3611/J-BR/2018

Eingelangt am 20.12.2018
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

 

der Bundesrätlnnen Dr. Ewa Dziedzic, David Stögmüller, Kolleginnen und Kollegen

an den Bundeskanzler

betreffend rechtswidrige Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld durch die SVA

BEGRÜNDUNG

Eltern von Kindern der Geburtenjahrgänge 2012, 2013 und 2014 erleben derzeit eine böse Überraschung. Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) übermittelt vielen Betroffenen per Bescheid den Widerruf der Zuerkennung des (damals) bezogenen Kinderbetreuungsgeldes sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung der (angeblich) „unberechtigt empfangenen Leistung“.

Betroffen sind Eltern, die während der Karenzmonate zwar die gesetzlich geregelte Zuverdienstgrenze eingehalten, es aber verabsäumt haben, der SVA eine zeitliche „Aufschlüsselung“ zu übermitteln, aus der hervorgeht, wann welche Einkünfte erzielt wurden. Sofern eine derartige „Abgrenzung“ nicht vorliegt, zieht die SVA zur Beurteilung der Frage, ob die zulässige Zuverdienstgrenze überschritten wurde, nicht die maßgeblichen Einkünfte während des Karenzgeldbezuqes heran, sondern die gesamten Einkünfte eines Jahres.

Siehe dazu auch die Berichterstattung im „Standard“ vom 26.11.2018:

https//derstandard.at/2000092102048/Wenn-SeIbststaendige-ploetzlich-tausende-Euro- Kindergeld-zurueckzahlen-muessen

Genau zu dieser Praxis der SVA liegt aber bereits seit 23.05.2018 (im RIS abrufbar seit 09.07.2018) eine Entscheidung des OGH vor (10ObS146/17v) vor, demzufolge die von der SVA vertretene Rechtsansicht, wonach in derartigen Fällen das Karenzgeld  zurückzubezahlen sei, falsch und ein diesbezüglicher Bescheid rechtswidrig ist.

Konkret hat der OGH in seinem oben zitierten Erkenntnis festgehalten:

[,.,] Der Gesetzeswortlaut bezeichnet daher - bereits seit der Novelle BGBl I 2009/116 - nur solche Erwerbseinkünfte als für die Beurteilung der Zuverdienstgrenze für das Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens maßgeblich, die während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes erzielt werden. [..]

Das Unterlassen einer Zuordnungserklärung ändert jedoch nichts daran, dass dann, wenn sich der Versicherungsträger wie hier auf den objektiven Rückforderungstatbestand des § 31 Abs 2 Satz 2 KBGG beruft, lediglich zu prüfen ist, ob die Zuverdienstgrenze im Sinn des § 24 Abs 1 Z 3 KBGG überschritten wurde. Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist dafür aber nicht auf ein Jahreseinkommen (auf das Kalenderjahr stellt § 2 Abs 1 Z 3 KBGG für das pauschale Kinderbetreuungsgeld ab), sondern auf die während des Bezugs des Kinderbetreuungsgeldes erzielten Einkünfte abzustellen.“

 

Trotz dieser klaren Entscheidung des Obersten Gerichtshofs hielt die SVA auch nach Veröffentlichung des Erkenntnisses weiterhin an der Praxis fest, in gleich gelagerten Fällen per Bescheid die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgeldes zu widerrufen und die Betroffenen zur Rückzahlung der „unberechtigt empfangenen Leistung“ zu verpflichten. Seitens der SVA wurden derartige Bescheide noch im November 2018 erlassen.

Die Vertreterin der Grünen Wirtschaft im SVA-Vorstand, Sabine Jungwirth, hat daraufhin am 06.12.2018 an den Obmann der SVA, Dr. Harald Mahrer, schriftlich mehrere Fragen zum Thema „Rückforderung Kinderbetreuungsgeld“ gestellt, die von diesem am 11.12.2018 beantwortet wurden.

Im Antwortschreiben des SVA-Obmanns wird einleitend ausgeführt:

Das Kinderbetreuungsgeld vollzieht die SVA wie andere Krankenversicherungsträger im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundesministeriums für Familien und Jugend (§ 25 Abs. 2 KBGG) [...] Die SVA kann hier aber nicht autonom agieren und ist in ihrer Vollzugspraxis strikt an die Vorgaben des Bundesministeriums gebunden. “

Dazu ist festzuhalten, dass ein Bundesministerium für Familien und Jugend nicht existiert. Es gibt lediglich eine Bundesministerin für Familien und Jugend im Bundeskanzleramt. Mit dem Vollzug des KBGG ist gem. §48 grundsätzlich zwar die Bundesministerin für Familie und Jugend betraut. Das Weisungsrecht in dem angeführten § 25 Abs. 2 KBGG kommt aber ungeachtet des generellen Zuständigkeitsbereiches der Familienministerin nach dem Wortlaut des Gesetzes dem Bundeskanzler zu:

„Die Krankenversicherungsträger sowie die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse in ihrer Funktion als Kompetenzzentrum und Verbindungsstelle (Abs. 3) haben die ihnen nach diesem Bundesgesetz übertragenen Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers zu vollziehen.“

Laut SVA-Obmann Mahrer wurde die zitierte OGH-Entscheidung den vollziehenden Krankenversicherungsträgern offiziell am 14.9.2018 zur Kenntnis gebracht:

„Am 14. September wurden die Entscheidung des OGH samt Vollzugsanweisung den vollziehenden Krankenversicherungsträgern im Wege des KBG-Informationsportals offiziell zu Kenntnis gebracht “

Die SVA erlasse aber weiterhin (Anm.: rechtswidrige) Bescheide, weil diesbezüglich eine Weisung „des BKA“ zu vollziehen sei:

„Aufgrund der aktuellen Weisungslage des BKA (Anm.: korrekt wäre wohl „des Bundeskanzlers“) ist die SVA - wie auch alle anderen Krankenversicherungsträger - zur weiteren Ausstellung von Rückforderungsbescheiden verpflichtet."

Es stellt sich daher die Frage, warum trotz Kenntnis des entsprechenden OGH-Urteils vom 23.05.2018 (das spätestens am 14.9.2018 den vollziehenden Krankenversicherungsträgern zur Kenntnis gebracht wurde) weiterhin eine inhaltlich offenkundig rechtswidrige Weisung des Bundeskanzlers aufrecht ist, auf die sich die SVA noch im November und Dezember 2018 beim Erlassen materiell rechtswidriger Bescheide beruft. Offenkundig wurde es seitens des Bundeskanzlers unterlassen, trotz Kenntnis der zitierten OGH-Entscheidung im BKA eine rechtskonforme „Weisungslage“ herzustellen, die das Erlassen rechtswidriger Bescheide durch die SVA unterbindet. Dass den Betroffenen dadurch ein „Schaden“ entsteht, ist wohl unzweifelhaft. Daran ändert es auch nichts, dass ihnen das Rechtsmittel der Klage offensteht.

Die unterfertigenden BundesrätInnen stellen daher folgende

ANFRAGE

1.      Gemäß § 25 Abs. 2 KBGG hat die SVA ihre Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundeskanzlers zu vollziehen. Wie lautet die diesbezügliche von SVA-Obmann Dr. Mahrer erwähnte „Weisungslage des BKA“, die die SVA zum Ausstellen rechtswidriger Rückforderungsbescheide „zwingt“?

(Bitte um Übermittlung der zum Zeitpunkt 11.12.2018 geltenden diesbezüglichen Weisung im vollen Wortlaut.)

2.      Seit wann ist Ihnen bzw. im Bundeskanzleramt das Erkenntnis 10ObS146/17v des OGH bekannt, demzufolge die von der SVA vertretene Rechtsansicht, wonach in derartigen Fällen das Karenzgeld zurückzubezahlen sei, falsch und ein diesbezüglicher Bescheid rechtswidrig ist?

3.      Welche Konsequenzen haben Sie bzw. die Bundesministerin im Bundeskanzleramt daraus gezogen?

4.      Warum wurde die „Weisungslage“ gegenüber den Sozialversicherungsträgern nicht unmittelbar nach Bekanntwerden des OGH-Urteils rechtskonform gestaltet?

5.      Wie beurteilen Sie den Umstand, dass aufgrund ihrer Untätigkeit seitens der SVA weiterhin Bescheide erlassen wurden bzw. werden, mit denen von Betroffenen das Kinderbetreuungsgeld rechtswidrig zurückgefordert wurde/wird?

6.      Viele der von diesen SVA-Bescheide Betroffenen haben es im Vertrauen auf die vermeintliche Korrektheit der Behörden oder aus Sorge wegen drohender Verfahrens- bzw. Rechtsanwaltskosten unterlassen, das Rechtsmittel der Klage beim Arbeits- und Sozialgericht einzubringen. Welche Konsequenzen werden Sie bzw. die Bundesregierung daraus ziehen, dass damit einer Reihe von Karenzgeldbezieherlnnen ein beträchtlicher finanzieller Schaden zugefügt wurde?

7.      Was werden Sie unternehmen, um dafür Sorge zu tragen, dass das KBGG künftig so vollzogen wird, wie es gemäß der Judikatur des OGH zu interpretieren ist?