alles, was im Laufe des gestrigen Tages an die Oberfläche geschwemmt wurde, ist hochgradig beunruhigend. Es kommt der Verdacht auf, dass diese SMS-Truppe einen großangelegten, verantwor­tungslosen Feldversuch mit Österreich betreibt, quasi ein Strategiespiel. Bei einem vir­tuellen Spiel gibt es einen Resetbutton, im realen Leben gibt es den nicht. An alle Mitglieder der Regierungsfraktionen: Eine Weiterführung des Feldversuches ist hochgra­dig verantwortungslos. Beenden Sie diesen! (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrä­tin Steiner-Wieser.)

Am Montag war Welttierschutztag. Ich nahm das zum Anlass und besuchte das Tierpa­radies Schabenreith in meiner Heimatgemeinde. Nur so nebenbei: Dort lebt Anna, das gerettete Schwein aus der Schweinefleischproduktionsmaschinerie. Neben Anna sind dort unzählige verstoßene Haustiere – Hunde, Katzen und Vögel – zu Hause, aber auch noch weitere gerettete sogenannte Nutztiere wie Ziegen, Enten, Pferde, Truthähne und


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eben Schweine. Wildtiere werden dort nach Verletzungen veterinärmedizinisch versorgt, gepflegt und soweit möglich wieder ausgewildert.

Im Tierparadies wird viel geleistet, und dies gilt auch für die anderen Tierheime in Öster­reich. Mit hohem persönlichen Einsatz stellen sich hier Menschen an die Seite der Tiere. Viele davon nehmen dabei große persönliche und private Einschränkungen in Kauf. Ich bedanke mich bei diesen Idealisten in den österreichischen Tierheimen und den Tier­schützern im Allgemeinen. Ihr leistet großartige Arbeit. (Beifall bei der SPÖ sowie der Bundesrätin Zwazl.)

Der Arbeitseinsatz des Tierparadieses steht in Beziehung mit beiden Anträgen der FPÖ. Ich sah das dreiläufige Rehkitz Pür-Reh, das nach einem Mähunfall im Tierparadies lan­dete, und wurde von unzähligen Hunden begrüßt. Ja, die Agrarindustrie mit der steigen­den Technologisierung, die nur mit Masse und minimiertem menschlichem Arbeitsein­satz überlebensfähig ist, bringt enorme Kollateralschäden beim Tierwohl mit sich. (Beifall des Bundesrates Spanring.)

Die FPÖ macht heute die niedergemähten Rehkitze zum Thema. Dem vielfach unnöti­gen Tod von Tausenden von Rehkitzen in den österreichischen Wiesen unter den Mäh­werken muss entschlossen entgegengetreten werden. Wie bereits im Ausschuss unter­stützt die sozialdemokratische Fraktion auch im Plenum diesen Antrag grundsätzlich, wobei wir den Fokus nicht bei der Anschaffung und der finanziellen Unterstützung sehen, sondern bei der Förderung von regionalen Netzwerken, die ihre umfeldbestimmten, eigenen Lösungsstrategien entwickeln.

Zum zweiten Antrag: Das Tierparadies ist zurzeit Heimat von circa 30 Hunden. Es sind Hunde, die von ihren Besitzern gequält, ausgesetzt, vernachlässigt wurden, oder es sind sogenannte Nachlasshunde. Es finden sich aber auch Hunde aus dem illegalen Welpen­handel dort. Ganze Kofferräume von Welpen werden oftmals beschlagnahmt und in Tier­heimen untergebracht. Viele Welpen werden auch auf den Parkplätzen verkauft. Massi­ves Tierleid, große Enttäuschung und Überforderungen bei den neuen Hundebesitzern entstehen. Der Sachkundenachweis, der eigentlich bestätigen sollte, dass sich der künf­tige Hundehalter, die künftige Hundehalterin der Verantwortung bewusst ist, greift meis­tens nicht mehr.

Während der schweren Covid-Zeit ist bei den Menschen der Wunsch nach einem Haus­tier gewachsen. Die Herausforderung, für ein Tier zu sorgen, sorgen zu müssen, über­steigt die Fähigkeit mancher. Der Antrag beschreibt diese Entwicklung – eine Entwick­lung, die wir von der Sozialdemokratie auch kritisch sehen. Ein Geschäftsmodell aber, wie es im FPÖ-Antrag veranschlagt wurde, würde jedoch dazu führen, dass Hundebe­treuungseinrichtungen, die Geld daraus schlagen wollen, ohne jegliche konkrete Vor­gaben entstehen. Jeder kann einen solchen Campus ohne Qualifikation eröffnen. (Bun­desrätin Steiner-Wieser: Deshalb ist es ein Prüfantrag!) Dies sollte nicht staatlich geför­dert werden, da die Befürchtung besteht, dass massiv unqualifizierte Personen tätig wer­den. Im Gewerberecht existieren leider keine Vorgaben für spezielle Voraussetzungen zur Eröffnung eines solchen Angebotes. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Deshalb ist es ein Prüfantrag!) Qualifiziert sind nur geprüfte, tierschutzqualifizierte Hundetrainer bezie­hungsweise Personen. Alle anderen sind nicht ausreichend qualifiziert – deshalb ein Nein zu diesem Antrag. (Bundesrätin Steiner-Wieser  sich an den Kopf greifend –: Deshalb ist es ein Prüfantrag!)

Im Übrigen wäre es für das Wohl von Hunden und Katzen wichtig, dass Österreich gegenüber der Europäischen Kommission bekannt gibt, dass ein gültiger Impfschutz gegen Tollwut bei der wirtschaftlichen Verbringung – das umfasst jede kommerzielle Ein­fuhr – nach Österreich als notwendig angesehen wird. Damit soll erreicht werden, dass


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Hunde- und Katzenwelpen bei der kommerziellen Einfuhr ein Mindestalter von 15 Wo­chen aufweisen. Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der SPÖ.)

15.09


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat An­dreas Lackner. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


15.09.18

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Herr Präsident! Kolleginnen und Kol­legen! Werte Zuseherinnen und Zuseher! Ja, ich kann den Ausführungen des Kollegen Preineder vollinhaltlich zustimmen. Ich sehe das eigentlich ähnlich. Es kommen tatsäch­lich Jahr für Jahr immer wieder zahlreiche Rehkitze, aber auch andere Tiere wie Feldha­sen unter die Mähwerke, und es gibt zahlreiche Möglichkeiten, da präventiv tätig zu wer­den, zum Beispiel durch das Aufstellen von Vergrämungsinstallationen.

Das Effektivste ist aber wahrscheinlich einfach das Abgehen der Wiese vor der Mahd, am besten mit einem Hund und/oder einem Wärmesensor, um kein Kitz zu übersehen. Das Mähen von innen nach außen und in Richtung Wald ist eine Möglichkeit, am besten auch mit verringerter Geschwindigkeit. Eine Verlegung des Mahdzeitpunktes ist theo­retisch möglich – aber eine zu frühe Mahd ist wiederum aus anderen Gründen, auch aus Naturschutzgründen, häufig nicht zu empfehlen.

Der Einsatz von Drohnen ist ebenfalls eine Option, jedoch hat dies aus meiner Sicht nur vor Sonnenaufgang einen Sinn, da das Kitz mittels Wärmebildkamera nur dann entdeckt werden kann; es geht dabei nämlich um den Unterschied zwischen der Körpertempe­ratur des Tieres und der Umgebungstemperatur. Dabei ist aber auch eine zusätzliche Person notwendig, um die Kitze zu entfernen. Wildwarner am Traktor sind auch eine Möglichkeit, um Rehe vor der Mahd zu vertreiben.

Alle Vergrämungsmethoden wirken aber nur bei älteren Kitzen: Jüngere Kitze – in der Regel sind es so die ersten zehn, zwölf Tage – reagieren noch nicht mit Flucht, diese müssen also tatsächlich lokalisiert werden. Da bleibt eigentlich wieder nur das vorherige Durchgehen. Bezüglich der Drohnennutzung ist auch zu beachten, dass es da ganz kon­krete rechtliche Vorschriften gibt, etwa die Registrierung verschiedener Drohnenarten, den Drohnenführerschein, Vorschriften betreffend Flüge in der Nähe von Personen und so weiter und so fort.

Ein Absuchen der zu mähenden Wiesen durch den Landwirt beziehungsweise die Land­wirtin in der Setzzeit, also wenn die jungen Kitze sich eben in der Wiese verstecken, ist auch im Interesse der Bäuerinnen und Bauern. Tierische Reste im Heu oder in der Silage können nämlich auch als Futter gefährlich werden, das kann bis zu einer Vergiftung der Rinder führen, man spricht vom sogenannten Botulismus.

Eine Förderung von Anschaffungen ist aus meiner Sicht bereits jetzt möglich, nämlich im Rahmen von Investitionsförderungen im Bereich Investitionen in die landwirtschaftli­che Erzeugung. Da es dafür ein Mindestinvestitionsvolumen gibt, müsste der Betrieb die Anschaffung mit einer anderen Investition verbinden und im Antrag zusammenfassen, dabei könnte eben auch eine Vergrämungsanlage inkludiert sein.

Zum Hundecampus: Diese Einrichtung in Salzburg ist ein zahlungspflichtiges Angebot für HundebesitzerInnen, die ihre Hunde während des Urlaubs oder während ihrer Ar­beitszeiten fremdbetreuen lassen. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Kindergarten muss ich auch zahlen!) Die FPÖ spricht ja in ihrem Antrag selbst an, dass man sich mit der An­schaffung eines Hundes dafür entscheidet, die nächsten zehn bis 15 Jahre eine länger­fristige Verantwortung wahrzunehmen. Dazu kommt noch, dass das eine absolut freiwil­lige Entscheidung ist und es theoretisch auch Haustiere mit weniger Betreuungsaufwand gäbe, als Hunde es sind. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Es können aber schon Schick­salsschläge auch kommen!)


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Aus diesen Gründen schließe ich: Würde die öffentliche Hand nun den Aufbau solcher Betreuungseinrichtungen fördern und zusätzlich noch sozial schwache Personen bei den Betreuungskosten finanziell stützen, würde dies bedeuten, dass der Staat – und damit alle SteuerzahlerInnen – die Verantwortung für eine freiwillige Privatentscheidung von Einzelpersonen übernimmt. Das würde ein Signal in Richtung potenzieller Hunde­halterInnen aussenden, dass sie nicht selbst die Verantwortung für eine Entscheidung übernehmen müssen, sondern im Zweifelsfall der Staat einspringt. Das kann so nicht unterstützt werden, da es unüberlegten Tierkäufen Vorschub leisten würde. – Danke. (Beifall bei den Grünen. – Bundesrat Bernard: Aber für die Flüchtlinge ...!)

15.14


15.14.07

Vizepräsident Günther Novak: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung, die über die gegenständlichen Tagesordnungspunkte getrennt erfolgt. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein!

Zunächst gelangen wir zur Abstimmung betreffend den Entschließungsantrag der Bun­desräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Förderung der Rehkitzrettung, 303/A(E)-BR/2021 sowie 10738/BR der Beilagen.

Es liegt hierzu ein Antrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kol­legen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung vor, dem Entschließungsantrag 303/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, dem gegenständlichen Entschließungsantrag die Zustimmung zu erteilen, um ein Handzei­chen.

Ich ersuche die Schriftführung um Unterstützung bei der Feststellung der Mehrheit be­ziehungsweise der Minderheit. (Bundesrat Schennach: Schriftführung und Präsident! – Zwischenruf bei der ÖVP. – Bundesrat Beer: Als Schriftführer muss ich ja nicht sagen, dass ich mitstimme!) – Schriftführung und Präsident stimmen auch mit. Ich als Präsident muss bekannt geben, ob ich mitstimme: Ja, ich stimme auch mit. (Zwischenrufe bei der ÖVP sowie des Bundesrates Beer.) – Bitte um Ruhe!

(Schriftführer Beer nimmt gemeinsam mit Vizepräsident Novak die Stimmenzählung vor.)

Es ist dies die Stimmenminderheit. Der gegenständliche Entschließungsantrag ist so­mit abgelehnt.

Wir gelangen zur Abstimmung betreffend den Entschließungsantrag der Bundesräte Marlies Steiner-Wieser, Kolleginnen und Kollegen betreffend Modell Hundecampus, 304/A(E)-BR/2021 sowie 10735/BR der Beilagen.

Der Gesundheitsausschuss des Bundesrates hat mit Stimmenmehrheit beschlossen, dem Entschließungsantrag 304/A(E)-BR/2021 keine Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche daher jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, dem gegenständlichen Entschließungsantrag keine Zustimmung zu erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des ge­genständlichen Entschließungsantrages ist somit angenommen.

15.17.4711. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen (305/A(E)-BR/2021 sowie 10739/BR d.B.)


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12. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photovoltaik-Anla­gen (306/A(E)-BR/2021 sowie 10742/BR d.B.)


Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nun zu den Tagesordnungspunkten 11 und 12, über welche die Debatten unter einem durchgeführt werden.

Berichterstatter zu diesen Tagesordnungspunkten ist Herr Bundesrat Dominik Reisin­ger. – Ich bitte um die Berichte.


15.18.39

Berichterstatter Dominik Reisinger: Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kol­legen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten über den Entschließungsantrag der Bundesräte Dominik Reisin­ger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen.

Der Bericht liegt Ihnen allen in schriftlicher Form vor, ich komme daher gleich zur Antrag­stellung.

Der Ausschuss für innere Angelegenheiten stellt somit den Antrag, der Bundesrat wolle die angeschlossene Entschließung der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anla­gen (305/A(E)-BR/2021) annehmen.

Weiters bringe ich den Bericht des Landesverteidigungsausschusses über den Ent­schließungsantrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photovoltaik-Anlagen.

Auch dieser Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme somit gleich zur An­tragstellung.

Der Landesverteidigungsausschuss stellt nach Beratung mit Stimmeneinhelligkeit den Antrag, dem Antrag 306/A(E)-BR/2021 die Zustimmung zu erteilen.


Vizepräsident Günther Novak: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Dominik Reisinger. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


15.20.08

Bundesrat Dominik Reisinger (SPÖ, Oberösterreich): Die zwei gegenständlichen und von der SPÖ eingebrachten Entschließungsanträge wurden vor zwei Tagen in den Aus­schusssitzungen diskutiert und einstimmig, von allen Fraktionen beschlossen. Für die­ses klare, einhellige Votum darf ich mich bedanken und anknüpfend an diesen Dank auch gleich meine Bitte an das Plenum richten, diese Einmütigkeit auch in der heutigen Abstimmung zu zeigen – ganz einfach deshalb, weil es Sinn macht, sich für Notfälle richtig aufzustellen und sich richtig vorzubereiten, denn das Risiko eines Blackouts, das hören wir immer wieder, wird nicht nur in Österreich immer größer. Auch Experten war­nen vermehrt davor, und wenn wir ein paar Monate zurückblicken, dann müssen wir feststellen, dass wir hier in Österreich haarscharf an einem solchen großflächigen Strom­ausfall vorbeigeschrammt sind.

Die Szenarien, die in solch einem Fall auf uns zukommen, werden uns ja vorskizziert. Es wird ganz sicher vielerorts zu großen Problemen und wahrscheinlich auch zu Chaos führen. Jetzt liegt es also an uns, diese Probleme durch vorbeugende Maßnahmen so klein wie nur möglich zu halten. Dazu gehört jedenfalls, die Einsatzfähigkeit unserer Ein­satzorganisationen – wie eben Polizei, wie unser Bundesheer – aufrechtzuerhalten, in­dem wir durch Fotovoltaikanlagen mit Batteriespeichern sogenannte Stromautarkie für


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deren Gebäude und Einrichtungen erreichen. Nur diese Unabhängigkeit vom öffentli­chen Stromnetz sichert also im Notfall die Einsatzfähigkeit dieser Organisationen, die wir in einem solchen Fall ganz, ganz dringend brauchen werden.

Übrigens gibt es im Feuerwehrbereich schon solche Absicherungen – zumindest teilwei­se. Wir sollten uns genau das zum Vorbild nehmen und betreffend den angesprochenen, strategisch unverzichtbaren Bereich – und da ist wieder die Polizei zu nennen – rasch nachziehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich vorstellt, dass wir österreichweit von Hunderten solcher Gebäude reden, dann ist ganz klar, dass es sich bei solch einem Vorhaben, bei einem solch großen Projekt auch um eine enorme wirtschaftliche Kompo­nente handelt. Das wäre ganz klar ein zusätzlicher und wichtiger Motor für den ohnehin so wichtigen und gefragten Bereich der erneuerbaren Energie. (Beifall bei der SPÖ.)

Da bin ich schon beim nächsten Thema: Diese Maßnahme wäre selbstverständlich auch ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung unserer Klima- und Energieziele – ein echter Benefit für unsere Umwelt, für unser Klima, und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: ganz sicher effektiver als so manche andere, auf Regierungsebene andiskutierte Klimaschutzmaßnahme. Da schiele ich nur ganz kurz auf die von der Regierung geplante Steuerreform. Sie wird ja, wie wir wissen, von einer ganzen Reihe von Experten und Institutionen zu Recht auch kritisiert. Da gibt es ganz sicherlich in ökologischer wie in sozialer Hinsicht viel, viel Luft nach oben. Darüber werden wir also noch viel zu diskutie­ren haben. – Danke. (Beifall bei der SPÖ.)

15.24


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Bern­hard Hirczy. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


15.24.15

Bundesrat Bernhard Hirczy (ÖVP, Burgenland): Sehr geehrter Herr Präsident! Ge­schätzte Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln die beiden eben genannten Anträge zum Thema Fotovoltaik auf Gebäuden des Bundesheeres und auf Polizeiposten. Jede Initiative in diese Richtung, jede Maßnahme ist richtig und natürlich ein wichtiger Beitrag zum Erreichen der Klimaziele. Ich darf daher ganz kurz festhalten, dass wir diese An­träge unterstützen werden, und auch darauf verweisen, dass es dazu auch schon Maß­nahmen gibt. Mehr darf es aber immer sein.

Zum Beispiel die Meldung vom 20. Juli 2021 zum Thema Klima und Umwelt: 100 Polizei­dienststellen bekommen Fotovoltaik. Da ist es eine Initiative von Karl Nehammer gewe­sen. Ebenso im Bereich des Bundesheers: Bereits im Jahr 1998 ging die erste große Fotovoltaikanlage des Bundesministeriums für Landesverteidigung bei einer Netzfunk­stelle beim Dachsteinmassiv, eine Anlage mit damals 20 kW Peak, in Betrieb. Diese ist nun seit über 20 Jahren in Betrieb.

Auch jetzt gibt es Aktivitäten, es sind weitere Maßnahmen geplant. Derzeit sind in die­sem Bereich Anlagen mit einer Gesamtleistung von 220 kW Peak in Betrieb, in Bau und in Planung befinden sich Anlagen mit einer Spitzenleistung von über einem Megawatt Peak, daher passt das – die Anstrengungen, die Autarkiebestrebungen – auch zur Stra­tegie, das Bundesheer bis 2025 dementsprechend autark zu machen.

Abschließend darf ich festhalten, dass gerade die Blackoutvorsorge in vielen Bereichen relevant ist. Ich war auch persönlich schon bei Übungen und Szenarien dabei, in deren Rahmen Polizei, Feuerwehr, Bundesheer und die Behörden den Notfall oder den Ernst­fall geübt haben. Jede Übung ist wichtig, jede Maßnahme ist wichtig, dennoch wünsche ich mir, dass es uns erspart bleibt, solch ein Szenario miterleben zu müssen. Denken wir nur darüber nach, was es bedeutet, für wenige Minuten im privaten Haushalt, in Be­trieben keinen Strom zu haben, und wie die Kommunikation dann mit der Familie oder


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mit Freunden abläuft, wie schwierig es ist, wenn der Strom weg ist, die Heizung ausfällt, der Kontakt abgebrochen ist.

In diesem Sinne: Wir unterstützen diesen Antrag, wir begrüßen jede Maßnahme in diese Richtung, und ich wünsche mir, dass uns ein Szenario mit Blackout erspart bleibt. (Beifall bei der ÖVP.)

15.26


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


15.26.52

Bundesrätin MMag. Elisabeth Kittl, BA (Grüne, Wien): Herr Präsident! Liebe KollegIn­nen! Liebe ZuseherInnen! Das sind grundsätzlich begrüßenswerte Anträge, denn wir haben bei der Fotovoltaik noch viel Luft nach oben: Wir haben viele Dächer, auf denen Sonnenkollektoren Platz haben, und wir fordern schon lange, dass endlich die Potenziale zur Gewinnung von sauberer Energie ausgeschöpft werden, die der öffentlichen Hand als Liegenschaftseigentümerin zur Verfügung stehen. Schon längst sollten alle Gebäude mit Fotovoltaikanlagen ausgestattet sein, aber da sind alle gefordert: der Bund, die Län­der und die Gemeinden.

Was ich betonen möchte: Der Notfall ist nicht vorrangig – wenn auch dringlich – das Blackout, sondern der Notfall ist die Klimakrise. Darüber hinaus haben alle Parteien im Juni – ein Kollege hat vorhin schon andere Beispiele gebracht – einen Antrag zur Erstel­lung eines Gesamtkonzepts für die Autarkie von Kasernen im Krisen- und Katastrophen­fall eingebracht. Das Ministerium für Landesverteidigung ist nun dabei, dieses Gesamt­konzept mit den Säulen Selbstversorgungsfähigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit für Ka­sernen auszuarbeiten. Dabei geht es neben der Energieversorgung auch um andere Versorgungsleistungen. Die Herstellung der Autonomie in der Stromversorgung ist da natürlich miteingeschlossen, und dieses Gesamtkonzept wird uns Ende des Jahres vor­gelegt.

Zu erwähnen ist aber auch, dass die Situation der Polizeistationen ein bisschen eine andere ist, vor allem im Sinne der Verortung, denn sie stehen nicht so wie die Kasernen allein auf weiter Flur, sondern sie sind oft eingemietet: in Häusern, die dem Bund gehö­ren – ja –, aber auch – und gar nicht selten – in Häusern, die den Städten oder den Ge­meinden gehören.

Der Antrag richtet sich ausschließlich an den Bund, aber – wie auch Herr Hirczy schon gesagt hat – der Innenminister hat schon angekündigt, dass für eine autarke Energiever­sorgung in den Polizeidienststellen mit PV-Anlagen vorzusorgen ist. Die Bundesimmobi­liengesellschaft, die BIG, hat sich genauso zum Ziel gesetzt, eine weitestgehend klima­neutrale Energieversorgung ihrer Liegenschaften zu erreichen – nicht nur in Gebäuden mit Polizeidienststellen, auch in allen anderen Gebäuden, insbesondere in Schulen.

Daher komme ich auch auf den Appell vom Anfang meiner Rede zurück: Liebe SPÖ, reden Sie mit Ihren SPÖ-KollegInnen in Regierungsfunktionen in den Städten und Ge­meinden, wie zum Beispiel in Wien, und bringen Sie Fotovoltaikanlagen auf die Dächer der Stadt, auf alle öffentlichen Gebäude. Das ist schon lange überfällig, und ich möchte es betonen: Der Notfall ist die Klimakrise – nicht für ein paar Stunden, sondern für unsere gesamte Zukunft. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei BundesrätInnen der ÖVP.)

15.29


15.29.47

Vizepräsident Günther Novak: Weitere Wortmeldungen dazu liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung, die über die gegenständlichen Tagesordnungspunkte getrennt erfolgt. – Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 121

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Bundesräte Dominik Reisinger, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden der Polizei mit Photovoltaik-Anlagen, 305/A(E)-BR/2021 sowie 10739/BR der Beilagen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die dem gegenständlichen Entschlie­ßungsantrag in der Fassung der dem Ausschussbericht beigedruckten Entschließung ihre Zustimmung erteilen, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der gegenständliche Entschließungsantrag ist somit in der Fassung der dem Ausschussbe­richt beigedruckten Entschließung angenommen. (352/E-BR/2021)

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Bundesräte Wolfgang Beer, Kolleginnen und Kollegen betreffend Ausstattung von Gebäuden des Bundesheers mit Photovoltaik-Anlagen, 306/A(E)-BR/2021 sowie 10742/BR der Beilagen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, dem gegenständlichen Entschließungsantrag die Zustimmung zu erteilen, um ein Handzei­chen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit. Der gegenständliche Entschließungsantrag ist somit angenommen. (351/E-BR/2021)

15.31.4613. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Michaela Schar­tel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Tourismuskasse (307/A(E)-BR/2021 sowie 10737/BR d.B.)


Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nun zum 13. Tagesordnungspunkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Horst Schachner. – Ich bitte um den Bericht.


15.32.24

Berichterstatter Horst Schachner: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bringe den Bericht des Ausschus­ses für Tourismus, Kunst und Kultur über den Entschließungsantrag der Bundesräte Horst Schachner, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Tourismus­kasse.

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor.

Ein Beschluss über den Antrag, dem vorliegenden Entschließungsantrag die Zustim­mung zu erteilen, ist infolge Stimmengleichheit nicht zustande gekommen.

Ich bringe folgende Druckfehlerberichtigung zum Bericht des Ausschusses für Touris­mus, Kunst und Kultur mit der Beilagennummer 10737 ein: Der Titel des Ausschussbe­richtes soll richtig heißen:

„Bericht des Ausschusses für Tourismus, Kunst und Kultur über den Entschließungs­antrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Michaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Tourismuskasse“ (307/A(E)-BR/2021). – Danke.


Vizepräsident Günther Novak: Danke, Herr Bundesrat, für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Horst Schachner. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


15.33.49

Bundesrat Horst Schachner (SPÖ, Steiermark): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie im Ausschuss schon besprochen finde ich es schade, dass es da eine Meinung gegen eine Tuak, gegen eine Tourismus-Urlaubs- und Abfertigungskasse, gibt. Wie ja alle hier herinnen wissen, ist die Buak ziemlich genau dasselbe und funktioniert auch gut.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 122

Ich kenne keinen einzigen Unternehmer, der gesagt hat, die Buak ist etwas Schlechtes. Im Gegenteil, alle sagen: Gott sei Dank haben wir die Buak! Damit können wir nämlich Saisonniers, die nur in der Saison arbeiten, viel einfacher, viel besser und administrativ leichter handeln!

Es gibt natürlich auch Förderungen vom Bund für diese Buak, und das Gleiche können wir uns bei der Tuak vorstellen. Leider gibt es dazu von euch keine Zustimmung.

Ich muss auch sagen: Wenn man nur daran denkt, dass es ab 1. Oktober bei den Kündi­gungsfristen in den Kollektivverträgen eine Angleichung für Arbeiter und Angestellte gibt, außer im Hotel- und Gastgewerbe, wo es noch zwei Fristen gibt, die nicht angeglichen werden, dann kann man sich vorstellen, dass in diesem Gewerbe wirklich etwas faul ist, dass dort die Sozialpartnerschaft einfach nicht funktioniert.

Jetzt habe ich gelesen, dass die Wirtschaftskammer zum OGH rennt. Wir werden in der nächsten Woche zum OGH gehen, um eine Feststellungsklage zu machen, weil es nicht sein kann, dass Saisonniers beziehungsweise alle, die im Bereich Koch oder Kellner arbeiten, nicht in diese Verordnung hineinkommen können. Es ist einfach eine Schande für dieses Gewerbe, das muss man ganz ehrlich sagen.

Es heißt jetzt immer, man braucht Kellnerinnen, man braucht Kellner, man braucht Per­sonal für den Tourismus, wenn man aber so mit den Leuten umgeht und wenn das in die Öffentlichkeit kommt, dann darf man sich nicht wundern, wenn niemand mehr im Tou­rismus arbeiten möchte. (Beifall bei der SPÖ und bei BundesrätInnen der FPÖ.)

Also ich glaube, eine Tuak wäre ein kleiner Puzzlestein auf dem Weg dahin, dass diese Berufe wieder attraktiviert werden. Ich glaube, das wäre ganz, ganz wichtig. Es braucht das. Kollegin Schartel, die Lohnverrechnerin ist, wird Ihnen nachher noch erzählen, wie es wirklich ausschaut, welche Vorteile auch die Unternehmungen haben.

Noch einmal: Ich glaube nicht, dass das mehr kosten würde – und das wissen wir auch ‑, sondern wenn wir das so zustande brächten, wie es bei der Buak ist, dass der Bund auch noch Zuschüsse gibt, dann hätte ja jeder Unternehmer etwas davon. Da frage ich mich, warum man das eigentlich nicht wertschätzt beziehungsweise warum man so et­was nicht macht.

Daher, liebe Kolleginnen und Kollegen, stelle ich den Antrag, unserem Entschließungs­antrag bezüglich Tuak die Zustimmung zu erteilen. – Recht herzlichen Dank und Glück auf!

15.36


Vizepräsident Günther Novak: Der von den Bundesräten Horst Schachner, Andrea Michaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung eingebrachte Antrag zum Verhandlungsgegenstand, dem Entschließungsantrag die Zu­stimmung zu erteilen, ist genügend unterstützt und steht demnach mit in Verhandlung.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Robert Seeber. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


15.37.32

Bundesrat Robert Seeber (ÖVP, Oberösterreich): Hohes Präsidium! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren via Livestream! Kollege Schachner, das Bashing auf den Tourismus – es gebe so schlechte Arbeitsbedingungen – bringt uns nichts. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Ich weiß nicht, ob du es mitbekommen hast: Alle Branchen – alle Branchen! – suchen händeringend Leute. (Zwischenruf des Bundesra­tes Schachner.) Da muss ich mich ein bisschen dagegen verwehren, dass das immer so auf dem Tourismus picken bleibt, weil das einfach nicht den Tatsachen entspricht. (Bundesrätin Steiner-Wieser: Das stimmt aber schon!) Ich kenne keine Branche in Ös­terreich, die keine Mitarbeiter sucht. (Beifall bei der ÖVP.)


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 123

Ich möchte jetzt aber nicht Klassenkampf betreiben, das bringt uns nichts. Das Thema ist die Buak, die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse, beziehungsweise die Ein­führung einer Tourismuskasse.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Buak – ich kürze das so ab – gibt es, um in die Geschichte zurückzugehen, seit dem Jahre 1946, also fast 80 Jahre. Die Gründung der Buak war berechtigt, ganz klar. Man wollte den Bauarbeiter absichern, sodass, wenn er das Unternehmen wechselt, wenn er den Job verliert oder wenn er die Arbeit unterbre­chen will, seine Urlaubsansprüche und seine Auszahlungen gesichert sind. Das hat seine Berechtigung gehabt, hat sich aber im Lauf der Jahrzehnte überholt und ist obsolet geworden. (Anhaltende Zwischenrufe der Bundesrätin Schumann.)

Es fehlen aus meiner Sicht einfach die Motive für die Errichtung einer Tuak, denn es gibt heute ein Urlaubsgesetz, es gibt heute einen Kollektivvertrag, dort ist das ganz genau geregelt: Es beginnt mit dem ersten Tag der Arbeit der Anspruch auf Urlaub. Es ist auch geregelt, wie das mit der Auszahlung vonstattengeht. Also ich glaube, jetzt extra ein Bürokratiemonster, eine Tourismuskasse errichten zu wollen, geht daran vorbei. (Zwi­schenrufe bei der SPÖ. – Bundesrat Bader: Bürokratiemonster!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zu den Fakten zurückkom­men! Es gibt heute keine Anwartschaft auf einen Urlaubsanspruch. Der Urlaubsan­spruch - - (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Aufpassen, Sozialdemokraten, das ist wichtig! Ihr werdet es eh wissen, aber mir kommt vor, ihr wisst nicht, wie die Gesetzeslage ist. (Weitere Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Der Anspruch auf Urlaub beginnt ab dem ersten Tag der Arbeit und die Urlaubsansprü­che werden nach Beendigung der Arbeit ausbezahlt oder während der Arbeit konsumiert. So funktioniert das in meinem Betrieb. Für laufende Urlaubsansprüche werden Rückstel­lungen gegründet. Wird ein Dienstverhältnis beendet, werden dem Mitarbeiter, der Mitar­beiterin die Urlaubsansprüche abgegolten oder er beziehungsweise sie hat sie während des Dienstverhältnisses schon verbraucht.

Auch bei Überstunden hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Auszahlung oder Kom­pensation in Freizeit, und auch bei Feiertagen existieren diese Regelungen laut Kollektiv­vertrag und Urlaubsgesetz.

Für den Arbeitnehmer – für den macht ihr euch ja stark; da habe ich einen Gedanken­sprung – ändert die Tourismuskasse nämlich nichts, außer dass bei Beendigung des Dienstverhältnisses bei Nichtinanspruchnahme des Urlaubs das Geld in der Urlaubs­kasse bleibt, während die Arbeitnehmer speziell in Saisonbetrieben mit der Auszahlung rechnen. Die wollen, dass das Geld ausbezahlt wird und nicht in der Kasse bleibt. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Schumann.) Also ihr stellt euch da schon gegen die Arbeit­nehmer, das verstehe ich nicht.

Ich habe gerade von der überbordenden Bürokratie gesprochen. Von der Logik her: Dop­pelte Buchhaltung, doppelte Lohnverrechnung schaffen doppelte Kosten. Doppelte Auf­zeichnungs- und Prüfpflichten sind zu befürchten. Arbeitnehmerdaten und -infos werden zur externen Kontrolle auch jetzt schon von der Sozialversicherung, von der Finanz und vom Arbeitsinspektorat kontrolliert, wenn ich richtig informiert bin.

Was den Vorwurf – den möchte ich hier ansprechen – Entzug von Liquidität aus den Firmen betrifft: Die Zuschläge für die Urlaubsansprüche müssen laufend, wie es jetzt in der Buak ist, von den Betrieben abgeliefert werden und werden später, wenn der Ur­laubsanspruch entstanden ist, an die Unternehmer zurücküberwiesen. Daher gibt es ei­ne erhebliche Bürokratie, einen erheblichen IT-Aufwand. Das Geld wandert im Kreis und sonst gar nichts. Wir schicken jetzt das Geld von den Betrieben zur Buak, im Kreis hin und her. Das heißt, selbst wenn es eine Anschubfinanzierung durch die öffentliche Hand gibt, zahlt letztendlich der Betrieb, zahlen die Betriebe mittelfristig die Kosten.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 124

Dass man das einmal gehört hat: 2 Prozent braucht die Buak in der jetzigen Form für Verwaltungskosten. Es sind dort 250 Mitarbeiter beschäftigt, zwei Direktoren, es gibt neun Landesstellen, einen großen Funktionärsapparat, bestehend aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder et cetera. (Zwi­schenruf der Bundesrätin Schumann.) Also wenn ein derartiges Bürokratiemonster heu­te modern ist, na, Kinder, da frage ich mich schon, was das mit einem modernen Staat zu tun hat. Das führt zu einer Entmündigung der Betriebe.

Ich gebe zu, es ist eine Spielwiese für Herrn Hebenstreit, denn ich darf noch erwähnen – nur damit man eine Vorstellung von der Größenordnung hat –, es sind über 1 Milliarde Rücklagen in der Buak gebunkert, das muss man gesetzlich, und ich kann nicht erken­nen, was es bringen soll, einen derartigen Apparat aufzubauen. (Zwischenruf der Bun­desrätin Schumann.) Ich kann diesem Ansinnen also nicht zustimmen.

Ich habe auch schon die Meinung gehört: Wenn es die Tuak gibt, dann finden wir leichter Mitarbeiter! (Zwischenruf der Bundesrätin Schartel.) Also ich habe mich bei uns in der Bundeswirtschaftskammer schlau gemacht und frage mich, wieso man, wenn es die Buak im Baugewerbe gibt, dort händeringend nach Mitarbeitern sucht. Das muss mir jemand erklären. – Danke. (Beifall bei der ÖVP.)

15.44


Vizepräsident Günther Novak: Zu Wort gelangt Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


15.44.26

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Viel ge­sagt, Herr Seeber, aber leider auch viel Falsches. Wo soll ich jetzt anfangen und korri­gieren?

Erstens einmal: Ich finde es ja lustig, dass Sie diese Funktionärsstruktur bei der Buak erwähnen. Ich kenne eine Wirtschaftskammer, die permanent irgendwelche Gewer­be spaltet, damit sie zwei Mal Grundumlagen kassieren kann, damit es einen neuen Innungsmeister gibt und so weiter. Wer sitzt in solchen Gremien? – Hauptsächlich Schwarz und Rot. (Beifall bei der FPÖ.)

Dann: Die Buak ist seinerzeit nicht gegründet worden, damit Bauarbeiter, die gekündigt werden oder ihre Arbeitsstelle verlieren, einen Urlaubszuschuss bekommen, sondern speziell, weil das eine saisonbedingte Arbeit ist und wir in Österreich im Urlaubsgesetz immer Anwartschaftszeiten hatten, um Urlaubsanspruch zu lukrieren. Vor allem sind Ur­laubszuschüsse meistens auch mit Wartezeiten verbunden. Man hat sie seinerzeit des­wegen gegründet, da ein Bauarbeiter, wenn er nur zwei Monate auf einer Baustelle war und dann wieder einen neuen Arbeitgeber hatte, unter Umständen 15 Jahre in diesem Job tätig war und nie einen gescheiten Anspruch auf Urlaub, geschweige denn auf einen Urlaubszuschuss hatte. Das war in erster Linie der Grund.

Ich finde diese Idee deshalb auch für die Gastronomie gut, weil wir natürlich wissen, dass gerade auch der Tourismus und die Gastronomie immer mehr zu einer saisonalen Branche werden, das heißt, die Menschen in diesem Beruf haben immer mehr unter­schiedliche Arbeitgeber und haben dadurch oft wirklich das Problem, dass sie um An­sprüche umfallen. Deswegen ist das so wichtig.

Darüber hinaus haben Sie zum Beispiel gesagt, der Unternehmer zahlt dann noch drauf. Das stimmt nicht, es ist eine Art Umlageverfahren, denn wenn Sie, Herr Seeber, Ihrer Personalverrechnung den Auftrag geben, einen Dienstnehmer abzurechnen – Endab­rechnung mit Urlaubszuschuss, Weihnachtsgeld, offenem Urlaub, sofern vorhanden –, dann macht das Ihre Personalverrechnung, bei dem System der Buak – so wäre es auch bei der Tuak – macht es die Buak für Sie. Der Vorteil ist, dass die Buak dann, wenn


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 125

jemand auf Urlaub geht, die kompletten Lohnnebenkosten für den Urlaubszuschuss und für das sogenannte Urlaubsentgelt übernimmt, also es ist in dem Fall nicht so, dass mehr Kosten entstehen.

Sie haben natürlich monatlich etwas zu bezahlen, was Sie sonst nur im Anlassfall zu bezahlen haben. Das ist das Gleiche wie mit der Abfertigung Neu, da zahlt auch jeder Unternehmer bei der ÖGK monatlich die Beiträge, damit dann, wenn der Mitarbeiter den Anspruch hat, einfach das Geld da ist, denn eine Urlaubsrückstellung, Herr Seeber, ist nicht etwas, bei dem Sie Geld in die Hand nehmen und das für einen Arbeitnehmer X in eine Sparkassa legen, das ist eine rein steuerbilanztechnische Buchung, damit der Ge­winn minimiert wird und Sie nicht so viel Einkommensteuer zahlen müssen. Das hat überhaupt nichts mit Urlaubsansprüchen für Dienstnehmer zu tun.

Ich finde die Idee sehr gut und vor allem finde ich es auch ein richtiges Signal. Was meiner Meinung nach der größte Vorteil bei der Buak ist, ist, dass in Wirklichkeit Leuten, die der Buak unterliegen, Urlaube nicht verfallen können, was sehr wohl aber in der nor­malen Privatwirtschaft und im Urlaubsgesetz vorgesehen ist. Warum nicht? – Weil die Buak jeden Dienstnehmer vorher anschreibt und sagt: Pass auf, der Urlaub ist vom Ver­fall bedroht, beantrage ihn, damit du ihn rechtzeitig ausgezahlt bekommst!

Es würde sich auszahlen, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, zu vergleichen, was gut läuft. Ich finde, in der jetzigen Situation wäre es ein gutes Signal, dass man den Mitarbeitern sagt: Wir überlegen uns, wie wir in doch nicht so leichten Zeiten euren Beruf ein bisschen sicherer machen können! (Beifall bei der FPÖ und bei BundesrätInnen der SPÖ.)

15.48


15.48.37

Vizepräsident Günther Novak: Weitere Wortmeldungen liegen dazu nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Michaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen betreffend Installierung einer Tourismuskasse. – Bitte nehmen Sie die Plätze ein.

Es liegt hiezu ein Antrag der Bundesräte Horst Schachner, Andrea Michaela Schartel, Kolleginnen und Kollegen gemäß § 43 Abs. 1 der Geschäftsordnung vor, dem Entschlie­ßungsantrag die Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, dem gegenständlichen Entschließungsantrag die Zustimmung zu erteilen, um ein Handzei­chen. – Auch ich mache von meinem Stimmrecht Gebrauch. – Die Abstimmung ergibt wieder, wie beim letzten Punkt: Sozialdemokraten: 18, Freiheitliche: 11, das ergibt 29 Stimmen; ÖVP: 24, Grüne: 5 und Herr Arlamovsky, NEOS, das ergibt 30 Stimmen. – Das ist die Stimmenminderheit. Der gegenständliche Entschließungsantrag ist somit abgelehnt.

15.50.3614. Punkt

Entschließungsantrag der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend Sozialhilfe-Grundsatzgesetz re­parieren, Armut wirksam bekämpfen! (308/A(E)-BR/2021 sowie 10746/BR d.B.)


Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nun zum 14. Tagesordnungspunkt.

Berichterstatter ist Herr Bundesrat Ingo Appé. – Ich bitte um deinen Bericht.


15.51.02

Berichterstatter Ingo Appé: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bringe den Bericht des Ausschusses für


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 126

Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über den Entschließungsantrag der Bundesrä­te Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen be­treffend Sozialhilfe-Grundsatzgesetz reparieren, Armut wirksam bekämpfen!

Der Bericht liegt Ihnen in schriftlicher Form vor, ich komme sogleich zur Antragstellung.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz stellt nach Beratung mit Stimmenmehrheit den Antrag, dem Entschließungsantrag der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend So­zialhilfe-Grundsatzgesetz reparieren, Armut wirksam bekämpfen! keine Zustimmung zu erteilen.


Vizepräsident Günther Novak: Danke für die Berichterstattung.

Wir gehen in die Debatte ein.

Zu Wort gemeldet ist Frau Kollegin Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


15.52.16

Bundesrätin Mag. Daniela Gruber-Pruner (SPÖ, Wien): Hohes Haus! Leider ist nie­mand von der Regierung hier. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Zuse­herinnen und Zuseher! Kurz zur Erinnerung: 2019 wurde die damalige Mindestsicherung trotz vieler, vieler, vieler Warnungen von ExpertInnen und PraktikerInnen durch das So­zialhilfe-Grundsatzgesetz ersetzt. Aus unserer Sicht war die damalige Mindestsicherung das letzte Netz im österreichischen Sozialstaat und hatte eine kaum zu überschätzende Bedeutung, wenn es darum geht, Menschen ein finanzielles Existenzminimum sicherzu­stellen.

Das aktuelle Sozialhilfe-Grundsatzgesetz kann das nicht und erfüllt diese Aufgabe nicht. Es hält Menschen in Armut. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Die Kritik an diesem aktuellen Grundsatzgesetz kommt nicht nur von uns, nicht nur von unserer Fraktion: Mittlerweile, und zwar im März 2021, haben auch alle neun Soziallan­desräte beziehungsweise Soziallandesrätinnen gemeinsam erklärt, dass es eine Eva­luierung dieses Systems braucht, und es braucht auch eine Behebung der Schwächen, und zwar zumindest durch eine Reform.

Sie alle wissen es, und immer wieder betone ich es: Armut von Menschen zu akzeptieren ist in höchstem Maß unverantwortlich, weil wir alle wissen, dass Armut krank macht, dass Armut Menschen daran hindert, im Arbeitsmarkt integriert zu werden und so weiter. Menschen in Armut leben zu lassen ist nicht nur ein Problem für diese Menschen, son­dern es ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft.

Gerade Anfang dieser Woche haben sich viele Kinderärztinnen und Kinderärzte gemel­det, das war sozusagen ein Aufschrei aus dem Grund, dass Armut schon bei Kleinstkin­dern erkennbar ist, weil ihr Gesundheitszustand schlechter ist, weil ihr Entwicklungs­stand schlechter ist, und Kinder tragen dieses Paket ihr ganzes Leben mit. Sie haben also von Anfang an einen Startnachteil, den man nicht gut wieder aufholen kann. Das können wir als Gesellschaft nicht wollen und nicht akzeptieren! (Beifall bei der SPÖ.)

Wir als Sozialdemokratie haben gemeinsam mit dem Kollegen von den NEOS einen Antrag eingebracht, in dem wir erneut dieses unter Türkis-Blau entstandene Sozialhilfe-Grundsatzgesetz kritisieren und auch eine Reparatur fordern.

Es gibt dazu auch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, und seither, seit diesem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, herrscht Stillstand. Es passiert nichts, um die­sen Missstand zu beheben. Was hat der Verfassungsgerichtshof damals kritisiert? – Er sagt, verfassungswidrig war einerseits die Kinderstaffelung, dass nämlich nicht jedes


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 127

Kind denselben Betrag bekommt. Es war außerdem verfassungswidrig, einen Arbeits­qualifikationsbonus zu benennen, und es hat den Gleichheitsgrundsatz verletzt, auf­grund von fehlenden Sprachkenntnissen Kürzungen festzusetzen. All das ist aufgelistet, all das steht im Raum, es wurde bisher nicht behoben. Wir setzen noch hinzu, dass wir bemängeln, dass statt Mindestleistungen jetzt mit Maximalbeiträgen gearbeitet wird. Das ist aus unserer Sicht nicht zulässig.

Wir haben gerade in der Covid-Krise gesehen – und sehen es immer noch –, dass ein funktionierendes Sozialsystem, eine funktionierende Mindestabsicherung für unsere Ge­sellschaft absolut notwendig sind und dass sich die Menschen das auch verdient haben.

Wir hatten in unserem Antrag den Sozialminister – leider ist er heute krank – aufgefor­dert, umgehend mit den Ländern in Verhandlungen zu treten und dem Parlament bis zum Sommer nächsten Jahres ein Gesetz vorzulegen, das tatsächlich armutsvermei­dend und armutsbekämpfend wirkt.

Einige Organisationen und einige NGOs, die in diesem Bereich mit armutsbetroffenen Menschen arbeiten, sagen, eine Reparatur, eine Reform reicht nicht, es braucht ein neues Grundsatzgesetz. Sie formulieren auch Kriterien, die ich noch einmal mitformulie­ren möchte, die in diesem Bereich notwendig wären. Es geht darum, dass man Men­schen, die von Armut betroffen sind, ein menschenwürdiges Leben sichert. Es geht auch darum, Sicherheit und Stabilität zu organisieren und verstärkt auf Integration zu setzen. Auch das ist wichtig. Es geht darum, Menschen vom Rand in die Mitte der Gesellschaft zu holen, indem man sie in den Arbeitsmarkt, in die Bildung und so weiter integriert.

Was jetzt aber de facto der Fall ist: Es gibt einen viel höheren Verwaltungsaufwand, als es bisher der Fall war, und am Schluss kommt bei den Menschen weniger an. Das ist aus unserer Sicht nicht sinnvoll.

Ziel eines modernen sozialen Netzes müsste sein, erstens Grundrechte statt Almosen zu gewähren, zweitens Chancen statt Abstieg zu sichern, drittens sozialer Ausgleich statt Spaltung und viertens die Achtung und die Wertschätzung aller Menschen, statt sie zu beschämen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Wir hätten es enorm wichtig gefunden, dass dieser Aufruf, der auch von den Soziallan­desrätinnen und Soziallandesräten kommt, ernst genommen wird, dass eine Verbesse­rung eingeleitet wird. Wir sind nicht damit einverstanden, dass unser Antrag abgelehnt wird.

Ich schließe mit den Worten einer großen Plattform, die sich Wir gemeinsam nennt. Da heißt es: „Wir brauchen eine neue Mindestsicherung, die Existenz, Chancen und Teilha­be sichert.“ – Danke. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

15.59


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Sonja Zwazl. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


15.59.34

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich): Herr Präsident! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Armut wirksam zu bekämpfen, das wollen wir alle, dafür treten wir alle ein. Wir haben oft verschiedene Zugänge!

Meine Vorrednerin Daniela Gruber-Pruner hat es schon angesprochen: Es hat im März eine Konferenz der LandessozialreferentInnen gegeben, bei der alle Länder gemeinsam einen Beschluss gefasst und an den Bundesminister geschrieben haben. Sie haben ihn beauftragt, eine Studie in Auftrag zu geben. Die Studie ist auch in Auftrag, und man sollte die Ergebnisse jetzt einmal abwarten. Es geht dabei genau um folgenden Inhalt: Analyse des letzten sozialen Sicherungsnetzes auf seine Wirkungsdimension unter Berücksichti­gung der aktuellen Covid-19-Krise. Wie weit ist das letzte soziale Sicherheitsnetz ar­mutsfest? Werden alle von Armut und sozialer Ausschließung betroffenen Personen


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 128

durch das letzte soziale Sicherungsnetz aufgefangen? Wo gibt es Lücken? Welche neu­en Armutslagen sind im Zuge der Covid-19-Krise zu erwarten? Welche Gruppen sind vom Sozialhilfe-Grundsatzgesetz besonders betroffen?

Ich denke, man sollte wirklich einmal abwarten, was bei dieser Studie, die in Auftrag gegeben wurde, herauskommt.

Du (in Richtung Bundesrätin Gruber-Pruner) hast auch die Kindergrundsicherung ange­sprochen. Dabei ist es ganz einfach so, dass die Länder nach eigenem Ermessen nach dem Sozialhilfe-Grundsatzgesetz alle erforderlichen Leistungen für Kinder festsetzen und Qualifizierungen, auch insbesondere die Sprachausbildung, zusätzlich zu den Geld­leistungen anbieten.

Es hat dann vom Bund Sachleistungen für die Schule – Schulbücher, Freifahrt et cetera – oder eine unentgeltliche Krankenversicherung für Kinder und darüber hinaus Geldleistungen wie Familienbeihilfe und Unterhaltsvorschuss gegeben. Diverse Covid-19-bedingte Sonderzahlungen des Bundes für Kinder, für Energie wurden gesetzlich von der Anrechnung auf Sozialhilfeleistungen ausgenommen. Ich glaube, da wird wirklich sehr viel gemacht, um allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Jetzt kommt meine persönliche Betrachtung dazu: Geld allein kommt mir aber wie ein Pflaster vor, das lindert, aber nicht hilft. Angesprochen wurde, dass es ganz einfach wichtig ist, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben und sie unterstützen, damit sie bei uns so weit sind, dass sie in der Arbeitswelt eine Aufgabe, einen Platz finden, wo sie einfach auf eigenen Beinen stehen können.

Ich kümmere mich seit Jahrzehnten um junge Menschen, die überhaupt keine Ausbil­dung haben, die sogenannten Neets. Seit einem Jahr darf ich ehrenamtlich auch ein Ausbildungszentrum führen, gemeinsam mit dem AMS, der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer, wo wir Menschen zwischen 18 und knapp vor dem Pensionsantritts­alter betreuen. Dort müssen wir eigentlich noch verstärkt etwas machen – ich urteile überhaupt nicht. Da gibt es Menschen, das ist für uns unvorstellbar, die können nicht allein mit dem Bus fahren. Man kann nicht sagen: Wurscht, das geht nicht, das muss er!, das kann er nicht. Man muss ihn so weit bringen, dass er das kann. Wenn man diese Menschen immer nur unterstützt, indem man, wenn sie sagen: Das kann ich nicht!, auch sofort sagt: Dann musst du nicht!, dann hilft man ihnen nicht.

Ich erzähle jetzt nur von zwei Vorfällen, die ich in den letzten drei Wochen gehabt habe: Ein junger Mann hat nach einem Dreivierteljahr eine Aufnahmeprüfung in eine Pflege­schule gemacht. Wir waren alle sehr stolz, haben uns riesig gefreut. Am Nachmittag, bevor er am nächsten Tag in die Schule gehen sollte, habe ich einen Anruf bekommen: Er geht nicht. Ich habe mit ihm eineinhalb Stunden telefoniert und gesehen: pfff, schwie­rig. Ich habe dann seine Mutter angerufen – im Nachhinein habe ich erfahren, dass ich das gar nicht hätte machen dürfen, es war mir aber ganz einfach ein Anliegen ‑, danach habe ich noch einmal mit ihm telefoniert. Es hat damit geendet, dass er furchtbar geweint hat, ich ihm mehr oder minder erklärt habe, dass das eigentlich für ihn so wichtig ist und dass er eine Verantwortung sich gegenüber hat, einmal den Schritt zu machen. (Zwi­schenrufe der BundesrätInnen Schumann und Schennach.) Ich habe ihm gesagt: Schauen Sie, Sie gehen hin und was geschieht dort? Gar nichts geschieht Ihnen dort, da wird Ihnen nicht der Kopf abgeschlagen. Schauen Sie sich die Schule einmal an, trauen Sie sich, gehen Sie den Schritt! Und außerdem, habe ich gesagt, dürfen Sie nicht vergessen, dass Sie unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Ausbildungszentrum die Chancen nehmen, denn wenn wir schauen, dass die dort einen Platz kriegen, sagt jeder: Wer weiß, ob der dann kommt!

Er ist am nächsten Tag hingegangen, aber ich muss sagen, ich habe eine schlechte Nacht gehabt, weil ich es nicht gewusst habe, weil der sich so aufgeführt hat. Ich will


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 129

damit nur sagen, dass wir auf der einen Seite die Menschen selbstverständlich unter­stützen, das tun wir ja auch, aber auf der anderen Seite braucht es begleitende Maß­nahmen, dass wir sie auch so weit bringen. Jener ist jetzt stolz (Zwischenruf der Bun­desrätin Schumann), er kommt einmal in der Woche und holt einen zweiten ab. Er hat jetzt einen Pager und sagt: Pfff, mit dem fetze ich rein! – Hätte ich mich aber auf ihn nicht draufgesetzt, dann wäre das nicht geschehen.

Für einen anderen habe ich einen Betrieb gesucht, in dem er ein Praktikum machen kann. Ich habe dem Unternehmer gesagt: Pass auf, ich sage dir etwas, er hat kein Auto. Bei uns im Waldviertel ist das oft nicht so einfach. Der hat gesagt: Macht nichts, er wird in der Früh abgeholt und am Abend wieder zurückgebracht. Was war? – Am Montag in der Früh kam der Anruf von seiner Freundin: Er ist krank, er kann nicht. – Ich will damit nur sagen: Bei der Armutsbekämpfung, ich glaube, darin sind wir uns alle einig, machen wir viel, aber das muss zutiefst professionell geschehen. Darum ist es mir auch wichtig, dass man sich anschaut, was bei der Studie herauskommt.

Aus meiner Erfahrung – darum habe ich jetzt diese Beispiele erzählt – ist es so, dass Geld allein gar nichts nützt, sondern da muss man auch etwas machen. Das sind keine Einzelfälle, Korinna, schau es dir an (Bundesrätin Schumann: ..., ich betreue solche Menschen!) und frag einmal Präsidenten Markus Wieser! Wir haben viele solche Men­schen, und wenn man sie wirklich aus der Armutsfalle herausholen will, dann müssen sie ganz einfach Selbstbewusstsein kriegen (Bundesrätin Schumann: Genau!), dann müssen sie sich etwas zutrauen, denn sie sagen: Ich bin ja nichts, ich kann ja nichts, mich mag ja keiner! – Das muss man machen!

Was mich noch stört und mir total wehtut, ist ganz einfach, dass Kinder in eine solche Situation hineingeboren werden. Deshalb ist es wichtig, und daher meine Bitte, dass wir uns zusammensetzen und uns wirklich anschauen, was bei dieser Studie herauskommt, und das dann gemeinsam umsetzen.

Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich habe natürlich mit meiner Landesrätin gesprochen, weil in eurem Antrag diese Konferenz und der Beschluss erwähnt waren. Meine Bitte ist: Warten wir ganz einfach diese Studie ab und schauen wir, was wirklich noch wichtig ist, um noch erfolgreicher, als wir es schon tun, Menschen aus der Armutsfalle zu holen! – Danke schön. (Beifall bei ÖVP und Grünen.)

16.07


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


16.08.11

Bundesrat MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS, Wien): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Mit 1. Juni 2019 ist das türkis-blaue Sozialhilfe-Grundsatzge­setz in Kraft getreten, und die Länder hatten sieben Monate Zeit, entsprechende Ausfüh­rungsgesetze zu erlassen. Einer der wesentlichen Strickfehler dieses Gesetzes ist, dass anstelle von Mindeststandards nun Höchstsätze oder Minimalbeträge vorgesehen wer­den.

Wir haben jetzt auch schon gehört, dass die Konferenz der Landessozialreferentinnen und -sozialreferenten dazu einen Beschluss gefasst hat, dass es grundsätzlich ein neues Sozialhilfe-Grundsatzgesetz braucht, das aber auch insbesondere die Notstandshilfe und die Mindestsicherung, allenfalls auch die Grundversorgung, vereinen soll.

Der NEOS-Standpunkt zur Mindestsicherung/Sozialhilfe ist, dass diese kein Dauerbezug werden darf, sondern ein Sicherungssystem für alle Menschen sein soll, die es brau­chen. Da unser Sozialsystem ein komplexes Gewirr an Maßnahmen und Förderungen ist, profitieren davon mittlerweile nicht mehr diejenigen, die es am notwendigsten brau­chen, sondern diejenigen, die sich im System am besten auskennen.


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Dafür ist die Sozialhilfe das beste Beispiel. Wir sehen da in allen neun Bundesländern unterschiedliche Leistungen bei gleicher sozialer Notlage, fehlende Leistungsanreize, insbesondere fehlende Unterschiede zwischen Erwerbseinkommen und Sozialhilfe, und ein komplexes System von Sach- und Geldleistungen. Um die Leistungsanreize zu erhö­hen, fordern wir, dass in den Fällen, in denen neben der Sozialhilfe ein Erwerbseinkom­men bezogen wird, dieses nicht mehr eins zu eins abgezogen werden soll.

Wir fordern flexible Zuverdienstmöglichkeiten, was bedeutet, dass die Sozialhilfe in ei­nem geringeren Verhältnis reduziert wird, damit von jedem aus Erwerbstätigkeit verdien­ten Euro auch etwas übrig bleibt.

Wir NEOS fordern mehr Sachleistungen in den Bereichen Wohnen, Bildung und Kinder­betreuung, im Sozialhilfebereich auch die Übernahme von Miet- und Heizkosten unter Berücksichtigung eines angemessenen Wohnraums. Das würde bedeuten, dass die Miete direkt vom Staat an die Vermieterinnen und Vermieter der Wohnung ausbezahlt wird. Ebenso fordern wir die Übernahme sämtlicher Kosten in der Kinderbetreuung be­ziehungsweise bei Aus- und Fortbildungsmaßnahmen als Sachleistungen.

Langfristig stellen wir uns anstelle von Dutzenden Sozialleistungen ein Bürgerinnen- und Bürgergeld vor. Darin werden bereits bestehende Sozialleistungen zusammengefasst, der Zugang und die Verwaltung werden vereinfacht. Für alle Sozialleistungen, die nicht als Sachleistungen konzipiert sind, würde sich das Bürgerinnen- und Bürgergeld wie folgt zusammensetzen: Verschiedene Sozialleistungen, die dieselben Lebensbereiche be­treffen, werden in Komponenten zusammengefasst und mit pauschalen Beträgen hinter­legt. Die Untergliederung in Module lässt es zu, dass die Bedürftigkeit für jedes dieser Module einzeln geprüft werden kann. Dementsprechend werden auch nur jene Module gewährt, für die eine Bedürftigkeit feststeht. Konkret geht damit auch die Zusammenle­gung von Notstandshilfe und Mindestsicherung einher. Ein Vorbild in dieser Richtung ist die Regelung im Bundesland Vorarlberg.

Weiters fordern wir eine Residenzpflicht – eigentlich eine -obliegenheit –, das bedeutet, der Bezug von Leistungen wird an eine Wohnsitzauflage gekoppelt. Diese greift aber dann nicht, sobald an einem anderen Ort/in einem anderen Bundesland eine Berufstätig­keit oder Jobzusage nachgewiesen wird.

Und wir fordern einen Fokus auf Sachbezüge. Das schließt ein, dass auch Kinder zu direkten Leistungsempfängern werden. Das ist nämlich notwendig, um sie mit Werkzeu­gen auszustatten, damit sie ihr Leben eigenständig und unabhängig meistern können. Das ist auch deswegen so wichtig, weil zum Beispiel in Wien ein Drittel der Mindestsi­cherungsbezieherinnen und -bezieher Kinder sind, ungefähr jedes siebte minderjährige Kind in Wien in einer Mindestsicherungsbedarfsgemeinschaft lebt. (Bundesrätin Schar­tel: Das sind aber keine österreichischen Staatsbürger!) Deshalb muss sichergestellt werden, dass die Kinder, die Mindestsicherung beziehen, direkte Leistungsbezieherin­nen und -bezieher sind, und das kann durch Sachleistungen am ehesten garantiert wer­den. Mit Sachleistungen werden die Kinder nämlich direkt erreicht, wodurch ihnen faire Chancen zur Bildung ermöglicht werden.

Solche Sachleistungen kann es etwa in Form von Kinderbetreuung, Verpflegungsange­boten in der Schule und im Kindergarten und bei der Lernhilfe geben. Es können Aus­flüge bezahlt werden, insbesondere Schikurse oder eine Sommersportwoche – da se­hen wir die positiven Auswirkungen der Erlebnispädagogik – oder die Teilnahme an Frei­zeitsportangeboten. Ganz wichtig sind auch Schulsozialarbeit und Schulpsychologinnen und -psychologen für den Beziehungsaufbau. Kontinuität ist ein wichtiger Faktor in der sozialpädagogischen Arbeit.

Mit diesen Sachleistungen einhergehen würden das Setzen von Beziehungsangeboten, individuelle Förderungen, die Zukunftsentwicklung und vor allem die Entwicklung von Zuversicht.


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Die Mindestsicherung muss ein Auffangnetz für Kinder sein, wodurch garantiert ist, dass sie faire Entwicklungsmöglichkeiten vorfinden. Im fairen und chancengerechten Zugang zur Bildung liegt nämlich die Zukunft unserer Kinder. – Danke. (Beifall bei BundesrätIn­nen der SPÖ.)

16.13


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr das Wort. – Bitte.


16.14.09

Bundesrätin Andrea Michaela Schartel (FPÖ, Steiermark): Herr Präsident! Meine lie­ben Kollegen! Wie es Frau Kollegin Zwazl gesagt hat: Jeder von uns, der nur in irgend­einer Art und Weise engagiert ist, hat immer das Bestreben, jemandem zu helfen, egal worum es jetzt geht. Deshalb sind wir ja auch in der Politik, denn wir wollen Menschen helfen, Dinge zu verändern, Dinge zu verbessern.

Das Beste ist aber, sage ich immer, die Hilfe zur Selbsthilfe. Das heißt, wenn man nur hergeht und schaut, wie viel Geld man jemandem bedingungslos und ohne Auflagen zur Verfügung stellen kann, dann hilft diesem, davon bin ich überzeugt, das insofern mehr oder minder nicht, als er aus dieser Schleife nicht herauskommt.

Ich möchte ein Beispiel nennen: Bei mir im Bezirk war jemand, der ganz verzweifelt zu mir gekommen ist, er hatte auf einmal eine Stromnachzahlung von 1 000 Euro. 1 000 Euro sind sehr, sehr viel Geld! Er war verzweifelt und wusste nicht, was er tun sollte. Natürlich haben wir ihm einen finanziellen Zuschuss gegeben, aber gleichzeitig haben wir mit ihm Ursachenforschung betrieben. Das heißt, wir haben ihn bei der Hand genommen und geschaut, warum die Stromnachzahlung so hoch ist. Es bringt nichts, wenn wir ihm jetzt momentan selbst die 1 000 Euro bezahlen, was macht er dann nächstes und übernächs­tes Jahr? Man braucht also die Hilfe zur Selbsthilfe, sodass man die Ursache bekämpft. Und ich gehe davon aus, dass er dann nicht mehr vor dieses Problem gestellt wird.

Eines muss auch gesagt sein: Wir alle wissen, dass vor allem die Österreicher, die in solche Situationen kommen, diejenigen sind, die am wenigsten zu ihren Behörden ge­hen, zum Land gehen und bei Vater Staat um finanzielle Hilfe ansuchen. Die Mehrheit sind schon jene, die zu uns ins Land kommen und sagen: Hier gibt es das einfach, es ist bequemer, es ist praktischer. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es darf aber doch bitte nicht sein, dass eine Familie, die auf irgendeine Art und Weise nach Österreich gekommen ist, mit den ganzen Sozialhilfen ein wesentlich höheres Nettoeinkommen zusammen­bringt als ein Österreicher, der 40 Stunden in der Woche dafür arbeiten geht. Das muss auch einmal gesagt werden! (Beifall bei der FPÖ. – Zwischenruf bei der SPÖ.) – Nein, das ist die Wahrheit!

Ich muss euch ehrlich sagen: Es kann doch nicht sein, dass man für das Nichtstun bald mehr verdient, als wenn man jeden Tag in der Früh aufsteht, die Kinder betreut und arbeiten geht. Es ist ein schmaler Grat, das ist mir vollkommen klar. Ja, wirklich: Wenn jemand in Not ist, haben wir in Österreich Gott sei Dank die Möglichkeit, diesem Men­schen zu helfen. Es wird aber niemandem helfen, wenn man ihn nur finanziell unterstützt. Vor allem dann, wenn es ein Staat in Ordnung findet – auch die Sozialdemokraten –, dass eine Mutter, die bereit ist, in den ersten beiden Lebensjahren selbst auf ihr Kind zu schauen, mit 14,53 Euro am Tag abgespeist wird, verstehe ich oft diese Euphorie nicht, dass man für andere Menschen, die unter Umständen gar keine Leistung erbringen, noch mehr Geld pro Tag ausschütten will. (Beifall bei der FPÖ.)


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16.17


Vizepräsident Günther Novak: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Andreas Lackner. Ich erteile ihm das Wort. – Bitte.


16.17.50

Bundesrat Andreas Lackner (Grüne, Steiermark): Herr Präsident! (Bundesrat Steiner: Jetzt kommt etwas Einschläferndes zum Schluss!) Kolleginnen und Kollegen! Werte Zu­seherinnen und Zuseher! Zum Sozialhilfe-Grundsatzgesetz ist zunächst einmal festzu­halten, dass wir das aus der Ära Schwarz-Blau geerbt haben, und tatsächlich haben die Länder Adaptionsbedarf angemeldet. (Bundesrat Spanring: Das ist etwas Gescheites gewesen!) Der Niederösterreichische Landtag hat sogar einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Aus meiner Sicht ist Teil eins des Antrages bereits erfüllt beziehungsweise in Erfüllung begriffen. Das Sozialministerium ist mit den Ländern bereits in Gespräche eingetreten. Ein entsprechender Gesetzesvorschlag ist im Ministerium bereits erarbeitet, muss aller­dings eben noch mit den Ländern abgestimmt und auch politisch akkordiert werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist das im Antrag von SPÖ und NEOS genannte Datum grundsätzlich realistisch.

Die Position der Grünen wird im Antrag wiedergegeben, auch wenn wir überrascht sind, dass sowohl SPÖ als auch NEOS für eine Anhebung der Mindestsicherung auf 1 328 Euro pro Monat für eine allein lebende Person eintreten. Das war bisher, insbesondere in Zeiten, in denen die SPÖ in Regierungsverantwortung war, nicht der Fall. Es ist aber gut zu wissen, dass es jetzt so ist und die SPÖ zumindest in Oppositionszeiten diese Posi­tion vertritt. (Zwischenruf der Bundesrätin Schumann.)

Gleichzeitig – und das ist das Problem – ist es so, dass eine Mehrheit der Mitglieder dieses Hauses – das gilt für den Bundesrat und den Nationalrat – die Änderung der be­stehenden Regelung derzeit leider ablehnt.

Was wir Grüne gemacht haben, ist, wirksame Maßnahmen gegen Armutsgefährdung zu setzen, nämlich Maßnahmen wie Kurzarbeit, Bildungsbonus, Erhöhung der Zuverdienst­grenze für Studierende, Erhöhung der Familienbeihilfe, Senkung des Eingangssteuer­satzes, erhöhte Negativsteuer, Familienhärtefonds, Härtefallfonds für EPU und so wei­ter. (Ruf bei der SPÖ: ... Hacklerregelung!)

Wir werden weiter die entsprechenden Gesetze vorbereiten. Vor allem stehen wir dafür, jährlich eine überproportionale Anhebung der Ausgleichszulage in Richtung Armutsge­fährdungsschwelle sicherzustellen. Damit erhöhen wir automatisch auch das Siche­rungsniveau der Mindestsicherung. – Danke. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

16.20


16.20.31

Vizepräsident Günther Novak: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Das ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Bundesräte Korinna Schumann, MMag. Dr. Karl-Arthur Arlamovsky, Kolleginnen und Kollegen betreffend So­zialhilfe-Grundsatzgesetz reparieren, Armut wirksam bekämpfen! – Bitte nehmen Sie Ih­re Plätze ein.

Der Ausschuss für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz des Bundesrates hat mit Stimmenmehrheit beantragt, dem Entschließungsantrag keine Zustimmung zu erteilen.

Ich ersuche daher jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Antrag zustimmen, dem gegenständlichen Entschließungsantrag keine Zustimmung zu erteilen, um ein Hand­zeichen. – Das ist die Stimmenmehrheit. Der Antrag auf Nichtannahme des gegen­ständlichen Entschließungsantrages ist somit angenommen.

16.21.4115. Punkt

Wahl einer/eines Schriftführerin/Schriftführers für den Rest des 2. Halbjahres 2021


Vizepräsident Günther Novak: Wir gelangen nun zum 15. Tagesordnungspunkt.


BundesratStenographisches Protokoll930. Sitzung, 930. Sitzung des Bundesrates am 7. Oktober 2021 / Seite 133

Wir kommen nun zur Wahl eines Schriftführers.

Es liegt mir der Vorschlag vor, das Mitglied des Bundesrates Günter Kovacs für den Rest des 2. Halbjahres 2021 zum Schriftführer des Bundesrates zu wählen.

Ich bitte jene Bundesrätinnen und Bundesräte, die diesem Wahlvorschlag ihre Zustim­mung geben, um ein Handzeichen. – Das ist die Stimmeneinhelligkeit, der Wahlvor­schlag ist somit angenommen. (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage den Gewählten, ob er die Wahl annimmt.

*****

(Bundesrat Günter Kovacs bedankt sich und nimmt die Wahl an.)

*****

Die Tagesordnung ist erschöpft.

16.22.45Einlauf und Zuweisungen


Vizepräsident Günther Novak: Ich gebe noch bekannt, dass seit der letzten bezie­hungsweise in der heutigen Sitzung insgesamt 15 Anfragen eingebracht wurden.

Eingelangt sind

der Antrag 309/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Michael Bernard, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „Rücknahme der Nova-Erhöhung“, der dem Finanzausschuss zugewie­sen wird,

der Antrag 310/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Michael Bernard, Kolleginnen und Kolle­gen betreffend „keine Erhöhung der motorbezogenen Versicherungssteuer“, der dem Finanzausschuss zugewiesen wird, sowie

der Antrag 311/A(E)-BR/2021 der Bundesräte Markus Leinfellner, Kolleginnen und Kol­legen betreffend „Attraktivieren des Bundesheeres durch Anpassungen im Gehaltsge­setz“, der dem Landesverteidigungsausschuss zugewiesen wird.

*****

Die Einberufung der nächsten Sitzung des Bundesrates wird auf schriftlichem Wege erfolgen. Als Sitzungstermin wird Donnerstag, der 21. Oktober 2021, 9 Uhr, in Aussicht genommen.

Für die Tagesordnung dieser Sitzung kommen insbesondere jene Beschlüsse in Be­tracht, die der Nationalrat bis dahin verabschiedet haben wird, soweit diese dem Ein­spruchsrecht beziehungsweise dem Zustimmungsrecht des Bundesrates unterliegen.

Die Ausschussvorberatungen sind für Dienstag, den 19. Oktober 2021, 14 Uhr, vorge­sehen.

Kommen Sie gut nach Hause!

Die Sitzung ist geschlossen.

16.24.18Schluss der Sitzung: 16.24 Uhr

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien