Präs. 24. Juli 1997 – Nr. 1300/J-BR/97

 

DRINGLICHE ANFRAGE

 

 

Der Bundesräte Dr. Riess-Passer, Dr. Tremmel, Dr. Böhm, Dr. Bösch, Eisl, Mag. Gudenus, Dr. Harring, DDr. Königshofer, Moser, Mühlwerth, Ramsbacher, Waldhäusl, Weilharter und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend Kollaps des Rechtsstaates durch Überlastung der Höchstgerichte und Gefährdung der Länderrechte

 

Die Überlastung der beiden Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes Verfassungsgerichtshof und Verwaltungsgerichtshof ist seit Jahren bekannt.

 

Zum 31. Dezember 1996 wies der Verfassungsgerichtshof einen Rückstand von 13.182 unerledigten Verfahren und der Verwaltungsgerichtshof einen Rückstand von 13.638 unerledigten Beschwerden auf.

 

Die folgenden Übersichten verdeutlichen die Entwicklung der letzten 10 Jahre:

 

Verfassungsgerichtshof:

Jahr angefallene erledigt am Jahresende

Verfahren offener Rückstand

1986

1683

1727

904

1987

1912

1907

909

1988

2463

2524

848

1989

2224

2096

976

1990

5445*)

2252

3278*)

1991

2304

2086

3496*)

1992

2561

4613*)

1444

1993

2746

2797

1393

1994

3590

3104

1879

1995

5762**)

5638**)

2003

1996

15894***)

4714

13182***)


*) Diese Zahlen umfassen auch über 2000 erledigte gleichartige Fälle betreffend Streitigkeiten aus dem Finanzausgleich
**) Diese Zahlen enthalten eine rund 1000 Fälle umfassende Serie von Individualanträgen nach Art. 140 B-VG
***) Diese Zahlen enthalten eine 11.122 Beschwerden umfassende Serie zur Mindestkörperschaftsteuer
 

 

Verwaltungsgerichtshof:

Jahr angefallene erledigt am Jahresende

Verfahren offener Rückstand

1986

3978

4047

3287

1987

4121

4041

3367

1988

4459

4134

3691

1989

4621

4486

3826

1990

5059

4748

4137

1991

4577

4795

3919

1992

6200

5715

4404

1993

6923

5364

5963

1994

8320

7841

6442

1995

11132

7823

9751

1996

12790

8903

13638


 

Diese Entwicklung ist in den Tätigkeitsberichten der Höchstgerichte seit Jahren immer wieder aufgezeigt worden, ohne daß die Bundesregierung dies ernst genommen hätte. So hat beispielsweise der Verwaltungsgerichtshof im Tätigkeitsbericht 1995 das offenkundige Desinteresse der Bundesregierung wie folgt beklagt:

 

"Ungeachtet der geradezu beschwörenden Warnungen des Verwaltungsgerichtshofes in den Tätigkeitsberichten der letzten Jahre ist im wichtigsten rechtspolitischen Anliegen der Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit 1. Instanz im abgelaufenen Berichtsjahr nicht nur kein Fortschritt erzielt, sondern der im Verfassungsausschuß des Nationalrates vor den Nationalratswahlen 1995 erzielte politische Konsens aller im Nationalrat vertretenen Parteien durch die vorzeitige Auflösung des Nationalrates ohne Schubkraft geblieben. Das Jahr 1995 war für die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht nur deshalb ein Katastrophenjahr; der Geschäftsgang brach alle negativen Rekorde und die ersten Daten des Jahres 1996 lassen noch Schlimmeres befürchten. Hätte der Verwaltungsgerichtshof ab 1.1.1997 wieder einen "normalen" Anfall von Beschwerden im Ausmaß von rd. 5000 pro Jahr und könnte er seine derzeitige Rekordzahl in den Erledigungen halten, dann würde es rund 8 Jahre dauern, bis die am Ende des Jahres 1996 offenen Beschwerden erledigt sein würden. Bei einer Fortdauer der derzeitigen Entwicklung im Jahre 1997 würde sich dieser Zeitraum auf rund
10 ½ Jahre verlängern. Die für die dringend notwendige Inbetriebnahme einer zeitgemäßen Datenverarbeitungsanlage erforderlichen Mittel wurden dem Verwaltungsgerichtshof ungeachtet seiner Lage und trotz seiner wiederholten Bemühungen um Information der politischen Entscheidungsträger sowohl für 1996 als auch für 1997 verweigert. Dies alles deutet leider darauf hin, daß das Interesse an einer wirksamen Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der gesamten staatlichen Verwaltung, zu welcher der Verwaltungsgerichtshof durch die Bundesverfassung berufen ist, bei den politischen Entscheidungsträgern derzeit keine sonderliche Priorität zu genießen scheint. Es ist zu befürchten, daß der Rechtsstaat Schaden nimmt.

 

Allgemein ist weiters festzuhalten, daß der Verwaltungsgerichtshof mit Befremden zur Kenntnis nehmen muß, daß der nach § 20 VwGG verfaßte Tätigkeitsbericht auf der politischen Ebene kaum zur Kenntnis genommen wird. Die früher übliche Vorgangsweise, daß die Bundesregierung den Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes dem Nationalrat zur Kenntnis bringt (vgl. § 21 Abs. 1 NRGeo) ist offenbar schon 1992 eingestellt worden. Damals sind letztmalig dem Nationalrat die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes über die Jahre 1992 und 1992 übermittelt worden, wurden dort jedoch nicht mehr dem Verfassungsausschuß zur Beratung zugewiesen. Tatsächlich hat der Nationalrat zuletzt in der 63. Sitzung der XVIII. Gesetzgebungsperiode am 12. März 1992 die Tätigkeitsberichte des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes für die Jahre 1988 und 1990 behandelt. Der Verwaltungsgerichtshof übersieht nicht, daß die Weiterleitung des nach § 20 VwGG an den Bundeskanzler zu erstattenden Tätigkeitsberichtes an den Nationalrat Gegenstand der politischen Willensbildung ist, muß aber eine anscheinend bestehende "Praxis" zur Kenntnis nehmen, nach der mit der Vorlage an den Nationalrat so lange zugewartet werden soll, bis sich Tätigkeitsberichte aus mehreren Jahren "angesammelt" haben.

 

Diese Vorgangsweise ist für den Verwaltungsgerichtshof unverständlich: Gerade die Tätigkeitsberichte der letzten vier Jahre zeigen, daß sich die Belastungs-Situation des Verwaltungsgerichtshofes von Jahr zu Jahr in immer dramatischerer Weise zugespitzt hat. Die Übermittlung des Tätigkeitsberichtes durch die Bundesregierung an den Nationalrat dient dazu, dem Gesetzgeber, der insbesondere auch für die Weiterentwicklung des Verfassungsrechts zuständig ist, die notwendigen Entscheidungsgrundlagen für legistische Maßnahmen zu unterbreiten. Nunmehr muß dem vorliegenden Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 1995 der Zustand äußerster Krisenhaftigkeit bekundet werden. Der Verwaltungsgerichtshof ersucht aber dringend, die Tätigkeitsberichte des Verwaltungsgerichtshofes und primär den vorliegenden Tätigkeitsbericht über das Jahr 1995 im Wege der Bundesregierung gem. § 21 Abs. 1 NRGeo dem Nationalrat zuzuleiten."

 

Die Bundesregierung hat auf diese offenen Worte des Verwaltungsgerichtshofes nicht reagiert.

 

Besonders besorgniserregend ist der Umstand, daß die Prognose des Verwaltungsgerichtshofes zutreffend war und darüber hinaus die steigende Tendenz auch im laufenden Jahr ungebrochen ist und sowohl die Zahl des Neuanfalles an Akten als auch die Rückstände – bereinigt um Serienfälle – weiter ansteigen werden.

 

Die Ursachen für diese Entwicklung liegen auf der Hand:

 

Einerseits die überbordende Gesetzesflut, die dazu geführt hat, daß sich allein die Seitenzahl des Bundesgesetzblattes von 1946 bis 1996 um mehr als verzehnfacht hat:

 

1946

474 Seiten

1992

5044 Seiten

1960

2272 Seiten

1993

8548 Seiten

1975

2873 Seiten

1994

7728 Seiten

1990

4512 Seiten

1995

9518 Seiten

1991

2892 Seiten

1996

5632 Seiten

 

Diese besorgniserregende Entwicklung ist vor allem darauf zurückzuführen, daß dem Staat immer wieder neue Aufgaben übertragen werden. Während sich der liberale Staat darauf beschränkte, die Rahmenbedingungen für ein System gesellschaftlicher Selbststeuerung zu schaffen und zu garantieren, ist der moderne Staat inzwischen zum Motor gesellschaftlicher Steuerung und Verteilung geworden. Daneben war die Entwicklung durch ein Streben nach zunehmender Regelungsdichte gekennzeichnet.

 

Heute stehen wir vor der Situation, daß die Bewältigung der Normenflut nicht zuletzt auch wegen der hohen staatlichen und gesellschaftlichen Kosten immer schwieriger wird und auch der Staat an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stößt.

 

Die zunehmende Menge der Rechtsnormen und deren ebenfalls in zunehmendem Maße feststellbare schlechte Qualität gefährden aber auch die Rechtssicherheit und damit den Rechtsstaat insgesamt.

 

Die schlechte Qualität der Gesetze veranlaßte auch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Prof. Adamovich, jüngst zu deutlicher Kritik: "Die Probleme hätten sich durch die zujnehmende Tendenz zu Sammelgesetzen mit Änderungen zu sehr verschiedenen Materien verstärkt. Die Frage sei, wo die Kompliziertheit notwendig und wo sie überflüssig sei. Daß Gesetze als Kompromiß bewußt mehrdeutig gestaltet würden, sei wohl eine Unterstellung. Es gebe im Hintergrund aber tatsächlich divergierende Interessen, es gehe über das Unvermögen hinaus."

 

Der Verfassungsrichter Prof. Korinek erklärte dazu bei einer Tagung der Österreichischen Juristenkommission, das Problem der Unklarheit der Gesetze habe "eine Dimension erreicht, die man sich nicht mehr vorstellen könne. Die zum Teil aufgehobene Werkvertragsregelung sei dafür nur ein Beispiel von vielen. Ein weiteres: Das Arbeitslosenversicherungsgesetz, das allein im Vorjahr siebenmal novelliert worden sei, davon viermal mit Rückwirkungen zu verschiedenen Stichtagen. Das ergebe "garantiert zehn bis elf verschiedene Fassungen im Jahr. Es gebe – beim Verfassungsgerichtshof – kein Verfahren zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, das nach derselben Rechtslage beginne, wie es ende."

 

Der Verfassungsrichter Prof. Ruppe betonte bei derselben Tagung, daß das Einkommensteuergesetz im letzten Jahr gleich siebenmal geändert worden sei, Unsicherheit und Unverständlichkeit seien enorm. Vielfach seien die Gesetze nur noch mit Hilfe der mündlich tradierten Privatmeinung von Beamten anzuwenden.

 

Tatsächlich ist die mangelhafte Qualität der Gesetze unübersehbar. Dies ist allerdings nicht verwunderlich, wenn die gegenwärtige Praxis der Regierungsgesetzgebung betrachtet wird: Auch wenn eine Einigung zwischen den Koalitionsparteien bzw. den mächtigen Interessensvertretungen nicht erzielt werden kann, werden Regierungsvorlagen erstellt, die dann oftmals noch während oder nach den Ausschußberatungen des Nationalrates durch umfangreiche Abänderungsanträge wesentlich verändert werden, ohne daß den Mitgliedern der gesetzgebenden Körperschaften ausreichend Gelegenheit zur Befassung und zur Beratung gegeben wird.

 

Die Misere kann auch nicht, wie dies Nationalratspräsident Dr. Fischer getan hat, bloß mit dem Hinweis, daß eine kompliziert gewordene Gesellschaft kompliziertere Regelungen brauche, abgetan werden. Mit diesem Hinweis wird lediglich die Unfähigkeit, die Qualität der Gesetzgebung zu erhöhen, verteidigt.

 

Zusätzlich zu dieser von den Experten allgemein beklagten schlechten Qualität der Gesetzgebung kommt noch die zunehmende Tendenz des fahrlässigen Umganges mit der Verfassung. So werden seitens der Bundesregierung Hinweise namhafter Experten auf die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit neuer Gesetzesbestimmungen einfach in den Wind geschlagen. Die absehbare Folge sind Massenbeschwerden, mit denen die Kapazität des Verfassungsgerichtshofes noch zusätzlich belastet wird. Herausragendes Beispiel dafür war die Einführung der Mindestkörperschaftssteuer, die zu mehr als 11.000 Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof führte und mit der vorhersehbaren Aufhebung der betreffenden verfassungswidrigen Bestimmungen endete. Ein weiteres Beispiel einer klassischen Denksportaufgabe war die Werkvertragsregelung, die ebenfalls einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht standhalten konnte.

 

Es liegt auf der Hand, daß diese Vorgangsweise nicht nur die Höchstgerichte, sondern auch die gesamte Justiz und Verwaltung unseres Landes enorm belastet. So berichtete beispielsweise Justizminister Dr. Michalek in der Fragestunde des Bundesrates vom 26. Juni 1997 über die Zahl der langwierigen Verfahren bei den Gerichtshöfen erster Instanz. Dort sind 1996 rund 39.000 Zivilrechtssachen angefallen. Am Jahresende waren 20.609 – das sind, gemessen am Neuanfall, 52,8 % - anhängig. Von diesen anhängig gebliebenen Rechtssachen sind 7.723 länger als ein Jahr – das sind, wieder gemessen am Neuanfall, 19,8 % -, 3.058 Rechtssachen länger als zwei Jahre – das sind 9,4 % - und 1961 Rechtssachen länger als drei Jahre – das sind gemessen am Neuanfall 5 % - anhängig gewesen. Exorbitant lange Verfahrensdauer weisen auch die Rechtsmittel in Steuersachen bei den Finanzlandesdirektionen auf, wobei nach den Worten des Rechnungshofes die Grenze der Rechtsverweigerung erreicht worden sei.

 

In dieses triste Bild der Regierungsgesetzgebung paßt auch, daß die Bundesregierung aus Furcht vor dem Verfassungsgerichtshof trotz gegenteiliger Beteuerungen auch immer wieder umstrittene Regelungen in den Verfassungsrang erhebt (bzw. von den Abgeordneten der Koalitionsparteien erheben läßt) und sie damit, wie z.B. im Rahmen des sogenannten Strukturanpassungsgesetzes 1996, immunisiert. Diese Praxis ist entschieden abzulehnen und stellt eine schleichende Gesamtänderung in der Bundesverfassung dar. Auch Präsident Adamovich hat diese Praxis der Bundesregierung bereits mehrfach vehement kritisiert. Darüber hinaus führt diese Praxis nur zu einer weiteren Zersplitterung der Bundesverfassung, die bereits jetzt Hunderte Verfassungsgesetze und in einfachen Gesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen umfaßt und auch vom Verfassungsexperten nur mit Mühe überblickt werden kann und macht alle Lippenbekenntnisse zu einer Neukodifikation der Bundesverfassung unglaubwürdig.

 

Bei der Fortdauer dieser Entwicklung ist die Funktionsfähigkeit der Höchstgerichte ernsthaft in Frage gestellt.

Die Bundesregierung hat jedoch, wie auch die wiedergegebenen Ausführungen aus dem Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofes für das Jahr 1995 zeigen, auf die seit langem bekannte problematik bisher nicht ernsthaft reagiert und versucht lediglich, die Problematik zu verdrängen. Dramatischer als die Präsidenten der Höchstgerichte, die von "Lahmlegung des Verfassungsgerichtshofes" (Präsident Adamovich) und dem "drohenden Gesamtzusammenbruch des Verwaltungsgerichtshofes" (Präsident Jabloner) sprechen, kann die Situation gar nicht beschrieben werden.

 

Die Untätigkeit der Bundesregierung ist aber auch in der Frage der Beziehungen von Bund und Ländern signifikant. Es ist belegt, daß Österreich bereits jetzt ein relativ schwach ausgebildeter Bundesstaat ist, da der Bund ein erhebliches Übergewicht an Kompetenzen aufweist und der Einfluß des Bundesrates auf die Bundesgesetzgebung gering ist.

 

Im sogenannten Perchtoldsdorfer Übereinkommen vom Oktober 1992 wurde deshalb zwischen dem damaligen Bundeskanzler als Vertreter des Bundes und dem damaligen Landeshauptmann von Niederösterreich als Vertreter der Länder eine "große Bundesstaatsreform" sowie eine Aufwertung des Bundesrates paktiert und in der Folge eine entsprechende Regierungsvorlage sowie entsprechende Änderungen des Finanz-Verfassungsrechtes ausgearbeitet. Im Zuge der parlamentarischen Beratungen wurde die Bundesstaatsreform durch föderalismus-feindliche Anreicherungen geradezu ein Modell zentralistischer Staatsvorstellungen (siehe RV 15 BglNR XX. GP), weshalb die Länder ihre ursprüngliche Zustimmung zurückzogen.

 

Die erwähnte Regierungsvorlage wurde seither nicht mehr behandelt; die Debatte um eine Bundesstaatsreform ist trotz aller gegenseitigen Versprechungen zu einem gänzlichen Stillstand gelangt.

 

An Stelle der Verwirklichung des Perchtoldsdorfer Übereinkommens ist eine Politik getreten, die zu einer massiven Gefährdung der Länderinteressen führt:

Nach dem geplanten Konsultationsmechanismus werden rechtsetzende Akte von Bund und Ländern nur noch als Regierungsakte angesehen, die Absegnung durch die gesetzgebenden Körperschaften ist offenbar nur Formsache und muß sich jedenfalls dem Willen der Regierenden unterwerfen. Vertreter der gesetzgebenden Körperschaften werden selbstverständlich von jeglicher Mitwirkung im Konsultationsgremium ausgeschlossen.

 

Eine derartige Entwicklung hätte eine de facto Abwertung der Bundesländer und des Bundesrates zur Folge. Dies wurde seitens einzelner Länder bereits erkannt, so hat etwa der Salzburger Landtag die Zuweisung der entsprechenden Regierungsvorlage verweigert.

 

Wegen der durch die Ignoranz der Bundesregierung verursachten Gefährdung des Rechtsstaates und der Länderrechte richten die unterfertigten Bundesräte an den Bundeskanzler die folgende

 

D r i n g l i c h e A n f r a g e

 

1. Ist Ihnen die Belastungssituation

a) des Verfassungsgerichtshofes und

b) des Verwaltungsgerichtshofes

bekannt?

Wenn ja, seit wann?

2. Wie beurteilen Sie diese Belastungssituation?

3. Teilen Sie die Beurteilung des Präsidenten Prof. Adamovich, der bezüglich des Verfassungsgerichtshofes eine "Lahmlegung" befürchtet?

Wenn nein, warum nicht?

4. Teilen Sie die Auffassung, daß die schlechte Qualität der Gesetze zur Überlastung der Höchstgerichte wesentlich beigetragen hat?

Wenn ja, wodurch wurde diese nach Ihrer Auffassung b ewirkt und welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um die Qualität der Rechtsvorschriften in Zukunft zu verbessern?

Wenn nein, warum nicht?

 

5. Trifft es zu, daß der Umstand, daß die weitaus überwiegende Zahl der beschlossenen Gesetze in Form von Regierungsvorlagen eingebracht wurde, die Hauptverantwortung für die schlechte Qualität der Gesetze die Bundesregierung zu tragen hat?

Wenn nein, wer sonst ist daran schuld?

 

6. Welche Konsequenzen werden Sie aus der allgemein beklagten schlechten Qualität der Gesetze ziehen?

 

7. Ist die Bundesregierung bereit, im Hinblick auf die offenkundigen qualitativen Mängel der Gesetze sowie die überbordende Gesetzesflug an der Schaffung einer Bedarfs- und Qualitätskontrolle des Gesetzgebungsprozesses mitzuwirken, die insbesondere folgende Gesichtspunkte umfassen soll:

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant=

Wenn nein, warum nicht?

 

8. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Zersplitterung des Verfassungsrechtes und werden Sie Maßnahmen treffen, um die Neukodifikation des Verfassungsrechtes voranzutreiben?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen planen Sie?

 

9. Teilen Sie die Auffassung, daß die Tendenz, umstrittene Regelungen durch Erhebung in den Verfassungsrang gegen den Verfassungsgerichtshof zu immunisieren, entschieden abzulehnen ist?

Wenn ja, welche Konsequenzen werden Sie ziehen?

Wenn nein, auf Grund welcher Erwägungen?

 

10. Ist Ihnen bekannt, wie viele Verfassungsgesetze und in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen das österreichische Bundesverfassungsrecht derzeit umfaßt?

Wenn ja, wie viele Verfassungsgesetze und wie viele in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen sind derzeit im Rechtsbestand?

 

11. Wie viele Verfassungsgesetze und wie viele in einfachen Bundesgesetzen enthaltene Verfassungsbestimmungen wurden in den einzelnen Jahren von 1987 bis 1997 beschlossen?

 

12. Wie viele Verfassungsbestimmungen sind im Abgabenrecht des Bundes enthalten?

 

13. Wie oft wurde das Einkommensteuergesetz 1988 während Ihrer Tätigkeit als Finanzminister im Jahre 1996 novelliert=

 

14. Weshalb hat die Bundesregierung die Tätigkeitsberichte der Höchstgerichte seit 1992 nicht mehr dem Nationalrat vorgelegt?

 

15. Teilen Sie die Auffassung, daß dies einer Mißachtung der Höchstgerichte gleichkommt?

Wenn nein, warum nicht?

 

16. Werden Sie dafür sorgen, daß dem Nationalrat die noch nicht vorgelegten Tätigkeitsberichte einschließlich jener für 1996 ehestens vorgelegt werden?

Wenn ja, wann ist mit der Vorlage zu rechnen?

Wenn nein, warum nicht?

 

17. Ist Ihnen bekannt, daß die am Verwaltungsgerichtshof tätigen Richter die Belastungssituation ihres Gerichtshofes derart dramatisch beurteilen, daß sie die künftige Funktionsfähigkeit des Gerichtshofes ernsthaft in Frage gestellt sehen und von einem drohenden Gesamtzusammenbruch des Gerichtshofes sprechen?

Wenn ja, seit wann=

 

18. Werden Sie aus dieser Beurteilung Konsequenzen ziehen?

Wenn ja, welche?

Wenn nein, warum nicht?

 

19. Worin sehen Sie im einzelnen die Ursache für die derzeitige Belastungssituation des Verwaltungsgerichtshofes?

 

20. Worauf stützt die Bundesregierung den Optimismus, daß der neugeschaffene Bundesasylsenat zu einer Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes führen wird?

 

21. Werden Sie entscheidende Maßnahmen setzen, um die Belastungssituation des Verwaltungsgerichtshofes zu verbessern?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant?

Wenn nein, warum nicht?

 

22. Welche Maßnahmen werden diesbezüglich im Budget 1998 (einschließlich Stellenplan) vorgesehen sein?

 

23. Weshalb hat die Bundesregierung bisher keine Schritte unternommen, um die Unabhängigen Verwaltungssenate zu echten Gerichtshöfen umzugestalten?

 

24. Sind Sie der Auffassung, daß die Schaffung der Eingabengebühr von öS 2.500,00 trotz der damit verbundenen Einschränkung des Zuganges zum Recht als Maßnahme zur Entlastung der Höchstgerichte gerechtfertigt ist?

 

25. Sind Sie der Auffassung, daß die im Zuge der Diskussion um die Bundesstaatsreform erörterte Idee der Landesverwaltungsgerichtshöfe geeignet ist, einen Beitrag zur Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes zu leisten?

Wenn ja, weshalb hat die Bundesregierung bisher keine Schritte unternommen, um diese Landesverwaltungsgerichtshöfe zu realisieren?

Wenn nein, warum nicht?

 

26. Bekennen Sie sich weiter zur Notwendigkeit und zu den Grundsätzen einer Bundesstaatsreform sowie der vereinbarten Aufwertung des Bundesrates, wie sie im Perchtoldsdorfer Paktum festgelegt wurden?

Wenn ja, inwieweit?

Wenn nein, warum nicht?

 

27. Weshalb haben Sie bisher keine Veranlassungen gesetzt, um den derzeitigen Stillstand bei den Reformbemühungen zu überwinden und wer ist für diesen Stillstand verantwortlich?

 

28. Werden Sie endlich konkrete Schritte setzen, um das Perchtoldsdorfer Paktum zu erfüllen?

Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen sind geplant?

Wenn nein, warum nicht?

 

29. Bis wann ist mit einer Realisierung des Perchtoldsdorfer Paktums zu rechnen?

 

30. Der vorliegende Entwurf über einen Konsultationsmechanismus sieht vor, daß den maßgebenden Entscheidungsgremien ausschließlich Vertreter der Vollziehung angehören. Wurde diese Entscheidung getroffen, um die gesetzgebenden Körperschaften zu schwächen?

Wenn nein, welche anderen Gründe waren dafür maßgebend?

 

31. Werden Sie in weiteren Verhandlungen an dieser Konstruktion festhalten?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, welche Änderungen sind geplant?

 

32. Halten Sie es demokratiepolitisch überhaupt für zulässig, derartige Entscheidungsgremien ohne Vertreter der gesetzgebenden Körperschaften zu installieren?

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 61 GO-BR dringlich vor Eingang in die Tagesordnung zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung zu geben.

 

Wien, 24. Juli 1997