9.43

Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung Dr. Heinz Faßmann: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Herzlichen Dank für die Themensetzung, herzlichen Dank auch für die Beiträge der Vorredner und Vorrednerinnen! Ich habe mich jetzt be­müht, kritische Gegenstimmen für mich zu sammeln, um Ihnen entgegnen zu können – ich habe sie nicht wirklich gefunden.

Frau Steiner-Wieser, Sie haben dazu aufgefordert, dass die Schulen offen bleiben sol­len. Ja, genau das habe ich auch getan. Es hat viele Stimmen aus den Ländern gegeben, ich sage quer durch die Couleurs, bis auf die FPÖ; auch der Linzer Bürger­meister ist immer der Meinung, dass die geschlossene Schule das Beste ist. Wobei, und darauf hat meine Vorrednerin hingewiesen, es da ja ein Missverständnis gibt. Man spricht so schnell von der geschlossenen Schule, aber: Was heißt geschlossene Schule? – Nach dem Epidemiegesetz heißt das: Betretungsverbot, es darf niemand mehr hingehen. Da merken dann diejenigen, die fordern, die Schulen zu schließen: Hoppla, ganz so geht es ja nicht! Wie machen wir das mit der Betreuung? Also machen wir die Schule doch einen Spalt auf, zumindest für die Betreuung. – Denen muss ich dann aber auch wieder entgegnen und sagen: Wir haben beim letzten Mal bemerkt, dass bei der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern zur Betreuung zum Schluss 40 Prozent, 50 Prozent, in manchen Gebieten 80 Prozent der Schüler in der Schule waren.

Aber nur ein Betreuungsangebot zu machen und den ganzen Tag „Mensch ärgere Dich nicht“ zu spielen, das ist, glaube ich, keine wirkliche Ansage, also habe ich gesagt, wir ermöglichen eine Schule, die Unterricht anbietet, und wir sorgen dafür, dass diejenigen, die, aus welchen Gründen auch immer, in dieser sehr angespannten Situation nicht in die Schule gehen wollen, über Lernpakete, über Distancelearning am Unterrichts­ge­schehen teilhaben können. Das ist eine gute Lösung – eine gute Lösung, weil letztlich die Eltern am besten wissen, was für ihre Kinder gut ist. Manche lernen auch zu Hause ordentlich, manche lernen nur in der Schule, manche haben zu Hause einen Arbeits­platz, manche haben keinen – und Sie glauben doch nicht wirklich, dass das der Bil­dungsminister für 1,1 Millionen Schülerinnen und Schülern vom Minoritenplatz aus beur­teilen kann.

Warum, meine Damen und Herren, trete ich so unverdrossen für eine grundsätzlich offene Schule ein? – Weil ich weiß, dass natürlich das Zusammentreffen mit den Gleichaltrigen, das soziale Leben in der Schule eine ganz wichtige Komponente dar­stellen. Interessanterweise ist das bei den jüngeren weniger der Fall als bei den älteren Schülern. Wer als 16-Jähriger den ganzen Tag von Mama und Papa betreut wird, der wird irgendwie unzufrieden werden. Kollegen aus der Psychiatrie haben auch sehr deutlich nachgewiesen, dass gerade das Verschreiben von Antidepressiva, suizidale Attitüden bei den Älteren deutlich ansteigen. Daher bin ich immer sehr dafür gewesen, die Schule offen zu halten. Das scheint mir ganz wichtig zu sein.

Ich weiß auch, dass die Bildungsschere bei geschlossenen Schulen aufgeht. Man darf nicht glauben, dass ich nicht die soziale Realität kenne. Natürlich, wer zu Hause einen guten Arbeitsplatz hat, der wird Lockdownphasen, auch schulische Lockdownphasen, schon überstehen, wer das nicht hat, der tut sich sehr viel schwerer. Ich denke da – und das sage ich auch ganz klar und offen – auch an Mehrkindfamilien, an Alleinerzie­herInnen, für die es vielleicht sehr viel schwieriger ist, einen schulischen Alltag über Dis­tancelearning aufrechtzuerhalten.

Und schließlich trete ich für die offene Schule ein, weil ich sage, dass das ein kon­tro­llierter Ort ist. Wir werden heute vielleicht am Nachmittag noch einmal darüber sprechen, wir haben vom Bildungssystem her dafür gesorgt, dass wir in den Schulen systematisch und strukturiert testen können. Nennen Sie mir ein anderes Beispiel aus der Gesell­schaft, wo wir so systematisch unterwegs sind, um Infektionsketten zu unterbrechen! Diejenigen, die sagen: Schickt doch die Kinder nach Hause!, die geben letztlich ein ganz wesentliches Instrument der Pandemiebekämpfung auf. Was nämlich werden die Jugendlichen machen? Den ganzen Tag bei Mama und Papa sitzen? – Nein, sie werden sich woanders treffen, in einem unkontrollierten Setting. Daher sage ich: Nein, das ist keine Lösung. Wir haben eine gute Lösung gefunden, und zu der stehe ich auch. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Jetzt sagen mir manche Kollegen auch aus der Wissenschaft: Aber Sie ignorieren da die hohen Infektionszahlen! – Darauf antworte ich: Nein, keineswegs, wir haben jetzt die Maskenpflicht im Unterricht. Ich weiß, das ist eine Zumutung, ich sage auch, es muss Maskenpausen geben, aber in dieser prekären Situation – das muss man auch zur Kenntnis nehmen – ist das ein gelinderes Mittel als das Schließen von Schulen. Wir testen, wir testen auch die Geimpften, denn in dieser Situation ist meiner Meinung nach Vorsicht wichtiger als eine Nachsicht, wodurch wir dann vielleicht Gefahr laufen, dass wir in den Schulen zusätzliche Cluster erzeugen.

In Oberösterreich und Niederösterreich, Frau Kollegin, haben wir einen Antigentest durch einen PCR-Test ersetzt. Während alle anderen Testsysteme ins Straucheln kommen (Rufe bei der SPÖ: Wien nicht!), weil sie zur rechten Zeit zu wenig Labor­kapazität aufgebaut haben, haben wir vorgesorgt; auch in Kooperation mit Wien, gar keine Frage. Ich stehe mit dem Stadtrat immer in Kontakt darüber, wir ergänzen da unsere Aktivitäten.

Wir haben auch die überlasteten Gesundheitsbehörden mit der bereits erwähnten Regelung, dass wir im Falle von zwei positiv getesteten Schülern und Schülerinnen Dis­tancelearning verordnen, entlastet. (Zwischenruf der Bundesrätin Hahn.)

Wo stehen wir derzeit? – Rund 85 Prozent der Schüler und Schülerinnen kommen in die Schule, nehmen am Präsenzunterricht teil – gut so. In Salzburg und Oberösterreich sind es weniger, weil dort die Infektionssituation eine prekärere ist – gut so. Wir haben in den vergangenen Wochen wieder Antigentests und PCR-Tests durchgeführt. Wir sehen: Gott sei Dank sinkt die Positivitätsrate, und das heißt, der Anteil der positiven Tests an der Gesamtzahl der Testungen wird immer geringer. Das ist ein guter Indikator dafür, dass die Infektion nicht mehr so grassiert, wie sie es getan hat. In die gleiche Richtung geht auch die schon erwähnte Abwasseranalytik, die ich als Bildungsminister in meiner Kompetenz als Forschungsminister installiert habe. Wir sehen aus der Abwasser­analytik, dass die Situation eine bessere wird.

Meine Damen und Herren! Kinder und Jugendliche haben seit Anbeginn dieser Pan­demie eine außerordentlich große Solidarität mit den Älteren, mit meiner Altersgruppe, gezeigt, das ist gar keine Frage. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass jetzt auch meine Altersgruppe Solidarität mit den Jüngeren zeigt, anstatt den Druck zu erhöhen, sodass die Kinder und Jugendlichen abermals Opfer bringen müssen. Geben wir ihnen die offenen Schulen zurück! – Ich danke Ihnen für jede Unterstützung dieser Strategie, den Kindern und Jugendlichen eine offene Schule zu geben. Das ist genau das, was ich möchte: ihnen ein Stück Normalität wieder zurückzugeben. – Herzlichen Dank. (Beifall bei ÖVP und Grünen sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

9.51

Präsident Dr. Peter Raggl: Ich danke dem Herrn Bundesminister.

Ich mache nun darauf aufmerksam, dass die Redezeit aller weiteren Teilnehmer an der Aktuellen Stunde nach Beratung in der Präsidialkonferenz jeweils 5 Minuten nicht über­steigen darf.

Zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Sebastian Kolland. – Bitte.