10.55

Bundesrätin Korinna Schumann (SPÖ, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Werter Herr Bundeskanzler! Werter Herr Landeshauptmann! Liebe Zuseherinnen und Zuseher! Die Teuerung bereitet den Menschen riesige Sorgen. Ich kann gar nicht sagen, wie viele Familien Angst vor der Heizkostenabrechnung, vor der Stromrechnung, die sie treffen wird, haben, wie viele Alleinerzieherinnen sich davor fürchten, was in diesen Rechnun­gen stehen wird. Ich weiß nicht, wie viele von Ihnen auch schon das Schreiben der Heiz­kostenanbieter bekommen haben, man möge bitte jetzt für die nächste Zeit noch 20 Pro­zent mehr zu den normalen Zahlungen dazuzahlen, damit es dann nicht zu einem Schock bei der Abrechnung kommt. – 20 Prozent mehr! Das bedeutet für das Einkom­men von Familien eine unglaubliche Belastung.

Das ist ja nicht der einzige Belastungspunkt, vor dem wir stehen, sondern es gibt viele weitere mehr. Die Teuerung greift um sich. Wir hatten im Dezember eine Inflationsrate von 4,3 Prozent und wir haben im Jänner eine Inflationsrate von 5,1 Prozent. (In Rich­tung Bundeskanzler Nehammer, der mit Landeshauptmann Wallner spricht:) Ich habe es nicht schriftlich, sonst würde ich es dann hergeben, aber ich würde jetzt gerne meine Rede halten. Danke vielmals. – Es gibt eine Erhöhung der Treibstoffkosten um 32,9 Pro­zent; das bedeutet für die Pendlerinnen und Pendler eine unglaubliche Belastung. Es gibt eine Erhöhung der Mietkosten um 44 Prozent. Der Gemüsepreis ist um 5,8 Prozent gestiegen, das betrifft die Lebensmittel. Also die Belastungen sind unglaublich hoch. Besonders für jene, die ohnehin schon wenig im Geldbörsel haben, sind die Belastungen noch einmal höher. Alle Sozialleistungen, sei es Sozialhilfe, sei es Kinderbetreuungs­geld, was auch immer, werden von der Inflation einfach weggefressen.

Jetzt ist es gut, einen Bonus auszuzahlen, keine Frage. – (In Richtung Bundeskanzler Nehammer, der nach wie vor mit Landeshauptmann Wallner spricht:) Gut, ich kann mei­ne Rede jetzt in den Saal hinein halten, aber macht nichts. (Bundesrat Hübner: Es ist ja für uns und nicht für den Bundeskanzler! – Bundeskanzler Nehammer: Ich höre Ihnen voll zu!) Es ist schade, ich würde so gerne dem Herrn Bundeskanzler erzählen, was uns wichtig ist, und ich habe irgendwie das Gefühl, es wird nicht zugehört. Tut mir leid. (Beifall bei der SPÖ.)

Gut, das ist ein erster Schritt, aber von einer Sofortmaßnahme kann doch keine Rede sein. Es ist von uns schon seit Oktober gesagt worden: Bitte, die Menschen leiden unter der Teuerung, das wird immer mehr werden! Aber die Ohren wurden zugeklappt. Jetzt zu sagen, weil jetzt eine Aktion gesetzt wird, das sei eine Sofortmaßnahme – nein, das ist wirklich nicht die Wahrheit. Ausgezahlt wird dieser Bonus erst im April. Bis dahin können sich die Leute mit der Teuerung durchgfretten. Das kann es ja wohl nicht sein. (Beifall bei der SPÖ.)

Es braucht eine wirkliche Armutsabsicherung, eine dauerhafte, keine Bonuszahlung, sondern etwas, worauf sich die Menschen verlassen können. Wir brauchen eine befris­tete Senkung der Umsatzsteuer auf Gas und Strom für alle Haushalte, einen Abschal­testopp bei den Energieanbietern bei nicht beglichenen Rechnungen, dazu auch noch Ratenvereinbarungen, und es braucht endlich einen Regierungsauftrag an das Wifo, dass wirtschaftswissenschaftlich festgestellt wird, wie die Teuerung jetzt auf die Men­schen wirkt. Das ist ein riesiges Problem, das kann man nicht mit: Wir machen jetzt einmal etwas!, abtun. Auf keinen Fall!

Dazu kommt noch die kalte Progression. Den Leuten bleibt einfach weniger Geld. Es gibt keine Zinsen auf den Sparbüchern. All das kommt zusammen. Das ist eine ganz, ganz große Problematik, auch für die Frage der Kaufkraft.

Diese Teuerung trifft auch die Frauen. Jede zweite Frau in Österreich arbeitet Teilzeit und hat dadurch auch ein Teilzeiteinkommen. Die Teuerung ist auch für die Frauen ein riesiges Problem, wie sie es auch für die Pensionistinnen und Pensionisten ist, na keine Frage, aber für die Frauen sehr wohl auch.

Ich muss schon sagen, betreffend diese ökosoziale Steuerreform, die Sie so unglaublich anpreisen, gibt es die Bestätigung des Budgetdienstes des Parlaments, dass diese Steu­erreform zu 69 Prozent positiv für Männer wirkt, zu 31 Prozent für Frauen. Auch das ist eine Tatsache. Das ist kein Ruhmesblatt für diese Regierung, besonders nicht für eine Regierung mit grüner Beteiligung. Ich darf schon daran erinnern, dass Genderbudgeting bei uns in der Verfassung steht. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir sehen die Entwicklung, dass während der Coronapandemie – jetzt auch noch einmal durch die Studie der Oesterreichischen Nationalbank untermauert – die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer werden. Einem Prozent in Österreich gehört ein Anteil von 30 bis 50 Prozent am Vermögen in diesem Land.

Das ist nicht gerecht. Da braucht es einen Ausgleich. Das ist eine Frage der Gerech­tigkeit. Wie aber geht man damit um? – Dass Reiche reicher werden und Arme ärmer. Das kann nicht unser Wunsch sein! Das kann nicht unser Ziel sein. Da muss man ein­greifen. (Beifall bei der SPÖ. – Zwischenruf des Bundesrates Preineder.)

Wir sehen aber schon: Die ÖVP tut sich da sehr leicht. Sie hat einen Auftrag. Wir konnten ja in den Chats deutlich mitverfolgen, für wen sie sich in ihrer politischen Richtung ein­setzt, nämlich für die Reichen. Wir sehen das: Es gibt eine Senkung der KöSt. Das hilft nicht den kleinen Unternehmen, denn nur 1,5 Prozent der Klein- und Mittelbetriebe pro­fitieren von der KöSt-Senkung. Das hilft nur den großen Unternehmen.

Mitten in der Pandemie sagt der Finanzminister zudem: Jetzt wäre es auch an der Zeit, die Steuer auf Aktien zu senken oder ganz abzuschaffen. – Ist das, bitte, die Form, wie man mit der Frage der Gerechtigkeit umgeht? Das kann es doch nicht sein! Wir sehen: Das ist eine Politik für die Reichen. Diejenigen, die es wirklich brauchen, werden hinge­gen außer Acht gelassen und bekommen ihren Ausgleich irgendwann, vielleicht im April, wenn überhaupt. – Das kann nicht der Weg sein, wie wir Sozialdemokratinnen und So­zialdemokraten eine gerechte Politik sehen! (Beifall bei der SPÖ.)

Nun auch zur Pandemiebekämpfung: Dass wir heute hier das Impfpflichtgesetz beschlie­ßen müssen (Bundesrätin Steiner-Wieser: Na, müssen tun wir nicht! – Bundesrat Span­ring: Eine billige Ausrede!), ist auf eine lange Verkettung der Nichthandlungsfähigkeit dieser Regierung zurückzuführen. Es wurde ein Sommer verschlafen. Es wurde im zwei­ten Sommer die Pandemie für beendet erklärt. Es wurden keine Maßnahmen gesetzt, die wirklich eine Motivation bringen würden.

Wir wissen, wie gut positive Anreize sind und wie sie Menschen auch motivieren, sich impfen zu lassen. Wir haben das doch im Burgenland gesehen. Das ist super gelaufen. Das hat wunderbar funktioniert. (Beifall bei der SPÖ.)

Wir haben das immer wieder gesagt, aber es ist bis heute nichts passiert! Es hat auch keine wirkliche Kampagne zur Aufklärung gegeben, und all das lässt jenen, die der Sa­che unsicher und negativ gegenüberstehen, sehr viel Raum. – Diese Handlungsweise ist ganz, ganz falsch!

Grundlegend sei gesagt: Wir brauchen Anreize, wir brauchen Information, und wir müs­sen die Menschen mitnehmen. Wir wollen, dass jeder und jede Einzelne wichtig ist, gar keine Frage. Trotzdem – und das ist mein Bekenntnis und das Bekenntnis der Sozialde­mokratie – sind wir alle nur ein Teil in einem Ganzen. Wir wollen, dass man sich selbst schützt, keine Frage, wir wollen aber auch, dass die anderen geschützt werden. Daher stimmen wir nach all diesen Entwicklungen – einer Politik des Nichthandelns, des Durch-die-Pandemie-Fahrens wie durch einen Nebel, ohne jemals genau zu wissen, welche Maßnahmen man jeweils setzen soll – dem Impfpflichtgesetz zu.

Dazu ist aber auch zu sagen: Vieles, was jetzt passiert, ist für die Menschen nicht mehr verständlich. Viele Maßnahmen passen nicht zusammen. Es gibt extrem hohe Anste­ckungszahlen, gleichzeitig geht es darum, 3G wieder aufzumachen. Na freilich: Wir sind für jede Lockerung! (Bundesrat Hübner: Sie sind für jede Lockerung? ... Verschärfung!) Wer will denn Maßnahmen, die beschränken und die den Menschen das Leben schwieri­ger machen? Die Maßnahmen müssen aber verständlich sein und zusammenpassen, und das ist durch diese Regierung nicht gewährleistet, das muss man schon ganz ehrlich sagen. (Beifall bei der SPÖ. – Bundesrat Spanring: Unglaubwürdig!)

Noch ein Punkt: Ich habe es heute sehr interessant gefunden, als Kollegin Eder gesagt hat, dass es wirklich fast zu einem Koalitionsbruch gekommen ist, weil man das Boden­seeschiff nicht „Vorarlberg“ genannt hat. – Heute ist man da ja in der Koalition wesentlich gütiger. Da macht es nichts, wenn Chats auftauchen, die einem wirklich die Schuhe aus­ziehen, da macht es gar nichts, wenn Postenschacher betrieben wird, und da macht es gar nichts, wenn es Sideletter gibt, bei denen man überlegt, ob denn die Basis der Grü­nen wirklich entsprechend informiert wird. – All das ist völlig egal! Früher ging es um die Benamsung eines Schiffes, heute ist man sehr viel duldsamer. (Beifall bei der SPÖ.)

Für uns gilt es jetzt, nach vorne zu schauen. Für uns gilt es, zu sagen – wie auch der Landeshauptmann heute sehr richtig angesprochen hat –: Es gibt Punkte, die wesentlich sind, und zwar: Wie geht es mit der Pflegereform weiter? – Diese ist dringend notwendig, und sie steht aus.

Jetzt ist zu handeln. Jetzt ist zu handeln, und zwar bei den Ausbildungen der Beschäf­tigten und bei den Arbeitsbedingungen. Wir brauchen im Kampf gegen Corona neue Formen, mit welchen die Menschen mitgenommen werden und ihnen verständlich ge­macht wird, wie hier gehandelt wird. (Bundesrat Hübner: In Oberösterreich, ja, genau!) Und wir brauchen eine neue kooperative und solidarische Wirtschaftspolitik.

Wir befinden uns in einer der größten Wandelsituationen, die Österreich je hatte, und wir ignorieren das. Wir brauchen eine entsprechende Industriepolitik. Wir brauchen eine Standortpolitik, um auch die Unternehmen in diesen Wandlungsprozessen mitzuneh­men. Diesbezüglich ist der Staat gefordert. Da braucht es zweifellos einen starken Staat. (Zwischenruf des Bundesrates Bader.) Das ist ganz dringend notwendig. Auch die Frage des Fachkräftemangels ist anzusprechen. (Bundesrat Hübner: Durch die Akademisie­rung vielleicht?) Es muss ausgebildet werden. Es muss die Lehre attraktiviert werden, auf jeden Fall - -

Vizepräsident Günther Novak: Frau Bundesrätin! Bitte kommen Sie zum Ende.

Bundesrätin Korinna Schumann (fortsetzend): Ein Punkt noch: Ich freue mich sehr, dass das jetzt anscheinend ein allgemeiner Wunsch ist, ein Wunsch, den wir schon längst hegen: Es braucht den Rechtsanspruch auf einen Kinderbildungsplatz für jedes Kind, und zwar leistbar und mit Vollzeitarbeit vereinbar. (Beifall bei der SPÖ.)

Das ist notwendig. Wenn wir wollen, dass Frauen sich mehr in den Arbeitsprozess ein­bringen, wenn wir wollen, dass die Kinder eine gute Bildung bekommen, dann braucht es den Ausbau der Kinderbetreuungsmaßnahmen. – Nicht schwafeln, nicht schwurbeln: Jetzt gilt es, zu handeln! (Beifall bei der SPÖ.)

11.06

Vizepräsident Günther Novak: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Andrea Michaela Schartel. Ich erteile ihr dieses.