10305 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Bundesrates

 

Bericht

des Justizausschusses

über den Beschluss des Nationalrates vom 28. April 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das 1. Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz, das Gesellschaftsrechtliche COVID-19-Gesetz und das Zivilrechts-Mediationsgesetz geändert werden (8. COVID-19-Gesetz)

Die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker, Mag. Agnes Sirkka Prammer, Kolleginnen und Kollegen haben den dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates zugrundeliegenden Initiativantrag am 22. April 2020 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

Zu Art. I (Änderung des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz)

Zu Z 1 (§ 3):

§ 3 ordnet derzeit für die Dauer von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit oder des zwischenmenschlichen Kontakts aufgrund von COVID-19 an, dass Anhörungen und mündliche Verhandlungen nur abzuhalten sind, wenn die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 vorliegen, also wenn nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände die Fortsetzung des Verfahrens zur Abwendung einer Gefahr für Leib und Leben, Sicherheit und Freiheit oder zur Abwehr eines erheblichen und unwiederbringlichen Schadens einer Verfahrenspartei dringend geboten ist und nicht das Interesse der Allgemeinheit an der Verhütung und Bekämpfung der Verbreitung von COVID-19 sowie der Schutz der Aufrechterhaltung eines geordneten Gerichtsbetriebes die Einzelinteressen überwiegen. Gleiches gilt für die Erteilung und Durchführung von Vollzugsaufträgen sowie für die Protokollierung mündlichen Anbringens. Ist die Anhörung einer Partei oder die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unbedingt erforderlich, so kann sie auch ohne persönliche Anwesenheit aller Beteiligten unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel vorgenommen bzw. durchgeführt werden. Dies hat zur Einschränkung der Tätigkeit der Gerichte geführt, weil gerade in Zivilprozessen eine mündliche Verhandlung zwingend durchzuführen ist. Damit kommt es einerseits zu Verzögerungen in den einzelnen Verfahren, andererseits entsteht ein Erledigungsrückstand bei Gericht, dessen Aufarbeitung einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Es ist derzeit noch nicht abschätzbar, wie lange Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19, insbesondere die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit oder des zwischenmenschlichen Kontakts, erforderlich sein werden und in welchem Ausmaß sie weiter aufrecht bleiben. Um die notwendige Flexibilität zu haben, auf die jeweiligen, allenfalls auch nur regional oder örtlich erforderlichen Einschränkungen Bedacht nehmen zu können, sollen nun auch die derzeitigen Einschränkungen, was den persönlichen Kontakt mit dem Gericht betrifft, beendet werden. Ab dieser Zeit sind Verhandlungen, auch wenn die Rechtssache nicht dringend ist, durchzuführen. Es ist Aufgabe der Justizverwaltung, geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, sodass die von der Bundesregierung vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen eingehalten werden können.

Aufgrund der noch bestehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens, der erforderlichen Ausschreibungen und des Mangels an ausreichend großen Verhandlungsräumen wird die Verhandlungstätigkeit aber erst langsam in Gang kommen. Um dem Problem des Fehlens von Verhandlungsräumen zu begegnen, soll es – bis 31. Dezember 2020 – weiterhin möglich sein, mündliche Verhandlungen ohne physische Anwesenheit der Verfahrensparteien unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel zur Wort- und Bildübertragung durchzuführen; dies auch ohne Dringlichkeit der Sache, allerdings nur mit Einverständnis der Parteien.

Anhörungen, mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen in Unterbringungs-, Heimaufenthalts- oder Erwachsenenschutzsachen sowie in Verfahren nach dem Tuberkulosegesetz und dem Epidemiegesetz 1950 sollen aber auch ohne Zustimmung der Parteien mit Videotechnologie durchgeführt werden können, wenn die Verhandlung außerhalb des Gerichts stattfinden müsste, etwa in Unterbringungssachen in einem Krankenhaus oder in Angelegenheiten des Heimaufenthaltsgesetzes in einem Pflegeheim oder in Verfahren nach dem Tuberkulosegesetz in einer pulmologischen Abteilung. In diesen Fällen hat das Gericht keinen Einfluss auf die räumlichen Gegebenheiten und keinen oder nur sehr beschränkten Einfluss auf die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen.

Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher haben grundsätzlich persönlich bei Gericht zu erscheinen. Das Gericht kann aber ihre Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unter Verwendung geeigneter technischer Kommunikationsmittel zur Wort- und Bildübertragung anordnen, dies aber nicht ohne Zustimmung der Parteien, es denn, es liegen die Voraussetzungen des § 277 ZPO vor. Dies gilt auch für eine außerhalb einer mündlichen Verhandlung vorzunehmende Einvernahme, so etwa für Einvernahmen im Verfahren außer Streitsachen (s § 20 AußStrG) oder zum Vorliegen von Berufungsgründen, z.B. die Einvernahme des Zustellers zur Frage des Vorliegens einer nicht gesetzeskonformen Zustellung. Es soll in allen Fällen, in denen nach der geltenden Rechtslage Einvernahmen außerhalb einer mündlichen Verhandlung vorgesehen sind, solche auch mit Videotechnologie durchgeführt werden können. Auch andere einer Verhandlung oder Beweisaufnahme zuzuziehende Personen, wie etwa der Kinderbeistand, die Familiengerichtshilfe oder der Patientenanwalt können auf diese Weise teilnehmen.

Unberührt bleibt die Möglichkeit der abgesonderten Einvernahme nach den §§ 289a, 289b ZPO. Hiezu bedarf es weiterhin keiner Zustimmung der Parteien. Es sollen mit dieser Regelung bestehende Möglichkeiten der Verwendung von Videotechnologie im Verfahren lediglich erweitert, nicht aber eingeschränkt werden.

Sollen diese Personen von ihrer Wohnung oder Betriebsstätte zugeschalten werden, dann setzt dies aber voraus, dass diese Personen über die entsprechenden Kommunikationsmittel verfügen. Dies ist vorher abzuklären. Eine Verpflichtung zu deren Anschaffung besteht nicht. Es ist auch möglich, etwa von einem anderen Raum im selben Gerichtsgebäude einen Zeugen zuzuschalten, um die Anzahl der Personen, die sich gleichzeitig im Verhandlungsraum aufhalten, zu minimieren.

Ein Recht, auf diese Weise an der Verhandlung teilzunehmen, haben diese Personen nur, wenn sie oder Personen, mit denen sie notwendigen Kontakt haben, einem erhöhten Gesundheitsrisiko aufgrund COVID-19 ausgesetzt sind. Zur Bescheinigung kann insbesondere ein COVID-19-Risiko-Attest (s § 735 ASVG) dienen. Unter Personen, mit denen notwendiger Kontakt besteht, sind etwa mit der antragstellenden Person im gemeinsamen Haushalt lebende oder von ihr zu betreuende oder zu pflegende Personen zu verstehen. Aber auch Antragsteller, deren berufliches Umfeld aus besonders gefährdeten Personen besteht, wie bei Pflegekräften in einem Altenheim, fallen hierunter. Sie können beantragen, mit Videotechnologie an der Verhandlung teilzunehmen, auszusagen, Gutachten zu erstatten oder zu übersetzen. Stehen Parteien oder Zeugen die technischen Mittel für eine Videozuschaltung nicht zur Verfügung, so können unvertretene Parteien die Vertagung der Verhandlung und vertretene Parteien oder Zeugen die vorläufige Abstandnahme von ihrer Vernehmung bis längstens Ende Dezember 2020 (die Regelungen gelten nur bis 31. Dezember 2020) beantragen. Bei Parteienvertretern, Sachverständigen oder Dolmetschern ist davon auszugehen, dass sie über die erforderliche Technik verfügen.

Für mündliche Verhandlungen, die mit Videotechnologie durchgeführt werden, regelt Abs. 3 einige offene Fragen, so etwa, dass eine Unterschrift unter das Verhandlungsprotokoll nicht erforderlich ist, wie mit dem Kostenverzeichnis umzugehen ist und welche Förmlichkeiten bei einem Vergleichsabschluss einzuhalten sind. Die vom Gericht bekanntzugebende Adresse kann die Justizadresse des Richters, der Kanzlei oder eines Gerichtspostfachs sein. Zur Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit von Verfahren muss auch bei einer Verhandlung mit Videotechnologie die Rechtssache vor dem Verhandlungsraum aufgerufen werden. Es ist so vielen Zuhörern Zutritt zu gewähren, als unter Einhaltung der vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen möglich ist.

Kommt es bei der Durchführung von Verhandlungen oder Beweisaufnahmen zu technischen Störungen, so wird dies den Verfahrensbeteiligten nicht anzulasten sein, insbesondere kann eine Partei oder ein Parteienvertreter nicht deshalb als säumig angesehen werden. Es ist denkbar, dass aus Gründen der Überlastung der Leitungen nicht sofort die Verbindung hergestellt werden kann oder dass plötzlich die Verbindung abbricht. Dies ist mit der Situation vergleichbar, dass die Parteien vor dem Verhandlungssaal stehen und die Türe sich nicht öffnen lässt, sodass sie nicht eintreten können. Auch daraus kann den Parteien oder den sonst zuzuziehenden Personen kein Nachteil entstehen.

EO und IO enthalten Sonderbestimmungen für Anhörungen und Verhandlungen. Im Hinblick darauf ist eine Ausnahme vom Einverständnis der Parteien gerechtfertigt (Abs. 4). Im Insolvenzverfahren ist die Ausnahme auch deshalb geboten, weil es durch eine Vielzahl an Parteien (Beteiligten) geprägt ist. Allerdings soll niemand verpflichtet werden, sich die entsprechenden Kommunikationsmittel anzuschaffen; daher kann die Vernehmung oder Tagsatzung nicht mit technischen Kommunikationsmitteln zur Wort- und Bildübertragung durchgeführt werden, wenn die zu vernehmenden oder teilnahmeberechtigten Personen bescheinigen, dass sie nicht über die technischen Kommunikationsmittel zur Wort- und Bildübertragung verfügen. In diesem Fall hat die Vernehmung oder Tagsatzung nicht stattzufinden; sie ist auf die herkömmliche Art - mit persönlicher Anwesenheit - durchzuführen.

Die Formulierung berücksichtigt, dass es nicht nur im Insolvenzverfahren Tagsatzungen und Einvernehmungen gibt, sondern auch im Eröffnungsverfahren und nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens, zB die Abstimmung über die Änderung des Zahlungsplans.

Die Ausnahme von Abs. 2 letzter Satz ist der Dringlichkeit im Exekutions- und Insolvenzverfahren geschuldet.

Zu Z 2 (§ 7):

Die Möglichkeit, Unterhaltsvorschüsse nach § 3 UVG auch dann zu gewähren, wenn das Kind zuvor keinen entsprechenden Exekutionsantrag bei Gericht gestellt hat, soll bis Ende Juni 2020 verlängert werden.

Zu Z 3 (§ 12):

Wegen der weitgehenden Nichtdurchführung von Vollzugsaufträgen und des dadurch eingetretenen Rückstaus ist eine Fristverlängerung für den ersten Vollzugsversuch und die Berichte der Gerichtsvollzieher geboten.

Zu Art. II (Änderung des Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Gesetzes)

Zu Z 1 (§ 2 Abs. 3a):

Nach § 5 Abs. 2 erster Satz des Vereinsgesetztes 2002 (VerG) hat die Mitgliederversammlung alle fünf Jahre stattzufinden. Es ist derzeit nicht abzusehen, wann eine Versammlung mit über 50 einzuladenden Teilnehmern in gewohnter – und in der Regel angestrebter -  Durchführung als Präsenzversammlung angesichts der COVID-19-Pandemie wieder möglich sein wird. Da das VerG ohnehin von weit auseinanderliegenden Versammlungen ausgeht, erscheint es angemessen, größeren Vereinen eine Verschiebungsmöglichkeit bis Ende 2021 einzuräumen. Über deren Inanspruchnahme hat das Leitungsorgan in pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei kann ihm (oder einem anderen zur Einberufung zuständigen Organ) die Möglichkeit zu Hilfe kommen, allfällige dringende Fragen schon vor der verschobenen Präsenzversammlung einer schriftlichen Abstimmung zu unterziehen, wie dies nun in § 4 Abs. 2 bis 6 der Gesellschaftsrechtlichen COVID-19-Verordnung, BGBl. II Nr. 140/2020, vorgesehen ist. Unberührt bleibt § 5 Abs. 2 letzter Satz VerG, wonach ein Zehntel der Mitglieder vom Leitungsorgan die Einberufung einer Mitgliederversammlung verlangen können.

Zu Z 2 (§ 4 Abs. 4):

Wie auch die vergleichbaren Regelungen des § 2 Abs. 1 bis 3 betreffend die Kapitalgesellschaften und die Genossenschaft soll der neue Abs. 3a des § 2 rückwirkend mit 22. März 2020 in Kraft treten. Er soll mit Ablauf der Verschiebungsmöglichkeit, also mit Jahresende 2021 außer Kraft treten.

Zu Art. III (Änderung des Zivilrechts-Mediations-Gesetzes)

Gemäß § 20 ZivMedG hat ein Mediator sich angemessen, zumindest im Ausmaß von fünfzig Stunden innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren fortzubilden und dies auch nachzuweisen. Da aufgrund von COVID-19 derzeit kein ausreichendes Fortbildungsangebot zur Verfügung steht, soll diese Frist zumindest um ein Jahr bis Ende 2021 verlängert werden, wenn sie noch im Jahr 2020 ablaufen würde. Bereits abgelaufene Fristen werden davon nicht erfasst.“

Der Justizausschuss hat den gegenständlichen Beschluss des Nationalrates in seiner Sitzung am 4. Mai 2020 in Verhandlung genommen.

Berichterstatterin im Ausschuss war Bundesrätin Klara Neurauter.

An der Debatte beteiligten sich die Mitglieder des Bundesrates Mag. Dr. Doris Berger-Grabner, Mag. Elisabeth Grossmann und Dr. Peter Raggl.

Zur Berichterstatterin für das Plenum wurde Bundesrätin Klara Neurauter gewählt.

Der Justizausschuss stellt nach Beratung der Vorlage am 4. Mai 2020 mit Stimmenmehrheit den Antrag, gegen den vorliegenden Beschluss des Nationalrates keinen Einspruch zu erheben.

Wien, 2020 05 04

                                Klara Neurauter                                                 Claudia Hauschildt-Buschberger

                                 Berichterstatterin                                                                       Vorsitzende