1/SB-BR

 

B E G R Ü N D E T E    S T E L L U N G N A H M E

 

des EU-Ausschuss des Bundesrates

vom 5. Oktober 2010

 

gemäß Art. 23g Abs. 1 B-VG in Verbindung mit Art. 6 des Protokolls Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit

 

 

KOM (10) 379 endg.

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatenangehörigen zwecks Ausübung einer saisonalen Beschäftigung

(34897/EU XXIV.GP)

 

Der EU-Ausschuss des Bundesrates kann gemäß Art 23k Abs 3 B-VG in einer begründeten Stellungnahme gemäß Art 23g Abs 1 B-VG bzw. Art 23f Abs 1 B-VG in Verbindung mit Art 6 des Protokolls Nr. 2 (über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit) und mit Art 3 des Protokolls Nr. 1 (über die Rolle der nationalen Parlamente) eine begründete Stellungnahme zur Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip abgeben und insbesondere darlegen, warum der Entwurf eines Legislativvorhabens der Europäischen Union nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Diese Stellungnahme muss binnen acht Wochen nach Übermittlung des Entwurfs erfolgen.

 

Der EU-Ausschuss des Bundesrates hat das oben genannte Vorhaben am 5.10.2010 in öffentlicher Sitzung beraten und kommt zu folgendem Ergebnis:

 

Begründete Stellungnahme an die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Europäischen Kommission

gemäß Art. 5 des Vertrages über die Europäische Union und gemäß Art. 6 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit

 

A.   Stellungnahme

Das gegenständliche Vorhaben ist mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar.

 

B.   Begründung

1.         Die Europäische Kommission hat am 13.07.2010 ihren Vorschlag für die gegenständliche Richtlinie vorgelegt. Der Vorschlag zielt darauf ab, das Verfahren zur Zulassung von Saisonarbeitskräften zu vereinheitlichen und Mindeststandards zu definieren, die bei der Beschäftigung von SaisonarbeitnehmerInnen nicht unterschritten werden dürfen. Dadurch soll der Ausbeutung der SaisonarbeitnehmerInnen entgegengewirkt, ihrem Abdriften in die Illegalität vorgebeugt, Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden. 

 

2.         Die Europäische Kommission bringt in ihren Erwägungen zur Subsidiarität vier Gründe vor, warum die Mitgliedsstaaten diese grundsätzlich zu begrüßenden Ziele nicht ausreichend verwirklichen können. Allerdings kann keine dieser Erwägungen eine Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip begründen.

 

3.         Zunächst wird von der Europäischen Kommission vorgebracht, dass die Entscheidung eines einzelnen Mitgliedsstaates in Hinblick auf Saisonarbeitskräfte aus Drittstaaten zur europaweiten Verzerrung der Migrationsströme führen könnte. Dem ist zu entgegnen, dass die Mitgliedsstaaten gemäß Art 79 Abs 5 AEUV ausschließlich selbst über die Zahl der zuzulassenden Saisonarbeitskräfte entscheiden. Insofern besteht in der Frage des Zulassungsverfahrens kein grenzübergreifendes Problem, das nur durch harmonisierende Maßnahmen auf europäischer Ebene gelöst werden kann.

 

4.         Weiters bringt die Europäische Kommission vor, dass der Schengen-Raum eine solche Regelung erforderlich mache. Die Existenz des Schengen-Raums allein begründet jedoch bei Weitem keine Überforderung der Mitgliedsstaaten. Ansonsten ist dieses Argument ident mit jenem zur Verzerrung der Migrationsströme.

 

5.         Darüber hinaus mache es der Schutz vor Sozialdumping notwendig, einheitliche Mindeststandards auf europäischer Ebene zu definieren. Zwar ist der Schutz vor Sozialdumping ein wichtiges Ziel, das bei allen Maßnahmen der Europäischen Union verstärkt beachtet und gewahrt werden sollte. Jedoch fehlt auch hier im konkreten Fall eine grenzübergreifende Problemstellung. Jedem Mitgliedsstaat ist es derzeit freigestellt, SaisonarbeitnehmerInnen die gleichen Rechte wie inländischen ArbeitnehmerInnen zuzusprechen. Österreich hat dies getan und somit die Möglichkeit, Saisonarbeitskräfte für Lohn- und Sozialdumping zu instrumentalisieren, verhindert. Der derzeitige Vorschlag setzt die Mindestrechte von Saisonarbeitskräften jedoch so niedrig an, dass die Möglichkeiten zur Instrumentalisierung von Saisonarbeitskräften zum Lohn- und Sozialdumping unverändert bleiben. Dies ist auch im Zusammenhang mit der im Lichte der EuGH-Judikatur äußerst unklaren bzw. unbefriedigenden Bestimmung betreffend die Anwendung von Kollektivverträgen (argumento: „allgemeinverbindlich“) zu sehen. Es muss daher sichergestellt sein, dass Kollektivverträge in den Mitgliedstaaten – auch wenn sie nicht im europarechtlichen Sinne als Rechts- und Verwaltungsvorschrift gelten - auf Saisonarbeitskräfte und im Zulassungsverfahren anwendbar sind. Denn nur dann könnte die völlige Gleichstellung von Saisonarbeitskräften mit inländischen Arbeitskräften weiterhin gewährleistet werden. Der derzeitige Vorschlag ist somit nicht geeignet, das angegebene Ziel zu erreichen.

 

6.         Schließlich bringt die Europäische Kommission vor, dass eine einheitliche Regelung ihre Bemühungen in der Zusammenarbeit mit Nicht-EU-Mitgliedsstaaten erleichtern würde. Dies ist kein hinreichendes Argument für die Übereinstimmung mit dem Subsidiaritätsprinzip. Der erhoffte Effekt steht zudem offensichtlich in keinem akzeptablen Verhältnis zu den negativen Auswirkungen.

 

7.         In diesem Zusammenhang weist der Ausschuss darauf hin, dass der Nationalrat in seiner Stellungnahme zum Stockholm Programm bereits deutlich darauf hingewiesen hat, dass das Konzept der zirkulären Migration, das dem vorliegenden Vorschlag zu Grunde liegt, abzulehnen ist. Die Europäische Kommission wird dringend aufgefordert, den Erfahrungen mit der Anwendung dieses Konzepts sowie den wissenschaftlichen Ergebnissen der einschlägigen Forschung stärkere Beachtung zu schenken.

 

8.         Ohne im Rahmen der Subsidiaritätsprüfung auf Details der vorgeschlagenen Regelung eingehen zu können wird festgehalten, dass der Vorschlag in verschiedenen Aspekten praxisfern (zB verschiedene (Rahmen-)Fristen, verwaltungsaufwändig, bürokratisch sowie hinsichtlich der Sanktionen für die Verletzung von Arbeits- oder Beschäftigungsvorschriften (zB illegale Beschäftigung)) teilweise ungenügend und teilweise unklar ist. Den einzelnen Mitgliedstaaten bleibt durch diesen Vorschlag jedenfalls zu wenig Raum, um die  nationalen oder regionalen wirtschaftlichen und rechtlichen Besonderheiten ausreichend berücksichtigen zu können. Im Hinblick auf die äußerst unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten ist daher kein substanzieller europäischer Mehrwert zu erkennen oder zu erwarten.

 

9.         Die vorgeschlagene Regelung ist daher insgesamt nicht geeignet, zu einem besseren rechtlichen Rahmen betreffend die saisonale Beschäftigung von Drittstaatsangehörigen beizutragen, sondern bewirkt primär einen hohen Verwaltungsaufwand und höhlt die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten aus, selbst über den Zugang von Drittstaatsangehörigen zum nationalen Arbeitsmarkt zu entscheiden.

 

10.      Der Richtlinienvorschlag verstößt auch in formeller Hinsicht gegen das Subsidiaritätsprinzip. Art 5 des Protokolls Nr. 2 bestimmt nämlich, dass ein legislativer Vorschlag detaillierte Angaben zu enthalten hat, die es ermöglichen zu beurteilen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten werden. Diese Angaben haben demnach  Aussagen zu den finanziellen Auswirkungen sowie zu den Auswirkungen auf die von den Mitgliedsstaaten und gegebenenfalls auf regionaler Ebene zu erlassenden Rechtsvorschriften zu enthalten. Die Feststellungen betreffend den „europäischen Mehrwert“ müssen auf quantitativen und qualitativen Kriterien beruhen. Die finanziellen Belastungen und der Verwaltungsaufwand für Regierungen, für  lokale und regionale Behörden, für WirtschaftsteilnehmerInnen und BürgerInnen sind so gering wie möglich zu halten und müssen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen. Alle diese Angaben fehlen im Richtlinienvorschlag (und im Arbeitsdokument) oder sind weitgehend substanzlos und nicht nachvollziehbar.

 

11.      Anzumerken ist schließlich, dass die im Richtlinienvorschlag gewählte Rechtsgrundlage des Art 79 Abs 2 lit a und lit b AEUV unzureichend ist, weil diese Bestimmungen keine Grundlage  dafür enthalten, um europäische Regelungen im Sinne der vom Richtlinienvorschlag ausdrücklich beabsichtigten Einwirkungen auf die nationalen Arbeitsmärkte zu erlassen.