2231/J-BR/2004

Eingelangt am 22.07.2004
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Dringliche Anfrage

gem. § 61 Abs. 3 GO-BR

 

der Bundesräte Prof. Konecny

und GenossInnen

an den Bundeskanzler

betreffend „Scheinharmonisierung“ der Pensionssysteme

 

 

Drei Viertel der Österreicher glauben nicht an ein gleiches Pensionssystem durch die Harmonisierung. Dies geht aus einer im "Format" veröffentlichten OGM-Umfrage hervor. Nur elf Prozent erwarten nach der Reform eine gleiche Behandlung aller Berufsgruppen. OGM-Forscher Peter Hajek: "Die tiefe Skepsis liegt an der jahrelangen Ankündigungspolitik der Reform. Auch die Wähler von ÖVP und FPÖ glauben nicht an die Gleichbehandlung" (APA377 2004-07-15).

 

Diese Umfrage, durchgeführt wenige Tage nach Veröffentlichung der Regierungspläne zur Pensionsharmonisierung, zeigt deutlich, was die Österreicherinnen und Österreicher von der Politik dieser schwarz-blauen Regierung halten. Und sie werden in ihrer Skepsis auch täglich bestärkt.

 

Die geplante Reform ist eine "Harmonisierung, die diesen Namen nicht verdient" und führt zur "Aufdoppelung" von Verlusten aus der Pensionsreform 2003.

 

Das Hauptziel einer Harmonisierung, unterschiedliche Systeme zusammenzuführen, ist nicht erreicht, vor allem aufgrund der Tatsache, dass mit dem Öffentlichen Dienst noch gar nicht verhandelt wurde. Die Reform, wie sie geplant ist, zementiert die bisher bestehenden Ungerechtigkeiten zwischen den Berufsgruppen ein und schafft zusätzlich neue, da ASVG-Versicherte zum zweiten Mal zur Kasse gebeten werden.

 

Da die Pensionskürzungsreform 2003 nicht zurückgenommen, sondern nur in ihren Auswirkungen vorübergehend abgemildert wird, bleiben die daraus entstehenden Verluste (bis 22 Prozent!) weiter in sich ungerecht und unsozial. Daraus ergeben sich vier Hauptkritikpunkte:

 

·               Hauptverlierer ist die heute aktive Generation, nämlich vor allem die 35 bis 55-Jährigen; Auswirkungen der Pensionsreform 2003 werden bei ihnen durch die Parallelrechnung zumindest zu 50 Prozent wirksam; sie haben vielfach ein wesentlich schlechteres System als das neue Dauerrecht (Pensionskonto). Wer Verluste zu erleiden hat, ergibt sich aus den Zufälligkeiten des Erwerbslebens (das alles neben Finanzierung eines Nulldefizits, von Abfangjägern, einer Körperschaftssteuersenkung und von den hohen Beamtenpensionen, die bis 2015 völlig unverändert weiter bestehen).

·               Frauen werden aus der Verlängerung des Durchrechnungszeitraumes sowohl im aus dem alten System stammenden Pensionsteil, als auch im aus dem neuen System resultierenden massiv getroffen; 130,- Euro mehr Pension pro geborenem Kind ist dafür kein Ersatz.

·               Die Beamten, die von der Pensionsreform 2003 verschont blieben, werden auch im Falle der Harmonisierung nicht auf den Stand 2003 gebracht, sondern gehen in die Harmonisierung mit ihren ungekürzten Pensionen aufgrund der Reform 1996; die Ungleichbehandlung wird damit für alle Zeiten zementiert; ganz zu schweigen davon, dass über 55-jährige Beamte überhaupt nicht betroffen sind, nicht einmal mit einem Solidarbeitrag. Unter 55-jährige Beamte sind im Vergleich dazu dann überdurch-schnittlich betroffen.

·               Nicht jeder Euro ist gleich viel wert: 1 Euro von Unternehmern oder Bauern ist um 30 Prozent mehr wert.

 

Die Pensionsreform 2003 bringt schon heuer für viele Verluste von zehn Prozent, in Kürze für alle. ÖGB und AK haben im Zuge des Einstiegs in das harmonisierte Pensionssystem verlangt, diese Verluste für die bisher erworbenen Versicherungszeiten weitgehend zurückzunehmen bzw. jedenfalls im Sinne einer sozialen Staffelung maßgeblich abzumildern. Dabei haben ÖGB und AK insbesondere eine Orientierung an der sozialen Staffelung gefordert, die Pensionsverluste (aus der Pensionsreform 1997) im Beamtenpensionsrecht dämpft: Dort existiert eine Deckelung der Pensionsverluste mit ein bis sieben Prozent, je nach der erreichten Pensionshöhe. Eine solche Regelung haben ÖGB und AK auch für ArbeiterInnen und Angestellte gefordert.

 

Die Regierung zeigte keinerlei Gesprächsbereitschaft, diese soziale Regelung, die Beamten derzeit zu Gute kommt, auch den ArbeiterInnen und Angestellten zuzugestehen. Im Gegenteil: Sie verlangte, dass die Versicherten in bestimmten Fällen über den 10-prozentigen Verlustdeckel der Pensionskürzungen 2003 hinaus noch weitere Kürzungen in Kauf nehmen sollen. Zwar wird der Zehn-Prozent-Deckel – ausgehend von 5 Prozent gedeckeltem Verlust – erst in einem Übergangszeitraum durch eine Einschleifregelung erreicht, das soll aber nur für Pensionsantritte zum Regelpensionsalter gelten. Wer hingegen die Wahlfreiheit nützt und mit 62 Jahren geht, muss zusätzliche Abschläge hinnehmen. Das führt z.B. bei einem Pensionsantritt 2014 zu Verlusten von knapp 20 Prozent bei den nach altem Recht erworbenen Anwartschaften. Da sich zu diesem Zeitpunkt die Pension noch ganz überwiegend aus dem alten Recht ergibt, bedeutet das insgesamt eine 20-prozentige Pensionskürzung gegenüber der Rechtslage 2003.

 

Auch in einem weiteren Punkt ist das Verhalten von Bundeskanzler Schüssel besonders zu kritisieren: Kanzler Schüssel fordert Verständnis für die Situation von Bauern und Selbständigen, die nach den Plänen der Regierung weiterhin einen niedrigeren Beitragssatz haben, aber er bringt offensichtlich weniger Verständnis für Schwerarbeiter auf.

 

Es ist sachlich nicht erklärbar, dass die Beiträge bei den ArbeitnehmerInnen weiterhin mehr als fünf Prozentpunkte über den Beiträgen der Selbständigen und sieben Prozentpunkte über den Beiträgen der Bauern liegen sollen. Die Beitragsdifferenzen sind nur zu einem geringen Teil durch Unterschiede im Leistungs- und Beitragsrecht erklärbar. Abgesehen davon, müsste das Ziel eines echten harmonisierten Pensionssystems „gleiche Beiträge – gleiche Leistungen“ zumindest nach einer Übergangsfrist erreicht werden. Hier gibt es keine Bereitschaft der Regierung diesen Grundsatz auch umzusetzen.

 

Anderseits drohen durch die von der Bundesregierung vorgestellte und unzumutbare Schwerarbeiterregelung dieser Personengruppe neue Grausamkeiten. Denn ausgehend vom Regelpensionsalter 65 – das nachweislich z.B. viele der VOEST-Schichtarbeiter nicht erreichen – werden den SchwerarbeiterInnen jährlich 3 Prozent für jedes Jahr früheren Pensionsantritts abgezogen. Im Endeffekt droht dieser Berufsgruppe also auch mit 45 Versicherungsjahren ein Leben lang ein Abschlag im Ausmaß von 20 Prozent, der sich in den kommenden Jahren auf 25 Prozent und mehr erhöhen wird.

 

Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass die Regierung von vornherein festlegen will, dass nicht mehr als fünf Prozent der Arbeitnehmer unter diese Regelung fallen dürfen. Ob jemand Schwerarbeiter ist, entscheidet sich immer noch nach der Tätigkeit, die er ausübt, nicht nach vorgegebenen Planzahlen.

 

Wenig Verständnis kann auch für die Euphorie von Ministerin Rauch-Kallat und Staatssekretärin Haubner aufgebracht werden. Was als Erfolg für die Frauen gefeiert wird, ist lediglich die Umsetzung von Mindesterfordernissen, damit die Frauen nicht in der Altersarmut landen. Um die Pensionsnachteile, die Frauen mit Kindern infolge der Lebensdurchrechnung erleiden, vollständig auszugleichen, wäre eine höhere oder allenfalls längere Bewertung der Erziehungszeiten notwendig. Ein weiterer Punkt ist, dass es für die Frauen keine Pensionskorridor-Lösung gibt. Das ist in höchstem Maße ungerecht, unfair und gleichheitswidrig. Der fünfjährige Abstand zwischen dem Männer- und Frauenpensionsalter (65 als sogenanntes Regelalter für die Männer, 60 für die Frauen) ist noch für viele Jahre in der Verfassung festgeschrieben und muss auch für die Wahlmöglichkeit des „Pensions-korridors“ gelten. Es gibt keine Begründung dafür, dass Männer drei Jahre früher in Pension gehen dürfen und Frauen dieses Recht verwehrt wird.

 

Derzeit ist das Regelpensionsalter der Frauen 60, jenes der Männer 65. Ein vorzeitiger Pensionsantritt war bis 2000 mit 55 bzw. 60 möglich. Das BVG-Altersgrenzen erhöht das Regelpensionsalter für Frauen von 2024 bis 2033 in Halbjahresschritten von 60 auf 65. Das Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension wäre zwischen 2019 und 2028 von 55 auf 60 angehoben worden, diese Regelung wird aber durch die Pensionsreform 2003 obsolet, da diese die vorzeitige Alterspension bis 2014 abschafft.

 

Nach derzeitiger Rechtslage steigt also das Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension für Frauen von derzeit 56 Jahre 8 Monate pro Jahr um 4 Monate bis 2014 das Regelpensionsalter erreicht ist und keine Möglichkeit der vorzeitigen Alterspension mehr besteht. Das Regelpensionsalter würde dann wie oben beschrieben ab 2024 weiter ansteigen, bis 2033  65 erreicht ist.

 

Würde nun ab 1. Jänner 2005 ein Korridor ab 62 eingeführt ohne auf das frühere Antrittsalter der Frauen Rücksicht zu nehmen, bliebe für Männer die Möglichkeit des vorzeitigen Pensionsantritts erhalten, während diese bei Frauen abgeschafft würde. Frauen hätten zwar bis 2014 die Möglichkeit des vorzeitigen Antritts, allerdings nicht wie Männer 3 Jahre vor dem Regelpensionsalter, sondern in einem immer geringeren Ausmaß. Zwischen 2014 und 2028 wäre überhaupt kein vorzeitiger Antritt möglich (weil das Regelpensionsalter noch unter 62 liegt), dann nur in geringem Ausmaß und erst 2033 wäre wieder eine Gleichstellung mit den Männern erreicht (vorzeitiger Antritt 3 Jahre vor dem Regelpensionsalter).

 

Diese Vorgangsweise ist europarechtswidrig und verfassungswidrig, weil sie eine unmittelbare Diskriminierung von Frauen gegenüber Männern hinsichtlich der Möglichkeit eines Pensionsantritts vor dem Erreichen des Regelpensionsalters darstellt. Das BVG-Altersgrenzen sieht sowohl für Männern als auch für Frauen die Möglichkeit eines Pensionsantritts vor dem Regelpensionsalter vor.

 

Bei den Kindererziehungszeiten müsste es einen deutlich höheren Ausgleich geben. Kindererziehung führt ja nicht nur für die Zeit der Berufsunterbrechung zu einem Einkommensverlust, sondern zu einem dauerhaften Verdienstentgang wegen schlechterer Karrierechancen und wegen Teilzeitarbeit aufgrund der Betreuungspflichten. Insbesondere die Teilzeitarbeit steigt stark an. Mittlerweile arbeiten bereits fast 60 Prozent der Frauen mit Kindern bis 15 Jahren in Teilzeit. Die meisten davon nicht freiwillig. Viele müssen Teilzeitarbeit annehmen, sei es, weil die Arbeitgeber nur eine solche Arbeit anbieten oder weil die Frauen mangels geeigneter Kinderbetreuungseinrichtungen gar nicht anders können, um Beruf und Familie unter einem Hut zu bringen. Das zeigt, wie wichtig flankierende Maßnahmen sind, um den Frauen bessere Chancen einzuräumen. Wir brauchen mehr Frauenförderung in der Arbeitsmarktpolitik, wie bessere Aus- und Weiterbildung, und wir brauchen dringend mehr Kinderbetreuungsplätze und andere Maßnahmen, welche die Vereinbarung von Beruf und Familie erleichtern.

 

Dass Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Notstandshilfe wegen zu hohen Partnereinkommens angerechnet werden, ist die Umsetzung einer langjährigen Forderung der SPÖ. Dass die Zeit des Arbeitslosengeldbezugs lediglich mit 70 Prozent angerechnet wird und die folgende Zeit der Arbeitslosigkeit mit oder ohne Notstandshilfe mit 64 Prozent, ist allerdings ein deutlicher Verlust für von Arbeitslosigkeit betroffene Frauen gegenüber der jetzigen Rechtslage, nach der Zeiten der Arbeitslosigkeit wie die besten 16 Berufsjahre bewertet werden. Auch hier erfüllt die Regierung also höchstens Mindesterfordernisse zum Ausgleich der Wirkungen der lebenslangen Durchrechnung.

 

 

Ausgehend von diesen ungerechten Auswirkungen der geplanten „Scheinharmonisierung“ der Pensionssysteme stellen die unterfertigten Bundesräte nachstehende

 

Anfrage:

 

1)             Warum haben Sie im Zuge der Harmonisierungsverhandlungen für ASVG-Versicherte die selbe soziale Staffelung, wie sie für Beamte bereits seit der Pensionsreform 1997 gilt,  für die Verluste durch die Pensionsreform 2003 abgelehnt?

 

2)             Gibt es bereits Verhandlungen mit den Beamtenvertretern im Hinblick auf die Harmonisierung?

 

3)             Wenn Ja, wie ist der derzeitige Stand dieser Verhandlungen?

 

4)             Wenn Nein; wann werden diese Verhandlungen beginnen?

 

5)             Werden Sie in den Beamtenverhandlungen fordern, dass die Maßnahmen der Pensionsreform 2003 auch für diese Berufsgruppe Geltung erlangt?

 

6)             Halten Sie als Bundeskanzler es nicht für gerechtfertigt, dass Schwerarbeiter mit 45 Erwerbsjahren ohne Abschläge in Pension gehen können?

 

7)             Wie werden die 5 Prozent Schwerarbeiter, die nach Ihrem Modell unter die geplante Regelung fallen dürfen, ermittelt?

 

8)             Rechtfertigen die geringen Leistungsunterschiede zwischen Gewerbetreibenden und Bauern auf der einen Seite und ASVG-Versicherten auf der anderen Seite wirklich 5 bis 7 Prozent Beitragsunterschied?

 

9)             Beabsichtigen Sie das Regelpensionsalter von Frauen vorzeitig – das heißt vor dem im BVG-Altersgrenzen vorgesehenen Termin – anzuheben?

 

10)         Wenn nein, werden Sie dafür sorgen, dass ein verfassungskonformer Zustand hergestellt und ein „Pensionskorridor“ auch für Frauen eingeführt wird?

 

11)         Werden die Kindererziehungszeiten auch rückwirkend in der Höhe von 1.350,- € bewertet?

 

12)         Wird die Beitragsgrundlage für Kindererziehungszeiten nach Ihrem Modell nur bis zur Höchstbeitragsgrundlage angerechnet oder kann diese auch überschritten werden?

 

13)         Was soll nach Ihrem Modell während der Kindererziehungszeit freiwillig gesplittet werden (nur die Kindererziehungsbeitragsgrundlage oder auch das Partnereinkommen)?

 

14)         Ab wann soll die Regelung, dass bereits 7 Jahre Erwerbstätigkeit für einen Pensionsanspruch genügen, gelten?

 

15)         Bleiben Frauen, die ihre Arbeitszeit wegen der Pflege z.B. älterer Angehöriger reduzieren, weiterhin benachteiligt?

 

16)         Wird die vorgesehene Regelung der Notstandshilfe im Pensionsrecht auch rückwirkend eingeführt oder bleiben Frauen, die bereits früher wegen der Anrechnung des Partnereinkommens vom Bezug der Notstandshilfe ausgeschlossen waren, weiterhin benachteiligt?

 

17)         Welche sonstigen Rahmenbedingungen für berufstätige Frauen werden Sie setzen, um die Nachteile aus geringerem Lohn, Teilzeitarbeit, geringeren Karrierechancen, mangelnden Kinderbetreuungseinrichtungen usw. zu beseitigen?

 

 

 

Unter einem wird gem. § 61 Abs. 3 GO-BR verlangt, diese Anfrage vor Eingang in die Tagesordnung dringlich zu behandeln.