10.52

Bundesrat Mag. Sascha Obrecht (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Das ist heute praktisch das erste Mal für mich, meine erste Rede im Parlament. Ich habe mir dazu im Vorfeld überlegt, ob ich es angesichts der Weihnachtszeit ein wenig besinnlicher und versöhnlicher anlegen soll. Das kann und darf ich jedoch nicht. (Heiterkeit und Zwischenrufe bei der ÖVP.)

Während nämlich ganz Österreich eigentlich an der Pandemiebewältigung arbeiten sollte, ist die Bundesregierung vor allem mit sich selbst beschäftigt. Auch der Arbeits­minister kocht sein eigenes Süppchen. Er schmiedet Pläne, eine der wichtigsten Schutz­einrichtungen der Arbeitnehmer auszutrocknen, und das schrittweise, nämlich den Insolvenzentgeltfonds. Der klingt als Begriff jetzt einmal nicht so sexy, das gebe ich zu, aber der Insolvenzentgeltfonds ist eine extrem wichtige Einrichtung. Er springt ein, salopp gesagt, wenn Unternehmen zusperren. Er sorgt dafür, dass auch im Fall der Insolvenz noch offene Löhne und andere Ansprüche von Arbeitnehmern ausgezahlt werden.

Im vorliegenden Gesetzentwurf geht es um organisatorische Änderungen dieses Fonds. Sie wollen da eine Zentralisierung vorantreiben. Dazu könnte ich auch sehr viel sagen, und ich habe diesbezüglich auch meine Bedenken, es stört mich aber vor allem etwas, das nicht im Gesetzentwurf enthalten ist: Gerade in Zeiten der Krise könnte sich der Arbeitsminister überlegen, wie man diesen Schutzschirm weiterentwickelt – er macht jedoch genau das Gegenteil. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Preineder.)

Er plant, mit einer auf diesem Gesetz beruhenden Verordnung die Haupteinnahmequelle des Fonds mit einem Schlag zu halbieren. Er will unter dem Schlagwort der Lohnneben­kostensenkung – das hören wir ja sehr oft – die Arbeitgeberzahlungen halbieren. Für den einzelnen Arbeitgeber ist das gar nicht so viel – von 0,2 Prozent der Beitrags­grund­lage geht es auf 0,1 Prozent –, für die Arbeitnehmer ist das jedoch ein Wahnsinn. Das ist die Halbierung der Einnahmen!

Ich will Ihnen dazu auch etwas sagen, das nicht von mir kommt, sondern vom Budget­dienst; es findet sich in einer Analyse zum Entwurf des Bundesfinanzgesetzes 2020. Ich zitiere wörtlich daraus: „Bei einem Anstieg von Insolvenzen in Folge der COVID-19-Krise könnte in den Folgejahren wieder ein höherer Beitragssatz erforderlich sein.“ – Damit wird etwas gesagt, was ohnehin logisch ist oder zumindest logisch sein sollte: In Zeiten einer Krise spart man nicht bei der Absicherung von Arbeitnehmern, sondern im Gegen­teil. (Beifall bei der SPÖ.)

Niemand weiß, wie viele Unternehmen noch in Insolvenz gehen müssen, weder ich noch der Arbeitsminister noch sonst jemand. Sich just diesen Moment auszusuchen, um die Austrocknung des Insolvenzentgeltfonds voranzutreiben, ist verantwortungslos. Sie nehmen vom Schutzschirm der Arbeitnehmer und geben an die Unternehmen – und damit Sie im Parlament kein Problem damit bekommen, reden Sie sich auf die Verord­nung aus. Ich habe mir die Nationalratsdebatte von letzter Woche ganz genau ange­sehen. Da haben Sie gesagt: Die Verordnung steht nicht auf der Tagesordnung, des­wegen sage ich dazu nichts. – Das ist natürlich richtig, aber das Gesetz, auf dem die Verordnung beruht, steht heute sehr wohl zur Diskussion. Sie könnten ja auch die Verordnung sein lassen und einen Vorschlag zur Änderung des § 12 des Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes vorlegen – da steht nämlich drinnen, dass man die Verord­nung nutzen kann –, dann hätten wir eine ordentliche parlamentarische Debatte. Dann könnten wir hier darüber diskutieren, wie hoch dieser Zuschlag sein soll. Das wollen Sie aber nicht, weil Sie genau wissen, dass diese Maßnahme in diesem Moment nicht nachvollziehbar ist. Sie ist falsch, und sie ist schlecht für die österreichischen Arbeit­nehmerinnen und Arbeitnehmer. (Beifall bei der SPÖ.)

Das absolut Mindeste, was ich mir heute erwarte, ist, dass Sie im Gegensatz zur Diskussion im Nationalrat heute dazu Stellung beziehen, warum Sie es genau in diesem Moment für notwendig erachten, diesen Beitrag zu senken. Ich kann mir schon vorstel­len, was herauskommt: Der Fonds ist momentan gut dotiert, deswegen kann man da schon ein bisschen zurückfahren. – Aber gerade jetzt? Wollen wir nicht ein Jahr abwar­ten? Wollen wir nicht schauen, ob die Pandemiebewältigung es notwendig macht, auf diesen Fonds noch viel stärker zurückzugreifen, weil es vielleicht zu Insolvenzen kommt, die wir momentan nicht abschätzen können? – Das würde ich mir heute als Antwort erwarten. (Beifall bei der SPÖ.)

Meine Fraktion wird dem Gesetzentwurf daher nicht zustimmen. Er verschweigt sich zu den wesentlichen Vorhaben des Ministers. Er ist eine vertane Chance, das Gesetz in Krisenzeiten robuster zu machen und weiterzuentwickeln. Er ist daher unzureichend und eine reine Nebelgranate, um von der Austrocknung des Insolvenzentgeltfonds abzulen­ken. Bei so etwas wollen und werden wir nicht Beitragstäter sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Mein Appell geht auch an die Grünen – die Grünen haben uns auch gerade ange­sprochen, deswegen mache ich das auch –: Solche Verordnungen werden gespiegelt. Da kann man sich melden. Da kann man sagen, das will man nicht, man denkt, in Pan­demiezeiten ist es nicht sinnvoll, den Fonds auszutrocknen. Machen Sie das! Das wäre Verantwortung in der Bundesregierung. (Beifall bei der SPÖ.)

Wenn wir den Minister schon hier haben, werde ich auch gleich ein paar Worte zu den vorgeschlagenen Änderungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes hinzufügen: Wir hören in Österreich immer von einem Fachkräftemangel. Damit ist im Wesentlichen gemeint, dass Betriebe Jobs haben, für die sie keine Arbeitnehmer finden – salopp gesagt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, wie man aus diesem Dilemma herauskommt. Die erste Lösung – der bin ich zugetan – ist: Man überlegt sich, wie man die Arbeitsbe­dingungen verbessert, um den Arbeitsplatz zu attraktivieren. Dafür steht einem die ge­samte arbeitsrechtliche Klaviatur zur Verfügung, von höherer Bezahlung, von Sonder­zuschlägen für zeitlich unangenehm gelegene Dienste bis hin zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen allgemein. Das könnte man machen.

Die Bundesregierung wählt einen ganz anderen Weg. Dieser besteht darin, mehr Drittstaatsangehörigen den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu gewähren. Dadurch muss man nichts verbessern, man holt sich einfach eine Ersatzarmee.

Warum bin ich davon überzeugt, dass das nicht der richtige Weg ist? (Bundesrat Preineder – erheitert –: Weil Sie ein Sozialist sind!) – Weil ich davon überzeugt bin, dass es bei den meisten Beteiligten insgesamt zu einer Verschlechterung der Lebensbedin­gungen führt. Da ist zunächst der Drittstaatsangehörige, der in der Hoffnung auf bessere Bezahlung verständlicherweise seine Heimat verlässt und hier zu teils auch katastro­phalen Bedingungen arbeiten muss. Ich verweise dabei auf Reportagen, die wir immer wieder zur Situation von Erntehelfern sehen. Dazu kommt, dass er immer wieder für längere Zeit von seiner Familie getrennt ist. Da mag es schon sein, dass das für viele Personen oder für einige Personen erstrebenswert ist, generell weiß ich allerdings nicht, ob das das Beste ist, was wir als Gesellschaft zusammenbekommen, und ob das wirklich ein erstrebenswertes Ziel ist.

Da sind dann noch die österreichischen Arbeitnehmer. Die leiden nicht unmittelbar, die leiden mittelbar, denn es ist klar: Solange es einen konstanten Zustrom von Dritt­staats­angehörigen auf den österreichischen Arbeitsmarkt gibt, besteht keine Veranlassung für Betriebe, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Für österreichische Arbeitnehmer bleibt daher oft die Wahl zwischen schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Branchen oder Arbeitslosigkeit – und das ist keine Wahl, die man gerne trifft.

Es gibt jedoch einen großen Gewinner, wenn man dieses System so auflegt: Das sind Betriebe, die die prekäre Situation von Drittstaatsangehörigen ausnutzen und sie zu extrem schlechten Bedingungen arbeiten lassen. Dabei will ich, und das sage ich auch sehr deutlich, sehr differenziert argumentieren. Ich weiß, dass das nicht alle Betriebe in Österreich sind. Ich weiß, es gibt auch in Tourismus und Gastro viele Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer ordentlich behandeln – aber es gibt auch welche, die das eben nicht tun, und da sollte man ansetzen. (Bundesrat Preineder: Es gibt auch Arbeitnehmer, die ...!)

Insgesamt bleibt für mich Folgendes hängen: Mit dieser Strategie der Bundesregierung wird kein Anreiz geschaffen, dass sich die Arbeitsbedingungen in diesen Branchen tatsächlich verbessern. Es ist vielmehr ein negatives Anreizsystem, alles zu lassen, wie es ist.

Das will ich auch dazusagen: Das sehe nicht nur ich so. Der Chef von Do & Co, der aus einer Branche kommt, die es momentan besonders trifft, und der nicht im Verdacht steht, Sozialdemokrat zu sein, sagt zu dieser Debatte übrigens: „Man braucht nicht herum­jammern, sondern muss die Arbeitsbedingungen massiv verbessern und die Gehälter ordentlich anheben, damit die Menschen überhaupt wieder in diesem Job arbeiten wollen.“ (Beifall bei der SPÖ.)

Zugegeben, das wäre nicht ganz meine Wortwahl, es ist aber ein richtiger Punkt, der damit angesprochen ist. Das Problem des Fachkräftemangels ist oft auch ein Problem schlechter Arbeitsbedingungen, und das muss auch in die Köpfe der ÖVP reinkommen. Deswegen wiederhole ich es noch einmal: Das Problem des Fachkräftemangels ist oftmals auch ein Problem schlechter Arbeitsbedingungen! (Beifall bei der SPÖ.)

Auch der Salzburger Innungsmeister der Bäcker hat sich im November dazu geäußert – wieder keiner, der im Verdacht steht, ein Sozialdemokrat zu sein –: Salzburger Bäcke­reien haben bei der Personalrekrutierung immer wieder ein Problem gehabt. Was haben sie gemacht? – Sie haben die Produktion auf den Tag verlegt, weg von den frühen Morgenstunden, hin zu familienfreundlichen Zeiten, und siehe da, das Personalproblem war gelöst.

Ich komme zum Schluss: Wie man merkt, bin ich mit der Performance des Arbeits­ministers nicht zufrieden. Ich glaube, die Vorschläge, die da gebracht wurden, sind untauglich, aber nicht nur das. Auf EU-Ebene enthält er sich, wenn es darum geht, europaweite Mindestlöhne einzuführen. Über die Cofag schüttet er Förderungen aus, bei denen er niemandem in Österreich sagt, welchen Unternehmen diese genau ausbezahlt werden, auch dem ORF nicht. Der ORF-Mitarbeiter Martin Thür hat da momentan ein Verfahren  und versucht immer noch herauszufinden, wer das ist, und das Arbeitsminis­terium weigert sich, diese Informationen herauszugeben. Warum nur?

Ich weiß auch nicht, was die konkreten Vorhaben und Ziele des Ministers im Arbeitsrecht sind. Was sind seine Pläne? Wie soll das sein? – Ich kenne dazu nichts, ich habe nichts gehört. (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Abschließend bleibt daher mein Wunsch an das Christkind: Anstatt die Handykamera im Halbdunkel auf die Rückseite seiner Ministerkollegin zu richten, soll sich der Arbeits­minister auch einmal um die Interessen der Arbeitnehmer kümmern, damit wäre Österreich nämlich wirklich geholfen. (Beifall bei der SPÖ.)

11.02

Präsident Dr. Peter Raggl: Zu Wort gemeldet ist Bundesrätin Alexandra Platzer. Ich erteile ihr dieses.