3803/J-BR/2020

Eingelangt am 08.10.2020
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringliche Anfrage

gemäß § 61 Abs. 3 GO-BR

 

der Bundesrätlnnen Korinna Schumann, Genossinnen und Genossen

 

an den Bundesminister für Finanzen

 

betreffend: Gemeindefinanzen in der Krise: Sind die getroffenen Maßnahmen wirklich sinnvoll?

 

Die COVID-19-Krise ist die schlimmste Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise seit dem 2. Weltkrieg, sie ist beispiellos und stürzt Menschen in Existenzängste und Zukunftssorgen.

Der Bundesrat hat, ebenso wie der Nationalrat, wichtige Schritte zur Absicherung von Unternehmen und ArbeitnehmerInnen gesetzt. Die finanzielle Absicherung der österreichischen Gemeinden, insbesondere der Leistungen der Daseinsvorsorge im Interesse der Bürgerinnen und Bürger war immer ein zentrales Anliegen der Länderkammer, die sich der prekären Lage der Kommunen bewusst ist. Zahlreiche Initiativen des Parlaments sind jedoch nicht aufgenommen worden, oder unerledigt geblieben.

Es darf zum einen daran erinnert werden, dass der Bundesrat mit Entschließung vom 4. April 2020 schon auf die prekäre finanzielle Lage der Gemeinden aufmerksam gemacht und den Bundesminister für Finanzen aufgefordert hat

dem Nationalrat und dem Bundesrat ehestmöglich, spätestens jedoch zur Beschlussfassung zum Budget für 2020 im April diesen Jahres, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, mit dem der Bund den Gemeinden die sinkenden Ertragsanteile und die reduzierten Einnahmen aus der Kommunalsteuer abgilt, damit die vollständige Aufrechterhaltung der Gemeindeleistungen für die Österreicherinnen und Österreicher in der Krise und der anschließenden Phase der wirtschaftlichen Erholung finanziert werden kann.[1]

Zum anderen hat der Bundesrat mit Entschließung vom 4.6.2020 neuerlich die Aufforderung an die Bundesregierung, und insbesondere den Finanzminister gerichtet,[2]

dem Nationalrat und dem Bundesrat ehestmöglich, spätestens bis 30. Juni 2020, einen Gesetzesvorschlag vorzulegen, mit dem der Bund den Gemeinden die sinkenden Ertragsanteile sowie die reduzierten Einnahmen aus der Kommunalsteuer abgilt, und zusätzlich ein Konjunkturpaket für Gemeinden zur Umsetzung von Projekten für die Ankurbelung der örtlichen Wirtschaft finanziert wird, für welches die Gemeinden die Mittel bis 30.8.2020 direkt vom Bund ausgezahlt erhalten, damit die vollständige Aufrechterhaltung der Gemeindeleistungen für die Österreicherinnen und Österreicher in der Krise und der anschließenden Phase der wirtschaftlichen Erholung finanziert werden kann.“

 

Die Bundesregierung und Sie, Herr Finanzminister, kamen der Entschließung des Bundesrates, wenn überhaupt dann nur teilweise nach, die Aufforderung von Juni haben Sie offenbar ignoriert. Die SPÖ hat das Kommunalinvestitionsgesetz nicht nur wegen des unzureichenden budgetären Rahmens, sondern auch der verfehlten Konstruktion der Kofinanzierung durch die Gemeinden immer kritisiert. Als Alternativvorschlag legten wir am 24.6.2020 den Antrag auf einen Finanzierungs-Zweckzuschuss vor, der vorgesehen hat, rund 2 Mrd. € nach dem Bevölkerungsschlüssel auf die Gemeinden zu verteilen und bis Ende August 2020 auszuzahlen, womit jede Gemeinde mit dem Geld im Sinne der BewohnerInnen hätte arbeiten können.[3] Die Gemeinden wussten auf Grund des Antrages schon, wie hoch der auf sie entfallende Zweckzuschuss, den sie bis Ende August 2020 erhalten hätten, gewesen wäre.

Die finanzielle Situation der Gemeinden hat sich über den Sommer nicht verbessert, im Gegenteil, durch die Untätigkeit der Bundesregierung hat sie sich sogar noch verschlimmert. Der mühsam und unter finanziellen und wirtschaftlichen Opfern der ArbeitnehmerInnen und Unternehmen erarbeitete Vorsprung aus dem ersten Lockdown vom Frühjahr wurde von der ÖVP/Grüne-Bundesregierung verspielt. Diese Misere schlägt auch auf die Gemeindefinanzen durch, die Verluste durch Einnahmenausfälle steigen weiter. Die österreichische Bevölkerung wurde massiv von den Covid-Umständen und den wirtschaftlichen Auswirkungen der gesundheitspolitischen Maßnahmen belastet, was auch die finanzielle Situation der Gemeinden dramatisch verschlechtert. Den Kommunen wurde die Chance genommen, einen Teil der Finanzierung des Konjunkturaufschwungs zu übernehmen. Viele Gemeinden mussten bereits ihre Investitionen zurückfahren um die laufenden Ausgaben gerade noch stemmen zu können. ExpertInnen des KDZ – Zentrum für Verwaltungsforschung rechnen alleine 2020/2021 mit einem Rückgang von mindestens 20 - 30 Prozent. Das sind rund 1,2 Milliarden bis 1,6 Milliarden Euro pro Jahr, die vor allem der regionalen Wirtschaft fehlen werden.

ÖGB-Präsident Katzian fordert im Ö1-Morgenjournal vom 5. Oktober 2020 neuerlich ein Milliardenkonjunkturpaket für die Gemeinden. Im September 2020 waren 408.853 Arbeitslose und SchulungsteilnehmerInnen gemeldet, 74.809 mehr als im Vorjahr. Zugleich gibt es zu wenig Arbeit, wenn dem gegenüber nur 67.119 offene Stellen verfügbar sind.[4] Staatliche Gelder in den öffentlichen Verkehr, die Digitalisierung und Bildung, Wohnen sowie Umwelt- und Energiepolitik aber insbesondere auch mehr Mittel im Sozialbereich, etwa bei der Pflege, sind notwendig und zu begrüßen.[5] Um die Leistungen der Daseinsvorsorge sicherzustellen, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen und Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen, braucht es eine hundertprozentige Abgeltung des krisenbedingten Einnahmenentfalls (Kommunalsteuer, Ertragsanteile) für Städte und Gemeinden und ein öffentliches Beschäftigungs- und Konjunkturpaket zur Ankurbelung der regionalen Wirtschaft.[6]

Die Menschen in Österreich sind in besonderer Form doppelt durch die Krise getroffen. Durch Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit verlieren sie Einkommen, die Krise schlägt sich also voll auf das private Haushaltseinkommen durch. Zugleich erleben wir aber auch, dass Branchen, die für den Wirtschaftsaufschwung dringend notwendig wären, auf Grund fehlender Mittel einbrechen und durch falsche oder fehlende Maßnahmen massiv Schaden nehmen. Dazu gehören auch die Gemeinden, die nicht mehr in der Lage sind, die kommunalen Leistungen in vollem Umfang zu erbringen, oder – wie dringend notwendig und für eine qualitätsvolle Leistungsbilanz für die EinwohnerInnen sinnvoll – Investitionen zu tätigen und Arbeitsplätze zu schaffen.

Diesen Schaden zahlen letztlich wir alle, nämlich dann, wenn bei der Finanzierung der öffentlichen Grundversorgung und den Leistungen der Daseinsvorsorge Sparmaßnahmen angedacht werden müssen und in weiterer Folge, wenn die wirtschaftliche Erholung auf Grund der Entscheidungen in der Krise nicht schnell genug erfolgen wird. Die Bundesregierung muss endlich die Städte und Gemeinden finanziell ausstatten, damit diese ihren Aufgaben gerecht werden können und auch die regionale Wirtschaft durch entsprechende Investitionen gestärkt wird. Das schafft Arbeit und Wertschöpfung und ist gesellschaftlich wertvoll. Die Stärkung und Sicherung der regionalen Wirtschaft ist einer der wichtigsten Bausteine für die gesamte volkswirtschaftliche Konjunkturentwicklung Österreichs, die Gemeinden als Auftraggeber und Finanzierer der Wirtschaft können Arbeitsplätze und wirtschaftliche Strukturen erhalten, die für die kommende Konjunkturerholung dringend benötigt werden. Es kostet vielmehr einen Arbeitsplatz in der Krise zu verlieren, als ihn durch Konjunkturprogramme der Gemeinden zu finanzieren und zu erhalten. Das Risiko, dass Arbeitsplätze zur Gänze verloren gehen, kann durch intelligente Krisenpolitik verhindert werden – dafür müssen die Gemeinden mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet sein.

Anlässlich der Präsentation des Gemeindefinanzberichtes für Tirol, betonte Landeshauptmann Platter, dass die Gemeinden ein wichtiger Konjunkturmotor sind und es insbesondere in schwierigen Zeiten Aufgabe der öffentlichen Hand sei zu investieren und existenzsichernde Ausgaben zu tätigen (immerhin sind 1/3 der Tiroler Gemeinden stark oder vollverschuldet).[7] Der Kurier berichtete von einem Milliardenminus für die Länder, und auch die Gemeinden werden aus dem Finanzausgleich weniger Ertragsteile erhalten als 2019. Der Städtebund und das KDZ wiesen erst letzten Monat darauf hin, dass die Städte und Gemeinden für 2020 und 2021 zumindest 1 Mrd. € benötigen werden, um die laufenden Kosten abzudecken, von einem Gemeindeinvestitionspaket seitens des Bundes ist keine Rede.[8] Der theoretisch positive Effekt, der vor dem Sommer beschlossenen Gemeindemilliarde, wird durch die ausfallenden Einnahmen aus der Steuerreformsenkung, die der Bund den Gemeinden nicht kompensieren will, wieder zunichte gemacht. Die Zahl der Gemeinden mit einem Budgetverlust könnte sich angesichts der Krise verdreifachen, es fehlen nicht nur mehr als eine halbe Milliarde Euro Ertragsanteile (-10%), sondern auch die wegbrechende Kommunalsteuer (-6%) und die ausbleibenden Einnahmen aus den Tourismusabgaben führen bei gleichzeitig steigenden Kosten für die Sozialhilfe und das Gesundheitssystem zu einem Milliardenloch. Angeblich sind von 500 Mio. € Fördermilliarde des KIG für 2020 nur 50 Mio. €, also nur ein Zehntel, abgerufen worden.


                               Quelle&Grafik KDZ: https://www.kdz.eu/de/content/corona-krise-trifft-gemeinden-auch-2021-stark

 

 

Die unterzeichnenden BundesrätInnen stellen daher nachstehende

 

Dringliche Anfrage:

 

1.     Zum Stand 30.9.2020: wie viele Anträge auf Zweckzuschüsse nach dem KIG 2020 wurden von allen Österreichischen Gemeinden gestellt (bitte um Angabe der Fallzahl)?

2.     Zum Stand 30.9.2020: wie hoch ist die Summe der Zweckzuschüsse nach dem KIG 2020 in Mio. €, die von allen Österreichischen Gemeinden im Rahmen dieser Anträge beantragt wurde (bitte um Angabe der Summe der beantragten Projektkosten in Mio. €)?

3.     Wie viel Prozent des BIP auf Basis 2019 und 2020 entspricht dieses gesamte bis 30.9.2020 durch die Gemeinden beantragte Zweckzuschussvolumen?

4.     Kann die Krise damit überwunden werden?

5.     Können die Gemeindefinanzen damit saniert werden?

6.     Wie hoch ist der beantragte Durchschnitt je Zweckzuschuss in Mio. € je Projekt, je beantragter Gemeinde (ohne Nullfälle) und je Gemeinde (inklusive Nullfälle)?

7.     Wie viele Anträge/Projekte wurden von den Gemeinden je Bundesland eingereicht und wie hoch sind die Summen der Zweckzuschüsse je Bundesland (bitte um getrennte Angabe je Bundesland für Anzahl der Fälle, Volumen der Zweckzuschüsse und durchschnittliche Höhe der Zweckzuschüsse nach dem KIG 2020 je Bundesland)?

8.     Wie viele Anträge/Projekte für Zweckzuschüsse wurden von den Gemeinden, je Bundesland gegliedert dargestellt, nach den einzelnen Investitions-, Instandhaltungs- und Sanierungskategorien (im KIG 2020 als „Investitionsprojekte“ bezeichnet) eingereicht? Bitte um Auflistung der Anträgefallzahlen sowie der Volumina nach den in § 2 Abs. 2 Z 1-18 KIG 2020 taxativ aufgezählten Kategorien je Bundesland.

9.     Wie hoch werden die Einnahmenausfälle aus den Ertragsanteilen auf Grund der heurigen Covid-Krise für die Gemeinden bis zum 30.09.2020 auf Grund der aktuellen Schätzung des BMF sein (bitte um Angabe des geschätzten Absolutbetrages in Mio. € und in % des Vorjahresertragsanteils)?

10.  Wie hoch werden die Einnahmenausfälle aus den Ertragsanteilen auf Grund der heurigen Covid-Krise für die Gemeinden bis zum 31.12.2020 auf Grund der aktuellen Schätzung des BMF sein (bitte um Angabe des geschätzten Absolutbetrages in Mio. € und in % des Vorjahresertragsanteils)?

11.  Wie viel davon betrifft den Ausfall auf Grund der aktuellen Wirtschaftskrise (in Mio. €) per 30.9. bzw. 31.12.2020?

12.  Wie viel davon betrifft den Ausfall durch die Steuerreform 2020 (in Mio. €) per 30.9. bzw. 31.12.2020?

13.  Wie hoch werden die Ausfälle an Kommunalsteuer und Tourismusabgaben für die Gemeinden im Krisenjahr 2020 voraussichtlich sein (bitte um Angabe des Standes in Mio. € per 30.9. bzw. 31.12.2020)?

14.  Wie hoch sind die Mehraufwendungen der Gemeinden für die gesetzten bzw. zu setzenden Maßnahmen aufgrund der Covid-Krise (bitte um Angabe des geschätzten Absolutbetrages in Mio. €)?

15.  Wie viele Gemeinden haben noch keinen Antrag auf Zweckzuschuss aus dem KIG 2020 gestellt?

16.  Gibt es einen Zusammenhang zwischen der finanziellen Situation der Gemeinde und der Konstruktion des KIG 2020, dass nämlich 50% der Gelder von der Gemeinde kofinanziert werden müssen? Wenn ja, welchen?

17.  Wie viele Abgangsgemeinden, die ihre laufenden Ausgaben und die Darlehenstilgungen nicht mehr mit eigenen Einnahmen finanzieren können, sind dem Finanzministerium mit Stand 30.09.2020 bekannt?

18.  Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung, bzw. werden Sie als Finanzminister setzen, um die Abgangsgemeinden in der Covid-Krise zu unterstützen?

19.  Welche Maßnahmen zur Sicherung der Gemeindefinanzen werden Sie setzen, bis wann und wie hoch wird das Volumen sein?

20.  Einige Städte und Gemeinden haben um den Arbeitsmarkt zu entlasten erstmals oder mehr Lehrlinge als in den letzten Jahren aufgenommen. Wird dieser Mehraufwand der Städte und Gemeinden durch den Bund ersetzt bzw. sind finanzielle Maßnahmen zur Stützung von Ausbildung von Lehrlingen in Städten und Gemeinden geplant?

21.  Wenn keine Maßnahmen geplant sind, warum nicht?

22.  Bis wann setzen Sie die Entschließungen des Bundesrates 350/UEA-BR/2020 „Sicherung der Gemeindefinanzen in der Krise“ vom 4. April 2020 und 366/UEA-BR/2020 „Sicherung der Gemeindefinanzen in der Krise“ vom 4. Juni 2020 um?



[1] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/E-BR/E-BR_00288/index.shtml 

[2] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/E-BR/E-BR_00299/index.shtml 

[3] https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/UEA-BR/UEA-BR_00371/index.shtml 

[4] https://www.ams.at/content/dam/download/arbeitsmarktdaten/%C3%B6sterreich/berichte-auswertungen/001_uebersicht_aktuell_0920.pdf  

[5] APA, 5.10.2020

[6] younion_Die Daseinsgewerkschaft

[7] TT kompakt vom 3.8.2020

[8] https://www.diepresse.com/5864100/coronahilfen-gemeinden-fordern-von-bund-und-landern-zwei-milliarden-euro