3794/J-BR/2020

Eingelangt am 16.07.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der BundesrätInnen Korinna Schumann, Rudi Kaske, Sandra Gerdenitsch,

Genossinnen und Genossen

an die Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend

betreffend Missstände im Bereich der Erntearbeit

 

 

Begründung:

In der C0VID19-Krise zeigte sich einmal mehr die Wichtigkeit einzelner Arbeitsbereiche, die oftmals

mit dem Wort „Systemrelevant" beschrieben wurde und denen in den Pressekonferenzen der

Bundesregierung blumig gedankt wurde. Die Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, wurden als

HeldInnen bezeichnet, ohne bisher jedoch wirklich jene Anerkennung zu bekommen, die ihnen auch

zusteht. Einer dieser Bereiche ist die Erntearbeit, die für die landwirtschaftlichen Betriebe zentral ist,

um ihre Produkte überhaupt vom Feld und in den Handel zu bekommen.

 

Wie seit langem bekannt ist und durch die neuesten Bilder in den Medien in Erinnerung gerufen

wurde, sind die Bedingungen in vielen Bereichen schlecht, die Bezahlung unglaublich gering und die

Arbeit wirklich hart. Immer wieder treten bei landwirtschaftlichen Betrieben, die ErntearbeiterInnen

beschäftigen, arbeitsrechtlich schwer bedenkliche Umstände bzw. illegale, ausbeuterische Praktiken

ans Tageslicht. Es sind Bilder, die in einem der reichsten Länder der Welt surreal wirken, weil sie in

vielfacher Hinsicht den menschen- und grundrechtlichen Bestimmungen zuwider laufen und so auch

diese hohen Rechtsnormen an sich ad absurdum führen. So auch in den vergangenen Wochen:

 

Mit einem Interview in der „Zeit im Bild" am 16. Juni 2020 hat eine rumänische Erntearbeiterin

Missstände ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Sie und ihre KollegInnen, die seit Ende April als

ErntearbeiterInnen in einem Spargelbetrieb in Mannsdorf/Niederösterreich gearbeitet hatten, hätten

für vier Euro Stundenlohn bis zu 14 Stunden am Tag, an sechs bis sieben Tagen in der Woche arbeiten müssen und seien teils zu acht in einem schimmligen, desolaten Zimmer untergebracht gewesen. Wenige Tage später wurde das betreffende Quartier behördlich gesperrt.

 

Das Tiroler Unternehmen „lmmoservice24" bietet seit Jahren seine Dienste als Arbeitskräfteüberlasser

für Hotellerie und Gastronomie an. Seit Jahren gibt es gegen dieses Unternehmen Beschwerden, vor

allem die Entlohnung der Arbeitnehmerlnnen betreffend. Als nun wegen der C0VID19-Krise der Tiroler Tourismus zum Stillstand kam, sattelte dieser Betrieb kurzerhand um und bietet seither seine Dienste im Bereich der Erntehilfe an. Der ÖGB hat gegen das Unternehmen eine Sachverhaltsdarstellung

wegen Verdachts auf Lohn- und Sozialdumping eingebracht.

 

Am 15. April 2020 wurde durch einen ORF-Bericht öffentlich bekannt, dass die Staatsanwaltschaft

gegen einen oberösterreichischen Gemüseverarbeiter ermittelt. Es geht um den Verdacht der

Freiheitsentziehung. So soll der Landwirt aus dem Bezirk Linz-Land seine ErntearbeiterInnen aus Angst, sie könnten sich mit dem Coronavirus infizieren, über Nacht eingesperrt haben. Auch betreffend Arbeitszeit-Verletzungen laufen Erhebungen: Beschwerden zufolge mussten ArbeiterInnen auf diesem Hof bis zu 72 Stunden pro Woche arbeiten. Weit mehr als die gesetzliche Normalarbeitszeit beträgt.

 

Diese drei Fälle, stehen exemplarisch für strukturelle Probleme und eine mehr als nachlässige

Kontrolle der Arbeitsbedingungen in dieser Branche: Unterentlohnung, unbezahlte Überstunden,

keine und zu geringe Auszahlung der Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld etc.), Verstöße

gegen Arbeitszeitregeln und unwürdige Quartiere sind weit verbreitet.

 

In den drei genannten und vielen anderen Fällen werden die Missstände erst durch mutige

ErntearbeiterInnen bekannt, die diese trotz ihrer prekären Lage bei einer Behörde melden, oder an

Medien weitergeben.

 

Während Gewerkschaften, die Sezonieri-Kampagne, weitere NGOs und AktivistInnen, die gesetzlichen

Interessensvertretungen der in der Landwirtschaft Beschäftigten und selbstverständlich auch jene

landwirtschaftlichen Betriebe, die die gesetzlichen Bestimmungen einhalten oder gar übererfüllen,

sich für faire Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft einsetzen, scheint dies der Bundesregierung

kein besonderes Anliegen zu sein. Dies ist auch an der mangelhaften personellen Ausstattung der

Land- und Forstwirtschaftsinspektionen bemerkbar.

 

Im aktuellen Regierungsprogramm finden sich keine Vorschläge, um die Arbeitsbedingungen in der

Landwirtschaft zu verbessern, lediglich beim Vorhaben „bestehende Jahreskontingente für Saisonniers

für die Landwirtschaft bedarfsgerecht anzupassen" wird auf die „Einhaltung aller arbeitsrechtlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen“ verwiesen.

 

Trotz dieser an sich eher überschaubaren Vorhaben zur Verbesserung der arbeitsrechtlichen

Umstände, zeigte das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend in der COVID-Krise spontan

Aktivität im Bereich der Erntearbeit. Gemeinsam mit dem Landwirtschaftsministerium und anderen

Organisationen wurde die Online-Plattform www.dielebensmittelhelfer.at geschaffen, mit dem Ziel,

Personen, die von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen sind, als ErntearbeiterInnen zu vermitteln.

Bei der Sezonieri-Kampagne haben sich bereits Personen gemeldet, die über die Plattform

www.dielebensmittelhelfer.at vermittelt wurden und von arbeitsrechtlichen Missständen auf den

Betrieben berichteten.

 

Für uns zeigt sich klar: Um die Arbeitsbedingungen im Bereich der Erntearbeit zu verbessern, bedarf es

politischer Initiativen und Maßnahmen, aber auch des entscheidenden politischen Willens und

Durchsetzungskraft gegenüber beharrenden Kräften, die durch die herrschenden Umstände viel Geld

verdienen, das sie unter Einhaltung menschenwürdiger Bedingungen für die ArbeitnehmerInnen nicht

verdienen würden.

 

Wir sehen es als Mitglieder des Parlaments als unsere Aufgabe an, solche Missstände nicht

stillschweigend zur Kenntnis zu nehmen, sondern mit aller Deutlichkeit darauf zu drängen, dass die

Regierung hier aktiv wird und diese Praktiken abstellt. Wir sehen uns den Menschen verpflichtet, die

jeden Tag dafür sorgen, dass Gemüse, Obst und andere landwirtschaftliche Produkte in unseren

Supermärkten und in weiterer Folge auf unserem Tisch landen.

 

Die unterfertigten BundesrätInnen stellen daher folgende

 

Dringliche Anfrage:

 

 

1)   Sind Ihnen die drei genannten Missstände bereits bekannt gewesen?

a.       Wenn ja, welche Schritte wurden von Ihnen oder seitens Ihres Ministeriums gesetzt,

um diese Missstände zu beenden?

b.       Wenn ja: Können Sie ausschließen, dass weitere ähnlich gelagerte Fälle in Österreich

stattfinden?

c.       Wenn ja: Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um solche Missstände in Zukunft

nicht mehr passieren zu lassen?

d.       Wenn ja: Werden Sie gemeinsam mit InteressensvertreterInnen daran arbeiten, hier

wirkungsvolle Mechanismen einzuführen, um entsprechenden Missständen

vorzubeugen?

e.       Wenn ja: Werden Sie sich dafür einsetzen, dass die geschädigten ErntearbeiterInnen

eine Entschädigung für das erlittene Unrecht erhalten?

 

2)      Gerade im Hinblick auf die notwendige verfassungsrechtliche Veränderung des

Landarbeitsrechtes, ist es notwendig, das internationale Übereinkommen Nr.184 sowie die

Empfehlung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) Nr.192 zu ratifizieren. Gedenken Sie das Übereinkommen und die Empfehlung zu ratifizieren?

a.       Wenn ja: Bis wann?

b.       Wenn nein: Was sind die konkreten Gründe, das angeführte Übereinkommen sowie

die genannte Empfehlung nicht zu ratifizieren?

 

3)      Sind Ihnen arbeitsrechtliche Missstände in landwirtschaftlichen Betrieben bekannt, an die

über die Plattform www.dielebensmittelhelfer.at ErntearbeiterInnen vermittelt wurden?

a.       Wenn ja, welche Schritte wurden von Ihnen oder seitens Ihres Ministeriums gesetzt,
um diese Missstände zu beenden?

 

4)      Wie viele Menschen wurden über www.dielebensmittelhelfer.at vermittelt. Listen Sie diese

bitte nach Betriebsart, Bundesland und Herkunft bzw. Ausbildung der vermittelten Personen

auf.

a.       Wie viele Studierende wurden über die Homepage vermittelt?

b.       Welche Gegenleistungen haben sie dafür im universitären Kontext erhalten?

 

5)      Geben Sie bitte einen Überblick über die von www.dielebensmittelhelfer.at vermittelten

Personen hinsichtlich der Dauer ihres Einsatzes bei den einzelnen Betrieben und führen Sie an,

in welchen Betrieben die Menschen tätig waren.

 

6)      Haben Sie, bzw. Ihr Ministerium bei der Vermittlung von Personen über die Homepage

www.dielebensmittelhelfer.at darauf Bedacht genommen, dass die Bezahlungs-, Arbeits- und

Unterbringungssituation der vermittelten Personen einen entsprechenden, angemessenen

Standard hat?

a.       Wenn ja: Beschreiben Sie bitte die Standards, die dafür herangezogen wurden.

b.       Wenn ja: Wie und durch wen wurde die Einhaltung dieser Standards kontrolliert?

c.       Wenn nein: Warum nicht?

 

7)      Wurde bei der Einrichtung der Plattform www.dielebensmittelhelfer.at Vorsorge getroffen,

um landwirtschaftliche Betriebe, die in der Vergangenheit gegen arbeitsrechtliche

Bestimmungen verstoßen haben oder es aktuell tun von der Vermittlung auszuschließen?

a.       Wenn ja: Welche?

 

8)      Lassen Sie sich von den Land- und Forstwirtschaftsinspektionen bzw. von den dafür
zuständigen Mitgliedern der Landesregierungen regelmäßig über deren Tätigkeit im Bereich der Erntearbeit informieren?

a.       Wenn nein, haben Sie vor sich zukünftig regelmäßig über die Tätigkeit der Land- und

Forstwirtschaftsinspektionen im Bereich der Erntearbeit informieren zu lassen?

 

9)      Wie viele MitarbeiterInnen in den Land- und Forstwirtschaftsinspektionen sind aktuell für die

Kontrollen der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe zuständig? Um Aufschlüsselung in

Vollzeitäquivalenten nach Bundesländern wird gebeten.

10)   Wie viele Betriebe unterliegen den Kontrollen der Land- und Forstwirtschaftsinspektionen?

Um Aufschlüsselung nach Bundesländern wird gebeten.

a.       Wie viele Arbeitnehermlnnen sind davon betroffen?

 

11)   Wie viele Betriebe mit vielen ArbeitnehmerInnen wurden im 1. Halbjahr 2020 durch die Land- und Forstwirtschaftsinspektionen kontrolliert? Um Aufschlüsselung nach Bundesländern wird

gebeten.

 

12)   Wie viele Verfehlungen wurden bei den Kontrollen vermerkt? Um Aufschlüsselung nach einzelnen Fällen wird gebeten.

 

13)   Wie viele Strafen wurden Aufgrund der Überprüfungen verhängt und wie viele wurden tatsächlich bezahlt?

 

14)   Wie viele Menschen sind aktuell in der Erntehilfe beschäftigt und wie viele waren es seit der

Etablierung der Homepage www.dielebensmittelhelfer.at? Geben Sie bitte einen Überblick

über die einzelnen Monate, die Herkunft der ErntearbeiterInnen und die Dauer ihrer

Beschäftigung und schlüsseln sie dieses bitte nach Bundeländern auf.

 

15)   Welche Ressourcen sind notwendig, damit Sie sinnvolle Kontrollen im Bereich der

ErntearbeiterInnen setzen und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Menschen in den

Betrieben leisten können?

a.       Nennen Sie bitte die Körperschaften, Vereine und Interessensvertretungen, die hier

Unterstützung leisten sollen.

b.       Nennen Sie bitte die aktuell nicht vorhandenen Ressourcen und wo diese aktuell liegen.

c.       Beschreiben Sie bitte die Problemlage, die es Ihnen aktuell nicht möglich macht, den

Schutz für ErntearbeiterInnen sicher zu stellen.

 

16)   Werden Sie mit Ihrer Kollegin, Landwirtschaftsministerin Köstinger, daran arbeiten, die Missstände im Bereich der Erntearbeit abzustellen?

a.       Wenn ja: Wie wird sich diese Zusammenarbeit gestalten?

b.       Wenn ja: Bis wann werden Sie Maßnahmen präsentieren und entsprechend umsetzen?

c.       Wenn ja: Werden Sie weitere MinisterInnen in diese Bemühungen einbeziehen?

d.       Wenn nein: Wieso nicht?

 

17)   Werden Sie sich dafür einsetzen, dass Betriebe, die sich durch Ausbeutung ihrer

MitarbeiterInnen bereichern, keine nationalen und keine EU-Fördermittel erhalten?

a.       Wenn nein: Wieso nicht?

b.       Wenn ja: Bis wann werden Sie hier eine Lösung präsentieren können?

 

18)   Werden Sie sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen eine EU-weite Lösung für die

prekären Verhältnisse im Bereich der landwirtschaftlichen und der Erntearbeit, sowie in der Lebensmittelbranche (siehe Tönnies in Deutschland) zu erreichen und die benannten

Missstände zu bekämpfen und abzustellen?

a.       Wenn ja: Beschreiben Sie bitte, bis wann hier mit Ergebnissen zu rechnen ist.

b.       Wenn ja: Welche Maßnahmen werden Sie Ihren AmtskollegInnen im Rat vorschlagen?

c.       Wenn nein: Wieso nicht?

 

19)   Sind Sie mit der Kontrolldichte und Kontrolleffizienz im Bereich der Erntearbeit zufrieden oder sollte diese erhöht werden?

 

20)   Welche Maßnahmen haben Sie seit Ihrem Amtsantritt gesetzt, um die Arbeitsbedingungen für

ErntearbeiterInnen zu verbessern?

21)   Welche Maßnahmen planen Sie in Zukunft, um die Arbeitsbedingungen für ErntearbeiterInnen zu verbessern?

 

22)   Halten Sie die derzeitige Verländerung des Arbeitsrechts für Landarbeiterlnnen immer noch für zeitgemäß?

a.       Wenn ja: Warum?

b.       Wenn nein: Welche Maßnahmen werden Sie daher setzen?

 

23)   Planen Sie in Zukunft hinsichtlich der Unterbringungssituation für mehr

Verantwortungsbewusstsein und Sensibilität auf Seiten der Arbeitgeberlnnen zu sorgen?

a.       Wenn ja: Wie?

b.       Wenn nein: Warum nicht?

 

24)   Werden Sie dafür sorgen, dass im Bereich der Erntearbeit flächendeckende COVID19-

Testungen für die in diesem Bereich tätigen Menschen durchgesetzt werden?

a.       Wenn ja: Bis wann?

b.       Wenn nein: Warum nicht?

 

 

Unter einem wird in formeller Hinsicht verlangt, diese Anfrage im Sinne des § 61 Abs. 3 GO-BR vor

Eingang in die Tagesordnung dringlich zu behandeln.