1879/j-br br
Eingelangt am: 08.11.2001
 

DRINGLICHE ANFRAGE

gem. § 61 Abs. 3 GO - BR


der Bundesräte Prof. Konecny
und Genossinnen
an den Bundeskanzler
betreffend Verunsicherung der österreichischen Bevölkerung durch widersprüchliche
Aussagen der Mitglieder der Bundesregierung zu brisanten politischen Themen
Allgemeines

Schon seit längerer Zeit, nunmehr aber in einem nicht mehr zu akzeptierenden Ausmaß
verunsichern die Mitglieder der Bundesregierung von ÖVP und FPÖ die österreichische
Bevölkerung dadurch, dass beinahe täglich widersprüchliche Aussagen zu politisch brisanten
Themen getroffen werden.

Neben der Verunsicherung der österreichischen Bevölkerung schadet diese Vorgangsweise
aber auch dem österreichischen Ansehen im Ausland und der Durchsetzbarkeit
österreichischer Interessen in bilateralen und multilateralen Beziehungen.

Diese unabgestimmte Vorgangsweise der Österreichischen Bundesregierung ist besonders an
den Themen Temelin und EU - Osterweiterung, die für alle Österreicherinnen von
herausragender Bedeutung sind, festzustellen.

Bundeskanzler Schüssel nützte aber den Nationalfeiertag, um auch zum Thema Neutralität die
Österreicherinnen zu verängstigen und zu verunsichern. Der geschmacklose und unpassende
Vergleich der Neutralität mit Lipizzanern und Mozartkugeln ist eines Bundeskanzlers einer
demokratischen Republik unwürdig und zeigt von mangelndem Respekt gegenüber den
Grundbausteinen unserer Bundesverfassung und gegenüber der österreichischen Bevölkerung,
die sich zu 81 % für die Beibehaltung der Neutralität ausgesprochen hat.


1. Zur Neutralität

Der Bundeskanzler bezeichnet Mozartkugeln, Lipizzaner und die Neutralität als alte
Schablonen, die nicht mehr in das 21. Jahrhundert passen.

Bundesminister Haupt und Landeshauptmann Haider meinen, dass die Neutralität seit dem
EU - Beitritt faktisch abgeschafft sei. Mit der Aufgabe der Neutralität, so Haider, würde ein
NATO - Beitritt Österreichs Hand in Hand gehen.


Haider schlägt vor, ein gemeinsames Referendum über die Neutralität und die EU -
Osterweiterung abzuhalten.
Bundeskanzler Schüssel spricht sich gegen ein solches Doppelreferendum aus und sieht keine
Aktualität für ein Referendum zu diesen Themen.
Auch Riess - Passer steht dem Vorschlag Haiders und Haupts reserviert gegenüber.

Schüssel weiter: Auch die Abschaffung des Neutralitätsgesetzes stehe derzeit nicht zur
Debatte.

Eine solche Vorgangsweise von Spitzenrepräsentanten der Österreichischen
Bundesregierung - insbesondere des Bundeskanzlers - und des Kärntner
Landeshauptmannes ist chaotisch, verunsichert die österreichische Bevölkerung und
schädigt das Ansehen Österreichs im Ausland.


2. Zu Temelin

Anfang Oktober initiieren die FP - Landeschefs Achatz, Windholz und Kabas ein
Volksbegehren - Veto gegen Temelin.


Am 29.10. sagt der neue Generalsekretär der FPÖ Schweitzer, ein Veto gegen den EU-Beitritt
Tschechiens wegen des AKW Temelin sei nicht Parteilinie der FPÖ.
Am selben Tag betonte LH Haider, dass er bei der Veto - Drohung bleiben werde und forderte
damit Riess - Passer auf, bei der FP - Veto - Drohung zu bleiben.
Achatz sagt, er erwarte sich von Vizekanzlerin Riess - Passer ein Veto im Ministerrat, sollte
die Regierung der Abschließung des Energiekapitels zwischen EU und Prag zustimmen.
Die ÖVP schweigt noch.

Am 2.11.2001 war fur Vizekanzlerin Riess - Passer das FPÖ - Veto - Volksbegehren plötzlich
wieder wichtig; es gehe um eine Existenzfrage von Österreich; die FPÖ stehe zum in Aussicht
genommenen Veto gegen Tschechiens EU-Beitritt.

Vier Tage später bricht die ÖVP ihr Schweigen: Ein Ausstieg aus Temelin ist nicht mehr
realistisch, so der zuständige Umweltminister Wilhelm Molterer. Er führte gegenüber der
"Die Presse" aus, dass das souveräne Recht jedes Staates bestehe, über seine Energieträger
selbst zu entscheiden. Der Unterschied zur Veto-Politik der FPÖ bestehe darin, dass wir
überlegt miteinander diskutieren. Er jedenfalls schließe ein Veto aus.


Als Reaktion darauf meldeten sich die beiden Klubobmänner der beiden Regierungsfrakionen
zu Wort:
Khol: Ich unterstütze die Politik Molterers zu Temelin.
Westenthaler: Ich bin über die Aussagen Molterers befremdet; dies sei nicht Regierungslinie.
Das Chaos ist also perfekt:
Die Vorgangsweise der FPÖ zeigt, dass sie nicht regierungsfähig ist, dass sie keine
inhaltliche Geschlossenheit zu den wichtigsten Fragen für die Österreicherinnen hat
und dass wiederum die Verhandlungsposition Österreichs nach außen hin geschwächt
wird.
Die ÖVP verschweigt sich zunächst und reagiert erst zum letztmöglichen Zeitpunkt, um
der Blockadepolitik des Regierungspartners zu widersprechen.

Die Bundesregierung hat wieder zu diesem für die Österreicherinnen brisanten Thema
keine geschlossene Meinung (siehe Khol/Westenthaler).

Durch das sich täglich widersprechende Auftreten nach außen wird die österreichische
Initiative gegen Temelin und für ein atomfreies Europa desavouiert.


3. Zur EU - Osterweiterung

Der Erweiterungsprozess der Europäischen Union ist das bedeutsamste Thema Europas und
soll zu einem veränderten großen und geeinten Europa fuhren, in dem Friede und
Zusammenarbeit zur Selbstverständlichkeit werden und kriegerische Konflikte der
Vergangenheit angehören sollen.

In der Präambel zur Regierungserklärung heisst es: Die Bundesregierung bekennt sich zum
Friedensprojekt Europa. In der Vertiefung der Integration und der Erweiterung der Union
liegt auch Österreichs Zukunft.


LH Haider fordert im Gegensatz dazu die Bundesregierung auf, eine Volksabstimmung über
die EU - Erweiterung abzuhalten, welche gemeinsam mit der Volksabstimmung über die
Neutralität abzuhalten sei (siehe oben).
Vizekanzlerin Riess - Passer meint dazu, es gebe keine Frage, über die man die Bevölkerung
nicht abstimmen lassen könne.
Die ÖVP lehnt eine Volksabstimmung über die EU - Osterweiterung ab.

In der Sitzung des EU-Ausschusses des Bundesrates am 6. November 2001 wurde u.a. die
EU-Osterweiterung und der Stand derselben ausführlich beraten. Der zuständige Beamte des
Außenministeriums, Botschafter Mag. Dr. Martin Sajdik, referierte über den Gegenstand und
führte hinsichtlich des Zeitplanes aus, dass die erste Welle der EU-Osterweiterung wie
vorgesehen Anfang 2004 realisiert werden wird. Diese Politik wird auch von Bundeskanzler
Dr. Schüssel und von Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Ferrero - Waldner
offiziell vertreten, so Sajdik.

Dem Wirtschaftsblatt vom 7. November 2001 ist jedoch zu entnehmen, dass der VP -
Staatssekretär im Finanzministerium Dr. Alfred Finz der Meinung ist, dass die erste
Erweiterungsrunde der EU erst 2006 erfolgen wird. Dies sind, so Finz auf Nachfrage, die
offiziellen Planungen des österreichischen Finanzministeriums.


Auch in dieser wichtigen Frage ist die Bundesregierung gespalten und spricht mit zwei
Zungen.
Die FPÖ verabschiedet sich vom eigenen Regierungsprogramm und der von Haider
unterzeichneten Präambel dazu.
Die Bundesregierung verunsichert die Österreicherinnen, bietet ihnen keine einhellige
Regierungsmeinung, was dazu führt, dass die EU-Erweiterung in Österreich von allen
EU-Staaten am wenigsten positiv bewertet wird:
Kein Wunder bei dem Auftreten dieser Bundesregierung. Man ist sich weder über das
Wie, noch über das Wann einig.

Die Liste der umstrittenen Themen und der abweichenden und sich widersprechenden
Aussagen von Mitgliedern der Bundesregierung ließe sich beliebig weiterführen.

Um aber in den wichtigsten Fragen für die österreichische Bevölkerung Klarheit zu erhalten,
haben die Sozialdemokratischen BundesrätInnen diese Anfragen an den Bundeskanzler und
die Bundesministerin für öffentliche Leistung und Sport sowie Vizekanzlerin eingebracht,
damit hier am Boden des Parlaments zu grundsätzlichen Fragen grundsätzliche Antworten
gegeben werden können, denn die österreichische Bevölkerung hat ein Recht auf Klarheit,
was sie in den wichtigsten Fragen des Landes von dieser Bundesregierung zu erwarten hat.

Obwohl der Bundeskanzler im Ausland weilt, haben die Sozialdemokratischen
BundesrätInnen dennoch diese Dringliche Anfrage eingebracht, damit eben das
Informationsbedürftnis der Österreicherinnen und Österreicher eingefordert werden kann.

An der Beantwortung dieser Fragen wird die Arbeit der Bundesregierung in Zukunft zu
messen sein, die Einhaltung der Antworten wird von den Sozialdemokratischen
BundesrätInnen aber auch von den Sozialdemokratischen Abgeordneten im Detail kontrolliert
werden.


Die unterzeichneten Bundesräte richten daher an den Bundeskanzler nachstehende

Anfrage:

1. Halten Sie den von Ihnen gewählten Vergleich der Neutralität der Österreichischen
Republik mit Mozartkugeln und Lipizzanern noch immer passend oder sind Sie -
nach den massiven und breiten Protesten gegen diesen Vergleich - bereit, sich dafür
öffentlich zu entschuldigen?


2. Werden Sie als Bundeskanzler in dieser Gesetzgebungsperiode eine

Regierungsvorlage vorbereiten, mit welcher das Bundesverfassungsgesetz vom
26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs aufgehoben oder in seinen
Grundsätzen verändert wird?

3. Teilen Sie die Einschätzung des EU - Kommissars Günter Verbeugen, wonach das
Thema Temelin und insbesondere der Melker Prozess sowohl sachlich als auch
politisch zum Abschluss reif sind?
Wie lautet Ihre Antwort auf den genannten Brief Verheugens?

4. Teilen Sie als Bundeskanzler die Auffassung Ihres Bundesministers für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Mag. Wilhelm Molterer, wonach ein
Ausstieg von Tschechien aus Temelin nicht mehr realistisch und ein Veto von
Österreich gegen den Beitritt der Tschechischen Republik zur EU ausgeschlossen
sei?

5. Beabsichtigen Sie im Europäischen Rat als Bundeskanzler der Republik Österreich
den EU-Beitritt Tschechiens durch Ihr Veto zu verhindern?

6. Welche Beitrittstermine schätzen Sie als Bundeskanzler der Republik Österreich für
welche Beitrittskandidaten als realistisch ein?

7. Bleiben Sie bei Ihrer und der Planung des Außenministeriums, wonach die erste
Beitrittsrunde zur EU 2004 erfolgen wird oder vertreten Sie die Auffassung des
Finanzministeriums, wonach die ersten Beitritte erst 2006 stattfinden werden?

8. Wie beurteilen Sie als Bundeskanzler die Vor- und Nachteile der EU-Osterweiterung
für die Republik Österreich?

9. Werden Sie als Bundeskanzler dafür eintreten, dass über die EU-Osterweiterung in
Österreich eine Volksabstimmung abgehalten wird?

Unter einem wird gem. § 61 Abs. 3 GO - BR verlangt, diese Anfrage vor Eingang in die
Tagesordnung dringlich zu behandeln.


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