Anlage

 

Begründung

des Einspruches gegen den Beschluss des Nationalrates vom 4. Mai 2020 betreffend den Beschluss des Nationalrates vom 28. April 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Epidemiegesetz 1950 und das Apothekengesetz geändert werden (16. COVID-19-Gesetz)

•              Die SPÖ aus folgenden Gründen:

Mit dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates sollen weitreichende Änderungen im Epidemiegesetz vorgenommen werden. Die Änderungen erfolgen auf Grundlage eines Initiativantrags von ÖVP und Grünen, der am 22. Jänner 2020 im Nationalrat eingebracht und bereits sechs Tage später beschlossen wurde. Eine von SPÖ, FPÖ und NEOS beantragte Ausschussbegutachtung wurde von ÖVP und Grünen abgelehnt und fand trotz der Auswirkungen auf Grund- und Freiheitsrechte nicht statt. Darüber hinaus wurde insbesondere die Regelung zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit sogar noch in 2. Lesung – somit kurz vor Beschlussfassung - umfassend abgeändert.

Ganz generell spricht sich der Bundesrat dagegen aus, dass sensible Gesetzesmaterien - von besonderen Ausnahmefällen abgesehen - in nur wenigen Tagen die parlamentarische Behandlung durchlaufen. Damit wird der Öffentlichkeit und den von der Regelung Betroffenen die Möglichkeit genommen, allfällige Bedenken zu äußern oder Verbesserungsvorschläge vorzubringen. Auch wenn die COVID19-Situation besondere Eile bei einigen Maßnahmen erforderte, ist dies nun nicht mehr der Fall und das Parlament sollte zu normalen Gesetzgebungsverfahren inklusive Begutachtung zurückkehren.

Dem Nationalrat soll daher durch diesen Einspruch die Gelegenheit gegeben werden, durch eine erneute Behandlung des Epidemiegesetzes die tiefgreifenden Mängel des Entwurfs unter Einbindung von ExpertInnen zu beheben. Änderungen am Entwurf sind insbesondere in folgenden Punkten erforderlich:

1.             Einführung einer Befristung:

Im Gegensatz zu anderen in Zusammenhang mit COVID-19 getroffenen Maßnahmen sieht der Entwurf bislang kein automatisches Außerkrafttreten mit 31.12.2020 vor. Die vorgesehenen Änderungen sollen ins Dauerrecht überführt werden. Dies ist jedoch überschießend: Gerade intensive Eingriffe in die Versammlungsfreiheit und den Datenschutz lassen sich - wenn überhaupt - nur auf Grund einer aktuell drohender Gesundheitsgefährdung rechtfertigen. Es sollte daher eine entsprechende Außerkrafttretensbestimmung ergänzt werden.

2.             Keine Eingriffe in die Versammlungsfreiheit (§ 15):

Das Epidemiegesetz bestimmt nicht näher, was unter dem darin verwendeten Begriff der „Veranstaltung“ zu verstehen ist. Nachdem das Epidemiegesetz in der Stammfassung auf das Jahr 1913 zurückgeht, deckt sich der darin verwendete Veranstaltungsbegriff nicht mit jenem des B-VG, der Veranstaltungen in die Kompetenz der Länder verweist, und wohl auch nicht mit dem Versammlungsbegriff des Art 12 StGG. Eine gesetzliche Klarstellung, welche Art von „Veranstaltungen“ daher überhaupt auf Grund des § 15 Epidemiegesetz einer behördlichen Einflussnahme unterliegt, ist dringend geboten. Unzweifelhaft ist, dass diese Regelung einen Eingriff in verschiedene Grundrechtssphären, jedenfalls aber in die Versammlungsfreiheit darstellt. Es sind daher besonders strenge Maßstäbe anzulegen. Der aktuelle Entwurf erfüllt dies nicht und müsste zumindest in den folgenden Punkten abgeändert werden:

-              Die Aufzählung der von der Behörde ergreifbaren Maßnahmen sollte nicht exemplarisch, sondern abschließend sein.

-              Das Verbot der Verwendung von Contact-Tracing-Technologie sollte für alle Eingriffsarten der Behörde und nicht nur für die Erteilung von Voraussetzungen oder Auflagen gelten, da ansonsten eine Beschränkung der TeilnehmerInnen gemäß Abs. 1 Z 3 auf Personen, die eine Contact-Tracing-Technologie verwenden, im Umkehrschluss zulässig wäre.

-              Es sollten auch über das Contact-Tracing hinausgehende Technologien, die international bereits eingesetzt werden, bedacht werden. Dabei ist etwa an Tracking – also ein Verfolgen von Bewegungsmustern – oder an die datenunterstützte Aufzeichnung des Immunstatus zu denken.

-              Das Diskriminierungsverbot des Abs. 4 führt zu zusätzlicher Verwirrung, da dieses ebenfalls nur für den Abs. 1 Z 3 gilt und nicht für den gesamten § 15. Sofern ein umfassender Diskriminierungsschutz beabsichtigt ist - was vom Bundesrat begrüßt wird – muss auch dieser umfassend gelten. Das Diskriminierungsverbot umfasst außerdem bislang nicht ein Verbot der Diskriminierung auf Grund einer Behinderung.

-              Es fehlen sämtliche Kriterien, wie die zuständige Behörde ihr Ermessen auszuüben hat. Es sollte daher die Erforderlichkeit der Wahl des gelindesten Mittels verstärkt sowie auf das Vorliegen einer Notwendigkeit des behördlichen Eingriffs zur Verhinderung der Übertragung von ansteckenden Krankheiten abgestellt werden.

-              Es sollte klargestellt werden, ob der Eingriff durch Verordnung oder Bescheid oder beides erfolgen kann. Dies ist gerade auch in Hinblick auf die Behördenzuständigkeit (vgl. § 43) erforderlich.

3.             Klärung des Verhältnisses zum COVID19-Maßnahmengesetz und zum Versammlungsgesetz:

In Zusammenhang mit der Begriffsbestimmung von Veranstaltungen sollte gleichzeitig auch das Zusammenwirken des Epidemiegesetzes mit dem COVID19-Maßnahmengesetz und dem Versammlungsgesetz bzw. den Veranstaltungsgesetzen der Länder dringend geklärt werden. Auch dies ist vor dem Hintergrund des Rechts auf den gesetzlichen Richter und dem damit zusammenhängenden Rechtsschutz von entscheidender Bedeutung.

4.             Einhaltung des rechtsstaatlichen Prinzips:

Auf Grund des Entwurfs ist es denkbar, dass Verordnungen drei verschiedener Organe den selben Sachverhalt regeln. Es kann in Zukunft sowohl der zuständige Bundesminister, der Landeshauptmann als auch die Bezirksverwaltungsbehörde Verordnungen erlassen. Die Bestimmung, wonach der Verordnung des Bundesministers widersprechende Verordnungen der Länder oder der Bezirksverwaltungsbehörden außer Kraft treten, verschlimmert die bereits bestehende Unsicherheit über die geltende Rechtslage für die Bevölkerung weiter. Es wird für BürgerInnen kaum mehr möglich sein, zu erfahren, welche Regelung an welchem Ort gilt. Dies sollte dringend geändert werden, da immerhin bei Verstößen Strafen bis zu 3.600 Euro drohen.

5.             Anonymisierung statt Pseudonymisierung:

Die bisherigen Bestimmungen zu Screeningprogrammen sehen nur eine Teilanonymisierung vor. Es ist jedoch kein sachlicher Grund erkennbar, warum die im Zusammenhang mit dem Screening gesammelten Daten weiterhin individuell rückführbar sein müssen.

Es sollte daher eine vollständige Anonymisierung vorgesehen werden. Im Übrigen fehlt bislang eine Auseinandersetzung mit der notwendigen Zustimmung der Screening-Teilnehmer in den für das Screening erforderlichen medizinischen Eingriff.

Die Zweckbestimmung der Datenverwendung in § 5b Abs. 5 ist ein Zirkelschluss: die Daten im Register dürfen nur zur Führung des Registers verwendet werden. Die Zweckbestimmung ist daher klarer zu fassen, um den datenschutzrechtlichen Anforderungen zu genügen und dem tatsächlichen Zweck, der Gewinnung von Erkenntnissen über die Ausbreitung von COVID-19, zu entsprechen.

6.             Einsatz nur qualifizierten Personals:

Die Regelungen, wonach sich die Behörden weiterer „geeigneter“ Personen zur Vollziehung des Epidemiegesetzes bedienen können, sind mehrfach bedenklich. Einerseits bestehen keine Regelungen, über welche Qualifikationen diese Personen verfügen müssen.

Es wird lediglich festgehalten, dass SanitäterInnen dies jedenfalls tun. Andererseits gelten für Beliehene nicht nur - wie der Text vermuten lässt - die Amtsverschwiegenheit und der Datenschutz, sondern insbesondere auch alle Vorschriften zur Amts- und Organhaftung, allfällige strafrechtliche Bestimmungen für hoheitlich handelnde Personen etc. Die Möglichkeit, weitere Personen mit der Vollziehung des Epidemiegesetzes zu beauftragen, sollte daher an strenge Voraussetzungen geknüpft werden.

7.             Echte Entschädigung mit Rechtsanspruch für Betroffene:

Die Neuregelung des Epidemiegesetzes sollte zum Anlass genommen werden, die Entschädigungsbestimmungen dieses Gesetzes, die durch das COVID19-Maßnahmengesetz ausgehebelt wurden, wieder für alle von behördlichen Maßnahmen Betroffene in Kraft zu setzen. Zumindest sollte die Fallfrist von sechs Wochen für entsprechende Anträge deutlich verlängert werden.

8.             Herstellung effektiven Rechtsschutzes:

Gegen Maßnahmen der Behörden auf Grund des Epidemiegesetzes sind je nach Behörde und Eingriffsart verschiedene Rechtsmittel denkbar. Auf Grund des Bedarfs, gegen rechtswidrige Maßnahmen umgehend Rechtsschutz erhalten zu können, sollten unabhängige Rechtsschutzbeauftragte eingerichtet werden, denen die Möglichkeit zur Erhebung von Amtsbeschwerden zusteht und mit denen vorab bei besonders eingriffsintensiven Maßnahmen das Einvernehmen herzustellen ist.

 

•              Die FPÖ aus folgenden Gründen:

Mit dem gegenständlichen Beschluss des Nationalrates vom 28.April 2020 betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Epidemiegesetz 1950 und das Apothekengesetz geändert werden (16. COVID-19-Gesetz) werden neuerlich weitreichende Änderungen des Epidemiegesetz vorgenommen. Grundlage dieser weitreichenden Änderungen ist ein Initiativantrag von ÖVP und Grünen, der am 22. April im Nationalrat eingebracht und bereits am folgenden Tag im zuständigen Gesundheitsausschuss behandelt wurde.

Ein Expertenhearing zu dieser Gesetzesmaterie konnte auf Grund des verkürzten Verfahrens nicht stattfinden und wurde von den Regierungsfraktionen auch nicht zugelassen. Dies obwohl es durch diese Gesetzesnovelle zu massiven Eingriffen in die Grund- Freiheitsrechte der Bürger kommt. Eine von den drei Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS gemeinsam beantragte Ausschussbegutachtung wurde von den Regierungsfraktionen abgelehnt.

Nur sechs Tage später und ohne Expertenhearing oder Ausschussbegutachtung wurde die Gesetzesnovelle im Plenum des Nationalrats behandelt. In dieser Sitzung kam es in der 2. Lesung zum Gesetzesbeschluss zu weiteren kurzfristig den Oppositionsparteien übermittelten umfangreichen Abänderungen, die insbesondere auch die Vereins- und Versammlungsfreiheit aber auch andere Grund- und Freiheitsrechte zum Inhalt haben.

Zwei Tage nach der Beschlussfassung im Nationalrat vom 28. April 2020 wurden in einer umfassenden COVID-19-Lockerungsverordnung zahlreiche Maßnahmen durch das Gesundheitsministerium veröffentlicht, die Teile dieser Gesetzesnovelle betreffen. Bei den sogenannten „Normadressaten“, betroffenen Bürgern und Unternehmern, sorgten diese für Unverständnis, Betroffenheit und Verwirrung über die Auslegung und rechtsstaatliche Qualität.

Der Bundesrat spricht sich generell dagegen aus, dass sensible Gesetzesmaterien in nur wenigen Tagen und ohne qualifizierte und umfassende Behandlung, den parlamentarischen Prozess im Eiltempo durchlaufen. Mit einer solchen Vorgangsweise wird der Opposition, den Staatsbürgern und den von der Regelung Betroffenen die Möglichkeit genommen, sachpolitische Bedenken zu äußern oder der Regelungsmaterie geschuldete Verbesserungsvorschläge vorzubringen. Trotz Bewältigung der COVID19-Krise sollte der Gesetzgebungsprozess im Parlament zu einem normalen Gesetzgebungsverfahren, inklusive Begutachtungsverfahren und möglichen Expertenhearings, zurückkehren.

Dem Nationalrat soll daher durch diesen Einspruch die Gelegenheit gegeben werden, durch eine neuerliche Behandlung des Epidemiegesetzes die tiefgreifenden Mängel des Entwurfs unter Einbindung von Experten und zu beheben.

Dabei sind entsprechende Änderungen der Gesetzesvorlage insbesondere in folgenden Punkten dringend erforderlich, um den Rechtsstaat zu wahren:

Vereins-, Versammlungs- und Veranstaltungsfreiheit

Der erst unmittelbar in der 2. Lesung im Zusammenhang mit der Beschlussfassung der Gesetzesnovelle eingebrachte Abänderungsantrag betreffend Neufassung des § 15 Epidemiegesetz greift massiv in die Vereins-, Versammlungs- und Veranstaltungsfreiheit ein. Die Gruppe der Normadressaten ist unbestimmt, wie unter anderem etwa explizit die Begrifflichkeiten „Zusammenströmen größerer Menschenmengen“, „bestimmte Auflagen oder Voraussetzungen“, „bestimmte Personen- oder Berufsgruppe“ oder die nur abstrakt angeführten „Abstandsregeln“ bescheinigen. Rechtspolitisch sei ergänzend angeführt, dass der dem ursprünglichen Epidemiesgesetz zugrundegelegte historische Veranstaltungsbegriff auch das gesamte Vereins- bzw. Versammlungsrecht umfasste. Auf das sich seit 1913 weiterentwickelte Vereins- und Versammlungsrecht und seine verfestigte rechtsstaatliche Substanz wird hier durch mangelnde Differenzierung nicht Rücksicht genommen.

Auch die „Nichtverwendung von Contact-Tracing-Technologien“ bei „Voraussetzungen oder Auflagen“ heilt die rechtsstaatlichen Bedenken nicht, sondern verstärkt sie im Gegenteil. So wird etwa ein „passives Heranziehen“ von Daten aus der Nutzung von Contact-Tracing-Technologien nicht ausgeschlossen.

Ebenfalls greift die Nennung des allgemeinen Diskriminierungsschutzes bei der Anwendung des § 15 Epidemiegesetzes zu kurz, da dessen Regelungsinhalt nicht auf die im Anwendungsfall konkreten Sachverhalte unmittelbar und in jedem Fall anwendbar ist.

Datenschutz

Die im neu gefassten § 5 Epidemiegesetz genannten umfangreichen Eingriffe in den Datenschutz im Zusammenhang mit der „Durchführung von Screeningprogrammen im Rahmen der Bekämpfung von COVID-19“für Einzelpersonen und Personengruppen erscheint ebenfalls zu umfangreich und damit problematisch. Die Registrierung von Namen, Geburtsdatum, Wohnsitz, Telephonnummer, E-Mail-Adresse usw. widerspricht einer gebotenen Anonymisierung.

„Andere Geeignete“ Personen zur Einsatzleistung

Die im neu gefassten § 27 a Epidemiegesetz genannten „anderen geeigneten Personen“ zur Einsatzleistung auf Anordnung des Landeshauptmanns, schafft hier einen weiteren unbestimmten Gesetzesbegriff, der hier Möglichkeiten schafft, die bis zur Schaffung einer eigenen „Epidemiegesetz-Hilfspolizei“, d.h. Überwachungs- und Sicherheitsdiensten gehen könnten. Eine entsprechende Einschränkung ist hier nicht abgebildet und eine Kompetenzzuordnung an den Landeshauptmann sachpolitisch nicht argumentiert.

Rechtsanspruch nach Epidemiegesetz

Die Wiederherstellung eines vollständigen Rechtsanspruchs nach dem Epidemiegesetz wurde trotz massiver wirtschaftlicher Folgen der bisher gesetzten COVID-19-Maßnahmen, dem ungenügenden Ausgleich der wirtschaftlichen Schäden, umfangreichen Rügen aus Wissenschaft und Wirtschaft und Abänderungsanträgen aus der Opposition nicht berücksichtigt. Auch eine dringend gebotene zeitliche Verlängerung der Anspruchsvoraussetzungen für Entschädigungsansprüchen wurde nicht berücksichtigt.

Kompetenzverteilung und Rechtsstaatsprinzip

Die geschaffene Möglichkeit, dass nunmehr der Bundesminister, der Landeshauptmann und die Bezirksverwaltungsbehörde mittels Verordnungen Sachverhalte des Epidemiegesetzes näher ausführen können, führt zu einer Zersplitterung der anzuwendenden Rechtsnormen, unterschiedlicher Qualität der Rechtsnormen und differenzierter Anwendungstiefe. Damit ist das Rechtsstaatsprinzip massiv gestört und es sollte eine bundesstaatlich einheitliche Normensetzung auf dieser Ebene wiederhergestellt werden.

Befristung

Es liegt diesen umfangreichen Änderungen des Epidemiegesetz keine Befristung bis zum 31.12.2020 zu Grunde, womit sie ins Dauerrecht übergehen. Da es sich um ausschließlich anlassbezogene Änderungen handelt, sollte eine Befristung unbedingt vorgesehen werden.

 

Aus all diesen Gründen wird der Antrag gestellt, gegen den genannten Gesetzesbeschluss des Nationalrates Einspruch zu erheben.