2905/J-BR/2012

Eingelangt am 30.07.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Bundesrates Jenewein

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend die geplante Schließung des Bezirksgerichtes Landeck

Das Vorhaben der Bundesregierung, im Zuge budgetärer Sparmaßnahmen eine Neuordnung der Gerichtsstruktur in Österreich anzustreben und dabei insbesondere auch Kleinstgerichte zu schließen, ist unter dem Aspekt der Verpflichtung zu Sparsamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung nicht grundsätzlich negativ zu betrachten. Allerdings geht es nicht an, dass durch die Schließung von Bezirksgerichten einer mäßigen Reduktion auf Seiten der Ausgaben eine deutlich schlechtere Justizversorgung der Bevölkerung gegenübersteht. Insbesondere geht es nicht an, dass politische Bezirke nach einer Gerichts- Schließungswelle gänzlich ohne eigenes Bezirksgericht dastehen.

 

Dabei soll die Notwendigkeit, die beschränkten öffentlichen Mittel bestmöglich zu nutzen und im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung und einer bürgernahen Justiz auf bestimmte Fachgebiete spezialisierte Richterinnen und Richter einzusetzen, keinesfalls bestritten werden. Zudem sind sich die Antragsteller bewusst, dass die Gerichtsorganisation in ihren Grundzügen noch aus dem Jahr 1849 stammt und sich seither die allgemeinen Lebensumstände − etwa die Verkehrsverhältnisse − wie auch das Rechtsleben in vielen Bereichen geändert haben, so dass in periodischen Abständen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen regionaler Nähe, fachlicher Kompetenz und den aufzuwendenden öffentlichen Mitteln zu schaffen ist. Dass etwa die erforderliche Spezialisierung und laufende Fortbildung des Justizpersonals in den jeweiligen Fachmaterien und die in Aussicht genommene Wertgrenzen-Anhebung auf 25.000 Euro hier neue Rahmenbedingungen darstellen, ist offenkundig. Dass weiter auch der Rechnungshof mehrfach empfohlen hat, die beschränkt zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel an entsprechend vergrößerten Standorten und Einheiten zu bündeln, ist ebenfalls bekannt.

Dennoch kann es − wie bereits angeführt − nicht sein, dass ein politischer Bezirk durch Gerichtsschließungen im Hinblick auf die Justizversorgung quasi nackt“ dastehen würde. Ein optimaler Ausgleich zwischen ökonomischen und organisatorischen Notwendigkeiten, der Erbringung der bestmöglichen Leistung durch die Justiz insgesamt und der unter diesen Voraussetzungen möglichen maximalen Nähe zur Bevölkerung wäre dadurch jedenfalls nicht gegeben. Vielmehr ist klar, dass die derzeit angestrebten und euphemistisch als Strukturoptimierung“ bezeichneten Schließungen zu einer Verschlechterung der Versorgung der Bevölkerung mit Justizleistungen führen würden.


Ein Musterbeispiel dafür ist das geplante Vorhaben, das Bezirksgericht Landeck, situiert in der Herzog-Friedrich-Straße 21 in 6500 Landeck, zu schließen. Nicht umsonst leisten Lokalpolitiker, Wirtschaftstreibende und Bevölkerung dagegen Widerstand. Dass der Landeshauptmann von Tirol der Schließung dieses Bezirksgerichtes zu ihrer Rechtswirksamkeit erst zustimmen müsste, ist einerlei. Vielmehr erscheint der Vorschlag einer Schließung vollkommen deplatziert.

Der Bezirk Landeck wurde 1968 aus den Gerichtsbezirken Landeck, Nauders und Ried gebildet. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die bei Österreich verbliebenen Teile des Gerichtsbezirks Nauders mit dem Gerichtsbezirk Ried vereint, der wiederum 1978 selbst aufgelöst und mit dem Gerichtsbezirk Landeck vereinigt wurde. Der Gerichtssprengel umfasst nach der Auflösung der Gerichtsbezirke Nauders und Ried in Tirol damit den gesamten politischen Bezirk Landeck mit den Gemeinden Faggen, Fendels, Fiss, Fließ, Flirsch, Galtür, Grins, Ischgl, Kappl, Kaunerberg, Kaunertal, Kauns, Ladis, Landeck, Nauders, Pettneu am Arlberg, Pfunds, Pians, Prutz, Ried im Oberinntal, St. Anton am Arlberg, Schönwies, See, Serfaus, Spiss, Stanz bei Landeck, Strengen, Tobadill, Tösens und Zams. Im diesem Gerichtssprengel leben derzeit ca. 44.000 Menschen.

Hinzu kommt, dass der Bezirk geographisch stark gegliedert und daher infrastrukturell, insbesondere verkehrstechnisch, ohnehin benachteiligt ist. Er umfasst neben dem westlichsten Teil des Oberinntals die von diesem abzweigenden Täler Kaunertal, Stanzer Tal und Paznaun. Die Erreichbarkeit eines Gerichtes spielt also gerade hier eine große Rolle. Zu „punktuell längeren Anfahrtswegen“, die „vor dem Hintergrund, dass jede Bürgerin und jeder Bürger in ihrem bzw. seinem Leben durchschnittlich nur ein- bis zweimal persönlich bei Gericht erscheinen muss, und im täglichen Leben wesentlich längere Anfahrtswege öfter in Kauf genommen werden,  zu sehen“ seien, kommt es also aufgrund der geographischen Lage für einen Gutteil der Bevölkerung ohnehin. Weitere Verschlechterungen sind hier nicht zumutbar.

Eine aufwändige Sanierung des Bezirksgerichtes erfolgte erst vor wenigen Jahren. Jetzt die Verlegung nach Imst anzudenken, wäre daher nicht nachvollziehbar, zumal das Einsparungspotential nicht bekannt ist.

Auch die Bürgernähe − in vielen Bereichen sind der Kontakt und die Nähe der Bevölkerung von besonderer Bedeutung, etwa bei Pflegschaftssachen − und die Erreichbarkeit für Berufstätige sind Themen. So sind noch längere Abwesenheitszeiten von Mitarbeitern bei Gerichtsterminen und damit Zusatzkosten für Unternehmer sind zu erwarten, wenn das Bezirksgericht Landeck aufgelöst wird.

Dass die Nachfrage nach Dienstleistungen der freien Rechtsberufe kann an ehemaligen Bezirksgerichtsstandorten (wie z.B. Grundbuch- oder Firmenbuchauszüge oder Beglaubigungen) steigen kann, ist hier nur ein schwacher Trost, der die organisatorischen Nachteile, vor allem im Prozess-Bereich nicht verdecken kann.

Eine weitere Ausdünnung des ländlichen Raumes bedeutet zudem auch erneut wirtschaftliche Nachteile für den Bezirk, sie verschlechtert insgesamt die Lebensqualität der dort lebenden Bevölkerung. Hierbei ist anzuführen, dass bereits zahllose Postämter und das Baubezirksamt aufgelassen wurden. Viele Bürger des Bezirkes nutzen Behördengänge in der Bezirkshauptstadt für einen Einkauf im Talkessel Landeck. Wenn wichtige Institutionen nach und nach aus dem Bezirk abgesiedelt werden, verliert die Einkaufsstadt Landeck an Attraktivität, was Umsatzeinbußen und letztlich Arbeitsplatzverluste bedeutet.


Außerdem sollen junge Oberländer Juristen weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Ausbildung im eigenen Bezirk zu absolvieren.

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Bundesräte an die Bundesministerin für Justiz nachstehende

 

Anfrage:

1.   Gibt es von Seiten des Bundesministeriums für Justiz bzw. der Bundesregierung konkrete Pläne, das Bezirksgericht Landeck in Tirol zu schließen?

Wenn nein: Es erübrigt sich die Beantwortung der restlichen Anfragen.

Wenn ja: Siehe die nächsten Fragen.

2.     Welche konkreten, d.h. auf die spezielle örtliche, infrastrukturelle und justizielle Situation   des   Gerichtssprengels  Landeck  bezogenen,  Erwägungen  liegen der Überlegung, das Bezirksgericht Landeck zu schließen, zu Grunde?

3.     Inwieweit sind der durch die geographischen Bedingungen im Bezirk begründete Zeit- und Wegaufwand für die ca. 44.000 Menschen im Gerichtssprengel Landeck zur Erreichung eines Bezirksgerichts,  der bei einer Verlegung − mitsamt den Folgekosten für die Wirtschaft aufgrund längerer Absenzen von Beschäftigten − deutlich steigen würde sowie die infrastrukturelle Gesamtsituation des Bezirkes Landeck in Ihre Überlegungen hinsichtlich einer Schließung des Bezirksgerichtes eingeflossen?

4.     Inwieweit sind die von mehreren Seiten geäußerten Befürchtungen hinsichtlich drohender  Schäden  für  den  Bezirk  Landeck  als  Wirtschaftsstandort  in Ihre Überlegungen hinsichtlich einer Schließung des Bezirksgerichtes eingeflossen?

5.     Schließen  Sie aus,  dass es nach einer Schließung künftig eine wesentlich schlechtere  Versorgung  durch  die  Justiz  für  die  Einwohner  des derzeitigen Gerichtssprengels Landeck geben wird, Bürgernähe abnimmt und der Zugang zur Rechtspflege erschwert wird?

6.     Wie beurteilen Sie die Auflösung des Bezirksgerichts Landeck unter dem Aspekt, dass das Gerichtsgebäude erst vor kurzem renoviert wurde?

7.     In welcher finanziellen Größenordnung lässt sich das Einsparungspotenzial einer Schließung  des Bezirksgerichtes Landeck pro Jahr bzw.  mittelfristig  für einen Zehnjahreszeitraum beziffern?