2232/J-BR/2004
Eingelangt am 22.07.2004
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DRINGLICHE
ANFRAGE
gem. § 61 Abs. 3 GO-BR
der Bundesräte
Boden
und GenossInnen
an den
Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie
betreffend
Skandalreihe in den ÖBB: Chaos im Management, mangelhafte Umsetzung der Reform,
ungerechte Frühpensionierungen und Explosion von Kosten für externe Berater
Die
Österreichischen Bundesbahnen waren trotz der Detailkritik, die an Fahrplänen,
Ausstattung von Zügen etc. formuliert wurde, ein Paradeunternehmen Österreichs,
auf das die Österreicherinnen und Österreicher mit Recht stolz waren. Doch der
schwarz-blauen Bundesregierung ist es sogar in ihrer kurzen Amtszeit gelungen,
das Ansehen dieses österreichischen Flaggschiffes völlig zu ramponieren. Nicht
innovative Verkehrspolitik auch zum Schutze der Umwelt, sondern kleinliche
Streitereien um Posten, Versagen des Managements und zu erwartende
Kostenexplosionen stehen auf der Tagesordnung des Unternehmens.
Verantwortlich
dafür ist das zuständige Regierungsmitglied, eben Verkehrsminister Hubert Gorbach.
Im Kommentar des Standards, 20. Juli 2004, Seite 32, wird dazu ausgeführt: „Die
Gründe dafür liegen – zum Leidwesen von Österreichs größtem
Infrastrukturunternehmen – allerdings nicht in besonderer Sorgfalt und
Weitsicht, die man bei der Realisierung der Monsterreform an den Tag legt,
sondern in Streitereien um Macht, Einfluss und natürlich Posten.“ Und weiter:
„Schwarz-Blau feilscht seit mehr als einem halben Jahr ohne Ergebnis um jeden
Posten.“
Ein Blick in die
österreichische Medienlandschaft der letzten zwei Wochen zeigt dieses Versagen
deutlich auf:
Am 9. Juli 2004
tagte der Aufsichtsrat der ÖBB-Holding, ein heikles Problem war zu lösen:
Der vorzeitige
Abgang Josef Mosers aus der ÖBB-Holding in den Rechnungshof stellte die
Personalplanungen von Bundesregierung und ÖBB auf den Kopf. So die Salzburger
Nachrichten am 9.7.2004, Seite 13: „Verlässt eine Figur frühzeitig das Feld, so
stört das den Spielverlauf mitunter beträchtlich – vor allem in heiklen
Momenten.“ Resultat: Favorit Gilbert Trattner, Vorstand der HL-AG und
Ex-Budgetexperte der FPÖ, rückt doch nicht auf den Posten Mosers nach. Dieser
werde ausgeschrieben und damit nicht vor September besetzt, kündigte
Aufsichtsratschef Wolfgang Reithofer an. Und wörtlich: „Wir werden aber nach
den Ferien zügig vorangehen.“ Auch Budgetfragen (in der ÖBB-Infrastruktur
fehlen 400 Mio. Euro) seien zweitrangig, betonte Reithofer.
In diesem
Zusammenhang wurde erstmals klar, dass durch die neue ÖBB-Struktur und die
notwendigen Personalbesetzungen die ÖBB gegenwärtig zum Teil handlungsunfähig
sei, wie Experten ausführen, da die ÖBB nicht in der Lage war, diese
Personalbesetzungen rechtzeitig vorzunehmen, trotz des Privilegs, dass diese
direkt bei der Umstrukturierung nach den Bedingungen des § 54 Abs. 11
Bundesbahngesetz nicht auszuschreiben sind.
Es erhebt sich
daher für die Anfragesteller die Frage, welche Personalbesetzungen bis jetzt
auf welcher Grundlage durchgeführt wurden, welche Kosten dafür anfallen und ob
die geltenden gesetzlichen Bestimmungen (Stellenbesetzungsgesetz und
Vertragsschablonen-Verordnung) dabei eingehalten wurden.
Kaum eine Woche
später wurde bekannt, dass der ÖBB-Vorstand seinen Personalchef Wolfgang
Moldaschl überraschend im Alter von 47 Jahren per 1. Oktober 2004 zwangsweise
in den Ruhestand versetzt. Der Stein des Anstoßes sei ein Protokoll des
Personalchefs gewesen, in welchem er schon den oben erwähnten Befund beschrieb,
dass nämlich der Vorstand bei der ÖBB-Reform in Personalangelegenheiten säumig
sei. Von der ÖBB wurde die zwangsweise Versetzung in den Ruhestand im Alter von
47 Jahren mit „unüberbrückbaren Auffassungsunterschieden“ erklärt. Und gebe es
auch keine Lücke im Personalwesen, da die Aufgaben Moldaschls vorerst von einer
Gruppe von sechs Führungskräften übernommen werden. Es seien daher auch für die
Gewerkschaft Ansprechpartner vorhanden, so die ÖBB.
Dieser
Rechtfertigungsversuch ist gleichzeitig völlig untauglich, aber auch
symptomatisch für den Zustand des Unternehmens. Jener, der die zentrale Rolle
im Personalwesen aufgrund seiner exzellenten Erfahrungen und Kontakte – auch
zur Gewerkschaft, aber insbesondere zu der Belegschaft – jahrelang hervorragend
gespielt hat, wird abserviert, weil er dem Vorstand gegenüber kritische
Äußerungen in Berichte aufnahm. Und diese Person, die eben die zentrale Rolle
zu spielen hat, wird nunmehr von sechs Personen vertreten. Dieses kleine
Beispiel ist typisch für die gesamte Unternehmenspolitik, die durch die
ÖBB-Reform schlagend wurde. Keine klaren Kompetenzen, keine Zusammenarbeit,
sondern ein hektisches Gegeneinander, ein Streiten um Kompetenzen, um Macht und
Einfluss.
In diesem
Zusammenhang wurde wiederum bekannt, dass die Frühpensionierungsmöglichkeit in
relevantem Ausmaß erst seit 2000 angewandt werde. Und der Kurier vom 18.7.2004,
Seite 2: „2001 wurden 74 Mitarbeiter so frühpensioniert, 2002 waren es 103,
2003 noch einmal 38 Mitarbeiter und heuer soll es bisher laut ÖBB-Führung eine
Hand voll gewesen sein.“ Dieser Aussage widersprach am 20.7.2004 Bundesminister
Gorbach, der von 70 Mitarbeitern sprach, die im Jahr 2004 bis jetzt vorzeitig
in Frühpension geschickt wurden.
Gleichzeitig
kündigte Gorbach an, dass er als Eigentümervertreter angeordnet habe, in
Zukunft dieses Sonderrecht bis auf weiteres nicht mehr auszunutzen. Es ist
daher in Zusammenhang mit dieser Dringlichen Anfrage auch von Interesse, aus
welchen Gründen diese rund 300 Frühpensionierungen vorgenommen werden mussten.
Und wiederum: Welche Kosten daraus entstanden sind und wie sich dies mit den
Pensionsreformen und Harmonisierungsvorstellungen der Bundesregierung in
Einklang bringen lässt. Auch von Interesse wird die Frage sein, ob Gorbach als
Eigentümervertreter sich dafür einsetzen wird, dass die völlig unverständliche
Frühpensionierungsaktion gegenüber Wolfgang Moldaschl wieder vom Vorstand
zurückgenommen wird.
Doch nicht
genug: Kaum einen Tag später wurde der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass die ÖBB
eine Goldgrube für Consulter sei, so der Standard vom 19.7.2004, Seite 14. „Die
ÖBB sind in den vergangenen beiden Jahren ein sattes Geschäft für
Unternehmensberater geworden. Seit dem Wechsel im Vorstand 2001 haben sich die
Beratungshonorare bei den Bundesbahnen kräftig erhöht, konkret um 154 %, wie
ein Sprecher des Unternehmens bestätigt hat. Gemessen an den konstanten
Consulting-Ausgaben von um die 8 Mio. Euro per anno 2000 und 2001 heißt das,
dass die Berater an den ÖBB im Vorjahr mehr als 20 Mio. Euro verdient haben.
Dieser Umstand
wurde auch von Eisenbahner-Gewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl herb kritisiert,
da die gestiegenen Beratungskosten umso unverständlicher seien, als in der
Infrastruktur nach der Reform eine Finanzierungslücke von 400 Mio. Euro klaffe
und auch die Vorstandskosten deutlich gestiegen seien. Statt bisher sieben
Bahn-Managern wird es in der ÖBB-Neu künftig 16 Vorstände und Geschäftsführer
geben.“
So stellen sich
also zehn Tage Unternehmenspolitik ÖBB der österreichischen Öffentlichkeit dar.
Wohl Grund genug, um vom zuständigen und verantwortlichen Mitglied der
Bundesregierung im Rahmen einer Dringlichen Anfrage Antworten zu dem Chaos in
der ÖBB zu erhalten.
Die
unterzeichneten Bundesräte richten daher an den Bundesminister für Verkehr,
Innovation und Technologie nachstehende
Anfrage:
1.
Wer vertritt gegenwärtig die Republik
Österreich in den Aufsichtsräten der ÖBB-Gruppe?
2.
Sind Sie als zuständiger
Ressortminister in den Angelegenheiten der ÖBB mit diesen von Ihnen (und Ihren
Vorgängern) bestellten Aufsichtsräten in ständigem Kontakt und werden Sie über
die wesentlichen Geschäftsvorhaben informiert?
Wenn nein, warum nicht?
Und wenn nein, warum haben Sie dann solche Personen ausgewählt, die für Sie die
Eigentümerinteressen wahrnehmen und Sie als Eigentümervertreter nicht
informieren?
3.
Sind Sie im regelmäßigen Kontakt mit
den Vorstandsmitgliedern der ÖBB-Gruppe?
Ist die Darstellung im Standard, 20. Juli 2004, Seite 32, richtig, wo berichtet
wird: „Nicht innovative Verkehrspolitik, die die größtmögliche Auslastung des
hoch subventionierten Schienennetzes zum Ziel hat, ist das Ziel, sondern
Sparsamkeit. Damit möglichst viel investiert werden kann, wie es bei der
Befehlsausgabe für die ÖBB-Manager heißt, die im Verkehrsministerium
wöchentlich stattfindet.“?
4.
Um welche Befehlsausgabe handelt es
sich dabei?
Wer ist bei dieser von Seiten der ÖBB und von Seiten des Ressorts anwesend?
5.
Wie viele Vorstandsposten und
Geschäftsführerposten wurden durch die ÖBB-Reform gemäß dem
Bundesbahnstrukturgesetz 2003 geschaffen und wie viele vergleichbare Posten hat
es in der ÖBB davor gegeben?
6.
Welche Zahlen wurden Ihnen als
Eigentümervertreter für die Kosten im Jahr 2003 für die Vorstandsfunktionen
samt Nebenleistungen wie Dienstauto, Chauffeur, Dienstwohnung,
leistungsbezogene Entgeltsanteile etc. der ÖBB insgesamt bekannt gegeben?
7.
Welche Kosten erwarten Sie als
Eigentümervertreter nach Umsetzung des Bundesbahnstrukturgesetzes 2003 für alle
in der ÖBB-Reform vorgesehenen Vorstandsfunktionen samt Nebenleistungen wie
Dienstauto, Chauffeur, Dienstwohnung, leistungsbezogene Entgeltsanteile etc.
der ÖBB jährlich, wenn diese Funktionen alle besetzt sind?
8.
Wie verteilen sich diese Funktionen
auf die einzelnen Teile der ÖBB gemäß Bundesbahnstrukturgesetz 2003?
9.
Welche Funktionen (Vorstand und
Geschäftsführung) sind mit wem mit Stand 15. Juli 2004 gemäß
Bundesbahnstrukturgesetz 2003 besetzt?
10.
Wurden bei allen Vertragsabschlüssen
die Bestimmungen des Stellenbesetzungsgesetzes und der
Vertragsschablonen-Verordnung zur Gänze eingehalten?
Wenn nein, warum nicht und welche Bestimmungen wurden verletzt?
11.
Welche Funktionen sind aus welchem
Grund noch nicht besetzt?
12.
Wann wird die Funktion des Vorstandes
der ÖBB-Holding, die für Dr. Josef Moser vorgesehen war, ausgeschrieben?
Welches Anforderungsprofil und welche weiteren Kriterien werden in dieser
Ausschreibung enthalten sein?
Welchen Standpunkt betreffend notwendige Qualifikationen vertreten Sie als
Eigentümervertreter für diese zentrale Funktion?
Halten Sie – wie Medienberichte zitieren – Matthias Reichhold für diese
Funktion qualifiziert, der als „FPÖ-Vorsitzender für einige Tage“ in die
Geschichte einging?
13.
Wie viele Personen sind nach dem
ÖBB-Sonderrecht im Jahr 2001, im Jahr 2002, im Jahr 2003 und bis 15. Juli 2004
jeweils frühpensioniert worden?
Wurden Sie oder Ihr Ressort über diese politisch äußerst fragwürdigen
Frühpensionierungen informiert?
Wenn ja, was ist Ihre politische
Meinung als Eigentümervertreter zu diesen Frühpensionierungen?
Wenn nein, warum nicht?
Wurde der Aufsichtsrat über jede Frühpensionierung informiert?
Was war die Stellungnahme des Aufsichtsrates dazu?
14.
Wie wurden diese Frühpensionierungen
nach „Begründungstypen“ (allgemeine Beschreibung des Tatbestandes für die
Frühpensionierung ohne konkrete Ausweisung nach Personen) begründet?
Wie viele entfielen jeweils auf einen „Begründungstyp“?
15.
Wie wurde die Frühpensionierung des
Personalchefs Wolfgang Moldaschl begründet, der im Alter von 47 Jahren vom
ÖBB-Vorstand wegen angeblicher „unüberbrückbarer Auffassungsunterschiede“
spazieren gehen geschickt wird?
16.
Werden Sie sich dafür einsetzen, dass
der Vorstand die umstrittene Frühpensionierung Moldaschls, die Sie in der
Öffentlichkeit kritisiert haben, zurückgenommen wird?
17.
Welche Kosten sind für diese
Frühpensionierungen bisher für die ÖBB und die öffentliche Hand entstanden und
welche Kosten werden für die ÖBB und die öffentliche Hand bis zum gesetzlichen
Pensionsantrittsalter der Frühpensionierten noch entstehen?
Übernehmen Sie dafür die politische Verantwortung oder handelt es sich
lediglich um autonome Unternehmensentscheidungen?
18.
Wie beurteilen Sie als zuständiger und
politisch verantwortlicher Ressortchef den exorbitanten Kostenzuwachs für
externe Berater der ÖBB?
19.
Ist Ihnen bekannt, welche Kosten
externe Beratungsaufträge der ÖBB
a) im Jahr 2001,
b) im Jahr 2002,
c) im Jahr 2003 und
d) im Jahr 2004 (bis 15. Juli)
verursacht haben?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn nein, ist es nicht Aufgabe des politischen Ressortverantwortlichen und
Eigentümervertreter solche Kostenexplosionen im Aufsichtsrat zu besprechen und
notfalls zu unterbinden?
20.
Ist Ihnen bekannt, für welche
Beratungsleistungen solche exorbitanten Kosten im Bereich der externen Beratung
ausgegeben wurden?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn nein, werden Sie als Eigentümervertreter die notwendigen Informationen
beschaffen und gegen diese Geldverschwendung eintreten?
21.
Werden Sie in dieser Angelegenheit,
wie es Ihnen die Bundesverfassung ermöglicht, einen Prüfauftrag an den
Rechnungshof erteilen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, wann werden Sie diesen einbringen und wie wird dieser Auftrag lauten?
22.
Haben Sie nach all diesen Vorgängen
als politisch verantwortlicher Minister noch ein Vertrauen in die Vorstände der
ÖBB und deren Unternehmensphilosophie?
Unter einem wird gem. § 61 Abs. 3 verlangt, diese Anfrage vor Eingang in die Tagesordnung dringlich zu behandeln.