3091/J-BR/2015

Eingelangt am 29.10.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

 

des Bundesrates Hans-Jörg Jenewein
Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

 

betreffend ‚Österreich schafft sich ab‘

 

Spätestens seit August ist ganz Europa mit einer Migrantenwelle konfrontiert, die selbst bei wohlmeinenster Beurteilung die Grenzen des Machbaren längst überschritten hat.

 

War in den Septemberwochen noch die Staatsgrenze zwischen Österreich und Ungarn Hauptroute dieser Völkerwanderung, so hat sich die Situation mittlerweile in die Südsteiermark, namentlich nach Spielfeld, verlagert. Zehntausende von vermeintlichen „Flüchtlingen“ strömen über die Grenzen nach Österreich, teils zu Fuß, teils im Auto, in Bus oder Bahn um ihr Hauptziel, die Bundesrepublik Deutschland, zu erreichen.

 

„Wir haben Platz in Deutschland!“, sagte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck wörtlich bei seinem Staatsbesuch in Indien im Frühjahr 2014, „deshalb warten wir auch auf Menschen aus anderen Teilen der Welt, die bei uns leben und arbeiten wollen. Darauf freuen wir uns schon.“ Und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel legte Ende August in ihrer Pressekonferenz mit dem berüchtigten Satz „wir schaffen das“ noch einmal deutlich nach. Damit wurde ein Signal an alle Auswanderungswilligen, eine quasi Einladung ausgesprochen und seitdem reißt der Strom der Einwanderer nach Europa nicht mehr ab.

Alle Reparaturversuche der deutschen Regierung, etwa die kurzfristige Ausserkraftsetzung der Schengen-Grenze am 12.09. haben nicht geholfen das Problem in den Griff zu bekommen. Mittlerweile rechnet die Bundesrepublik Deutschland mit rund 800.000 Zuwanderern in diesem Jahr, insgesamt wird es wohl weit mehr als eine Million sein.

 

Österreich ist indes mit der Tatsache konfrontiert, daß unsere Exekutivorgane weder die personellen noch die technischen Möglichkeiten besitzen, den Zustrom fremder Staatsbürger auf eigenes Territorium zu kontrollieren, zu kanalisieren oder gar zu registrieren. Laut der ORF-Sendung „Report“ vom 27.10.2015 kommen pro Tag ca. 8000 Menschen über unsere Staatsgrenzen. Die österreichische Bundesregierung hat – völlig überfordert mit dieser Sitiuation – die Grenzen geöffnet und die Menschenmassen ohne jegliche Regulierung auf eigenes Territorium gelassen um diese möglichst schnell durch Österreich „durchzuschleusen“. In völliger Selbstaufgabe müssen seitdem die österreichischen Staatsbürger, die selbst bei kleinsten Verkehrsvergehen mit drastischen Polizeistrafen zu rechnen haben und seit Jahrzehnten mit einer „Überbürokratie“ konfrontiert sind, heute akzeptieren, die unsere Staatsgrenzen, unsere Gesetze aber auch unser nationales Selbstverständnis der Rechtstaatlichkeit zur Makulatur bzw. zur Karikatur verkommen sind.

 

Ohne jede Kontrolle, ohne jede Registrierung stürmen seit August tagtäglich tausende Menschen unsere Grenzübergänge, spazieren völlig unbehelligt über die grünen Grenzen der Republik oder auch der offiziellen Grenzposten und zeigen den Unwillen bzw. auch die Unfähigkeit der obersten Organe der Vollziehung unseres Staates auf erschreckende Art und Weise auf. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zählt zu den staatlichen Kernaufgaben. Dies ist insbesondere in Art 78a Abs. 2 B-VG geregelt.

 

In diesem Zusammenhang müsse darauf verweisen werden, daß gerade die höchsten Vertreter der Republik, vereidigt auf die Bundesverfassung, vor einigen Wochen mit dem Finger auf unseren Nachbarstaat Ungarn gezeigt und die dortige Regierung in völliger Verkennung der Realitäten mit autoritären Regiemen und Diktaturen verglichen haben. So berichten die verschiedensten Medien, wie etwa die Tageszeitung „Der Standard[1]“, die „Salzburger Nachrichten[2]“, „Der Spiegel[3]“ aber auch die „ARD[4]“, dass Bundeskanzler Werner Fayman die Politik des ungarischen Präsidenten Orban mit dem Holocaust verglichen hat, obgleich Ungarn auf dem Boden der europäischen Gesetze versucht hat die EU-Außengrenze zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten. Angesichts der anarchischen Zustände in Spielfeld der vergangenen Tage, müsse man von Seiten der Republik der ungarischen Regierung Respekt für ihr konsequentes Durchgreifen zollen. Ungarn hat es binnen weniger Wochen mit einem großartigen Kraftaufwand von Polizei, Soldaten und Gesetzgebung geschafft, wieder Herr im eigenen Land zu werden. Bis zum heutigen Tage ist Faymann übrigens eine Entschuldigung für seine unfassbare Entgleisung schuldig geblieben.

 

Mittlerweile dämmert es offenkundig auch der österreichischen Bundesregierung, dass mit der geringer werdenden Bereitschaft Deutschlands, beliebig viele Personen einreisen zu lassen, Österreich innerhalb kürzester Zeit vor völlig unlösbaren Problemen steht: Mit der Ankündigung, einen Zaun zu errichten, der zwar nicht als solcher bezeichnet werden darf, weil ja sonst eine alte FPÖ-Forderung erfüllt wäre, wurde ein Tabu der Diskussion gebrochen, leider allerdings ohne jede konkrete Wirkung, weil eine Reduktion der Zahl der nach Österreich gelangenden Migranten nach offiziellen Angaben der Bundesregierung gar nicht beabsichtigt ist. Sogar Bundespräsident Fischer erklärte sein Verständnis für Mikl-Leitners Zaun, weil ‚Österreich an der Kapazitätsgrenze angelangt‘ sei.

 

Was im Falle der für das kommende Wochenende von Bayern angekündigten ‚Notwehrmaßnahmen‘ – sprich einer weitgehenden Schließung der Grenze – in Österreich passieren wird, hat Oberösterreichs Polizeichef Pilsl in der ZiB2 unmissverständlich beschrieben: Unruhen drohen. Dies ist auch nicht weiter überraschend, denn zigtausende Migranten – Schätzungen gehen von 150.000 noch heuer aus, die natürlich nicht innerhalb weniger Tage adäquat untergebracht werden können, bedeuten ein enormes Konfliktpotential.

 

Vor dem Hintergrund der dramatischen Situation rund um die Migrationsströme sowie des offensichtlichen Versagens der „selbsternannten politischen Regierungselite“ in Europa ist auch die Frage zulässig, wie denn ein Staat, der seinen staatstheoretischen Aufgaben nicht mehr nachzukommen bereit ist, überhaupt noch die moralische Legitimation besitzt von seinen Einwohnern Steuern einzufordern, wenn auf der anderen Seite die Kernkompetenzen, eben die innere Sicherheit, die Souveränität des Staatsgebietes sowie die Einhaltung simpler Rechtsvorschriften nicht einmal mehr im Ansatz gewährleistet sind.

 

Als besonders perfide muss in diesem Zusammenhang die Tatsache gewertet werden, daß jede Kritik an den aktuellen Zuständen, daß jedes Hinterfragen nach Herkunft und Motiv der Migranten in der öffentlichen Debatte mit dem Totschlagargument der „Hetze“ im besten Falle oder aber der Unterstellung, wonach der Kritikübende ja ohnehin ein „Nazi“ sei, im schlechtesten Fall geahndet wird und man damit einen Gutteil der Bevölkerung, die mit dem Modebegriff der „Willkommenskultur“ nichts anzufangen weiß, zu Undemokraten, Faschisten und damit zu Verbrechern erklärt.

 

Auch die mediale Begleitmusik, die zu Beginn der Migrationsproblematik ein völlig verzerrtes und beschönigendes Bild der Lage gezeichnet hat, trägt eine gehörige Mitschuld an der nunmehrigen Situation und auch wenn hie und da, speziell in der Bundesrepublik Deutschland bereits erste selbstkritische Töne laut werden, wonach die „ein falsches Flüchtlingsbild[5]“ gezeichnet wurde, ändert dies recht wenig an der täglichen Kopfwäsche, wonach man sich – selbstverständlich staatlich und medial verordnet – über die Bereicherung aus dem nahen und mittleren Osten zu freuen habe.

 

Die Souveränität eines Staates definiert sich über zwei wesentliche Dimensionen:

Im inneren Staatsgefüge über die Autonomie und die höchste Befehlsgewalt und im Außenverhältnis über die Unabhängigkeit und Gleichheit der Staaten in ihren Beziehungen.

Bartolus de Saxoferrato hat diese Grundlagen der Volkssouveränität bereits in seinem Standardwerk („Tractatus Represaliarum“) im Jahr 1354 definiert. Diese haben in ihrer Grundauslegung bis zum heutigen Tage Gültigkeit.

 

Mit dem vorsätzlichen Bruch der höchsten Befehlsgewalt des Staates bzw. der Verweigerung der obersten Organe der Vollziehung des Staates ihrer verfassungsmäßigen Aufgabe nachzukommen, haben sie die Reziprozität des Staatsvolkes hin zum Gesetzgeber einseitig aufgelöst und damit einen rechtsfreien Raum geschaffen.  Die österreichische Bundesregierung ist zudem auch nicht Willens diesen rechtsfreien Zustand zu beenden – im Gegenteil, es werden laufend neue Ausreden dafür erfunden, warum dieses oder jenes zum jetzigen Zeitpunkt „nicht funktioniert“. Faktum ist: Die staatliche Ordnung in Österreich ist zur Stunde außer Kraft gesetzt. Östereich befindet sich im Notstand. Die Exekutive, Polizei und Bundesheer wurden handlungsunfähig gemacht.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Bundesräte an den Bundeskanzler folgende

 

 

Dringliche Anfrage

 

 

1.    Welche konkreten Auswirkungen auf Österreich werden die Ergebnisse des EU-Gipfels vom vergangenen Wochenende haben?

2.    Welche neuen Erkenntnisse haben die Bundesregierung bewogen, nunmehr die Errichtung eines Zaunes in Angriff zu nehmen?

3.    Welchen Sinn ergibt es, für den nunmehr beschlossenen Zaun eine Unzahl verwirrender Bezeichnungen von ‚technische Sicherung‘  über ‚Tür mit Seitenteilen‘,  ‚bauliche Maßnahmen‘ bis zu was immer für Wortschöpfungen  zu verwenden, wenn doch die Funktion klar jene eines Zaunes ist, das Durchgehen zu verhindern?

4.    Gibt es zwischen dem, was die Innenministerin als Zaun und Sie als Nicht-Zaun bezeichnen, inhaltlich Unterschiede, wenn ja welche im Detail?

5.    Welche Zielsetzung verfolgt die Bundesregierung konkret bei der von der Innenministerin angekündigten Errichtung einer ‚Festung Europa‘ ?

6.    Genießt die Innenministerin  Mikl-Leitner angesichts der in letzter Zeit häufig auftretenden unterschiedlichen Positionen (‚Festung Europa‘ ‚Zaun‘,…) in dieser für Österreich entscheidenden Frage Ihr uneingeschränktes Vertrauen?

7.    Welche Maßnahmen haben Sie ergriffen, um die Inkraftsetzung von ‚Notwehrmaßnahmen‘ (sprich teilweise Grenzschließung) in Bayern kommendes Wochenende zu vermeiden?

8.    Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die in diesem Fall laut oberösterreichischem Polizeidirektor drohenden Unruhen in Österreich zu verhindern?

9.    Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, wenn, wie absehbar, Deutschland weiterhin kontinuierlich weniger Migranten übernimmt, gleichzeitig aber der Zustrom nach Österreich nicht abnimmt (heuer noch bis zu 150.000)?

 

10. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen den Darstellungen über die Kontakte zwischen Österreich und Deutschland, die nach Ihren Angaben stets engst und bestens, nach den Angaben der Deutschen hingegen ganz offensichtlich unbefriedigend sind – siehe nicht nur die laufende Kritik Bayerns sondern zuletzt auch von Bundesinnenminister de Maiziere?

 

11. Ist es insbesondere richtig, dass Österreich wie von Deutschland kritisiert und von der Polizei (OÖ Landespolizeidirektor) mit der Forderung nach Verdopplung der Übernahmeqoute ‚Ansonsten werden wir die Menschen an den österreichischen Grenze stehen haben und Dinge erleben, die wir nicht erleben wollen‘ indirekt bestätigt, wesentlich mehr Migranten an die Grenze bringt, als angekündigt?

 

12. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Tatsache, dass – sogar nach Meinung Ihres Parteifreundes Bundespräsident Fischer – ‚Österreich an der Kapazitätsgrenze angelangt‘ ist, also mit weniger gewählten Worten ‚das Boot voll‘ ist, während Sie (im Gegensatz zum Vizekanzler) weiterhin betonen, dass die Bundesregierung keine Einschränkung des Zustromes wolle?

13. Welche konkreten Ergebnisse haben die Aktivitäten des von der Bundesregierung eingesetzten  ‚Flüchtlingskoordinators‘ Konrad gebracht?

 

14. Wieviele weitere Unterbringungsplätze sollen nach derzeitigem Stand per Durchgriffsrecht jeweils wo eingerichtet werden, nachdem bislang 1850 auf diesem Weg geschaffen wurden

 

15. Auf welche konkrete Rechtsgrundlage stützt sich die österreichische Sicherheitsverwaltung, wenn sie Fremde, die augenscheinlich der Pass- und Sichtvermerkspflicht (§ 15 FPG) nicht genügen und ebenso augenscheinlich aus sicheren Drittstaaten sowie zuletzt aus "Dublin"-Staaten kommen, entgegen § 41 FPG nicht an der Einreise in das Bundesgebiet bzw. der Durchreise durch dieses hindert?

16. Auf welcher Rechtsgrundlage werden Fremde, die augenscheinlich nicht zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind und augenscheinlich kein Interesse an Asyl in Österreich haben, unter Mitwirkung der staatlichen Sicherheitsverwaltung und unter Zuhilfenahme staatlicher Mittel durch Österreich an die BRD-Grenze befördert?

 

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diese Anfrage im Sinne der Bestimmungen des §61 GO-BR dringlich vor Eingang in die Tagesordnung zu behandeln und dem Erstunterzeichner Gelegenheit zur Begründung zu geben.

 

Wien, den 29.10.2015

 

 

 

 



[1] http://derstandard.at/2000022132846/Ungarn-wirft-Faymann-Luegenkampagne-vor

[2] http://www.salzburg.com/nachrichten/dossier/fluechtlinge/sn/artikel/holocaust-vergleich-faymanns-fuehrt-zu-diplomatischem-eklat-165543/

[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/werner-faymann-ueber-ungarn-fluechtlingspolitik-erinnert-an-holocaust-a-1052448.html

[4] https://www.tagesschau.de/ausland/faymann-orban-101.html

[5] http://www.focus.de/kultur/medien/tagesschau-und-tagesthemen-ard-raeumt-falsches-fluechtlingsbild-ein_id_5001222.html