2640/J-BR/2008
Eingelangt am 19.06.2008
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
der vom Vorarlberger
Landtag entsandten Bundesräte (Edgar Mayer, Jürgen Weiss,
und Ing. Reinhold
Einwallner)
an den Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz
betreffend bedarfsorientierter Mindestsicherung auch für behinderte Menschen.
Einer der vorrangigen Ziele der
Vorarlberger Lebenshilfe und der Lebenshilfe
Österreich ist es, dass Menschen
mit Behinderungen ein eigenständiges
und aktives
Leben führen und gleichberechtigt an der
Gesellschaft teilhaben können.
Grundvoraussetzung
für die persönliche Unabhängigkeit ist
jedoch die finanzielle und
sozialversicherungsrechtliche
Absicherung. Der Schlüssel hiezu ist die Teilhabe am
Arbeitsleben sowie die gerechte Entlohnung.
Leider ist der Zugang zum
Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen nach
wie
vor mit vielen Hindernissen und Barrieren
versehen. Viele haben keine eigenständige
Sozialversicherung,
keine ArbeitnehmerInnenschutzbestimmungen, keine
Entlohnung nach einem Kollektivvertrag und keinen Pensionsanspruch. Menschen
mit Behinderungen sind daher zeitlebens auf die Unterhaltszahlungen der Eltern
und/oder auf die finanziellen Unterstützungen der Länder
und des Bundes
angewiesen. Vielleicht erhalten sie da und dort durch ihre Beschäftigung ein
Taschengeld. Dadurch verlieren sie die in
der Gesellschaft immer noch tief
verankerte kindesähnliche
Stellung nie.
Zur Gewinnung der persönlichen Unabhängigkeit ist es daher unumgänglich,
Menschen mit Behinderungen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, ihnen
dadurch ein eigenes Einkommen zu sichern und in der Folge auch die
sozialversicherungsrechtliche Absicherung
zu gewährleisten. Daher muss auch die
Sichtweise
- „grundsätzlich sind
alle Menschen erwerbsfähig“ - in die Öffentlichkeit
getragen und - daraus
abgeleitet - gegenüber dem Gesetzgeber und den
politisch
Zuständigen die
Forderung erhoben werden: „Schluss mit der
Taschengeldgesellschaft“.
Dort, wo die eingeschränkte Erwerbsfähigkeit kein
Einkommen mehr zu lässt, dort muss dann die
Grundsicherung greifen.
Die
Lebenshilfe sieht sich als sozialer Dienstleister verpflichtet, entsprechend für das
Gelingen der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen
einzusetzen.
Ein erster Schritt in
diese Richtung wurde mit dem neuen Vorarlberger
Chancengesetz (Behindertengesetz) geschaffen, in dem die Teilhabe am
Arbeitsleben die bisherige Beschäftigungstherapie
ersetzt. Im neuen
Dienstleistungskatalog ist folglich vorgesehen, dass auch in den Werkstätten der
Lebenshilfe Dienstverträge abgeschlossen werden können.
Deshalb ist es auch im Interesse
der Lebenshilfe als Organisation, sich bei der
Diskussion um die Einführung der
Mindestsicherung rechtzeitig einbringen. Ziel
dieser
Gesetzesinitiative ist es, durch die Sicherstellung eines bundesweit
einheitlichen Mindeststandards die Anzahl
der in Österreich armutsgefährdeten
Menschen
zu senken. Voraussetzungen für den Bezug einer Leistung aus der
bedarfsorientierten
Mindestsicherung ist unter anderem der Einsatz der eigenen
Arbeitskraft von
arbeitsfähigen Personen.
Es erscheint
jedoch von größter Bedeutung, dass in diesem Gesetz von
Anfang an
arbeitsunfähige Menschen mit Behinderungen mit einbezogen sind und
Leistungen
aus
der bedarfsorientierten Mindestsicherung beziehen können. Dadurch
wäre
sichergestellt, dass wirklich jeder Mensch mit Behinderung über ein „eigenes
Einkommen“ verfügt und nicht immer auf den lebenslangen
Unterhalt der Eltern
angewiesen ist.
Diese Haltung
entspricht auch der jüngst verabschiedeten UN-Charta über die
Rechte der Menschen mit Behinderungen, die
von Bürgern mit Grundrechten spricht.
Der Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung enthält folgenden
Gleichheitsgrundsatz:. ...Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt
werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die
Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen
Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
Das seit dem 1. Jänner 2006 in Österreich in Kraft getretene
Behindertengleichstellungsgesetz unterstützt dieses Anliegen und hat zum Ziel, die
Diskriminierung von Menschen mit
Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern.
Damit soll die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
am
Leben in der Gesellschaft gewährleistet
und eine selbstbestimmte Lebensführung
ermöglicht
werden.
Ebenfalls mit 1. Jänner 2006 in Kraft getreten ist eine
Novelle zum
Behinderteneinstellungsgesetz mit dem die
Richtlinie 2000/78/EG in nationales
Recht umgesetzt wurde.
Erst kürzlich erging ein OGH-Urteil, mit dem
einem Arzt eine lebenslange
Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind
mit Behinderung auferlegt wurde, weil er
während der Schwangerschaft seiner Patientin
die Behinderung des Kindes nicht
festgestellt hatte. Das Kind wird dadurch zum „Schadensfall“. Mit der durch den
Anspruch auf Mindestsicherung ermöglichten
Unabhängigkeit würde ein solches
Urteil kaum mehr möglich sein.
Daher
richten die unterzeichneten Bundesräte an den Herrn Bundesminister für
Soziales und
Konsumentenschutz folgende
Anfrage:
1) Im vorliegenden Entwurf der
Vereinbarung gemäß Art 15a B-VG über die
bundesweite bedarfsorientierte
Mindestsicherung werden Menschen mit Behinderung nicht explizit erwähnt. Inwieweit werden Menschen mit intellektueller
( sogenannter
„geistiger“) Behinderung in
diese Art 15a Vereinbarung mit einbezogen?
2) Sind für diese Personengruppe spezielle Zusatzregelungen vorgesehen?
3) Streben sie im Falle der
Nichteinbeziehung in diese 15 a Vereinbarung eine
eigene sozialrechtliche Absicherung neben
der bedarfsorientierten Mindestsicherung
an?
4) Werden Sie in
diesem Zusammenhang einen Umbau der bestehenden
Transferleistungen in
Richtung einer Gesamtsicherung vornehmen?
5) Werden Sie
der Forderung der Lebenshilfe Österreich nach Aufhebung der
Unterscheidung im
ASVG zwischen arbeitsfähig/erwerbsfähig und
arbeitsunfähig/erwerbsunfähig bzw.
Streichung der derzeit geltenden Definition von
Arbeitsfähigkeit/Erwerbsfähigkeit
nachkommen und eine dementsprechende
gesetzliche Lösung anstreben?