1264/J-BR BR
 
DRINGLICHE ANFRAGE
der Bundesräte Dr. Bösch, Dr. Tremmel
und Kollegen
an den Bundeskanzler
betreffend Konsultationsmechanismus und Bundesrat
Es ist seit langem unbestritten, daß die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern
grundlegend neu geordnet werden müssen und insbesondere auch die Aushöhlung des in
Österreich ohnehin schwach entwickelten bundesstaatlichen Prinzips gestoppt werden muß.
Die zentralistischen Tendenzen haben sich nach dem Beitritt zur Europäischen Union durch
die Kompetenzverlagerungen zu den Unionsorganen noch verstärkt.
Dieser neuerliche massive Kompetenzverlust der Länder verstärkt eine Entwicklung, die das
bundesstaatliche (föderalistische) Prinzip der Bundesverfassung aushöhlt und eine schleichende
Gesamtänderung der Verfassung darstellt (vgl. auch Walter - Mayer, Grundriß des österreichischen
Bundesverfassungsrechts, 7. Auflage, Seite 68). Es ist nicht zu bezweifeln, daß Österreich bereits
jetzt ein relativ schwach ausgebildeter Bundesstaat ist, da der Bund ein erhebliches Übergewicht an
Kompetenzen aufweist und der Einfluß des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung gering ist.
Im sogenannten Perchtoldsdorfer Übereinkommen vom Oktober 1992 wurde deshalb zwischen
dem damaligen Bundeskanzler als Vertreter des Bundes und dem damaligen
Landeshauptmann von Niederösterreich als Vertreter der Länder eine "große
Bundesstaatsreform" sowie eine Aufwertung des Bundesrates paktiert und in der Folge eine
entsprechende Regierungsvorlage sowie entsprechende Änderungen des Finanz -
Verfassungsrechtes ausgearbeitet. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde die
Bundesstaatsreform durch föderalismusfeindliche Anreicherungen geradezu ein Modell
zentralistischer Staatsvorstellungen (siehe RV 15 Blg.NR XX. GP), weshalb die Länder ihre
ursprüngliche Zustimmung zurückzogen.
 
Die erwähnte Regierungsvorlage wurde seither nicht mehr behandelt; die Debatte um eine
Bundesstaatsreform ist zu einem gänzlichen Stillstand gelangt. SPÖ - Klubobmann Dr.
Kostelka erklärte sogar die bisherigen Verhandlungsergebnisse für obsolet: man müsse wieder
an den Start.
Um eine weitere Aushöhlung des bundesstaatlichen Prinzips der Bundesverfassung zu
verhindern, sollten daher auf Regierungsebene die Beratungen über die Bundesstaatsreform auf
der Grundlage der zwischen Bund und Ländern bereits vereinbarten Grundsätze möglichst
rasch wieder aufgenommen werden. Ziel der Beratungen muß dabei eine eindeutige Stärkung
der Länderrechte sein, wie sie etwa auch von Landeshauptmann Dr. Purtscher immer wieder
eingefordert wurden.
Ein wesentlicher Aspekt bei der Gestaltung des Bundesstaates ist die Regelung der finanziellen
Beziehungen zwischen den Gebietskörperschaften. Rechtsetzende Akte einer
Gebietskörperschaft bewirken oftmals für andere Gebietskörperschaften erhebliche finanzielle
Belastungen, ohne daß sich diese dagegen erfolgreich zur Wehr setzen können. Eine Regelung,
die die finanziellen Beziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu ordnet und für
diesen Fall Vorkehrungen trifft, ist daher im Interesse der Verwirklichung des
bundesstaatlichen Prinzips durchaus geboten, zumal es fast ausschließlich rechtsetzende Akte
des Bundes sind, deren finanzielle Auswirkungen auf die anderen Gebietskörperschaften den
Gegenstand der Debatte bilden.
In diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung eine Regierungsvorlage (578 d.B.) über ein
Bundesverfassungsgetz über Ermächtigung des Österreichischen Gemeindebundes und des
Österreichischen Städtebundes und die Genehmigung einer Vereinbarung vorgelegt, dessen
Anlage eine Vereinbarung zwischen Bund, den Ländern und den Gemeinden über einen
Konsultationsmechanismus und einen künftigen Stabilitätspakt der Gebietskörperschaften
bildet.
Dem Konsultationsmechanismus liegt die Absicht zugrunde, die Verantwortung des Bundes
und der Länder für die öffentlichen Aufgaben und Ausgaben mit der Verantwortung für die
 
Haushalte der Vertragspartner zu koordinieren und einseitige Belastungen anderer
Gebietskörperschaften zu vermeiden.
In der Tagung der Landeshauptmännerkonferenz am 13. November 1996 wurde über die im
Entwurf vorliegende Vereinbarung Einvernehmen erzielt und am 10. Dezember 1996 wurde
der Text dieser Vereinbarung zwischen den Vertragspartnern festgelegt.
Diese Regierungsvorlage bewirkt im Falle ihrer Verwirklichung eine Zäsur der
österreichischen Verfassungsentwicklung. Sie legt die Absicht der an ihrem Zustandekommen
Beteiligten schonungslos offen:
rechtsetzende Akte von Bund und Ländern werden nur noch als Regierungsakte angesehen, die
Absegnung durch die gesetzgebende Körperschaften ist offenbar nur Formsache und muß sich
jedenfalls dem Willen der Regierenden unterwerfen, Vertreter der gesetzgebenden
Körperschaften werden selbstverständlich von jeglicher Mitwirkung im Konsultationsgremium
ausgeschlossen.
Offene Worte gegen diesen Anschlag auf die parlamentarische Demokratie hat National -
ratspräsident Dr. Fischer gefunden:
"Die Verantwortung für Gesetze liegt beim Nationalrat und beim Bundesrat. Wenn das jemand
bestreitet, dann soll er uns das wenigstens sagen oder er soll sagen, uns interessieren
parlamentarischen Beratungen und Verhandlungsergebnisse nicht. Niemand könne dagegen
sein, wenn Bund, Länder und Gemeinden die finanzielle Verantwortung für die Gebarung der
Republik gemeinsam tragen wollten. Aber man könne nicht so vorgehen, daß bei derartigen
Schritten der Nationalrat dann nur mehr "Ja und Amen" zu sagen habe." Der
Nationalratspräsident beharrt darauf, daß Vertreter des Nationalrates, des Bundesrates und der
Landtage in die Entscheidungen eingebunden werden.
Eine derartige Entwicklung hat eine de facto Abwertung der Bundesländer und des
Bundesrates zur Folge. Eine Information des Bundesrates über die diesbezüglichen Absichten
der Bundesregierung ist daher dringend geboten.
 
Die unterfertigten Bundesräte richten daher an den Bundeskanzler folgende
DRINGLICHE ANFRAGE
1. Bekennen Sie sich zur Notwendigkeit und zu den Grundsätzen einer Bundesstaatsreform
sowie der vereinbarten Aufwertung des Bundesrates, wie sie im Perchtoldsdorfer Paktum
festgelegt wurden?
Wenn ja, inwieweit?
Wenn nein, warum nicht?
2. Teilen Sie die Auffassung des SPÖ - Klubobmannes Dr. Kostelka, der die seinerzeitigen
Verhandlungsergebnisse für obsolet erklären und wieder "an den Start" möchte?
Wenn ja, inwieweit?
Wenn nein, warum nicht?
3. Welche Veranlassungen werden Sie setzen, um den derzeitigen Stillstand bei den
Reformbemühungen zu überwinden?
4. Teilen Sie die Auffassung, daß die derzeitige Stellung des Bundesrates als Länderkammer,
die an der Gesetzgebung des Bundes mitwirkt, als ausgewogen und sinnvoll bezeichnet
werden kann?
Wenn ja, auf Grund welcher Erwägungen?
Wenn nein, warum nicht und welche Maßnahmen werden Sie setzen, um eine Änderung der
Situation herbeizuführen?
5. Der vorliegende Entwurf über einen Konsultationsmechanismus sieht vor, daß den maß -
gebenden Entscheidungsgremien ausschließlich Vertreter der Vollziehung angehören.
Wurde diese Entscheidung bereits getroffen, um die gesetzgebenden Körperschaften zu
 
schwächen?
Wenn nein, welche anderen Gründe waren dafür maßgebend?
6. Halten Sie es demokratiepolitisch überhaupt für möglich, derartige Entscheidungsgremien
ohne Vertreter der gesetzgebenden Körperschaften zu installieren?
7. Nach dem Entwurf bestimmt die Vollziehung nun auch den Ablauf der parlamentarischen
Beratungen sowie den Inhalt der Vorlagen. Halten Sie es mit dem Selbstverständnis einer
parlamentarischen Demokratie vereinbar, wenn parlamentarische Anträge Darstellungen der
finanziellen Auswirkungen zu enthalten haben, die Richtlinien entsprechen müssen, die von
der Vollziehung (Bundesminister für Finanzen) erlassen werden?
Wenn ja, welche weiteren Einschränkungen der parlamentarischen Tätigkeit sind für Sie
mit der parlamentarischen Demokratie noch vereinbar?
Wenn nein, was werden Sie gegen diese Knebelung unternehmen?
8. Teilen Sie die Auffassung, daß die verpflichtende Darstellung der finanziellen Aus -
wirkungen nach Richtlinien des Finanzministeriums ein geeignetes Mittel gegen
unangenehme Anträge der Opposition darstellt?
Wenn ja, inwieweit?
Wenn nein, warum nicht?
9. Welche weiteren Änderungen der Bundesverfassung sowie der Geschäftsordnung des
Nationalrates und des Bundesrates werden auf Grund des Entwurfes insbesondere auch im
Hinblick auf die Fristen gemäß Art. I Abs. 4 erforderlich sein?
10. Der vorliegende Entwurf sieht auch die Schaffung zweier neuer de - facto Zwangsverbände,
nämlich des Österreichischen Städtebundes und des Österreichischen Gemeindebundes vor.
welche auch zur Klagsführung beim Verfassungsgerichtshof legitimiert werden.
Teilen Sie die Auffassung, daß damit nach der Entmündigung der gesetzgebenden Körper -
schaften auch eine Entmündigung der Städte und Gemeinden angestrebt wird und welche
Möglichkeiten kommen den Städten und Gemeinden zu, sich gegen Entscheidungen dieser
Zwangsverbände zu wehren?
 
11. Welcher Stellenwert im bundesstaatlichen Kontext kommt dem Recht des Bundesrates, an
der Gesetzgebung des Bundes mitzuwirken, nach diesem Entwurf noch zu?
12. Teilen Sie die Auffassung, daß insbesondere das Einspruchsrecht des Bundesrates nach Art.
42 B - VG durch den geplanten Konsultationsmechanismus in einer Weise berührt ist, daß
an seiner Sinnhaftigkeit gezweifelt werden muß?
Wenn ja, inwieweit?
Wenn nein, warum nicht?
13. Der geplante Konsultationsmechanismus bewirkt eine Neuordnung der Beziehungen
zwischen Bund und Länder auch insoweit, als die Interessen der Länder von drei einver -
nehmlich namhaft zu machenden Landesregierungsmitgliedern vertreten werden sollen.
In welcher Weise soll - nachdem sich der Entwurf diesbezüglich verschweigt - das
Einvernehmen zwischen den Länder hergestellt werden?
14. Welche Erwägungen waren dafür maßgebend, den Bundesrat, der bisher immer als die
verfassungsgesetzlich vorgesehene Interessensvertretung der Länder auf Bundesebene
angesehen wurde, bei der Wahrnehmung der Länderinteressen nunmehr total auszugrenzen?
15. Teilen Sie die Auffassung, daß der Anspruch des Bundesrates, die Interessensvertretung der
Länder zu sein, im Falle einer Verwirklichung des vorliegenden Entwurfes nicht mehr
aufrecht zu erhalten ist?
Wenn ja, welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Wenn nein, auf Grund welcher Erwägungen?
16. Das B - VG konnte bisher lediglich eine Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates
an der Vollziehung des Bundes vor. Nach dem vorliegenden Entwurf wird eine Mitwirkung
der Vollziehung an der Gesetzgebung des Bundes und der Länder statuiert, die vor dem
Hintergrund des gewaltenteilenden Grundprinzipes des B - VG nur als massive Stärkung der
Exekutivgewalt zu Lasten der Legislative zu deuten ist.
Teilen Sie diese Auffassung?
 
Wenn ja, auf Grund welcher Erwägungen tritt die Bundesregierung für eine Schwächung
des Parlaments ein?
Wenn nein, warum nicht?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 61 GO - BR dringlich vor
Eingang in die Tagesordnung zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur
Begründung zu geben.