2307/J-BR/2005
Eingelangt am 14.04.2005
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DRINGLICHE ANFRAGE
gem. § 61 Abs. 3 GO-BR
der Abgeordneten Schennach, Prof. Konecny,
Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Justiz
betreffend die Rehabilitierung der Opfer der NS-Militärjustiz insbesondere der Wehrmachtsdeserteure im von der Bundesregierung ausgerufenen „Gedenkjahr 2005“
In der ORF-Pressstunde vom 20. März 2005 haben Sie,
sehr geehrte Frau Bundesministerin, angesprochen auf die Rehabilitation von
Wehrmachtsdeserteuren versucht zu differenzieren, ob jemand desertiert sei,
weil er "feige" oder weil er ein Gegner des Nazi-Regimes war.
Aufgrund der kritischen Journalistenfragen haben Sie zwar in der Folge den
Gebrauch des Wortes „feige“ relativiert, dennoch ist dies ein Affront gegen
alle Opfer der NS-Zeit, der die Notwendigkeit einer Rehabilitation durch einen
Akt der Gesetzgebung deutlich zeigt. Feigheit ist vielmehr dort zu orten, wo
PolitikerInnen Unrecht nicht als Unrecht bezeichnen und zu dessen Beseitigung
keinen Finger rühren.
Mit solchen Aussagen begeben Sie sich auch, sehr
geehrte Frau Bundesministerin, in schlechte Gesellschaft: der designierte
Bundesparteiobmann der FPÖ, Heinz Christian Strache hat in einem Interview im
Falter 12/05 vom 25. März 2005 im Zusammenhang mit der Rehabilitation von
Wehrmachtsdeserteuren argumentiert: „ein Deserteur, egal in welcher Armee, ist
kein Opfer, sondern ein Täter“ und (Deserteure) „... haben damit gleichzeitig
Unschuldige am Gewissen“.
Im Bundeskanzleramt scheinen die Mahnungen des Bundespräsidenten, der einen Akt der Gesetzgebung, durch den alle Urteile der Wehrmachtsjustiz „mit einer unserem heutigen Kenntnisstand entsprechenden Begründung“ aufgehoben werden, fordert, ein wenig mehr Gewicht zu haben. Man prüfe dort gerade mehrere Anträge, so Heidi Glück, die Pressesprecherin von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. An einer "Geste des Gesetzgebers" hinsichtlich der Opfer der NS-Militärjustiz, die, in welcher Form auch immer, die geltende Rechtslage zusammenfasst, "wird gearbeitet". Das ist die typische Einstellung der Regierung im Jubeljahr: ein Gesterl hier, ein Gesterl da - wir brauchen aber keine Gesten, wir brauchen Rechtsakte.
Kürzlich haben Sie aber im Budgetausschuss des
Nationalrates jeder Rehabilitation aus Anlass des Jubiläumsjahres abermals eine
Absage erteilt.
Mit Entschließung des Nationalrats vom 14. Juli 1999
wurde die damalige Bundesregierung mit großer Mehrheit – alle im Nationalrat
vertretenen Parteien mit Ausnahmen der FPÖ stimmten zu - ersucht, nach
Vorliegen eines wissenschaftlichen Forschungsberichts über die Opfer der
NS-Militärjustiz in Österreich Gerichtsbeschlüsse über die Ungültigkeit von
Verurteilungen nach dem Aufhebungs- und Einstellungsgesetz, StGBl 48/1945,
herbeizuführen. Die Forschungsergebnisse von Univ.-Prof. Manoschek und seiner
MitarbeiterInnen liegen seit September 2003 vor und wurde anlässlich des
Symposions „Österreichische Opfer der NS-Militärgerichtsbarkeit –
Rehabilitation und Entschädigung“ im Parlament im Juni 2003 einer breiten
Öffentlichkeit vorgestellt. Die Daten von insgesamt 1.618 Opfern der
NS-Militärgerichtsbarkeit wurden dem Bundesministerium für Justiz bereits im
Herbst 2002 für die amtswegige Aufhebung der Urteile zur Verfügung
gestellt.
Im Österreich der Zweiten Republik gibt es bis heute keine öffentliche Anerkennung für jene ungehorsamen Soldaten, die sich der mörderischen Kriegsführung des NS-Regimes verweigerten und dadurch ihren persönlichen Beitrag zum beschleunigten Untergang des Hitler-Regimes leisteten. Deserteure, Selbstverstümmler, Kriegsdienstverweigerer, Saboteure, Meuterer und angebliche Hochverräter streuten Sand ins Getriebe des Vernichtungskrieges und waren aus diesem Grund auch am Wiedererstehen eines freien, unabhängigen österreichischen Staates beteiligt. Dennoch wurde ihnen bis zum heutigen Tage die ihnen gebührende Anerkennung und Respekt nicht zuteil; vielmehr wurden sie in jenem Staat , der sich kollektiv als Opfer Hitlerdeutschlands erklärte, von der Gesellschaft ausgegrenzt, zum Schweigen verurteilt und als "Feiglinge", "Verräter" und "Kameradenschweine" diffamiert.
Die NS-Militärjustiz war eindeutig eines der Instrumente in einem Rassen- und Weltanschauungskrieg, deshalb war es notwendig und richtig, dass sich die Soldaten abwendeten. Die Spekulationen über die sehr unterschiedlichen individuellen Beweggründe der Fahnenflüchtigen sind nicht nur müßig sondern inhaltlich falsch. Den Nationalsozialisten war es ganz egal, warum sich der Deserteur "der Manneszucht" entzog. Deserteure galten als „Verräter“ an der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und wurden aufs Härteste verfolgt! Rund 15.000 von den Wehrmachtsgerichten zum Tode verurteilte und hingerichtete Deserteure belegen dies die unglaubliche Brutalität der Militärgerichte. Festzuhalten bleibt: richtig war die Tat der Desertion aus der Deutschen Wehrmacht. Das genügt.
Im Gegensatz zu
Österreich erfolgte in Deutschland die volle Rehabilitierung der
Kriegsdienstverweigerer, Wehrmachtsdeserteure und der sogenannten
„Wehrkraftzersetzer“ aus der NS-Zeit spät, aber immerhin bereits im Jahr 2002
mit Beschluss des Bundestages.
Ein Erlass des Bundesministeriums für Justiz, JABl
7/2004, weist darauf hin, dass neben dem Aufhebungsgesetz 1945 auch die
Befreiungsamnestie, BGBl 79/1946, Anwendung zu finden hat. Beide Gesetze sehen
die pauschale Ungültigkeit der Verurteilungen ex lege vor. Die umfassende Umsetzung
durch die erforderlichen Gerichtsbeschlüsse lässt aber noch immer auf sich
warten.
„´Rehabilitierung` ist aber eine
offizielle, öffentliche und individuelle Wiederherstellung der Rechte und auch
der persönlichen Ehre der Opfer. In juristischem Sinne versteht man darunter
die Beseitigung des Makels einer Strafe durch offizielle Aufhebung der
Verurteilung“, schreibt Dr. Kohlhofer in seinem Vorwort zu dem Buch, in dem die
Ergebnisse des oben erwähnten Symposiums im Juni 2003 veröffentlicht worden sind,
und er argumentiert weiter: „Eine Rehabilitierung, von welcher weder die
entehrten, bestraften und verfemten Personen wissen, noch das für die
Rehabilitierung zuständige Bundesministerium für Justiz und schon gar nicht die
Öffentlichkeit, ist keine Rehabilitierung! Die unmittelbar nach dem Krieg
beschlossenen Gesetze stellten bestenfalls den (leider gescheiterten) Versuch
dar, den zu unrecht Verurteilten Gerechtigkeit zu erweisen. Der österreichische
Gesetzgeber ging in seinem Entschließungsantrag aus dem Jahr 1999 davon aus,
dass bisher eine Rehabilitierung nicht erfolgt ist. Dies zeigt mit nicht zu
überbietender Deutlichkeit, dass der nunmehrige Verweis auf eine durch eben
diesen österreichischen Gesetzgeber bereits vor Jahrzehnten erfolgte Rehabilitierung
unhaltbar ist.
Der Standpunkt des Bundesministeriums für
Justiz ist aber nicht nur aus diesen pragmatischen Überlegungen unhaltbar,
sondern auch inhaltlich verfehlt: Sowohl das Aufhebungs- und Einstellungsgesetz
aus dem Jahre 1945 als auch die so genannte „Befreiungsamnestie“ aus dem Jahre
1946 normieren übereinstimmend, dass verschiedene Verurteilungen durch
nationalsozialistische Gerichte „als nicht erfolgt“ gelten (...). Beide Gesetze
verlangen eine Entscheidung durch das zuständige Gericht, ob im Einzelfall die
Verurteilung tatsächlich als nicht erfolgt gilt. Erst – und nur – diese
gerichtliche Entscheidung bewirkt die juristische Rehabilitierung des
verurteilten Opfers! Sie erfolgt entweder über Antrag oder „von Amts wegen“.
Diese Regelung kann im vorliegenden Fall nur dahin verstanden werden, dass eine
konkrete Verurteilung jedenfalls aufgrund eines Antrags (eines Betroffenen,
Angehörigen oder sonst Interessierten), aber auch ohne solchen Antrag durch
ein Tätigwerden der Justiz aufzuheben ist. Im Zusammenhang mit der
Intention des Gesetzgebers, nämlich der Rehabilitierung der unschuldigen Opfer,
ist nicht von einem bloßen Dürfen der staatlichen Organe, sondern – in
Übereinstimmung mit dem im Strafverfahren geltenden Legalitätsprinzip (§ 34
StPO) – von einer Verpflichtung zur amtswegigen Aufhebung auszugehen.
Wann immer daher die Justizbehörden, insbesondere das Bundesministerium für
Justiz und die untergeordneten Staatsanwaltschaften, von einer unter die beiden
genannten Gesetze fallenden Verurteilung Kenntnis erlangen, sind sie
verpflichtet, von Amts wegen einen Gerichtsbeschluss im konkreten Fall
herbeizuführen. Soweit ersichtlich ist dies bisher in keinem einzigen Fall
geschehen, was ja schon daraus erhellt, dass die zu Grunde liegenden gesetzlichen
Bestimmungen zu Teil ´vergessen` wurden.
Gerichtsbeschlüsse zur Rehabilitierung
erfolgten – erstmals im Jahre 1998 (!) – bisher nur in neun Fällen von
ermordeten österreichischen Zeugen Jehovas, jeweils über einen Antrag von
Einzelpersonen bzw. der staatlich eingetragenen Religionsgemeinschaft Jehovas
Zeugen.“
Die Befreiungsamnestie deckt das ganze Feld der
notwendigen Rehabilitierungen also ebenso wenig ab wie das Aufhebungsgesetz
1945. Das Verhältnis beider Gesetze zueinander ist verwirrend und teilweise
widersprüchlich.
Das Aufhebungsgesetz 1945 mit ergänzender Verordnung,
StGBl 155/1945, verlangt zusätzlich zur Aburteilung nach bestimmten
NS-Gesetzen, dass die Handlung „gegen die nationalsozialistische Herrschaft“
gerichtet war. Das trifft vor allem für die Wehrdienstverweigerer aus
religiösen Gründen, von denen viele zum Tode verurteilt wurden, nicht
unmittelbar zu. Eine Anwendung des Gesetzes ohne Berücksichtigung dieser
individualisierenden Klausel, wie sie bisher erfolgte, ist rechtsstaatlich unbefriedigend.
Die Befreiungsamnestie berücksichtigt zwar
schematisch alle Urteile der Militär- und SS-Gerichte, nicht aber der
Sondergerichte und der Zivilgerichte. Außerdem hat dieses Gesetz
Gnadencharakter, was einer Rehabilitierung nicht entspricht. Die
Betroffenen verdienen nicht Gnade, sondern ein besseres Recht. Beide Gesetze
sehen gerichtliche Überprüfungsverfahren in jedem Einzelfall vor, damit nicht
nur die gesetzlichen Voraussetzungen überprüft werden, sondern auch das
Zusammentreffen mit Allgemeindelikten abgeklärt wird, bei deren Vorliegen eine
Straffestsetzung in einem neuen ordentlichen Verfahren einzuleiten ist. Das ist
jedoch 60 Jahre nach Kriegsende praktisch unmöglich.
Die Aufhebung von Verurteilungen nach den beiden
genannten Gesetzes ist bisher nur in ganz wenigen Fällen gerichtlich bestätigt
worden, obwohl § 4 des Aufhebungsgesetzes amtswegiges Vorgehen vorschreibt. Die
Gesetzeslage ist nicht in das Bewusstsein der Öffentlichkeit vorgedrungen.
Allenfalls ist ihre Wirkungslosigkeit bekannt. Darum wird der Ruf nach einer
pauschalen Aufhebung ohne Einzelprüfung laut, so erst im Februar dieses Jahres
durch Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer. Er fordert einen Akt der
Gesetzgebung, durch den alle Urteile der Wehrmachtsjustiz „mit einer unserem
heutigen Kenntnisstand entsprechenden Begründung“ aufgehoben werden.
Aus diesen Gründen ist in Vollziehung der
Entschließung des Nationalrats vom 14. 7. 1999 ein umfassendes, vereinfachendes
neues Gesetzes über die Rehabilitierung von Opfern der NS-Strafjustiz
erforderlich, das unter Einbeziehung der Rechtslage nach den beiden bestehenden
Gesetzen alle auf bestimmten nationalsozialistischen Gesetzen beruhenden
Verurteilungen durch die NS-Strafjustiz generell aufhebt.
Die unterzeichneten
BundesrätInnen stellen daher an
die Bundesministerin für Justiz
nachstehende
1) Sind Sie als ressortzuständiges Mitglied
der Bundesregierung der Meinung, dass die Wehrmachtsjustiz rechtsstaatliche
Urteile gefällt hat?
1)2)
Bei
der Rehabilitation wollen Sie einen Unterschied machen, ob jemand desertiert
sei, weil er „feig“ oder weil er ein Gegner des Nazi-Regimes war. Wo ziehen Sie
die Grenze zwischen „Feigheit“ und „Gegnerschaft“ gegen das Nazi-Regime?
Erläutern Sie bitte die von Ihnen versuchte Differenzierung anhand konkreter
Fallgruppen.
1)3)
Mit
der Differenzierung „Feigling“ – „Gegner“ wollen Sie offensichtlich als
Voraussetzung für eine Rehabilitation, auf die Motive der zu unrecht
Verurteilten abzustellen. Welche Möglichkeiten sehen Sie für die Opfer der
Wehrmachtsjustiz, mehr als sechzig Jahre nach den Unrechtsurteilen ihre
damaligen Motive zu belegen?
1)4)
Mit
welchem Urteil musste Ihrer Einschätzung nach ein Wehrmachtsdeserteur rechnen,
wenn er sich der Wehrmachtsjustiz gegenüber mit dem Argument verantwortet
hätte, er habe sich „gegen die nationalsozialistische Herrschaft“ gerichtet
bzw. er sei „Gegner des Nazi-Regimes“?
1)5)
Macht
es für Sie einen rechtlichen Unterschied, aus welchen Gründen bzw. Motiven ein
Österreicher in einem völkerrechtswidrigen Angriffs- und Vernichtungskrieg
desertiert ist?
1)6)
Die
Wehrmachtsdeserteure wurden bis zum heutigen Tag in Österreich nie eindeutig rehabilitiert. Wird es, wie von den
Betroffenen und Bundespräsident Fischer gefordert, einen eindeutigen
unmissverständlichen kollektiven Akt des Gesetzgebers geben? Wenn ja, welche
Vorbereitungen werden im Bundesministerium für Justiz getroffen?
1)7)
Die
Pressesprecherin des Bundeskanzlers kündigte gegenüber dem Falter eine „Geste“
des Gesetzgebers an. Wie schauen die konkreten Pläne für die Opfer der
NS-Militärjustiz im „Gedankenjahr 2005“ aus und wie ist das Bundesministerium
für Justiz eingebunden?
1)8)
Welche Vorkehrungen werden seitens des
Bundesministeriums für Justiz getroffen, um den Akt des Gesetzgebers nicht als
einen Gnadenakt zu verstehen, was im vorliegenden Zusammenhang von
Unrechtsurteilen wohl als unpassend empfunden werden muss, weil es nicht um die
Amnestierung eines begangenen Unrechts, sondern um die Anerkennung des Unrechtes
der NS-Militärjustiz geht?
1)9)
Die
Daten von insgesamt 1.618 Opfern der NS-Militärgerichtsbarkeit wurden dem
Bundesministerium für Justiz bereits im Herbst 2002 für die amtswegige
Rehabilitierung zur Verfügung gestellt. Welche Maßnahmen hat das Bundesministerium
für Justiz und die ihm nachgeordneten Staatsanwaltschaften auf Grund dieser
Datenlage gesetzt?
1)10)
Führende Rechtsexperten wie zum Beispiel, Univ. Prof. Dr. Reinhard Moos sprechen sich für einen
neuen eindeutigen Rechtsakt zur Beseitigung von zahlreichen rechtlichen
Widersprüchlichkeiten in Österreich aus. Wie stehen Sie dazu?
Unter einem
wird gem. § 61 Abs. 3 GO-BR
verlangt, diese Anfrage vor Eingang in die Tagesordnung dringlich zu behandeln.