2752/J-BR/2010

Eingelangt am 06.05.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

 

der Bundesrätinnen und Bundesräte Monika Mühlwerth, Stefan Schennach,

Kolleginnen und Kollegen

 

an den Bundesminister für Finanzen

 

betreffend desaströse Finanzsituation der Gemeinden

 

Gesellschaftlicher Wandel, globale Märkte und zukunftsfähige Technologien verändern unser Staatsgefüge und die dazugehörenden Aufgaben. Politische Schwerpunkte verschieben sich, und die Verwaltung ist diesen sich permanent ändernden Rahmenbedingungen ausgesetzt. Gesundheits-, Sozial-, Infrastruktur-, Forschungs- und Bildungsbereich benötigen immer mehr Finanzmittel, um den steigenden Bedürfnissen gerecht zu werden.

 

Die öffentliche Hand hat sich mit einer nachhaltigen Zukunftsstrategie auf diese neuen Herausforderungen einzustellen. Sie muss ihre Leistungen und Kosten optimieren, ihre Strukturen hinterfragen und die Verwaltung weiter reformieren. Die öffentlichen Leistungen sind im Interesse der Steuerzahler wirksam, effizient und bürgernah zu erbringen.

 

Laut Budgetpfad gemäß Stabilitätsprogramm der Bundesregierung sollen die Länder und Gemeinden ihr Defizit von 0,5 Prozent des BIP bis 2013 abbauen. 2009 lag deren Defizit gemäß der budgetären Notifikation von Ende März bereits bei 0,75% des BIP, 2010 könnte es 1% des BIP erreichen. Dabei wurde nicht berücksichtigt, dass sich viele Kommunen bereits jetzt in einer sehr angespannten Finanzlage befinden. Im Strategiebericht 2011 bis 2014 wurde die sich verschlechternde Finanzlage insofern berücksichtigt, als der Defizitpfad für Länder und Gemeinden zulasten des Bundes verbessert wurde. Demnach dürfen Länder und Gemeinden zwischen 2010 und 2014 Defizite von 0,5 bis 0,6% des BIP eingehen.

 

Nach Prognosen des KDZ (März 2010) werden die laufenden Einnahmen der Gemeinden ab dem Jahr 2013 nicht mehr ausreichen um die laufenden Ausgaben zu finanzieren. Für die großen Städte ist das heute schon der Fall. Es ist daher fraglich, ob die Gemeinden ihre Budgets, bei schwacher Entwicklung der Ertragsanteile und steigendem Leistungsumfang konsolidieren und darüber hinaus auch noch wirtschaftspolitische Schwerpunkte setzen können. Tatsächlich wird dadurch tendenziell auch den kleineren Gemeinden der verbleibende - ohnehin schon geringe - Spielraum zur Finanzierung von Zukunftsinvestitionen und Sozialleistungen genommen.

 

„Die Finanzkrise, vom Bund auferlegte Kosten, aber auch unglückliches Wirtschaftsgebaren haben viele österreichische Gemeinden an den Rand des Ruins getrieben. Bereits ein Drittel der Kommunen muss heuer Schulden machen. Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer (ÖVP) verlangt jetzt einen Belastungsstopp oder mehr Geld von Regierung und Ländern.

 

   Kindergärten sind ein großer Kostenfaktor für die Gemeinde-Vertreter Mödlhammer (o.) und Rupert Dworak (li.) Die Vertreter der Gemeinden klagen nicht nur über krisenbedingte Ausfälle bei den Steuereinnahmen. Auch die vom Bund übergewälzten Kosten beispielsweise bei der Kanalisation haben ein Loch in die Kassen geschlagen…

 

… Zur Debatte darüber, ob der Rechnungshof auch kleine Gemeinden prüfen soll, sagt Dworak: "Es sprich grundsätzlich nichts dagegen. ..."

 

… Denn wenn es auch zutreffend ist, dass der Bund viele Kosten abwälzt, ist es mancherorts recht verschwenderisch zugegangen. Hallenbäder und protzige Gemeindezentren stehen da nur symbolisch als Wegweiser in den kommunalen Bankrott. ("Kronen Zeitung" vom 04.04.2010)         

 

Der Rechnungshof, Wirtschaftsforschungsinstitute, das Institut für Föderalismus oder der Österreich-Konvent haben bereits umfangreiche Ansätze für konkrete Verwaltungsreformmaßnahmen in den verschiedenen Bereichen dargelegt.

 

So hat der Rechnungshof beispielsweise Ansätze für konkrete Verwaltungsreform-maßnahmen in den Bereichen Bürokratieabbau und Deregulierung, Verbesserungen im Gesetzgebungsprozess und Harmonisierung von Gesetzesbestimmungen, sachgerechte Zuordnung von Aufgaben und Verantwortungen, verstärkte Ziel- und Wirkungsorientierung der öffentlichen Verwaltung (z.B. Kosten- und Leistungsrechnung, Leistungskennzahlen, internes und externes Benchmarking), stärkere Kooperation von Verwaltungsbehörden und öffentlichen Stellen, weiterer Ausbau von E-Government, Verfahrensbereinigung inkl. rascherer Verfahrens-abwicklung, effizienteres Personalmanagement und die Flexibilisierung des Personaleinsatzes, Harmonisierung der Pensions- und Personalrechte von Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Straffung der Behördenorganisation und die verstärkte Bürgerorientierung dargelegt.

 

Das generelle Ziel einer umfassenden Verwaltungsreform muss es sein, endlich klare Verantwortungen zu etablieren, Mehrgleisigkeiten abzuschaffen, überbordende Bürokratie zu reduzieren und die Gestaltungsspielräume der Länder und Gemeinden  zu erweitern. Am Ende dieses Reformprozesses müssen eine klare subsidiäre Aufgabengliederung zwischen EU, Bund, Ländern und Gemeinden sowie die Schaffung einer transparenten, leistungsorientierten Finanzverfassung und die Erweiterung bzw. Sicherung regionaler Spielräume stehen. Jene Gebietskörperschaft, die eine Aufgabe am Besten erledigen kann, sollte diese einschließlich der dafür erforderlichen Mittel auch in deren Verantwortung übertragen bekommen und selbständig Entscheidungen treffen können. Die Erfahrung hat uns gezeigt, dass sich föderale Strukturen durch mehr Transparenz, Effizienz und Bürgernähe auszeichnen – die Staats- und Verwaltungsreform muss sich daher an föderalistischen Gesichtspunkten orientieren.

 

Eckpunkte einer föderalen Kompetenzaufteilung nach dem Subsidiaritätsprinzip sehen wir u.a. im Bereich Schule und Unterricht, Gesundheit (Krankenanstalten), Abfallwirtschaft, Katastrophenwesen oder in Teilen des Sozial- und Pflegebereichs.

Erforderliche Schritte wären:

 

-       Weiterentwicklung des Finanzausgleichs hin zur Aufgabenorientierung mit Abgeltung für die zentralörtlichen Lasten und mit Ausgleich für sozio-demographische und geographisch-topographische Sonderlasten sowie einer gleichen Pro-Kopf-Abgeltung für Basisaufgaben

-       Transferentflechtung, insbesondere bei den Sozial- und Krankenanstaltenumlagen

-       Grundsteuerreform

-       Aufgaben- und Strukturreform, darunter auch Gemeindestrukturreformen (Gemeindezusammenlegungen, Zusammenlegungen der Verwaltung mehrerer Gemeinden)

 

Wir müssen vor allem aber bereit sein, im eigenen Wirkungsbereich, der Bundes-, Landes- und Bezirksverwaltung sowie der Landesgesetzgebung, alle Potenziale zur Deregulierung, zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung und zum Bürokratieabbau wahrzunehmen.

 

Einmal mehr bürden die Bundes- und Landesregierungen den Städten und Gemeinden neue Aufgaben auf. Damit bewirken sie enorme Finanzierungsprobleme und die Flucht der Gemeinden aus dem ordentlichen Haushalt in den außerordentlichen. Damit wird die Verschuldung der Städte und Gemeinden geradezu gefördert. Dies lähmt die Struktur der territorialen Selbstverwaltung und behindert, dass diese Investitionen ankurbeln, Arbeitsplätze und regionale Nachfrage schaffen. Die Bundesregierung hat die Gemeinden und Städte in der Bewältigung ihrer Aufgaben im Stich gelassen und zum Beispiel bei den Konjunkturpaketen sträflich vernachlässigt. Heute sind nahezu alle Gemeinden und Städte verschuldet – manche dramatisch – und stellen als Fundament der Demokratie keine Priorität für die Bundes- und Landesregierungen dar.

 

 

Die unterfertigten Bundesräte stellen daher an den Bundesminister für Finanzen folgende

 

DRINGLICHE ANFRAGE:

 

 

1.     Wie wollen Sie - vor dem Hintergrund einer untauglichen Budget- und Finanzpolitik - sicher stellen, dass die Gemeinden die staatlichen Kernaufgaben in Zukunft erfüllen können?

 

2.     Werden Sie sich im Ministerrat für die Vorlage einer Regierungsvorlage, die eine bessere finanzielle Ausstattung der Gemeinden vorsieht, einsetzen?

 

3.     Ist eine Neuordnung der Aufgabenverantwortung und Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden geplant?

4.     Ist eine Reform des Gesundheitswesens (z.B. Finanzierung aus einer Hand, mehr Transparenz im Bereich der leistungsorientierten Krankenanstaltenfinanzierung, weitere Verbesserung der Standortstruktur und Kooperationen zwischen den Krankenanstalten bzw. den Bundesländern, Koordination des stationären Bereichs mit anderen Versorgungsbereichen, Analyse der unterschiedlichen Preise und Leistungen im Bereich der Krankenkassen) geplant?

 

5.     Wann wird die notwendige Reform des Sozial- und Pflegebereichs (Reduktion der Entscheidungsträger und Bündelung der Vollzugs- und Aufsichtskompetenzen, Optimierung der Verwaltungsabläufe, Neuorganisation der ärztlichen Begutachtungen, Eingliederung des Bundessozialamtes mit seinen Außenstellen in den Ländern in die Organisation der Landesverwaltung) in Angriff genommen?

 

6.     Wird es eine Reduktion und Zusammenführung der Sozialversicherungsträger unter Erhalt regionaler Gestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten geben?

 

7.     Wann wird die notwendige Reform des Schulwesens (z.B. Zusammenführung der Finanzierungs-, Aufgaben- und Ausgabenverantwortung im Bereich der Landeslehrer und der Schulerhaltung, effizientere Gestaltung der Schulaufsicht – Abschaffung der Stadt-, Landes- und Bezirksschulräte) in Angriff genommen?

 

8.     Wird es im Zuge des nächsten Finanzausgleichs zu einer Reduzierung der vielfältigen und intransparenten Transferströme kommen?

 

9.     Ist ein Zusammenführen von Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmen-verantwortung geplant?

 

10.  Ist eine stärkere Kooperation von Verwaltungsbehörden und öffentlichen Stellen (z.B. Bildung von Verwaltungsclustern für Supportleistungen, Erleichterungen bei Verwaltungskooperationen von Gemeinden) geplant?

 

11.  Werden Sie, den in Ihrer Rede vom 14.10.2009 angekündigten „gemeinsamen Öffentlichen Dienst für Österreich“ noch in dieser Regierungsperiode umzusetzen?

 

12.  Wann wird es zu einer Flexibilisierung des Personaleinsatzes und Harmonisierung der Dienst-, Besoldungs- und Pensionsrechte von Bund, Ländern und Gemeinden in der allgemeinen Verwaltung kommen?

13.  Wann wird die Vereinbarung, die Prüfungskompetenz des Rechnungshofes auf die Gemeinden auszuweiten, endlich umgesetzt?  

14.  Ist eine Reform der Gemeindefinanzierung in Richtung Aufgabenorientierung geplant, um eine gerechtere Aufteilung der Gemeindefinanzen zu gewährleisten?

15.  Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus, dass auch in zahlreichen Gemeinden öffentliche Gelder  verspekuliert wurden?         

16.  Wann werden für die Länder und Gemeinden klare Finanzierungs- und Veranlagungsvorschriften geschaffen um in Zukunft Spekulationen mit öffentlichen Geldern zu verhindern?         

17.  Wie kann sichergestellt werden, dass es künftig zu einer ordentlichen Haushaltserstellung kommt und nicht weiterhin neben den ordentlichen Haushalten die Flucht in intransparente, außerordentliche Budgetierungen genommen wird?

 

 

In formeller Hinsicht wird gemäß §61 Abs. 3 GO-BR die dringliche Behandlung dieser Anfrage verlangt.