2134/J-BR/2003

Eingelangt am 11.12.2003
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

 

 

Anfrage

 

 

der Bundesräte Prof. Konecny

und GenossInnen

an die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen

betreffend Masernepidemie im Flüchtlingslager Traiskirchen und den daraus zu ziehenden

Konsequenzen

Am 6.11.2003 brach - wie vom zuständigen Amtsarzt der BH Baden festgestellt wurde - im
Flüchtlingslager Traiskirchen eine Masern-Epidemie aus. Am darauffolgenden Tag waren
bereits 15 Erkrankungen aufgetreten.

Obwohl den für das Flüchtlingslager Verantwortlichen angesichts der großen Zahl von mit
hoher Wahrscheinlichkeit ungeimpften Erwachsenen und Kindern die Gefährlichkeit einer
derartigen Epidemie bewusst sein musste, wurden keinerlei Gegenmaßnahmen getroffen, ja
selbst die Verständigung der Gesundheitsbehörden unterlassen.

Dieses Versäumnis hat insofern auch medizinische Bedeutung, als drei Tage als der
längstmögliche Zeitraum für die Impfung von Kontaktpersonen angesehen werden. Die
Epidemie hätte also vermutlich entscheidend eingedämmt werden können, wenn am 7.11.-
als bereits 15 Erkrankungen aufgetreten waren - mit Impfungen begonnen worden wäre.

Am 10.11.2003 informierte der praktische Arzt Dr. Schimbach (Traiskirchen) den Amtsarzt
über das epidemische Auftreten von Masern, nachdem zuvor am Wochenende bereits drei
Kinder in stationäre Behandlung aufgenommen werden mussten.

Eine vom Amtsarzt gemeinsam mit dem Vertreter des Innenministeriums, Schabhüttl, und
Vertretern von „European Homecare" durchgeführte Begehung des Lagers wurde eine
Quarantäne für das Haus 8 - das von tschetschenischen Flüchtlingen, die offenbar die Masern
eingeschleppt hatten, bewohnt ist - verfugt, sowie, dass in Haus 3 die neu erkrankten, nicht
der Spitalspflege bedürfenden Personen unter Quarantäne gestellt werden.

Eine Nachschau am folgenden Tag ergab, dass zwar in Haus 3 Vorbereitungen für die
Einrichtung einer Quarantäne-Station getroffen worden waren, in Haus 8 - dem eigentlichen
Infektionsherd - zwar eine Wachperson (eines privaten Wachdienstes) Position bezogen hatte,
die aber nichts anderes tat, als den freien Personenverkehr zu beobachten.


Eine Verbesserung der Situation trat in begrenztem Umfang in den folgenden Tagen ein.
Nach Feststellung der Bezirkshauptmannschaft Baden zeigte sich der private Wachdienst
unfähig, das Verlassen von Haus 8 durch den Eingangsbereich und durch Fenster im
Erdgeschoss zu verhindern. Ebenso erfolgte in Haus 3 die Essenausgabe ohne Einhaltung der
im Bescheid der BH Baden vorgeschriebenen Hygiene-Vorschriften. Unverständlicher weise
unterblieb auch die bescheidmäßig vorgeschriebene Meldung der Neuerkrankungen an die
Gesundheitsabteilung der BH Baden.

Wie die BH Baden in ihrem an das Innenministerium gerichteten Bericht feststellte, „konnten
wir den Eindruck gewonnen, dass European Homecare nicht willens oder nicht fähig ist, die
bescheidmäßigen Anordnungen, die zur Vermeidung einer weiteren Ausbreitung der
Krankheit getroffen werden mussten. Effizient umzusetzen".

Dieser Eindruck wurde in der Folge noch verstärkt: Die Kontrollen der Exekutive
beschränkten sich auf zwei tägliche Kontrollgänge, die Posten des privaten Wachdienstes
erwiesen sich als völlig überfordert, so dass die eigentlich unter Quarantäne stehenden
Personen durch die Erdgeschossfenster ihre Häuser verlassen konnten. Ein an Masern
erkrankter Jugendlicher konnte sogar aus dem Lager entfliehen. Besonders grotesk war, als -
zumindest in einem Fall - eine an sich unter Quarantäne stehende Person von der
Lageradministration über Lautsprecher zum „Asylanteninterview" gerufen wurde.

Der Ausbruch der Masern im Flüchtlingslager Traiskirchen hat verständlicherweise in der
Bevölkerung des Ortes starke Beunruhigung ausgelöst. Die unterzeichneten Bundesräte
stellen daher erst auch jetzt ihre Anfrage, da diese am Höhepunkt der Epidemie
möglicherweise zu einer weiteren Beunruhigung der Bevölkerung hätte beitragen können.

Die tatsächliche Gefährdung der Bevölkerung war in diesem Fall erfreulicherweise gering, da
diese -insbesondere Kinder und Jugendliche - relativ gut gegen Masern durchgeimpft ist, so
dass ein unkontrollierbares Übergreifen der Epidemie nicht zu befürchten war. Dies gilt aber
für andere, in den Heimatländern der Flüchtlinge auftretende ansteckende Erkrankungen nicht
in gleichem Umfang. Vielmehr besteht durchaus die Gefahr, dass Seuchen eingeschleppt
werden, gegen die die Bevölkerung nicht durch Impfung oder natürliche Immunität geschützt
ist. Bei den derzeitigen mangelhaften Möglichkeiten einer echten Epidemiebekämpfung
wegen der strukturellen und personellen Mängel im Flüchtlingslager Traiskirchen besteht
durchaus die Möglichkeit, dass sich Seuchen explosionsartig ausbreiten.

An dieser Stelle sei als Kuriosum angemerkt, dass am 12.11. der Vertreter des
Innenministeriums im Lager, Schabhüttl, vom Büro von Bundesminister Strasser angerufen
wurde, das wegen der Möglichkeit von Masern-Impfungen im Lager nachfragte. Kurios ist


dies deshalb, als die in diesem Bereich tätigen Ärzte zu wiederholten Malen gefordert hatten,
Flüchtlinge nach ihrer Ankunft im Lager den dem österreichischen Impfkalender
entsprechenden Impfungen zu unterziehen, was von den Vertretern der Betreuungsstelle
Traiskirchen stets aus Kostengründen abgelehnt worden war.

Der Bundesminister für Inneres und die Bundesministerin für Gesundheit wurden im Sinne
der von der BH Baden erarbeiteten Vorschläge vom zuständigen niederösterreichischen
Landesrat Emil Schabl nicht nur über die im Flüchtlingslager Traiskirchen aufgetretenen
Zustände informiert, sondern auch aufgefordert, die erforderlichen Maßnahmen zur
Vermeidung neuerlicher Epidemien zu treffen. Dazu würde eine einwöchige Quarantäne aller
Neuankömmlinge, während derer bestimmte Untersuchungen vorgenommen und Impfungen
mit Mehrfachimpfstoffen gegen die wichtigsten Infektionskrankheiten verabreicht werden
sollten.

Die unterzeichneten Bundesräte stellen daher an die Bundesministerin für Gesundheit und
Frauen nachstehende

Anfrage:

1.   Wann haben sie vom Ausbruch der Masernepidemie im Flüchtlingslager Traiskirchen
erfahren und welche Maßnahmen haben Sie in diesem Zusammenhang veranlasst ?

2.   Welche Konsequenzen aus dem völligen Versagen von European Homecare während
dieser Masernepidemie ziehen werden Sie - aus gesundheitspolitischer Sicht - dem
Bundesminister für Inneres vorschlagen

3.   Sind Sie bereit, dem Innenminister die Durchführung der von den zuständigen Ärzten
zum Schutz vor künftigen, möglicherweise gefährlicheren Epidemien für
unverzichtbare gehaltenen Maßnahmen (einwöchige Quarantäne aller
Neuankömmlinge, standardisierte Untersuchungen, Impfungen mit
Mehrfachimpfstoff) vorzuschlagen und ihn dazu zu bewegen, die Kosten dafür zu
übernehmen ?