3578/J-BR/2018

Eingelangt am 06.11.2018
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Anfrage

 

 

der BundesrätInnen Reinhard Todt, Daniela Gruber-Pruner

Genossinnen und Genossen

an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz

betreffend Unterlaufen des eigenen Vorhabens auf Auflösung von Art 12 B-VG durch die Bundesregierung

 

 

Am 5. November dieses Jahres erschien in der Tageszeitung die Presse folgender Artikel:

 

 

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"diepresse.com", 05.11.2018

„Mindestsicherung: Den Ländern reißt der Geduldsfaden

Die Reform der Mindestsicherung wird seit Monaten verschoben – nun hat es die Regierung plötzlich eilig, diese zu präsentieren. Druck kommt aus den Ländern, die geschlossen vom Bund Taten statt Worte einmahnen.

 

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hatte die Eckpunkte ihrer Reform Ende Mai vorgestellt und ein Gesetz für Sommer versprochen. Dies wurde verschoben. – (c) APA/HERBERT NEUBAUER.

 

Wien. Die Verhandlungen für die Mindestsicherung sind in der Zielgeraden. Angeblich. FPÖ-Regierungskoordinator Norbert Hofer hatte am 17. Oktober davon gesprochen, dass eine Einigung zwischen den Regierungsparteien „noch in dieser Woche“ vorliegen werde. Auch im Sozialministerium spricht man vom „Endspurt“.

 

Nun sind wieder Wochen vergangen und noch gibt es keinen Gesetzesvorschlag. Die Soziallandesreferenten wissen auch nur über Eckpunkte Bescheid. Die wurden bereits im Mai präsentiert, für Sommer wurde ein fertiges Gesetz versprochen. Die Mindestsicherung soll in Zukunft maximal 863 Euro pro Person betragen. Wer nicht ausreichend Deutsch spricht, soll nur 563 Euro erhalten. Als weitere Voraussetzungen sollen Qualifizierungsmaßnahmen, eine unterschriebene Integrationsvereinbarung und ein abgeschlossener Wertekurs vorgesehen werden. EU-Bürger und Drittstaatsangehörige sollen eine fünfjährige Wartefrist bekommen. Und Änderungen soll es auch bei den Kinderzuschlägen geben, die nach Anzahl und Alter variieren sollen.

 

Beschäftigte Gerichte

Das vorgestellte Modell wurde von Opposition und NGOs scharf kritisiert. „Die Kürzungen bei der Mindestsicherung gehen großteils zulasten von Österreichern, die ihr Leben lang, wie immer von der FPÖ propagiert wird, ins System eingezahlt haben“, echauffierte sich etwa der ehemalige SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher. „Wir wollen die Regierung bitten, gegen Armut von Kindern und Alten zu kämpfen – statt diese zu fördern und den kleinen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen“, sagt etwa Klaus Schwertner, der Geschäftsführer der Caritas Wien, zur „Presse“.

 

Die Mindestsicherung ist Ländersache – und der Bund orientiert sich bei seinem Vorschlag stark an Niederösterreich und Oberösterreich. In beiden Bundesländern wurden bereits restriktivere Maßnahmen eingeführt, die mittlerweile allerdings teilweise schon wieder gekippt wurden.

 

Im ÖVP-dominierten Niederösterreich wurde etwa eine Deckelung von 1500 Euro pro Familie eingeführt – die ÖVP Niederösterreich verkündete wenige Monate später erfreut, dass die Kosten für die Mindestsicherung deutlich gesunken seien. Einerseits, weil Menschen weniger Geld erhalten, andererseits, weil sie auch in benachbarte Bundesländer mit höheren Sozialleistungen (wie Wien) abgewandert sind. Die Freude hielt nicht lange, denn der Verfassungsgerichtshof kippte die Regelung im April 2018.

 

Ob das oberösterreichische Modell halten wird, ist noch unklar. Der Verfassungsgerichtshof wird wohl Anfang Dezember darüber entscheiden. Auch der Europäische Gerichtshof ist mit der Causa befasst. Es wird geprüft, ob eine Ungleichbehandlung von In- und Ausländern möglich ist.

 

Es wäre sinnlos, eine Regelung einzuführen, die wenige Tage später wieder gekippt würde – darum wurde die Reform bisher mehrfach verschoben. Nun will Türkis-Blau die Erkenntnisse aber wohl doch nicht abwarten. Man denke darüber nach, die Kritik in der Begutachtungsfrist einzuflechten, heißt es aus Regierungskreisen.

 

Länder stellen sich gegen Bund

Der Grund für die plötzliche Eile: Aus den Bundesländern kommt Druck. Die Landessozialreferenten forderten FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein einstimmig auf, einen Entwurf für ein Grundsatzgesetz vorzulegen und sich mit den Ländern auszutauschen. Das ist noch nicht passiert.

 

Prinzipiell wünschen sich die Länder eine einheitliche Lösung, aber nachdem sich auf Bundesebene nichts bewegt, fangen die Diskussionen in den Ländern wieder an. Vor allem Niederösterreich hat ein Interesse an einer raschen Lösung, denn die freudige Verkündung über sinkende Kosten kehrte sich mit der gekippten Regelung rasch wieder ins Gegenteil. Nun würde man gern einen neuen Reformversuch wagen, und will nicht mehr auf den Bund warten.

 

Auch wenn sich die Bundesländer aktuell in ihrem Angriff auf den Bund einig sind – es ist nicht davon auszugehen, dass das von Dauer sein wird. Während Länder wie Oberösterreich und Niederösterreich restriktivere Regelungen wollen, werden verordnete Kürzungen vor allem in den Bundesländern mit grüner Regierungsbeteiligung auf Widerstand stoßen. Wien hat angekündigt, im Bedarfsfall bis zum Verfassungsgerichtshof zu gehen. Ob das passiert, hängt stark vom Gestaltungsspielraum ab, der den Ländern zugebilligt wird.

 

Der Bund plant, ein sogenanntes Rahmengesetz vorzugeben – die Detailausgestaltung soll auch weiterhin den Ländern obliegen. Sie können etwa entscheiden, ob die Mindestsicherung zu einem Teil in Sachleistungen erfolgt. Prinzipiell stagniert die Mindestsicherung erstmals seit vielen Jahren. Grund dafür ist die Hochkonjunktur, die damit einhergehende sinkende Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Flüchtlingszahlen. Das neue Gesetz zur Mindestsicherung sollte ab 1. Jänner 2019 in Kraft treten. Das wird sich aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht ausgehen.“

Mit Pressekonferenzen und vollem Getöse feierte die Bundesregierung ihren Entwurf zur Kompetenzbereinigung, welcher es zentralen Inhalt die Auflösung des Kompetenztatbestandes von Art. 12 B-VG vorsieht. In gewissen Materiengesetzen, beispielsweise im Armenwesen, unternimmt die Bundesregierung jedoch alles, um diesen Kompetenztatbestand einzubetonieren.

 

 

Aus den erwähnten Gründen richten die unterzeichneten BundesrätInnen daher an den Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz folgende

 

 

Anfrage:

 

 

1.         Warum wurde in ihrem Entwurf der Art. 12 B-VG nicht zur Gänze aufgelöst?

 

2.         An welchen konkreten Einwänden scheiterte im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen eine Einigung mit den Bundesländern?

 

3.         Was wurde insbesondere beim Kompetenztatbestand Armenwesen gegen eine Auflösung vorgebracht?

 

4.         Stellt eine weitere Verwendung des Art. 12 B-VG gerade in sensiblen politischen Materien das Vorhaben der gänzlichen Auflösung nicht in Frage?

 

5.         Wenn der Bund nunmehr ein Grundsatzgesetz im Bereich Armenwesen vorgelegt, welches in Ausführungsgesetzen durch die Länder im Detail verschieden geregelt wird, was spricht dann dagegen, den Art. 12 B-VG im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ebenfalls weiter aufrechtzuerhalten, da ja eine Falländerung dieser Materie auf breite Kritik stößt?