„Die föderalistischen Mitwirkungsrechte in der

österreichischen EU-Politik“

 

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 27. Juni 2001

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Gedruckt auf 70g chlorfrei gebleichtem Papier


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 27. Juni 2001

Thema

„Die föderalistischen Mitwirkungsrechte in der österreichischen EU-Politik“


Tagesordnung

I. Eröffnung

II. Referate von

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner

Landeshauptmann von Kärnten Dr. Jörg Haider

Präsident des Salzburger Landtages Univ.-Prof. Dr. Helmut Schreiner

Bundesminister a.D., Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Caspar Einem

Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes Dkfm. Dr. Erich Pramböck

Gesandter-Botschaftsrat Dr. Klemens H. Fischer

Staatssekretär a.D., Abg. z. Bayerischen Landtag Alfons Zeller

Ständerat Dr. Thomas Pfisterer, Schweiz

III. Diskussion

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Präsident des Bundesrates Ing. Gerd Klamt ....................................................... 3

II. Referate

Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Benita Ferrero-Waldner ........... 4

Landeshauptmann von Kärnten Dr. Jörg Haider .................................................. 8

Präsident des Salzburger Landtages Univ.-Prof. Dr. Helmut Schreiner .............. 13

Bundesminister a.D., Abgeordneter zum Nationalrat Dr. Caspar Einem ............... 18

Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes Dkfm. Dr. Erich Pramböck              22

Gesandter-Botschaftsrat Dr. Klemens H. Fischer .............................................. 25

Staatssekretär a.D., Abg. z. Bayerischen Landtag Alfons Zeller ........................ 30

Ständerat Dr. Thomas Pfisterer, Schweiz ......................................................... 33

III. Diskussion

Bundesrat Ludwig Bieringer ........................................................................... 36

Bundesrat Albrecht Konečny .......................................................................... 37

Bundesrat Dr. Peter Böhm .............................................................................. 39

Bundesrat Stefan Schennach .......................................................................... 40

Mag. Nikolaus Drimmel, Österreichischer Gemeindebund ................................ 42

Stellvertretender Landtagsdirektor von Vorarlberg Dr. Johannes Müller ............... 43

Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon ........................................................... 44

Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger ............................................................ 45

Bundesrat Jürgen Weiss ................................................................................. 46

Präsident des Salzburger Landtages Univ.-Prof. Dr. Helmut Schreiner .............. 47

Dr. Andreas Kiefer, Salzburg .......................................................................... 49

Schlusswort

Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach ............................ 50

 

 

Beginn der Enquete: 9.07 Uhr

I. Eröffnung


Vorsitzender Präsident Ing. Gerd Klamt¦: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich er­öffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Die föderalistischen Mitwirkungsrechte in der österreichischen EU-Politik“ und danke Ihnen, dass Sie die Einladung zu dieser Enquete an­ge­nommen haben.

Ich freue mich, dass die Initiative zur Behandlung dieses wichtigen Themas während meiner Prä­­si­dentschaft vom Bundesrat ausgegangen ist, der dieses Thema als Länderkammer be­setzen muss.

Namens des Bundesrates der Republik Österreich darf ich zunächst die Referenten begrüßen und beginne mit der Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten, Frau Dr. Benita Ferrero-Waldner. – Ich begrüße Sie sehr herzlich. (Allgemeiner Beifall.)

Sehr herzlich begrüße ich den Vorsitzenden der Landeshauptmännerkonferenz, Herrn Landes­hauptmann Dr. Jörg Haider. (Allgemeiner Beifall.)

Weiters begrüße ich ganz herzlich Herrn Landtagspräsidenten Dr. Helmut Schreiner. (Allge­meiner Beifall.)

Ebenfalls sehr herzlich begrüße ich den Abgeordneten zum Nationalrat, Bundesminister a.D. Dr. Cas­par Einem. (Allgemeiner Beifall.)

Herzlich begrüßen möchte ich auch den Generalsekretär des Städtebundes, Dr. Erich Pram­böck. (Allgemeiner Beifall.)

Ich darf auch jene Referenten begrüßen, die den Weg aus dem Ausland zu uns gefunden ha­ben, und begrüße Herrn Botschaftsrat Dr. Klemens Fischer aus Brüssel. (Allgemeiner Beifall.)

Weiters begrüße ich Herrn Staatssekretär a.D., Landtagsabgeordneten Alfons Zeller aus Mün­chen. (Allgemeiner Beifall.)

Ganz herzlich begrüße ich Herrn Ständerat Dr. Thomas Pfisterer als Vertreter der Schweizer Kanto­ne. (Allgemeiner Beifall.)

Ich begrüße sehr herzlich alle Mitglieder des Nationalrates und des Bundesrates, die Lan­des­hauptleute beziehungsweise deren Vertreter, die Landtagspräsidenten und deren Vertreter, die Vertreter der Ressorts sowie die Vertreter des Gemeindebundes und des Städtebundes.

Nicht zuletzt darf ich auch die Vertreter der Medien sehr herzlich begrüßen. Meine sehr ver­ehrten Damen und Herren von den Medien! An Ihnen wird es liegen, den Geist dieser Veran­staltung zu erfassen und zu vervielfältigen. Ich hoffe auf Ihre Mitarbeit und darf Sie sehr herzlich willkommen heißen. (Allgemeiner Beifall.)

Notwendige Veränderungen, die Bestand haben sollen, können nicht von oben verordnet wer­den, sie müssen von unten nach oben getragen werden. Die vielen Eindrücke, die ich als Prä­sident des Bundesrates in diesen sechs Monaten gewinnen konnte, haben mich persönlich in meinem Föderalismusdenken ungemein bestärkt. Ich kann festhalten, dass ich zuerst Kärntner bin, dann bin ich Österreicher, und ich bin zuerst Österreicher und dann Europäer.

Das Thema der heutigen Enquete ist sehr wichtig. Es geht um eine Mitwirkung von unten nach oben, die abgesichert werden muss. Dem Bundesrat, dem ich jetzt die Ehre habe vorzustehen, kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Der österreichische Bundesrat muss zum Garanten für diese Absicherung werden und zum politischen Kompetenzzentrum der öster­reichischen Republik ausgebaut werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Tagesordnung ist Ihnen zugegangen. Zunächst wer­den die Referenten zu uns sprechen, und sodann ist eine Diskussion vorgesehen. Zur Teil­nahme an dieser Diskussion bitte ich Sie, sich mit dem vorgedruckten Kärtchen schriftlich anzu­melden und dem Beamten an meiner Seite Ihre Wortmeldung zu geben.

Die Redezeit beträgt für jeden Referenten je 15 Minuten, für den ersten Bundesrat pro Fraktion 10 Minuten, für alle anderen Teilnehmer maximal 5 Minuten, und ich ersuche Sie, diese Rede­zeiten einzuhalten.

Ferner möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass von den Stenographen über die Ver­hand­lung der Enquete ein Protokoll erstellt wird, das sämtlichen Teilnehmern nach seiner Herausgabe übermittelt werden wird, und ich bitte Sie daher, vom Rednerpult aus zu sprechen.

Ich bitte nunmehr die Referenten um ihre Referate und darf als erste Referentin Frau Bundes­ministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner ans Rednerpult bitten. – Bitte.

II. Referate

9.14


Referentin Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten Dr. Benita Ferrero-Waldner¦: Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine sehr geehrten Damen und Herren Bundesräte! Lassen Sie mich sagen, dass ich mich besonders freue, dass es nach der Enquete im Nationalrat nun auch eine Enquete hier im Bundesrat gibt.

Ich habe mir überlegt, was der Mehrwert dieser Debatte heute sein kann, und ich glaube, es sind zwei Elemente unserer Verfassungswirklichkeit, die hier zum Tragen kommen, nämlich einer­seits der Parlamentarismus und andererseits der Föderalismus.

Wie man diese Prinzipien ausgestaltet, das ist, so glaube ich, ausschlaggebend für die Frage, wie sich ein Gemeinwesen organisiert. Daher stehen diese Prinzipien auch im Vordergrund der De­batte über die künftige Gestaltung der Union, zu der ich später dann noch ein paar Worte sagen möchte.

Zuerst lassen Sie mich aber doch auf das Motto eingehen, nämlich auf die föderalistischen Mit­wirkungsrechte der österreichischen EU-Politik. Ich möchte dazu 14 Punkte anmerken, in denen ich auch schon auf die Debatte eingehe.

Zum Ersten: Was sind wirklich die föderalistischen Mitwirkungsrechte in Österreich? – Das ist ein Thema, wofür Sie selbst Experten sind, und ich muss sagen, ich versuche, die heutige Ver­an­staltung eher als eine Veranstaltung zu betrachten, bei der wir zuhören, bei der wir gemein­sam nachdenken, um zu sehen, was wir in der Zukunftsdebatte dann dazu einbringen können.

Beginnen wir einmal mit einer Bestandsaufnahme: Seit dem Tag unseres Beitrittsantrages im Jahr 1989 wurde in Österreich ein System der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ent­wickelt, durch das die Länder nicht nur punktuell, sondern gesamthaft in den öster­reichi­schen Meinungsbildungsprozess zur Europapolitik einbezogen werden. Die Verbin­dungs­stelle der Bundesländer, die heute noch zu Wort kommen wird, nimmt eben am gesamten Koordinie­rungs­prozess teil. Außerdem ist sie in die ständige Vertretung in Brüssel integriert, das heißt, sie kann die Länderinteressen aus erster Hand wahrnehmen.

Zweitens: Ich will ein Wort zur verfassungsrechtlichen Verankerung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern sagen. Es gibt meines Wissen nach nur drei EU-Mitgliedstaaten, in denen das Recht der Regionen auf Mitwirkung im europapolitischen Entscheidungsprozess auch ver­fas­sungsrechtlich verankert ist. Österreich ist eines von ihnen, die beiden anderen sind Deutsch­land und Belgien. Unsere Bundesländer und im Übrigen auch der Bundesrat können für die Bundesregierung bindende Stellungnahmen abgeben.

Wie sieht die Praxis aus? – Natürlich ist die Papierflut groß, wenn man sozusagen die Europa­politik hereinnehmen muss, aber ich glaube, bisher haben die Länder diese Aufgabe sehr gut ge­meistert, und ich darf mich bei dieser Gelegenheit auch für die gute Zusammenarbeit be­danken.

Nun ist mir schon bewusst, dass die Länder – übrigens auch der Bund – die Verfahren, in de­nen sich die Europäische Integration abspielt, manchmal oder oft als nicht befriedigend empfin­den. Sie sind dann nicht so sicher, ob sie ihr Unbehagen gegen Wien oder gegen Brüssel aus­sprechen sollen.

Drittens: Ich glaube, Österreich muss nach außen mit einer Stimme sprechen. Es ist schon gut, dass wir alle Auffassungsunterschiede haben, dass wir eine Meinungsvielfalt haben, aber gleich­zeitig müssen wir uns in der Europapolitik doch an sehr präzise Spielregeln halten. Das heißt, es ist oft nicht gut, nach außen hin nicht einheitlich aufzutreten. Ich glaube – das hat sich im­mer wieder gezeigt –, wenn wir zwar die Positionen zuerst im Internen, vielleicht langsam, ab­stim­men, aber dann gemeinsam auftreten, haben wir bis jetzt immer noch die besten Chancen ge­habt, eine Position auf europäischer Ebene durchzubringen. – Ich denke da an die Freizügig­keit des Personenverkehrs und der Dienstleistungen.

Viertens: Regionalismus auf europäischer Ebene – ich möchte damit den rein österreichischen Kontext verlassen und mehr auf die Stellung der Regionen auf europäischer Ebene eingehen – ist ein Thema, mit dem Sie alle hier sehr vertraut sind.

Zuerst ein kurzer historischer Rückblick: Das hat seine historischen Gründe. Der Aspekt des Regionalismus war dem europäischen Integrationsprozess ursprünglich beinahe fremd – auf der einen Seite deshalb, weil es vor allem nur Deutschland und Belgien waren, die als wirklich föderal organisierte Mitgliedsländer gelten konnten, auf der anderen Seite, weil es in den frühen Jahren fast nur andere Kompetenzen, aber kaum Gemeinschaftskompetenzen gab. Das heißt, de facto stellte sich die Frage nicht.

Seither aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat der Regionalismus in Europa durch­aus beachtliche Fortschritte erzielt. Heute gibt es eine ganze Reihe föderaler Mitgliedstaaten, und das Bewusstsein, dass man den Mitspracherechten der Regionen in der einen oder ande­ren Form auch im europäischen Meinungsbildungsprozess Rechnung tragen muss, ist absolut gestiegen.

Wie sieht das erste Ergebnis nun aus? – Die Debatte läuft, wie Sie wissen, seit über zehn Jah­ren. Die ersten Ergebnisse haben sich im Vertrag von Maastricht niedergeschlagen, zu einem Zeit­punkt also, zu dem wir noch nicht dabei waren, wo aber immerhin der Ausschuss der Regio­nen geschaffen wurde. Damit wurden die Regionen zum ersten Mal direkt in das europäische Geschehen eingebunden und bekamen auch zum ersten Mal die Gelegenheit, in einem insti­tutionalisierten Forum über europäische Politik zu sprechen.

Ich weiß, auch das ist aus österreichischer Sicht noch nicht zufrieden stellend. Daher haben wir uns nach unserem Beitritt beharrlich, so kann man sagen, für einen verstärkten Regionalismus ein­ge­setzt. Das erste große Vertragswerk, bei dem wir dann dabei waren – das war der Vertrag von Amsterdam –, hat tatsächlich eine Stärkung des Ausschusses der Regionen gebracht, aber – ich weiß – noch nicht genug. Der Trend geht aber doch in die richtige Richtung.

Durch den Vertrag von Amsterdam wurde die so genannte COSAC institutionalisiert, nämlich die Konferenz der Sonderorgane für EG-Angelegenheiten der nationalen Parlamente. Ich glau­be, auch hier sollten wir uns für die Zukunft anschauen: Ist noch unausgeschöpftes Potenzial vorhanden, das man im Sinne einer bürgernäheren Union ausbauen könnte?

Die Regierungskonferenz im Jahr 2000 hat sich nun ebenfalls dafür eingesetzt, die Rolle der Re­gionen zu stärken. Das hat zugegebenermaßen zu nur bescheidenen Erfolgen geführt, nämlich dass die Mitglieder des Ausschusses der Regionen in Zukunft demokratisch legitimiert sein müssen, was für uns nichts Neues ist, was aber für die Zukunft vielleicht eine Vorstufe dessen sein kann, dass wir uns durch die Regionen besseres Gehör verschaffen.

Fünftens: die Debatte über die Zukunft Europas. Da gehört das Thema Regionalismus zweifel­los zu unseren großen Anliegen, und man muss sich wirklich überlegen, wie wir Europa weiter ge­stalten. Eine inhaltliche Überlegung muss meiner Meinung nach dabei federführend sein: Es muss wirklich der Bürger im Mittelpunkt dieser Entwicklung stehen. Das hat zweifellos das irische Referendum noch einmal stärker für uns alle sichtbar gemacht. Es muss ein spezifischer Mehrwert für den Lebenswert der Europäer gegeben sein.

Daher, meine sehr geehrten Damen und Herren, halte ich es für wesentlich wichtiger, zuerst ein­mal über die Inhalte zu reden als schon wieder über die Institutionen. Ich habe es neulich schon gesagt – das habe ich von Frau Professor Puntscher-Riekmann übernommen; das hat mir sehr gefallen, und das ist auch tatsächlich so –: Europa soll nicht auf dem Reißbrett entwor­fen werden, sondern Europa soll langsam entwickelt werden, und zwar so, dass die Bürger auch mitkönnen.

Sechstens: Spezifizitäten der europäischen Landwirtschaft, Fragen der Umweltpolitik, Fragen einer umweltgerechten Verkehrsentwicklung – das sind die Themen. Ängste, die da sind, zum Beispiel durch Migrationsfragen, Asylpolitik und vieles andere, müssen meiner Ansicht nach in der Zukunftsdebatte ebenfalls angesprochen werden. Die Zukunftsdebatte muss also inhaltlich, aber selbstverständlich – wir alle wissen es – auch institutionell geführt werden, weil es letztlich auch um Machtfragen geht und um Fragen, wie Europa in Zukunft gestaltet werden kann.

Letztlich muss es aber auch um das europäische Gesellschaftsmodell gehen: der Mensch im Mittelpunkt. Auch das ist mir ein großes Anliegen. Das heißt, wir müssen schon auch Antworten finden auf die Fragen der Globalisierung, auf die Fragen der Sozialpolitik, der Arbeitsrechts­poli­tik, der Wirtschaftspolitik, der Gesundheits-, Erziehungs- und, wie ich schon sagte, Umwelt- und Ver­kehrspolitik. Ich glaube, auch die Außenpolitik gehört hierher. Für uns wäre es nur dann ein Ge­winn, wenn Europa mehr als bisher mit einer Stimme sprechen könnte. Es geht in die Rich­tung – das zeigt sich in Mazedonien, das zeigt sich im Nahen Osten –, aber noch nicht stark genug.

Siebentes: Ich glaube, es muss ein Identitätsgefühl des Bürgers da sein. Wir sollten versuchen, ein Europa aufzubauen für Menschen, die auf unserem Kontinent leben, und wir sollten versu­chen, uns auch in diese Menschen hineinzuversetzen. Das ist, so glaube ich, ein wesentlicher An­knüpfungspunkt für den Regionalismus, denn primär – Sie haben es gesagt, Herr Präsident – hat man ein Identitätsgefühl einmal aus der eigenen regionalen Entwicklung heraus, und das ist sehr wesentlich. Also: Region, Nationalstaat und dann Europa. Da kommt natürlich die Frage der Subsidiarität dazu, die ich gleich ansprechen werde.

Aber man muss jetzt auch wieder sagen – das ist die andere Seite –, dass natürlich auch die Ver­fassungen langsam historisch gewachsen sind und jede Verfassungskultur einen spezifisch his­torischen Kontext hat. Das heißt, es wird sehr schwierig sein, europäische Harmonisierungs­be­stre­bungen anzustellen, weil eben die Franzosen eine ganz andere Struktur haben – spre­chen wir es doch aus – als wir zum Beispiel, weshalb wir in dieser Frage einen diametral ande­ren Gesichtspunkt einnehmen werden.

Nun – achtens – noch einmal zum Ausschuss der Regionen: Sie wissen, dass sich Österreich schon in der Vergangenheit kontinuierlich dafür eingesetzt hat, dass der Ausschuss der Regio­nen auch den Status eines vollwertigen Organs erhält. Das sollte bedeuten, dass er das Recht er­hält, Klagen beim Europäischen Gerichtshof zur Wahrung seiner Zuständigkeit einzubringen. Mir scheint, es wäre sehr sinnvoll, wenn andere Organe der Union jeweils begründen müssten, wenn sie sich über die Stellungnahmen des Ausschusses der Regionen hinwegsetzen. Außer­dem, so meine ich, sollte man im Vertrag verankern, dass die Union nicht nur die Identität der Mit­gliedstaaten zu achten hat, was ja schon heute geregelt ist, sondern auch die Identität der Regionen.

Neuntens: Welche anderen institutionellen Fragen in der Zukunftsdebatte sind noch wichtig? – Las­sen Sie mich nur ein paar Worte dazu sagen. Erstens sind mir selbstverständlich die Anlie­gen der österreichischen Bundesländer, die ich als Wunschkatalog natürlich bereits bekommen habe, und auch die Wünsche der konstitutionellen Regionen Europas, die ich genau verfolge, präsent. Viele von ihnen decken sich auch mit unseren Vorstellungen.

Aber lassen Sie mich – zehntens – ein Wort zur Kompetenzdebatte sagen: Natürlich ist die Fra­ge der Kompetenzabgrenzung für die Zukunft sehr wesentlich. Diese Frage wollte man schon re­geln, und man hat versucht, sie über die Subsidiarität zu regeln, nur ist es eigentlich nicht ganz gelungen. Denn Subsidiarität bedeutet zweierlei: Zum einen heißt es, dass Europa das macht, was auf europäischer Ebene und gemeinsam besser gemacht werden kann, als von einem Mitgliedstaat allein. Andererseits heißt es aber auch – das ist der Aspekt, der uns im Zu­sam­menhang mit der Kompetenzabgrenzung besonders interessiert –, dass man den Mitglied­staaten und deren Regionen das überlassen soll, was in deren Händen besser aufgehoben ist.

Zurzeit – das muss man zugeben – funktioniert das Subsidiaritätsprinzip in beide Richtungen nicht zufrieden stellend. Einerseits gibt es Bereiche, in denen wir tatsächlich mehr Europa brau­chen und in denen wir uns mehr Gehör verschaffen wollen, zum Beispiel in der Außenpolitik, in der Außenwirtschaftspolitik, in der äußeren und inneren Sicherheitspolitik, um nur einige der The­­men anzusprechen. Andererseits gibt es aber auch eine Reihe traditioneller Politikbereiche, bei denen man sich überlegen muss, ob denn alles, was auf europäischer Ebene gemacht wur­de, auch auf europäischer Ebene am besten gemacht wird. Ich halte es zwar nicht für ziel­füh­rend, über eine Renationalisierung zu sprechen, aber ich glaube, man sollte zumindest eine Begradigung der Kompetenzen durchführen. Zum Beispiel in der Gemeinsamen Agrarpolitik, für die eine große Reform vorgesehen ist, meine ich, dass wir die agrarpolitische Strukturpolitik ver­stär­ken sollen. Auch im Binnenmarktbereich sollte man sich ansehen, ob alle Regelungen, die im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, überhaupt noch sinnvoll sind. Man sollte sich vor allem auch vor Augen halten, dass wir nicht in jedes Detail hineingehen sollten. Die berühmten Trak­torsitze, die wir alle immer wieder zitieren, sind, so glaube ich, ein eindeutiger Ausdruck von Bürgerferne.

In vielen Fällen wäre es weit besser, ein europäisches Rahmengesetz vorzusehen und indivi­duelle Ausgestaltungsmöglichkeiten zu schaffen. In anderen Punkten würde es vielleicht ausrei­chen, dass die EU nur punktuelle Ergänzungen der nationalen Rechtslage vornimmt. Weniger könnte oft mehr sein.

Elftens: Es gibt in diesem Zusammenhang den Vorschlag, der auch von vielen Vertretern der re­­gionalen Ebene unterstützt wird, ein unabhängiges Gremium zu schaffen, das auf die Ein­hal­tung der Subsidiarität und auch auf die Verhältnismäßigkeit in der Praxis der europäischen Rechts­etzung achten sollte. Diesen Vorschlag würde ich unterstützen und würde dafür plädie­ren, zum Beispiel einen eigenen Senat beim Europäischen Gerichtshof einzusetzen.

Zwölftens ein Wort zum Verhältnis zwischen den Organen: Es geht bei der europäischen Kom­pe­tenzabgrenzung nicht nur um die vertikale, sondern selbstverständlich auch um die horizon­tale Kompetenzabgrenzung zwischen den einzelnen Organen der Union. Wir alle wissen, es hat eine ganze Flut von Wortmeldungen in den letzten Wochen gegeben, aber lassen Sie mich auch hiezu nur ein paar Stichworte sagen:

Ich halte es nicht für realistisch, die historisch gewachsene Organisationsstruktur der Euro­päischen Union einfach zu ändern und ihr Elemente überstülpen zu wollen, die sich einfach nicht herausgebildet haben. Ich glaube, es ist nun einmal die Europäische Union eine Orga­nisa­tion sui generis, die sich im eigenen Rhythmus und im eigenen Licht ihrer Aufgaben entwickeln soll. Daher fände ich es besser, darüber nachzudenken, wie man die Bausteine weiterent­wickeln und verbessern kann.

Ein paar kurze Anmerkungen dazu – das wäre schon mein Punkt 13 –: Für kleinere Mitglied­staaten kann die Stärkung der Europäischen Kommission mit ihrer doch ausgleichenden Wir­kung, so meine ich, nur ein Vorteil sein. Allerdings sollte die Kommission stärker als bisher de­mo­kratisch legitimiert sein. Und ich glaube, es sollte bis auf weiteres auch so bleiben, dass die Kommission nicht nur rein exekutive Funktionen, sondern auch gewisse legislative Funktionen hat.

Auch auf den Rat, meine sehr geehrten Damen und Herren, wird man, so glaube ich, in der Zu­kunft nicht verzichten können. Er ist in den Augen vieler immer noch der beste Garant für die Wahrung der nationalen Identitäten, und dazu bedarf es eben einer Stimmgewichtung, die das Verhältnis der Kleineren und Größeren moduliert. So schlecht sind wir beim Europäischen Rat von Nizza nicht ausgestiegen, das möchte ich auch noch einmal betonen.

Allerdings – das ist richtig, und dafür stehe ich auch ein – müsste man den Rat reformieren, denn sechs sind anders, als wenn man zwanzig oder mehr an einem Tisch haben wird. Daher müs­sen die Ratsentscheidungen effizienter vorbereitet sein, die Präsidentschaft soll von vielen organisatorischen Aufgaben entlastet werden, in der Sprachenfrage muss eine vernünftige Lö­sung gefunden werden – hier denke ich vor allem an die Beamtenebene, nicht so sehr an die politische Ebene –, und es gibt meiner Meinung nach eine ganze Reihe von Möglichkeiten, viele Din­ge auch schriftlich zu erledigen und Debatten nur mehr über wirklich wesentliche Fragen ab­zu­halten. Ich könnte mir darüber hinaus vorstellen, dass der Rat dort, wo er als Legislativorgan fungiert, auch öffentlich tagt.

Zur parlamentarischen Komponente noch ein Wort: Das Europäische Parlament soll sicher ge­stärkt und seine Zuständigkeit erweitert werden. Hier könnte ich mir auch vorstellen, dass man doch dieses meiner Ansicht nach wirklich überholte Drei-Säulen-Modell in ein einziges Ver­fahren einbringt und nur mehr ein Verfahren hat.

Wichtig wäre auch, die Gemeinsame Agrarpolitik zu normalisieren, indem man die Budgetrechte des Europäischen Parlaments stärkt und vor allem das Agrarbudget voll dem Europäischen Parla­ment unterwirft.

Die Rolle der nationalen Parlamente ist hier natürlich auch sehr wesentlich. Es ist sicher ein de­mo­­kratisch absolut legitimes Anliegen aller nationalen Parlamentarier, in den EU-Ent­schei­dungs­prozess direkt eingebunden zu sein, denn sie verkörpern natürlich die demokratische Le­giti­mität in den Augen der meisten Mitglieder. In Österreich ist das Parlament sehr stark ein­ge­bun­den. Mit Dänemark zusammen sind wir die beiden Länder, in denen das Parlament die stärksten Mitwirkungsrechte hat.

Die Idee, eine zweite Kammer zu kreieren, halte ich jedoch für keine besonders gute. Ich glau­be, es ist mehr eine Alibimaßnahme. Ich würde eher dafür plädieren, dass man vielleicht ge­mein­same Kommissionen, gemeinsame Ausschüsse hat. Das ist eine Idee aus dem amerika­ni­schen Parlament, in dem Kongress und Senat zusammenarbeiten. Das könnte man, so glaube ich, ganz gut verbessern, und das würde den Entscheidungsprozess nicht verlängern.

Jedenfalls stimme ich dem von den Regionen vorgetragenen Vorschlag zu, dass man über eine bes­sere Zusammenarbeit mit den Regionen noch nachdenken soll und dass man in dieser offe­nen Debatte, die jetzt stattfindet, die Regionen selbstverständlich voll anhören soll.

Und ein letzter Punkt – mein 14. Punkt – auch nur sehr kurz: Sie wissen ja, es gibt bereits eine Dis­­kussion darüber: Wohin gehen wir? In welchem Verfahren werden wir auf europäischer Ebene diese nächste Regierungskonferenz 2004 vorbereiten? – Ich habe schon öfter für diesen offenen Prozess plädiert. Ob das jetzt genau ein Konvent sein wird oder nicht – er heißt nach dem Wording jetzt auch „Offenes Forum“ –, er wird wahrscheinlich noch mehr Möglichkeiten ha­ben. Hier würde ich dafür plädieren, dass man auch Vertreter der Regionen mit einbezieht. – Ich danke Ihnen. Danke, Herr Präsident. (Allgemeiner Beifall.)

9.35


Vorsitzender Präsident Ing. Gerd Klamt¦: Frau Bundesministerin! Herzlichen Dank für dieses Referat.

Ich erteile nunmehr dem Landeshauptmann von Kärnten das Wort. – Bitte.

9.35


Referent Landeshauptmann Dr. Jörg Haider¦ (Kärnten): Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung in Europa verläuft unter­schied­lich. Wir haben eine geordnete Verfassungsentwicklung, was die Bildung der Nationalstaaten und die Ausprägung des rechtsstaatlichen Gefüges betrifft, die im Wesentlichen eine im Schnitt mehr als 100-jährige Tradition aufweist und auch am österreichischen Beispiel nachvollzogen werden kann. Das heißt, der Existenz und der demokratischen wie auch rechtsstaatlichen Aus­for­mung unserer Nationalstaaten unterliegen ein Verfassungskonzept und eine Verfassungs­struk­tur, während wir andererseits in Europa einen Entwicklungsprozess feststellen können, der sich von einem gelegentlichen Zusammenwirken in Alltagsfragen allmählich zu einer großen staat­lichen Institution entwickelt. Das heißt, die Verfassungskultur der Nationalstaaten ent­spricht eher der Unkultur der Verfassungslosigkeit und der Rechtsstaatslosigkeit auf der euro­päischen Ebene.

Das ist eine besondere Herausforderung auch für jene, die in der Hauptsache davon betroffen sind. Denn jemand, der ein geordnetes Verfassungsgefüge hat, jemand, der in einem rechts­staat­lichen Gemeinwesen lebt, jemand, der die Instrumente der Demokratie einschließlich des Ein­satzes der direkten Demokratie zu nutzen gewohnt ist, wird schwerlich seine Befugnisse und Auf­gaben an eine Einrichtung abtreten, in der sich alle diese Vorteile und Errungenschaften nicht wiederfinden. Am Besten lässt sich das etwa am Beispiel der Charta der Grundrechte für Europa deutlich machen, die zwar mit einem riesigen Aufwand entwickelt worden ist, mit der aber keine wirkliche rechtsstaatliche und rechtliche Absicherung für den Bürger und für die un­ter­stellten Gemeinwesen gegeben ist.

Das ist, so glaube ich, die Ausgangssituation auch der Thematik, die uns heute betrifft: Wie kön­nen wir Erfahrungswerte, die Länder, Regionen und kleinere politische Einheiten in Europa ge­macht haben, in eine zukünftige politische und rechtsstaatliche Struktur auf der gesamt­euro­päischen Ebene einbringen? – Das kann nicht ein Puzzle aus verschiedenen Ladenhütern sein, die irgendwo im Laufe der Alltagspolitik zusammengetragen worden sind, sondern das sollte in Wirklichkeit ein schlüssiges Konzept werden. Das ist umso notwendiger, je größer diese euro­päische Einrichtung oder diese Europäische Union wird.

Es mag schon sein, dass der Föderalismus vielen Mitgliedstaaten fremd ist, daher haben sie sich in der Vergangenheit leicht dazu gefunden, zentralistischen Entwürfen das Wort zu reden. Ge­nauso schaut die EU in Wirklichkeit auch aus. In der Zwischenzeit tut sich aber auf der na­tionalstaatlichen Ebene etwas. Man darf nicht übersehen, dass etwa die Wahlergebnisse in Groß­britannien – das letzte Mal und auch bei dieser Wahl – dazu geführt haben, dass sich die Regierung verpflichtet hat, ein eindeutig föderalistisches Konzept umzusetzen, und das in einem an sich sehr zentralistisch entwickelten Gemeinwesen auch schrittweise getan hat. Das­selbe spielt sich in etwa in Italien ab, wo gerade bei den letzten Wahlen die Frage des Födera­lis­mus und der Stärkung der Rechte der Regionen ein entscheidender Gesichtspunkt der politi­schen Entscheidung für die Bevölkerung gewesen ist.

Hier kann natürlich auch aus der Sicht Österreichs ein, wie ich meine, wichtiger Beitrag geleistet werden. Ich halte nichts davon, dass wir über zusätzliche Institutionen nachdenken, die so eine Art Beschäftigungstherapie oder Kindergarten für EU-Anlernkräfte als regionale Vertreter auf der politischen Ebene sein sollen, denn derzeit sind wir im Wesentlichen mit Institutionen kon­fron­tiert, in denen eine Beschäftigungstherapie betrieben wird, in denen es zwar aufwendige Ab­stim­mungs- und Verhandlungsprozesse gibt, aber es überhaupt nichts durchzusetzen gibt.

Daher sollten wir den Ist-Zustand beleuchten. Der Ist-Zustand, was die innerösterreichische Ko­operation betrifft, ist wenigstens in der Verfassung festgeschrieben. Hier stellt Artikel 23 mit sei­nen Bestimmungen jenes Netzwerk dar, das den österreichischen Ländern die Möglichkeit einer geordneten Mitwirkung gibt. Das heißt, dass wir auf Grund der Erfahrungen sagen können, dass die Bundesminister bisher ihren Verpflichtungen zur Information im Wesentlichen nachge­kom­men sind und das auch funktioniert.

Zum Zweiten ist darauf zu verweisen, dass mit Ausnahme eines einzigen Präzedenzfalles in Um­welt­fragen alle Bundesminister auch im Rahmen des Konsultativverfahrens mit den Län­dern, vor allem dann, wenn eine einheitliche Stellungnahme oder eine gemeinsame Stellung­nah­me verabschiedet worden ist, die Bindungswirkung des Artikels 23 Abs. 2 anerkannt und sich auch entsprechend in den Verhandlungen auf europäischer Ebene für diese von den Län­dern formulierten Positionen eingesetzt haben. Denken Sie nur an unsere Vorstöße in der Fra­ge Raumordnung, Bodenschutz, Wasserkompetenz! Diese Themen sind von den Ländern im­mer wieder auch an den Bund herangetragen worden, ebenso die Frage Einstimmigkeit oder Mehr­stimmigkeit. Die Frau Bundesministerin hat darauf kurz verwiesen.

Darüber hinaus müssen wir aber auch feststellen, dass die Länder zu einem Teil die ihnen heu­te schon gebotenen Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Ich glaube, es ist wichtig, auch das fest­zuhalten. Wir dürfen nicht nur jammern, sondern wir müssen auch sagen, dass wir aus einem bestehenden Angebot nicht alles wahrnehmen – es mag auch sein, dass sich der Bund ein biss­chen dagegen wehrt –, etwa die Möglichkeit, dass gewählte Mandatare von regionalen Ein­hei­ten auf Grund des Artikels 203 des EG-Vertrages beziehungsweise auf Grund des Arti­kels 23d Abs. 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes mit Sitz und Stimme im Rat tätig werden kön­nen. Diese Möglichkeit, tatsächlich regionale Vertreter zu entsenden, wurde von Österreich bisher überhaupt nicht ausgeschöpft. Einmal wurde versucht, einen Landeshauptmann zu ent­sen­den, aber diese Konferenz wurde in der Folge dann abgesagt, es kam also nicht zur prakti­schen Durchführung.

Belgien, das als nächstes Land den Vorsitz führen wird, plant beispielsweise, den Vorsitz in den informellen Ministerräten regelmäßig an die vier Ministerpräsidenten der Regionen Belgiens ab­zu­treten. Das ist schon ein sehr interessantes Zeichen, dass man sich dessen bewusst ist, dass ein Europa ohne regionale Stütze, ein Europa ohne Bürger in Wirklichkeit à la longue nicht mehr existenzberechtigt sein wird.

Wir haben dann auch eine wichtige Einflusskompetenz in Bezug auf die Umsetzung der EU-Rechts­normen – da sind wir unmittelbar Ansprechpartner auch im Kompetenzgefüge –, wir sind im Ausschuss der Regionen – darauf hat die Frau Bundesministerin verwiesen, wobei ich glau­be, dass das eher ein zahnloser Papiertiger ist, weil zwar unwahrscheinlich viel verhandelt wird, aber außer der Verpflichtung, uns anzuhören, besteht keine Verpflichtung, dem Rechnung zu tragen, was dort artikuliert wird; mag sein, dass das eine oder andere als Anregung ernst ge­nom­men wird –, und wir haben die Möglichkeit der Einflussnahme im Rahmen unserer so ge­nannten informellen Netzwerke, die oft ein bisschen übersehen werden.

Soweit es sich nicht um Materien der Binnenmarktintegration handelt, die relativ zentralistisch und strikt angelegt sind, gibt es die Möglichkeiten, etwa in Fragen der Entwicklung der gemein­samen europäischen Umweltgesetzgebung über das Netzwerk IMPEL eine gute Kooperation in diesem Diskussionsprozess vorzunehmen, und da gibt es auch gute Beispiele und Erfolge. Das heißt, außerhalb des strengen Integrationsbereiches für den Binnenmarkt kann man diese Möglichkeiten – auch bei INTERREG – durchaus nützen, um Mindeststandards, wie sie von der europäischen Ebene formuliert werden, durch eine konkrete Ausfüllung und substanzielle Unter­fütterung im Bereich der Nationalstaaten und der Regionen vorzunehmen.

Ich möchte auch noch darauf verweisen, dass unser Mitwirkungsrecht mit den gemeinsamen Län­derexperten zur Vorbereitung einzelner Gremien besteht – also es ist durchaus die Mög­lichkeit der Beratung bei Ratskonferenzen und so weiter gegeben – und dass wir natürlich auch aus der Sicht der Länder im informellen Bereich durch das Unterhalten und die Einrichtung von Ver­bindungsbüros eine sehr spezifische Form der Information, der Meinungsbildung, des Lob­byismus entwickelt haben, die aber insgesamt nicht rechtlich verbindlich ist.

Neu und zukunftsorientiert scheint mir daher die Gründung etwa der interregionalen Gruppe „Alpenraum“ zu sein, in der sich die Regionen im Alpenbogen zu einer gemeinsamen Verkehrs-, Raum­ordnungs-, Alpenbewirtschaftungs- und Naturschutzpolitik bekennen. All das sind aber so­zu­sagen Notmaßnahmen der Regionen, die versuchen, zumindest durch Kooperationen Druck auf die politischen Entscheidungsträger auf der gesamteuropäischen Ebene zu machen.

Deshalb ist es auch richtig, wie die Frau Bundesministerin gesagt hat: Wir müssen uns über ein neu­es Konzept der Europäischen Union unterhalten, denn aus der Gemeinschaft der sechs wur­den schon etwas mehr, und demnächst werden es vielleicht einmal 27, 28, 30 sein. Das ist dann eine Größenordnung, die es erforderlich macht, dass auch die institutionellen Einrichtun­gen völlig neu geordnet werden.

Was aber besonders wichtig ist, ist, dass dort Demokratie stattfindet. Ich glaube, das ist das größ­te Defizit. Das sieht man auch an den Wahlbeteiligungen: Je ferner die Entscheidung ist, je ab­strakter die Entscheidungsfindung ist, umso weniger kann der Bürger damit anfangen, umso weni­ger fühlt er sich davon betroffen und umso weniger ist er motiviert, hinzugehen und ent­spre­­chende Entscheidungen mit zu beeinflussen. Aber auf der anderen Seite, bei gleichzeitiger Nicht­­wahrnehmung von Wahlmöglichkeiten, entsteht ein wachsendes Unbehagen mit der anony­men Entscheidungsfindung der europäischen Institutionen.

So ist zum Beispiel der Osterweiterungsdialog für mich ein klassischer Fall, an dem man sehen kann, dass das in der Form in Wirklichkeit nicht funktioniert, weil es auch der Europäischen Union nicht gelungen ist, die Bürger in diesen Prozess einzubinden oder ihnen die Sicherheit zu ge­ben, dass in der Demokratie der Bürger das letzte Wort hat und nicht eine anonyme Insti­tution. Und das ist das große Defizit.

Man mag darüber diskutieren, ob der Vorstoß des Erweiterungskommissars Verheugen nur ein Lapsus Linguae war, als er gesagt hat, das Volk soll letztlich entscheiden dürfen, oder ob es doch eine überlegte, sinnvolle Konstruktion war. Ich bekenne mich zu Zweiterem, weil ich glau­be, dass ohne die Einbindung der Bevölkerung in Form von Mitentscheidung – wie immer sie ge­stal­tet sein mag – ein Erweiterungsprozess oder eine generelle Umstrukturierung der Institu­tio­nen in Wirklichkeit nicht machbar ist, denn das sind die klassischen Fälle demokratischer Mitwir­kungen der Bürger.

Und da bestehen natürlich zu Recht Ängste, etwa bei der Osterweiterung in der Frage des Lohn­dumpings für Arbeitnehmer, die durch Billigarbeitskräfte um ihre Arbeitsplätze gebracht wer­den, in der Frage des Preisverfalls in der Landwirtschaft, indem quasi die Kornkammer Euro­pas mit im Spiel, auf dem Agrarmarkt sein wird, und vieles andere mehr. Das sollte man nicht ignorie­ren.

Daher denke ich, dass das alarmierende Hinweise sind und wir auch gesehen haben, dass in Euro­pa vieles an Reformen ansteht, etwa durch Ereignisse der jüngsten Zeit: Die Tatsache, dass eine EU-Kommission wegen grober Missstände zurücktreten musste, sollte nicht ganz in Ver­gessenheit geraten. Das hat auch das Volk massiv irritiert. Die Tatsache, dass Sanktionen ge­gen ein kleines Mitgliedsland wie Österreich ergriffen werden und sozusagen ein eklatanter Vertragsbruch sanktionslos ablaufen kann, zeigt auch die Reformbedürftigkeit einer solchen Institution wie der Europäischen Union, denn Vertragsbruch ist in Wirklichkeit das Brutalste, was in einem vertrauensvollen Zusammenwirken von Staaten in einer supranationalen Organisation pas­­sieren kann. Oder – zuletzt – die Entscheidung in Irland sollte nicht dazu führen, dass mit einer wachsenden Arroganz festgestellt wird, dass trotzdem alle Prozesse irreversibel sind und es nicht so wesentlich ist, was ein kleines Volk entscheidet.

Auch die Idee, eine Avantgarde von Europa zu bilden, geht in Wirklichkeit in eine völlig falsche Rich­tung. Wir brauchen keine Avantgarde von Europa, die bewirkt, dass es zwei Klassen von Mit­glie­dern gibt – die guten, die bösen, die qualifizierten, die weniger qualifizierten, die führen­den Mitglieder und die untergebenen Mitglieder –, sondern wir brauchen ein demokratisches Euro­pa, in dem die Bürger auch in geeigneter Form über ihre regionalen Mitwirkungsmöglich­kei­ten in den Prozess der europäischen Entwicklung eingebunden sind.

Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich ein paar Vorschläge machen:

Erstens: Es geht um eine Kompetenzabgrenzung. Das heißt, Europa braucht einen Kompe­tenzkatalog anstatt vager Zielformulierungen, wie wir das heute haben. Ich könnte mir vorstel­len, dass man sich auf einige wenige Kompetenzen auf der gesamteuropäischen Ebene kon­zen­triert, etwa auf den transnationalen Umweltschutz, auf die Fragen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des Binnenmarktes stehen, auf die Gemeinsame Außen- und Sicher­heits­politik und Verteidigungspolitik, die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität, die ko­or­dinierte Asyl- und Flüchtlingspolitik, die Stabilitätsfrage des Euro und die Frage der glo­balen Wirtschaft, das heißt, unser Verhalten gegenüber den globalen Wirtschafts­partnern in der Welt. – Dann hat es sich aber schon! Alles andere sollte im Wesentlichen auf den bisher beste­hen­den traditionellen Ebenen der demokratischen Strukturen verbleiben können.

Daher sage ich zum Zweiten, dass Artikel 308 des EG-Vertrages ersatzlos gestrichen werden sollte. Das ist jener „Staubsauger“, der in Wirklichkeit die Möglichkeit schafft, im Zweifelsfall eine Bedarfskompetenz zu entwickeln, oder der eine Kompetenzkompetenz gibt, sodass man im Zweifelsfall eine zentralistische Entscheidung trifft und eine Kompetenz, die strittig ist, auf die gesamteuropäische Ebene zieht.

Da sollte das alte Prinzip, dass im Zweifelsfall die kleinere Ebene wirksam werden sollte, also das klassische Subsidiaritätsprinzip, gelten, wobei nicht immer die Nationalstaaten die Anlauf­adresse sein müssen, so ganz nach dem Motto: Auch die Nationalstaaten sind für die Lösung der kleinen Probleme zu groß und für die Lösung der großen Probleme zu klein. Daher sind also auch die anderen Lösungsgesichtspunkte zu suchen.

Zum Dritten glaube ich – und da stimme ich mit der Frau Bundesministerin überein –, dass wir eine Rückverlagerung von Kompetenzen dezidiert vorzunehmen haben, etwa im Bereich der Kul­tur, der Bildung, aber etwa auch in der Landwirtschaftspolitik. Die Landwirtschaftspolitik ist zwar ein klassischer Bereich, weil sie nahezu 50 Prozent des Gesamtbudgets ausmacht, aber, wie wir anhand der BSE-Krise und ähnlicher Vorfälle gesehen haben, in Wirklichkeit in einer ka­tastrophalen Situation. Es ist eben nicht möglich, eine einheitliche Agrarpolitik durch ganz Euro­pa hin zu strukturieren, weil es einfach unterschiedlichste geographische und strukturelle Aus­for­mungen eines traditionellen landwirtschaftlichen Bereiches gibt, der eine einheitliche Rege­lung nicht möglich macht. Da hätten wir auch als kleines Österreich enorme Chancen, durch eine Rückverlagerung von Kompetenzen auch im landwirtschaftlichen Bereich endlich einmal den Feinkostladen Österreich zu profilieren, anstatt an der kurzen Leine von Brüssel BSE-Fol­gen mit Millionen finanzieren zu müssen.

Wir sollten in diesem Zusammenhang aber auch die Allzuständigkeit der Binnenmarktinte­gra­tion einmal in Frage stellen, und zwar dort, wo es um die Unterlaufung oder Unterhöhlung von Länderkompetenzen geht, etwa im Naturschutzbereich, im Umweltbereich oder im gesamten Bereich der Baukultur. Meines Erachtens wird das gemeiniglich unterschätzt.

Vierter Punkt: Ich bin für ein eindeutiges Klagsrecht der Länder gegenüber dem Europäischen Ge­richtshof. Ich halte nichts von einem Klagsrecht des Ausschusses der Regionen, denn da wird es keine Einigung geben, aber ich halte sehr viel von der Möglichkeit eines Klagsrechtes der Länder in Kompetenzfragen und in Zweifelsfragen beim Europäischen Gerichtshof.

Ich halte ebenfalls etwas davon, dass dieses Klagsrecht auch für Nationalstaaten und Länder existieren soll, wo in Zukunft Mehrheitsentscheidungen gegen ein Land oder gegen eine Region wir­ken. Das ist für mich ein wirksames Instrument, um letztlich benachteiligende, unsachliche Entscheidungen auch auf dem Gerichtswege bekämpfen zu können.

Weiters sollte dieses Klagsrecht endlich auch den Individuen, sprich den Bürgern, zustehen. Es ist einfach kein Zustand, dass wir einen Europäischen Gerichtshof haben, der für die Bürger die­ses Europas nicht erreichbar ist, der ihnen verschlossen ist.

Fünfter Vorschlag: Es sollte die Direktwahl der Europäischen Kommission eingeführt werden. Auch das ist wichtig, weil es letztlich das Vertrauen in Institutionen prägt, wenn die Bürger ent­spre­chend mitwirken können und die politische Verantwortlichkeit gestärkt wird.

Sechster Vorschlag: Die Mitentscheidung des Ausschusses der Regionen sollte durchgesetzt wer­den, das heißt, es sollte nicht nur ein Anhörungsrecht geben, sondern es müsste für ausge­wählte Materien, die regionale Bezugspunkte haben, ein so genanntes Mitentscheidungs­recht des Ausschusses der Regionen verankert werden.

Siebentens: Ich bin für eine Stärkung des Europaparlaments – ganz so, wie es die Frau Bun­des­ministerin gesagt hat – dahin gehend, dass wir zu 100 Prozent das Budget Europas auch im Europäischen Parlament entscheiden können sollen. Es ist einfach ein Unding, dass das nicht zu­lässig ist, dass sozusagen nach dem Delikatessenprinzip einige ausgewählte Happen dem Euro­päischen Parlament vorgelegt werden, alles andere bleibt auf der Strecke und wird hinter verschlossenen Türen ausgestritten.

Die Einrichtung einer zweiten Kammer halte ich im Wesentlichen für unrealistisch und wahr­schei­n­lich auch nicht erfolgversprechend, denn die Mühen des Bundesrates, in Österreich sei­nen Wert zu finden, zeigen uns, dass das kein leichtes Unterfangen ist, daher sollten wir einen zweiten Versuch auf gesamteuropäischer Ebene gar nicht erst machen. Viel sinnvoller schiene es mir zu sein, ein Mitwirkungsrecht des Nationalrates beziehungsweise der Landtage oder der regionalen Gesetzgebungen und Administrationen bei Ratsentscheidungen durchzusetzen. Es würde möglich sein, ein solches Mitwirkungsrecht zu etablieren, indem man etwa die Vorsitzen­den der EU-Ausschüsse, die auf all diesen Ebenen existieren, in diese Ratsent­scheidungen in­tegriert und daran mitwirken lässt. Das ist ein relativ einfach zu handhabendes Konzept und wür­de eine wesentliche Stärkung auch der regionalen Mitsprache möglich machen.

Achter Gesichtspunkt: Die Charta der Grundrechte muss auch vor dem Europäischen Ge­richtshof durchsetzbar sein. Würde dieses Projekt in Angriff genommen werden, hätte das den Vorteil, dass die Divergenz zwischen dem Menschenrechtsgerichtshof und dem Europäischen Ge­richtshof zwingend akkordiert werden müsste und damit auch eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung für die Bürger Europas durchsetzbar wäre.

Insgesamt glaube ich daher, dass diese Maßnahmen dazu führen könnten, einen ersten wirk­sa­men Schritt der Einbindung der regionalen Ebenen in den gesamteuropäischen Prozess ohne gro­ße Verfassungsdiskussion zu ermöglichen, dass sie aber durchaus ein demokratisches Konstrukt darstellen. Und das ist entscheidend. Wir müssen das Vertrauen der Bürger gegen­über Europa zurückgewinnen, ansonsten wird es keine Weiterentwicklung geben können. Die­ses Vertrauen kann man aber nur zurückgewinnen, wenn die heutige Konzentration der Macht wieder delegiert wird. Das heißt, das System von checks and balances, wie wir es auch in der öster­rei­chischen Bundesverfassung haben, ist ein System, das wir auch auf der gesamt­europäischen Ebene nützen sollten.

Die Regionen bringen letztlich die demokratische Legitimation, denn ihr Handeln ist bürgernah, ihr Handeln ist praxisorientiert, weil sie die Umsetzung all dessen, was in Europa beschlossen wird, zu handhaben haben. Sie sind auch, was die wirtschaftlichen Gesichtspunkte betrifft, im We­­sentlichen die Motoren der Wirtschaftsentwicklung in Europa. Es gibt hier einige sehr dyna­mi­sche Motoren, die ganz wesentlich und entscheidend die Träger auch des kon­junkturellen Auf­schwungs in Europa darstellen, daher sollten sie auch entsprechende politische Mit­spra­cherechte haben.

Letztlich sind die Regionen auch die Träger der Kultur und damit die identitätsstiftende Kraft für ein neues Selbstverständnis in einem Europa der Vielfalt, das endlich auch ein demokratisches werden soll. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

9.57


Vorsitzender Präsident Ing. Gerd Klamt¦: Ich danke Herrn Landeshauptmann Dr. Haider für sein Referat und bitte nunmehr Herrn Landtagspräsidenten Schreiner um sein Referat. – Bitte.

9.58


Referent Präsident des Salzburger Landtages Univ.-Prof. Dr. Helmut Schreiner¦: Herr Prä­si­dent! Frau Bundesministerin! Meine Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Einladung. Ich habe die Aufgabe, eine kurze Evaluierung der Mitwirkungsrechte der Länder an der EU-Politik des Bundes vorzunehmen.

Ich muss dazu aber eine Vorbemerkung machen: Um das verständlich zu machen, wäre es notwendig, auch etwas über den Sinn des Föderalismus zu sagen, der nämlich mehr ist als die häufig behauptete historische Tatsache, dass dessen Herkommen nicht weiter begründbar sei. Das ist in Österreich zweitens sehr schwierig, weil wir nach wie vor eine Bundesstaatsreform aus­ständig haben, die überschaubare Staatsaufgaben dem Bund, den Ländern und den Ge­meinden zuordnet, statt dieses Kompetenzwirrwarrs, das wir haben, das kein Mensch mehr durch­schauen kann. Und drittens wäre es auch notwendig, ein Wort über die Bedeutung der Regionen als der dynamischsten und zukunftsträchtigsten territorialen Einheit, die Europa kennt, zu sagen. Sie werden durch eine Fülle von gegenseitigen Beziehungen, von Koopera­tionen gekennzeichnet sein, und die Realität zeigt es faktisch bereits. – Ich kann das nicht machen und wende mich daher der Evaluierung der Mitwirkungsrechte der Bundesländer zu.

Die Teilnahme an der Europäischen Integration wirkt sich zwar innerstaatlich, innenpolitisch massiv auf die Verhältnisse in Österreich aus, diese Europäische Integration ist aber nach dem Muster der Außenpolitik, nach dem Konzept unserer Verfassung dargestellt.

Außenpolitik ist nun Sache der Exekutive und nicht der Parlamente, so will es unsere, aber auch viele andere Verfassungen, und so sieht es eigentlich auch die Europäische Union für ihre eigene Willensbildung vor, die bekanntlich von den Regierungen der Nationalstaaten und nicht vom EU-Parlament bestimmt wird. Die Mitwirkung der Parlamente beschränkt sich deshalb in der Regel auf nachträgliche Genehmigungen, ergänzt durch bestimmte Mitwirkungsrechte.

Wir haben also in diesem Konzept der österreichischen Verfassung, aber auch der Euro­päischen Union ein prinzipielles Parlaments- und damit Demokratiedefizit sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene zu konstatieren.

Für Bundesstaaten kommt jetzt noch ein weiteres Problem dazu: Nach den traditionellen Kon­zep­ten des Bundesstaates ist die Außenpolitik eine Angelegenheit des Zentralstaates und die Be­teiligung der Länder deshalb nur eine ausnahmsweise, wie zum Beispiel bei uns nach Arti­kel 16.

Die EU vertritt ebenfalls dieses Konzept. Als Akteure gelten nämlich nur die nationalen Regie­run­gen. Der Ausschuss der Regionen ist ebenfalls nur peripher und – an seiner Bedeutung gemessen – höchstens ein politischer Reiseverein.

Mit dem Beitritt Österreichs wollte man diese Defizite innerstaatlich einigermaßen mildern. Kern­punkt der Verwirklichung dieser Absicht war, was die Länder, genauer die Landesregierungen und die Landtage betrifft, Artikel 23d B‑VG. Artikel 23d erhebt zunächst den Anspruch, die Län­der­blindheit der Europäischen Union innerstaatlich und auf EU-Ebene wenigstens ansatzweise auszugleichen. Wenn man über die Qualität dieser Regelungen sprechen will, dann ist es vielleicht heilsam, sich eine Stimme der deutschen Lehre vor Augen zu führen, die nämlich sagt, dass die österreichische Ländermitwirkung auf den ersten Blick recht passabel zu sein scheint, sich bei näherem Zusehen aber als völlig ineffektiv herausstellt, und zwar deshalb, weil sie den Ländern im Konfliktfall zwischen Bund und Ländern keine einzige erfolgreich zu verteidigende Position zuerkennt.

Nun zur Mitwirkung der Landesparlamente: Die Mitwirkung der Landtage an der EU-Politik gilt als Sache der Verfassungsautonomie der Länder. Im Rahmen einer von Artikel 23d ange­streb­ten Bund-Länder- und Länder-Länder-Vereinbarung ist von einer Integrationskonferenz der Län­der, der IKL, die Rede, die nicht nur die Landeshauptleute, sondern auch die Landtags­prä­siden­ten erfassen soll. In den Erläuterungen hieß es noch: Die Bezeichnung des Organs be­ziehungs­weise der Organe, die für die Länder sprechen, sei Sache der Verfassungs­autono­mie der Län­der.

Es könnten also die Landtage durchaus bestimmen, dass die Stellungnahmen in Gesetzge­bungsfragen von den Landtagen selbst abgegeben würden. Doch die Landtage machten die Rech­nung ohne den Wirt. Offenbar nach Koordinationsgesprächen zwischen dem Bundes­kanz­ler­amt und den Ämtern der Landesregierungen teilte der Verfassungsdienst des Bundes­kanz­ler­amtes den Landtagen mit, dass für den Bund verbindliche Äußerungen der Länder auch in Fra­gen der EU-Mitwirkung ausschließlich vom Landeshauptmann abgegeben würden. Damit war die IKL, die als großer Fortschritt angepriesen wurde, blanker Polittourismus geworden und hatte keine substanzielle Bedeutung mehr, da die Beschlussfassung in der LH-Konferenz oder im Umlaufweg unter den Landeshauptleuten ausreicht.

Deshalb haben nur zwei oder drei IKLs stattgefunden. Die Verdeckung dieses Parlaments­de­fi­zits dadurch, dass formell die IKL ständig tagt, war den Landtagen eigentlich zu schade. Man wollte sich in dieser Frage daher nicht mehr treffen und hat diesen Tourismus eingestellt.

Ich halte fest: Die Frage der IKL, die groß als bedeutsamer Zugriff der Landesparlamente auch in der EU‑Politik gefeiert wurde, ist ein Flop geworden, und zwar durch das Zusammenwirken des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes mit den Ämtern der Landesregierungen.

Die meisten Landtage haben nach einem Ersatz Ausschau gehalten und Mitwirkungsgesetze be­schlos­sen. Diese Mitwirkungsgesetze sind aber nur ein wirklich bescheidener, unzureichen­der Ersatz.

Während auf Bundesebene die parlamentarische Einbindung klar verankert ist und sich im euro­päischen Vergleich durchaus sehen lassen kann, ist die Mitwirkung der Landtage durch das Bundesrecht – der Verfassungsdienst beruft sich hiebei auf Artikel 105 – sehr einge­schränkt. Bedenkt man noch dazu den Zeitdruck, der regelmäßig bei EU-Entscheidungen herrscht, so wird durch das vom Bund den Landtagen aufgezwungene System eine effektive Mit­wir­kung der Landesparlamente weitgehend verunmöglicht! Das drückt auch die Grund­stimmung in den meisten österreichischen Landtagen aus, was die EU-Politik und ihre regionale Mitverantwortung betrifft.

Meine Damen und Herren! Eine Angleichung der Mitwirkungsrechte der Landesparlamente an die Rechte des Bundesparlaments in Landesangelegenheiten wäre also gefordert, wenn man das vielbeschworene Demokratiedefizit ernst nimmt, das man gegenüber Brüssel immer wieder gerne ins Treffen führt. Auch im eigenen Haus gibt es dieses Defizit, ein Defizit, das die Länder nicht selbst ändern können, sondern das vom Bundesverfassungsgesetzgeber aufgehoben werden müsste.

Was die Mitwirkung der Landtage, der Landesparlamente betrifft, haben wir noch einen weite­ren Punkt: Auf europäischer Ebene gibt es eine informelle Zusammenarbeit der Parlamente, die so genannte COSAC. Es gibt keine EU-rechtliche Position und keine verfassungsrechtliche Sper­­re, die es verhindern würde, dass auch die Landesgesetzgebungsorgane an dieser Koope­ration teilnehmen, da nach unserer Bundesverfassung der Nationalrat gemeinsam mit dem Bun­desrat lediglich jenen Teil der österreichischen Gesetzgebung repräsentiert, der dem Bund zu­geteilt ist, und nicht den Teil, der den Ländern obliegt. Wir stellen daher nach wie vor die Forde­rung, dass in die Kooperation der COSAC auch die Landesparlamente einbezogen werden müssen.

Meine Damen und Herren! Die Information der Länder ist heute schon besprochen worden. Dass sie faktisch großartig sei, ist gesagt worden. Faktisch ist diese Information der Länder durch den Bund durchaus sehr positiv, rechtlich gesehen ist sie aber sehr mangelhaft. Ich darf zwei solche strukturelle Mängel aufzeigen, die auch von großer politischer Bedeutung sind.

Die Informationsverpflichtung des Bundes – das ist der schwerwiegendste Mangel – umfasst näm­lich nicht jene Vorhaben, mit denen die Bundesregierung nach Brüssel zu gehen gedenkt, auch wenn diese Initiativen Angelegenheiten der Länder betreffen. Erst wenn diese Initiativen auf dem Weg nach Brüssel sind, also erst mit dem entsprechenden Ministerratsbeschluss, fallen sie nach ausdrücklicher Auskunft des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes, den die Landtagspräsidentenkonferenz diesbezüglich befasst hat, unter die Informationspflicht des Bundes gegenüber den Ländern. Das ist natürlich ein schwerer Mangel.

Die Landesregierungen können sich diesbezüglich schon helfen. Sie nützen einfach ihre Kon­takte zur Bundesregierung auf der politischen und auf der administrativen Ebene aus, um vor­weg die entsprechenden Informationen zu erhalten. Dem Landtag stehen aber solche Kontakte na­turgemäß nicht offen, sodass sich die Information der Landtage nur auf das beschränkt, was sie dann aus Brüssel bekommen.

Es zeichnet sich also ein weiteres demokratiepolitisches Defizit ab, diesmal im Bereich der In­for­mationspflicht des Bundes gegenüber den Ländern. Sobald sich der Bund mit einer Lan­des­ange­legenheit in Richtung Brüssel befasst, ist die begleitende parlamentarische Kontrolle die­ses Vorganges ausgeschlossen. Diese äußerst restriktive Praxis des Bundes hindert die Län­der, namentlich die Landtage, für die ich sprechen darf, ihre Mitwirkungsrechte auch wirksam aus­­üben zu können. Sie gibt dem Bund die verfassungsrechtlich äußerst zweifelhafte Mög­lich­keit, in die Kompetenzen der Länder eingreifen zu können, ohne mit den Ländern darüber ver­handeln oder dafür die Zustimmung des Bundesrates einholen zu müssen. Der Bund muss nur den Umweg über Brüssel wählen.

Zweiter Defekt: Auch bei den Initiativen, die in Brüssel ihren Ursprung haben und die die Inter­essen der Länder berühren, gibt es einen strukturellen Mangel, den man nicht übersehen darf, auch wenn die Länder über die Verbindungsstelle faktisch weitgehend in den Informations­pro­zess eingebunden sind. Es gibt einen strukturellen Mangel, der darin besteht, dass die Länder in dieser Frage keine wie immer geartete rechtlich abgesicherte Position haben. Das ist eine freie Leistung des Bundes, die durch die Verfassung, durch Artikel 23d nicht gewährleistet ist.

Da aber ohne einen Anspruch auf umfassende Information jegliche Form einer Mitbestimmung relativ bedeutungslos ist, müssen die Länder darauf bestehen, dass die Informationspflicht des Bun­des länderfreundlicher geregelt wird, indem sie einen jederzeitigen Anspruch auf alle Infor­mationen in Zusammenhang mit der Europäischen Integration bekommen. Diesen haben sie rechtlich gesehen nicht, faktisch wird er zurzeit eingelöst.

Nun ein weiterer Punkt: die Bindung des Bundes in Länderangelegenheiten. Den Ländern ist zwar die Möglichkeit eingeräumt, durch eine einhellige Stellungnahme den Bund bei seinen Ver­handlungen in Brüssel in Länderangelegenheit binden zu können, der Bund kann allerdings, wenn er es nur halbwegs geschickt macht, ohne Konsequenz davon abweichen. Ich betone: Wenn er es halbwegs geschickt macht, kann er ohne Konsequenz davon abweichen. Damit ist die Ländermitwirkung deutlich zahnloser als die Mitwirkung des Nationalrates an der EU-Politik der Bundesregierung.

Diese Situation ist auch demokratiepolitisch und rechtsstaatlich unbefriedigend. Die Bundes­re­gie­rung handelt nämlich in den Angelegenheiten der Länder faktisch ohne politische Verant­wor­tung und Bindungsmöglichkeit, da in Landesangelegenheiten wohl dem Nationalrat kein Bin­dungs­recht zuerkannt ist, die Bindung durch die Länder aber faktisch folgenlos durchbrochen wer­den kann. Eine Angleichung der Bindungsmöglichkeit der Bundesregierung durch die Län­der an die dem Nationalrat in Bundesangelegenheiten zustehenden Möglichkeiten ist deshalb nicht bloß fair, sondern auch geboten und gleichheitskonform.

Ein weiterer Punkt – er wurde heute bereits erwähnt –: Es stünde an, im Hinblick auf die vielen Zu­griffe der Europäischen Union in die Kompetenzen der Regionen, auch den europarechtlich den Regionen ein privilegiertes Klagerecht derart zuzuerkennen, wie es derzeit die Na­tional­staaten haben, also ohne unmittelbar in den Rechten betroffen zu sein, Klagerecht. Dieses Kla­ge­recht würde nämlich dazu führen, dass das was man heute unter der Kompetenzkatalo­gen und Trennungen meint, faktisch eingefordert wurde, weil die Regionen jetzt selbst in der Lage wä­ren, ihre verfassungsmäßigen Kompetenzen ohne Zustimmung von irgendjemanden, direkt wirksam vor dem Europäischen Gerichtshof einzufordern.

Ich meine, dass auch die Länder als auch Akteure in Brüssel in ihrer Position neu definiert wer­den sollten. In anderen Bundesstaaten haben die Länder das Recht, ihre eigenen Belange selbst in Brüssel vertreten zu dürfen. Selbstverständlich immer unter Bedingungen, die die von der Frau Bundesministerin bereits angesprochene Wahrung der gesamtstaatlichen Interessen er­möglichen.

Das ist aber in Österreich nicht möglich. Die Länder müssen nämlich dazu vom Bund erst ein­ge­laden werden und dürfen es selbst dann nur aus einer Position heraus tun, die mehr als sub­altern ist. Sie können also die Interessen der Länder prinzipiell nicht autonom, so autonom, wie es einem selbständigen Bundesland entspricht, durchführen. Bedenkt man, um welche wichtige Fragen es sich dabei handelt – zum Beispiel die Raumordnung – und dass es in diesen Fragen meist gar kein konkretes einheitliches, bundesweites Interesse gibt, sondern eben nur regional­differenziertes, dann wird klar, dass eine Länderselbstvertretung durchaus sachangemessen und zu wünschen ist und Bundesinteressen gar nicht so leicht verletzt werden könnten!

Die Reformulierung der Vertretung der Länder in Brüssel nach dem Muster anderer Bundes­staaten ist deshalb ein Gebot der Stunde; selbstverständlich – um es noch einmal zu sagen – un­ter Bedingungen, die die wohlerwogenen gesamtstaatlichen Interessen nicht kontrakarieren dürfen.

Schließlich die Notwendigkeit einer effektiven Kooperation in Österreich selbst: Eine initiative Mit­wirkung an der EU-Politik setzt rasche und komplikationslose Möglichkeiten zur Kooperation und Koordination der Länder untereinander und mit dem Bund voraus.

Artikel 15a B-VG, das einschlägige Hauptinstrument, ist nach wohl einhelliger Auffassung schwer­­fällig und beinahe ungeeignet. Eine Reformulierung dieses Instruments der Staats­verträ­ge der Länder untereinander und mit dem Bund ist daher gefordert. Mit ihm sollen die Länder unter­einander und mit dem Bund sowohl unmittelbar und gemeinsam Recht setzen dürfen als auch gemeinsame Organe schaffen und Kompetenzen verhandeln dürfen.

Ein weiterer Punkt: In dieser Kooperation auf europäischer Ebene ist ein bemerkenswerter Fort­schritt gelungen, der leider von den Landtagen noch nicht wahrgenommen wird. Es ist gelun­gen, mit der Präsidentin des Europäischen Parlamentes eine Übereinkunft zu treffen, dass die Präsidenten all jener Landtage, die in der so genannten CALRE verankert sind – das sind alle Re­gionalparlamente Europas, die Gesetzgebungsbefugnisse haben –, sich im Regional­politi­schen Ausschuss des Europäischen Parlamentes zu Wort melden können und eine bestimmte Redezeit eingeräumt erhalten. Ich meine, dass dies ein Weg ist, der durchaus richtig ist, und eine Verstärkung der interparlamentarischen Zusammenarbeit bedeutet. Gerade deshalb wün­schen wir, dass der Zutritt zur CALRE für die Landtage endlich eröffnet werden soll.

Abschließend: Der richtige Zeitpunkt für eine solche Reform wäre jetzt. Das Ungenügen der der­zeitigen Ländermitwirkung kann eigentlich niemand ernsthaft bestreiten, es sei denn, man ist interessiert am Untergang des bundesstaatlichen Charakters Österreichs. Dann braucht man nur abzuwarten.

Dementsprechend fanden auch immer wieder Versuche statt, diese Möglichkeiten zu verbes­sern. Niemand – weder die Landeshauptleute noch die Landtage – war damit bisher besonders er­folgreich. Deshalb richten sich die Hoffnungen auf den verfassungsrechtlich als Mitwirkungs­organ der Länder an der Gesetzgebung des Bundes vorgesehenen Bundesrat. Gemäß Artikel 44 Bundes-Verfassungsgesetzes sind nämlich alle Eingriffe in die Zuständigkeiten der Länder von einer ausdrücklichen Zustimmung des Bundesrates abhängig.

Weil im Zusammenhang mit dem Vertrag von Nizza, eine solche Zustimmung des Bundesrates not­wendig ist, bestünde jetzt die realistische Chance auf eine deutliche Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten der Länder.

Damit stehen wir nicht allein, meine Damen und Herren! Die deutschen Bundesländer haben vor geraumer Zeit die Zustimmung zu einer der letzten Vertragsänderung im deutschen Bun­des­rat von einer solchen Aufwertung ihrer Mitwirkungen in der EU-Politik abhängig gemacht, und sie waren erfolgreich damit. Auch in Österreich hat man diese Möglichkeit bereits bei der letzten Vertragsänderung ins Auge gefasst. Eine eingehendere Diskussion wurde aber dadurch ver­eitelt, dass für die Genehmigung durch den Bundesrat ein massiver Zeitdruck eröffnet wur­de. Buchstäblich stante pede musste der Bundesrat gleich nach der Beschlussfassung durch den Nationalrat seine Genehmigung aussprechen. Es stellte sich zwar in der Folge heraus, dass der Zeitdruck gar nicht bestanden hatte, aber davon hatten die Länder dann nichts mehr.

Was den Nizza-Vertrag betrifft, wissen wir – nicht zuletzt durch Stellungnahmen des Bundes­ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und des Verfassungsdienstes des Bundeskanzler­amtes –, dass ein solcher Zeitdruck nicht besteht, dass also für seriöse Verhandlungen durch­aus Zeit bestünde. Die Landtagspräsidentenkonferenz ist deshalb offiziell mit der Bitte an den Bun­desrat herangetreten, sich nicht unter Zeitdruck setzen zu lassen und vom Nationalrat im Zu­sammenhang mit der Genehmigung des Nizza-Vertrages eine deutliche Verbesserung der Ländermitwirkung zu verlangen.

Der Herr Präsident des Bundesrates hat unseren Wunsch wohlwollend angenommen und um eine verfassungsrechtlich ausformulierte Unterlage ersucht. Der Salzburger Landtag hat ein Mit­glied der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Salzburg um eine genaue Ausformulierung er­sucht. Diese liegt nunmehr in der Form eines beschlussreifen Antrages vor.

Meine Damen und Herren! Ich bitte den Bundesrat als das Organ der Länder im Bereich der Bun­des­gesetzgebung, diesen oder einen sinngemäß gleichen Antrag dem Nationalrat vorzule­gen. Niemand, meine Damen und Herren, ist so weltfremd und verkennt, dass damit vom Bun­des­rat angesichts der verfassungsrechtlichen und politischen Strukturen, in die er eingebettet ist, etwas ganz Schweres verlangt wird. Aber damit könnte sich der Bundesrat historische Ver­dienste um den österreichischen Bundesstaat erwerben. Der Wert, der einem wohl­ver­stande­nen Föderalismus zukommt, wie er inzwischen in ganz Europa immer mehr Widerhall findet, sollte aber eine solche Anstrengung wert sein. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. (All­gemeiner Beifall.)

10.18


Vorsitzender Präsident Ing. Gert Klamt¦: Herr Landtagspräsident Professor Schreiner! Ich dan­ke Ihnen für dieses auch im Sinne des Bundesrates sehr engagierte Referat.

In weiterer Folge darf ich Herrn Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Caspar Einem ans Redner­pult bitten. – Bitte.

10.19


Referent Abgeordneter Dr. Caspar Einem¦: Herr Präsident! Herr Landeshauptmann! Herr Land­tagspräsident! Frau Bundesministerin! Erlauben Sie mir, dass ich den Abschluss in diesem Reigen mache.

Lassen Sie mich, weil es üblich geworden ist, die Frage der EU und der EU-Politik vor allem un­ter dem Gesichtspunkt nationaler Vorbehalte, mitunter auch nationaler Egoismen zu dis­ku­tie­ren, zunächst einmal sagen, worum es in unseren Augen bei der Frage der EU-Politik oder, genauer gesagt, auch der österreichischen EU-Politik geht.

Es geht meines Erachtens – das sollte man bei der Diskussion der Fragen, die heute hier be­han­­delt werden, nicht übersehen – darum, dass wir Österreicherinnen und Österreicher, das heißt zugleich auch wir Europäerinnen und Europäer uns ein Instrument auf europäischer Ebene schaffen, mit dem wir die Probleme lösen, die nationalstaatlich nicht oder nicht mehr lös­bar sind. Es geht darum, dass wir uns das beste denkbare Instrument zur Lösung jener Pro­bleme schaffen, die nur auf europäischer Ebene gelöst werden können.

Welche Probleme sind das, um die es dabei geht? Ich denke, dass dort in Wahrheit der Punkt liegt, wo das Bürgerinteresse angesprochen oder eben verfehlt werden kann.

Es sind erstens – um auf der abstraktesten Ebene zu beginnen – Fragen der Außen- und Si­cher­heitspolitik. Denken wir einerseits zurück an die Situation der europäischen Außenpolitik beim Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens und den nachfolgenden Konflikten, und denken wir daran, was inzwischen an Fortschritten erzielt worden ist, sodass es jetzt möglich ist, zumindest mit einer Stimme Europas in Mazedonien zu sprechen!

Ich sage nicht, dass das schon ein Garant für den Erfolg ist, aber es ist eine Min­dest­vor­aus­setzung dafür, dass Europa in Krisenregionen – in dem Fall in Mazedonien – überhaupt eine Chance hat, dazu beizutragen, und es ist zugleich gänzlich ausgeschlossen, dass einer der ein­zel­nen europäischen Mitgliedstaaten der Union diese Leistung stattdessen erbringen könnte. Es ist absolut notwendig, auf dieser Ebene ein europäisches, und zwar ein wirksames euro­päisches Instrument zu haben.

Zweiter Punkt: Ich denke, wir sollten auch klarmachen, dass die Bewältigung der Folgen der wirt­schaftlichen Globalisierung auch ein Instrument braucht, das dem Zweck dient, den euro­päischen Sozialstaat oder das europäische Sozialstaatsmodell außenwirtschaftlich und wäh­rungs­politisch abzusichern. Es wird ohne ein solches europäisches Modell, ohne ein gemein­sames Modell auf europäischer Ebene nicht möglich sein, dieses System des europäischen So­zial­modells aufrechtzuerhalten und gegen einen vereinheitlichenden Trend der Weltwirtschaft am Leben zu erhalten. Es wird also insoweit ohne eine starke Europäische Union mit einer eigen­ständigen Währungs- und Wirtschaftspolitik beispielsweise nicht möglich sein, die soziale Sicherheit, an die sich unsere Bürgerinnen und Bürger gewöhnt haben, in der Form, wie sie sie wünschen, aufrechtzuerhalten. Das ist eine Frage, die jeden Einzelnen betrifft.

Es wird ohne eine gemeinsame, entsprechende Wirtschafts- und Währungspolitik auch nicht mög­lich sein, dafür zu sorgen, dass die immer noch skandalös hohe Arbeitslosigkeit in Europa gesenkt wird, und es wird ohne eine gemeinsame Politik auf Dauer auch nicht möglich sein, die Pen­sionen in der Form, wie wir sie haben und wie wir sie auch im Interesse derer, die ein Leben lang arbeiten, erhalten wollen, zu sichern.

Wir brauchen dafür auch eine europäische Absicherung. Das heißt nicht, dass wir die Pensions­systeme jetzt europäisch lösen müssen, aber es braucht sozusagen eine gemeinsame außen­wirt­schaftliche Politik.

Die Beispiele ließen sich zweifellos fortsetzen. Lassen Sie mich nur noch ein weiteres Beispiel nennen, weil ich denke, dass es auch von einer gewissen praktischen und gegenwärtigen Be­deutung ist.

Wenn wir wollen, dass unsere Wirtschaft, dass die österreichische und auch die europäische Wirt­schaft optimale Bedingungen finden, dass die Unternehmer günstige Voraussetzungen für ihr Handeln finden, dann müssen wir daran interessiert sein, dass das Wohlstandsgefälle, das durch Europa verläuft, schrittweise, aber auch systematisch überwunden wird, und zwar einfach des­halb, weil gleich große Kaufkraft, gleich große Möglichkeiten, auch Produkte nachzufragen, für jene, die sie anbieten, eine der zentralen günstigen Voraussetzungen sind.

Das heißt aber zugleich, dass wir unbedingt so etwas wie – ich nenne es jetzt einmal anders, als es auf europäischer Ebene heißt – einen europäischen Finanzausgleich brauchen oder, an­ders gesagt, eine Umverteilung von Mitteln von denen, die reicher sind, zu denen, die noch nicht so weit sind, um einen Ausgleich herzustellen, der letztlich im gemeinsamen wirtschaftli­chen Interesse gelegen ist. Mag er darüber hinaus auch noch eine moralische Frage sein – aber allein wirtschaftlich lässt sich diese Form von Umverteilung schon rechtfertigen. Sie ist je­den­falls billigem nationalem Egoismus vorzuziehen.

Ohne also jetzt weitere Beispiele aufzuzählen: Ich denke, das, worum es geht, ist, Politikfelder zu bestimmen, in denen wir ein europäisches Instrument brauchen, das wirksam ist.

All das sind also Gründe, die dafür sprechen, das Instrument der EU weiterzuentwickeln, effi­zien­ter und zum Teil auch schneller und wirksamer zu machen, und es sind Gründe, die dage­gen sprechen, zusätzliche Bremsen einzuziehen oder sich nach kleingärtnerischer Manier da­nach zu fragen, wer institutionell an welcher Stelle allenfalls noch mitbestimmen kann, um zu ver­hindern, dass Beschlüsse zu Stande kommen, denn die Dynamik der Beschlussfassung wird jedenfalls durch diesen Weg nicht begünstigt.

Was die Bürgerinnen und Bürger erwarten, ist, dass, wenn sie solch ein Instrument haben und auch bezahlen, von diesem in überblickbaren Fristen Entscheidungen herauskommen, die ihnen im Alltagsleben helfen, und nicht am Sankt-Nimmerleins-Tag nach Abklärung aller institu­tio­nellen Egoismen, die es auch gibt.

Dritter Punkt: Die von mir angesprochenen Fragen und Felder der Politik, in denen wir eine wirk­sa­me Europäische Union brauchen, sind primär nicht Felder – ich habe konkrete Felder an­ge­­sprochen –, in denen mit mehr Föderalismus etwas zu gewinnen ist. Im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ist es ziemlich klar, dass wir zusätzlich zur nationalen eine starke euro­päische Ebene brauchen, zum Teil auch eine eigenständige europäische Ebene. Im Be­reich der Währungs- und Wirtschaftspolitik gilt grosso modo das zur Außen- und Sicherheitspolitik schon Gesagte. Ich denke, dass es auch im Bereich der Arbeitsmarktpolitik als eine Konsequenz der Währungs- und Wirtschaftspolitik ebenso ist. Und das Gleiche gilt letztlich auch im Politikfeld der sozialen Sicherheit.

Ich denke also, dass man sagen kann, die Frage des österreichischen Föderalismus ist primär eine innerösterreichische Frage, und mit diesen Fragen – Schreiner hat das an sich ziemlich deut­lich gemacht in seinen Ausführungen – sollten wir nicht primär die Union belästigen oder weiter verkomplizieren, sondern da geht es darum, dass wir uns innerösterreichisch darüber im Kla­ren werden, wie wir das handhaben wollen. Und wenn und insoweit es da noch Probleme gibt, sollten wir sie besser lösen. Anregungen in dieser Richtung sind angesprochen worden.

Lassen Sie es mich aber auch andersherum sagen: Ich denke, wir sollten, weil die Diskussion so­wohl zwischen den Nationalstaaten und ihren Vertretern als auch zwischen den Regionen und ihren Vertretern zur künftigen europäischen Politik manchmal etwas merkwürdig verläuft, als ob Interessen von Menschen primär regional verfasst wären, doch auch deutlich machen, dass das so nicht ist. So wahr es ist, dass es sozusagen irgendeine regionale Verbundenheit gibt, die bei der Identitätsentwicklung eine Rolle spielt, so wahr ist auch, dass beispielsweise die In­ter­essen eines Arbeitnehmers an entsprechendem Lohn, an entsprechender sozialer Absi­che­rung nicht primär eine regionale Frage sind, sondern eine Frage, in der Interessen der Arbeit­­nehmer bei uns – mögen sie aus Kärnten, mögen sie aus Österreich kommen – jenen der Arbeit­nehmer aus Deutschland oder aus Portugal viel ähnlicher sind als die Interessen von Arbeitnehmern und Nichtarbeitnehmern bei uns. Das ist keine nationale, das ist primär eine Fra­ge, die an den Lebensverhältnissen anknüpft und nicht ausschließlich regional bestimmt, son­dern zum Teil an anderen Fragen orientiert ist.

Ich denke daher, dass es auch notwendig ist, aus grundsätzlichen Gründen zu zeigen, dass In­ter­essen sowohl regional als vor allem auch inhaltlich organisiert werden müssen und dass ihnen insoweit auch eine bessere Form der Vertretungsmöglichkeit gegeben werden muss. – Ich komme darauf zurück.

Vierter Punkt: Wenn es in der Unionspolitik, in der Politik Europas etwas zu ändern gibt, dann liegt das nicht auf dem Feld der Föderalisierung Europas, sondern darin, dass wir die Lebens­inter­essen der Menschen in Europa in den Mittelpunkt der europäischen Unionspolitik stellen müssen. Und dort sind sie heute nicht. Das ist ganz offensichtlich.

Es ist vorhin schon das Beispiel des Binnenmarktes angesprochen worden. Der Binnenmarkt ist schein­bar ein Ziel der europäischen Politik, in Wahrheit bestenfalls ein Mittel und noch dazu eines, bei dem der Mensch nicht im Mittelpunkt steht, sondern das nebenbei Vorteile oder allen­falls auch Nachteile lukriert. Aber es ist nicht etwas, bei dem der Einzelne das Gefühl haben darf, da ginge es primär um ihn. Und das spüren die Leute. Das ist mit ein Grund, warum sie der Union skeptisch gegenüberstehen.

Wenn es also darum geht, Alltagsinteressen wie die Interessen an Arbeit, an sozialer Sicher­heit, an äußerer, aber auch an innerer Sicherheit in den Mittelpunkt zu stellen, dann brauchen wir mehr und bessere Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, ihre Interessen zum Durch­bruch zu bringen. Das heißt, dass wir eine stärkere Demokratisierung oder überhaupt etwas, was diesen Namen verdient, auf europäischer Ebene brauchen. Wir brauchen dazu eine Stär­kung des Europäischen Parlaments – da stimme ich auch dem Herrn Landeshauptmann zu – inklusive eines vollen Initiativ- und Budgetrechts. Ein Vollparlament auf europäischer Ebene ist das Einzige, zu dem die Bürger auch wählen gehen würden. Sie spüren sehr genau, ob sie sozusagen in Wirklichkeit pro forma wählen oder ob dort Entscheidungen getroffen werden, die für sie wichtig sind.

Wir brauchen ein Vollparlament auf europäischer Ebene, das die wesentlichen Entscheidungen auch demokratisch trifft, dann werden die Bürger auch hingehen. Wir haben überall eine gewis­se Abnahme der Wahlbeteiligung, aber die geringe Wahlbeteiligung, die wir beim Europäischen Par­la­ment haben, hängt nicht nur damit zusammen, dass die Bürger Europa nicht wollen, son­dern auch damit, dass sie sehr genau spüren, ob es für irgendetwas gut ist, ob sie dort hin­gehen oder nicht.

Ebenso brauchen wir, so denke ich, auch auf europäischer Ebene Instrumente der direkten Demo­kratie, europäische, zum Teil auch regionale, nämlich staatenübgreifende Instrumente der direkten Demokratie.

Lassen Sie mich zu diesem Punkt noch einmal eine Klarstellung treffen: Ich denke, wir sollten bei all diesen Bemühungen im Auge behalten, dass sich die Interessenfrage nicht primär regio­nal verfasst, sondern primär nach Lebenslagen.

Fünfter Punkt: Lassen Sie mich daher auch einige institutionelle Fragen ansprechen.

Erste Frage: Brauchen wir, brauchen die Menschen in Österreich, um ihre Interessen besser re­prä­sentiert zu sehen, um sich mit ihren Interessen besser durchsetzen zu können, eine zweite Kam­mer auf europäischer Ebene – in Wahrheit müsste man sagen, funktionell eine dritte –, die aus nationalen Parlamentariern zusammengesetzt ist? – Darin scheint heute und hier relativ weit­reichende Übereinstimmung zu bestehen. Unserer Überzeugung nach brauchen wir das nicht. Unsere Antwort in diesem Punkt ist also eindeutig.

Die Bürgerinnen und Bürger brauchen jeweils ein starkes nationales Parlament, in dem sie sich repräsentiert fühlen können, und sie brauchen ein starkes europäisches Parlament, in dem sie sich repräsentiert fühlen können, das ein Vollparlament sein soll.

Ich halte, um vielleicht auch noch eine andere Äußerung der Frau Bundesministerin anzuspre­chen, den Gedanken, das Drei-Säulen-Modell zu überwinden und dadurch insgesamt die Rolle des Europäischen Parlaments beträchtlich zu stärken, für durchaus überlegenswert und positiv. Ich denke, da ist viel Phantasie darin.

Zweite Frage: Brauchen wir, brauchen die Menschen in Österreich eine Stärkung des Aus­schus­ses der Regionen? – Lassen Sie mich auch dazu sagen: Ich bin der Überzeugung, das brau­chen sie nicht. Es ist jedenfalls nicht vordringlich. Ich denke, dass man ganz klar sagen sollte: Das, was wir auf europäischer Ebene brauchen, sind demokratisch legitimierte, aber effi­ziente Strukturen. Das, was es heute noch nicht gibt, sind die hinreichend klare demokratische Legitimation und ein entsprechendes Parlament und Instrumente der direkten Demokratie. Aber wir brauchen keine sonstigen Reise- und Diskussionsvereine. Wir sollten uns da keiner Illusion hingeben. So sehr der Frust mancher Funktionäre in der einen oder anderen Ebene solche For­de­rungen immer wieder aufkommen lässt und so sehr man diesen Frust zum Teil auch ver­stehen kann, aber das ist nicht die Lösung. Das gilt für die COSAC ebenso wie für den AdR.

Vielleicht auch noch ein Punkt, den ich ursprünglich nicht ansprechen wollte, den aber der Herr Landeshauptmann erwähnt hat: Ich glaube beispielsweise auch nicht – und darin unterscheiden wir uns –, dass es ein Klagerecht weder des AdR noch der Länder braucht, aber ich stimme in vollem Umfang zu, dass es ein Klagerecht der Bürger braucht. Das, was es braucht, ist, dass der Einzelne, und zwar insbesondere auch im Kontext der Grundrechtscharta, ein Klagerecht ha­ben muss, ein solches, wie er es auf nationalstaatlicher Ebene bei uns auch hat, ein Indivi­dual­antragsrecht – bei uns an den Verfassungsgerichtshof, dort an den EuGH –, um seine Grund­­rechte verteidigen, gegebenenfalls durchsetzen zu können. Das brauchen wir, wenn Euro­pa glaubwürdig im Interesse der Menschen, die Europa bilden, agieren will.

Nun noch zwei kurze Anmerkungen zu Rat und Kommission, obwohl sie heute nicht Gegen­stand und Mittelpunkt der Debatte sind.

Erster Punkt: Ich denke, die Diskussion um die Frage, ob man den Rat in eine zweite Kammer umwandeln soll oder nicht, ist in Wirklichkeit eine virtuelle Diskussion. Es braucht den Rat, denn dort sitzen Staatenvertreter, und den soll es weiter geben. – Punkt.

Ob man das „zweite Kammer“ oder ob man das „Rat“ nennt, ist völlig egal. Das ist eine Diskus­sion, die zwar zur Profilierung im Inland gewisse Chancen bietet, aber sonst nichts. Funktionell ist es eine Staatenkammer, und das reicht. Die Interessen der Staaten müssen, solange die EU so ist, wie sie ist, dort vertreten werden. Ich denke, jede darüber hinausgehende Diskussion ist zwar in der politischen Öffentlichkeit legitim, aber sie ist nicht besonders nützlich, was die Insti­tutionenreform betrifft.

Zweiter Punkt: Kommission. Soll die Kommission zu einer Regierung umgewandelt werden? – Auch da sehe ich die Frage ganz ähnlich. Die Kommission ist das Organ, das derzeit das Mono­pol im Bereich des Initiativrechtes hat. Dieses Monopol hat eine Regierung bei uns nicht, aber das, was die Regierung macht, sind auch Initiativen. Man nennt sie dann Ministerrats­beschlüs­se, die gegebenenfalls, falls sie zu einem Gesetz werden sollen, dem Parlament weitergeleitet wer­den, also jenem Organ, in dem die Gesetze beschlossen werden. Dies macht auch die Kom­mission. Und die Kommission ist zuständig für die Vollziehung dessen, was auf euro­päischer Ebene zu vollziehen ist. Und dies macht auch eine Regierung.

Die Kommission ist allerdings darüber hinaus – das ist in der Diskussion unterbeleuchtet – auch ein Organ, das einen Interessenausgleich zwischen den Mitgliedstaaten zu besorgen hat. Ich den­ke mir, diesen Gesichtspunkt sollte man jedenfalls im Auge behalten, wenn man die Kom­mis­sion verändern will. Die Kommission ist insbesondere ein Instrument auch zugunsten der klei­neren Mitgliedstaaten, weil sie dafür sorgen muss, dass die Union nicht auseinander bricht, und sie bräche auseinander, wenn die Kleinen zu oft überfahren werden würden.

Das heißt, das ist eine Aufgabe, bei der sich eine Regierung, die man auch so nennt, schwerer täte. Eine Regierung wäre vielleicht im Inland in einer politischen Diskussion leichter zu vertre­ten, weil die Menschen dann verstünden, was die Kommission tut, und nicht ausschließlich von den Bürokraten in Brüssel redeten, was sie in dieser Form nicht sind. Aber ich möchte mich in dieser Frage nicht weiter verbreitern.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen: Ich habe heute die Ehre und das Vergnügen, bei dieser Enquete als Europasprecher meiner Partei zu Ihnen zu sprechen. Aus dieser Perspektive will ich lediglich Folgendes festhalten: Der Föderalismus österreichischer Prägung ist ein Stück öster­reichischer politischer Kultur, und wir wünschen jedenfalls nicht, dass sich die Europäische Union in diese Fragen einmischt. Ob Staaten föderal verfasst sind und wie sie das handhaben, ist Sache der Staaten, die föderal verfasst sind, und ihrer Bürgerinnen und Bürger.

Unseren Föderalismus gestalten wir selbst, und er hat institutionell an sich nicht sehr viel mit der Entwicklung der Europäischen Union zu tun. Das sollte man einfach klar auseinander halten.

Ich denke, das soll so bleiben, es kann allerdings durchaus sein – damit möchte ich schlie­ßen –, dass es da noch Verbesserungsmöglichkeiten im Verhältnis zwischen Bund und Ländern oder auch zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, um das deutlich zu sagen, gibt. Dann sollten wir uns innerösterreichisch damit beschäftigen. Man kann das durchaus am Beispiel der Euro­papolitik abhandeln, aber es ist eine rein innerösterreichische Angelegenheit. (Allgemeiner Beifall.)

10.37


Vorsitzender Präsident Ing. Gerd Klamt¦: Ich danke Herrn Dr. Einem für sein Referat.

Ich bitte nun den Generalsekretär des Städtebundes, Herrn Dr. Erich Pramböck, sein Referat zu halten. – Bitte.

10.37


Referent Dkfm. Dr. Erich Pramböck¦ (Generalsekretär des Österreichischen Städtebundes): Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Frau Bundesministerin! Herr Landeshauptmann! Her­ren Präsidenten! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich danke dem Bun­des­rat sehr dafür, dass ich meine Ausführungen hier machen kann und dass er die Einla­dun­gen, hier zu sprechen, auch an Städte und Gemeinden ausgesprochen hat, weil bisher bei der Re­de der Frau Bundesministerin die Worte „Gemeinden“ und „Städte“ gar nicht vorgekommen sind, bei Herrn Landeshauptmann Haider von „kleineren Gebietskörperschaften“ gesprochen wur­de und jeder der nachfolgenden Referenten nur einmal das Wort „Gemeinden“ verwendet hat. Trotzdem glaube ich, dass es zur österreichischen Struktur des Föderalismus gehört, dass die Bund-Länder-Beziehung um die Beziehung von Bund und Ländern zu den Gemeinden er­gänzt wird.

Es scheint uns tatsächlich sehr oft so vorzukommen – und nicht nur vorzukommen, sondern die heu­tige Veranstaltung war bisher ein Beweis dafür –, als ob Subsidiarität und Föderalismus nur die Beziehung zwischen Bund und Ländern betreffen soll. Wir aber betrachten Österreich als einen kooperativen Bundesstaat, in dem die drei Ebenen der Gebietskörperschaften zusam­men­wirken und auch durchaus zur Lösung der anstehenden Fragen beitragen.

Ich möchte deshalb für die Einladung danken, und ich bitte, dass wir, wenn wir in Zukunft vom Euro­pa der Bürger sprechen, das auch in dieser partnerschaftlichen Form des Zusammen­wir­kens aller Ebenen von Gebietskörperschaften und unter Berücksichtigung aller Lebenslagen der Menschen tun, so wie das vorher bereits angesprochen wurde.

Ich darf besonders hervorkehren, wie die Vorbereitung des Beitritts zur Europäischen Union in Öster­reich in geradezu hervorragender Weise gelöst wurde. Ich knüpfe daran anschließend natürlich meine Bitte, mein Ersuchen und meine Erwartung, dass wir bei der Weiterentwicklung der Europäischen Union ebenfalls dabei sein und unseren Beitrag leisten können und uns auch als Städte und Gemeinden in diesem zukünftigen Europa wiederfinden, wenn wir es auch tatsächlich gegenüber dem Bürger vertreten sollen.

Im Zusammenhang mit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union sind den Städten und Ge­meinden und damit ihren Interessenvertretungen – Gemeindebund und Städtebund – wich­tige Rechte durch Verfassungsbestimmung zuerkannt worden. Ich möchte nur die Einbeziehung in die Verhandlungen und die Information über die Verhandlungen sowie die Einbeziehung in den Rat für österreichische Integrationspolitik, in dem wir Sitz und Stimme haben und in den In­for­mationsfluss eingebunden sind, erwähnen. Gerade durch diese vollständige Einbin­dungs­politik, die verfolgt wurde, wurde Vertrauen geschaffen und wurden die Gemeindemandatare in die Lage versetzt, ihrerseits als Opinionleader in der Vorbereitungsphase eine überzeugte und über­zeugende Haltung einzunehmen.

Das gilt auch für den Ausschuss der Regionen, in den wir genauso eingebunden sind wie die Län­der. Ich möchte hier ausdrücklich die hervorragende Zusammenarbeit mit den Ländern an­er­­kennen. Es ist nach einer sachlichen und offenen Diskussion gelungen, neben neun Län­dervertretern auch drei Kommunalvertreter, davon einen in das Präsidium, zu entsenden.

Ich halte auch die Einbindung in die Vorbereitungsgespräche und die verfassungsmäßige Absi­cherung im Rahmen des bereits erwähnten Artikels 23d beziehungsweise 23e für sehr wichtig – für die Städte und Gemeinden vor allem 23d –, obwohl wir zwar nicht den gleichen Status wie die Länder erhalten haben, aber meiner Ansicht nach die Informationspflicht des Bundes ge­gen­über den Gemeinden und deren Stellungnahmerecht ausreichend verankert wurden.

Ich möchte auch ausdrücklich erwähnen, dass wir in die wöchentlichen Vorbereitungsgespräche mit eingebunden sind, die im Außenministerium beziehungsweise Bundeskanzleramt stattfin­den. Dazu hätten wir eine kleine Anmerkung. Wir würden die zu Grunde liegenden Dokumente gerne in einer gewissen strukturierten Form erhalten. Derzeit gibt es nur die Variante: alle Doku­mente oder nichts, was die tatsächliche Mitwirkung mit einer gewissen praktischen Schwie­rigkeit behaftet.

Ich möchte die Vertretung in Brüssel noch besonders hervorheben, weil es dadurch möglich war, ein gemeinsames Büro in Brüssel im Rahmen der österreichischen Mission einzurichten. Ich danke dem Bund für sein Verständnis, dass er dadurch europaweit die hervorragende Po­sition der Gemeinden dokumentiert hat und uns eine Vertretung ermöglicht.

Eine nicht unwichtige Facette des Mitwirkungsrechtes der Gemeinden möchte ich noch beto­nen. Wenn es nämlich um essenzielle Angelegenheiten des Vollziehungsbereiches der Ge­mein­den geht – insbesondere im Bereich des Umweltschutzes oder in den letzten Monaten im Be­reich der Daseinsvorsorge –, werden die Städte und Gemeinden in die Erarbeitung von ös­ter­reichischen Positionen, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität durch die einzelnen Minis­terien, eingebunden und haben eine gute Gesprächsbasis mit den Vertretern des Bundes.

Wir würden es allerdings begrüßen, wenn der Bund die österreichische Position in Brüssel dezi­dier­ter vertreten und dem anglikanischen Trend zur Aushöhlung leistungsfähiger Gemeinden deutlicheren Widerstand entgegensetzen würde. Gerade das in Österreich doch sehr ausge­prägt vorhandene Modell der sozialen Kooperation, des sozialen Zusammenhalts, das euro­päische soziale Gesellschaftsmodell, sollte auch auf der EU-Ebene dem Vordringen des reinen Wirt­schaftsliberalismus gegenübergestellt werden. Wir als Österreicher sind stolz auf blühende Städte und Gemeinden, auf den hohen Standard im Umweltbereich, auf das Fehlen von Slums und aggressiver Kriminalität in den Gemeinden und auf den Zugang aller in Österreich leben­den Menschen zu unseren Leistungen. Wir sollten aber allenfalls mehr tun, um den Erhalt der Grundlagen dafür auch zu verteidigen.

Wenn es in der Erklärung 23 zum Vertrag von Nizza heißt, dass „die Transparenz der Union und ihrer Organe verbessert werden muss, um diese den europäischen Bürgern näher zu brin­gen“, dann darf es nicht beim Verhältnis zwischen Union und Mitgliedstaaten bleiben, dieses Prin­zip muss durchgängig gestaltet werden, das heißt, es muss auch unter die nationale Ebene rei­chen. Es darf aber auch nicht bei den Ländern enden, sondern muss bis zu den Städten und Ge­mein­den gehen. Nur eine partnerschaftliche Struktur des Zusammenwirkens der verschie­de­nen Gebietskörperschaften kann zum Zusammenhalt der Union beitragen und die nötige Identifi­zie­rung sichern. Die Stärkung einer oder die Absicherung der Rechte einer der Gebiets­körper­schaften zu Lasten und unter Außerachtlassung anderer Ebenen von Gebietskörper­schaf­ten ist nicht der geeignete zukunftsweisende Weg.

Ich möchte auch daran erinnern, dass die Republik Österreich allenfalls häufiger daran denken sollte, dass der Vollzug innerstaatlich die Gemeinden trifft und die Position der Gemeinden aus­drücklich zu schützen ist. Immerhin kommen 60 Prozent der Regelungen, die in die Gemeinden hineinreichen, von der Europäischen Union.

Genauso ergeht unser Ersuchen, wenn es um die künftige Debatte über die Zukunft der Union geht. Auch hier sind alle Teile der Gesellschaft einzubeziehen. Wir appellieren als Städte und Ge­meinden an die österreichische Bundesregierung, diese Einbeziehung ernst zu nehmen. Wie kann es zu einem „Europa der Bürger“ kommen, wenn die Gemeindeautonomie und somit das Recht der Bürger, ihre örtlichen Angelegenheiten autonom und selbstbestimmt zu regeln, durch die Europäische Union nicht anerkannt wird und eine nicht durch demokratische Wahlen legiti­mierte Kommission in jenen Bereichen, in denen sie zuständig ist, auch zu wissen glaubt, was dem Bürger vor Ort zum Besten gereicht?!

Die Bürger bringen ihren Willen im Wege demokratischer Wahlen zum Ausdruck, und die loka­len Mandatare sind in der heutigen Zeit durch mündige Bürger sehr viel stärker gefordert als frü­her. Sie sind für eine Fülle von Lebensverhältnissen für die Bürger verantwortlich. Deshalb sollte auch die Autonomie der Gemeinde als unmittelbarer Ausdruck der Subsidiarität im Rechts­ge­füge der Europäischen Union dokumentiert sein. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vor­sitz.)

An die Bundesregierung darf ich das Ersuchen richten, Städtebund und Gemeindebund in den Ende Mai begonnenen Dialog „Zukunft der Union“ stärker und intensiver einzubeziehen. Das gilt auch für das künftige offene Forum.

Als Städtebund können wir uns kaum einen Kompetenzkatalog für die einzelnen Ebenen der Gebietskörperschaften vorstellen. Österreich ist geradezu das Paradebeispiel für einen erfolg­rei­chen auf Kooperation ausgerichteten Bundesstaat. Unserer Ansicht nach geht es um die For­mu­lie­rung von Grundregeln für die Abgrenzung und für die Begrenzung von Zuständig­kei­ten, die dem Prinzip der Subsidiarität beziehungsweise dem ausdrücklichen Vorrang der bürger­näheren Ebene bei der Erbringung von Leistungen entspricht. Diese Leistungen umfassen die Daseins­vorsorge im Bildungs-, Sozial-, Gesundheits-, Umwelt- und kommunalen Infrastruktur­bereich.

Diese Leistungen der Daseinsvorsorge wären auf nationaler, wenn nicht sogar auf Länder­ebene festzulegen, womit auch die Schnittstelle zwischen örtlicher und regionaler Selbstorga­nisa­tions­kraft einerseits und dem Wettbewerbsgedanken, der vom Europäischen Binnenmarkt aus­geht, andererseits klargestellt wäre. Dies könnte auch eine neue substanzielle Aufgabe für die Landtage darstellen, und ich bitte um eine Festlegung, über welche Leistungen, die Leistun­gen der Daseinsvorsorge sind, die einen geschützten Bereich ausmachen, die einen nicht voll­ständig dem Wettbewerb unterworfenen Bereich ausmachen, in eine ernsthafte Diskussion ein­getreten wird, weil sonst der Binnenmarkt und das Wettbewerbsrecht jede örtliche Initiativ­kraft aus dem Felde schlagen. Gemeinden würden letztlich – ich möchte es überspitzt, pointiert, aber sehr klar sagen – auf die Verteilung der Armensuppe zurückgedrängt werden, weil ihre Leistun­gen grundsätzlich ausgeschrieben werden müssten.

Ich darf deshalb auch vorschlagen, im EU-Vertrag neben der Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten auch eine regionale und lokale Komponente einzufügen, etwa durch Über­nahme der entsprechenden Passage aus der Präambel der Europäischen Grundrechtscharta.

Weiters sollte der EuGH wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips angerufen werden können.

Der Ausschuss der Regionen sollte jedenfalls durch ein Klagerecht beim EuGH in Subsi­diari­täts­fragen gestärkt werden.

Letztlich möchte ich auch noch das „offene Koordinierungsverfahren“ ansprechen, bei dem die lo­kale Ebene nicht unbedingt in EU-Politiken eingebunden werden muss. Das ist zu hinter­fra­gen, wenngleich nicht unbekannt geblieben ist, dass diese Methode gerade wegen ihrer Mög­lich­keit, unbehelligt von Dritten neue Fakten für EU‑Politiken festlegen zu können, beliebt wur­de. Gerade die Nichteinbindung Dritter kann sich jedoch bei der gegebenen Verflechtung der politischen Akteure langfristig nicht positiv auswirken.

Seitens der Städte und Gemeinden ergeht das dringende Ersuchen, den Dialog mit Ihnen und den Gemeindebürgern zu suchen und zu führen. Nur wenn die Bürger feststellen, dass die Euro­päische Union sie auch in ihrer örtlichen Gemeinschaft, die ihre Lebensqualität ausmacht und die für sie überschaubar ist, ernst nimmt, werden sie auch die Union respektieren.

Ich möchte Ihnen zur Bedeutung der örtlichen Gemeinschaft für die Lebensverhältnisse der Be­völkerung nur eine einzige Zahl mitgeben, damit Sie noch besser abschätzen können, was die Gemeinden für das Leben der Menschen bedeuten. 70 Prozent der öffentlichen Investitionen werden durch die Gemeinden durchgeführt. Das beginnt bei den Kindergärten und reicht über Schu­len bis hin zu Pflegeheimen und Fragen der örtlichen Straßen und sonstigen Verkehrs­verhältnisse.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Abgeordnete! Ich bitte Sie, in der zu­künftigen Diskussion die Städte und Gemeinden nicht zu übersehen. Ihre Vertreter spielen im zukünftigen Europa eine wichtige Rolle.

Ich danke, dass ich diese meine Ausführungen vor Ihnen machen konnte. Besten Dank, Herr Präsident! (Allgemeiner Beifall.)

10.51


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Ich danke Ihnen sehr, Herr Dr. Pramböck!

Ich erteile als Nächstem nun dem Vertreter der österreichischen Bundesländer in der österrei­chischen Mission in Brüssel, Herrn Gesandten Botschaftsrat Dr. Klemens Fischer, das Wort. – Bitte.

10.51


Referent Gesandter-Botschaftsrat Dr. Klemens H. Fischer¦ (Leiter der Abteilung Länderan­gele­genheiten in der Ständigen Vertretung Österreichs bei der EU): Sehr geehrter Herr Präsident! Herren Landtagspräsidenten! Damen und Herren des Bundesrates! Ich möchte mich eingangs für die Einladung zur Teilnahme an dieser Enquete sehr herzlich bedanken.

Standesgemäß werde ich mich von der politischen Ebene auf die technische Ebene zurück­ziehen. Ich möchte Ihnen – vorgegeben auch von Ihrem Präsidium – in groben Zügen schildern, wie die tägliche Praxis der Bund-Länder-Koordination insbesondere auch im Feld in Brüssel stattfindet.

Ich bin Angehöriger der Verbindungsstelle der Bundesländer in Wien, die in Brüssel eine Außen­stelle hat, die als Abteilung Länderangelegenheiten in der Ständigen Vertretung geführt wird. Ich möchte hier auch gleich auf ein Unikum hinweisen, das typisch österreichisch ist, und dabei auch auf die Ausführungen von Generalsekretär Pramböck eingehen.

Wir sind das einzige Mitgliedsland, das nicht nur die Regionen in der Ständigen Vertretung hat, sondern wir haben – neben der Sozialpartnern – auch ein eigenes Büro des Städtebundes und des Gemeindebundes. Das bedeutet, dass wir uns schon manchmal die Frage stellen sollten, ob man immer auf die technischen Details in der Verfassung abstellen oder nicht auch die tägliche Realität sehen muss, die in Österreich an sich relativ gut funktioniert.

Die Verbindungsstelle der Bundesländer hat in der Ständigen Vertretung eine Art Doppel­funktion. Auf der einen Seite ist sie, wie ausgeführt, eine Abteilung der Ständigen Vertretung und nimmt daher dieselbe Funktion wahr wie alle anderen Abteilungen dieser Auslands­vertre­tungsbehörde, auf der anderen Seite ist sie auch klassische Ländervertretung. Gerade diese Doppelfunktion wirkt sich auf die Informationslage der österreichischen Bundesländer massiv aus, denn damit sind die Länder in jeglichen Informationsfluss eingebunden, und zwar auf allen Ebenen der europäischen Institutionen.

Die Bund-Länder-Vereinbarung ist mehrmals angesprochen worden, sie basiert auf vier Säulen. Die eine Säule ist die Informationspflicht des Bundes, die zweite Säule das Stellungnahmerecht der Länder, die dritte Säule die Einbindung von Ländervertretungen in Verhandlungs­dele­gatio­nen, und die vierte Säule ist eben die Einrichtung einer Ländervertretung in der Ständigen Ver­tre­tung.

Ich möchte ganz kurz diese vier Säulen beleuchten und Ihnen dann einige konkrete Beispiele geben, wie die Umsetzung täglich passiert:

Die Informationspflicht des Bundes basiert darauf, dass die Länder einerseits ihr Recht selbst einfordern, Information zu bekommen. Auf der anderen Seite erfolgt dies ohne Aufforderung durch die Länder vom Bund selbst. Naturgemäß ist es immer die Frage: Was verlange ich von Information? – Man könnte die Überschwemmungstheorie vertreten, dass all das, was an Papier oder an Information aus Brüssel kommt, 1 : 1 weitergeleitet wird. Die andere Frage ist: Darf man einen Filter einziehen? Und wenn: Wer soll dieser Filter sein?

Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass durch die Einbindung der Länder bei allen Ko­or­dinationssitzungen – sei es hier in der Zentrale in Wien, bei der Koordination zur Vorbereitung des Ausschusses der Ständigen Vertreter, der Koordination für Ratsarbeitsgruppen und auch der Koordination im Vorfeld von Tagungen des Rates und des Europäischen Rates – eine relativ große Einbindung gegeben ist, das heißt, faktisch verfügen daher die Länder über eine Vollinfor­mation.

Die Verbindungsstelle der Bundesländer übt hier eine Doppelfunktion aus. Zum einen ist sie eine Art Relais – sprich: sie verteilt, gibt an die Länder weiter –, zum anderen ist sie aber natür­lich auch per se eine Informationsbeschaffungsstelle. Entscheidend für den Informationsfluss ist aber, dass sich der Bund bislang konsequent an das vorgesehene Procedere gegenüber den Ländern gehalten hat.

Zweite Säule: das Stellungnahmerecht der Länder. Es liegt in der Entscheidungsfreiheit der Län­­der, ob sie in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen Stellungnahmen abgeben. Sie haben davon bisher mannigfaltig Gebrauch gemacht, und zwar sowohl während der Beitritts­verhand­lungen, als dieses Gesetz, also die Änderung der Bundesverfassung, noch gar nicht in Kraft ge­wesen ist, als auch seit dem Beitritt. Bislang ist vom Bund noch nie ohne Begründung von einer bindenden Stellungnahme abgewichen worden.

Diese eine Ausnahme, bei der der Bund abwich, war ein eher skurriles Beispiel. Es handelte sich um die europäische Zoo-Richtlinie. In diesem Fall ist es aus integrationsrechtlichen Grün­den wirklich beinahe zwingend notwendig gewesen, dass sich der Bund doch eher einer Abwei­chung zugeneigt hat. Wenn man jetzt noch dazusagt, dass die Auswirkung dieser Richtlinie inner­staatlich nicht gerade von epochalen Ausmaßen gewesen ist, dann mag es als beinahe verzeihlicher Fehler gelten, wenn es überhaupt ein Fehler gewesen ist.

Es wurden auch die Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen angesprochen. Naturgemäß sind die Fristen sehr kurz, und die Entscheidungsprozesse erfolgen auch sehr rasch. Die Länder be­mühen sich, die Fristen einzuhalten. Manches Mal bekommen wir klarerweise die Aufforderung zur Stellungnahme relativ kurz – schon mit der Vorlaufzeit der vorangegangenen Innerbund­koordination –, aber im Regelfall bleibt noch so viel Zeit, dass auch wir unsere Meinung dazu abgeben können.

Die Einbindung von Ländervertretern in Verhandlungsdelegationen ist ein völlig anderes Kapi­tel. Da müssen Sie zwischen der beamteten und der politischen Vertretung unterscheiden. Auf der beamteten Vertretung glaube ich, mit Fug und Recht behaupten zu können, ist es sehr pas­sabel, denn die Länder sind in allen Delegationen grundsätzlich als Experten oder als Dele­ga­tionsmitglieder vertreten. Ich selbst hatte die Ehre, als einer der vier Regierungsbeauftragten für die Regierungskonferenz 2000 auf allen Ebenen inklusive Europäischer Rat teilnehmen zu dürfen.

Eine andere Frage ist die politische Vertretung. Hier stellt sich natürlich gerade unter belgi­schem Vorsitz die Frage, ob die Länder nicht auch einmal eine Delegationsführung einnehmen sollten? – Bislang haben die Länder nur an informellen Ministerräten teilgenommen, und zwar in den beiden Bereichen, die eindeutig Länderkompetenzen betreffen, sprich Regionalpolitik und Raum­ordnung. Das Wort im Gremium wurde auch in diesem Fall von den politischen Länder­vertretern ergriffen.

Factum est: Es handelt sich um einen informellen Rat, und daher werden dort keine Entschei­dun­gen getroffen. Es stellte sich daher nicht die Frage, ob die Stimmabgabe von einem Länder­vertreter wahrgenommen wird oder nicht. Dennoch erfolgt die Einbindung aber auf politischer Ebene. So hat auch Landeshauptmann Purtscher anlässlich der Regierungskonferenz, die vor dieser stattgefunden hat, politisch die Länder vertreten.

Die Länder- oder Ständevertretung ist faktisch ab dem Jahr 1992 wahr geworden. Die Rolle hat sich durch den Beitritt keineswegs verändert. Im Gegenteil: Ich kann Ihnen versichern, dass wir voll in das Informationsgefüge der Ständevertretung eingebunden sind. Die Rolle beschränkt sich nicht nur auf Beschaffung und Übermittlung von Dokumenten, sondern umfasst auch die Teil­nahme an Sitzungen auf allen Ebenen und insbesondere die Berichterstattung an die Län­der, um sie auch darauf aufmerksam zu machen, wie und in welcher Art und Weise Änderungen kommen mögen und wie mögliche Reaktionen ausschauen sollten.

Das bedeutet, dass im Gegensatz zu allen anderen föderal strukturierten Staaten Europas die öster­reichischen Länder und Regionen nicht auf Information aus zweiter Hand angewiesen sind, wir sind Teil der Vertretung und haben daher Firsthand-Information.

Der Prüfstein für alle gesetzlichen Bestimmungen ist aber natürlich der tägliche Gebrauch der Nor­men. An ihm ist zu messen, ob die Rechte der einzelnen Parteien, die durch Normen ge­schützt sein sollen, auch wirklich wahrgenommen werden oder nicht.

Grundsätzlich läuft die Information – nach dem Stichwort: von Brüssel nach Wien und retour – von der Ständigen Vertretung an die einzelnen Abteilungen und an die Zentrale nach Wien. Das bedeutet, dass das, wenn es sich um Angelegenheiten der Länderkompetenzen handelt, auf dem Tisch der Länderangelegenheiten landet und ich natürlich verpflichtet bin, auch die Bun­des­dienststellen mit der Information zu beteilen. Mutatis mutandis beteilen auch die Abteilungen der Bundeseinheiten die Länder im Wege der Verbindungsstelle der Bundesländer. Das heißt, dass der Informationsfluss aus Brüssel auf jeden Fall sichergestellt ist.

Die innerstaatliche Gesamtkoordination obliegt in Angelegenheiten der Europäischen Integra­tion dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und dem Kanzleramt, und in Vorbereitung von Ratsveranstaltungen oder Ähnlichem obliegt es dem federführenden Ressort, die Koor­di­na­tion sicherzustellen. Auch hier wird die Länderseite eingebunden, indem die Verbindungs­stel­le an diesen Sitzungen teilnimmt, und es ist eher eine Frage, wie sehr die Länder unter­einan­der es schaffen, sich zu koordinieren, als ob sie vom Bund eingebunden werden.

Der Koordinationsprozess vor Ratsveranstaltungen weicht natürlich vom normalen Koordina­tions­prozess ab, denn hiebei geht es nicht nur um die Frage, ob es eine Stellungnahme der Län­der gibt oder nicht, sondern es geht um die politische Verantwortung, die der jeweilige Fach­minister im Rat wahrnehmen muss. Wie bereits ausgeführt, hat sich der Bund bislang an die bindenden Stellungnahmen gehalten.

Ich möchte ein klassisches Beispiel, das bereits Landeshauptmann Haider erwähnt hat, noch ein­­mal anführen, nämlich die Regierungskonferenz 2000: Es war eine klare Forderung der Län­der, dass im Bereich der Umwelt das Einstimmigkeitsprinzip auch weiterhin für die Fragen der Wasserwirtschaft, der Raumordnung und der Bodennutzung gilt. Obwohl es nicht gerade ein­fach gewesen ist, diese Forderung in Nizza durchzusetzen, denn da stand die Republik wirk­lich völlig allein auf weiter Flur – es war kein anderer Mitgliedstaat dafür –, konnte sich die Re­publik durchsetzen und dieses Einstimmigkeitsprinzip wahren, und damit haben auch die Länder ihre Forderung durchgesetzt.

Eine zweite Thematik, die bei der Regierungskonferenz auftauchte, war die Frage der Größe des Ausschusses der Regionen. – Er wurde hier als notwendig oder nicht notwendig bezeich­net. Ich erlaube mir darüber kein Urteil zu treffen. – Wir haben ein sehr diffizil ausgewogenes Maß betreffend die Besetzung des Ausschusses der Regionen: Uns stehen derzeit zwölf Sitze zu, wir haben neun Länder, und wir haben den Städtebund und den Gemeindebund, das heißt, wir benötigen numerisch zumindest elf Sitze, um alle beteilen zu können. Zum Glück haben wir durch Amsterdam die Reserve, dass wir zwölf Sitze haben. Die Regierungskonferenz hatte aller­­dings die Vorstellung, dieses Gremium infolge der Erweiterung radikal numerisch zu kür­zen. Das hätte bedeutet, dass wir zumindest die Hälfte dieser Sitze verloren hätten. Österreich hat sich erfolgreich eingesetzt – mit deutscher und auch mit belgischer Unterstützung –, dass die­ser Ausschuss auch in Zukunft so groß sein wird, dass die jeweiligen Regional- und Kommu­nal­vertreter aller Mitgliedstaaten dementsprechend vertreten sein können.

Das ist in der Folgediskussion von Nizza als kaum wichtiges Detail herausgekommen, aber wenn die Länder darauf drängen, dass sie Positionen einbringen können, dann sollte man auch darüber sprechen. Und auch in dieser Angelegenheit waren sie erfolgreich.

Im Ausschuss der Regionen ergibt sich eine völlig andere Situation. Es ist dies die einzige aus­schließliche Angelegenheit der Gebietskörperschaften Länder und Gemeinden im Bereich der EU, derzeit vor allem auf institutioneller Ebene. Anlässlich der Plenartagungen dieses Aus­schus­ses kommt die Doppelrolle der Verbindungsstelle der Bundesländer ganz besonders zum Aus­druck: Auf der einen Seite sind wir für die Plenartagung als Ländervertreter zuständig, ande­rer­seits aber auch als Vertreter der Ständigen Vertretung, und entgegen allen österreichischen Manieren kommt es dadurch nicht einmal zu einer Doppelberichterstattung, sondern es wird so­gar ein gemeinsamer Bericht für alle beteiligten Seiten gemacht, um auch eine einheitliche Be­richterstattung herbeizuführen. – Bei aller Liebe zum Föderalismus und zur Vielfältigkeit muss es auch zu einer einheitlichen Berichterstattung kommen, um mögliche Interpretationsschwierig­keiten von vornherein zu minimieren. Das bedeutet aber auch, dass die Tätigkeit von beiden Sei­ten – sei es von Bund oder Ländern – sehr verantwortungsvoll wahrgenommen werden muss, um für den Fall der Federführung beiden Seiten die volle Information zu gewährleisten.

Bis dato haben sich die Länder im Bereich der Kultur massiv eingebracht. Ich möchte kurz auf das Rahmenprogramm „Kultur 2000“ verweisen, das im Wesentlichen von den Ländern auf euro­­päischer Ebene mitgestaltet wurde. Dabei funktionierte die innerstaatliche Koordination sehr gut, und die Forderungen der Länder konnten in diesem Fall erfolgreich vertreten werden.

Dasselbe betrifft den Bereich Naturschutz, und Sie alle, die im Länderbereich tätig sind, wissen wohl, was es bedeutet, wenn man von aufgebrachten Bürgern etwa mit dem Problem der Habi­tat-Richtlinie konfrontiert wird. Das ist natürlich ein sehr schwieriges Kapitel, aber dennoch: Es wur­de gemeinsam ausverhandelt, und daher muss das Ergebnis auch gemeinsam getragen wer­den.

Im sensiblen Verkehrsbereich werden die Meinungen der Länder nachhaltig berücksichtigt, und auf die sehr guten Ergebnisse aus Ländersicht im Bereich der Regierungskonferenz habe ich bereits verwiesen.

Ich möchte damit schließen, dass ich drei Hauptpunkte noch einmal hervorhebe.

Erster Punkt: Im Gegensatz zu anderen föderal organisierten EU-Mitgliedstaaten sind die öster­rei­chi­schen Länder und in diesem Fall auch die Gemeinden durch eine eigenständige Abteilung in die Ständige Vertretung eingebettet, und sie verfügen daher über einen sehr großen, sehr breiten und sehr offenen Informationsfluss.

Zweiter Punkt: Die Einbindung in die innerstaatliche Koordination ist sowohl in Österreich als auch in Brüssel gegeben. – Ich gebe aber Präsidenten Schreiner sehr wohl Recht, dass einige sehr interpretationsbedürftige Begriffe in der Bundesverfassung die rechtliche Seite nicht so sicher erscheinen lassen, wie die faktische normative Kraft es uns heute darstellt. – Ich spreche beispielsweise von den Fragen: Wann kann man abweichen? Was bedeutet „außen- und integrationspolitisch“? Wer darf an Delegationen teilnehmen? Was bedeutet das Wort, wenn es faktisch möglich ist, von der Delegationsgröße abhängend, ob es integrationsrechtlich not­wendig ist? – Das sind Dinge, die möglicherweise einer Änderung des Gesetzes oder einer anderen Auslegung bedürfen.

Dritter Punkt: Die praktische Implementierung hängt auch vom persönlichen Vertrauen der jeweiligen Institution untereinander ab. An sich kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass die Vertrauensbasis regelmäßig vorhanden ist und in der täglichen Praxis auch vertieft wird. Im dargestellten Arbeitsbereich hat der Bund die Länder faktisch als gleichwertige Partner aner­kannt, und ich räume noch einmal ein, dass die Verfassungslage das vielleicht etwas anders darstellt.

Die Debatte zur Zukunft Europas ist sicherlich keine virtuelle. Zur Frage, wie demokratisch man dieses Europa gestalten soll und will, möchte ich allerdings anführen, dass es sich hiebei um kei­ne demokratische Organisation, sondern um eine supranationale Organisation handelt. Und die Organisation tut das, was die Mitgliedstaaten ihr als Recht gegeben haben. Wirft man heute der Union vor, sie sei undemokratisch, dann ist das beinahe Kindesweglegung, denn wir haben die­se Organisation so geschaffen, wie sie uns heute gegenübertritt. Es liegt daher auch an uns als Mitgliedstaaten, sie in die Richtung zu wenden, die wir heute möglicherweise als aktueller ansehen.

Ich glaube, dass sich die Bundesländer – ich möchte jetzt noch einmal die Städte und Gemein­den zitieren – bis dato in diesen Integrationsprozess ganz massiv eingebracht haben. Dazu wird ihnen auch die Möglichkeit gegeben. Ich nehme daher an, dass es sehr wohl insbesondere an uns liegen wird, ob wir unsere Rechte wahrnehmen und ob wir die Fristen wahren – sowohl geis­tig als auch im faktischen Sinne –, um uns dessen bedienen zu können, was der Gesetz­ge­ber vorgesehen hat. – Ich bedanke mich. (Allgemeiner Beifall.)

11.09


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Herzlichen Dank.

Ich bitte nun den Vorsitzenden des Europa-Ausschusses des Bayerischen Landtages Herrn Staatssekretär a.D. Alfons Zeller um sein Referat. – Bitte.

11.09


Abgeordneter Alfons Zeller¦ (Staatssekretär a.D., Abgeordneter zum Bayerischen Land­tag/Ver­treter der deutschen Länder): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da­men und Herren! Zunächst bedanke ich mich herzlich für die Einladung nach Wien. Ich sage bewusst: Wenn man als Allgäuer von Vorarlberg und Tirol geographisch umschlungen ist, dann fühlt man sich auch in Wien wie zu Hause!

Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nachdem ich die jetzige Diskussion miterlebt ha­be, darf ich Folgendes vorwegschicken: Die europäische Entwicklung in den vergangenen fünf­zig Jahren ist eine Erfolgsstory, gemessen an dem, was Europa für vorhergehende Genera­tio­nen dargestellt hat. Natürlich bedeutet Europäische Integration nicht wie in den Anfangs­jahren, dass Integration dann besteht, wenn man Kompetenzen nach Brüssel liefert. Umso größer Euro­pa wird, umso wichtiger sind auch das Subsidiaritätsprinzip und die Mitbestimmung der Regionen.

Ich sage ganz bewusst: Die Osterweiterung der Europäischen Union wäre ohne die Gesichts­punkte „Europa der Regionen“ und „Europa der Subsidiarität“ gar nicht zu machen, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass die Länder, die nach vielen Jahrzehnten das Mitbestimmungs‑ und Selbstbestimmungsrecht zurückerobert haben, diese Rechte jetzt an der Garderobe von Brüs­sel abgeben sollen. Das kann ich mir nicht vorstellen! Folglich kann sich Europa nur im Rah­men der Subsidiarität als Europa der Regionen mit Kompetenzverlagerung weiterhin gut entwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube Maastricht, Amsterdam und Nizza stellen eine konsequente Erfolgsstrecke dar, insbesondere, wie ich ganz bewusst sagen möchte, für den deutschen und bayrischen Föderalismus. Die Ministerpräsidentenkonferenz im Jahre 1987 mach­te das Subsidiaritätsprinzip mit der so genannten Münchner Erklärung gleichsam erst hof­fähig. Vorher hatte kaum jemand darüber gesprochen. Mit der Verankerung des Subsidiari­täts­prin­zips als Handlungsmaxime ist in der Europäischen Union allerdings sehr viel erreicht wor­den. Und gerade vor dem Hintergrund der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, welche his­to­risch mehrheitlich zentralistischen Gepräges sind, ist der Begriff der Länder zu einem festen Begriff in Europa geworden. Die historische Länderblindheit der Europäischen Union wurde damit beendet, und heute ist das Wort „Region“ in Brüssel ein Begriff, und auch die Kommission anerkennt die achtziger und neunziger Jahre als Zeit der Regionalisierung und als Zeitraum der Dezentralisierung.

Es wurde heute schon angedeutet, dass wir in Deutschland innerstaatlich den Grundgesetz­arti­kel 23 insofern geändert haben, als Länder bei Angelegenheiten der Europäischen Union mit­wir­ken können. Nur durch das Subsidiaritätsprinzip ist es im Ansatz auch möglich, mit Nach­druck eine Kompetenzabgrenzung zu fordern. Umgekehrt bedeutet die Stärkung der Länder nicht zwangsläufig und automatisch auch den Abbau von EU-Kompetenzen. Es ist heute schon ge­sagt worden: Sicherheitspolitik, Verteidigungspolitik, Politik nach außen, Asylpolitik und Politik im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität müssen natürlich als Aufgaben der Euro­päischen Union für unser Europa insgesamt gelten.

Zweitens: die aktuelle Chance und die Positionierung, Beschränkung der Europäischen Union auf die Kernkompetenzen als Ziel. Gerade vor diesem Hintergrund ist meines Erachtens die Er­weiterung – wie bereits angedeutet – wichtiger denn je. Aufgabe der Regierungskonferenz 2004 wird es sein, Kompetenzen zuzuordnen, damit das Subsidiaritätsprinzip erfüllt und auch in den Ver­trägen mit Leben ausgestattet wird. Zugleich ist das auch ein entscheidender Baustein, um die Europäische Union langfristig auch mit 25 oder 27 und noch mehr Mitgliedstaaten hand­lungs­fähig zu erhalten. Heterogenität der erweiterten Europäischen Union verhindert einen Zentrali­sierungsschub. Die Osterweiterung ist ohnehin nur mit Stärkung föderaler Elemente leist­bar. Es bedarf für die Zukunft einer tragfähigen Konstruktion. Die Europäische Union wäre überfordert und – wie ich ganz bewusst sage – zu schwerfällig beim Handeln, wenn Europa größer und alles nach Brüssel verlagert wird.

Ich zitiere: „In konsequenter Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips liegt der Schlüssel für zu­kunftsfähige Staatswesen von der europäischen Ebene bis hin zur Kommune.“ – So lautete zum Beispiel die Formulierung eines Antrages über das Subsidiaritätsprinzip als Zukunftsstrategie im Bayerischen Landtag vor eineinhalb Jahren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Subsidiarität und Beschränkung der Kompetenzen der Europäischen Union betreffen auch die Interessen der Beitrittskandidaten. Wir können uns nicht vorstellen, dass diese letztendlich eine zentralistische Einengung wollen. Bekanntlich haben wir heute bereits in der Wirtschaftspolitik über 70 Prozent und in der Agrarpolitik 80 Pro­zent an Kompetenz an Brüssel abgegeben, und diese Entwicklung müssen wir stoppen. Ich sa­ge dies hier ganz bewusst. Ich meine aber, dass die Tendenz zur Allzuständigkeit der Euro­päischen Union heute auf Grund der vielen Diskussionen innerhalb Europas eigentlich bereits Ver­gangenheit ist. Deshalb hat auch der bayrische Ministerpräsident Dr. Stoiber bei seiner Re­gie­rungserklärung im Plenum des Bayerischen Landtags vor etwa einem Jahr davon gespro­chen, dass die Revitalisierung des Föderalismus die Antwort auf die zunehmende Zentralisie­rung in Europa sei. (Beifall des Bundesrates Mag. Gudenus.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um diesbezüglich überhaupt etwas bewirken zu kön­nen, ist natürlich die Einigkeit der Länder erforderlich, die mit einer Stimme sprechen müssen, und deshalb ist eine innere Abstimmung dieses Bereiches dringend notwendig. In diesem Zu­sam­menhang geht es nicht nur um Regionen, sondern auch um die Eigenstaatlichkeit der Länder.

Auch auf der Ebene der Europäischen Union gilt es noch vieles umzusteuern. Im Zusammen­hang mit Strukturpolitik hatten wir gestern auch im Bayerischen Landtag eine ausführliche Dis­kus­sion über den so genannten Wettbewerbsföderalismus, und ich kann hinzufügen, dass Bayern, Baden-Württemberg und Hessen am vergangenen Wochenende mit den anderen Bun­desländern einen riesigen Erfolg gehabt haben.

Zur Frage des Föderalismus innerhalb der deutschen Länder im Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland: Dadurch, dass sich der Finanzausgleich zwischen den Ländern in der Zwi­schenzeit so hoch entwickelt hat, dass ein Land die Eigenleistungen und die eigene wirt­schaft­liche Potenz gar nicht mehr verspürt hat, sondern diese nahezu 100-prozentig in den Länder­finanzausgleich eingebracht worden sind, hat bei den Ländern fast jegliche Motivation gefehlt, sich mehr anzustrengen. Ich meine, ebenso müsste man das auch in Bezug auf Europa sehen. Natürlich kann man Europa nicht zur Gleichmacherei entwickeln beziehungsweise würde sich dies auf sehr tiefem Niveau bewegen, und das wollen wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit Sicherheit alle nicht! Es ist ein riesiger Erfolg, dass wir erreicht haben, dass die Misch­finanzierung zwischen Bund und Ländern ab dem Jahre 2005 in Deutschland Vergan­gen­heit ist. Es gab diesbezüglich zwei Überlegungen, und die Länder, die von der Mischfinan­zie­rung partizipiert haben, sehen dies natürlich auch mit einem weinenden Auge. Trotzdem haben auch sie unter dem Blickwinkel zugestimmt, dem Föderalismus wieder mehr Spielraum zu geben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einen dritten Punkt, nämlich die Auf­ga­ben für den Post-Nizza-Prozess ansprechen. – Ich glaube, man kann über Nizza spre­chen und argumentieren, wie man will, jedenfalls ist aber ein Prozess angestoßen worden, und wir ha­ben jetzt die große Chance, zu einer Kompetenzabgrenzung zu kommen, die bisher in Europa noch nie zur Diskussion stand. Jetzt liegt es auch an uns, was wir letztendlich daraus ma­chen! Ich glaube, dass die Stärkung des Föderalismus – ich nehme an, dass es sich auch in Öster­reich ähnlich verhält – auf zwei Schienen laufen muss: Einerseits ist das Verhältnis zwi­schen der Europäischen Union und den Nationalstaaten und andererseits das Verhältnis zwi­schen den Nationalstaaten und den Ländern zu berücksichtigen. – Ich habe gerade versucht, das deutsche Beispiel vom vergangenem Wochenende zu vermitteln.

Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass es jetzt sehr wichtig ist, dass diese Entscheidung in Europa auf der am besten geeigneten Ebene und möglichst bürgernah getroffen wird. Das ist wichtig, wenn wir ein Europa der Bürger sein wollen, wenn wir wollen, dass möglichst viele Bür­ger an den Europawahlen teilnehmen, und wenn wir wollen, dass Europa auch – wie ich es jetzt bewusst ausdrücken möchte – mit dem Herz mitgenommen wird. Ein großer bayrischer Po­li­ti­ker – er lebt nicht mehr – hat das vor vielen Jahren einmal so ausgedrückt: Bayern ist meine Hei­mat, Deutschland Vaterland, Europa unsere Zukunft. – Daran sieht man, was in die­sen drei Begriffen steckt!

Ich glaube, dass wir mit Fug und Recht sagen können, dass wir uns gerade im Post‑Niz­za‑Pro­zess anstrengen müssen, dass sich die Länder entsprechend einbringen können. Wir hatten in Bayern in den vergangenen Wochen nahezu jede Woche eine Diskussion darüber, wie dieser Pro­zess organisiert wird. – Ich erinnere an den Prozess der Grundrechtscharta mit dem so ge­nannten Konvent. Sie alle wissen, dass uns das Ergebnis auf den Tisch gelegt wurde und eigent­lich kaum mehr veränderbar war. Kann das in Bezug auf die Kompetenzabgrenzung der richtige Weg sein? – Wir sagen: Die Organisation, die auf europäischer Ebene getroffen wird, ist uns – einfach gesprochen – relativ egal. Entscheidend ist aber, dass die Ergebnisse, die heraus­kommen, keine endgültigen Ergebnisse sind. Vielmehr muss das ein offener Prozess sein, und es müssen die Regionen und die Länder die Möglichkeit haben, ihre Gedanken gera­de zum Thema der Kompetenzabgrenzung mit einzubringen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fazit und Ausblick: Die Stärkung des Föderalismus ist und bleibt ohne Zweifel eine Daueraufgabe auch unter dem Blickwinkel, dass wir die Demo­kratie und das Bewusstsein zur Politik letztlich stärken wollen. Wir verspüren jeden Tag die Poli­ti­ker- und Politikverdrossenheit der Bevölkerung. Die Zunahme oder die Abnahme des Wahl­ganges ist ein Ergebnis davon. Warum? Die Politik ist oftmals zu weit weg vom Bürger! Bei den Kommunalwahlen sieht es oft etwas anders aus, weil man da die Probleme vor Ort genau kennt und selbst auch am eigenen Leib verspürt.

Deswegen sagen wir ganz klar und deutlich, dass es dem Selbstverständnis des Ausschusses der Regionen entspricht, dass er nach Brüssel gebracht worden ist, dass ihm aber darüber hi­naus auch ein Klagerecht eingeräumt wird. Wir sagen auch ganz bewusst – es ist heute schon ein­­mal gesagt worden –, dass zum Beispiel auch die deutschen Länder beim Europäischen Ge­richts­hof das Klagerecht bekommen müssen. Dann werden wirklich Subsidiarität und Föderalis­mus in Europa bestehen.

Überlegen Sie einmal, was heute alles angedacht wird, etwa in der Bildungs‑ und Kulturpolitik oder im Gesundheits‑ und Sozialwesen! Ich verweise etwa auf die Gipfel von Lissabon und Tam­pere: Man spürt – und das ist auch legitim, wie ich meine –, dass jede Institution versucht, mehr Macht für sich zu bekommen. Das ist ganz legitim!

Deswegen bin ich auch optimistisch: Wenn ich den Bundesrat oder die deutsche Landschaft über alle Parteigrenzen hinweg betrachte, dann kann ich feststellen, dass es, wenn es darum geht, Kompetenzen in die Länder zurückzuholen, über alle Parteigrenzen große Einigkeit gibt, weil es letztendlich auch um Macht geht. Die Macht ist in diesem Zusammenhang allerdings weiter unten angesiedelt, und somit ist die Gefahr des Machtmissbrauchs auch geringer als ganz oben oder dort, wo er nicht mehr kontrollierbar ist, um es einmal so deutlich zu sagen. (Bei­fall des Bundesrates Mag. Gudenus.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Föderalismusdebatte ist, so glaube ich, jetzt in einer ganz entscheidenden Phase. Wir spüren, dass auch in Staaten wie in Frankreich hiezu eine bestimmte Neigung vorhanden ist. Man könnte beispielsweise Chirac zitieren. – Der Post-Nizza-Prozess ist Aufgabe von uns allen. Die Rückverlagerung von Gesetzgebungskompeten­zen vom Bund zu den Ländern ist, wenn ich jetzt Deutschland betrachte, äußerst wichtig, und die Integrationsfähigkeit der Europäischen Union muss im Sinne des Föderalismus gestärkt werden und darf nicht nur in einer Abgabe von Kompetenzen nach Brüssel bestehen. Auf diese Weise kommt es automatisch zu einer Stärkung der Bürgerrechte, der Demokratie und auch der Eigenverantwortung der einzelnen Regionen.

Kurzum: Wir haben jetzt eine Chance zur Verfestigung des Föderalismus in der Europäischen Union wie eigentlich noch nie. Und diese große Chance sollten wir beim Schopf packen! Deswegen bin ich heute sehr gerne zu dieser Diskussion zu Ihnen nach Wien gekommen. – Herzlichen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

11.22


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär.

Der Worterteilung an den nächsten Referenten bedeutet sozusagen einen Vorgriff auf die Zu­kunft. – Ich erteile Herrn Ständerat Dr. Thomas Pfisterer, der in seiner früheren Funktion als Re­gierungsrat des Kantons Aargau Präsident einer Vorbereitungskommission der Kantone war, das Wort. – Bitte.

11.22


Ständerat Dr. Thomas Pfisterer¦ (Vertreter der Schweizer Kantone): Herr Präsident! Herr Land­tagspräsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich erlaube mir diese Anrede, denn der Ständerat in der Schweiz ist der Rat der Stände der Staaten. Wir haben die noble Aufgabe, die Kantone im Bundesstaat zu Wort kommen zu lassen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass Sie einen Vertreter eines Nicht-EU-Landes einge­laden haben, mag erstaunen. – Ich danke Ihnen nicht nur für die Höflichkeit, sondern auch für Ihr Interesse an den Veränderungen, die gegenwärtig im Zusammenhang mit dem schwei­zerischen Föderalismus im Gange sind.

Sie haben in Ihren Reihen Persönlichkeiten, die diesen Prozess sehr genau verfolgen und von welchen wir im Zusammenhang mit solchen Veränderungen in den letzten zehn Jahren sehr viel gelernt haben. Ich denke vor allem an Herrn Vizepräsidenten Weiss und an Herrn Land­tagspräsidenten Schreiner. Ich denke aber auch an viele Kollegen aus den deutschen Ländern. Wir haben pragmatisch aus den Erfahrungen geschöpft, die Sie gemacht haben, und haben versucht, daraus zu lernen. Ich danke Ihnen allen für diese Beiträge.

Ich habe die Veränderungen in der Kantonsregierung als Präsident der Kantonsregierung in den letzten Jahren mitgestalten dürfen, und zwar sowohl im Zusammenhang mit bilateralen Ver­trägen als auch hinsichtlich anderer internationaler Angelegenheiten. Wir haben damit auch etwas testen dürfen.

Selbstverständlich trage ich Ihnen nur persönliche Meinungen ohne jede Verpflichtung für den Ständerat vor. Das ist klar.

Zunächst eine Anmerkung zum Weg der heutigen Mitwirkungsordnung: Den Hintergrund bilden natürlich der Bundesstaat und die direkte Demokratie. Die Mitwirkung gehört zum Wesen des Bundesstaates. Sie hat lange Zeit keine große Rolle gespielt, weil sie die nationale Außenpolitik der Kantone nicht stark berührt hat. Wir hatten freien Spielraum im Bereich der grenz­über­schrei­tenden Zusammenarbeit, der kleinen Außenpolitik, wie wir sie bezeichnen. Der Bund musste im Grunde nur dann mit den Kantonen reden, wenn er die Mitwirkung und die Zustim­mung der Bevölkerung via direkte Demokratie brauchte. Die Demokratie war und ist für uns ein entscheidender Hebel, um beim Bund Einfluss zu erzwingen; und den müssen auch wir erzwingen, denn der kommt nicht von selbst!

In den letzten Jahren sind die Kantone außenpolitisch in eine neue Aufgabe hineingewachsen. Wir haben überall in Europa die gleichen Erfahrungen gemacht. Nach dem EFTA-Prozess war es vor allem der EWR-Prozess 1989 bis1992, der beim Volk keine Gnade gefunden hat. Immer­hin hat er jedoch zu einer formellen Mitwirkungsklausel im Rahmen der Bundes­verfassung geführt, was natürlich wiederum auf Ablehnung stieß. Aber es war etwas auf dem Tisch.

Aus den pragmatischen Erfahrungen mit den EWR-Verhandlungen ist dann die Konferenz der Kantonsregierungen, die so genannte KdK – ich werde mehrfach darauf zurückkommen –, ent­standen. Es ist dies sozusagen eine Fortführung der alten Tagsatzung aus dem Mittelalter, die im Jahre 1848 abgeschafft wurde. In der KdK, der Konferenz der Ständeregierungen, ist jeder Kanton mit einem Vertreter, in der Regel einem ständigen Vertreter, einem Regie­rungs­mitglied, dabei. An der Vorbereitung können selbstverständlich auch Experten aus der Verwal­tung be­teiligt werden. Die KdK beschließt mit 18 Stimmen. Es bedarf bei den 26 Kantonen nicht der Ein­stimmigkeit, sondern einer großen Mehrheit. Diejenigen, die nicht einverstanden sind, pfle­gen sich in der Regel der Stimme zu enthalten. In seltenen Fällen kommt es aber vor, dass man offiziell Opposition macht. Jetzt bei der neuen Finanzausgleichsvorlage haben zwei Kantone das machen müssen. Die KdK führt nicht – das ist nicht die Aufgabe des Mitwirkungsorgans – mit formellen, verbindlichen Beschlüssen, sondern sie führt kraft Autorität, indem sie gute be­ziehungsweise bessere Arbeit leistet, als die 26 Kantone sie leisten können, und indem sie die Arbeit rasch leistet und letztlich mit der Autorität der nationalen Einigung auftreten kann. Es ist aber jedem Kanton jederzeit erlaubt, eine andere Meinung zu haben. Es ist ihm sogar erlaubt, im Plenum zuzustimmen und hinterher seine Meinung zu ändern. Das muss möglich sein, weil man verhandeln kann. Aber das ist nicht populär, und darum kommt es praktisch nicht vor.

Diese KdK hat im Zusammenhang mit den bilateralen Verträgen und den Verhandlungen mit der EU vor allem mit einer umfangreichen Begleitorganisation funktioniert. Ich verweise diesbe­züg­­lich auf meine kleine Unterlage mit Inhaltsverzeichnis. Darin sind ein paar Schaubilder ent­halten. Darunter befindet sich auch das Bild dieser Begleitorganisation, mit der wir gearbeitet ha­ben. Das war ein Leitungsgremium. Für die verschiedenen Vertragsdossiers gibt es je eine Ar­beitsgruppe mit einem oder zwei Regierungsmitgliedern als Leiter und Experten. Diese Pro­zesse sind natürlich gemeinsam geführt worden. Wir haben die Arbeiten im Detail parallel zum Bund weitergeführt. Mit der gleichen Organisation stehen wir bereit, wenn die bilateralen Ver­träge endlich einmal in Kraft treten sollten, um auch die Umsetzung vorzunehmen. Auch diesbe­züglich wollen wir selbstverständlich so vorgehen. – Das ist gleichsam der Auftakt.

Daraus ist – das ist meine zweite Bemerkung – die heutige Mitwirkungsordnung entstanden. Die Schweiz hat ihre Bundesverfassung total überarbeitet, es kam zu einer Totalrevision. Mit dieser neuen Bundesverfassung und einem begleitenden Mitwirkungsgesetz, das sich auch bei den Un­ter­lagen befindet, sind die entscheidenden Weichen gestellt worden. Diese Mitwirkungs­ord­nung ist auf die heutige außenpolitische Stellung von Bund und Kantonen ausgerichtet, und da­mit ist sie für allfällige intensivere Bindungen der Zukunft nicht tauglich. Jetzt sind wir in der drit­ten Reformphase. Die erste betraf den EWR, die zweite führte zu dieser Mitwirkungs­ord­nung, und nun befinden wir uns in den Arbeiten der dritten Reformphase.

Lassen Sie mich zu dieser heute geltenden Mitwirkungsordnung noch zwei, drei Bemerkungen anfü­gen: Sie besteht im Wesentlichen zunächst aus einem Grundsatzerkenntnis über das We­sen der Außenpolitik. Außenpolitik kann nicht mehr als nationale, isolierte, monopolisierte Kom­pe­tenz verstanden werden, sondern ist längst mit der Innenpolitik, der Umweltpolitik und damit auch mit der kantonalen Politik verwachsen. Außenpolitik kann sinnvoll nur als gemeinsames Engagement von Bund und Kantonen verstanden werden. Das müssen alle noch lernen, vor allem der Bund.

Wir haben in der Bundesverfassung mit dem berühmten Artikel 54 Abs. 3 klargestellt, dass der Bund bei seiner gesamten Außenpolitik – das ist der Kern der Mitwirkungsordnung – überall dort, wo die Zuständigkeiten oder auch die Interessen der Kantone betroffen sind, auf die Kan­to­­ne Rücksicht nehmen und damit die Hand zu einer Abwägung und zu einem Kompromiss bie­ten muss. Wir sind jetzt daran, dieses Grundbekenntnis der Verfassung im harten Alltag der Po­l­i­tik umzusetzen. – Ich sage Ihnen: Es ist nicht immer einfach, beispielsweise was den Flugha­fen Zürich betrifft. – Soviel zum Inhalt.

Nun komme ich zu den zusätzlichen Elementen beziehungsweise Instrumenten: Den allgemei­nen Grundsatz finden Sie gemäß Artikel 55 Abs. 1 im Mitwirkungsgrundsatz mit seinen Ausge­stal­tun­gen. Da wird definiert, dass die Kantone und allenfalls auch die Gemeinden mitwirkungs­befugt sind und dass es insbesondere eine Konzentration der Mitwirkung auf die Vorbereitung ge­ben soll – ich komme darauf noch zurück – und so weiter. Schließlich sind im Gesetz selbst­verständlich ausdrücklich – interessanterweise aber nur im Gesetz – der Vorbehalt der Hand­lungsfähigkeit des Bundes und die Gewährleistung der Umsetzung durch die Kantone erwähnt. In Artikel 55 Abs. 2 und 3 folgen Details über Information, Stellungnahmen, das Gewicht der Stellungnahmen und die Teilnahme an den Verhandlungen.

Damit komme ich drittens zum Hauptteil, zu den jetzt laufenden Arbeiten: Was steht vor uns? – Es ist davon auszugehen, dass, unabhängig von der integrationspolitischen Weichenstellung der Zukunft, die Schweiz, aber wahrscheinlich auch die EU ein Interesse an einer intensiveren Bin­dung haben, ob das nun bilaterale Verträge sind oder ein Beitritt ist. Die Probleme sind im We­sentlichen für den Föderalismus dieselben. Diese Zukunft müssen wir heute vorbereiten, und wir müssen heute vorsorgen und nicht erst dann, wenn die Verhandlungen zwei, drei Mo­na­te vor dem Abschluss stehen.

Dabei müssen wir weiter berücksichtigen, dass sich die EU selbst in einem Wandel befindet. Wir müssen uns auf die jeweiligen Veränderungen innerhalb der EU ausrichten. Wir müssen uns schließlich dessen bewusst sein, dass die Entwicklungen in Richtung weiterer Zentralisie­rung laufen und alles andere Illusion ist. Dadurch entsteht ein größeres Mitwirkungsbedürfnis, wel­ches wir zum Teil befriedigen können, die Mitwirkung kann aber nie diese zusätzliche Zentrali­sierung wirklich kompensieren. Sie kann immer nur teilweise entgegenkommen. – Damit schließe ich. Das gehört auch zur Ausgangslage dieser künftigen Entwicklung.

Der politische Druck auf die Kantone hinsichtlich Handlungsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit wird wachsen. Es wird immer öfter heißen: Die Kantonsregierung ist für das und jenes verant­wort­lich, was etwa in der Landwirtschaftspolitik oder sonst wo geschieht oder nicht geschieht, und die Kantonsregierung wird immer öfter sagen müssen: Das steht so und so in den Verträgen, das wird künftig vielleicht in Brüssel entschieden. Da haben wir gar nichts mehr zu sa­gen! – Das Spannungsverhältnis wird zunehmen, und noch häufiger wird die Regierung sa­gen müssen. Das ist schon entschieden, wir haben schon geantwortet. Das Tempo, das uns Bern – oder Brüssel – vorgeben, ist so groß. – Dieses Problem wird wachsen.

Jetzt versuchen wir, bei diesen Reformen in zwei Richtungen anzusetzen, in einer inhaltlichen Rich­tung und in einer mehr verfahrensmäßigen Richtung. Noch einmal: Zentral ist das Inhalt­liche und nicht das Verfahrensmäßige, das ist sekundär. Da kann man sich immer arrangieren. Das inhaltlich Zentrale ist nach unserem Verständnis die Verpflichtung zum föderalistischen Aus­­gleich. Die Verpflichtung, die Anliegen von Bund und Kantonen auf eine grundsätzlich gleich­berechtigte Ebene zu stellen, ist der Ausgangspunkt. Es sind Lösungen zu suchen, bei denen beide Anliegen grundsätzlich gleich intensiv berücksichtigt werden können. Und es ist nur dort gestattet, Vorrang zu geben, wo auf Grund einer umfassenden Abwägung tatsächlich na­tio­nale Interessen als vorrangig erkannt werden müssen. Es braucht auf beiden Seiten Ent­gegenkommen, es ist nicht so, dass der Bund, weil er der höhere ist, Vorrang hat. Es muss inhaltlich nach dem Gewicht entschieden werden.

Darum werden wir in eine zweite Diskussion über die Bindungswirkung der Entscheide ein­münden, die Sie aus Österreich kennen. Ich muss Ihnen dies nicht weiter erläutern.

Zum Inhaltlichen gehört ein weiteres Problem, und da möchte ich an die Ausführungen von Herrn Staatssekretär Zeller anknüpfen. Das ist für uns auch sehr wichtig: Die Mitwirkung darf sich nicht darauf beschränken, dass man zu fertigen Vorschlägen des Bundes noch einen Schluss­strich oder einen Haken machen kann, sondern Mitwirkung ist nur dann echt, wenn man an der gesamten Problemlösung beteiligt ist. Diese beginnt bekanntlich bei der Analyse des Pro­blems, setzt sich über die Entwicklung der alternativen Beurteilung ihrer Vor- und Nachteile fort und mündet erst dann aus. Alles andere ist keine echte Mitwirkung. Wir müssen von der Brief­kastenmitwirkung weg hin zur Mitwirkung am runden Tisch kommen. Es genügt nicht, ein Papier zu verfassen, das auf Bundesebene ohnehin nicht gelesen wird, sondern man muss sich mit der Erarbeitung der Probleme beschäftigen. Dies verpflichtet aber dann auch die Kantone: Man muss dann mitarbeiten und kann nicht nur reklamieren. Man muss sich anstrengen, und man muss etwas bieten. Mitwirkung ist Anstrengung und ist mühsam. Darum müssen sich die Kan­tone auch zusammentun, um mitzuwirken – vor allem auch die kleinen Kantone –, damit sie etwas Vernünftiges präsentieren können. Sonst haben sie gar keinen Grund, nachher zu rekla­mieren.

Damit bin ich auch bei den Grenzen der Mitwirkung. Mitwirkung kann immer nur ein teilweiser Ersatz für das sein, was an Kompetenzen verloren ist. Ich habe das schon gesagt: Sie muss ein­ge­bettet sein in Integrationsschranken. Unsere Reform übersteigt den Bereich der Mitwir­kung. Wir beziehen die Aufgabe der Finanzordnung in der Eidgenossenschaft ein, und wir be­zie­­hen selbstverständlich die Umsetzung mit ein. Das ist ein wichtiger Grundsatz: In der schwei­ze­rischen Ordnung sind die Kantone zuständig für die Umsetzung und nicht der Bund. Damit haben wir einen offensichtlichen Grund, auch den Kantonen zu ihrem Recht zu verhelfen. Die Rechts­staatlichkeit, die Organisation der Justiz, die Unionsbürgerschaft, das kommunale Wahl­recht – all das gehört zu diesem Gesamtpaket.

Schließlich gehört auch eine Parlaments- und Demokratiereform dazu; nur dieses Stichwort sei hier jetzt deponiert.

Weiters besteht eine Reihe von verfahrensmäßigen Instrumenten. Die Zeit reicht jetzt allerdings nicht aus, Ihnen das darzulegen. Ich kann Ihnen aber immerhin den Hinweis auf das letzte der genannten Schaubilder geben, das die Problematik der Mitwirkung etwas beleuchtet. Außerdem möchte ich vor allem auch das Prozesshafte noch unterstreichen: Es ist dies ein gesamthafter Prozess, der hier abgewickelt werden muss, und nicht nur ein Einzelakt.

Damit komme ich zur Schlussbemerkung zu diesen Reformarbeiten. Wo stehen wir? –Die Kan­to­ne haben diese Reformarbeiten im Jahre 1998 aufgegriffen, daraus ist das erwähnte Werklein entstanden, das sich in einigen Exemplaren seit heute auch auf Ihrem Tisch befindet, einzelne An­we­sende haben es vorher schon besichtigt. Die Kantonsregierungen sind jetzt daran, ge­stützt auf diese Grundlagenarbeit, ein Strategiepapier, das im Wesentlichen die Punkte abdeckt, die ich skizziert habe, zu erarbeiten. Am vergangenen Donnerstag hat der Ständerat unserem Bun­desrat, der Bundesregierung, den Auftrag gegeben, vom Bund aus ebenso ein derartiges Stra­tegiepapier auf die Beine zu stellen, und zwar partnerschaftlich zusammen mit den Kanto­nen, im Sinne von Consulting und nicht im Sinne von Befehlsausgabe. Das soll jetzt bis Ende des Jahres 2001 oder Anfang 2002 geschehen.

Das ist eine umfangreiche und mühsame Arbeit. Wir haben das verknüpft mit der Aussage, dass wir von Deutschland, aber vor allem von Österreich gelernt hätten, dass man diese Refor­men rechtzeitig und ohne Zeitdruck vornehmen müsse, damit man das in aller Ruhe sorgfältig diskutieren könne, denn zum Zeitpunkt eines allfälligen Beitritts sei dieser Zug abgefahren. – Danke für diese Lehre! Hoffentlich beachtet man sie wenigstens bei uns! (Allgemeiner Beifall.)

11.41


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Herzlichen Dank, Herr Ständerat.

III. Diskussion


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Wir eröffnen nunmehr die Diskussion über die Referate.

Es ist vereinbart, dass in der ersten Runde die Fraktionsvorsitzenden das Wort ergreifen.

Ich mache auf die Redezeitbegrenzung bei diesem Punkt von 10 Minuten aufmerksam.

Als Erstem erteile ich Herrn Bundesrat Ludwig Bieringer das Wort. – Bitte.

11.42


Bundesrat Ludwig Bieringer¦ (ÖVP, Salzburg): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf vorweg für meine Fraktion eine Bemerkung machen: Ich werde nicht vom Recht auf eine Redezeit von 10 Minuten Gebrauch machen, sondern werde dieses Recht Herrn Vizepräsidenten Weiss überlassen, weil wir uns glücklich schätzen können, einen Mann vom Format eines Jürgen Weiss in unseren Reihen zu wissen, der gerade in dieser Materie weit über die Grenze Österreichs hinaus bekannt ist. – Daher werde ich mich kurz fassen und nur ein paar Anmerkungen machen.

Meine Damen und Herren! Der österreichische Föderalismus fußt normalerweise auf drei Säu­len, nämlich Bund, Ländern und Gemeinden. Es ist immer leicht für den Unteren, zu sagen: Das kommt von den Zentralisten da oben! – Wir stellen immer wieder fest – ich sage das auch als Bür­germeister, Herr Generalsekretär! –, dass die großen Zentralisten auch in den Ländern sitzen und immer vorerst sagen: der böse Bund!, dass aber, wenn es darum geht, die Interes­sen der Gemeinden wahrzunehmen, meistens auf die Gemeinden vergessen wird. – Das sei mei­ne erste Anmerkung.

Meine zweite Anmerkung betrifft das oft zitierte und strapazierte Wort Subsidiarität: Subsidiarität kann man leicht leben und durchführen. Wenn man sich daran hält, dürfte das nicht schwer sein, und sehr viele Dinge würden sich von selbst erledigen. Wenn ich das richtig deute, dann be­deu­tet Subsidiarität auf europäischer Ebene, dass sie dann eintritt, wenn in den Mit­glied­staaten Ziele nicht ausreichend erreicht werden können beziehungsweise wenn Ziele auf EU-Gemeinschaftsebene besser erreicht werden können. Das besagt meiner Meinung nach schon alles, und man müsste gar nicht mehr darüber diskutieren. Wir müssten uns nur daran halten!

Im Hinblick darauf bin ich dem Präsidenten des Salzburger Landtages, meinem Freund Helmut Schreiner, sehr dankbar für seine zweifelsohne sehr spitzen Ausführungen, die meiner Meinung nach – wenn ich das Revue passieren lasse – weitaus spitzer waren als die Ausführungen des Herrn Landeshauptmannes von Kärnten. Lieber Herr Präsident! Ich bin dir dankbar dafür, dass du uns aus der Sicht des überzeugten Landtagspräsidenten und Föderalisten hier deinen Stand­punkt dargelegt hast, und ich bin froh darüber, dass wir deine Ausführungen auch in schriftli­cher Form haben werden und diese dann nachlesen können.

Ich möchte außerdem festhalten: Würden wir all unsere Kompetenzen, die wir heute schon ha­ben, auch ausnützen, dann würde sich so manche Diskussion erübrigen, die allerorts betreffend die Auflassung der einen und der anderen Gesetzgeberschaft geführt wird.

Ich kann mich noch erinnern, als wir hier in diesem Hause die Begleitgesetze zum EU-Beitritt diskutiert haben, und ich kann mich auch noch erinnern, was sich bei dieser Diskussion alles in den Nebenräumen abgespielt hat: Wir haben Telefonate von Wien zu den Bundesländern und von den Bundesländern nach Wien geführt. Es wurde auch von diesem Haus in Richtung Bun­des­länder alles getan, damit diese Begleitgesetze auch tatsächlich beschlossen werden. Es wur­den einige Straßen schneller gebaut, die sonst nicht gebaut worden wären, weil der Minister dem Landeshauptmann das zugesagt hatte, und somit wurden die hehren Grundsätze, die wir vorher hatten, unter Umständen ein Gesetz zu beeinspruchen, über Bord geworfen. – Ich freue mich, dass Herr Minister Einem lächelt, denn er hat damals auch nicht unmaßgeblich telefoniert.

Meine Damen und Herren! Würden wir alle uns an unsere Kompetenzen halten und diese Kompetenzen auch tatsächlich in die Tat umsetzen, dann bräuchten wir nicht zu diskutieren. Ich hoffe sehr, dass dieser heutige Diskussionsbeitrag und diese heutige Enquete dazu beitragen mögen, dass wir unsere Kompetenzen in Zukunft wahrnehmen, denn dann werden sich nämlich andere Diskussionen von selbst erübrigen.

In diesem Sinne bedanke ich mich namens der ÖVP-Fraktion bei allen Teilnehmern dieser heu­ti­gen Enquete, und ich hoffe sehr, dass wir aus den ausgezeichneten Referaten einiges für die praktische Arbeit mitnehmen können. (Allgemeiner Beifall.)

11.46


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Als Nächstem erteile ich dem Vorsitzenden der Fraktion der sozialdemokratischen Bundesräte, Herrn Professor Albrecht Konečny, das Wort. – Bitte.

11.46


Bundesrat Albrecht Konečny¦ (SPÖ, Wien): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kolle­gin­nen und Kollegen! Die heutige Enquete, die ein wichtiges, aber eben doch nur ein Stück einer breiten laufenden Diskussion ist, hat nicht zufällig in den Ausführungen der meisten Spre­cher keine Themen der innerstaatlichen föderalistischen Mitbestimmung, sondern Themen der Gestaltung der Europäischen Union in den Mittelpunkt gestellt.

Ich respektiere die persönlichen Aussagen, die der Herr Präsident am Beginn dieser Enquete ge­troffen hat. Ich glaube aber, dass wir allesamt inzwischen mehr Europäer sind, als wir glau­ben. Das gilt nicht nur für politische Entscheidungsträger oder Menschen, die in den Struk­tu­ren dieser Union arbeiten, sondern es ist, bei aller Kritik im Detail, auch einer großen Anzahl von Menschen, die in den Mitgliedstaaten leben, sehr wohl bewusst, wie sehr es sich um ein ge­meinsames Europa beziehungsweise um ein zusammenwachsendes Europa handelt. Dieses Europa durchstößt oder überschreitet tendenziell die Phase supranationaler Zusammenarbeit, und die Entscheidungen, die auf europäischer Ebene strukturell, aber natürlich vor allem inhalt­lich fallen, sind für unser Gemeinwesen und für unsere Politikgestaltung ganz zentral.

Ich glaube daher, dass wir Vereinbares und Unvereinbares klar voneinander trennen sollten. Hin­sichtlich der strukturellen Fragen der Union hat das eine wichtige Rolle gespielt, und ich möchte das nur in drei Sätzen anreißen.

Wenn wir geistig von einem sozusagen europäisch-föderalistischen Modell ausgehen, dann ist es naturgemäß richtig, wenn wir für eine Stärkung der demokratischen Einrichtungen der Union spre­chen. Wenn wir uns aber andererseits sehr stark auf unsere nationalstaatlichen Positionen zu­rückziehen und bei jeder sich bietenden möglichen und vor allem unmöglichen Gelegenheit mit nationalen Vetos, Alleingängen und ähnlichen Initiativen spielen, dann ist es schlichtweg un­ver­einbar, wenn wir im gleichen Atemzug die Stärkung des Europäischen Parlaments verlan­gen! (Allgemeiner Beifall.)

Wenn in einer politischen Entscheidungskultur jeder das volle Recht hat, zu sagen, dass er nicht mitspielt, und damit die Sache geplatzt ist, dann braucht man eigentlich überhaupt kein Par­lament. Da sind 15 oder 27 Autonome nebeneinander, und wenn es nichts gibt, worüber man sich einigen kann, dann gibt es eben nichts. Dass das für die Europäische Union vermut­lich kein sehr tragfähiger politischer Grundsatz ist, sei nur am Rande angemerkt.

Jetzt aber zurück in unsere Heimat. – Im österreichischen Bundesstaat besteht wahrlich auch nicht zu seinem Besten das Nebeneinander von Neunen, wo nach dem Motto „Wenn einer nicht will, geht nichts!“, auch nichts geschehen würde. Wir haben ein – fraglos verbesserungs­fähiges – Übereinander, Nebeneinander, vor allem aber Miteinander von Bundesstaat, neun Bun­­desländern und einer großen Zahl – betreffend die genaue Zahl müsste man mir aus­hel­fen – von Gemeinden. Jeder verfolgt seinen eigenen Aufgabenbereich, aber nicht unbedingt mit Scheu­klappen, sondern sehr wohl sehend, was in verwandten Bereichen vor sich geht, und auf ein Mitspracherecht dort pochend, wo die gegenseitige Einflussnahme und Weichenstellung stattfinden.

Wir alle erleben – das ist der eigentliche Kern unseres Themas –, dass es auf der einen Seite we­­nig erfolgsversprechend ist, wenn man die nationalen Organe, die in der Europäischen Union tä­tig sind, über Gebühr, durch welche Instanzen auch immer, binden will. Eine Gemeinschaft von 15, 20 oder 27 Staaten muss die Möglichkeit des Kompromisses haben, weil es sonst keine Lösungen gibt, und die Kompromisse lassen sich nicht durch das Abgleichen von 15 Maximal­standpunkten finden. Diesbezüglich ist Verhandlungsspielraum vonnöten, der jedem Unter­händ­ler, jedem Ratsmitglied, mitgegeben werden muss.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich Fragen, hinsichtlich welcher der nationale Gesetzgeber oder seine Vertreter in letzter Sekunde noch das Recht haben sollen – das dänische Modell ist dies­bezüglich nicht wirklich abschreckend –, zu sagen: So geht es aber nun wirklich nicht! Das ist in unseren Augen kein tauglicher Kompromiss!

Mir kommt daher vor, dass es nicht so sehr um Institutionen, sondern schlichtweg um Technik und um Methoden geht.

Wir haben weitaus mehr informelle Kontakte, als wir formelle Kontakte haben. Wir haben eine herr­liche Totgeburt zur Welt gebracht. Sie, Herr Landtagspräsident, haben das mit sehr drasti­schen Worten geschildert! Dass es aber im Zeitalter des Internet sozusagen E-Negociations ge­ben könnte und sollte, ist eigentlich durchaus nahe liegend. Angesichts des Nebeneinanders von Standpunkten haben wir am Abgleichen zentralistischer, föderalistischer, aber jedenfalls öster­reichischer Standpunkte, an der Möglichkeit zum raschen Rapportieren über Verhand­lungs­fortschritte, die erreicht werden, und am Ausloten möglicher Kompromisse, die aus der Sicht des einzelnen Beteiligten mit dem ursprünglichen österreichischen Standpunkt vereinbar oder unvereinbar sein können, zu arbeiten.

Ich würde mir wünschen, dass in einem Follow-up zu dieser Enquete nicht nur über Institutionen und Verfassungsnovellen nachgedacht wird, sondern insbesondere auch darüber, wie wir dem Tem­po des Verhandlungsprozesses in unserer innerstaatlichen Entscheidungsfindung Rech­nung tragen können. Bei all dem darf nämlich Folgendes nicht vergessen werden – Herr Dr. Einem hat das hervorgehoben –: Unser Föderalismus ist unser Föderalismus, und die Pro­ble­­me, die sich für uns beim Abgleichen der Standpunkte ergeben, haben wir selbst zu lö­sen; wir können diese nicht der Europäischen Union vor die Eingangsschwelle legen. (Allge­meiner Beifall.)

11.54


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Ich erteile nun dem Fraktionsvorsitzenden der Freiheitlichen Partei, Herrn Universitätsprofessor Dr. Peter Böhm, das Wort. – Bitte.

11.54


Bundesrat Dr. Peter Böhm¦ (Freiheitliche, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Sehr geehrter Herr Ständerat! Meine sehr verehrten Damen und Herren des Hohen Hauses! Es ist ein zentrales Anliegen des Bun­desrates, die Interessen der Länder im Rahmen ihrer Mitwirkungsrechte auch in den Fragen der Europäischen Integration und der Europäischen Entscheidungsprozesse ausreichend zu sichern.

Es gilt, endlich die Zusage des Bundes gemäß dem Perchtoldsdorfer Paktum vom 8. Okto­ber 1992 einzulösen, dass die Mitwirkung der Länder am Entscheidungsprozess der Euro­päischen Union nach Maßgabe künftiger Entwicklungen ausgebaut werden soll. – Diese Zusa­ge wurde vom Bund bis heute nicht erfüllt. Artikel 23 lit. a des österreichischen Bundes-Verfas­sungsgesetzes wäre in diesem Sinne neu zu formulieren.

Insbesondere müsste der Bund in seine Informationspflicht gegenüber den Ländern die eigenen Vorhaben, die er in Brüssel verfolgen will, mit einbeziehen. Sofern das betreffende Vorhaben auch für die Länder von allgemein politischem Interesse ist, müssten auch sie eine entspre­chen­de Feststellung treffen können, die eine solche Informationspflicht des Bundes auslöst. Wie bereits heute dem Nationalrat sollte daher auch den Ländern zugesichert werden, dass sie unter solchen Bedingungen, das heißt auf Grund ihrer sachlichen Betroffenheit durch die Rege­lungsabsicht, Einfluss auf die politischen Positionen der Bundesorgane nehmen können, insofern diese berechtigt sind, von den Stellungnahmen der Länder abzuweichen.

Vor allem sollte es den Ländern auch zugebilligt werden, Verhandlungen in der Europäischen Union über Angelegenheiten, die in ihre Gesetzgebungskompetenz eingreifen, auch durch ihre eigenen Organe führen zu lassen. Nicht zuletzt müsste die konkrete Durchführung und Hand­ha­bung der Mitwirkung der Länder einer Bund-Länder-Vereinbarung gemäß Artikel 15 lit. a Bun­des-Verfassungsgesetz vorbehalten bleiben. Zudem sollten die Länder ermächtigt werden, auch untereinander Recht setzende Vereinbarungen gemäß Artikel 15 lit. a B-VG mit unmittel­barer Anwendbarkeit im Zusammenhang mit der Umsetzung von EU-Recht abschließen zu kön­nen. Zugleich wäre es ihnen einzuräumen, Vereinbarungen gemäß Artikel 15 a B-VG auch mit Nach­barregionen abzuschließen und dabei auch grenzüberschreitend wirkende Behörden ein­zu­­richten.

Das könnte zweifellos einen Beitrag zum vielberufenen „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ bil­den. Gewiss bedürften diese Neuregelungen verfassungsändernder Mehrheiten, und die schei­nen im Hohen Hause nicht in Sicht zu sein. Den Anstoß dazu könnte indessen auch der Bundesrat selbst geben, wie das der Herr Landtagspräsident heute zu Recht angesprochen hat. Dafür plädiere auch ich heute bewusst und mit Nachdruck. Der Bundesrat erwiese sich dabei in historischer Weise als ein Organ der Gesamtrepräsentation der Landtage aller Bundesländer.

Betreffend die institutionelle Frage allgemein, wer die Koordinierung und Bündelung der Län­derinteressen gegenüber der Europäischen Union wahrzunehmen hat, trete ich daher – wie Sie ver­stehen werden – entschieden zugunsten des dafür prädestinierten Staatsorgans, nämlich des Bundesrates, ein. (Allgemeiner Beifall.)

Freilich würde das zwei wesentliche Veränderungen in der Organisationsstruktur und vielleicht auch in der Aufgabenkonzeption des Bundesrates voraussetzen. Zum einen hätte er die Inter­es­sen beziehungsweise politischen Positionen der Länder umfassend zu ermitteln, und zum an­de­ren müsste er sich an die Einhelligkeit oder zumindest qualifizierte Mehrheit der in den Län­dern erzielten politischen Willensbildungen rückbinden lassen. Dies hinge wiederum von einer entsprechenden Vernetzung und Koordination mit der Konferenz der Landeshauptleute und den Landtagspräsidentenkonferenzen zusammen.

So lange die Landeshauptleute nicht Mitglieder des Bundesrates sind – sie könnten das heute schon sein, es ist bei uns aber nicht üblich –, solange hätte sich der Bundesrat auch mit ihnen ausr­eichend abzustimmen, um das von ihnen eingebrachte politische Gewicht mit realisieren zu können. Auch hiebei könnte ich mir eine politische Bindung an Einhelligkeit oder qualifizierte Mehr­heit vorstellen. In diesem Zusammenhang ließe sich auch daran denken, dass es eine von den Initiativen der Länder aktualisierbare Klagebefugnis des Bundesrates beim Europäischen Ge­richtshof gäbe.

Lassen Sie mich zum Resümee kommen: Maßgebend bei all dem muss allein das Ziel sein, die Weiterentwicklung der Europäischen Union im Einklang mit den Vertragsstaaten und zugleich ihren föderal strukturierten Gliedstaaten, aber auch den grenzüberschreitenden Regionen ange­messen zu gestalten – all das im Zeichen des Subsidiaritätsprinzips.

Auch namens meiner Fraktion danke ich allen Teilnehmern dieser sachlich sehr anspruchs­vollen Enquete, insbesondere auch unseren Gastreferenten aus Bayern und der Schweiz. – Ich danke Ihnen. (Allgemeiner Beifall.)

12.01


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Für die weitere Diskussion sind, wie bereits ange­kündigt, pro Teilnehmer 5 Minuten Redezeit vorgesehen.

Ich bitte Sie, Wortmeldungen beim Präsidium zu deponieren. Wir wollen keinen unnötigen Pa­pier­­­krieg führen. Wenn Sie annehmen können, dass wir Sie kennen, genügt auch ein Hand­zeichen.

Als Erstem der folgenden Diskussionsrunde erteile ich Herrn Bundesrat Stefan Schennach das Wort. – Bitte.

12.01


Bundesrat Stefan Schennach¦ (Grüne, Wien): Herr Präsident! Sehr geehrte Gäste aus dem be­nachbarten Ausland! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Ereignis wurde in dieser heutigen Debatte schon öfters erwähnt: Irland hat einen Schock und die Befürchtung ausgelöst, dass die Durchmarschstrategie, die in Nizza geboren wurde, plötzlich nicht funktionieren könnte. Da ist etwas ins Stottern gekommen. – Es ist dies meiner Meinung nach ein heilsamer Schock, auch wenn die Interpretationen, warum die irische Bevölkerung ein Nein ausgesprochen hat, meiner Meinung nach in Österreich nicht ganz dem entsprochen hat, was irische Debatte war.

Ich glaube, dass es auch nicht richtig war, die Debatte zu gewichten. Wie viele Hunderttausend Iren waren es denn, die den Zug, der unter Volldampf fährt, aufhalten können? – Wichtig ist be­zie­hungsweise festzuhalten wäre: Würde man den Vertrag von Nizza heute in jedem euro­päischen Mitgliedsland einer Abstimmung unterziehen, dann würde Irland mit Sicherheit nicht allein bleiben!

Der Grund dafür liegt meines Erachtens in der Form der Verfassungsgebung. Ich sage jetzt ganz bewusst: Der Rat gebärdet sich wie eine Art Reichsfürstenrat, der nun den Bevölke­run­gen, den Parlamenten und den Demokratien quasi von oben herunter eine Verfassung gewährt, und das stößt natürlich nicht auf die Akzeptanz der europäischen Bevölkerung.

Dieser Reichsfürstenrat auf europäischer Ebene findet auch in Österreich seine Fortsetzung. Mich wundert immer, wie schnell es diesbezüglich Umsetzungen gibt. Ich sage das auch hier im Bun­desrat: Ich sehe die Landeshauptleutekonferenz ohne Anbindung an Parlamente, an den Landtag und an den Bundesrat als eine abgehobene Struktur, die in dieser Form keine Ak­zeptanz haben kann. Vor allem fehlt hier die parlamentarische Kontrolle.

Ich habe – wie mein Vorredner – anlässlich der Tatsache, dass der Bundesrat erstmals vierfär­big wurde, einige Reformvorschläge gemacht und gesagt, dass die Landeshauptleute in diesen Bundesrat gehören. Dann gäbe es auch in diesem Bereich eine parlamentarische Kontrolle. (Allgemeiner Beifall.)

Ich war heute sehr verblüfft. Ich habe erstmals den Herrn Landtagspräsidenten reden gehört, und ich habe ihm sehr gut zugehört. Herr Landtagspräsident! Ich habe mir gedacht: Ihre Rede hier in diesem Bundesrat war eine Widerstandsrede zur österreichischen Realverfassung. Mein Kompli­ment dafür! Sie haben genau aufgezeigt, wo die Entmündigung der Landtage und auch des Bundesrates hinläuft, nämlich in eine Art Konkubinat zwischen Regierung und Landes­haupt­leuten, und dass es im Grunde keine tatsächliche Mitwirkung der gewählten Vertretungen gibt.

Herr Präsident Schreiner! Ich nehme Ihren Appell sehr ernst. Sie haben gesagt: Lassen wir uns mit der Ratifizierung des Nizzavertrages in Österreich Zeit! Knüpfen wir an die Ratifizierung eine Reihe von Bedingungen, etwa betreffend die Demokratisierung in Europa, aber auch betreffend die Entscheidungsstrukturen innerhalb Österreichs und innerhalb unseres föderalen Systems! Nehmen wir sozusagen das Votum Irlands mit herein! (Allgemeiner Beifall.)

Ich sage noch einmal: Der Rat von Nizza – diesbezüglich muss ich der Frau Außenministerin wi­dersprechen – funktioniert nicht mehr. Der Rat in Nizza ist als Institution und im Ergebnis gescheitert. (Allgemeiner Beifall.)

Der Ausschuss der Regionen stellte im April dieses Jahres dazu fest: Der Vertrag von Nizza bleibt hinter dem zurück, was für ihre demokratische Legitimation, für die Transparenz und für die Bürgernähe notwendig gewesen wäre – ganz zu schweigen von der Effizienz der Entschei­dungs­findung.

Die Zukunft Europas wird sich an drei großen Fragen entscheiden, nämlich an den Fragen der De­mokratie, der Transparenz und der Subsidiarität. Insofern war bei dieser Enquete Ihre Stim­me wichtig, die sagt: Föderalismus ist nicht nur die Diskussion zwischen Bund und Landes­haupt­leuten oder Bund und Ländern, sondern Föderalismus bedeutet auch ein Miteinander des Bundes, der Länder, der Städte und der Gemeinden, aber auch der Bürger. Föderalismus be­deutet nicht nur die Organisation und die Rechte von Institutionen, sondern auch die Rechte jeder einzelnen Bürgerin und jedes einzelnen Bürgers in Europa, in Österreich, aber auch gegenüber den Ländern, Gemeinden und Städten. Deshalb ist es meiner Meinung nach von ganz besonderer Bedeutung, dass die Grundrechtscharta, die wir für Europa brauchen, auch endlich verbindliches Recht wird und nicht nur eine Absicht ist.

Hier ist heute einmal mehr von Seiten der Bundesregierung ein Bekenntnis zur Stärkung des Euro­päischen Parlamentes gefallen. Ein solches Bekenntnis kommt jetzt alle Monate und alle Jahre, das Europäische Parlament dümpelt jedoch in irgendeiner halbparlamentarischen Situa­tion dahin. – Ich denke, mit der Ratifizierung des Nizza-Vertrages wäre das eine Grundbedin­gung: Machen wir aus dem Europäischen Parlament ein Vollparlament, das auch volle Ober­hoheit über das Budget in Europa hat!

Ich bedaure, wenn ich Frau Ferrero-Waldner, die ich an sich sehr schätze, zuhöre und fest­stellen muss, dass schon wieder der Versuch gemacht wird, dass die verfassungsgebende Ver­sammlung jetzt doch kein Konvent sein soll, an dem die Volksvertreter, die Vertreter der Regio­nen, Gemeinden und Städte und unsere gewählten Europaparlamentarier teilnehmen. Jetzt wird schon wieder versucht, diesen verfassungsgebenden Konvent zu umgehen!

Es ist auch das Wort gefallen: Den Bürger in den Mittelpunkt! – Ich denke, in den letzten Jahren stand niemals der Bürger im Mittelpunkt der Politik der Europäischen Union, aber auch nicht im Mittelpunkt der Politik unserer Bundesregierung im Rahmen der Vertretung Österreichs in der Union. Ich meine, uns bieten sich jetzt viele Chancen rund um die Ratifizierung des Nizza-Ver­trages, den föderalen Gedanken in Europa und in Österreich zu stärken. Diese Chancen sollten wir nützen, und zwar auch in diesem Hause! – Danke sehr. (Allgemeiner Beifall.)

12.09


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss¦: Als Nächstem erteile ich Herrn Mag. Nikolaus Drim­mel vom Österreichischen Gemeindebund das Wort.

12.09


Mag. Nikolaus Drimmel¦ (Österreichischer Gemeindebund): Herr Präsident! Meine Herren Prä­si­denten! Ich danke, dass auch ein Vertreter des Österreichischen Gemeindebundes kurz – ich werde mich, wohl wissend, dass Sie unter Zeitdruck stehen, an die Redezeit halten – bei dieser Enquete ein paar Worte an Sie richten kann.

Ich möchte damit beginnen, dass wir heute einleitend einiges über gewachsene Strukturen und über den Föderalismus gehört haben, und als Redner, der nach so vielen kompetenten Vorred­nern etwas in diese Enquete einbringen soll, stehe ich jetzt gleichsam vor der gewachsenen Struk­tur der heutigen Diskussion. Die Reihen haben sich zwar bereits gelichtet, aber die The­men, die Sie eingebracht haben, stehen im Raum wie Felsen. Ich habe eigentlich ebenfalls vor­ge­habt, Felsen hier hereinzutragen, nunmehr werde ich aber versuchen, diese Felsen mit einer gewissen Feinstruktur etwas auszufüllen. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen! Meine Herren! Meine Herren Bürgermeister! Ich möchte auch artikulieren, dass sich im Verlauf dieser Enquete gezeigt hat, dass sich die Redner auch der Bedeutung der öster­rei­chischen Gemeinden im Rahmen unseres Föderalismus sehr wohl bewusst geworden sind. Ich danke für alle Redebeiträge, in denen die Vorbildlichkeit der österreichischen Gemeinden und der kommunalen Selbstverwaltung in Österreich besonders betont wurde. Viele euro­päische Staaten, die bereits vor uns Mitglied in der Europäischen Union waren, haben mit einer ge­wissen Erwartungshaltung den Beitritt Österreichs mitverfolgt und haben gesagt: Jetzt kommt ein Staat als Mitglied in die Europäische Union, der uns etwas über Föderalismus und kommu­nale Autonomie erzählen kann!

Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir im nächsten Jahr das 40-Jahr-Jubiläum unserer Ge­mein­deverfassungsnovelle feiern. Diese 1962 in diesem Hohen Haus beschlossene Gemeinde­verfas­sungsnovelle sollte doch Anlass für uns sein, uns mit der Subsidiarität und den Grundge­dan­ken dieser Gemeindeverfassungsnovelle näher zu befassen. Diese baut von unten herauf auf und berücksichtigt den Menschen in seiner nächsten Umgebung, nämlich dort, wo er lebt, in den Gemeinden. Die Herren Bürgermeister hier in diesem Raum wissen genau, dass von die­sen Menschen, die im Mittelpunkt stehen, das Konzept der Subsidiarität ausgeht. Europa soll nicht die Subsidiarität auf die Gemeinden erstrecken, sondern die Subsidiarität wächst eigent­lich von unten hinauf.

Ich danke daher auch für die Einwürfe, dass in diesem neuen Europa doch der Mensch im Mit­telpunkt stehen soll. Die Gemeinden haben dazu etwas Wesentliches beizutragen, denn die Ge­meinden sind – wie Herr Generalsekretär Pramböck bereits gesagt hat – zu einem hohen Pro­zentsatz von den Entscheidungen der Europäischen Union betroffen. Er hat die Zahl 60 Pro­zent erwähnt. – Ich darf dazu nur kleine Beispiele nennen.

Erst in jüngster Vergangenheit hat sich gezeigt, wie stark die Gemeinden von einzelnen Ent­schei­dungen der Europäischen Union betroffen sind, ob es sich nun um die BSE-Entscheidung oder die Getränkesteuer gehandelt hat. – Ich danke jedenfalls für die Aufmerksamkeit, dass diese Betroffenheit der Gemeinden ebenfalls wahrgenommen wurde!

Aus dieser Betroffenheit der Gemeinden – das wurde bereits mehrmals erwähnt – hat man sich bei der Bundes-Verfassungsgesetz-Novelle 1994 das Herz genommen, sehr wohl nicht nur die Länder, sondern auch die Gemeinden in den Informationsfluss betreffend die Europäische Inte­gration mit einzubeziehen und die Gemeinden mit ebensolchen Informationsrechten gegenüber der Bundesregierung auszustatten.

Zur Technik dieser Informationen muss ich sagen: Theoretisch läuft das ganz gut, wir würden uns aber sehr wohl auch eine gewisse Verbesserung im Sinn von Strukturierung und früh­zeiti­ger Information erwarten, denn nur frühzeitige Information kann es uns ermöglichen, wie der Herr Ständerat gesagt hat, dass wir uns tatsächlich eingehend mit diesen Themen befassen!

Da ich jetzt bereits das rote Licht bereits blinken sehe und mich doch an die Redezeit halten wollte, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, dass der Österreichische Gemeindebund eine Un­ter­lage verteilt hat. Ich bitte Sie, diese durchzugehen, und danke Ihnen im Sinne unserer Ge­mein­den! Vergessen Sie nicht auf die Gemeinden! Im Jahr 2002 werden Sie anlässlich der Ver­an­staltung zum 40‑jährigen Jubiläum der Gemeindeverfassungsnovelle wieder darauf hinge­wiesen werden.

Abschließend noch zu einem Satz, den Herr Zeller gesagt hat: Unsere Zukunft ist Europa. – Ja! Un­sere Zukunft ist Europa! Aber auch in Zukunft werden die europäischen Bürger in den Gemein­den leben und dort ihre Heimat finden! – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Allgemei­ner Beifall.)

12.15


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Danke für Ihren Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Johannes Müller, stellvertretender Landtagsdirektor von Vorarlberg. – Bitte.

12.15


Dr. Johannes Müller¦ (Stellvertretender Direktor des Vorarlberger Landtags): Frau Präsidentin! Ich danke und darf betonen, dass ich „nur“ Beamter bin.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz auf eine grundsätzliche Bemerkung des Herrn Bundesministers Einem eingehen. Ich muss das leider in seiner Abwesenheit tun. Er hat ge­sagt: Interessenfragen sind primär nach Lebenslagen verfasst und nur sekundär regional. Das ist einleuchtend, dem ist nicht zu widersprechen. Ich glaube, Arbeitslosigkeit hat an jedem Ort in Europa ähnliche Bedingungen.

Dennoch möchte ich mit Respekt eine Gegenmeinung darstellen beziehungsweise zur Schluss­folgerung daneben stellen. – Aus dem genannten Grund seien – so habe ich den Herrn Bun­des­minister verstanden – Fragen des Föderalismus und Regionalismus innerstaatliche Themen, also kein Europathema. Es bedürfe daher keiner Mitwirkung der Länder und Regionen in den europäischen Organen.

Mir scheint dieser Standpunkt zunächst nicht vom Grundsatz abzuleiten zu sein, denn „primär nach Lebenslagen verfasst“ heißt auch oder kann auch heißen, dass Interessen sekundär re­gio­nal zu berücksichtigen sind. Mir scheint dieser Standpunkt in einem gewissen Sinne auch kon­ser­vativ zu sein, weil dabei von der bisherigen Entwicklung der europäischen Integration oder unter Umständen von ihrem gegenwärtigen Stand ausgegangen wird, weil aber die Veran­kerung der Europäischen Union auf Ebenen unter den Nationalstaaten, also in den Ländern, Regionen und Gemeinden, nicht berücksichtigt wird.

In meinem Verständnis ist auch ein theoretisch zentralistischer Standpunkt am demokratischen Zentralismus orientiert. Von diesem Standpunkt aus könnte man – obwohl ich das niemandem hier unterstelle – theoretisch auch die Staatenmitwirkung in Frage stellen. Sicherlich ist – dem ist völlig zuzustimmen – mit fortschreitender Integration ein Vollparlament für Europa sehr wich­tig. Das brauchen wir. Ich meine aber, dass es ergänzend auch weiterhin und verstärkt der na­tio­nal und regional abgestützten Vorarbeit und Mitwirkung bedarf.

Ich möchte, da die Zeit voranschreitet, all das, was Herr Präsident Schreiner gesagt hat, nicht wie­derholen. Ich verzichte auch darauf, ein paar praktische Probleme ergänzend anzuführen, zum Beispiel betreffend das Gedränge am jeweiligen Verhandlungstisch – auf der politischen Ebene wie auf der Beamtenebene –, an dem die Ländervertreter gleichsam dann in die zweite Rei­he oder an den Katzentisch zurückgedrängt werden. – Ich kann das jetzt nicht weiter ausführen, denn die Zeit ist zu kurz.

Ich möchte noch einen Aspekt anfügen, der heute nicht erwähnt wurde: Die Länder sollen 15a-Vereinbarungen mit unmittelbarer Anwendbarkeit schließen können – das ist wichtig. Ebenso wichtig ist aber, dass die Länder endlich eine vernünftige Möglichkeit zu staatsgrenzenüber­schrei­ten­der Zusammenarbeit bekommen. Artikel16 in der Fassung von 1988 ist völlig unnütz, denn hiebei handelt es sich um eine zentralistische Kopfgeburt. Mit diesem Instrument können die Länder nicht rechtlich verfasst mit Nachbarregionen zusammenarbeiten. Dazu brauchen wir etwas Neues, auch dazu, dass endlich die Europarats-Rahmenübereinkunft über die grenzüber­schreitende Zusammenarbeit auch in Österreich mit Leben erfüllt werden kann!

Ich habe jetzt ganz hektisch gesprochen und trotzdem die Zeit überschritten. – Ich bitte um Ent­schuldigung! (Allgemeiner Beifall.)

12.20


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Danke vielmals, Herr Dr. Müller.

Ich darf Ihnen sagen, dass Sie Ihre Zeit nicht überschritten haben, denn es hat nur geblinkt und noch nicht rot geleuchtet.

Ich möchte dazu kurz erklären: Ungefähr eineinhalb bis zwei Minuten, bevor die Zeit abläuft, be­ginnt die Lampe zu blinken, und erst dann, wenn das rote Licht konstant leuchtet, ist die Redezeit erschöpft.

Wir kommen nun zum nächsten Redner: Es ist dies Herr Bundesrat Missethon. – Bitte.

12.21


Bundesrat Dipl.-Ing. Hannes Missethon¦ (ÖVP, Steiermark): Frau Präsidentin! Geschätzte Da­men und Herren! Ich möchte ebenfalls auf drei Punkte eingehen.

Zunächst zum Referendum in Irland: Das Ergebnis stört mich weniger. Dieses ist zu respektie­ren. Es ist ein irisches Ergebnis. Das kann ein heilsamer Schock sein – das kann einer sein! –, und das Ergebnis muss zuerst einmal verarbeitet werden. – Was mich viel nachdenklicher macht, ist die Tatsache, dass zwei Drittel der Wähler überhaupt nicht hingegangen sind. Ich mei­ne – diesen Hinweis möchte ich heute deponieren –, dass es den Menschen, den Bürgern und den Bürgerinnen, von denen jetzt sehr oft geredet wird, derzeit nicht möglich ist, in diesem Zu­sammenhang die Sprache zu verstehen.

Ich glaube, dass sich in Brüssel eine eigene Sprache entwickelt hat, und diese Sprache ist für den ganz normalen Bürger nicht verständlich. Das sollten wir meines Erachtens sehr ernst neh­men! Das ist für mich einer der Gründe, warum viele Menschen nicht zur Wahl gegangen sind, das heißt, nicht fähig waren, eine Entscheidung zu treffen: Sie haben nämlich nicht gewusst, worüber sie entscheiden sollten! Ich glaube nicht, dass zu wenig Information vorhanden ist. Es ist unglaublich viel Information vorhanden, aber wir haben Probleme mit der Verarbeitung und der Anschlussfähigkeit dieser Informationen.

Sprache kann ausschließen, und Sprache kann einschließen. Die EU-Sprache in Brüssel er­in­nert mich ein bisschen an die EDV-Branche: Wenn ein ganz normaler Bürger heute zu einem EDV-Kongress fährt, wird er wahrscheinlich einen Tag lang nichts verstehen. Man redet in Kür­zeln und Begriffen, mit welchen man als Laie keine Begriffswelten verbinden kann, und ähnlich ist das im Grunde genommen mit der Brüssler EU-Sprache: Ich bekomme täglich oder wöchent­lich Informationen von den Büros in Brüssel, aber es ist fast nicht nachvollziehbar, was gemeint ist.

Daraus folgt, dass meines Erachtens – unter Anführungszeichen – „Übersetzungsbüros“ in den Re­gionen geschaffen werden sollten, die für die Menschen in den Regionen das, was in Brüssel vor sich geht, welche Entscheidungen getroffen werden und welche Projekten laufen, die die Regionen betreffen, in eine Sprache übersetzen, die die Menschen in einer Region tatsächlich verstehen. – Das ist für mich ein besonders wichtiger Punkt.

Zweiter Punkt: Wir haben heute sehr viel über Kompetenzverlagerungen nach Brüssel gehört. In dem Prozess, in dem sich die Nationalstaaten befinden, muss permanent über Kompetenzen, die nach Brüssel verlagert werden, verhandelt werden. Ich glaube, wir sollten schön langsam in eine Phase kommen, in der auch das Recht für Nationalstaaten und Regionen formuliert und fest­gelegt wird, wie wir Rechte und Kompetenzen von Brüssel wieder zurückbekommen. Mög­licherweise sind gewisse Dinge auf Grund der jetzigen Entwicklung wieder rückverlagerbar. – Das wäre mir persönlich sehr wichtig.

Schlussendlich möchte ich sagen: Ich war in Berlin dabei – ich habe damals zufällig gerade in Ber­lin studiert –, als die Berliner Mauer gefallen ist. Ich war sehr stolz darauf, Europäer zu sein. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das bei dem heutigen Verhalten der Führungskräfte – ich sage das ganz bewusst dazu – noch einmal möglich wäre!

Ich glaube, dass ein gewisses Maß an Führung klar artikuliert werden muss, auf der anderen Sei­te brauchen wir heute aber auch ein Loslassen von Führung. Das ist meines Erachtens auch sehr wichtig: Die Staatspräsidenten beziehungsweise der Rat nehmen meines Erachtens die Führungsaufgabe für die Erweiterung nicht mit der entsprechenden Klarheit und der geeinten Kon­sequenz wahr. Das würde ich mir aber sehr wünschen, denn für mich stehen die große euro­päische Idee und das große europäische Friedensprojekt im Hintergrund. – Danke. (All­gemeiner Beifall.)

12.25


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Danke.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete zum Nationalrat Dr. Lichtenberger. – Bitte.

12.25


Abgeordnete Dr. Evelin Lichtenberger¦ (Grüne): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke für das Recht, vor dem Bundesrat zu einem Thema sprechen zu dürfen, das uns alle gemein­sam berührt. Ich habe heute in der Debatte sehr oft das Wort „Subsidiarität“ gehört, ebenso wie Aus­sagen, dass wir auf europäischer Ebene endlich den Schwung aufbringen müssen, die Sub­sidiarität durchzusetzen.

Ich wundere mich, und zwar wundere ich mich enorm: Ich lese seit Jahren und Jahrzehnten die Berichte des Institutes für Föderalismusforschung, und ich nehme an, einige, die hier anwesend sind, werden diese Berichte auch kennen und lesen. In diesen Berichten wird seit Jahren und Jahr­zehnten die Kompetenzverteilung nach oben beklagt, und es werden konstruktive Vor­schlä­ge gemacht, wie dieses Problem durch einen vernünftigeren Kompetenzabtausch lösbar wä­re. – Von der Umsetzung dieser Vorschläge ist mir allerdings nichts bekannt – kein einziges Wort, kein einziger Strich!

Jetzt reagieren sehr viele, aufgescheucht von dieser europäischen Diskussion, weil man weitere Ein­schränkungen von Rechten zu befürchten scheint, ohne vorher auch nur einmal ernsthaft den Föderalismus innerösterreichisch in Angriff zu nehmen. – Wir dürfen nicht dabei stehen blei­ben, noch feinere Mechanismen zwischen Bund und Ländern zu diskutieren und umzu­setzen, sondern es geht auch darum, die Gemeindeebene, die Ebene der Städte und der Statutar-Städte endlich in diese Debatte mit aufzunehmen, und zwar adäquat!

Es wurden hier schon sehr schöne Bilder gebracht: So war etwa vom Konkurrenz-Föderalismus die Rede. – Ich möchte noch einen Gedanken anführen, der mir in diesem Zusammenhang sehr we­sentlich erscheint: Reden wir einem ungebremsten Konkurrenz-Föderalismus das Wort, so ist jedes Jammern über internationales Dumping – sei es hinsichtlich Wirtschaftsansiedelungen oder Sozialbestimmungen – doch sehr fraglich. Ich kenne die innerdeutsche Diskussion zu die­sem Thema recht gut, ich informiere mich darüber ein bisschen und weiß, dass dieser Ein­wand dort sehr wohl debattiert wird. Das fehlt mir in Österreich noch weitgehend!

Wir befinden uns derzeit auf der Ebene der Schlagworte, und keines dieser Schlagworte ist bis­her mit Leben erfüllt worden. Funktionierende Entscheidungsmechanismen – an dieser Stelle danke ich auch dem Herrn Landtagspräsidenten für seine Worte! – existieren unter Zeitdruck, und sie werden zum Beispiel auf der Ebene der Landeshauptleutekonferenz durch vorwegge­nom­­mene Entscheidungen relativiert, die dann oft nicht einmal den Landesparlamenten zur Verfügung gestellt werden. Ich komme selbst aus einem Landesparlament und kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass nach zwei Stunden Debatte dann ein Beschluss der Landes­hauptleutekonferenz aufgetaucht ist, der alles in Frage gestellt hat, was vorher lang und breit diskutiert worden war.

Das heißt: Glaubwürdigkeit erlangen wir auf europäischer Ebene in der Föderalismusdiskussion und bei der Forderung der Mitwirkungsrechte für die Länder erst dann, wenn die Föderalis­mus­dis­kussion innerösterreichisch endlich einmal mit Leben und Inhalten erfüllt wird. Man kann nicht nur sagen, dass es Föderalismus eben geben muss und Subsidiarität überhaupt die Ret­tung von allem ist, und sich immer darauf verlassen, dass nur die Dörfer, die Städte oder viel­leicht die Regionen die Rechte des Bürgers sichern – auf europäischer Ebene sind es dann die Natio­nalstaaten –, immer sozusagen eine Stufe tiefer. Damit werden wir schlicht und einfach nicht das Auslangen finden! Ich warte nach wie vor auf konsistente Vorschläge betreffend die­sen Bereich, aber sie kommen nicht, weil die Interessenlagen natürlich äußerst unterschiedlich sind – seien es nun die Interessen des Bundesrates, des Städtebundes oder eines anderen Gre­miums.

Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zum hoch gelobten Rat der Regionen auf euro­päischer Ebene etwas sagen. Mein Vorschlag lautet: Stellen wir genau die gleiche Zeit, die jetzt dem Herbeibeten eines starken Rates der Regionen gewidmet wird, endlich einmal der inner­staatlichen Föderalismusdiskussion zur Verfügung! Als eine seiner wichtigsten Kompeten­zen hat der Rat der Regionen seinen eigenen Vorsitzenden zu wählen. Der Rat der Regionen leidet in­­tern an extrem unterschiedlichen Interessenlagen. Jeder, der glaubt, dass dieser Rat der Re­gio­nen die Lösung für den Föderalismus auf europäischer Ebene darstellt, möge sich vor Augen führen, welch unterschiedlich verfasste Regionen in diesem Rat vertreten sind und zu gemein­samen Entscheidungen und Beschlüssen kommen sollen. Mit Illusionen und dem Pflegen von Illu­sionen werden wir über Subsidiarität und Föderalismus auf europäischer Ebene nicht weiter diskutieren können! Im Bereich des Rates der Regionen ist Ehrlichkeit und Offenheit angesagt. Das ist ein Gremium, in dem man Erfahrungen gut austauschen kann, aber handlungsleitend kann dieser Rat schon auf Grund der unterschiedlichen Verfasstheiten der europäischen Staaten in großem Ausmaß nicht werden. Deswegen würde ich ein Klagerecht dieses Rates der Re­gionen als – verzeihen Sie mir die Härte! – eher absurd empfinden. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

12.32


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Zu Wort gemeldet ist Herr Vize­präsi­dent des Bundesrates Jürgen Weiss. – Bitte.

12.32


Bundesrat Jürgen Weiss¦ (ÖVP, Vorarlberg): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! So­wohl die Referate als auch die nachfolgende Diskussion haben ganz deutlich gezeigt, dass sich das 1992 eingeführte Verfahren zur Beteiligung der Länder und Gemeinden an der Integra­tions­politik im Wesentlichen bewährt hat.

Wo es Unschärfen der Rechtslage oder auch der praktischen Handhabung gibt, hat der Bund ver­sucht, diese in Konsensinteresse wettzumachen. Dass es noch einige offene Fragen gibt, wurde ebenfalls deutlich. In besonderer Weise hat Herr Landtagspräsident Dr. Schreiner diese für die Landtagspräsidentenkonferenz thematisiert. Er hat dabei allerdings auch wiederum neue Fragen aufgeworfen, etwa die dem Bundesrat nicht unbekannte Frage, inwieweit die Nutzungs­intensität bisheriger Rechte ein taugliches Fundament für das Erwerben neuer Rechte ist.

Ich nenne nur zwei Beispiele, nämlich erstens die Tätigkeit der EU-Ausschüsse der Landtage – wir kennen die Problematik auch aus diesem Haus – und zweitens die Frage, in welcher Weise die Landtage bisher die Möglichkeit genutzt haben, auf die Herbeiführung von Länderstellung­nah­men im Wege der Landesregierungsmitglieder Einfluss zu nehmen. Ob diese gemeinsamen Län­derstellungnahmen nun bei einer Sitzung durch Rundlaufbeschluss oder per E-Mail zu Stan­de kommen, ist eine sekundäre Frage, aber das verfassungsrechtliche Recht der Landtage darauf, auf die Haltung ihres eigenen Landes gestaltend Einfluss zu nehmen, ist unbestritten. Diese Problematik kennen wir ebenfalls, aber das ist eine Frage, die auch an die Zweckmäßig­keit des Arbeitsablaufes der Gesetzgebung und der Begleitung außenpolitischer Maßnahmen rührt und nicht nur ein generelles Problem der Landtage an sich ist.

Wesentlich scheint mir – das ist außer in der Wortmeldung des Herrn Landtagspräsidenten selbst nicht angesprochen worden – bei Versuchen der Landtagspräsidentenkonferenz, der Bun­­desrat möge die erforderliche Zustimmung zur Ratifizierung des Vertrages von Nizza ge­mäß Bun­des‑Verfassungsgesetz davon abhängig machen, dass einige näher ausgeführte Punkte zuvor positiv erledigt werden, das heißt im Klartext: ein Junktim herstellen, Folgendes zu sein: Es ist heute wie schon vorher offen geblieben, in welcher Weise dies ein gemeinsamer Stand­punkt der Länder ist, und zwar in zweifacher Hinsicht, nämlich erstens offen in der Sache selbst, hinsichtlich der angesprochenen Punkte. Ich weiß nicht, inwieweit es auch Landtags­be­schlüsse zur näheren Erläuterung dieser Standpunkte gibt. Im Begutachtungsverfahren zu der einschlä­gigen B-VG-Novelle ist dieses Thema, abgesehen von zwei Bundesländern, nämlich Salzburg und Vorarlberg, ausgeblendet geblieben. Derartige Wünsche wurden nicht artikuliert, und auch der Vorsitzende der Landeshauptmännerkonferenz, Herr Landeshauptmann Dr. Hai­der, hat heute nichts Derartiges gesagt, er hat es also nicht für wichtig genug erachtet, das heu­te hier zu referieren. Offen geblieben ist aber auch die Vorgangsweise, nämlich das Beharren auf einem Junktim. Auch diesbezüglich hat der Herr Landeshauptmann, obwohl man es poli­tisch vermuten hätte können, nichts verlauten lassen.

Welche Perspektiven für die weitere Vorgangsweise gibt es hier im Bundesrat aus meiner Sicht? – Ich meine, dass zunächst der maßgebliche und gemeinsame Länderstandpunkt zu klä­ren ist, damit wir eine taugliche Entscheidungsgrundlage haben und nicht unsere eigene Ein­schätzung über die Meinung der Landtage beziehungsweise der Landesregierungen setzen. Das gilt in gleicher Weise für die vom Bund einzufordernde Bereitschaft zum Dialog mit den Län­dern und Gemeinden über die 1992 vereinbarte Weiterentwicklung des damaligen Länder­be­teiligungsverfahrens.

Naturgemäß ist jede Vertragsänderung ein geeigneter Anlass für eine Zwischenbilanz, ob das bis­herige innerstaatliche Instrumentarium für die neuen Tätigkeitsfelder der Europäischen Union auf Grund von neuen Verfahrensordnungen ausreichend und geeignet ist. Dieser Dialog hat bei den bisherigen Vertragsänderungen gefehlt. Ich bin sehr dafür, ihn diesmal einzufordern, wobei ich über das Beteiligungsverfahren hinaus sehr unterstreichen möchte, was hinsichtlich eines weiteren Punktes, nämlich der Weiterentwicklung der 15a-Vereinbarung beziehungsweise der Staatsvertragskompetenz der Länder gesagt wurde. Hier ist die Entwicklung der Europäischen Union in dem Maße fortgeschritten, dass die Länder eine bessere Grundlage für regionale grenzüberschreitende Kooperationen brauchen, als sie die Verfassungsordnung derzeit bietet.

In diesem Sinne sehe ich den Dialog zwischen dem Bund und den Ländern und Gemeinden und den Organen der Bundes‑ und Landesgesetzgebung als nicht abgeschlossen, sondern le­dig­lich als begonnen an. Ich denke, dass wir, wenn der Bund diese Bereitschaft zum Dialog er­kennen lässt – davon gehe ich aus! –, auch unabhängig davon, ob es ein Junktim gibt oder nicht, zu einem guten Ergebnis kommen können. (Allgemeiner Beifall.)

12.38


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Weiters hat sich Herr Präsident Dr. Schreiner zu Wort gemeldet. – Bitte.

12.38


Universitätsprofessor Dr. Helmut Schreiner¦ (Präsident des Salzburger Landtages): Frau Prä­si­dentin! Meine Damen und Herren! Herausgefordert durch die letzte Wortmeldung möchte ich noch ein paar Worte sagen.

Erstens: Es liegt ein einstimmiger Beschluss der Landtagspräsidentenkonferenz betreffend die­se Initiative – ich betone: ein einstimmiger Beschluss! – vor. Alle neun österreichischen Land­ta­ge tragen diesen mit. – Ich glaube, das sollte Bedeutung genug haben!

Zweitens: Die Landeshauptleute sind offiziell am Freitag angeschrieben worden. Sie konnten sich bisher noch nicht äußern. In Anbetracht dessen, was ich aus Zwischengesprächen weiß, bin ich diesbezüglich aber sehr optimistisch. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Landes­haupt­leute negative Stellungnahmen abgeben werden, wenn das auch ihr gutes Recht ist. Ich möchte aber etwas dazu bemerken, und jetzt, Herr Präsident, komme ich zum Grund, warum ich mich zu Wort gemeldet habe.

Sie sind der Bundesrat, ein Parlament, und Sie warten, was Ihnen ein Vertreter einer Exekutive auf­trägt! – Ich glaube, dass das in diesem Zusammenhang nicht der richtige Weg ist! Wenn die neun Landtage in Österreich, die Sie gewählt haben, einen Beschluss fassen, dann sollte das, bei aller hoch geschätzten Bedeutung der Landeshauptleute, in der Wertigkeit doch darüber ste­hen! Das kränkt mich als Vertreter eines Landesparlaments, das den Mund immer aufmacht, wenn es gefordert wird! (Allgemeiner Beifall.)

Meine Damen und Herren! Jetzt möchte ich noch ein paar Bemerkungen zur Diskussion ma­chen. Von einer Vorrednerin, der Frau Nationalrätin, wurde gesagt. dass das, was in der Lan­des­­hauptleutekonferenz beschlossen wird, den Landtagen nicht zugänglich ist. Ich meine, das ist eine Frage der Verfassungsautonomie der einzelnen Landtage! Bei uns gibt es das Recht der jederzeitigen Akteneinsicht für jede Landtagspartei, und es hat bei uns – ich kann es jetzt nur ab­schätzen – seit der letzten Landtagswahl ungefähr 200 solche Akteneinsichten gegeben. Darunter befinden sich auch Akten über die Landeshauptleutekonferenz. Das Recht zur Akten­einsicht hat jede Landtagspartei, und die einen nehmen es wahr und die anderen nicht.

Zur Frage der Landesverfassungsautonomie: Diesbezüglich braucht man auf Bundesebene nichts zu ändern. Das gehört zum Selbstverständnis der Landesparlamente.

Drittens komme ich zu dieser heiklen Informationsfrage: Mir hat das gut gefallen, was Herr Stän­de­rat Pfisterer gesagt hat, nämlich dass die Informationspflicht nicht als eine Art Komman­doausgabe in Anbetracht knapper Zeitspannen und Fristen verstanden werden kann. Jeder weiß doch, dass Parlamentarier an gewisse Vorläufe gebunden sind. Es kann nicht einer für alle re­den, sondern sie müssen sich bereden, und dazu braucht man einige Tage.

Ich nenne jetzt ein Beispiel, wie diese Informationspflicht an den Landtag funktioniert: Als die Natura 2000-Richtlinie bei uns eingetroffen ist, betrug die Frist für die Stellungnahme drei Tage. Im Hinblick darauf frage ich Sie: Ist es böser Wille, wenn der Salzburger Landtag nicht in der Lage ist, innerhalb von drei Tagen eine Stellungnahme abzugeben, oder liegt da nicht ein Defekt im System? – Wenn man sagt, dass Europa parlamentarisch geführt werden muss, dann müs­sen auch diese Fristen verändert werden! Genau das muss man sehen und verändern! Hiebei handelt es sich nicht um Faulheit der Parlamentarier, sondern um einen Systemdefekt.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass in Europa, aber auch in Österreich ein Parlamen­tarismusdefizit besteht, und das muss geändert werden! Mein Appell an Sie ist deshalb so ein­dring­lich, weil bei der innerösterreichischen Frage im Gegensatz zur Schweiz und zu Deutsch­land die Verfassungsautonomie der Länder über die Selbstgestaltung des Parlamentarismus extrem eng ist. Es ist eine Vormundschaftsordnung, die die Bundesverfassung über die Landta­ge verhängt, und keine Bundesverfassung! Daher richte ich diesen Appell an Sie, weil Sie Mit­ver­antwortung haben.

Zum Schluss komme ich zur Frage: Junktim oder nicht? – Es ist dies eine ernste Frage. Allzu oft ist den Ländern schon eine Änderung zugesagt worden! Der Beitritt zur EU wäre ohne die Länder nicht zu Stande gekommen. Es waren die Länder, die den Anstoß gegeben haben. Da­mals hat man gesagt, dass es vor dem Beitritt eine gravierende Änderung in Form der Stärkung des Bundesstaates geben wird. Das Ergebnis war jedoch null! Es folgte das Perchtoldsdorfer Ab­kommen, das heute schon zitiert wurde, aber das Ergebnis war wiederum null. Es hat keine nen­nenswerte Veränderung gegeben.

Daher bitte ich Sie: Denken Sie als Verantwortungsträger auf Bundesebene und als Vertreter der Länder in der Bundesgesetzgebung darüber nach, ob man dieses System nicht verändern muss, denn wenn diese Strukturen jetzt nicht geändert werden, dann dämmert das Ende des Bun­­desstaates herauf! Dann werden wir uns formal zwar „Bundesstaat“ nennen können, wer­den aber keiner mehr sein!

Ich glaube doch, dass Sie den Mut haben sollten, den die deutschen Länder gehabt haben, als sie im Bundesrat gesagt haben: Jetzt haben wir Zeit, jetzt reden wir darüber. Wir werden aber nicht zustimmen, wenn ihr nicht eine überlebensfähige Regelung für die Länder bringt! – Wir bit­ten Sie, nicht sofort zusammenzuzucken und zu sagen: Nein, wir wollen kein Junktim aus­spre­chen! Nehmen Sie Ihre Verantwortung als Verantwortungsträger für die Bundesländer wahr! – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

12.43


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Es liegt mir noch eine Wortmeldung von Herrn Dr. Kiefer aus Salzburg vor. – Bitte.

12.43


Dr. Andreas Kiefer¦ (Amt der Salzburger Landesregierung): Frau Präsidentin! Meinen Damen und Herren! Ich möchte noch einen weiteren Punkt anführen: Im Zuge der Föderalismus­diskus­sion hat sich abseits der Strukturen etwas entwickelt, und ich meine, dass die Länder und dem­nächst auch die Bundesregierung entsprechend darauf aufmerksam zu machen sind, damit nicht Aushöhlungstendenzen weiterhin Platz greifen. Ich spreche von einem neuen Instrument, das die Staats- und Regierungschefs erfunden haben, nämlich von der so genannten offenen Ko­ordinierung.

Von Salzburg aus wird dieses Thema in der nächsten Zeit auch auf der Ebene der Landes­haupt­leute­konferenz und im Rahmen von Netzwerken anderer starker Regionen erörtert wer­den. Wir sind zusammen mit Bayern und Baden-Württemberg, mit Flandern und der Wallonie, mit Schott­land und Katalonien in einem Netzwerk von Regionen mit Gesetzgebungszuständig­keiten aktiv und versuchen, die eigenen Gestaltungsspielräume und die politischen Handlungs­fähig­keiten zu erhalten.

In Lissabon wurde im Jahr 2000 nach dem Modell der Beschäftigungsstrategie ein neues, offe­nes Koordinierungssystem entworfen. Das heißt, auf europäischer Ebene werden Leitlinien und Zielvorgaben, meist versehen mit ganz konkreten Zeitplänen, beschlossen, die dann – je nach Ver­fassungslage – von der nationalen oder der regionalen Gesetzgebung umzusetzen sind. Das Besondere an dieser Vorgangsweise ist, dass sie weder an die vertragliche Kompetenz­ord­nung noch an die vertraglich vorgesehenen Verfahren gebunden ist, denn die vereinbarten Ziel­vor­­gaben binden die Mitgliedsstaaten nicht rechtlich, sondern „nur“ – unter Anführungs­zei­chen – politisch. De facto haben sie aber wegen dieser engen Vorgaben sowohl inhaltlich als auch zeitlich wegen der Überwachungs- und Evaluierungsmechanismen eine sehr starke ver­bindliche Komponente.

Von manchen wird diese offene Koordinierung als unbürokratische Lösungsmöglichkeit für kurz­fristig auftretende Probleme gepriesen. Allerdings besteht aus meiner Sicht darin eine große Ge­fahr für die Akzeptanz, weil sie Kompetenzen und Zuständigkeiten vorgibt, die auf euro­päischer Ebene nicht oder nur in Teilbereichen existieren; und die zur Umsetzung dieser politi­schen Ziel­vorgaben berufenen, demokratisch legitimierten Gesetzgebungsgremien – nationale Parla­mente oder Landtage – werden auf diese Weise präjudiziert oder umgangen und laufen dadurch Ge­fahr, zu bloßen Umsetzungsinstrumenten zu werden.

Als besonders aktuelles Beispiel verweise ich auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Ra­tes von Göteborg, in denen es in Punkt 43 heißt, dass gemäß der offenen Koordinierungs­me­tho­de vor der Frühjahrstagung 2002 dem Europäischen Rat ein erster Bericht über Leitlinien im Bereich des Gesundheitswesens und der Altenpflege vorzulegen ist. – Das greift ganz mas­siv in die innerstaatliche Kompetenzordnung ein, laut der auf kommunaler und Landesebene Rege­lungs-, Ausführungs- und vor allem Finanzierungsverantwortung besteht.

Ich möchte also auf diesen Komplex, der formal auf den ersten Blick wenig mit föderalistischen Mitwirkungsrechten zu tun hat, aber ganz massiv in die praktische Arbeit eingreift, und auf die damit verbundenen Gefahren aufmerksam machen, welche durch die Aushöhlung verfassungs­rechtlich gewährleisteter Mitwirkungsrechte auf innerstaatlicher Ebene entstehen könnte. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

12.47


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach¦: Mir liegen keine Wortmeldungen mehr vor.

Daher möchte ich Ihnen, vor allem den Referenten, die den Weg zu uns gefunden haben, sehr herz­lich für die Teilnahme an dieser Enquete danken! Ihre Beiträge sind sicherlich eine Grund­lage für unsere weitere Diskussion über die föderalistischen Mitwirkungsrechte in der österrei­chischen EU-Politik. Die Beiträge haben sich, wie ich meine, nicht alle auf einer Ebene bewegt, aber das ist gut so, denn wir sollen eine Diskussion führen und letztendlich das Beste daraus machen, und zwar für unsere Bundesländer, für Österreich und auch für die Europäische Union, der wir uns genauso verpflichtet fühlen wie den Ländern, denen wir angehören und die uns hier­her entsandt haben.

Ich danke Ihnen auch im Namen des Herrn Präsidenten für Ihre Teilnahme und für die wert­vollen Diskussionsbeiträge!

Abschließend darf ich Sie noch darauf aufmerksam machen, dass über diese Enquete ein Steno­graphisches Protokoll erstellt wird, welches Ihnen selbstverständlich übermittelt werden wird.

Ich danke Ihnen für Ihr Kommen, wünsche Ihnen eine gute Heimreise und wünsche uns allen gu­tes Gelingen für unsere Aufgaben für Österreich, unsere Länder und für die Europäische Union! (Allgemeiner Beifall.)

Die Sitzung ist geschlossen.

Schluss der Sitzung: 12.49 Uhr

 

 

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