2918/J-BR/2012

Eingelangt am 04.10.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Bundesräte Gottfried Kneifel
Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend Einhaltung der Medienvielfalt und Pressefreiheit in Österreich

Die Presse- und Medienfreiheit sowie die dafür notwendige Medienvielfalt zählen zu den Grundwerten jeder Demokratie und sind daher - als Teil der Grundrechte - verfassungs­rechtlich ganz besonders abgesichert und das gleich mehrfach:

Im Staatsgrundgesetz von 1867, im Staatsvertrag, ganz besonders aber durch die EMRK (Artikel 10), die Österreich nicht nur völkerrechtlich verpflichtet, sondern auch im Verfassungsrang steht und ressortmäßig beim Bundeskanzler als Regierungschef und damit ressortübergreifend angesiedelt ist.

Der Vertrieb von Printmedien, den es abzusichern und zu schützen gilt, ist in diesem Zusammenhang ein besonders wichtiges Element.

Das richtungsweisende Urteil des EGMR Centro Europa und di Stefano gegen Italien vom 7.6.2012 (auf dem Fernsehsektor) verpflichtet einen Staat sicherzustellen, dass redaktionelle Inhalte auch ungehindert zum vorgesehenen Empfänger gelangen können. Der EGMR kommt zu dem Schluss, dass der Staat eine Garantenstellung zur Absicherung von Art 10 EMRK hat und dass es für Einzelstaaten eine positiv-rechtliche Handlungspflicht zur Erhaltung von Medienfreiheit und Medienvielfalt gibt - eine Pflicht, der die Republik Österreich derzeit nicht ausreichend nachkommt.

Für den Vertrieb der Printmedien hat das Postmarktgesetz eine wesentliche Rolle: Danach fallen Zeitungen ohne konkrete Adressierung - wie die meisten Regionalzeitungen - nicht unter den „Universaldienst“ des Postmarktgesetzes und werden damit hinsichtlich der verfassungsrechtlich verankerten Pressefreiheit „schlechter“ behandelt als adressierte Medienprodukte. Wie der Inhalt einer Zeitung ist aber auch deren Vertriebsart eine freie verlegerische Entscheidung. Medien, die sich aus unterschiedlichsten Gründen für eine unadressierte Versendung entscheiden, dürfen nicht schlechter gestellt sein und es sind gerade die Regionalmedien, die einen unverzichtbaren Beitrag für eine aktive und funktionierende Demokratie in den Gemeinden und Regionen leisten.


 

In Deutschland hat jedenfalls der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 20.9.2012,I ZR 116/11) kürzlich klargestellt, dass auf Grund der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz nicht nur adressierte Zeitungen, sondern auch Zeitungen, die unadressiert als Postwurfsendungen verteilt werden, zum Universaldienst zählen und somit auch Gratiszeitungen einen Anspruch auf kostengünstige Zustellung nach den Bedingungen der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV) haben. Die einzigen Kriterien für die Einordnung in den Universaldienst sind das periodische Erscheinen der Zeitung und die presseübliche Berichterstattung über Tagesereignisse, Zeit- oder Fachfragen. Der Umstand,

dass die Druckschrift nicht adressiert ist, steht ihrer Einordnung in den Universaldienst nicht entgegen. Die Einordnung als Universaldienst nach der PUDLV verfolgt laut dem BHG mit dem dadurch bestimmten Beförderungszwang das Ziel, „zur Förderung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit Erzeugnisse der Presse dem Empfänger so günstig wie möglich zuzuführen.“

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Bundesräte an den Bundeskanzler folgende

Anfrage:

1.     Anerkennen Sie die Bedeutung einer vielfältigen lokalen und regionalen Presse für eine funktionierende Demokratie in den Gemeinden und Ländern? Wenn ja, was tun Sie, um dies zu gewährleisten?

2.      Anerkennen Sie die Freiheit eines Verlegers, sich für eine ihm geeignet erscheinende Vertriebsart zu entscheiden als Teil der Pressefreiheit? Wenn ja, was tun Sie, um dies sicherzustellen?

3.      Anerkennen Sie, dass Pressefreiheit und Medienvielfalt in Österreich uneingeschränkt gelten und geschützt werden sollen und zwar unabhängig von der Vertriebsart der Zeitung? Wenn ja, was unternehmen Sie, um dies zu gewährleisten?

4.      Die derzeit bestehende rechtliche Situation für unadressierte Zeitungen, insbesondere Regionalzeitungen, ist offensichtlich hinsichtlich des Vertriebs nicht grundrechtskonform. Was gedenken Sie zu tun, um Pressefreiheit und Medienvielfalt hier umfassend abzusichern und einen verfassungskonformen Rechtszustand herbeizuführen?

5.      Wie wollen Sie Ihrer Verpflichtung zur Erhaltung der Medienvielfalt nachkommen, um dadurch die - noch - existierende Vielfalt an Zeitungen in den Regionen zu erhalten und zu sichern, die dieses Land für eine funktionierende Demokratie an der Basis braucht?

6.      Werden Sie in Kontakt mit Vertretern der betroffenen Zeitungen bzw. der Interessenvertretung der Regionalmedien treten, um das Ausmaß des erforderlichen Rechtsschutzes für deren Vertrieb zu evaluieren und festzulegen?

7.      Bis wann kann mit einer Regierungsvorlage zur Absicherung insbesondere des Vertriebs der momentan nicht ausreichend geschützten, unadressierten Zeitungen im Sinne der Verfassung, insbesondere von Art. 10 EMRK, gerechnet werden?