2206/J-BR/2004
Eingelangt am 09.06.2004
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
DRINGLICHE
ANFRAGE
gem. § 61 Abs. 3 GO-BR
der
Bundesräte Prof. Konecny
und GenossInnen
an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft,
Umwelt und Wasserwirtschaft
betreffend 65. Störfall in Temelin und unzureichende
Information der österreichischen
Bevölkerung darüber
An diesem Montag wurde die österreichische Bevölkerung
über den 65. Störfall im
Atomkraftwerk Temelin informiert: Diesmal handelt es sich um einen besonders
dramatischen Vorfall,
ist doch hoch radioaktives Wasser aus dem primären Kreislauf des
Atomkraftwerkes ausgetreten und
kontaminierte nach ersten Berichten zwei Räume des
Atomkraftwerks.
Damit
wurden wiederum die Mängel des Atomkraftwerks Temelin offengelegt, das aufgrund
seines Technologiemix von russischer und
westlicher Technik einen besonderen Risikofall
unter allen europöäischen Atomkraftwerken darstellt. Die tschechischen
Betreiber sind
offensichtlich nicht in der Lage, das Kraftwerk Temelin störungsfrei zu
betreiben. Die vielen
Störfalle zeigen aber auch, dass alle
Forderungen nach einer Nichtfertigstellung bzw. nach
einer Schließung von Temelin richtig waren und sind.
Dennoch hat die Österreichische Bundesregierung und
Bundeskanzler Schüssel im so
genannten Melker Abkommen weitestgehend auf eine österreichische Einflussnahme
auf die
Sicherheitsauflagen rund um das Atomkraftwerk Temelin verzichtet und
schriftlich
vereinbart, dass
alleine die tschechischen Behörden über die Sicherheit von Temelin befinden.
Beim jetzigen Störfall zeigt sich aber auch
die falsche Konstruktion des Melker Abkommens
hinsichtlich der Information der österreichischen Bevölkerung. Nicht nur, dass
dort eine 72-
stündige Frist bei Unfällen Tschechien zugestanden wurde, haben Sie noch dazu
12 weitere
Stunden verstreichen lassen, bevor Sie die österreichische Bevölkerung nur in
Grundzügen
informiert haben. Dies führt in weiterer Konsequenz dazu, dass die
ÖsterreicherInnen noch
mehr verunsichert wurden, haben sie doch jetzt das
Gefühl, nur im äußersten Notfall, und
wenn es politisch
opportun ist, tatsächlich über einen Atomunfall informiert zu werden.
Diese
VP/FP-Bundesregierung hat es jedenfalls verabsäumt, in den letzten Jahren für
den
Atomausstieg in Europa Verbündete zu suchen. So wurden auf europäischer Ebene
faktisch
keine Initiativen gesetzt, die den Atomausstieg in unseren Nachbarländern
vorantreiben
können. Schlimmer noch, die Regierungsparteien haben vor wenigen Monaten in
einem
Entschließungsantrag beschlossen, der Erhöhung des Euratom-Kreditvolumens von 4
auf 6
Mrd. Euro unter bestimmten Auflagen zuzustimmen. Dies vor dem Hintergrund, dass
die
gesamte europäische Atomlobby derzeit
versucht, neue Atomkraftwerke zu errichten. So sind
mehr als ein dutzend Kraftwerksprojekte bekannt.
Neben
Frankreich haben sich CDU-Fraktionsführerin Angela Merkel und CSU-
Ministerpräsident von Bayern Edmund Stoiber zuletzt angesichts der steigenden
Energiepreise und möglicher Engpässe in der Energieversorung für den Bau neuer
Atomkraftwerke ausgesprochen. Damit würde sich nicht nur die Sicherheitslage im
dicht
besiedelten Europa dramatisch verschlechtern, sondern alle Initiativen für
umweltfreundliche
Energien deutlich zurückgenommen werden.
In dieser entscheidenden Phase europäischer
Energiepolitik ist Österreich aufgefordert, mit
besonderem Nachdruck
für einen Atomausstieg in Europa zu werben. Nach wie vor betreiben
mehr als zwei Drittel aller
EU-Mitgliedsstaaten keine Atomkraftwerke bzw. sind zum
Ausstieg bereit, sodass ein Anti-Atom-Konsens in Europa mehr als
realistisch ist.
In diesem Zusammenhang ist es bedauerlich, dass die
österreichischen EU-Abgeordneten in
Brüssel nicht geschlossen für eine Anti-Atom-Politik eintreten. Es sei
verwiesen auf die
Abstimmung vom 24.
September 2003 betreffend eine Revisionskonferenz, um die Förderung
der Atomenergie zu ändern, bei welcher die
EU-ÖVP-Abgeordneten gegen dieses Vorhaben
völlig unverständlicherweise stimmten. Dies wiederholte sich am 13.
Jänner d.J., wo ebenfalls
die ÖVP-Abgeordneten gegen
Sicherheitsstandards auf dem höchsten Stand der Technik
stimmten. Dieses Verhalten wurde von der ÖVP-Spitzenkandidatin Ursula Stenzel
zuletzt in
„Offen gesagt" noch verteidigt. Es ist daher zu hoffen, dass nicht noch
eine Reihe von
weiteren Unfällen in Kernkraftwerken notwendig ist, um die ÖVP-Abgeordneten auf
den
österreichischen Anti-Atom-Konsens einzuschwören und nicht den Pro-Atom-Kurs
der EVP
mitzutragen.
Schließlich
ist auch noch anzumerken, dass der FPÖ-Koalitionspartner den Schüssel-Pröll-
Kurs auf das Heftigste kritisierte. So hat der Spitzenkandidat der FPÖ Hans
Kronberger
Umweltminister Pröll vorgeworfen, bewusst den Unfall vertuscht zu haben.
Vizekanzler
Gorbach verlangte Temelin sofort zu schließen. Die Bundesregierung scheint also
in dieser
für die Republik Österreich und die österreichische Bevölkerung keine
gemeinsame Position
zu vertreten.
Die
unterzeichneten Bundesräte richten angesichts des Debakels dieser VP/FP-
Bundesregierung und der ständig steigenden Bedrohung aus Atomkraftwerken für
die
österreichische Bevölkerung an den Bundesminister für Land- und
Forstwirtschaft, Umwelt
und Wasserwirtschaft nachstehende
Anfrage:
1. Wann haben Sie genau vom
Atomunfall in Temelin erfahren?
2.
Warum
haben Sie nach eigenen Angaben mehr als 12 Stunden zugewartet, um die
österreichische Bevölkerung zu informieren?
3.
Ist
die Aussage des FP-EU-Spitzenkandidaten Hans Kronberger, dass Sie den Störfall
bewusst vertuschen wollten, richtig?
4.
Sind
Sie nicht der Meinung, dass die Verunsicherung der österreichischen Bevölkerung
jetzt viel höher ist als vorher, weil sie
die Information über den Unfall so lange
verheimlicht haben?
5.
Wann
haben Sie die Gesundheitsministerin informiert, damit Sie eventuell notwendige
Maßnahmen setzen kann?
6.
Sind
Sie der Meinung, dass die 72-Stunden-Frist zur Information der österreichischen
Bevölkerung gemäß dem Melker Protokoll
ausreichend ist?
Wenn nein, werden Sie in Verhandlungen treten, um diese
Frist im Interesse der
Gesundheit der
österreichischen Bevölkerung deutlich zu verkürzen, und sind Sie bereit,
dem Bundesrat über das Ergebnis zu
berichten?
7.
Welche weiteren Maßnahmen planen Sie, um das Melker
Abkommen effektiver zu
machen?
8.
Welche
rechtlichen Handlungsmöglichkeiten hat Österreich, nachdem das Melker
Protokoll ja nicht - wie ursprünglich versprochen - als Anhang zum
Beitrittsvertrag
Tschechiens angefügt wurde und damit kein
Gang zum Europäischen Gerichtshof
möglich ist?
Werden Sie dennoch auf europäischer Ebene aktiv werden,
um eine Prüfung der
Sicherheitslage in
Temelin zu erwirken?
9. Welche Maßnahmen wird die Österreichische
Bundesregierung setzen, um den
Atomausstieg in unseren Nachbarländern voranzutreiben?
Welche Maßnahmen wurden bisher in dieser
Regierungsperiode bereits gesetzt?
10.
Wann wird es zur Aufstockung der Euratom-Kredite kommen?
Welche
Sicherheitsauflagen halten Sie für erforderlich?
11.
Welche
Strategien verfolgen Sie und die Österreichische Bundesregierung hinsichtlich
des Umstandes, dass die Initiative von der
zuständigen Kommissärin Loyola de Palacio
gescheitert ist, europäische
Sicherheitsstandards für Atomanlagen verbindlich
festzuschreiben?
12.
Welche neuen konkreten Initiativen werden Sie
hinsichtlich der Atompolitik
Tschechiens und der
Slowakei setzen, da im Hintergrund bereits eine gemeinsame
Betreibergesellschaft für tschechische und slowakische Atomkraftwerke in beiden
Staaten angedacht wird?
13.
Werden
Sie mit den ÖVP-EU-Abgeordneten Gespräche fuhren, um auch diese von den
Vorteilen einer geschlossenen
Anti-Atom-Politik Österreichs zu überzeugen?
14. Sind Sie und andere Vertreter der
Bundesregierung darüber hinaus bereit, Gespräche
mit Stoiber, Merkel und anderen konservativen Pro-Atomkraft-Vertretern zu
führen, um
EU-weit einen mittelfristigen Ausstieg aus der Atomkraft zu erreichen?
Welche Beschlüsse der Österreichischen Volkspartei liegen dazu vor?
Unter
einem wird gem. § 61 Abs. 3 GO - BR verlangt, diese Anfrage vor Eingang in die
Tagesordnung dringlich zu behandeln