3169/J-BR/2016

Eingelangt am 14.07.2016
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

der BundesrätInnen Ewa Dziedzic, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Inneres

 

betreffend Personenstandsänderungen für Intergeschlechtliche Menschen

 

BEGRÜNDUNG

 

 

Die Situation von  intergeschlechtlichen Menschen in Österreich ist völlig unerforscht. Es gibt keinen gesellschaftspolitischen Diskurs, keine politische Debatte im Parlament, keinerlei Zahlen und Fakten von wie vielen Menschen wir sprechen. Darüber hinaus ist die österreichische Gesellschaft relativ unwissend über die Lebensrealitäten von intergeschlechtlichen Menschen, obwohl es nicht wenige Menschen betrifft. Betroffenenorganisationen gehen von einem Vorkommen von mindestens 1 zu 1.000 aus, das heißt  jedes 1.000 Neugeborene kann keiner der Normkategorien „männlich“ oder „weiblich“ zugeordnet werden.

Der Begriff Inter* charakterisiert eine Variation von Geschlechtsmerkmalen, die bei intergeschlechtlichen Menschen von Geburt an uneindeutig sind. Das ist genetisch bedingt und ist keine Krankheit. Es besteht also kein medizinischer Handlungsbedarf und trotzdem werden kosmetische Operationen durchgeführt, um die betroffenen Menschen in die Kategorie männlich oder weiblich einzuteilen. Das bedeutet, es werden Amputationen und Verstümmelungen von Geschlechtsorganen an kerngesunden Babys oder Jugendlichen durchgeführt, die später im Erwachsenenalter von den Betroffenen als gewaltvoll und traumatisierend erlebt werden.

Massive Menschenrechtsverletzungen an intergeschlechtlichen Menschen sind ein europäisches und weltweites Problem und kein rein medizinisches Thema.

International gesehen war 2015 ein wichtiges Jahr für die Anliegen von Inter* Menschen. Sowohl  der Menschenrechtskommissar des Europarats als auch die Europäische Grundrechteagentur haben Berichte mit Empfehlungen vorgelegt. Konkrete, legistische Handlungsweisen sind möglich, wie das fortschrittliche maltesische Gesetz – der Gender Identity, Gender Expression and Sex Characteristics Act zeigt.

Aktuell gibt es den Fall Alex Jürgen in Oberösterreich vertreten durch den Anwalt Helmut Graupner vom Rechtskomitee Lambda. Alex Jürgen möchte seinen Geschlechtseintrag im Geburtenbuch auf "inter", "anders", "X" oder eine ähnliche Bezeichnung berichtigen lassen. Das Rechtskomitee Lambda schreibt: „Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ist die selbstbestimmte Wahl der Geschlechtsidentität ein fundamentales Menschenrecht, und die eigene Geschlechtszuordnung gehört zum intimsten Bereich der Persönlichkeit eines Menschen, der prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen ist. Alex Jürgen im Personenstandregister (und damit auch in Geburtsurkunden etc.) als männlich oder weiblich auszuweisen, verletzt überdies das Grundrecht auf Datenwahrheit (§ 1 DSG) und stellt eine unrichtige Beurkundung im Amt dar.“

 

 

 

 

Die unterfertigenden BundesrätInnen stellen daher folgende

 

ANFRAGE

 

 

1.    Sind Ihnen diese Empfehlungen zu Inter* des Menschenrechtskommissar des Europarats für Mitgliedsstaaten bekannt?

                                      I.        Wenn ja, welchen Handlungsbedarf sehen Sie in Österreich gegeben?

                                     II.        Bis wann planen Sie diese Empfehlungen umzusetzen?

                                    III.        Falls Sie keine Änderungen planen, warum nicht?

2.    Welche Hindernisse sehen Sie im aktuellen Fall Alex Jürgen eine Personenstandsänderung zu ermöglichen?

                                      I.        Auf welcher fachlichen Grundlage basiert diese Rechtseinschätzung?

3.    Wie rechtfertigen Sie,  dass dem Grundrecht auf Datenwahrheit (§ 1 DSG) durch eine Nichtermöglichung eines richtigen Eintrags ("inter", "anders", "X") im Personenstandsregister widersprochen wird?

I.              Welche Maßnahmen werden hierzu getroffen?

4.    Liegt nach Ihrer Einschätzung hier eine Diskriminierung von Inter*Menschen hinsichtlich des Rechts der Wahl einer selbstbestimmten Geschlechtsidentität vor?

I.              Wenn ja, wie wollen Sie diese Diskriminierung beenden?

II.             Wenn nein, warum nicht?

5.    Für Personen deren Geschlecht weder männlich noch weiblich ist, ist nicht der Eintrag „M" oder „W" an sondern der Eintrag „X" [„or X for unspecified"] vorgesehen (gem. Art. 1 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Anhang 2. Personaldatenseite Absatz 1 Verordnung (EG) 2252/2004 [idF Verordnung (EG) Nr. 444/2009] iVm Teil 1 Abschnitt IV („Technische Spezifikationen für maschinenlesbare Pässe") Nr. 8.6 Feld 11 Zone II des Dokuments Nr. 9303 der ICAO [6th edition 2006]).

I.              Wie werden Sie sicherstellen, dass diese Verordnung in Österreich korrekt angewendet wird?

II.             Welche Maßnahmen sind getroffen worden?

III.            Bis wann ist die durchgehende Anwendung dieser Verordnung geplant?

6.     Österreichische Pässe und Reisedokumente enthalten gemäß der Verordnung Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 biometrische Daten, um eine verlässliche Verbindung zur/zum Inhaber_in herzustellen.

I.              Weshalb sehen Sie die Notwendigkeit von Geschlechtseinträgen für Pässe und Reisedokumente weiterhin gegeben?