2854/J-BR/2011

Eingelangt am 04.11.2011
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

des Bundesrats Hans-Jörg Jenewein

und weiterer Bundesräte

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend gerichtlich beeideter Sachverständiger Univ. Prof. Dr. Max Friedrich

Am 14. April 1998 verfasste der Nervenfacharzt & Kinderneuropsychiater Univ. Prof.
Dr. Max Friedrich in seiner Eigenschaft als gerichtlich beeideter Sachverst
ändiger ein
22 seitiges Gutachten (25 c Vr 2082/98) in Bezug auf Natascha Kampusch, die rund
6 Wochen zuvor entführt worden war.

Friedrich beschreibt darin, dass er als Material für sein Gutachten neben
ungeschnittenen ORF-B
ändern, Fotographien, Heften, Zeichnungen und
Erhebungsakten auch mit den Eltern von Natascha Kampusch    .
Befundungsgespr
äche geführt habe.

Er, Friedrich, schreibt, dass Kampusch körperlich lebensaltertypisch gereift sei und
innerhalb eines 3/4 Jahres an Gewicht zugenommen“
habe. Zudem traten bei
Kampusch übliche präpubertäre“ Verhaltensweisen zutage.

Weiters beschreibt Friedrich, dass Kampusch eine soziale Beziehung zu einer etwas
älteren, bereits in der Pubertät befindlichen Freundin hat, die von der Mutter im Zuge
des Gespr
ächs mehrfach erwähnt wird. Die von Kampusch existierenden Fotos, die
das damalige Kleinkind in nackten bzw. halbnackten Posen zeigen, werden von
Friedrich so bewertet, dass diese für den Betrachter ...(nicht) als Objekt seiner
Phantasien dienen kann“. Unabhängig von Geschmacksfragen handelt es sich rein
inhaltlich um kein kinderpornographisches Material,“ und weiter ...dann sind diese
Aufnahmen zweifellos bedenklich, lassen aber keinen Schluss
kinderpornographischer Ausbeutung, bzw. des sexuellen Missbrauchs zu“,
stellt
Friedrich dazu fest.

Die Wiener Psychotherapeutin, Eva Wolfram-Ertl, qualifiziert die Aufnahmen
gegenüber dem Nachrichtenmagazin Profil“ am 10.04.1998 jedoch deutlich anders:
"Allein die Herstellung dieser Fotos ist schon eindeutig sexueller Missbrauch."

Weiters stellt der Gerichtsgutachter Friedrich in seinem Gutachten fest: ein
klassisches Misshandlungssyndrom auf psychischer Ebene, mit eindeutig sichernden
Symptomen gibt es nicht.“
Friedrich stellt auf Seite 14 und 15 jedoch fest, dass es ab
dem Sommer 1997 sichtbare soziale Verhaltensveränderungen gegeben hat
(deutliche Gewichtszunahme, Abfall der schulischen Leistungen, weniger f
ühr- und
lenkbar), wobei er diese als
nicht spezifisch missbrauchsbeweisend, sondern
bestenfalls als innerpsychisches Belastungsproblem wertet.“

Friedrich, der auf wissenschaftliche Exaktheit" aufgrund der an sich schon
angeheizten Interpretationslage“
verweist, geht in seinem gesamten Gutachten nicht
auf die, zum damaligen Zeitpunkt, bereits bekannten Fakten der nächtlichen
Einnässung und Einkotung von Kampusch ein.

Diese Fakten, von Brigitta Sirny (Mutter) bereits 1998 dem Detektiv Walter
P
öchhacker bekanntgegeben (Der Fall Natascha, 2004) und auch später von

Natascha Kampusch im Buch Natascha Kampusch: 3096 Tage“ von Heike
Gronemeier und Corinna Milborn, List Verlag, Berlin 2010 festgehalten, müssen dem
Gutachter Max Friedrich – bei wissenschaftliche Exaktheit“ - spätestens seit den
Befundungsgespräche mit den Eltern 1998 bekannt gewesen sein. Dies ist insofern
hinterfragenswert, da die wissenschaftliche Literatur diese offenkundige Auffälligkeit
als wesentliches Indiz für sexuellen Missbrauch bei Kindern wertet. (Vergl. Kendall-
Takkett et al., 1993, Bürgin, Rost, 1997, S. 151)

Von besonderer Tragweite scheint diese fehlende wissenschaftliche Exaktheit“ im
Kontext von Friedrichs eigener Ver
öffentlichung (1986) bezüglich des
Zusammenhangs zwischen E
ßstörungen und Erfahrungen des sexuellen
Missbrauchs. (vgl. auch Root, M., Fallo, P., und Oppenheimer, R., Howells, R.,
Palmer, R.L., Chalonner, D.A. (1985), hierzu auch Willenberg, 1997, S. 280)

Univ.Prof. Dr. Max Friedrich, der nach der Selbstbefreiung“ von Natascha Kampusch
im Jahr 2006 die psychiatrische Betreuung derselben übernahm und auffallend
exponiert den Medien Rede und Antwort stand, war durch sein Gutachten vom
14.04.1998 mitverantwortlich, dass weitere polizeiliche Ermittlungen im famili
ären
Umfeld der Natascha Kampusch unterblieben.

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Bundesräte an die
Bundesministerin für Justiz folgende

Anfrage

1.                   Wie viele Rechtsverfahren laufen derzeit gegen den gerichtlich beeideten
Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Max Friedrich?

2.         Wie viele Gerichtsgutachten von Univ. Prof. Dr. Max Friedrich wurden
nachträglich aufgehoben?

3.         Wie viele Gerichtsurteile, die aufgrund von Gutachten von Prof. Dr. Max
Friedrich gef
ällt wurden, mussten in weiterer Folge aufgehoben werden?

4.         Wie hoch war der Gesamtschaden (Prozesskosten für neuerliche Prozesse,
Kosten für weitere Sachgutachten, Haftentschädigungen, u.ä.) für die Republik
innerhalb der letzten 20 Jahre, der aufgrund von fehlerhaften und ungenauen
oder falschen Sachverst
ändigengutachten von Univ. Prof. Dr. Max Friedrich
entstanden ist?

5.         Welches Prozedere setzt sich in Gang, wenn ein seriöser gerichtlich beeideter
Sachverständiger nach Erstellung seines Gutachtens zu weiterführenden
Informationen gelangt und diese dem Gericht mitteilt?

6.         Hat Univ. Prof. Dr. Max Friedrich in seiner Funktion als gerichtlich beeideter
Sachverst
ändiger jemals von sich aus ein Gericht im Anschluss an eines
seiner Gutachten darüber in Kenntnis gesetzt, dass sich eine neue Faktenlage
entwickelt hat?

7.         Wenn ja, wann genau und welche neuen Erkenntnisse waren das?

8.         Wer bestellte Univ. Prof. Dr. Max Friedrich im Jahr 1998 zum Gutachter in der
Causa Kampusch?

9.         Gab es im Jahr 1998 weitere Gutachten, die einen möglichen sexuellen
Missbrauch der Natascha Kampusch vor ihrer Entf
ührung behandelten?

10.  Wenn Nein, warum nicht?

11.  Wenn ja, wer hat diese durchgeführt und zu welchem Ergebnis führten diese?

12.     Entspricht das Gutachten von Univ. Prof. Dr. Max Friedrich vom 14.04.1998
jener
wissenschaftlichen Exaktheit“, die er selbst einfordert und die auch von
einem gerichtlich beeideten Sachverst
ändigen in Österreich zu erwarten ist?

13.     Wenn ja, machen Gutachten, die nur auf der Hälfte der Fakten basieren
überhaupt Sinn oder sollten diese aus Kostengründen eingespart werden?

14.  Wenn nein, warum wurde dieses Gutachten in die Ermittlungen
miteinbezogen?

15.     Wenn nein, warum wurde Univ. Prof. Dr. Max Friedrich im Jahr 2008 für
weitere 10 Jahre als Gerichtsgutachter zertifiziert?

16.     Wurde die von Friedrich in seinem Gutachten vom 14.04.1998 angekündigte
Einladung“ der etwas älteren, bereits in der Pubertät befindlichen Freundin
der Natascha Kampusch zu einer weiteren Befragung jemals durchgef
ührt?

17.  Wenn Nein, warum nicht?

18.     Wenn Ja, gab es eine Ergänzung seines Gutachtens vom 14.04.1998?

19.     Warum war die Beziehung zu den beiden Ehemännern der Halbschwestern
der Natascha Kampusch zum damaligen Zeitpunkt vom Sachverständigen
nicht klärbar“?

20.     Warum ging der Sachverständige im Zuge der Befundungsgespräche nicht auf
die wechselnden M
ännerbekanntschaften der Mutter (bekannt waren zum
damaligen Zeitpunkt Walter K. und Ronald H.) des Entf
ührungsopfers ein?

21.     Warum findet sich der Umstand der wechselnden Männerbekanntschaften
nicht im Gutachten wieder?

22.     Warum wurden im Zuge der Befundungsgespräche und um die soziale
Beziehungsstruktur des Mädchens weiter zu erhellen“ nicht jene Nachbarn
befragt, die mit dem Entführungsopfer in engem Kontakt standen?

23.     Warum wurde im Zuge der Befundungsgespräche jene Großmutter, zu der
Natascha Kampusch ein besonders inniges Verhältnis hatte, nicht befragt?

24.     Ist es richtig, dass nach aktuellem Stand der kinderpsychiatrischen
Wissenschaft, die nächtliche Einnässung und Einkotung - im Kontext mit
weiteren Auffälligkeiten, etwa auffällige Gewichtszuname, Abfall der
schulischen Leistungen, libidin
ös motivierte Fotos etc. - zumindest den
Verdacht des sexuellen Missbrauchs nicht von Haus aus ausschlie
ßen
lassen?

25.  Warum war dem gerichtlich beeideten Sachverständigen Univ. Prof. Dr. Max
Friedrich die Tatsache der Einnässung und Einkotung von Natascha
Kampusch im Vorfeld ihrer Entf
ührung nicht bekannt?


26.     Wenn Ihm diese Umstände jedoch bekannt waren, warum fanden sie keinen
Niederschlag in seinem Gutachten? Gibt es hierzu eine fundierte
Begründung?

27.     Ist Ihnen die persönliche Motivation von Univ. Prof. Dr. Max Friedrich bekannt,
warum er im Jahr 1998 sexuellen Missbrauch von Natascha Kampusch
dezidiert ausschloss?

28.     Welchen Honorarsatz hat Herr Univ. Prof. Dr. Max Friedrich für das Gutachten
am 14.04.1998 verrechnet?

29.     Gab es politische Interventionen für die neuerliche Zertifizierung von Univ.
Prof. Dr. Max Friedrich?

30.     Wenn ja, durch welche Personen und wann genau?