1355/J-BR BR
 
der Bundesräte Dr. Bösch, Dr. Riess - Passer, Dr. Harring, Mühlwerth
und Kollegen
an den Bundesminister für Finanzen
betreffend verfassungskonforme Reform der Familienbesteuerung
Zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren - und voraussichtlich nicht zum letzten Mal -
mußte der Verfassungsgerichtshof jene Teile des Einkommensteuergesetzes wegen
Verfassungswidrigkeit aufheben, die, trotz der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit von
unterhaltspflichtigen Eltern und nicht unterhaltsptlichtigen Personen, die
Unterhaltsleistungen steuerlich nicht in einer der geminderten Leistungsfähigkeit
entsprechenden Weise berücksichtigen.
Der Verfassungsgerichtshof führt dazu weiters aus: Das Außerachtlassen der Unterhaltslast
bewirkt eine vergleichsweise höhere Besteuerung untererhaltspflichtiger Eltern. Diese sei
sachlich nicht zu rechtfertigen, auch nicht damit, daß die Tragung der Kinderlasten mit
steigendem Einkommen leichter wird, Der ausschlaggebende Vergleich dürfe nicht zwischen
Eltern mit niedrigerem und höherem Einkommen, sondern müsse zwischen
unterhaltspflichtigen Eltern und nicht unterhaltspflichtigen Personen gleicher
Einkommenstufe gezogen werden.
Mehrmals verweist der Verfassungsgerichtshof auch darauf, daß die Unterhaltsleistung am
Kinder nicht bloß Sache privater Lebensgestaltung ist.
Der Verfassungsgerichtshof verlangt daher, daß zumindest die Hälfte der Einkommensteile,
die für Bestreitung des Unterhalts der Kinder erforderlich sind, im Effekt steuerfrei bleiben
müßte. Und die Unterhaltspflicht beträgt in der Regel das Zweieinalbfache des sogenannten
"Regelbedarfes" des Kindes.
Die daraufhin angestellten Berechnungen des Finanzministeriums basierend auf dem
VfGH - Erkenntnis, ergeben bei einem Kind über 19 Jahre einen Differenzbetrag von ca.
 
1200 öS pro Monat zwischen der bestehenden und einer verfassungskonformen Regelung
(Die "Presse", 12.11.1997; Kurier. 12.11.1997).
Bei diesem Vorschlag berücksichtigt das Finanzministerium noch, daß die vom VfGH
festgestellte Gleichheitswidrigkeit darin besteht, daß es bei einem horizontalen Vergleich
von Personen gleicher Einkommenshöhe nicht angeht, daß ein Steuersubjekt, welches mit
Unterhaltspflichten belastet ist, genausoviel Einkommensteuer zu entrichten hat, wie jene,
deren Leistungsfähigkeit nicht durch Unterhaltsleistungen beeinträchtigt ist, und daß es nicht
um eine Umverteilung zwischen arm und reich geht, sondern um eine Hintanhaltung einer
überproportionalen Besteuerung von Einkommensteilen des Steuerpflichtigen, welche dem
Unterhalt seiner Kinder dient.
Die in der Folge getätigten Äußerungen von seiten der SPÖ lassen aber erkennen, daß zwar
an eine gewisse Entlastung der Familien durch höhere Transferzahlungen, aber an keine
entsprechende Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit durch
Unterhaltszahlungen für alle Familien gedacht ist. Laut einem in der Presse vom 13.1.1998
vorgestellten SPÖ - Modell soll zwar die Familienbeihilfe um 500 öS für jedes Kind
angehoben, die Mehrkindstaffel bei den Kinderabsetzbeträgen jedoch beseitigt werden. Dies
bedeutet für viele betroffene Familien einen um ca. 700 öS niedrigeren Betrag gegenüber
den ersten Aussagen des Finanzministeriums. Geplant ist überdies nur eine Umsetzung in
zwei Etappen (1999 und 2000) und eine weitestgehende Finanzierung über den
Familienlastenausgleichsfonds (FLAF).
Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind u.a. die Aussagen von SPÖ - Klubobmann
Kostelka (Der SPÖ sei am wichtigsten. "daß etwas für die einkommensschwachen Familien
getan wird"; Der Standard,.8.1.1998). von SPÖ - Familiensprecherin Mertel, wonach eine
Familie mit einem Familieneinkommen von über 42.000 öS brutto als ,.reich" gelte (SN.
11.11.1997) und von Bundeskanzler Klima (dem Staat sollte jedes Kind gleich viel wert
sein; OTS133, 13.1.1998).
Im Unterschied dazu bevorzugt das ebenfalls in der Presse vom 13.1.1998 vorgestellte
ÖVP - Modell nur eine Erhöhung der Absetzbeträge um rund 400 öS. Finanziert soll dies
 
durch einen Vorgriff auf die Steuerreform 2000 werden. Ein Angreifen des FLAF lt. SPÖ -
Plan lehnt die ÖVP vehement ab.
Interessant ist, daß trotz der Aussage von Vizekanzler Schüssel vom 13.1.1998 - wonach
jedes Kind gleich viel wert sei, aber die Kosten für jeden Menschen in einem bestimmten
Alter und einer bestimmten Situation unterschiedlich seien, weil eine größere Familie mehr
Kosten dadurch habe, weil diese eine größere Wohnung, ein größeres Auto oder ähnliches
brauche - die Modelle der SPÖ und ÖVP betragsmäßig sehr knapp beieinander liegen, und
daß zu Recht angenommen werden muß, daß die derzeit geführte Diskussion zwischen Rot
und Schwarz als reines Scheingefecht zu qualifizieren ist.
Eigenartig mutet es bei diesem Scheingefecht an, wenn Vertreter der ÖVP vergessen. daß
sie seit mehr als zehn Jahren ebenfalls für die verfehlte Familienpolitik mitverantwortlich
sind. Wer sonst hat neben der SPÖ dafür gesorgt, daß ‚jede zweite Familie mit zwei
Kindern an der statistischen Armutsgrenze und damit am Rande unserer
Wohlstandsgesellschaft leben müsse", und daß "bei Familien mit drei und mehr Kindern die
Situation noch schwieriger ist" (Bundesminister Fasslabend, OTSO48. 8.1.1998). daß
Familienleistungen in der Vergangenheit nicht valorisiert, wie dies die FPÖ regelmäßig
fordert, daß verfassungswidrige Familiengesetze beschlossen, daß überaus
familienfeindliche Belastungen im Zuge des Belastungspaketes 1996 mitgetragen, daß
Familien zu Bittstellern degradiert wurden usw? Der SPÖ nun vorzuwerfen, daß ihr die
Familie als solches eine nicht wirklich schützens -, erhaltens - und daher förderungswerte
Institution zu sein scheint (OT5176, 9.1.1998). mutet angesichts der Unfähigkeit der ÖVP,
im Rahmen der Koalition eine echte und konsequente Familienpolitik zu betreiben, etwas
seltsam an.
Das Ergebnis der seit 14.1.1998 geführten Verhandlungen wird im Hinblick auf die NÖ -
Landtagswahl ein politischer Kompromiß werden, der an der vorgeschlagenen Betragshöhe
der zusätzlichen Leistungen nicht mehr viel ändern wird. Durch eine Erhöhung entweder der
Absetzbeträge oder der Familienbeihilfe wird die Koalition allerdings den Familien nur
Teile jener 100 Milliarden zurückgeben. welche sie diesen in den letzten Jahren entzogen
hat.
 
Trotz der derzeit angeblich noch bestehenden Auffassungsunterschiede über das ,.Wie"
haben beide Modelle neben der Betragshöhe noch eine weitere Gemeinsamkeit: Beide
Varianten werden in wesentlichen Teilen wiederum verfassungswidrig sein. weswegen auch
bereits über eine Regelung im Range einer Verfassungsbestimmung nachgedacht wird.
Im Gegensatz zu den Regierungsmodellen entspricht der FPÖ Vorschlag eines wahlweisen
Familiensplittings samt Negativsteuer und Erhöhung der Familienbeihilfe dem Erkenntnis
des Verfassungsgerichtshofes. Bei dem Familiensplitting (wie es auch in mehreren
europäischen Staaten geregelt ist) wird das Einkommen aller Familienangehörigen auf
Antrag zusammengerechnet und auf die Familienmitglieder aufgeteilt, wodurch sich eine der
Leistungsfähigkeit jeder Familie entsprechende Steuerprogression ergibt.
Aus gegebenem Anlaß stellen die unterfertigten Bundesräte an den Bundesminister für
Finanzen folgende
Dringliche Anfrage:
1. Welches Modell der Reform der Familienbesteuerung schlagen sie vor?
2. Wird das von der SPÖ vorgeschlagene Modell der Erhöhung der Familienbeihilfe in jeder
Hinsicht dem VfGH - Erkenntnis entsprechen?
Wenn ja, von welchen namhaften Verfassungsexperten wurde/wird ihr Modell
hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit überprüft? Welcher der Experten äußerte mit
welcher Begründung Bedenken?
3. Können Sie ausschließen, daß die Reform der Familienbesteuerung, um sie einer
neuerlichen Kontrolle durch den VfGH zu entziehen, mit einer Verfassungsbestimmung
geregelt wird?
 
4. Wie beurteilen Sie das ÖVP-Modell?
5. Ist Ihrer Kenntnis nach das ÖVP-Modell verfassungskonform?
6. Wie kann Ihrer Vorstellung nach die Finanzierung der Reform aussehen, ohne daß
Geldmittel aus dem FLAF entnommen werden?
7. Ist es richtig, daß Familien mit mehreren Kindern auch progressiv höhere Ausgaben
haben?
Wenn nein. auf Grund welcher Studien kommen Sie zu diesem Ergebnis?
Wenn ja, spricht dies nicht für die Mehrkindstaffel?
8. Aus welchem Grund lehnt die SPÖ die Mehrkindstaffel ab?
9. Interpretieren Sie die Aussage des VfGH. wonach Kinder nicht ausschließlich eine Frage
der privaten Lebensführung sind, auch dahingehend. daß Familien mit mehreren Kindern
überlebensnotwendig für das nach dem Umlageverfahren finanzierte Pensionssystem
sind?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, warum honoriert dies die Familienpolitik der Koalition nicht dementsprechend?
10. Befürworten Sie im Zuge dieser Reform eine künftige automatische lineare Erhöhung der
Familienbeihilfe im selben Ausmaß wie bei den Pensionen?
Wenn nein, warum nicht?
11.Welche Folgen wird es haben und welche konkreten Schritte werden Sie setzen, sollten
Sie in der Beratung mit der ÖVP zu keiner Einigung kommen?
In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen des § 61
GO - BR dringlich vor Eingang in die Tagesordnung zu behandeln.