2820/J-BR/2011
Eingelangt am
14.04.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
Anfrage
Der BundesrätInnen Kerschbaum, Kickert und Dönmez
an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend
betreffend Atomhaftpflicht und Wettbewerbsverzerrung
Dass die
Haftungssummen der einzelnen AKW Betreiber bzw. Betreiberstaaten bei
weitem nicht
ausreichen, um mögliche Unfallschäden mit grenzüberschreitenden
Auswirkungen zu decken, zeigt sich derzeit in dramatischer Weise in Japan.
Die
Atomhaftungskonventionen[1]
gewährleisten zur Zeit weder eine ausreichende
Prävention für die durch den Betrieb von Atomanlagen
verursachten Umweltrisiken,
noch eine angemessene Sanierungsverpflichtung für eingetretene Schäden. Die
Herausnahme der Atomanlagen aus einer
umfassenden Haftpflichtversicherung stellt
daher ein sachlich nicht gerechtfertigtes Privileg dieses Wirtschaftszweiges
dar. Dies
wurde auch durch eine Präsentation
anlässlich der ECOSA-Conference vom
21.
April 2005 unterstrichen. Der Mitarbeiter der Europ. Kommission, Christian
Kirchsteiger, wies darauf hin, dass sowohl die Kernkraftwerksbetreiber, als
auch die
einzelnen Staaten innerhalb der Europäischen Union sehr unterschiedlichen
Haftpflichtregelungen unterworfen sind.
Studien im
Auftrag der Europäischen Kommission kommen zu der
Schlussfolgerung,
dass die bislang
nicht internalisierten Kosten möglicher
schwerer Unfälle, einem
Mehrfachen der derzeitigen Erzeugungskosten entsprechen. So muss auf folgende
Schlussfolgerungen aus einer einschlägigen
Studie aus 2003 hingewiesen werden:
„To understand
these effects, the current price of 2.5 c€/kWh nuclear power and the
elevated price (including the calculated premiums) of 7.5 c€/kWH should
be
compared by with current prices for electricity generated by other means. The
average price of electricity
ranges from 4 to 5 c€/kWh with new modern coal or gas
powered plants in a Iower range of about 3.2 c€/kWh to 5.1 c€/kWh.
Compared to
the above-calculated
7,5 c€/kWh, nuclear power would become extremely
uneconomic and be replaced by any of the aforementioned energy sources[2].“
Die, im Auftrag von Greenpeace
2010 erstellte, Studie des Forums für ökologisch-
soziale Marktwirtschaft „Staatliche
Förderungen der Atomenergie"
stellt fest: „Die für
die öffentlichen Haushalte
budgetwirksamen Förderungen betragen im Zeitraum bis
2010 143,2 Mrd. € nominal
bzw. 194,9 Mrd. € in Preisen 2010 (siehe Summe 1 in
der
Tabelle). Pro Kilowattstunde Atomstrom1 entspricht dies einer
durchschnittlichen
Förderung von 4,3 Ct/kWh real in Preisen
2010“. Die
notwendige Preiserhöhung
allein durch reelle Haftungssummen beziffert die Studie mit 0,326 ct/kWh.
Gemäß § 30
Atomhaftungsgesetz[3]
hat die Bundesregierung dem Nationalrat alle drei
Jahre über die Entwicklung der internationalen
Haftungsinstrumente für
Atomschäden, insbesondere über das Ausmaß der auf internationaler Ebene zur
Verfügung stehenden Entschädigungsbeträge, Bericht zu erstatten.
In den bisher vorliegenden Berichten findet sich kein Hinweis darauf, welche
Aktivitäten die Österr. Bundesregierung gesetzt hat, um die
Wettbewerbsverzerrung
zugunsten der Atomkraft aufgrund von unterversicherten
Kraftwerken zu bekämpfen.
Da diese Wettbewerbsverzerrung
zuletzt durch den Emissionshandel (die nicht
unerheblichen CO2-Emissionen des
Uran-Abbaus und der Aufbereitung werden den
AKWs ja nicht zugerechnet) noch verstärkt wurde, wäre eine Anpassung der
Haftungssummen an die Realität,
die derzeit leider in Japan sichtbar wird, daher
dringend einzufordern!
Die unterfertigten BundesrätInnen stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. Welche
Schritte haben Sie in ihrer Amtszeit unternommen, um die
Wettbewerbsverzerrung zugunsten der Atomkraft aufgrund der niedrigen
Haftungssummen und fehlenden Vorsorge für
Endlagerkosten zu bekämpfen?
2.
Welche Studien
hat das BMWA in Auftrag gegeben, um diese
Wettbewerbsverzerrung zu belegen? Zu
welchen Ergebnissen kommen diese
Studien?
3.
Wie hoch schätzen Sie die Kosten ein, die der österreichischen Energiewirtschaft
durch diese Wettbewerbsverzerrung
entstehen?
4.
Wie beurteilt das BMWA den Vorstoß von EU-Kommissar Öttinger zur
Harmonisierung
der Haftung für Atomkraftwerke?
a. BMin Berger führte in
ihrer Anfragebeantwortung 2393/AB-BR/2008
aus: „Der Europäischen Union fehlt bislang die Zuständigkeit auf dem
Gebiet der Atomhaftung, so dass im Rat, in
dem allein die Regierungen
vertreten sind, keine Entscheidungen
getroffen wurden und werden
konnten.“
Kann sich
aufgrund dieser Bemühungen eine Zuständigkeit der
EU für
die Atomhaftung in
Europa ergeben und unter welchen Umständen?
b. Lt.
Pressemeldungen sollen dieser Arbeitsgruppe Kraftwerksbetreiber,
Versicherer und internationale
Organisationen angehören. Sind AKW-
kritische Länder und Organisationen in dieser
Arbeitsgruppe mit
eingebunden? Wenn ja, welche? Wenn nein,
werden Sie diesbezüglich
beim Kommissar intervenieren?
c. Ist Österreich in
diesen Arbeitskreis mit eingebunden? Wenn ja -
welche Ministerien
werden welche Beamte entsenden?
[1] Pariser Übereinkommen 1982
("Übereinkommen vom 29.7.1960 über
die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der
Kernenergie in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des
Protokolls vom 16. November 1982" dBGBI
1985 II 964); Brüsseler Zusatzprotokoll 1982 ("Zusatzübereinkommen vom 31.1.1963 zum Pariser Übereinkommen
vom
29.7.1960 in der Fassung des Zusatzprotokolls vom 28. Januar 1964 und des
Protokolls vom 16. November 1982" dBGBl 1985
II 970); Wiener Übereinkommen 1963
("Convention on Civil Liability for Nuclear Damage" vom 21.5.1963,
IAEA INFCIRC/500);
Gemeinsames Protokoll 1988 („Joint Protocol relating to the application of the Vienna Convention and
the Paris Convention"
vom 21.9.1988, IAEA INFCIRC/402); Entschädigungsmit-telübereinkommen 1997 („Convention on Supplementary
Compensation for Nuclear Damage" vom 12.9.1997, IAEA INFCIRC/567); Brüsseler Seetransport-Übereinkommen
(„Convention Relating to Civil Liability in the Field of
Maritime Carrige of Nuclear Material" vom 17.12.1971, 944 UNTS 255,
IAEA, Legal Series No 4 (Revised 1976 Edition) 55 ff), Brüsseler
Reaktorschiffs-Übereinkommen 1962 („Convention
on the
Liability of Operators of Nuclear Ships" vom 25.5.1962, IAEA, Legal Series
No 4 (Rev 1976 Ed) 34 ff; Wiener Zusatzprotokoll
1997 („Protocol to amend the Vienna Convention on Civil
Liability for Nuclear Damage" vom 12.9.1997, IAEA INFCIRC/566).
Änderungsprotokolls zum Pariser Übereinkommen
1982 zur Diskussion (NEA/LEG/CPPC(98)10/FINAL)
[2] Environmental harmful support measures in EU Member States B.A. Leurs, R.C.N. Wit (CE, Delft), G.A Harder. A. Koomen,
F.HJ. Kiliaan
(Ernst & Young Rotterdam), G. Schmidt (Öko Institut,
Darmstadt) Report for the DG Environment of the
European Commission, Delft, January 2003
[3] Am 1. Jänner 1999 trat das Bundesgesetz über die zivilrechtliche Haftung für Schäden durch Radioaktivität
(Atomhaftungsgesetz 1999 - AtomHG 1999, BGBl Nr. I 170/1998) in Kraft
und ersetzte damit das aus den 60er
Jahren stammende
Atomhaftpflichtgesetz. Das Gesetz regelt die zivilrechtliche Haftung für Schäden, die durch
ionisierende Strahlung von Kernanlagen,
Kernmaterial oder Radionukliden an Menschen oder Sachen verursacht
werden.
Das AtomHG 1999 sieht ein unterschiedliches Haftungsregime für Betreiber
von Kernanlagen und Beförderer von
Kernmaterial
einerseits sowie für die Verwendung von Radionukliden
andererseits vor. Die einschlägigen
Bestimmungen stimmen allerdings nicht mit
internationalen Atomhaftungskonventionen überein. Durch
diesen
nationalen Alleingang ist also, wie auch die Erläuterungen zum
Gesetz ausführen, die effektive
Erlangung von Entschädigungen mangels Sicherstellung der
Durchsetzung nicht gewährleistet.