Begründete Stellungnahme gemäß
Art. 23g Abs. 1 B-VG

betreffend das Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union gemäß Art. 23e B-VG betreffend KOM (11) 635 endg. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (60696/EU XXIV.GP) und SEK (11) 1166 endg. Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen Zusammenfassung der Folgenabschätzung Begleitunterlage zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht (61178/EU XXIV.GP)

A. Stellungnahme

Das gegenständliche Vorhaben ist mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar.

 

B. Begründung

Am 11. Oktober 2011 präsentierte die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Verordnung zu einem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht. Dieses neue Regelwerk soll im Bereich grenzüberschreitender Kaufverträge anwendbar sein. Es stellt eine neue Vertragsrechtsordnung dar, die für die Vertragsparteien frei wählbar und neben den bestehenden 27 Vertragsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten als 28. System gelten soll. Ziel der Europäischen Kommission ist es, mit diesem optionalen Instrumentarium den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr insbesondere im Bereich moderner Vertriebswege und damit vor allem Onlinegeschäfte zu fördern. So begrüßenswert dieses Bestreben auch ist, so zweifelhaft erscheint das gewählte Mittel seiner Durchsetzung.

Wie bereits die in Hinblick auf diesen Vorschlag ablehnende Stellungnahme zur Binnenmarktakte zeigt, führt das Nebeneinander unterschiedlicher Regelungssysteme nicht zu jenem Grad an Rechtssicherheit, der im österreichischen Privatrecht seit Schaffung des ABGB und damit seit genau 200 Jahren vom österreichischen Gesetzgeber gewährleistet wird. Die durch das Europäische Kaufrecht drohende Rechtsunsicherheit gründet einerseits auf dem eingeschränkten Regelungsbereich, der bestimmte Fragen eines Rechtsverhältnisses ungeregelt lässt. So müssten etwa Fragen der Rechtsgeschäftsfähigkeit oder Stellvertretung trotz Anwendbarkeit des Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts nach der maßgebenden nationalen Rechtsordnung geklärt werden. Der/die RechtsanwenderIn sähe sich demnach in Hinkunft nicht nur mit zwei Rechtsordnungen, also der des Vertragspartners und seiner eigenen, sondern mit einer Dritten konfrontiert. Diese Trias ließe erhebliche Verwerfungen und Widersprüche an der Nahtstelle zwischen nationalem Recht und Europäischem Kaufrecht befürchten. Dem Argument der Europäischen Kommission, das optionale Instrument wäre Teil der nationalen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten und als solches eingebettet in den Regelungsrahmen des jeweiligen Mitgliedstaates, kann nicht zugestimmt werden. Eine unionsrechtliche Verordnung wird nicht nationales Recht, sondern bleibt Unionsrecht. Richtig ist vielmehr, dass das optionale Instrument als alternatives Vertragsregime Teile der nationalen Rechtsordnungen verdrängen soll.

Andererseits enthält das Regelwerk auch zahlreiche unbestimmte Begriffe, die autonom und damit in letzter Instanz durch den EuGH ausgelegt werden müssen. Dieser Prozess und damit die Schaffung von Rechtsklarheit wird Jahre in Anspruch nehmen und ist zudem mit einem erhöhten Prozesskostenrisiko verbunden, womit der Zugang zum Recht erschwert wird. Der Mehrwert für den Rechtsanwender, den man sich von dem Vorschlag für ein optionales Kaufrecht verspricht, dürfte also überaus gering sein. Ganz im Gegenteil, die dargelegte Rechtsunsicherheit lässt eine Erhöhung von Transaktionskosten befürchten.

Darüber hinaus wurden Bereiche in den Verordnungsvorschlag aufgenommen, die in der ursprünglichen Fassung der Verbraucherrechterichtlinie bereits enthalten waren und wegen massiver Widerstände in den Mitgliedstaaten vor deren Annahme aufgegeben werden mussten. So enthielt die Richtlinie ursprünglich ein Kapitel über missbräuchliche Vertragsklauseln. Die Ausgestaltungen in den Mitgliedstaaten sind wegen unterschiedlicher Ausgangslagen und daraus resultierender Regelungsbedürfnisse trotz des Bestehens einer – allerdings mindestharmonisierenden – Richtlinie hochgradig unterschiedlich. Eine Vereinheitlichung ist in diesem Bereich nicht konsensfähig. Die aus diesem Grund aus der Verbraucherrechterichtlinie eliminierten Bestimmungen wurden nun ohne Änderung in den Vorschlag für eine Verordnung zu einem Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht transferiert.

Zwar handelt es sich bei dem Vorschlag für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht nicht um ein zwingend anwendbares Regelwerk, schließlich setzt es die Wahl der Vertragsparteien zu Gunsten dieses optionalen Kaufrechts voraus, doch gilt es zu befürchten, dass dem strukturell unterlegenen Verbraucher oder KMU, auf den das Vertragsrecht ebenfalls anwendbar ist, sofern er mit einem großen Unternehmen kontrahiert, keine Einflussmöglichkeit auf die Wahl zukommt.

Bei der Schaffung europäischer Maßnahmen, die der Erhöhung grenzüberschreitender Geschäftsabschlüsse dienen, sollte man auf die tatsächlichen Probleme in diesem Bereich eingehen. Die Ergebnisse des Eurobarometers aus dem März diesen Jahres sprechen eine deutliche Sprache: Nicht unterschiedliche Rechtsordnungen, sondern faktische und praktische Probleme wie oftmals bestehende Sprachbarrieren, die Angst vor Betrug, Lieferproblemen oder faktische Problemen im Falle der Fehlerhaftigkeit eines gelieferten Produkts halten KonsumentInnen davon ab, grenzüberschreitend tätig zu werden. Aber auch für Unternehmen sind weniger die unterschiedlichen Rechtsordnungen ein Hemmnis für eine grenzüberschreitende Tätigkeit. Vielmehr spielen für Unternehmen gesamtwirtschaftliche Überlegungen eine entscheidende Rolle.

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass es im Lichte der Rechtsprechung zur Europäischen Genossenschaft (vgl dazu EuGH, C-436/03) mehr als zweifelhaft erscheint, dass Art 114 AEUV als Rechtsgrundlage für das optionale Kaufrecht fruchtbar gemacht werden kann. Art. 114 AEUV sollte nicht als Grundlage dazu etabliert werden, um „parallele Regelungsinstrumente“ in Bereichen zu schaffen, die derzeit in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen. Da es sich beim optionalen Instrument nicht um eine Maßnahme der Rechtsangleichung handelt, wäre Art 352 AEUV zu bemühen, der im Gegensatz zu Art 114 AEUV einen einstimmigen Beschluss im Rat erfordert.

Eine europäische Verordnung ist zwar in den Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden, ist aber nicht mitgliedstaatliches Recht, sondern steht in Konkurrenz zu diesem. Schließlich ist das optionale Instrumentarium nicht darauf gerichtet, eine Veränderung des nationalen Normenbestandes zu bewirken, sondern vielmehr auf das Zurverfügungstellen einer vollrechtsharmonisierten Parallelrechtsordnung. Dabei droht aber letztlich auch die Gefahr des Stillstandes der Harmonisierung in Gebieten, in denen eine Schaffung einheitlicher, zwingender Bestimmungen in Form von Richtlinien oder Verordnungen im Sinne des Verbraucherschutzes dringend geboten scheint. Hierfür sei auf die im Gemeinsamen Europäischen Kaufrecht enthaltenen, lediglich rudimentären Bestimmungen zu digitalen Inhalten hingewiesen.

Die österreichische Privatrechtsordnung, insbesondere das ABGB und seine Wertungen, die sich in der Rechtsüberzeugung der BürgerInnen verankert haben, steht der Erfüllung der durch den Vorschlag angestrebten Ziele in keinem Maße entgegen. Daher sollte anstelle eines optionalen Instruments vertrauensbildende Maßnahmen auf europäischer Ebene vorangetrieben werden, die den tatsächlichen Hemmnissen des grenzüberschreitenden Verkehrs entgegenwirken. Der vorgelegte Kommissionsvorschlag erfüllt daher nicht die Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips, da er zur Zielerreichung nicht notwendig und überdies nicht erwiesen ist, dass durch die Schaffung einer 28. Vertragsrechtsordnung ein Mehrwert erzielt werden könnte.

Grundsätzlich darf in Hinblick auf die Ausführungen der Kommission zur Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip darauf hingewiesen werden, dass diese Ausführungen basierend auf konkreten quantitativen und qualitativen Kriterien ausgewogen die Folgen der vorgeschlagenen Änderungen darzustellen hätten. Die Kommission begnügt sich jedoch mit der Anführung einer großen Spanne von angeblich entstehenden Transaktionskosten für Unternehmen, ohne jedoch allfällig entstehende Zusatzkosten für VerbraucherInnen gegenzurechnen. Der potentielle gesamtwirtschaftliche Schaden, den der Vorschlag durch erhöhte rechtliche Komplexität anrichten könnte, müsste von der Kommission ebenso beziffert werden, um die Folgenabschätzung glaubwürdig zu machen. Erst dann würde die Folgenabschätzung eine taugliche Grundlage zur Beurteilung der Vereinbarkeit des Vorschlags mit dem Subsidiaritätsprinzip darstellen.