2405/J-BR/2006

Eingelangt am 22.05.2006
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Bundesrätin Kerschbaum, Freundinnen und Freunde

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend Lagerung von radioaktiven Abfällen aus Österreich

Die in Österreich historisch angefallenen und in weiterer Zukunft anfallenden Mengen
an radioaktiven Abfällen werden derzeit auf dem Areal der ARCS Seibersdorf
zwischengelagert.

Bezüglich Arbeiten zur Indentifizierung von Endlagerstandorten für radioaktive
Abfälle in Österreich sind aus den vergangenen Jahren keine konkreten Arbeiten
bzw. deren allfällige Ergebnisse bekannt. Es sind lediglich Hinweise bekannt, wonach
eine nicht näher spezifizierte „europäische" Lösung gesucht werden soll. In zwei
Regierungsberichten wird die Aussage gemacht, wonach jene Nachbarstaaten
Österreich, welche Atomkraftwerke in Grenznähe betreiben, im Wege eines nicht
näher erklärten „Risikoausgleichs" die Entsorgung österreichischen radioaktiven
Abfalls übernehmen sollten.

Im Regierungsbericht an die erste und die zweite Vertragsstaatenkonferenz zur int.
Konvention über Nuklearabfälle ist zum österr. Zwischenlagers folgendes angeführt:
"All conditioned radioactive waste is stored within two dry engineered construction
storage halls.
The capacity is limited to 15,000 200-litre-drums. As of June 2005,
9650 drums were in interim storage. Beginning in 2006, the building of the former
ASTRA research reactor will be converted into an interim storage facility for
conditioned radioactive waste. At the same time, the existing drums will be inspected,
reconditioned if necessary, their nuclide inventory determined by a segmented
gamma Scanner, and placed back into 'transfer' storage (long-time interim storage
until max. 2030) in a way that will enable individual drum inspection and retrieval.
Because of the Iower drum packing density, the capacity of the 'transfer´ storage,
including the rededicated reactor building, will decrease to 12,000 200-litre-drums.
Radioactive waste that will eventually result from the decommissioning of the TRIGA
Mark II research reactor in Vienna might necessitate an expansion of the existing
interim storage facilities."

Zum Problem der Endlagerung wird weiters (Seite 6) festgehalten:
"Based on current knowledge the small quantities of radioactive waste produced
by a country like Austria with no nuclear power plant neither economically nor
ecologically justify national final disposal. As a consequence Austria regards
international cooperation for the disposal of radioactive waste as the most
reasonable solution. Austria is therefore very interested in common, shared
repositories for radioactive waste.

Recent discussions within the European Union highlighted this problem and indicated
that there is a common European responsibility. Consequently, Austria is convinced
that this sense of responsibility would imply that states operating nuclear power
plants cooperate closely with non nuclear power countries to develop Solutions to
their problem of final disposal of radioactive waste. In this context it should be noted
that - at least from an Austrian point of view - nuclear power plants, especially those
located in the vicinity of national borders, inflict high risks upon neighbouring
countries, forcing them to establish and maintain costly off-site emergency
preparedness procedures."

 


Auch im österr. Strahlenschutzgesetz (Novelle 2004) finden sich dazu ähnliche
Formulierungen:

§ 36b. (1) „Der Bund bestimmt entsprechend dem Stand der Technik die
Maßnahmen, die einen gesicherten Umgang mit radioaktivem Abfall, seiner
Trennung, Sammlung, Konditionierung, Zwischen-, Transferlagerung und seiner
Beseitigung gewährleisten. Der Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft,
Umwelt und Wasserwirtschaft legt durch Verordnung fest, wohin radioaktive Abfälle
zu verbringen sind und welche Maßnahmen zu treffen sind."
§ 36b (2) „Im Interesse eines Risikoausgleichs, einer Optimierung des
Strahlenschutzes und einer Kostenminimierung sind bei der Abfallbehandlung und -
entsorgung die Möglichkeiten der Kooperation mit anderen Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union oder Staaten, die das „Gemeinsame Übereinkommen über die
Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der
Behandlung radioaktiver Abfälle" (BGBl.
III Nr. 169/2001) ratifiziert haben, in Betracht
zu ziehen."

In den offiziellen Stellungnahmen Österreichs zu Projekten betreffend die
Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle in Deutschland und Tschechien wurde jeweils
auf die terrorsichere Auslegung dieser Zwischenlager besonderer Bezug genommen.

Im Hinblick auf die derzeitige Situation der Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle und
die Ungewissheiten bzgl. einer Endlagerung österreichischer radioaktiver Abfälle
stellen die unterfertigten Abgeordneten folgende

Anfrage

1.             Wie viele Finanz- und Personalmittel wurden von Ihrem Ressort bzw. im
Zusammenwirken mit anderen Gebietskörperschaften in dieser
Legislaturperiode für Forschungsaktivitäten bereits aufgewendet, die mit der
Entsorgungsfrage österr. radioaktiven Abfalls im Inland in Zusammenhang
stehen?

2.             Um welche Aktivitäten handelt es sich hierbei im Detail (Auftragnehmer,
Auftragsgegenstand, Ergebnis, veröffentlicht ja oder nein)

3.             Wie viele Finanz- und Personalmittel wurden von Ihrem Ressort bzw. im
Zusammenwirken mit anderen Gebietskörperschaften in dieser
Legislaturperiode für Forschungsaktivitäten bereits aufgewendet, die mit der
Entsorgungsfrage österr. radioaktiven Abfalls im Ausland in Zusammenhang
stehen?

4.             Um welche Aktivitäten handelt es sich hierbei im Detail (Auftragnehmer,
Auftragsgegenstand, Ergebnis, veröffentlicht ja oder nein)

5.             Wird im Rahmen einer angedachten „europäischen bzw. regionalen Lösung"
die Endlagerung radioaktiver Abfälle anderer Staaten auf österr. Territorium
erwogen und wenn ja, mit welchem Stand der Prüfung ?

6.             Welche „Gegenleistungen" könnte Österreich für die Übernahme radioaktiver
Abfälle aus dem Ausland erwarten?

7.             Welche „Gegenleistung" hat Österreich für die Endlagerung österreichischer
radioaktiver Abfälle im Ausland bereits angeboten?

8.             In welchen Nachbarstaaten sollte die Endlagerung österreichischer
radioaktiver Abfälle erfolgen?

9.             Entsprechen die methodischen und politischen Prozesse zur Endlagersuche
und -realisierung in diesen Staaten den Grundsätzen und der Praxis, wie sie


auch für eine Endlagersuche und -realisierung in Österreich selbst
vorgesehen sind? Wenn nein, welche Unterscheidungsmerkmale sind aus
methodischer und politischer Sicht besonders hervorhebenswert?

10.      Ist im Sinne der Ausführungen in den österr. Regierungsberichten an die
Vertragsstaatenkonferenz zur int. Konvention über Nuklearabfälle im Falle der
Endlagerung österr. radioaktiver Abfälle in einem Nachbarstaat eine Änderung
bzgl. der kritischen Haltung zur Nutzung der Kernenergie dieses Staates
vorgesehen bzw. etwaig im Rahmen durchgeführter bilateraler respektive
regionaler Kontakte in Aussicht gestellt worden?

11.Welche vertraglichen Fristen (zeitliche Fristen, Kosten, Zusagen zur

Endlagersuche in Österreich) ist die Rep. Österreich gegenüber der Gemeinde
Seibersdorf eingegangen, die mit der Zwischenlagerung von radioaktiven
Abfällen in Zusammenhang stehen?

12.    Welche Konzepte werden bzgl. der Endlagerung des österr. radioaktiven
Abfalls derzeit weiterverfolgt und wenn überhaupt in welcher Form - insb. in
Bezug auf die wissenschaftliche Ausrichtung und auf die Einbindung der
Öffentlichkeit?

13.    Erfüllt das österr. Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Seibersdorf die
gleichen Anforderungen bzgl. Sicherheit gegen Einwirkungen Dritter, wie sie
seitens Österreichs im Rahmen der grenzüberschreitenden UVP-Verfahren
zur Errichtung von Zwischenlagern für radioaktive Abfälle in Deutschland (an 6
Standorten) und in Tschechien (Zwischenlager Temelin) geltend gemacht
wurden? Wenn Nein, warum nicht ? Wenn ja - in welcher Form und mit
welchem Nachweis.

14.    Sollte das Zwischenlager Seibersdorf den Anforderungen entsprechen, die
seitens der Bundesregierung in den zit. Genehmigungsverfahren in
Deutschland und Tschechien geltend gemacht wurden, warum wurde dieses
nicht als „example of excellence" in den Regierungsberichten an die zitierte
Vertragsstaatenkonferenzen berichtet?

15.    Sollte das Zwischenlager Seibersdorf nicht jenen Anforderungen entsprechen,
die an Zwischenlagerprojekte für radioaktive Abfälle im Ausland gestellt
wurden, welche Schlussfolgerungen ziehen Sie hieraus und welche Schritte
werden sie daher einleiten?

16.    Besteht für das Gebiet des Forschungszentrums Seibersdorf eine
Flugverbotszone? Wenn ja, wie wird diese überwacht? Wenn nein, warum
nicht?

17.    Wie viele Flugbewegungen treten in einem Umkreis von 30 km Radius zum
Zwischenlager Seibersdorf jährlich auf?

18.    Ist das Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Seibersdorf gegen einen
unbeabsichtigten Flugzeugabsturz gesichert?

19.    Mit welchen radiologischen Auswirkungen wäre infolge eines ungewollten
bzw. gewollten Flugzeugabsturzes auf das Zwischenlager Seibersdorf bei
unterschiedlichen meteorologischen Rahmenbedingungen auszugehen?
Unter welchen meteorologischen Umständen wäre in einem solchen Fall eine
grenzüberschreitende Betroffenheit eines Nachbarstaates gegeben?

20.    Wurden diese Fragestellungen im Rahmen eines der in den vergangenen 10
Jahren durchgeführten Bewilligungsverfahren insbesondere
Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren, in Zusammenhang mit dem
Zwischenlager Seibersdorf geprüft und wenn ja, mit welchem Ergebnis. Wenn
nein, warum nicht?


21. Wurden nach dem Angriff auf das World Trade Center, bzw. verstärkter int.
Berichterstattung zum Themenkomplex „dirty bomb" Maßnahmen getroffen,
um die Sicherheit des österreichischen Zwischenlagers in Seibersdorf zu
erhöhen und welche quantifizierbaren Aussagen können Sie hierzu machen?

22. Wurden beispielsweise die Einhausungskonstruktionen um die Zwischenlager
verstärkt und wenn nein, warum nicht?

23. Bestehen Pläne zur Verlagerung der österreichischen radioaktiven Abfälle in
ein unterirdisches Zwischenlager, um so die Verletzbarkeit gegen
Einwirkungen Dritter zu verringern? Wenn ja, was ist der Stand der
Planungen. Wenn nein, warum nicht?

24. Wurden Nachbarstaaten von in den letzten Jahren in Zusammenhang mit der
Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle am Standort Seibersdorf
durchgeführten Bewilligungsverfahren gemäß den Bestimmungen der EU-
UVP-Richtlinie bzw. der ESPOO-Konvention über grenzüberschreitende UVP-
Verfahren informiert und wenn ja, welche Staaten haben sich beteiligt? Wenn
nein, warum nicht?

25. In welchem Zeitraum werden die in Österreich angefallenen und in näherer
Zukunft anfallenden radioaktiven Abfälle einer Endlagerung im In- oder
Ausland zugeführt worden sein? So sie hierzu kein Datum benennen können:
Wann wird eine entsprechende Festlegung erfolgen können?

26.     Wie bewerten Sie im Lichte Ihrer Aussagen zu den obig angeführten Fragen,
die Termine für die vorgesehene Verfügbarkeit eines Endlagers für radioaktive
Abfälle jeweils in Tschechen, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Deutschland und
der Schweiz?

27.     Welches der Konzepte zur Identifizierung und Realisierung eines Endlagers
für radioaktive Abfälle in den in Frage No.26 angeführten Staaten hat für
Österreich Vorbildcharakter?

28.     Stellt der gegenwärtige österreichische Problemlösungsansatz und -prozess
aus zeitlicher, methodischer und politischer Sicht zu Suche und Realisierung
eines Endlagers für radioaktive Abfälle ein gegenüber den Nachbarstaaten
Österreichs als vorbildhaft darstellbares Vorbild dar?