13.56

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werter Herr Bundeskanzler! Werter Herr Vizekanzler! Werte neue Minister! Werte Staats­sekre­tärin! Ich verstehe ja eh, dass man in dieser Regierung jetzt eine unglaubliche Sehnsucht nach der Gnade des Vergessens hat, nach dem Nicht-mehr-Wahrnehmen, was war, nach dem: Alles ist mega! – Nur stehen wir als BundesrätInnen und vor allen Dingen als BundesrätInnen der Sozialdemokratie noch immer unter dem Eindruck der letzten Bundesratssitzung: Während der ÖVP-Kanzler und die MinisterInnen hier im Bundesrat von Stabilität und Zukunftsplänen sprachen, liefen im Hintergrund auf Social Media bereits ihre Rücktrittsreden.

Wir haben das weitere Zerbröseln des türkisen Systems live erlebt. Hätte man das im Theater so inszeniert, hätte man wohl gesagt: Na ja, das gibt es ja gar nicht, das ist jetzt schon ein bisserl übertrieben! – Aber nein, es fand wahrhaftig statt, und wir alle hier im Bundesrat durften Zeuginnen und Zeugen des Geschehens sein. (Heiterkeit und Beifall bei der SPÖ sowie Beifall des Bundesrates Arlamovsky.)

Leider ist das kein Theater und es ist nicht im Geringsten lustig. Österreich befindet sich in einer extrem schwierigen Zeit, und die ÖVP versucht, nach dem gescheiterten türkisen Experiment wieder irgendwie Tritt zu fassen – auch verständlich. Das Land aber braucht Stabilität. Die SPÖ hat immer dazu beigetragen – und wird es auch weiterhin tun –, für Stabilität zu sorgen (Bundesrat Steiner: Bravo!), weil wir wissen, dass dieses Land wieder ein stabileres Fahrwasser braucht. Aber wohlgemerkt: Es geht um die Stabilität des Landes im Interesse der Österreicherinnen und Österreicher und nicht um die Stabi­lität der ÖVP und darum, wie sie sie wieder zurückgewinnt. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein neuer Farbanstrich entbindet auch nicht aus der Verantwortung für das, was die ÖVP verursacht hat. Der öffentlich gemachte, wirklich unverschämte Griff in die Kassa des Finanzministeriums: Dafür muss die ÖVP ihre Verantwortung tragen. Mit dem Kommu­nikationsschmäh Kontrollversagen im Finanzministerium kommen Sie hier nicht durch. Was wir weiters jetzt aus dem Finanzministerium betreffend die Vorgänge rund um Tho­mas Schmid hören, ist alles mehr als bedenklich – und da ist seitens der ÖVP Verantwor­tung zu tragen. (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Durch all die taktischen Personalrochaden, die neuen Minister und die Staatssekretärin, die sich erst einarbeiten müssen, wird für die Menschen noch nichts besser. Der neue Bundeskanzler ist kein Unbekannter, auch wenn jetzt der Eindruck entstehen soll, es ist eine völlige persönliche Wandlung eingetreten. Wir haben nicht vergessen, dass Sie gut integrierte Kinder in der Nacht abgeschoben haben, wir wissen um das Scheitern Ihres Ressorts bei der Terrorismusbekämpfung und dem schrecklichen Anschlag in der Wie­ner Innenstadt, der Menschenleben gekostet hat und der hätte verhindert werden kön­nen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen darum, die Grünen haben es anscheinend vergessen.

Es geht aber nicht um diese schlingernde Regierung und die Parteiinteressen von ÖVP und Grünen, es geht einzig und allein um die Menschen in Österreich und ihre derzeit so schwierige Lage, die schon so lange anhält.

Die belastende Coronazeit – wir gehen in das dritte Jahr, und sie wird weiter andauern –, dazu das Scheitern der Bundesregierung in der Pandemiebekämpfung, unter dem wir alle leiden, eine viel zu niedrige Impfrate, x Menschen, die unter Long Covid leiden, und viel zu viele Coronatote, das ist die bestürzende traurige Bilanz.

Altkanzler Kurz hat die Pandemie im Sommer für beendet erklärt. Das angebliche Kom­munikationstalent war nicht einmal fähig, eine wirkungsvolle Impfkampagne aufzu­stel­len; keine Anreizsysteme, wie zum Beispiel im Burgenland, wo das so toll gewirkt hat. Wo ist der rot-weiß-rote Impfscheck von 500 Euro für alle, die sich den dritten Stich geben lassen? Damit würde man auch die heimische Wirtschaft fördern. Wo sind die Infokampagnen, um die Fragen rund um die Impfung zu beantworten? (Beifall bei der SPÖ.) Wo sind die Diskussionsmöglichkeiten für all jene, die noch an der Impfung zweifeln? Und ich meine hier ganz bewusst nicht die immer radikaler agierenden Impf­gegner, sondern einfach jene, die Angst haben.

Es gab einen vierten Lockdown, in den wir durch nicht rechtzeitiges Handeln der Regie­rung hineingerast sind, weiter Belastungen für die Menschen, vor allem auch für die Geimpften, die sich auch noch weiterhin testen lassen, weitere Belastungen für die Wirtschaft, weitere Belastungen für den Tourismus – und vor allem: die Beschäftigten in der Gesundheit und Pflege, sie wurden heute schon oft angesprochen, können nicht mehr. Sie leisten Unglaubliches, weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus, und sie können nicht mehr.

Die Offensive Gesundheit hat dem Gesundheitsminister als Zeichen eine Gefähr­dungs­anzeige übergeben. Diese wird von den Gewerkschaften, der Ärztekammer und der Arbeiterkammer unterstützt, und ich darf daraus wie folgt zitieren: „Es ist unsere Pflicht, Sie, Herr Bundesminister [...], die gesamte Bundesregierung durch diese Gefährdungs­anzeige darauf hinzuweisen, dass durch Ihr Nichtstun die Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege kollabiert und Patientinnen und Patienten sowie Bewohnerinnen und Bewohner in höchstem Ausmaß gefährdet sind.“

„Auch wenn alle Berufsgruppen des Gesundheitswesens mehr als ihr Möglichstes geben,“ – und das ist die Wahrheit – „werde es [...] durch die gegenwärtig belastenden Arbeitssituationen zu Fehlern und Gefährdungen kommen: ,Die Sicherheit und die Ge­sundheit des Personals sind unter den bestehenden Arbeitsbedingungen massiv gefähr­det!‘“

Das ist ein Hilfeschrei, und das ist doch erschütternd, da muss doch gehandelt werden!

Noch unerträglicher ist, dass die Beschäftigten in diesen Bereichen bedroht werden. Schützen Sie die Krankenhäuser und die dort Beschäftigten! Schützen Sie die Pflege­kräfte vor tätlichen Angriffen! Da darf es keine Toleranz geben! (Beifall bei der SPÖ sowie des Bundesrates Arlamovsky.)

Viele systemerhaltende Beschäftigtengruppen leisten oft ganz unbemerkt Unglaubliches in dieser Pandemie. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eine Gruppe erwähnen, das ist jene der Beschäftigten in der Elementarpädagogik. Die Beschäftigten dort sind die Vergessenen in der Pandemie. Sie können keine Masken tragen, sie haben aber ein besonders hohes Ansteckungsrisiko. Noch immer gibt es keine bundeseinheitliche Test­strategie, kein einheitliches Hygienekonzept für die Kindergärten und kein zusätzliches Unterstützungspersonal. Wir reden davon, wie es nach den Feiertagen den Schulen ergehen wird, und das ist auch völlig richtig, aber es kommt kein Wort zu den Kinder­gärten, und das ist unerträglich!

Die Kinder brauchen offene und sichere Kinderbildungseinrichtungen, Eltern können ohne diese Bildungseinrichtungen keiner Beschäftigung nachgehen. Gewerkschaft und Arbeiterkammer haben schon so oft darauf hingewiesen, erst letzte Woche wieder. Bitte handeln Sie da endlich, es braucht ein einheitliches Konzept! Kindergärten können nicht zum Coronacluster werden. Die Situation ist wirklich unerträglich. (Beifall bei der SPÖ.)

Wie geht es den Menschen in Österreich? – Es ist nicht alles mega, nein: Sie leiden unter der Teuerung, und zwar ganz massiv; jene, die sowieso schon wenig haben, noch viel mehr. 150 Euro für sie ist etwas, aber nur ein Tropfen auf dem heißen Stein – bitte keine A-bisserl-was-für-die-Ärmeren-Politik à la ÖVP, die sich die Grünen bei gleich­zeitigem Ausräumen des Insolvenzentgeltfonds haben abkaufen lassen.

Wir hatten eine hohe Inflation und haben eine Inflation von 4,3 Prozent im November, so hoch wie seit 30 Jahren nicht. Die stärksten Preistreiber sind die Energiekosten, die Treibstoffkosten. Der Preis für Diesel ist um 40,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen, jener für Heizöl um 64,5 Prozent, aber auch Mieten, Lebensmittelpreise, Strompreise sind gestiegen. Das trifft alle, auch den Mittelstand, und es kann davon ausgegangen werden, dass es im kommenden Jahr so weitergeht. Andere Länder haben gehandelt, aber wo ist Ihr Handlungsansatz? Wo ist die Teuerungsbremse? Wo ist das Winterpaket, damit die Geldbörsen der Menschen in diesem Winter endlich ganz rasch entlastet werden? Da gilt es zu handeln. (Beifall bei der SPÖ.)

Das Problem, sich die Existenz nicht mehr leisten zu können, kennen vor allem junge Menschen besonders gut. Für die Anschaffung der ersten Wohnung, für den Aufbau der ersten eigenen Existenz fehlt oft das Geld, vor allem durch die Inflation und niedrige Einstiegslöhne. Frau Staatssekretärin, wie stellen Sie sich das vor: bis 30 ein Haus gebaut, ein Kind gezeugt, einen Baum gepflanzt!? So waren Ihre Worte. Bitte, schauen Sie sich die Immobilienpreise an, schauen Sie sich die Grundstückspreise in der letzten Zeit an, das kann sich eine Person mit einem durchschnittlichen Einkommen niemals leisten! (Beifall bei der SPÖ.)

Besonders bedauerlich finde ich, dass es in der Arbeit der Regierung so gut wie keinen frauenpolitischen Ansatz gibt. Herr Bundeskanzler, ich habe Ihnen genau zugehört, und auch Herr Vizekanzler, die Frauen wurden mit keinem Wort erwähnt. Es gibt nur das Thema Familienpolitik, und da sehen wir, dass eher die Ungleichheit gefördert wird: Wohlhabende Familien erhalten mehr, Familien mit weniger Einkommen weniger. – Wie ungerecht ist das denn?

Noch etwas zu den Frauen: Barbara Prammer hat einmal sinngemäß gesagt, das Aus­maß der Gleichstellung von Frauen sei der Gradmesser für die Qualität der Demokratie. Im Sinne dieses Maßstabes sollten wir uns bitte alle große Sorgen machen, und zwar über die Parteigrenzen hinweg. Corona darf nicht zum Booster für ein längst veraltetes Frauenbild werden. Dafür tragen Sie auch in dieser Regierung Verantwortung. (Beifall bei der SPÖ.)

Grundsätzlich sagen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: Die Grundlage unseres Handelns ist, für gerechte Verteilung zu sorgen, nicht die Reichen noch reicher zu machen und den Rest der Bevölkerung zurückzulassen und im Strudel der Teuerung alleinzulassen.

Die Auswirkungen des Klimawandels, der Digitalisierung dürfen nicht zum Angstszenario werden, sondern müssen in gemeinsamer Anstrengung abgefedert und gestaltet wer­den.

Chancen zu geben und Möglichkeiten zu eröffnen, und zwar für alle, das muss unser Ziel sein, und in dieser schweren Coronazeit die vielen Lasten von den Schultern der Menschen zu nehmen und Gräben zu überbrücken, das muss aus unserer Sicht der zukünftige Weg sein, und dafür steht die Sozialdemokratie. – Vielen Dank. (Beifall bei der SPÖ.)

14.07

Vizepräsidentin Mag. Christine Schwarz-Fuchs: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Christoph Steiner. Ich erteile ihm dieses.