2933/J-BR/2012

Eingelangt am 29.11.2012
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Bundesrätlnnen Elisabeth Kerschbaum, Marco Schreuder; Efgani Dönmez

an den Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend

betreffend Seveso-Betriebe in Österreich

BEGRÜNDUNG

Die „Seveso-Richtlinie“ (96/82/EG) gilt für Betriebe, in denen bestimmte Mengen von gefährlichen Stoffen vorhanden sind. Sie dient zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit diesen Stoffen und schreibt besondere Anforderungen an die Anlagensicherheit dieser Betriebe vor.

Die zentrale Meldestelle für schwere Unfälle ist im Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend eingerichtet, das laut Gewerbeordnung ein Verzeichnis der Betriebsstandorte, für die Sonderbestimmungen der Seveso Il-Richtlinie führt und jährliche Berichte an die Europäische Kommission abliefert.

Die Richtlinie ist am 3. Februar 1997 in Kraft getreten und wurde für den Geltungsbereich gewerblicher Betriebsanlagen durch die GewO-Novelle 2000, BGBl. I Nr. 88/2000 (Abschnitt 8a) und die Industrieunfallverordnung (IUV), BGBl. II Nr. 354/2002, umgesetzt.

Im Zuge des Grundwasserskandals in Korneuburg stellte sich heraus, dass jener Betrieb, der im Verdacht steht, die Verunreinigung verursacht zu haben, ein „Seveso- Betrieb“ ist. In den Unfallmeldungen des BMWJ an die EU-Kommission findet sich allerdings weder 2010, noch 2011, ein Hinweis auf diesen Vorfall, der seit mehr als zwei Jahren die Behörden, UmweltschützerInnen und GemeindevertreterInnen beschäftigt.

          Im Herbst 2010 meldete die Firma Kwizda einen Unfall auf dem Betriebsgelände, bei dem durch ein gebrochenes Abwasserrohr Pestizide ins Grundwasser gelangt sind.

          2011-2012 untersuchte die Behörde das Ausmaß der vorhandenen Kontamination, konzentrierte sich dabei aber auf Insektizide und nicht auf alle Wirkstoffe, die die Firma Kwizda in ihrem Betrieb verarbeitet. Dabei wurde eine großflächige Verunreinigung des Grundwassers mit dem Wirkstoff Thiamethoxam (bis zu 80facher Grenzwertüberschreitung) festgestellt. Ein Gutachten der AGES weist auf die Gefährdung von Bienen bei Verwendung des Grundwassers zum Gießen hin.


          September 2012: Global 2000 lässt Pestizidscreenings des Grundwassers durchführen und stellt eine bis zu 800fache Grenzwertüberschreitung mit Clopyralid, einem in der Firma Kwizda verarbeiteten Herbizid, fest. Damit sind auch die von der Bevölkerung beobachteten Pflanzenverkrüppelungen durch Bewässerung mit kontaminiertem Grundwasser erklärbar.

§ 84 der Gewerbeordnung definiert einen schweren Unfall als „ein Ereignis, das sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter diesen Abschnitt fallenden Betrieb ergibt (etwa eine Emission, ein Brand oder eine Explosion größeren Ausmaßes), das unmittelbar oder später innerhalb oder außerhalb des Betriebs zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führt und bei dem ein oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt sind."

Gemäß § 356 b GewO hat die Gewerbebehörde bei der Betriebsanlagengenehmigung Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes „mitanzuwenden", so WRG-Regelungen betreffend Wasserentnahme für Feuerlöschzwecke, betreffend Lagerung von Stoffen, die zur Folge haben, dass durch Eindringen (Versickern) von Stoffen in den Boden das Grundwasser verunreinigt wird und betreffend Abwassereinleitungen in Gewässer (siehe auch Anfragebeantwortung 2705/AB-BR/2012).

Die unterfertigenden Bundesrätlnnen stellen daher folgende

ANFRAGE

1.    Lt. § 84 c Abs. 4 der Gewerbeordnung hat „Der Betriebsinhaber ... nach Maßgabe einer Verordnung gemäß §84d Abs. 7 ein Konzept zur Verhütung schwerer Unfälle (Sicherheitskonzept) auszuarbeiten, zu verwirklichen und zur Einsicht der Behörde bereitzuhalten. Die Verwirklichung des Sicherheitskonzepts und gegebenenfalls der Änderung des Sicherheitskonzepts (Abs.7) sind nachzuweisen.“ Abs. 7 regelt weiters „Der Betriebsinhaber hat den Sicherheitsbericht oder das Sicherheitskonzept zu überprüfen und zu aktualisieren, wenn geänderte Umstände oder neue sicherheitstechnische Erkenntnisse dies erfordern, mindestens jedoch alle fünf Jahre.“

a.    Wann wurde das entsprechende Sicherheitskonzept und etwaige Änderungen und Aktualisierungen der Firma Kwizda von der Behörde überprüft und mit welchem Ergebnis?

b.    Wurde in diesem Sicherheitskonzept auch die Sicherstellung der Dichtheit der Abflussrohrleitungen und Abwasserbecken behandelt? Wenn ja, in welcher Form?

2.    Lt. § 84 c Abs. 10 der Gewerbeordnung ist auch die Öffentlichkeit, insbesondere Einrichtungen mit Publikumsverkehr (wie Schulen und Krankenhäuser) über die Gefahren, die Sicherheitsmaßnahmen und das richtige Verhalten im Fall eines schweren Unfalles regelmäßig, längstens alle fünf Jahre, ohne Aufforderung zu informieren.

Wurde diese Informationspflicht durch die Firma Kwizda eingehalten bzw. die Einhaltung dieser Informationspflicht von der Behörde kontrolliert?

a.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Wenn nein, wer ist für die Kontrolle der Einhaltung der Informationspflicht zuständig?


c.    Wenn ja, wann und in welcher Form wurde informiert?

3.    Laut Abs. 10 des § 84 c der Gewerbeordnung ist der Sicherheitsbericht und das Verzeichnis der gefährlichen Stoffe der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wobei Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthaltende Teile ausgenommen werden dürfen.

a.    Wer überprüft die Einhaltung dieser Informationspflicht?

b.    Wo finden sich die angeführten Informationen der Firma Kwizda?

c.    Wieso musste die Bezirkshauptmannschaft im September dieses Jahres die Liste der am Betriebsgelände der Firma Kwizda verarbeiteten Wirkstoffe extra anfordern, wenn diese doch It. Gewerbeordnung zu veröffentlichen ist?

4.    Laut §84 d. Abs. 2 der Gewerbeordnung hat die Behörde der zentralen Meldestelle des BMWJ eine Liste der gemeldeten Betriebe zu übermitteln. Trotz intensiver Suche im Internet war keine aktuelle Liste von Seveso-Betrieben aufzuspüren. Wird diese Liste vom BMWJ veröffentlicht?

a.    Wenn ja, in welcher Form und wo?

b.    Wenn nein, warum nicht?

5.    Laut § 84 d. Abs. 2 sind nach einem schweren Unfall diverse Daten und Beschreibungen der Auswirkungen sowie der getroffenen Sofortmaßnahmen von der Behörde an das BMWJ zu übermitteln. Diese sind, It. Abs. 3, erforderlichenfalls nach Durchführung einer Inspektion zu ergänzen und der zentralen Meldestelle zu übermitteln, die diese Angaben an die Europäische Kommission weiterleitet.

Wurde der Unfall bzw. die Vorfällen am Firmengelände der Firma Kwizda als „schwerer Unfall“ It. Gewerbeordnung bzw. Seveso Richtlinie eingestuft?

a.    Wenn ja: ab welchem Zeitpunkt?

b.    Wenn ja: wann wurde dieser Unfall bzw. die Zwischenfälle von der Behörde an das BMWJ übermittelt?

c.    Wenn ja: Wann wurde bzw. wird der Unfall und seine Auswirkungen der EU-Kommission gemeldet?

d.    Wenn nein: warum nicht?

e.    Wenn nein, können Sie ausschließen, dass der Unfall bzw. die Vorfälle zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führen können?

6.    § 84 d. Abs. 5 legt fest, dass die Behörde für jeden unter diesen Abschnitt fallenden Betrieb ein Inspektionsprogramm zu erstellen und auf der Grundlage dieses Inspektionsprogramms die Einhaltung der Pflichten des Betriebsinhabers planmäßig und systematisch zu überwachen hat.

a.    Welche Inspektions- Intervalle wurden für die Firma Kwizda vorgesehen?

b.    Wann wurden die behördlichen Inspektionen in den letzten 10 Jahren durchgeführt und mit welchem Ergebnis?

c.    Wurden im Zuge dieser Inspektionen auch die Dichtheit der Abwasserleitungen und -Becken kontrolliert? Wenn ja, durch wen?

d.    Wurden im Zuge dieser Inspektionen auch Untersuchungen des Grundwassers vorgenommen? Wenn ja, auf welche Stoffe?

7.    Lt. § 84 d. Abs. 5a (5a) Hat „nach einem schweren Unfall... die Behörde jedenfalls eine Inspektion gemäß Abs. 5 zur vollständigen Analyse der Unfallursachen vorzunehmen. Dabei sind die technischen, organisatorischen und managementspezifischen Gesichtspunkte des Unfalls festzustellen. Weiters ist zu überprüfen, ob der Betriebsinhaber alle erforderlichen Abhilfemaßnahmen zur Begrenzung der Unfallfolgen getroffen hat, und es sind dem Betriebsinhaber Empfehlungen über künftige Verhütungsmaßnahmen in Zusammenhang mit dem eingetretenen schweren Unfall bekannt zu geben.“

Wann wurden diese Inspektionen durchgeführt und welche Empfehlungen wurden bekanntgegeben?

a.    nach Meldung des Unfalles im August 2010 durch die Firma Kwizda

b.    nach Bekanntwerden der zusätzlichen Belastung durch Clopyralid im September 2012

c.    nach dem Eingeständnis der Firma Kwizda im September 2012, einen Teil der aufgetretenen Belastung verursacht zu haben

d.    nach Bekanntwerden der Undichte von Abwasserbehältern und Rohrleitungen am Firmengelände

8.    In welchen gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungen für die Firma Kwizda kam es zur Mitanwendung des Wasserrechtsgesetzes, nach welchen Bestimmungen wurden hier welche Tätigkeiten oder Baulichkeiten erlaubt, welche Auflagen zum Schutz des Grundwassers wurden erteilt und wie oft fanden Kontrollen statt?