„Schule und Bildung –

Entwicklungschancen des österreichischen Schulsystems“

 

 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 24. November 2004

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 24. November 2004

(XXII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Schule und Bildung – Entwicklungschancen des österreichischen Schulsystems“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 24. November 2004: 9.08 – 15.15 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung

Präsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach

II. Referate

a) Ass. Prof. DDr. Günter Haider, Institut für Erziehungswissenschaften Universität Salzburg, Nationaler Projektleiter PISA zum Thema „Qualität des Österreichischen Schulsystems an Hand von internationalen Studien“

b) Fritz Enzenhofer, Amtsführender Präsident des Landesschulrates für Oberösterreich

c) Mag. Dr. Susanne Brandsteidl, Amtsführende Präsidentin des Stadtschulrates für Wien

d) Dr. Claudia Egger, Amtsführende Präsidentin des Landesschulrates für Kärnten

e) Univ.-Prof. Dr. Rupert Vierlinger, emerit. Professor für Schulpädagogik an der Uni­versität Passau

III. Diskussion

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach ................... 3

II. Referate

Referent Ass. Prof. DDr. Günter Haider ...................................................................... 3

Referent Fritz Enzenhofer ............................................................................................. 8

Referentin Mag. Dr. Susanne Brandsteidl ................................................................ 13

Referentin Dr. Claudia Egger ...................................................................................... 18

Referent Univ.-Prof. Dr. Rupert Vierlinger ................................................................ 22

III. Diskussion

Bundesrat Dr. Andreas Schnider ............................................................................... 27

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth ........................................................................ 30

Bundesrat Engelbert Weilharter ................................................................................. 33

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 34

Abg. Werner Amon, MBA ........................................................................................... 36

Abg. DDr. Erwin Niederwieser ................................................................................... 38

Abg. Mares Rossmann ................................................................................................ 39

Abg. Dieter Brosz ......................................................................................................... 41

Mag. Dr. Markus Tomaschitz, MBA ........................................................................... 44

Regina Grubich-Müller ................................................................................................ 45

Hofrat Mag. Dieter Grillmayer .................................................................................... 46

Lotte Kreissler .............................................................................................................. 48

Hofrat Professor Dr. Mag. Gerhard Schäffer ............................................................ 49

Kurt Nekula ................................................................................................................... 51

Mag. Josef Hirschmann .............................................................................................. 53

Maria Brandl ................................................................................................................. 54

Kim Kadlec .................................................................................................................... 56

Dario Paya ..................................................................................................................... 57

Florian Rabenstein ....................................................................................................... 59

Dr. Herbert Just ............................................................................................................ 60

Mag. Dr. Gerhard Riemer ............................................................................................ 61

Monika Mühlwerth ....................................................................................................... 63

Mag. Ernst C. Zach ....................................................................................................... 64

Bundesrätin Ana Blatnik ............................................................................................. 66

Abg. Sabine Mandak .................................................................................................... 67

Bundesrat Wolfgang Schimböck ............................................................................... 69

Mag. Herbert Gimpel ................................................................................................... 70

Sektionschef Mag. Wolfgang Stelzmüller ................................................................. 72

Direktorin Mag. Heidi Schrodt .................................................................................... 73

Abg. Carina Felzmann ................................................................................................. 74

Hofrat Dkfm. Mag. Helmut Skala ................................................................................ 76

Bundesrätin Eva Konrad ............................................................................................. 77

Jürgen Stöttinger ......................................................................................................... 79

Abg. Dr. Peter Sonnberger ......................................................................................... 80

Romana Brait ................................................................................................................ 81

Sektionschef Dr. Anton Dobart .................................................................................. 82

Daniel Winkler ............................................................................................................... 84

Schlussworte

Referent Fritz Enzenhofer ........................................................................................... 86

Bundesrat Reinhard Todt (tatsächliche Berichtigung) ............................................... 88

Referent Ass. Prof. DDr. Günter Haider .................................................................... 88

Referent Univ.-Prof. Dr. Rupert Vierlinger ................................................................ 89

Vorsitzende Präsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach ................. 90


Beginn der Enquete: 9.08 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach, Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss, Vizepräsident des Bundesrates Mag. Georg Pehm.

*****

I. Eröffnung

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Schule und Bildung – Entwick­lungschancen des österreichischen Schulsystems“ und danke Ihnen, dass Sie der Ein­ladung zu dieser Enquete gefolgt sind.

Ich begrüße die Anwesenden ganz herzlich. Mein ganz besonderer Gruß gilt den Refe­rentinnen und Referenten: Herrn Ass. Prof. DDr. Günter Haider, Herrn Präsidenten des Landesschulrates für Oberösterreich Fritz Enzenhofer, Frau Präsidentin des Stadt­schulrates für Wien Mag. Dr. Susanne Brandsteidl, Frau Präsidentin des Landesschul­rates für Kärnten Dr. Claudia Egger und Herrn Univ.-Prof. Dr. Rupert Vierlinger.

Ich darf vielleicht gleich vorweg sagen: Es sind junge Menschen gekommen, die gro­ßes Interesse an dieser Enquete gehabt hätten. Leider ist ihnen nicht mitgeteilt wor­den, dass so eine Enquete praktisch Ausschusscharakter hat und daher lediglich Medi­enöffentlichkeit gegeben ist, aber nicht allgemeine Öffentlichkeit. Ich möchte mich da­her in dieser Form dafür entschuldigen, dass interessierte junge Menschen nicht direkt an unseren Beratungen hier teilnehmen können, aber ich bin überzeugt davon, dass die einzelnen Klubs alle Informationen, die hier gesammelt werden, an Interessierte weitergeben werden.

Ich begrüße weiters sehr herzlich alle Mitglieder des Nationalrates und des Bundes­rates, die Vertreterinnen und Vertreter des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeri­ums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Vertreter der Länder, des Stadtschulrates für Wien und der Landesschulräte, des Österreichischen Städtebundes und der Verbin­dungsstelle der Bundesländer sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die heute als Experten zu dieser Enquete geladen sind.

Nicht zuletzt darf ich auch die Vertreter der Medien willkommen heißen.

(Es erfolgen technische Mitteilungen und Hinweise auf das Procedere bei der Enquete durch die Vorsitzende.)

Ich erteile nunmehr Herrn Professor DDr. Haider als erstem Referenten zum Thema „Qualität des österreichischen Schulsystems an Hand von internationalen Studien“ das Wort. – Bitte, Herr Professor.

II. Referate

 


9.13

Referent Ass. Prof. DDr. Günter Haider| (Institut für Erziehungswissenschaften Uni­versität Salzburg, Nationaler Projektleiter PISA): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Einladung, die ich auch als eine Anerkennung für die vergleichende Bildungsforschung, die ich hier vertrete, ansehe.

Unser wissenschaftliches Interesse gilt der Qualität und der Effizienz von Bildungs­systemen speziell im Bereich der Allgemeinbildung unserer Schülerinnen und Schüler. Wir untersuchen zu diesem Zweck international Leseverständnis und Mathematikkom­petenz genauso wie naturwissenschaftliche und fachübergreifende Kompetenzen, pro­blemlösendes Denken genauso wie aktive Informationsverarbeitung, derzeit haupt­sächlich bei den 15-/16-Jährigen. Die Resultate richten sich vor allem an jene, die für das Bildungssystem verantwortlich sind, und sollen eine gewisse rationale Basis für bildungspolitische Entscheidungen erlauben. Mein Referat gliedert sich daher in vier Bereiche; ich möchte sie einmal so nennen: Anspruch und Wirklichkeit, Ursachen und Konsequenzen.

Woher kommt denn das Wissen, das ich hier versuche auszubreiten? – Unsere For­schungsergebnisse stammen aus regelmäßigen weltweiten Leistungsvergleichen von Schülern, zum Beispiel aus der bekannten PISA-Studie, aber auch aus Teams und aus anderen Studien, die wir durchführen. Dabei werden sehr viele Staaten, hauptsächlich die der OECD, mit Hilfe einheitlicher Tests auf die wichtigsten Grundkompetenzen der Schüler in den bestimmten Altersjahrgängen gemessen und eine Reihe von relevanten Kontextbedingungen erfragt.

Ich bin heute hier in einer gewissen Zwickmühle. Sie haben heute sicher den Zeitun­gen die entsprechenden Berichte entnommen, und man muss einfach dazu auch ak­tuell Stellung nehmen. Die aktuellen PISA-Ergebnisse werden erst in 14 Tagen offiziell bekannt gegeben. Es ist eine vertraglich klare Vereinbarung mit der OECD, dass bis 7. Dezember null Uhr diese Ergebnisse unter Embargo stehen. Leider sind sie an die Öffentlichkeit gedrungen, und die Zeitungen versuchen nun, diese Ergebnisse schon zu kommentieren und Ursachen dafür anzugeben.

Erlauben Sie mir, trotzdem hart zu bleiben und hier keine aktuellen Daten auszubrei­ten, denn ich stehe als Leiter des österreichischen PISA-Zentrums unter der vertrag­lichen Verpflichtung, diese Frist bis 7. Dezember striktest einzuhalten, und ich halte mich auch daran.

Zurück zu PISA. – Die Verschiedenheit der an PISA beteiligten Schulsysteme ist, wenn 40 Staaten an solchen Studien teilnehmen, ein ganz wesentliches Element des Interes­ses. Die Schülerleistungen unterscheiden sich nämlich beträchtlich zwischen den Län­dern und auch innerhalb der Länder, in denen es verschiedene Systeme gibt. Unsere Aufgabe im Rahmen der Untersuchung ist es nicht nur festzustellen, wo die Schüler sind, die gute oder schlechte Leistungen erbringen, sondern auch festzustellen, welche Merkmale des Unterrichts oder der Organisationsstruktur möglicherweise diese guten oder schlechten Leistungen beeinflussen. Wir schauen auch, wo wir langfristige Vor­teile entdecken können, je nach Kombination verschiedenster organisatorischer und unterrichtlicher Merkmale. Und wir untersuchen auch individuelle Merkmale wie Ge­schlechtsunterschiede oder sozio-ökonomische Einflüsse.

Das Forschungsinteresse, das uns leitet, ist auf das lebenslange Lernen angelegt. Nicht alles, was wir als Erwachsene später benötigen, können wir bereits in der Schule quasi als Rucksack auf Vorrat lernen, sondern Schülerinnen und Schüler müssen sich in den Pflichtschulen die Voraussetzungen für das lebenslange Lernen aneignen. Wer nicht fließend und sinnentnehmend lesen gelernt hat, ist vom eigenständigen Erwerb späteren beruflichen Wissens auf jeden Fall ausgeschlossen. Und wem die mathema­tischen oder naturwissenschaftlichen Grundlagen fehlen, der kann einfach später viele Weiterbildungsangebote nicht adäquat wahrnehmen.

Daher stehen im Zentrum unseres Interesses Fragen wie: Sind unsere Schülerinnen und Schüler tatsächlich auf die vielfältigen und sich rasch wandelnden Herausforde­rungen unserer Zeit vorbereitet? Verfügen sie über die notwendigen Kompetenzen, um selbständig lebensbegleitendes Lernen zu organisieren und durchzuführen?“

Es geht uns also nicht um das Abtesten von irgendwelchen Leistungen nach irgend­welchen traditionellen Fächerkanons, sondern es geht um Kompetenzen des aktiven Umgehens mit Wissen, um Information, um das Erschließen von Problemen und um das Anwenden dieser fachlichen Fähigkeiten. Und es interessiert uns, warum in manchen Gesellschaften und manchen Systemen die Vermittlung dieser Kompetenzen unter ähnlichen Umständen besser gelingt als in anderen.

Daher sind unsere Qualitätsindikatoren, die wir liefern, potentielle Steuerungsinforma­tionen vor allem für jene Personen, die für das Bildungswesen verantwortlich sind, was in den meisten Ländern die zuständigen Minister, die Abgeordneten, die parlamenta­rischen Ausschüsse, aber auch die Spitzen der Schulbehörden sind.

Wir befürworten und bestärken damit auf jeden Fall eine Verlagerung der Basis aller Steuerungsentscheidungen auf die Ergebnisse, auf die Output-Daten. In vielen Län­dern sind dazu nationale Bildungsberichte üblich, wo die OECD-Daten, die nationalen Evaluationen zusammengefasst werden. Vielleicht ist es ja auch im Sinne der öster­reichischen Abgeordneten, dass ein solcher regelmäßiger Qualitätsbericht erstellt wird, und vielleicht bekommen wir dafür auch eine gewisse Unterstützung.

Auf den Punkt gebracht: Unsere Berichte und Analysen sollen im Allgemeinen den Übergang von der Ideologie zur Empirie bringen. Unsere Studien rücken politisch und pädagogisch wichtige Fragen, wie zum Beispiel nach der feststellbaren Qualität von Schule oder nach der Chancengleichheit, in den Mittelpunkt rationaler wissenschaft­licher Betrachtungen und überwinden den bisher üblichen, doch meist subjektiven und ideologisch gefärbten Begründungskontext.

Als Folge verändern und verschieben sich natürlich auch die Entscheidungs- und Steu­erungsprozesse, und wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse werden möglicherwei­se wichtiger als subjektive Überzeugungen, auch wenn man sie schon viele Jahrzehnte liebevoll pflegt und sich von diesen falschen und längst widerlegten Ansichten nur sehr ungern trennt.

Ich komme damit zu Abschnitt zwei: Realität und einige Erkenntnisse aus diesen Stu­dien. Ich habe aus der Analyse der Zukunftskommission, der ich angehöre, einige kri­tische Punkte herausgesucht, die, auch wenn man die neuesten Daten zugrunde legt, ganz sicher ihre Gültigkeit behalten werden.

Punkt eins: eine gewisse Sorge um die Leistungsfähigkeit der allgemein bildenden Schulen. Wir sind nach allen diesen Studien bestenfalls internationales Mittelmaß. Wenn die aktuellen Ergebnisse vorgestellt werden, werden wir dort bestätigt finden, dass die Kenntnisse der österreichischen 15-/16-Jährigen in den Grundkompetenzen im Vergleich zu den anderen OECD-Staaten bestenfalls als mittelmäßig einzustufen sind. Wesentlich bessere Ergebnisse bekommen wir stabil seit vielen Jahren etwa aus Skandinavien, aus den Niederlanden und inzwischen auch aus Großbritannien, aus Kanada, Australien und Neuseeland, aber auch aus den ostasiatischen Staaten.

Ein Teil der mäßigen Leistungen erklärt sich wahrscheinlich aus der mangelnden Nachhaltigkeit des Unterrichts. Hervorgerufen wird diese durch die Überbewertung der Leistungsbeurteilung, die in Österreich allgegenwärtig ist. So kommt es in den Schulen zu eher kurzfristigen Lernepisoden. Das heißt, man lernt bis zum nächsten Test, man lernt bis zur nächsten Schularbeit. Dem kommt im österreichischen Unter­richt die allergrößte Bedeutung zu.

TIMSS, eine Studie, die wir vor zehn Jahren gemacht haben, hat gezeigt, dass die langfristige Vernetzung und die Sicherung der Kompetenzen bei dieser Art von Unter­richtsführung sehr leicht ins Hintertreffen gerät und umso schlimmer wird, je älter die Schüler werden.

Punkt zwei: Die durchschnittlichen Leistungen Österreichs sind mit sehr hohen Kos­ten verbunden. Die von der OECD ebenfalls erhobenen nationalen Pro-Kopf-Kosten für die schulische Bildung zeigen, dass etwa 2003 ein 10- bis 14-Jähriger im finnischen Schulsystem um etwa ein Viertel weniger als bei uns kostete, in Korea nur die Hälfte und in der Tschechischen Republik kaufkraftbereinigt nur etwa ein Drittel der österrei­chischen Bildungskosten anfallen – allerdings bei insgesamt besseren Leistungen aller dieser Schüler.

Es fehlen uns bildungsökonomische Analysen, die zeigen könnten, warum unsere hohen Investitionen in die Allgemeinbildung offensichtlich nicht wirklich unterrichts- und ergebniswirksam werden.

Drittens: Die Leistungsschwächen liegen vor allem in den anspruchsvollen kogniti­ven Bereichen. Analysiert man die Leistungsergebnisse der Schüler auf Aufgaben­niveau, so zeigt sich, dass wir genau dort Schwächen haben, wo es um anspruchs­vollere Aufgaben geht. Ich will versuchen, das zu erläutern: Es geht beispielsweise um das Verstehen komplexer Zusammenhänge, das Interpretieren von Daten oder das Argumentieren und Schlüsse ziehen. Besonders schwer fällt es österreichischen Schü­lern, ein Problem von mehreren Seiten zu betrachten, alternative Lösungen zu suchen oder auch für bestimmte Meinungen oder Lösungen triftige Argumente zusammenzu­schreiben. Da haben wir unsere größten Schwächen.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass wir in unserem Vergleich des Interesses und der Freude der Schüler beispielsweise am Mathematikunterricht fest­stellen mussten, dass wir unter den Vergleichsländern, die wir in die Studie einbezogen haben, das Land mit dem geringsten Interesse am Mathematikunterricht und der geringsten Freude daran insbesondere bei den weiblichen Schülern waren.

Ähnlich ergeht es uns mit der instrumentellen Motivation. Es ist unseren Jugend­lichen kaum einsichtig, wozu Mathematikunterricht in der Schule dienen soll, und sie halten ihn insgesamt für ziemlich irrelevant für ihre berufliche Zukunft. Das ist schade und hat sicherlich auch mit den Leistungen zu tun. Das deutet auch auf Defizite im didaktischen Bereich hin.

Viertens: Wir haben relativ große Risikogruppen in Lesen und Mathematik. Etwa ein Fünftel der österreichischen 15-/16-Jährigen sind als sehr schlechte LeserInnen einzu­stufen, das heißt, sie haben selbst mit einfachsten Texten große Mühe und können nicht ausreichend fließend und sinnentnehmend lesen. Die Gruppe der schlechten MathematikschülerInnen ist etwa gleich groß, liegt also auch bei etwa 20 Prozent. Das sind zwei- bis dreimal so viel RisikoschülerInnen, wie sie die besten PISA-Länder auf­weisen. Wir müssen befürchten, dass diese Schüler auf Grund ihrer schlechten Grund­kompetenzen im späteren beruflichen Leben Probleme mit dem selbständigen Bil­dungserwerb haben werden, wobei der Anteil der Buben in diesen Risikogruppen relativ hoch ist und der Anteil der Buben unter den Schülern mit schlechten Leistungen relativ stark ansteigt, was uns als Wissenschaftler ziemlich beunruhigt. Die Ursachen dafür haben wir aber noch nicht identifiziert.

Der Förderunterricht, der eigentlich eine gewisse Gegensteuerung bilden sollte, kann diese Kompensation wegen seiner geringen Wirksamkeit nicht leisten. Das liegt auch daran, dass in der Aus- und Fortbildung die diagnostischen Kenntnisse, die Förder­kompetenz und der individualisierte Unterricht leider etwas zu kurz kommen.

Daraus resultiert, dass eine große Anzahl von Jugendlichen – das AMS spricht von 4 000 bis 5 000 pro Jahr – mit fehlenden und unzureichenden Basisqualifikationen einen Einstieg in den Arbeitsmarkt versucht und daran scheitert.

Fünftens: unerwünscht hohe sozio-ökonomische Einflüsse. Österreich gehört mit an­deren deutschsprachigen Ländern zu jenen Staaten, in denen der Einfluss des sozio-ökonomischen Status der Eltern auf die Leseleistung besonders ausgeprägt ist. Gute Leistungen in der Schule sollten aber nicht so stark von den schichtspezifischen Zu­satzleistungen und dem kulturellen Kapital der Eltern beziehungsweise der Familien abhängen. Wenn dies der Fall ist, haben Kinder aus einem benachteiligten sozialen Milieu bei gleicher Befähigung deutlich geringere Chancen, die gleichen Standards zu erreichen wie Kinder aus unterstützenden Milieus. Dieser unerwünscht hohe sozio-öko­nomische Einfluss wird durch frühe Selektion im Alter von zehn Jahren und mangelnde individuelle Förderung noch verstärkt.

Sechster und letzter Punkt: Ungerechtigkeit. In der im Rahmen der PISA-Unter­suchung gemessenen Leseleistung unterscheiden sich die besten und schlechtesten AHS um bis zu zwei Kompetenzstufen. Das ist enorm! Das schlägt sich aber nicht in den Noten nieder. Wir haben in TIMSS Hauptschulklassen gefunden, deren mathema­tische Kompetenz im Durchschnitt über alle drei Leistungsgruppen hinweg über dem Niveau einzelner AHS-Klassen lag, und im Extremfall zweite Leistungsgruppen, die im Schnitt besser waren als AHS-Klassen. Das heißt, je nach regionaler Situation haben wir in Österreich gleiche Berechtigungen für unterschiedliche Leistungen, und gleiche Leistungen führen nicht zu den gleichen Berechtigungen.

Abschließend möchte ich etwas über Ursachen und Konsequenzen sagen. Seit der großen Schulreform 1962 und den im Anschluss daran erlassenen Gesetzen haben wir es in der Schulentwicklung in Österreich hauptsächlich mit niederschwelliger Reform­politik zu tun, und das nicht zuletzt auf Grund der Bindung von Schulreformen an die Zwei-Drittel-Verfassungsmehrheit. Den Versuch, die notwendigen Anpassungen in kleinen Schritten und durch quasi außerparlamentarische Verbesserungen auf dem Verordnungs- und Behördenweg umzusetzen, möchte ich rückblickend als wenig er­folgreich einstufen. Diese Verzögerung bei der Durchführung wichtiger Reformen bringt uns nun Schwierigkeiten in der pädagogischen Arbeit und mindert auch den Unter­richtsertrag.

Vielleicht darf ich abschließend einige Erfolgsfaktoren aufzählen, die die guten PISA-Staaten kennzeichnen:

Nummer eins: Auf Unterrichtsebene kennzeichnet die guten PISA-Staaten vor allem eine starke individuelle Förderung der Kinder in relativ heterogenen Gruppen. Von dieser Art von Unterricht profitieren sowohl die schwachen als auch die leistungsfähi­geren Schüler. Wir haben in Österreich zwar solche Dinge auch schon in der Volks­schule – Freiarbeit, Montessori –, aber in den Sekundarschulen ist dieser individuelle Unterricht noch nicht sehr weit verbreitet.

In den erfolgreichen Ländern gibt es Bildungsstandards und Ergebnisse, die in die Schulentwicklung einfließen.

Wir haben flächendeckende Betreuungsangebote auch in Ganztagsschulen, die nicht nur den Eltern und Frauen eine größere Chance eröffnen, die berufliche Laufbahn weiterzuführen, sondern von denen auch Schüler profitieren, die sonst am Nachmittag unbetreut auf der Straße stehen.

Bei uns gibt es die extrem hohe und frühe Selektion mit zehn Jahren, die, so zeigen die PISA-Daten, vor allem ein Nachteil für die schwächeren Schüler ist. Weltweit ver­langt nur noch Deutschland ähnlich frühe Entscheidungen und kämpft wie wir ebenfalls massiv mit der schwachen Kompensationsleistung der allgemein bildenden Schulen.

Das längere gemeinsame Lernen, meine Damen und Herren, vergrößert die Aufstiegs­chancen der schwächeren Schüler, behindert aber nicht die Leistungen der guten Schüler und würde vor allem Schülern aus sozio-ökonomisch niedrigen Schichten hel­fen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Schüler im Unterricht als Einzelperson individuell wahrgenommen wird und dass der Lehrer diesen Schülern eine individuelle Förderung angedeihen lässt.

Zusammenfassend: Die heutige Enquete möge dazu beitragen, dass der anstehende Reformprozess, den wir vor uns haben, als dringende Aufgabe der Bildungspolitik von möglichst vielen Entscheidungsträgern sowohl wahr- als auch entsprechend ernst genommen wird. Eine Reform in der Größenordnung, wie sie von der Zukunftskommis­sion in ihrem Reformkonzept vorgestellt wird, ist eine enorme Aufgabe. Es ist insge­samt eine nationale, intellektuelle, organisatorische und finanzielle Kraftanstrengung erforderlich, die über die vorhandenen ideologischen Grenzen und das tagesaktuelle politische Geplänkel hinausgehen muss. Die Umsetzung dieser Verbesserungen wird vermutlich zwei, drei Legislaturperioden dauern und daher eine kontinuierliche und systematische Arbeit notwendig machen, bis sich die gewünschten Ergebnisse zeigen werden.

Die Schüler, die wir im Jahre 2012 im Rahmen von PISA auf Lesen und Mathematik testen werden, gehen jetzt schon in die zweite Klasse. Das heißt, wir müssen die Langfristigkeit dieser Dinge in Betracht ziehen, wir müssen konsequent reagieren und rasch reagieren.

Machen wir das Reformkonzept, das die Zukunftskommission vorgelegt hat, zu einem langfristigen Bildungsplan, der zum Wohle unserer Jugendlichen von einer möglichst großen und breiten politischen Mehrheit getragen wird! – Danke. (Beifall.)

9.31

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Herr Professor, ich danke für Ihren Beitrag.

Ich bitte nun Herrn Präsidenten Enzenhofer, das Wort zu ergreifen.

 


9.32

Referent Fritz Enzenhofer| (Amtsführender Präsident des Landesschulrates für Ober­österreich): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorerst ein herzliches Dankeschön, dass Sie dieses Thema zum Mittelpunkt dieser En­quete gemacht haben. Ich bin überzeugt davon, dass Schule wirklich eines der bedeu­tendsten Themen ist, die uns betreffen, und Bildung insgesamt eine Zukunftsposition für uns alle darstellt.

Erlauben Sie mir, an den Beginn meines Referats ein Zitat von Salvador Dali zu set­zen: „Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft.“ – Ich meine, daran sollten wir bei der Diskussion um Bildung denken, und daran sollten wir auch festhalten, damit wir nicht rückblickend diskutieren, sondern vorausblickend.

Ich glaube an Zufälle, aber ich glaube nicht an jeden Zufall. Ich glaube vor allem nicht an den Zufall, dass die PISA-Daten – obwohl geheim und unter Verschluss – just heute in Oberösterreich, ja in Österreich überhaupt präsentiert wurden. Das wird uns daher heute auch beschäftigen, und das soll auch so sein. Warum denn nicht? Wenn man Daten weiß, soll man darüber reden.

Ich meine jedoch, dass wir in dieser Diskussion auf ein paar Dinge achten müssen. Wir sollten nicht zu einer Überfrachtung der Schuldiskussion, zu einer Überfrachtung des Themas gelangen und dadurch den eigentlichen Themenbereich überdehnen. Ich meine, dass es nicht richtig ist, hier große Katastrophen-Szenarien zu entwickeln, son­dern wir sollten ganz einfach Dinge, die bekannt sind, auch entsprechend zur Kenntnis nehmen und daraus Handlungen ableiten.

Vielleicht darf ich Ihnen ein paar Fakten nennen, die aus meiner Sicht bedeutsam sind. Ich weiß natürlich und bitte um Verständnis dafür, dass ich mit dem, was ich da sage, nicht mit jedem konform gehe. Es soll ja schließlich auch Sinn dieser Diskussion sein, dass wir unterschiedliche Meinungen vorbringen.

Ich darf auf ein paar Faktoren hinweisen, die Einfluss auf die Schule nehmen, ohne dass wir von der Schule aus irgendetwas dazu beigetragen haben.

Faktum eins ist der Schülerrückgang. Das ist eine Situation, die uns im Schulwesen natürlich beschäftigt, die verschiedene Organisationsstrukturen betrifft – ich nenne nur die Versorgung im ländlichen Raum –, die wir aber nur bedingt mit beeinflussen kön­nen, wie wir wissen.

Ein weiteres Faktum ist, dass die Erwartungshaltung der Eltern in Bezug auf die Schule ständig steigt, dass es immer mehr Positionen im Hinblick auf Schüler, auf Kin­der gibt, die ich zwar für richtig halte, die aber natürlich auch die Blickrichtung fokus­sieren.

Ein Faktum, das wir nur sehr schwer beeinflussen können, ist die Altersstruktur unse­rer Lehrerinnen und Lehrer. Meine sehr verehrten Damen und Herren! In wenigen Jah­ren werden die österreichischen Lehrer im Durchschnitt – im Durchschnitt! – älter sein als die Großeltern der Kinder, die wir unterrichten.

Das sind die Faktoren, die von außen auf uns Einfluss nehmen und die wir auch zu berücksichtigen haben.

Ich darf auf ein Zweites eingehen, und zwar die Sicht auf Schule, die Sicht auf Leis­tungen, die die Schule zu erbringen hat. Für mich persönlich stellt sich das so dar, dass in der Diskussion die Schule sehr oft von verschiedenen Polen her betrachtet wird. Ich darf einige dieser Pole nennen: Ranking auf der einen Seite, Feedback auf der anderen Seite. Wir sagen zwar, Schulrankings sind uns unangenehm, sind der Sache nicht dienlich, und trotzdem lesen wir begierig in den Zeitungen, wer Nummer eins, zwei oder drei ist. Wir haben viele Studien, von PISA über TIMSS bis zu OECD-Studien, die uns diesbezüglich verschiedene Rückmeldungen geben.

Herr DDr. Haider wird, da er auch Oberösterreicher ist und oberösterreichischer Lehrer war, als Kollege vielleicht meine Anmerkungen respektieren – ich weiß, dass wir da nicht weit von einander entfernt sind –: PISA ist bedeutend, PISA ist sehenswert, PISA beschäftigt uns, PISA beschäftigt viele, einige leben von PISA, und trotzdem ist PISA ein „schiefer Turm“. Und genau diese Situation haben wir bei allen Untersuchungen. Es wäre für mich ein Leichtes, Studien zu zitieren, in denen wir sehr, sehr gut abschnei­den. Ich zitiere aber nur eine: Bei einer Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation über die Frage der Schulzufriedenheit haben wir eine sehr positive Rückmeldung für die österreichische Schule und eine sehr negative Rückmeldung – ich glaube, letzter oder vorletzter Platz – für die finnische Schule.

Ich bin weit davon entfernt, die finnische Schule deswegen irgendwo zu kritisieren und schlecht zu machen, gehe aber sehr wohl damit konform, dass es auch ein Ziel von Schule sein muss, dass die Schüler, wenn sie aus der Schule herauskommen, noch lernwillig, lernbereit, optimistisch und zukunftsorientiert sind. Daher halte ich es für wesentlich, dass wir auch diese Werte vermitteln.

Für viel wesentlicher aber halte ich den Ansatz der Feedback-Gebung, und hiebei ist die Output-Messung, die seitens des Ministeriums sehr stark auch in Richtung Stan­dards entwickelt wird, für mich eine wesentlichere und wichtigere Darstellung.

Ich darf auf eine andere Polarisierung verweisen: Auf der einen Seite verlangen wir ein höchstmögliches Maß an Autonomie für die Schulen – und auf der anderen Seite ver­langen wir richtigerweise ein größtmögliches Maß an Vergleichbarkeit, damit garan­tiert ist, dass es in Österreich für alle Bereiche und in allen Regionen eine vergleich­bare Schulsituation gibt.

Eine weitere Polsituation: Wir wollen einerseits Flexibilität – wir wollen eine Schule, die möglichst rasch reagieren kann, die regional reagieren kann, die auf Dinge einge­hen kann, die passieren –, aber wir wollen zugleich eine sehr stabile Schule, die uns wirklich eine ordentliche, vernünftige und auch gesicherte Wissensvermittlung garan­tiert.

Wir haben in der Schule, aber auch in anderen Bereichen – abgesehen von kognitiven Überlegungen – Orientierungen zu geben, die darüber hinausgehen. Wir wollen in der Schule die jungen Menschen auf der einen Seite ermutigen, Überzeugungen zu haben, Positionen zu beziehen und diese auch darzustellen. Auf der anderen Seite müssen wir unseren Schülerinnen und Schülern aber erklären, dass eine Gemeinschaft auch verlangt, dass man sich in sie entsprechend einfügt und in positiver Weise für sie wirkt, und darüber hinaus verlangt, dass man seine eigenen Positionen auch einmal zurück­stellt, wenn sie den anderen zu sehr überfordern.

Sie sehen also, dass Schule nicht nur eine testbare kognitive Wissensvermittlung bie­tet, sondern sehr viel mit Bildung zu tun hat.

Die Anforderungen an Schule werden richtigerweise sehr hoch angesetzt. Ich erwäh­ne hier zum Beispiel die Frage der Leistungsorientierung. Für mich ist es allerdings ein bisschen paradox, dass interessanterweise sehr viele von jenen, die sagen, dass die Noten abgeschafft werden sollten, genau die Untersuchungen, die auf kognitive Leistungsbeurteilung abzielen, wie zum Beispiel PISA, sehr stark in den Vordergrund rücken. Das ist für mich ein gewisses Paradoxon, und ich denke, wir müssen dazwi­schen das richtige Maß finden.

Eine weitere Frage, die sich uns im Schulbereich sehr oft stellt, ist die Frage nach der Betreuung, die Frage, wie lange Schüler in die Schule gehen sollen. Für mich ist das nicht primär eine Frage der Schule und der Schulorganisation, sondern eine gesell­schaftspolitische Frage. Man kann Überlegungen darüber anstellen, ob das gut oder nicht so gut ist. Für mich ist nur interessant, dass in der direkten Auseinandersetzung, in der direkten Diskussion, wenn man also jemanden konkret darauf anspricht, fast jeder sagt – zumindest 74 Prozent der Bevölkerung –: Betreuungsmöglichkeiten ja, aber freiwillig. Ich halte das auch für richtig.

Das Ziel dieser Enquete ist definiert: Es geht in Richtung Qualitätssicherung und Wei­terentwicklung des österreichischen Schulsystems. Erlauben Sie mir daher eine Be­merkung zum Thema Schulorganisation: Ich möchte das Motto, das ich an den An­fang gestellt habe, nicht wiederholen, meine aber, dass wir die Zukunftsanforderungen an die Schule nicht dadurch bewältigen, dass wir permanent alte Diskussionen führen und Altes wieder aufwärmen. Ich halte es beispielsweise für paradox, dass wir in dieser Form über ganztägige Schulformen diskutieren. Ich halte es ebenso für paradox, dass wir – ich darf das so konkret ansprechen – die Frage der Gesamtschule so inten­siv diskutieren. Ich kann mich an eine Diskussion im Ministerium erinnern – ich war da­mals noch relativ jung und daher forsch und vielleicht auch politisch noch unerfahren, aber vielleicht offen und direkt –, bei der ich eingebracht habe, dass es in ländlichen Gebieten, in denen 95 Prozent der Jugendlichen in eine gemeinsame Schule – nämlich die Hauptschule – gehen, Differenzierungen im Inneren gibt. Das macht Sinn und folgt auch einer Logik.

Wissen Sie, wer mir widersprochen hat? – Es war ein sehr prominenter Wiener, der mit Blick auf die Finanzen gesagt hat: Nein, das kommt nicht in Frage! – Und dies im Be­wusstsein, dass 50 Prozent der Wiener Schulen für das Pflichtschulalter vom Bund be­zahlt werden und nicht vom Land oder der Gemeinde! Es hat also alles seine Ursache und seine Wirkung.

Ich meine auch, dass die Überlegung, dass in der Schule alles steuerbar und alles or­ganisierbar ist, nicht richtig ist. Schule ist nicht hauptsächlich eine Organisationsfrage, sondern Schule ist eine Frage der Einstellung.

Ich habe mir einmal erlaubt, beim Präsidenten der Industriellenvereinigung die Schule darzustellen. Ich habe gesagt: Wissen Sie, Herr Präsident, die oberösterreichischen Schulen beispielsweise – 1 018 Schulen, 22 000 Lehrer, 217 000 Schüler – sind wie ein riesengroßer Tanker, den man nur schwer umlenken und nur schwer neu positio­nieren kann. Er hat einen sehr schönen Vergleich dagegengehalten und gesagt: Sehen Sie es nicht als Tanker, sondern sehen Sie es als Flottenverband. Jeder kennt die Richtung, wo es hingeht, aber jeder muss auch für sich entscheiden, ob er den richti­gen Weg geht.

Daher halte ich den Konvent auch im Bereich Schule für sehr, sehr wesentlich, weil wir dort sehr gute Perspektiven setzen können, die uns in Summe in der Schule helfen werden.

Schule 2010, Zukunft Schule – das wurde vom Ministerium angesprochen, und ich freue mich darüber, dass offensiv in die Zukunft diskutiert wird. Da wird es sehr viele Fragen und hoffentlich auch sehr viele Antworten geben. Eine dieser Fragen ist sicher­lich die nach der pädagogischen Nahversorgung – da spreche ich das Thema Klein­schulen an –, aber in diesem Zusammenhang sind auch die regionale Bildungspla­nung, der Zusammenhang der verschiedenen Schultypen bis hin zu den berufs­bildenden höheren Schulen und natürlich auch die Ressourcen mit angesprochen.

Natürlich lehne ich keinen Euro ab, den ich in Oberösterreich zusätzlich für die Schule bekomme; ich nehme ihn dankbar an und begrüße ihn sehr. Ich nehme aber auch zur Kenntnis, dass es im Staat viele wichtige Dinge gibt, die zu bewältigen sind, und dass die Schule im Gefüge des Gesamtstaates gegebene Verhältnisse entsprechend zur Kenntnis nehmen muss.

Ich meine, dass die Qualitätssicherung ein sehr, sehr wichtiger Punkt ist, ebenso die Frage der Leistung und wie man sie beurteilt und auch die Frage der Integration. Wir wissen, dass wir in Österreich ein sehr gutes Integrationssystem haben, das sich natür­lich auch auf bestimmte Ergebnisse und Rückmeldungen, die wir bekommen, auswirkt. Trotzdem halte ich Integration für einen sehr wesentlichen Bestandteil des Schulwe­sens, und auch die Begabtenförderung ist eine wichtige Perspektive.

Machbarkeitsüberlegungen sollten nicht im Vordergrund stehen, mit dem Hinweis etwa, dass in der Schule alles machbar und organisierbar wäre, alles ganz leicht ginge, man müsste doch nur ... – Der Beweis dafür ist eigentlich die PISA-Studie selbst. Die Schüler, die jetzt getestet wurden, sind vor sehr, sehr langer Zeit als Erstklassler in die Schule gekommen. Dort herauszulesen, dass eine bildungspolitische Maßnahme der letzten zwei, drei oder vier Jahre eine Veränderung bewirkt hätte, halte ich für nicht richtig, weil die Entscheidungen und die Maßnahmen, die für die Schüler getroffen wur­den, die damals in die ersten Klassen Volksschulen gegangen sind – und in der Volks­schule lernt man schwerpunktmäßig auch das Lesen –, lange vorher getroffen und gesetzt worden sind, damit sie damals greifen haben können.

Es gibt sehr viele Inhalte, denen wir uns annähern müssen: die Frage der Bildungsver­netzung, ich habe die Integration angesprochen, ich habe auch angesprochen, dass wir Modernes und Neues annehmen müssen. Ich verweise nur auf die Frage des E-Learning und die Möglichkeit der Vernetzung in diesem Bereich. Wir haben zum Bei­spiel mit dem eduhi den größten Bildungsserver in Europa, und das ist ein sehr wesentlicher Punkt, in dem wir uns gut weiterentwickelt haben. Wir haben Themenbe­reiche, die für uns in Zukunft wichtig sein werden: die Frage der Gesundheit, die Frage der Naturwissenschaften, die Frage der Technik, die Positionierung des Sprachen­erwerbs und der Kenntnisse in diesem Bereich. Wir haben Inhalte in der Schule – und darauf lege ich besonders Wert; mag sein, dass das so nicht richtig ist, aber für mich sind sie jedenfalls besonders wichtig –, die nicht kognitiv testbar und bewertbar sind. Und wir haben auch Inhalte, für die es in der Wirtschaft keinen Markt gibt, die nicht kaufbar sind: Das sind soziale Haltungen, Einstellungen und auch der gesamte mu­sische Bereich, in dem wir in unseren Schulen entsprechende qualitätvolle Angebote machen können, worüber ich sehr froh bin.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt von Schule – erlauben Sie mir, dass ich das als Lehrer sage – stehen die Lehrer. Es gibt ohne gute Lehrer keine Schule, und wir müssen daher unseren Blick auch in Richtung Lehrerschaft richten, ihnen Motivation und auch Stärke und Kraft geben, damit sie sich in ihrer Arbeit be­ständig weiterentwickeln können. Es wird auch in Zukunft weniger die Ausbildung sein, sondern die Weiterbildung, die wir im Bereich der Pflichtschulen, aber auch im Bereich der höheren Schulen zu beachten haben. Die Frage der Pädagogischen Hochschulen, der Pädagogischen Institute und der Fortbildung ist eine sehr wesentliche. Die Leader­ship Academy hat gute Rückmeldungen gebracht und gezeigt, wie kreativ und intensiv die Lehrer sich daran beteiligen. Wir werden uns auch um die Grundlagenarbeit zu kümmern haben, nicht nur um die Analysen, sondern auch darum, was wir aus diesen Analysen heraus für uns als Konsequenz ziehen und umsetzen.

Wir werden auch trachten müssen, junge Lehrer ins System zu bringen. Ich halte es – vielleicht ist es vermessen, aber ich darf es hier sagen – für falsch und habe es für falsch gehalten, dass wir die Lehrerschaft nicht entsprechend erneuern, dass wir es nicht schaffen, junge Lehrer ins System zu bringen. Wir brauchen, das darf ich dazusa­gen, aber auch Sicherheit für die Lehrer. Nur ein sicherer Lehrer kann auch gut unter­richten, und ich meine, dass wir den Lehrern und Lehrerinnen diese Selbständigkeit und diese Möglichkeit geben sollten.

Conclusio (das rote Lämpchen auf dem Rednerpult blinkt) – ich weiß, das Licht leuch­tet –: Erstens leben wir in einer Zeit eines relativ starken Wandels, von dem auch die Schule betroffen ist, aber nicht in dem Tempo, in dem es vielleicht gehen könnte. Wenn Sie mich fragen, was die Schule in der Zukunft wenig braucht – auch das ist vielleicht da herinnen ein bisschen vermessen –: Wir brauchen nicht unbedingt neue Gesetze, wir brauchen nicht unbedingt neue Verordnungen. Es gibt ein Regelwerk, das sehr, sehr gut ist, und ich bin überzeugt, dass die tägliche Veränderung, auch wenn sie beschlossen werden sollte, so nicht umgesetzt werden kann.

Wir brauchen Vertrauen für die Schule, wir brauchen ein Gewährenlassen, und zwar nicht in Form von: Macht was ihr wollt!, sondern eine gewisse Sicherheit, die wir denen, die in der Schule arbeiten, auch geben sollten. Wir brauchen eine verlässliche Schule, wir brauchen eine Schule, die verlässlich aus sich heraus ist, aber wir brau­chen auch eine Verlässlichkeit für die Schule. Wir brauchen diese Verlässlichkeit, um langfristige Perspektiven entwickeln zu können.

Wir können über das österreichische Schulsystem lange diskutieren, wir können viel dazu sagen, nur müssen wir eines schon auch festhalten: Wenn das Weltwirtschaftsfo­rum 4 800 Manager über die besten Schulsysteme von 80 Ländern befragt und das Er­gebnis dieser Befragung lautet, dass das zweitbeste Schulsystem das österreichische ist, werden die Betreffenden wahrscheinlich auch nicht ganz geirrt haben.

Wir brauchen daher auch eine gewisse Gelassenheit, um entsprechende Perspektiven entwickeln zu können. Ich darf es so formulieren: Wir brauchen Ruhe für die Schule, um dort entsprechend arbeiten zu können. Das heißt nicht, dass wir Friedhofsruhe und keine Veränderungen mehr wollen, sondern das heißt, dass man der Schule auch ent­sprechende Möglichkeiten geben soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das 16. Denkgesetz von Schellbach besagt, dass nicht in der Verneinung, sondern in der Bejahung die größte Kraft geistiger Machtentfaltung liegt. – Ich glaube, dass diese heutige Diskussion eine Diskussion der Bejahung sein wird, und ich bedanke mich nochmals, dass Sie dieses positive und wichtige Thema für Ihre Enquete aufgegriffen haben. (Beifall.)

9.51

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke, Herr Präsident.

Ich bitte nun die Präsidentin des Wiener Stadtschulrates, Frau Mag. Dr. Brandsteidl, das Wort zu nehmen.

 


9.51

Referentin Mag. Dr. Susanne Brandsteidl| (Amtsführende Präsidentin des Stadt­schulrates für Wien): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Einladung!

Ich möchte meine heutigen Ausführungen dreiteilen. Zunächst möchte ich auf die Er­kenntnisse aus PISA – wir haben ja schon einiges davon gehört – und die Reflexionen der Zukunftskommission eingehen. Im zweiten Teil werde ich mich damit befassen, was nach PISA 2000 geschah, und im dritten Teil werde ich mich mit den Visionen für die Zukunft eines möglicherweise europäisch orientierten, neuen Schulsystems be­schäftigen.

Wir haben von PISA schon viel gehört. Ich greife aus der Vielzahl der Untersuchungs­ergebnisse nur jene heraus, die ich jetzt für besonders wichtig und wertvoll halte.

Ich möchte gleich zu Beginn festhalten, was Professor Haider oft zitiert, heute aber ver­schwiegen oder möglicherweise aus Zeitgründen nicht thematisiert hat: Wir sind nicht einmal so gut, wie wir damals geglaubt haben. Platz 10 ist ein Rangplatz, der deshalb zustande gekommen ist – und ich zitiere jetzt Professor Haider –, weil ein beträcht­licher Teil der Jugendlichen zum damaligen Testzeitpunkt – es handelte sich um den Jahrgang 1984 – gar nicht mehr einer Testung unterzogen werden konnte, weil er nicht mehr in der Schule war.

Konkret: 7,65 Prozent der Jugendlichen wurden von diesem Test im Rahmen von PISA 2000 nicht erfasst. Das heißt, seriös gesagt, dass wir uns, wie Professor Haider sagt, zwischen Rangplatz 10 und 16 befinden. Das ist Durchschnitt, aber mehr ist seriös nicht zu behaupten.

Ich komme nun zu den Erkenntnissen aus PISA.

Wir haben es heute schon gehört: Unser Problem ist, dass ein beträchtlicher Teil unse­rer Schülerinnen und Schüler – konkret gesagt: 18 Prozent – sehr schwache Leser sind. Professor Klicpera hat in einer Studie aus dem Jahr 1993, also schon vor einiger Zeit, festgestellt, dass diese schlechten Leser mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch keine viel besseren Leser und damit keine besseren Rezipienten von Information mehr werden. 6 von 100 schlechten Lesern können sich im Alter zwischen 10 und 15 Jahren noch zu so genannten Durchschnittslesern verbessern, für 94 Prozent ist es zu diesem Zeitpunkt zu spät.

Anders formuliert: Eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme ist nur durch sehr frühzeitige Förderung möglich. Dazu bedarf es aber auch finanzieller Mittel, denn was macht man mit jenen Schülerinnen und Schülern, die diese basalen Fertigkeiten nicht erlangt haben, um Spätfolgen zu vermeiden?

Zweiter Bereich: Schülerleistungen sind in Österreich ein Abbild der sozio-ökonomi­schen Herkunft, also des Status der Eltern. – Ich zitiere aus dem Bericht der Zukunfts­kommission, Seite 14, der besagt:

„Österreich gehört mit den anderen deutschsprachigen Ländern zu jenen Staaten, in denen der Einfluss des sozio-ökonomischen Status auf Leistungen besonders ausge­prägt ist.“

Das heißt insbesondere, dass sich der Status des „Immigrant-Seins“ in Österreich sehr nachteilig auf die Schullaufbahn und die erworbenen Berechtigungen auswirkt.

Leider geben die österreichischen PISA-Daten nicht genügend Aufschluss über die ganz konkreten Umstände. Eine detaillierte Beantwortung betreffend die Auswirkungen für den Einzelnen auch nach Gruppen der Länderherkunft liegt uns nicht vor. Im Unter­schied zu unseren deutschen Kollegen können wir darüber keine Aussage treffen, weil es keine Detailuntersuchungen in diesem Bereich gibt. – Anders verhält es sich in Deutschland: Dort wurde festgestellt, dass insbesondere jene Schülerinnen und Schü­ler in der Schule benachteiligt sind, deren Vater oder Mutter beispielsweise türkischer Herkunft ist, im Gegensatz zu jenen, die aus Polen oder aus Albanien kommen.

Ein zweites kurzes Beispiel – und auch da muss ich mich wieder auf die deutschen Daten berufen, weil wir keine österreichischen haben –: Ein später Einwanderungszeit­punkt wirkt sich einmal mehr negativ auf schulische Leistungen und auch auf Ab­schlüsse aus.

Warum verfügen wir in Österreich nicht über solche Daten? – Schlichtweg deshalb, weil die entsprechenden Aufträge seitens des Bildungsministeriums zu erweiterten PISA-Untersuchungen, um solche Daten zu generieren, nicht erteilt wurden; doch dazu noch später.

Der dritte Punkt, den ich ansprechen möchte, betrifft die Leistungsbandbreite im ös­terreichischen Schulsystem: Bei den Leistungsunterschieden liegen wir europaweit an der Spitze. Das heißt, vereinfacht formuliert: Es ist ganz entscheidend, in welche Schu­le ein Kind geht, wenn es eine bestimmte Bildungsaspiration hat. Es gibt also eine sehr hohe Korrelation zwischen einzelnen Schulformen und der weiteren Bildungskarriere.

Auch innerhalb ein und derselben Schulform ist der Unterschied sehr, sehr groß. Sie kennen das oftmals zitierte Beispiel möglicherweise schon: Die Grunduntersuchung PISA 2000 besagt, dass hier der Unterschied zwischen der schlechtesten und der besten getesteten AHS größer als zwischen Österreich und Mexiko ist. Im Extremfall finden wir in den PISA-Daten AHS-Klassen, deren Durchschnittsleistungen unter dem zweiten Leistungsniveau einer Hauptschule liegen.

Dass auch das Notensystem keinen Aufschluss darüber gibt, wie es tatsächlich mit den Leistungen der Schülerinnen und Schüler aussieht, wissen wir spätestens seit der sehr bekannten Untersuchung von Ferdinand Eder, der aufgezeigt hat, dass ein durch­schnittlicher Schüler mit ein und derselben Leistungsfähigkeit sowohl in der AHS als auch in der ersten, zweiten und dritten Leistungsgruppe einer Hauptschule seinen Platz finden kann: Aber nicht nur dieser Umstand ist entscheidend, sondern auch, dass er überall jeweils die Durchschnittsnote „Befriedigend“ bekäme.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Folgen das für die weiteren Bildungschancen und Zugangsberechtigungen jener hat, die das „Befriedigend“ in der AHS beziehungs­weise in der ersten Leistungsgruppe haben. Diese haben eine ganz andere Bildungs­aspiration und eine ganz andere Berechtigung als jene mit dem „Befriedigend“ in der zweiten und dritten Leistungsgruppe, wohl verstanden immer mit ein und derselben kognitiven Fähigkeit und ein und derselben Leistung.

Ich komme jetzt zum vierten Punkt. – Ich habe es vorhin schon kurz angesprochen, und Professor Haider hat es in zahlreichen Veranstaltungen immer wieder gesagt, so auch heute. Er nennt das dezent: von der Ideologie zur Empirie. Ich darf das ein bisschen härter formulieren: Uns fehlt es einfach an Forschung im Bildungsbereich. Wir nehmen schon seit Jahren den Schlussrang in der Bildungsforschung ein; dieser Rang ist uns seit Jahren sicher.

Auch die Zukunftskommission attestiert: „Während Länder mit sehr effizienten Schul­systemen Strukturen für eine effiziente Schulforschung aufgebaut haben, findet eine solche in Österreich lediglich anlassbezogen, sporadisch und in einer wenig vernetzten Form statt.“

Das heißt, kurz formuliert: Wir wissen schlichtweg zu wenig über unser Bildungssys­tem. Wir ergehen uns in allgemeinen, tradierten Vermutungen, haben aber so gut wie keine empirischen Daten.

Wir haben jetzt im Rahmen des Bildungsdokumentationsgesetzes die Möglichkeit, Da­ten über die individuellen Laufbahnen der Schüler in den nächsten 12 Jahren zu er­halten. Dies ist, bei aller Akzeptanz dieses Systems, aber doch ein sehr unflexibles Instrument, um Bildungsdaten zu gewinnen, denn die Abfragemechanismen und die Kategorien sind sehr schwer korrigierbar, und wenn, nur mit einer sehr langen Vor­laufzeit. Viel einfacher wäre es, konstruktiv Bildungsforschung zu betreiben bezie­hungsweise sich an internationalen Forschungsprojekten zu beteiligen, wie das unsere Nachbarländer tun.

In Deutschland können also Fragen wie etwa jene, ob Schule die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht kompensiert oder ungleiche Voraussetzungen möglicher­weise weiter tradiert, beantwortet werden. Es ist bekannt, wie Alternativschulen im Ver­gleich zum so genannten traditionellen Schulsystem abschneiden. So wurden etwa die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden oder die sehr bekannte Laborschule in Bielefeld extra untersucht. Weiters ist dort bekannt, wie die Schülerleistungen in den einzelnen Schulformen – Gymnasien, Realgymnasien, Gesamtschule, Hauptschule – tatsächlich ausschauen, und all das auf Grund der nationalen PISA-Daten.

Meine Damen und Herren! Wir in Österreich hätten diesbezüglich durchaus auch Er­kenntnisbedarf. Beispielsweise wäre es interessant zu wissen, welchen Einfluss eine veränderte Form der Schulorganisation – es gibt ja Beispiele dafür – auf die PISA-Ergebnisse hatte. Interessant wäre auch die Klärung der Frage, ob beispielsweise bestimmte Schulversuchs- oder Alternativmodelle erfolgreicher sind. Weitere Fragen wären, welche Auswirkungen der Besuch von ganztägigen Schulformen auf die PISA-Ergebnisse hat oder in welchem Ausmaß Kinder der ländlichen Regionen in Bezug auf die erworbenen Berechtigungen benachteiligt werden. – All das sind spannende Fra­gen, allein: Wir haben keine Antwort darauf.

Ich komme jetzt zum zweiten Bereich meiner Ausführungen: Was geschah nach PISA 2000?

PISA hat Ergebnisse geliefert, und die Zukunftskommission hat einige Ansätze zur Weiterarbeit geliefert; ich darf jetzt einige nennen. – Sie wissen, dass die Zukunftskom­mission eine Unterteilung in sieben Handlungsbereiche vorgenommen hat. Sie for­dert zum Beispiel ein Schulprogramm für jede Schule, eine Schulbilanz als pädagogi­schen Jahresbericht, die Festlegung von Bildungsindikatoren als Basis für System-Mo­nitoring, die Einführung eines neuen Modells der sprachlichen Frühforderung, die Ent­scheidung über nachmittägliche, ganztägige Betreuungsformen, eine Einschränkung der Klassenwiederholungen, die Durchlässigkeit des Schulsystems in der Sekundar­stufe I und II und so weiter und so weiter, bis hin zu mehr Ressourcen für Forschung und Entwicklung – wie ich gerade zitiert habe –, und Beratung und Unterstützung sowie mehr Bedarfsorientierung und Wettbewerb im Bereich Fortbildung und Entwick­lung. – Ich habe hier nur einige aus den über 30 Punkten zitiert.

PISA hat also Ergebnisse geliefert, und es gibt die aus meiner Sicht sehr, sehr ver­dienstvolle Arbeit der Zukunftskommission.

Was ist nun politisch umgesetzt worden? – Ich möchte dieses Feld zunächst ein bisschen gliedern, und zwar einmal in pädagogische Maßnahmen und weiters in Bil­dungsausgaben und budgetäre Maßnahmen der letzten vier Jahre.

Ich möchte festhalten, dass aus meiner Sicht bei den pädagogischen Maßnahmen unter dem Deckmantel der Qualitätssteigerung die Verantwortung – wir haben es auch dem vorigen Referat entnehmen können – auf den einzelnen Lehrer, auf die einzelne Unterrichtsarbeit, im besten Fall noch auf die einzelne Schule heruntergebrochen und quasi verlagert wurde. Wir haben eine Inflation des Zauberwortes „Qualität“ erlebt, das reflexartig alle Organisations- und Strukturdebatten um die österreichische Schulland­schaft zudecken soll.

Es gab – aus meiner Sicht zwei konkrete – Initiativen, die Leistungsstandards zu defi­nieren. – Jetzt werden diese als „Bildungsstandards“ bezeichnet, ich meine aber, dass jeder, der pädagogisch ein bisschen informiert ist, den Unterschied kennt und weiß, dass es de facto Leistungsstandards sind, auch wenn wir jetzt auf Grund der political correctness „Bildungsstandards“ dazu sagen. – Diese Definition ist aus meiner Sicht ganz, ganz wichtig und gut. Ich halte es für sehr wichtig, dass wir wegkommen von der Input-Orientierung im Sinne von: Buttern wir nur viele Ressourcen ins System hinein, ohne zu schauen, was herauskommt. Ich meine, dass wir diese in Österreich durchaus gepflegte Tradition aufbrechen, eine Standardisierung einführen und in Richtung Out­put-Orientierung gehen sollten.

Diese so genannten Bildungsstandards – ich meine, es sind Leistungsstandards – werden allerdings am Ende von Schullaufbahnen eingeführt, an der Nahtstelle zwi­schen der vierten Volksschulklasse und der weiterführenden Schule beziehungsweise in der vierten Klasse Hauptschule oder AHS. – Aus meiner Sicht braucht das der Leh­rer am Ende der Schullaufbahn am wenigsten, denn da weiß er aus seiner pädago­gischen Arbeit ohnehin, wie die Schülerinnen und Schüler stehen, und wir wissen, dass die Prognosen und Expertisen unserer Lehrerinnen und Lehrer durchaus qualitätvoll sind. Wenn Leistungsstandards ermittelt werden, dann – und das ist mir sehr wichtig – muss das jährlich geschehen, und zwar während der jeweiligen Schullaufbahnen und nicht an deren Ende.

Dies soll eine Hilfestellung sein, um Defizite aufzudecken und um einen Anreiz für Leis­tung zu geben, und selbstverständlich muss das auch auf pädagogisch und lernpsy­chologisch erstellte Zielkataloge abgestimmt sein, und das selbstverständlich in einer Form, die es ermöglicht, dass diese Zielkataloge von Schülerinnen und Schülern und Eltern tatsächlich überprüft werden können und auch transparent sind.

Ein zweiter Bereich, der als pädagogische Maßnahme heute auch schon thematisiert wurde, ist die so genannte Führungskräfte- oder Leadership Academy. Es ist dies eine an sich hervorragende Idee, der ich mich, vor allem in Anbetracht meiner großen Wertschätzung der Professoren Schratz und Schley, durchaus anschließen kann. Ich habe mir das allerdings ausgerechnet und festgestellt, dass es allein bei den Wiener Schuldirektorinnen und -direktoren, wenn man das jetzige quantitative Angebot hoch­rechnet, 20 Jahre dauern würde, bis alle Direktorinnen und Direktoren dieses Angebot durchlaufen haben. Das wird also möglicherweise auch nicht der Weg sein, um mittel­fristig in diesem Bereich gute Ergebnisse zu erzielen.

Ich komme jetzt ganz kurz zum Bereich der Bildungsausgaben, denn ich glaube, dass ich Eulen nach Athen trage, wenn ich Sie damit länger belästige. Ich möchte nur sagen, dass sowohl für die Bundes- als auch für die Pflichtschulen jetzt doch deutlich weniger Ressourcen für das Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden. Allein im Rahmen der Stundenkürzungen des Jahres 2003 kam es zu einer budgetären Entlas­tung für den Bund in der Höhe von 117 Millionen €, eine Summe, die seit damals auch für jedes zukünftige Schuljahr gilt. In diesem Lichte empfinde ich die 12 Millionen € pro Jahr, die jetzt im Rahmen des noch nicht unterschriebenen Finanzausgleiches dem Bil­dungssystem zur Verfügung stehen, wie den sprichwörtlichen Tropfen auf dem heißen Stein.

Dass es im Bereich der Pflichtschulen in Österreich weiters zu Kürzungen der Dienst­posten um 8 Prozent gekommen ist, darf ich in diesem Kreise als bekannt vorausset­zen.

Ich komme jetzt zum Schluss und damit zu den Schulen der Zukunft. – Ich kann mich in diesem Punkt meinem Vorredner nicht anschließen. Ich glaube nicht, dass Schule per se und vor allem das Schulsystem Ruhe brauchen. Ich schließe mich dir, sehr geehrter Herr Präsident, aber gerne an, wenn wir sagen: Wir müssen unseren Leh­rerinnen und Lehrern ein hohes Maß an Verantwortung, Wertschätzung und Stabilität, welche auch in der Schaffung von persönlicher Sicherheit besteht, zugestehen. Ich glaube aber nicht, dass wir die ungelösten Fragen des Systems dahingehend beant­worten können, dass wir sagen: Wir greifen die systemischen Fragen und die Struktur­fragen überhaupt nicht an, sondern beschränken uns unter dem Deckmantel der „Qualitätssicherung“ auf Oberflächenerscheinungen. I

Ich glaube, wir brauchen dringend eine Diskussion, wie sie auch in dem von mir sehr gern zitierten Buch „Die Schule des Miteinander“ der Professoren Bucher und Schnider erwähnt ist. Wir brauchen sehr dringend eine ganztägig orientierte, ganztägig geführte Schulform, bei welcher – selbstverständlich mit einer inneren Differenzierung – die Schullaufbahnentscheidung erst mit 14 getroffen wird. Wir brauchen Förderunterricht, der Lerndefizite kompensiert. Wir brauchen – ich sage das jetzt möglicherweise sehr stark aus Wiener Sicht, aber selbstverständlich auch mit einem Blick auf Gesamtöster­reich – den bilingualen Unterricht. Wir brauchen universitär ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer für Kinder aller Altersstufen. Ich erwähne da selbstverständlich auch die Vorschulpädagogik und die Kindergärtnerinnenausbildung, die meines Erachtens sehr wohl eine universitäre Ausbildung sein sollte. Und wir brauchen ein Modulsystem, das es uns ermöglicht, wie uns auch die Zukunftskommission attestiert hat, daran zu arbei­ten, dass Defizite zwar nicht ungeschehen gemacht, sondern – ganz im Gegenteil – aufgeholt werden, und zwar individuell, um Schullaufbahnverluste zu minimieren.

In diesem Sinne darf ich mit einem Zitat aus den „Salzburger Nachrichten“ nicht über die PISA-Studie, sondern aus dem Kommentar über diejenigen enden, die schon glau­ben, es zu wissen. Der Artikel endet:

„Der PISA-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher, bezeichnet am Montag die Auf­teilung der deutschen Schüler nach dem vierten Lebensjahr“ – ich korrigiere: es muss wohl Schuljahr heißen, denn Lebensjahr kann wohl nicht gemeint sein! – „auf Gymna­sium, Realschule und Hauptschule als ‚gescheitert’. Bald wird auch in Österreich nicht nur über die zu frühe Weichenstellung bei den Zehnjährigen diskutiert werden.“ – Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

 


10.12

Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke, Frau Präsidentin.

Ich bitte nun die Präsidentin des Kärntner Landesschulrates Frau Dr. Egger, das Wort zu ergreifen.

 


10.12

Referentin Dr. Claudia Egger| (Amtsführende Präsidentin des Landesschulrates für Kärnten): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin die erste amtsführende Präsidentin eines Landesschulrates, die nicht aus dem Schulbe­reich kommt. Ich bin keine Pädagogin, sondern ich bin Juristin, und ich bin seit einigen Monaten im Landesschulrat Kärnten tätig.

Manche werden jetzt vielleicht denken: Was wird die uns jetzt von Schule und Bildung erzählen? – Sie mögen vielleicht Recht haben. Ich habe mein Amt damals unbelastet, unbeeinflusst und mit einem Blick von außen angetreten, und ich denke, ich habe den gleichen Zugang zu Schule und Bildung wie viele von Ihnen hier und wie der überwie­gende Teil der Menschen, mit denen wir uns beschäftigen, nämlich der Schüler und der Eltern. Mir ist nach all dem, was ich in den letzten Monaten erlebt habe, vor allem klar: Im Mittelpunkt aller Überlegungen muss immer der Mensch stehen.

Anliegen des Bundesrates ist es heute, sich über Reformvorschläge, Initiativen und Impulse zum Thema „Schule und Bildung“ sowohl auf Bundesebene als auch auf Lan­desebene zu informieren. Ich bedanke mich recht herzlich dafür, dass auch ich einge­laden wurde und dass ich meine beziehungsweise unsere Arbeit – denn wir verstehen Bildung und Arbeit an der Schule als Teamarbeit – hier öffentlich präsentieren kann.

Wir haben jetzt schon sehr viel von den PISA-Studien und von verschiedenen Analy­sen gehört, und ich denke, ich brauche die Ergebnisse nicht mehr zu wiederholen. Häufig wird hier in Bildungsdiskussionen von Organisation, von Strukturen, von Analy­sen, von Standards und von Parametern gesprochen. Man hört Schlagworte wie „Wert­einheiten“, „Schulbudget“ und „Lehrerbeschäftigung“. Nichtsdestotrotz ist es mein Ziel, eine Bildungslandschaft zu schaffen, in der, im Gegensatz dazu, die Menschen im Mittelpunkt stehen.

Ich sage Ihnen: Gute Schule bedingt gegenseitige Wertschätzung und Zusammen­arbeit, denn Schule und Bildung werden von Personen getragen, und zwar von Per­sonen, die im Idealfall Vorbilder sind, die engagiert sind und die Wertschätzung und Vertrauen weitergeben können. Gerade Lehrerinnen und Lehrer können durch die Weitergabe von Wissen und durch gelebte Offenheit Voraussetzungen schaffen, damit unsere Kinder selbstbewusst werden und fähig werden, mit den neuen Herausforde­rungen, den Konflikten und dem Stress umzugehen.

Meine Damen und Herren! Es mangelt nicht an Anforderungen, die an unsere Pädago­gen gestellt werden. Ausgehend vom Schulunterrichtsgesetz – ich zitiere – „hat der Lehrer unter Berücksichtigung der Entwicklung der Schüler und der äußeren Gegeben­heiten den Lehrstoff des Unterrichtsgegenstandes dem Stand der Wissenschaft ent­sprechend zu vermitteln.“

Weitere Anforderungen stellen die Eltern, die oft – das wurde hier auch schon gesagt – nicht nur die Wissensbildung von der Schule erwarten, sondern der Schule auch die Erziehungsarbeit überantworten. Ferner stellen die Universitäten und die Fachhoch­schulen ihre spezifischen Anforderungen, und zuletzt auch die Wirtschaft. Dazu kommen die Anforderungen von Seiten der eigenen Kollegen und Kolleginnen und der jeweiligen Direktoren und Direktorinnen. – Sie sehen: Es ist eine Fülle von Anforderun­gen.

Bei dieser Konstellation kann ich mir vorstellen, dass, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer in der Früh zur Arbeit fährt und in „Ö3“ „Professor Kaiser“ hört, das nicht gerade ein Motivationsfaktor ist. Ich bin überzeugt davon, dass diese Diskussion, auch wenn sie in witziger Art geführt wird, dem Image der Lehrer schadet. Was Lehrer brauchen, ist neben der guten Aus- und Weiterbildung Motivation, und vor allem brauchen sie auch den Respekt der Gesellschaft.

In Studien kristallisiert sich immer wieder heraus: Lehrpersonen werden angenommen, wenn sie Persönlichkeit besitzen und über ein hohes Selbstwertgefühl verfügen, denn nur der selbstsichere Lehrer verfügt über das Repertoire, mit verhaltensoriginellen Schülern – so heißen sie jetzt; früher wurden sie „verhaltensauffällig“ genannt – kom­petent umzugehen. Dazu bedarf es der Unterstützung von Seiten der Politik – und da sind alle gefragt –, der Fortbildungseinrichtungen, der pädagogischen Institute, der Unterstützung auch der Öffentlichkeit, vor allem der Opinion Leaders, der Medien und Journalisten. Vor allem bedarf es aber auch der Unterstützung durch den Dienstgeber, und zwar insofern, als die Leistungen der Lehrer auch öffentlich anerkannt werden.

Meine Damen und Herren! Bildung ist für mich nicht nur Wissen, sondern das Inter­esse am Wissen. Die große Herausforderung für Lehrer besteht meines Erachtens darin, das Interesse und die Freude am Lernen bei unseren Kindern zu fördern. Ganz wichtig ist dieses Wecken von Interesse in der Pflichtschule. Die Volksschule ist nämlich der Grundstein für die spätere Bildungskarriere, denn was in der Volksschule versäumt wird, ist nur schwer wieder aufzuholen. Das gilt auch für die Fähigkeiten Lesen, Rechnen und Schreiben.

Die Schule verfügt über keine zeitgenössischen Organisationsstrukturen. Es gibt eine extrem flache Hierarchie. Ein Direktor leitet durchschnittliche Gymnasien oder Berufs­bildende Höhere Schulen mit rund 100 akademischen Lehrern. Wenn es gelingt durch die Installation von Fachkoordinatoren ein mittleres Management einzuführen, dann könnte die Kommunikation in den Schulen verbessert und könnten Anreiz und Moti­vation dadurch geschaffen werden, dass überdurchschnittliche Leistungen honoriert werden.

Ich frage mich: Warum sollen wir nicht eine bundesweite Image-Kampagne für Bildung, Unterricht und Lehrer starten, wie es sie zum Beispiel mit Erfolg bereits in Deutschland, in Westfalen, gegeben hat?

Was Weiterbildung und Seminare betrifft, bin ich überzeugt, dass wir den Lehrern ein verpflichtendes Maß vorgeben sollten. Hiebei kann es sich um persönlichkeitsbildende Ausbildungen ebenso wie um Spezialqualifikationen handeln.

Meine Damen und Herren! Es wurde auch in der Zukunftskommission schon gesagt: Eltern und Schüler fordern immer häufiger die Möglichkeit, den Lehrern Feedback ge­ben zu können. Ich bin überzeugt, dass aussagekräftige Fragebögen auch von Lehrer­seite angenommen werden, denn diese Ergebnisse können für das Lehrpersonal Hil­festellungen zur Erkenntnis bieten, wie der Unterricht und die eigene Person von Klassen, von Schülern aufgenommen wird.

Bevor aber solche Evaluationen flächendeckend eingeführt werden, müssen wir doch genauere Überlegungen anstellen. Ich weiß, wovon ich spreche, denn wir haben das in Kärnten bereits gemacht. Wir müssen ermitteln: Wie sehen wirklich aussagekräftige Fragebögen aus? Wer soll evaluiert werden: nur der Leiter, Direktorinnen, Direktoren, Inspektoren, auch die Präsidenten? Wie wird mit diesen Ergebnissen umgegangen? Welche weiteren Motivationsmöglichkeiten gibt es für engagierte Lehrer? Welche Kon­sequenzen und Hilfestellungen gibt es für Pädagogen, die schlechte Feedback-Ergeb­nisse haben?

Ich habe es bereits gesagt: In Kärnten wurde ein erster Schritt in Richtung einer sol­chen Evaluation mittels Fragebögen gemacht. Wir sind gerade dabei, mit Schüler- und Lehrervertretern ein Resümee zu ziehen und über die weitere Vorgangsweise zu dis­kutieren. Natürlich ist das aber nur ein erster Schritt gewesen und ist das Ganze verbesserungswürdig.

Eine weitere wichtige Gruppe im „Bildungsland der Zukunft“ – wie ich es nenne – sind sicherlich die Eltern. In Schulgemeinschaftsausschüssen und in Schulforen werden El­tern schulentscheidende Beschlüsse zugebilligt. Fakt ist aber auch, dass gerade diese Beziehungsebene mit sehr vielen Ängsten und Vorurteilen belastet ist. Diese gilt es durch transparente Informationsweitergabe und durch systematische und permanente Kooperation und Kommunikation abzuarbeiten.

Die Schulpartnerschaft kann nur funktionieren, wenn sie gelebt und gepflegt wird!

Ein Bereich, der diesbezüglich auszubauen ist, ist die Öffentlichkeitsarbeit. Die Erzie­hungspartnerschaft zwischen Schule und Familie muss gestärkt werden. Das ist ganz wichtig, denn Lernergebnisse, und vor allem die pädagogischen Wirkungen der Schule, sind wesentlich von den Eltern abhängig. Ziel muss es sein, den Eltern ihre erziehe­rische Verantwortung bewusst zu machen und aktive Unterstützung einzufordern. Dies­bezügliche Schulprojekte – und solche gibt es zahlreich in Kärnten – werden von mir auch tatkräftig unterstützt.

Die Menschen stehen, wie ich gesagt habe, im Mittelpunkt aller pädagogischen und bildungspolitischen Überlegungen!

Ein weiterer wichtiger Teil dieser Schulgemeinschaft ist die Leitung von Schulen. Obwohl gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen sind, welche Aufgaben der Direktor beziehungsweise die Direktorin zu übernehmen hat, orte ich hier zahlreiche qualitative Unterschiede, wenn es darum geht, mit tagtäglichen Herausforderungen pädagogi­scher oder anderer Art umzugehen. Es braucht sicher sehr viel Einsatz, um Schulen zu führen, und ich sage, nur Führungspersönlichkeiten wird das gelingen.

In diesem Zusammenhang begrüße ich die vom Bildungsministerium eingerichtete Leadership Academy. Im Mittelpunkt steht dabei die Stärkung der personalen Kompe­tenz. Es geht um Haltung, Bewusstheit, Stil von Führung. – Ich habe durchwegs posi­tive Rückmeldungen von den Teilnehmern, die aus Kärnten dabei waren.

In dem Bildungsland, wie ich es plane, ist daher auch die Möglichkeit gegeben, die Leitungsfunktion überhaupt zu teilen. Denn derzeit ist ein Leiter für alles verantwortlich: für Strom, für Heizung, über die allgemeine wirtschaftliche Führung der Schule bis hin zu allen pädagogischen Angelegenheiten und zur Motivation der Lehrerschaft. Und es mangelt nicht an neuen Herausforderungen, wie wir heute gehört haben, und deren Umsetzung, wie: Neue Lernformen, Netzwerkarbeit, Feedback-Kultur, Einführung und Umsetzung von Bildungsstandards. Deshalb sollten Qualitätsmanagement, Schulent­wicklung und alle weiteren erzieherischen Bereiche von einem pädagogischen Leiter organisiert und begleitet werden, und für alle verwaltungstechnischen Maßnahmen, wie Stundenplanerstellung, Werteinheitenabrechnung und so weiter, sollte dann eine eigene administrative Leitung daneben installiert werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Den eindeutigen Hauptanteil von Menschen, die in meiner Bildungslandschaft im Mittelpunkt stehen, machen die Schülerinnen und Schüler aus. Als Schulpolitikerin darf ich mich natürlich fragen: Welchen Nutzen hat Schule? – Der Nutzen von Schule liegt darin, Menschen auszubilden, die später in der Lage sein müssen, ökonomischen Nutzen zu schaffen und sich in der zunehmenden Komplexität und Schnelllebigkeit der modernen Gesellschaft bestmöglich zu entfalten. Und dazu müssen sie ganzheitlich ausgebildet sein.

Niemand von uns kann heute sagen, was und in welchem Ausmaß in zehn Jahren an Berufen gebraucht wird, aber der Boden dafür muss schon heute bestellt werden. Da­mit die derzeitigen Schülerinnen und Schüler adäquat für später ausgebildet werden, muss der Fächerkanon erweitert werden um Gegenstände wie: Kreativität entwickeln und schöpfen, Durchsetzungsvermögen beweisen, Durchhaltevermögen zeigen, opti­male Kommunikation beherrschen, über Teamfähigkeit verfügen, Konkurrenzdenken praktizieren, konfliktfähig sein.

Diese Liste erhebt jetzt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, aber sie soll deutlich machen, dass wir mit dem derzeitigen Schulunterrichts- und Schulorganisationsgesetz nicht das Auslangen finden werden, wollen wir unseren Kindern wirklich eine Basis schaffen, von welcher aus sie beruhigt in die Zukunft blicken können.

Was wird denn immer wieder festgestellt? – Geringe Nachhaltigkeit des Wissens und abnehmende Motivation bei den Schülern. Es wird also mittlerweile immer offensicht­licher, dass es neben der traditionellen Wissensvermittlung an der Zeit ist, vermehrt Kompetenzen und Fähigkeiten dahingehend zu vermitteln, dass die Schüler Zusam­menhänge erkennen können, dass sie Daten und Fakten interpretieren und argumen­tieren können. Ich denke, die richtigen Methoden dafür sind Projektunterricht, fächer­übergreifender Unterricht und vor allem auch die individuelle Förderung von Kindern.

Die Einführung von Bildungsstandards ist extrem wichtig. Das haben Vergleiche von Entwicklungen auf regionaler, nationaler, europäischer Ebene gezeigt.

Der Unterricht darf aber nicht überfrachtet werden. Er muss Gelegenheit zu Wieder­holungen bieten und mehr Tiefgang und Nachhaltigkeit anstreben.

Damit die Schule ihr Anforderungsprofil auch in den nächsten zehn Jahren erfüllen kann, muss das Netzwerk erweitert werden. Vielleicht stimmen Sie mir zu, wenn Sie bedenken, wie viele Stunden die Schüler in den Schulgebäuden verbringen: Es ist auch ein Augenmerk auf die Architektur zu legen. In Kärnten soll die Schulraumge­staltung verstärkt in diese Überlegungen mit einbezogen werden. Wir planen, in allen Schulen Kommunikationsecken einzurichten und Kommunikationsforen zu schaffen, damit der Kommunikation auch der richtige Stellenwert eingeräumt ist. Denn wie heißt es immer so schön? – Schule ist nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch Sozial­raum.

Damit dieses Bildungsland aber ökonomisch gehegt und gepflegt werden kann, braucht es auch eine Vereinfachung der Schulverwaltung. Die derzeit teuren Dop­pel- und Dreifachstrukturen sollten beseitigt werden. Eine erstinstanzliche Schulbe­hörde ist begrüßenswert; dieser Vorschlag wird auch von uns unterstützt. Ob das jetzt Landesbildungsdirektion heißt oder nicht, das soll uns egal sein.

Bunt muss das Bildungsland der Zukunft auch sein. Ich bin für die gleichwertige Betrachtung der Talente. Deshalb kann Bildung nicht erst nach der Matura beginnen. Damit dies erreicht werden kann, muss die Angebotspalette umfangreich sein. Meines Erachtens ist es ganz wichtig, darauf Bedacht zu nehmen, dass Bildung bereits im Kin­dergarten beginnt. Die frühkindliche Förderung ist sehr wichtig, denn hier kann man bereits Entwicklungsdefizite feststellen und sprechend reagieren.

Ein Ziel muss es auch sein – das wurde heute zu wenig angesprochen –, den Ausbil­dungsgang der Lehre zu stärken und gleichzeitig den sozialen Status der Facharbeiter anzuheben. Wir alle wissen nämlich, dass es in den nächsten Jahren eine steigende Nachfrage nach gut ausgebildeten Fachkräften geben wird.

Wir sind in Kärnten jetzt auf einem Weg der Bildungsoffensive als Zukunftsgarantie. Wir analysieren nicht nur, sondern wir setzen auch Taten. Im Rahmen des „Zukunfts­dialoges Wirtschaftsland Kärnten“ erarbeiten wir für unser Land einen Bildungsplan mit regelmäßigen Adaptierungen. Damit einhergehend aber wird Qualitätsmanagement in Schulen eingeführt und umgesetzt, denn, meine Damen und Herren: Qualität kann man nicht nur von oben herab verordnen, sondern Qualität muss von unten wachsen und getragen werden.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Themen Qualitätssicherung, Qualitätsstei­gerung und Qualitätsevaluation an den Schulen zu kommunizieren, zu verankern und zu fördern. Die fünf großen Bereiche heißen: Qualität des Unterrichts, Qualität des Le­bensraums, Schulpartnerschaft, Schulmanagement und Professionalität. Projekte, die heuer an Kärntens Schulen umgesetzt werden, sind: die Erarbeitung von Leitbildern in Schulprogrammen, die Errichtung von Lernplattformen, neue Formen des Lehrens, die Pflege von Schulpartnerschaften und Selbstevaluation.

Ich sage es noch einmal: Die Träger – auch von Qualitätsentwicklung – sind professio­nelle und motivierte Lehrer. Und dafür habe ich auch Ressourcen in Form von Wertein­heiten zur Verfügung gestellt, denn ich stehe auf dem Standpunkt: Auch Arbeit in der Schulentwicklung soll gleich bewertet werden wie das Unterrichten; sonst werden wir die Qualität nie wirklich anheben können.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zusammenfassend: Für die heutige Enquete hat man sich das Ziel gesetzt, Ideen und Reformvorschläge für ein künftiges Schulsystem zu sammeln und zu diskutieren. Vergessen wir aber nicht: Bei allen Überlegungen sollen die Menschen im Mittelpunkt stehen: die Schüler, die Lehrer, die Eltern. Und wenn wir gemeinsam mit gegenseitigem Respekt an die Arbeit gehen – und das erwarte ich mir auch von einer Diskussion in diesem Hause –, kann eine bunte und zukunftsreiche Bildungslandschaft entstehen. (Beifall.)

10.29

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke, Frau Präsidentin.

Ich darf nun Herrn Univ.-Prof. Dr. Vierlinger um sein Statement bitten.

 


10.29

Referent Univ.-Prof.  Dr. Rupert Vierlinger| (emerit. Professor für Schulpädagogik an der Universität Passau): Frau Präsident! Verehrte Damen und Herren! Direkte Leis­tungsvorlage – Portfolios – als Zukunftsmodell der schulischen Leistungsbeurteilung. – Kurz vor meiner Pensionierung im Jahre 1997 hat der damalige Bundespräsident in Deutschland beim Berliner Bildungskongress unter anderem gesagt: Wer die Noten aus der Schule verbannt, der macht aus den Schulen Kuschelecken, aber nicht Bil­dungsinstitutionen für das nächste Jahrtausend. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Ich habe ihm geschrieben: Herr Präsident! Sie haben von den Kuschelecken gespro­chen. Wissen Sie denn, dass das eine Beleidigung ist für all diejenigen Lehrer, die ein­sehen gelernt haben, dass die Noten höchst ungerecht sind? Natürlich will jeder Lehrer gerecht sein, aber das System, das Instrument, mit dem er die Leistungen beurteilt, drängt ihn in höchste Ungerechtigkeit. – Und dazu habe ich ihm ein Beispiel gegeben, und dieses will ich auch hier wiederholen:

Kurz vorher war ich vom Oberösterreichischen Landesschulrat und Pädagogischen Institut eingeladen, einen Vortrag zur Objektivität der Ziffernnoten zu halten, also zu einem der drei wichtigen Kriterien, die von jedem Mess- und Beurteilungsinstrument eingehalten werden müssen: Objektivität, Zuverlässigkeit und Gültigkeit.

Ich habe einen Aufsatz vorgelesen und habe die Experten, etwa 200 an der Zahl, ein­geladen, den Aufsatz im Hinblick auf Inhalt und Sprachgestaltung zu beurteilen. – Ich nenne die Zuhörer „Experten“, weil dort neben dem damaligen Präsidenten sämtliche Landesschulinspektoren, Bezirksschulinspektoren, Abordnungen von Direktoren aus allen Schulkategorien und verschiedene Arbeitskreisleiter und sonstige Multiplikatoren anwesend waren.

Der Aufsatz stammt von einem elfjährigen Bauernkind aus Gramastetten bei Linz; er sollte zum Thema „Ein schöner Herbsttag“ geschrieben werden beziehungsweise wurde geschrieben:

Vor ein paar Tagen sagte mein Vater zu mir: Bua, morgen ziagst di besser an, wir fahren in die Stadt. So sind wir nach Urfahr gefahren. Von dort gingen wir zu Fuß nach Linz. Dort besuchten wir einen Optiker. Er sah mich an und sagte: Bua, du schiagelst ja! Dann musste ich viele größere und kleinere Buchstaben lesen. Jedes Mal fragte er: Ist es so besser oder so? Ich sagte es ihm. Dann bekam ich Brillen. Jetzt schiagel ich nicht mehr. Das war mein schönster Herbsttag.

An die zehn – 200 waren anwesend; alle konnten mitzählen, einer zieht wieder zurück, also verzeihen Sie mir, wenn ich sage: an die zehn – sind bei „Nicht genügend“ ge­blieben mit der Begründung: Offensichtlich ist das Thema verfehlt. Ein schöner Herbst­tag – da müssen bunte Blätter fliegen!

Es zeigten etwa gleich viele protestierend auf: Wir sind im Hinblick auf Inhalt und Sprachgestaltung für „Sehr gut“, denn man denke an die Originalität, und man denke vor allem auch an die psychologische Sublimierung: Jetzt kann er den anderen in die Augen schauen und sie ihm. – Wenn das nicht der schönste Tag im Herbst und seines Schullebens überhaupt war!

Der Rest verteilte sich auf etwa 50 für „Genügend“, gleich viele für „Gut“, und in der Mitte waren es an die 90.

Ich sagte zu den Experten: Eigentlich könnten wir nach Hause gehen und über Alter­nativen nachdenken. – Ich bekam natürlich Vorwürfe. Der eine Vorwurf hat gelautet: Sie haben uns mit einem Inhalt konfrontiert, den man nur hermeneutisch deuten kann. Und man weiß ja, da geht es nicht sehr exakt zu, in der hermeneutischen Deutung. Hätten Sie uns Mathematik vorgelegt, dann wäre das hieb- und stichfest und exakt!

Daraufhin habe ich mit einer Untersuchung geantwortet, die Sie im letzten Blatt Ihrer Mappe unter der Überschrift „Ingenkamp“ finden; ich will Ihnen diese Graphik ein biss­chen verdeutlichen.

Ingenkamp, der „Papst“ der pädagogischen Forschung im Bereich Ziffernnoten, hat in 37 sechsten Schulstufen in Berlin die Schüler mit einem mathematischen Schulleis­tungstest überprüft. Sechste Schulstufe, das heißt in Berlin, es sind noch alle bei­sammen, also heterogen, wie bei uns in der Grundschule. – Darum sind ja, wenn Sie mir die Nebenbemerkung gestatten, die „g’scheiten“ Berliner insgesamt ein bisschen dümmer als die „g’scheiten“ Münchner und Wiener, denn die Berliner müssen die geistigen „Klumpfüße“ noch weitere zwei Jahre mitschleppen und werden sozusagen in ihrem Sprint gehemmt. – Sie verstehen, welche Ideologie ich anspreche, welche Geg­nerschaft gegen eine Gemeinsame Schule. – Also gut.

Dann hat er sich für jeden Schüler in jeder Klasse vom Lehrer die letzte Zeugnisnote aus Mathematik geben lassen. Schließlich hat er alle Schüler mit „Sehr gut“ und alle mit Fünf und Sechs aus der weiteren Bearbeitung ausgeschlossen, damit es nicht weiß Gott welche Verzerrungen nach oben und unten gibt, in der Hoffnung: Wenn ich nur all die Schüler in den Vergleich einbeziehe, die zwischen der Note 2 und 4 liegen, dann habe ich das mittlere Sample und es muss eine riesige Überlappung geben. Denn wenn einer einen Dreier hat in der Klasse 37 und der andere einen Dreier in der Klas­se 2, dann müssen dahinter vergleichbare, wenn nicht überhaupt gleiche Testwerte aus den mathematischen Schulleistungstests stehen.

Ich habe einen Teil der Strecken aus der Übersicht über alle 37 herausgezeichnet und habe in den ersten vier, fünf, sechs, wenn Sie wollen, diejenigen Klassen verzeichnet, wo es also tatsächlich eine Überlappung gibt. Wenn Sie sich fragen, ob Sie zufrieden sind mit dieser Überlappung, dann setzen Sie ihr eigenes Kind möglicherweise in der fünften, also in der Klasse 29, im Bereich der Zweier ein. Das obere Ende sind die Schüler, die den Zweier bekommen haben. Und vergleichen Sie mit der Klasse 7 – das ist die erste Strecke –: Wo möchten Sie Ihr Kind drinnen haben?

Vergleichbar geht es sicher nicht zu! – Die weiteren Überlegungen stellen Sie privat an.

Wenn wir dann die Zahl von mehr als einem Drittel der 37 Klassen ansehen, die über­haupt nicht überlappen, wo man also, wie beispielsweise in der Klasse 34, der vorletz­ten Klasse, seelenruhig einen Zweier bekommt für ein mathematisches Können, das weit unter dem mathematischen Können dessen in der Klasse 21 liegt, der dort einen Vierer bekommt, müssen wir feststellen: So steht es mit der Exaktheit und Sauberkeit und Objektivität der Benotung in der Mathematik!

Ich will gleich von den Alternativen reden und dabei die Ziffernnoten immer wieder zum Vergleich heranziehen.

Ich unterscheide zwischen systemkonformen Alternativen und systemsprengenden Alternativen. Systemkonform – verzeihen Sie mir mein Gestikulieren –: Hier (die rechte Hand als Symbol für den Schüler empor haltend) haben wir den Schüler. Er erbringt eine bestimmte Leistung. Wer sieht diese Leistung? Setzen Sie den Lehrer (als Symbol für den Lehrer die linke Hand in Richtung der rechten, also des „Schülers“, in Bewe­gung setzend) in die Mitte meiner Graphik. Der Lehrer schaut die Leistung an und transformiert sie nach seinem Gutdünken – das darf ich mit Fug und Recht sagen auf der Basis dessen, was wir gehört haben über Deutsch und Mathematik und die 200 Ex­perten – in eine Note. Und derjenige, der es wissen müsste – der Adressat, die weiter­führende Schule, der Firmenchef, der Bürovorstand et cetera –, sieht nicht die Leis­tung als solche, sondern nur den Stellvertreter der Leistung, die Note.

Zu diesem System – Schüler, Leistung transferieren in eine Note, die Note wird ihrer­seits wieder transformiert vom Adressaten, und es wird eine Entscheidung getroffen – gehören aber auch die Produkte all der Lehrer, die ich außerordentlich schätze, weil sie sich Gedanken machen und Mühe abverlangen, um beispielsweise verbale Beurtei­lungen zu schreiben. Oder Montessoris Pensenbücher und alle Nachfahren – Lernbe­richte, Entwicklungsberichte et cetera – gehören letztlich doch zu diesem ersten sys­temkonformen alternativen Bereich, weil sie an diesem Schema nichts ändern.

Systemsprengend schaut folgendermaßen aus: Der Lehrer verzichtet auf seine Rich­terrolle – dafür ist er ja auch nicht geboren worden – und tritt sozusagen Tag für Tag und Stunde für Stunde an die Seite der Schüler und hilft ihnen mit variablen Methoden, so gut zu werden, wie es möglich ist. Und dann bringen sie gemeinsam eine Leistung zustande, die unmittelbar dem Adressaten zur Ansicht gegeben wird: Da, schau dir an, was ich rechne, was ich schreibe, was ich singe, was ich turne – und entscheide für deine Verhältnisse, ob ich für dich passe oder nicht!

Das klingt furchtbar einfach – und ist es auch. Es ist dem Leben entnommen: Wenn Sie von Kärnten nach Wien übersiedeln und einen Bäcker suchen, dann gehen Sie nicht zum erstbesten einkaufen, sondern überprüfen drei, vier in erreichbarer Nähe, und bei jenem, bei dem Ihnen die Brötchen am besten schmecken, kaufen Sie in Zukunft ein. Aber nach der Note im Meisterbrief haben Sie noch nie gefragt! – Ganz so verhalten wir uns auch, wenn wir einen Architekten brauchen. Und wenn wir wählen gehen, dann fragen wir auch nicht: Was haben Sie für Noten gehabt? Wo kommen Sie her?, sondern: Was sagen Sie? Wofür stehen Sie ein?

So ist das Leben. Die Frage ist: Wo, in welchem Gegenstand der Schule ist diese Zu­gangsweise zur Beurteilung des Schülers nicht möglich? – Ich finde keinen.

Ich will aber noch ein bisschen näher erläutern, was für diese „Direkte Leistungsvor­lage“ einmal von der Systemänderung spricht: Wir entmündigen nicht mehr – oder sie, die „Direkte Leistungsvorlage“, die Mappe mit den wertvollen Schülerinhalten, das Port­folio, entmündigt nicht mehr den Adressaten, sozusagen: Ich muss dir ja vorgeben und vorerzählen, who is who. – Der kann das selbst!

Ich gebe ein Beispiel, das uns sagen will: Brauche ich die Note, um zu wissen, welche Deutschkenntnisse hinter diesem zehnjährigen Mädchen stehen? Es soll einen Gegen­stand in Form einer Rätselgeschichte beschreiben. Es schreibt:

Ich kenne in unserer Klasse ein lustiges Ding. Es hat einen zierlichen Kopf mit vier schwarzen Ohren, einen langen dünnen Hals, einen breiten Rumpf, aber keine Beine. Es liegt fast den ganzen Tag im weichen Bett und schläft. Um 12 Uhr holt es ein Kind heraus. Wenn das Kind sein Ding streichelt, wird es sofort munter und singt die schönsten Lieder und Stücke. Wenn es schon lange gesungen hat, klingt es manchmal falsch. Dann dreht es die Lehrerin an den schwarzen Ohren, und gleich macht es seine Sache besser. – Darunter zeichnet das Mädchen eine Geige.

Vielleicht käme es aus der Schule mit der Note „Eins“. Was sagt uns die Note „Eins“ allein schon gegenüber einem einzigen Aufsatz?

Die Beispiele ließen sich fortführen. Im Portfolio liegen Daten aus den verschiedensten Bereichen drinnen, beispielsweise: Wie lang brauchst du, um 100 Meter zu schwim­men?, et cetera.

Es wäre nicht mehr möglich, was einer bayerischen Gymnasiallehrerin passiert ist. Sie schreibt an Stoiber, weil er Verschiedenes verlangt, ob denn Stoiber die heutige Jugend kenne. Und dann erzählt sie das Beispiel, dass eine 17-jährige Göre im Beisein des Direktors zu ihr gesagt hat: Du A ...! – „asshole“ sagen die Amerikaner, das klingt besser –, weil die Schülerin nicht die Note bekommt, die sie meint, bekommen zu müssen. – „Direkte Leistungsvorlage“: Wir schreiben hin, wie gut du läufst, und die verschiedenen Daten. Da ist keine Kritik am Lehrer möglich und notwendig!

Die elektronischen Datenüberträger können auch melden, wie du beim Theater abge­schnitten hast, wie gut du spielst. Die können über die mündlichen Leistungen in der Fremdsprache referieren.

Und ich frage: Wie steht es mit der Akzeptanz? – Ein Magisterstudent in Bayern, an meiner Universität in Passau, hat die „Direkte Leistungsvorlage“ aufgegriffen und ist zu 90 Firmenchefs gegangen – von kleineren Handwerksmeistern mit zwei, drei Lehrlin­gen bis zum BMW-Werk Dingolfing mit Hunderten Lehrlingen – und hat ihnen einer­seits das Zeugnis einer 15-jährigen Absolventin der Hauptschule gegeben – fünfjährige Hauptschule in Bayern – und andererseits eine Mappe mit Kopien aus den diversen Leistungen.

Die Personalchefs haben sich zurückgezogen und haben dann zu 82 Prozent auf Anhieb geantwortet: Wir würden dieses System sofort gegen die Ziffernnoten austau­schen. – Der Rest zerfällt in zwei Hälften: die einen – 9 Prozent –, die sagen: Vorüber­gehend möchten wir das Zeugnis aber schon auch noch sehen!, und die anderen – vorwiegend Ältere – haben gesagt: Naja, ist gut, aber das Zeugnis möchten wir immer auch haben!

Kollege Thonhauser von Salzburg hat eine Befragung bei Lehrern gemacht, die mit Portfolios arbeiten – aber soweit es nicht Volksschüler sind, wie in den vielen Wiener Schulklassen, die tatsächlich bis zur Dritten das Portfolio auch schon als Zeugnisersatz verwenden dürfen. Er hat Gymnasiallehrer gefragt, die mit Portfolios arbeiten. Sie finden in Ihren Unterlagen auf der rechten Seite des entsprechenden Blattes die Ergeb­nisse von Thonhauser – ich denke, für Sie durchaus interessant.

Nun wäre auch noch viel zu sagen über die pädagogische Funktion der „Direkten Leis­tungsvorlage“. Ich fasse zusammen – weil Sie das Blatt in der Hand haben: darauf sehen Sie diese zwei Gauß’schen Kurven oder Normalverteilungen –:

Wie geht es denn dem schlechten Schüler? – Im ersten Jahr hat er bei dieser Vertei­lung der Schülerleistungen den letzten, also einen schlechten Platz erreicht. Nach den Ferien schreitet die ganze Gruppe weiter, aber im Geleitzug bleibt er wieder der Letzte, obwohl er sich angestrengt hat, weil er vielleicht nach den Defiziten und nach der Ent­täuschung, die er im ersten Jahr erlebt hat, noch Motivation genug hat, mitzuarbeiten. Aber seine Kräfte sind schwach, und er bleibt wieder das „Aschenputtel“. Wie lange wird er dieses System ertragen können ohne Verlust des Selbstwertgefühles oder ohne zu sagen: Schule, was gehst du mich an?!

Aber wir haben in unseren Prolegomena und in den Leitartikeln drinnen stehen: Wir müssen den Schülern das lebenslange Lernen beibringen oder sie motivieren für das lebenslange Lernen. – Mit solchen Schlägen vor den Kopf nicht!

Oder ich darf vielleicht noch auf die Klimaverschlechterung hinweisen. Wenn es gestat­tet ist, möchte ich ein Beispiel, das ich in einer Hauptschulklasse erlebt habe, bringen: Ich komme hinein zu dem Zeitpunkt, als die Schularbeitshefte ausgeteilt sind. Sie ken­nen möglicherweise aus eigenem Erleben die Situation, die da entsteht: Es wird aufge­klappt – und die einen lassen es sofort verschwinden, und die anderen prangen herum.

Da bitte ich den Lehrer: Würden Sie gestatten, dass ich bei den 28 Schülern eine kleine Befragung mache? – Nehmt bitte einen Zettel heraus, schreibt nicht den Namen hin, aber schreibt einen Satz hin, was euch jetzt durch den Kopf und vielleicht auch durch das Herz geht!

Nicht alle 28 Elfjährigen schrieben in dieser kurzen Zeit und in dieser Zeit der Aufre­gung, aber von den 18, die geschrieben haben, schrieb keiner über die Sache selbst – etwa: Jetzt weiß ich, wie die Lösung ausschaut! –, aber zwölf von den 18 schrieben Inhalte mit Neid und Überheblichkeit: Ich freue mich, weil der Nachbar eine schlechtere Note hat! Wenn Silvia eine bessere Note hat, werde ich eifersüchtig! Und so weiter. – Zwölf!

Drei äußerten Mitgefühl und Freude: Ich bin froh, dass meine Nachbarin eine bessere Note hat als ... – nein, so weit geht es nicht! –: als bisher. Ihr geht es gut, und sie ist froh, dass es bei der Nachbarin auch in Ordnung ist.

Und drei verglichen nicht, sondern kommentierten ihre eigene Note: Ich bin froh, dass die Probe für mich gut ausgefallen ist, dass meine Eltern nicht schimpfen werden, und so weiter.

Da reden wir von Gemeinschaftserziehung, und da sagen wir, Schule sei eine Schule für Demokratie – und das mit unseren Instrumenten und mit der Organisationsform, dass wir die Schüler ständig selektieren und sortieren wie die Kartoffeln nach ihrer Größe?! Und da soll Mitgefühl entstehen?

Als letztes kleines Beispiel eine wunderbare Untersuchung über das Verhältnis von Eltern und Schule: Eltern werden gefragt, bekommen also Items vorgelegt, zu denen sie Stellung nehmen sollen, wie: „stimmt genau“, „stimmt überwiegend“, „stimmt eher nicht“. Das Statement: „Es hat keinen Sinn, gegen eine ungerechte Beurteilung Ein­spruch zu erheben, weil man gegen die Lehrer sowieso keine Chance hat.“ – 62 Pro­zent: „Stimmt genau“.

Schließen möchte ich mit einem Satz – oder drei Sätzen – von John Rawls, dem vor kurzem verstorbenen hochberühmten amerikanischen Philosophen der Ethik:

Die Gerechtigkeit ist die oberste Tugend von Sozialsystemen, so wie die Wahrheit die oberste Tugend von Denksystemen ist. Eine noch so schöne und prägnante Theorie muss verworfen werden, wenn sie unwahr ist. Ebenso müssen noch so gut funktionie­rende Institutionen – wie beispielsweise unsere Institution der schulischen Leistungs­beurteilung – abgeschafft werden, wenn sie ungerecht sind. (Allgemeiner Beifall.)

10.53

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Ich danke den Damen und Herren Refe­renten für ihre Ausführungen.

III. Diskussion

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Wir gehen in die Diskussion ein.

Die vorläufige Rednerliste liegt Ihnen vor. Sie können sich danach orientieren. Sie ist nach hinten noch offen und teilweise schon ergänzt worden. Ich bitte Sie, auch in der Diskussion im Interesse einer gewissen Lebhaftigkeit und Abwechslung die Redezeit­begrenzung von 5 Minuten zu beachten.

Erster Redner in der Diskussion ist Herr Bundesrat Dr. Schnider. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.54

Bundesrat Dr. Andreas Schnider| (ÖVP, Steiermark): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Professor Vierlinger, danke für die Geschichte! Ich glaube, die Geschichte mit dem Herbsttag hat mehr mit uns allen zu tun, als wir vielleicht auf den ersten Blick annehmen, denn es hat etwas damit zu tun, dass man – und ich glaube, das hat auch viel mit Schule und Bil­dung zu tun – sehen lernt und hinschaut.

Auf der anderen Seite möchte ich Herrn Präsidenten Enzenhofer auch für einen Aus­spruch herzlich danken, den er ziemlich zum Schluss gebracht hat und der lautet: In der Bejahung liegt die größte Macht und Kraft!

Was meine ich damit? – Wir haben als Bundesrat eine Enquete initiiert, und ich möchte hier als einer der Mit-Initiatoren dem Bundesrat und den Kolleginnen und Kollegen wirklich danken, denn wir haben es einstimmig gewagt, und wir haben gesagt: Gerade als Länderkammer ist uns das ein Anliegen! Und ich glaube, wir müssen das noch viel stärker wahrnehmen und uns als Ländervertreterinnen und -vertreter dieser Themen noch mehr annehmen.

Was meine ich mit „Bejahung“? – Ich habe hier heute schon einiges gehört und muss sagen: Es gibt Dinge, die wir alle hier gemeinsam bejahen und bejaht haben. Erstens: dass unsere Frau Ministerin Elisabeth Gehrer eine Zukunftskommission eingerichtet hat. Wie ich spüre – und das habe ich auch bei unterschiedlichen Veranstaltungen mit­bekommen, und ich habe mir die Mühe gemacht, da und dort auch dabei zu sein, als die unterschiedlichen Referenten und Referentinnen aufgetreten sind, aber ich habe das überall gespürt –, gibt es ein Wohlwollen darüber, dass es diese Kommission gibt. – Punkt eins.

Punkt zwei: Es war bei unserem Antrag – und das habe ich auch gespürt – überhaupt keine Diskussion, dass Professor Haider hier das Hauptreferat hält. – Das ist für mich das Positive, die Bejahung.

Ich glaube, wir sollten weiters schauen, was hier noch bejaht worden ist. – Beim Thema Schule reden wir nämlich wesentlich vom Thema Bildung – trotz der Tatsache, dass Hartmut von Hentig ganz richtig sagt: Bildung kann man eigentlich nicht definie­ren, sondern es gibt Hunderte und Tausende von Definitionen; letztlich gibt es nur Maßstäbe, an denen sich Bildung orientieren kann.

Und da möchte ich schon sagen: Da war es auch Ministerin Gehrer, die vor PISA 2000 Lehrpläne herausgebracht hat, die Bildungsbereiche eingeführt haben, das heißt also, weggegangen sind von dem, dass wir einfach Fächer addieren oder Fächer irgendwo in einem Puzzle zusammenstellen, sondern dass wir von vornherein die Fächer in diese Bereiche einbringen. Das heißt, das Kernstück, das Herzstück dieses Lehrplanes und der folgenden Lehrpläne sind die Bildungsbereiche: Sprache und Kom­munikation, Mensch und Gesellschaft und so weiter.

Daraus resultiert richtigerweise, dass man von Bildungsstandards spricht. Das möchte ich hier auch begrüßen, und das scheint auch hier Wohlwollen zu finden: dass wir uns nicht auf einzelne Fächer konzentrieren – und ich bitte darum, dass wir diesen Weg auch weitergehen –, dass es eben das Fächervernetzende, das Sich-Einbringen in Bereiche ist; und dann muss ich auch diesen Weg nach den Bildungsbereichen wirk­lich in Richtung der Bildungsstandards gehen.

Ich spüre, dass wir da einer Meinung sind. Und wir wissen alle, dass es vor PISA hier kaum internationale Tests gegeben hat.

Ich möchte zur Zukunftskommission, wenn es heißt „Bildung und Forschung“, noch ein­mal sagen: Das möchte ich hier unterstreichen! Es ist doch nicht wahr, dass es in diesem Land nicht Forschung gibt, nur: Meine Bitte wäre, dass man Menschen, die in diesem Bereich forschen, das auch weiterhin – „committere“ – anvertraut. Und meine Bitte wäre auch, dass auch diese Zukunftskommission hier ein Stück weiterarbeiten kann und dass man die Dinge, die hier vorliegen, auch weiterträgt. Und wir hier in die­sem Haus, in diesen Häusern, in diesem Parlament müssen uns schon überlegen, ob wir nicht nach der Kommission ein Commitment brauchen – für mich ein verschrifteter Handschlag, herzugehen und zu sagen: Wir haben Punkte, die wir bejahen, und auf denen müssen wir aufbauen! Hier müssen wir auch ein Stück nationalen Konsens fin­den, um ein Stück weiterzukommen, denn wir wissen alle: Ohne Zweidrittelmehrheiten haben wir hier keine Chance.

Wir können uns jetzt über Begriffe streiten – und ich gehöre auch zu den Pädagogen und Pädagoginnen, die sagen, wir müssen diese auch ernst nehmen, wie sie sich in der Geschichte entwickelt haben –, aber wichtig ist, dass wir die Inhalte oder das, worum es geht, neu diskutieren. Und da habe ich auch hier gehört, es muss uns um die Frage gehen: Wie gelingt es, noch ein Stück individueller zu werden in unserem Schul- und Bildungs-, und ich sage jetzt bewusst dazu: Forschungs- und Wissen­schaftskomplex?

Und: Wie können wir ein Stück differenzierter werden – oder, wie es Professor Haider gesagt hat: in „heterogenen Gruppen“? Und wie schaffen wir es, selber in uns – und deshalb hat mir auch diese Geschichte so gut gefallen – zu sehen, dass wir nicht mehr so stark in einem linearen oder additiven Gesamtkomplex leben, gerade was dieses Thema betrifft, sondern in einem viel vernetzteren, in einem viel übergreifenderen? Und da, glaube ich, muss man diese Komponenten auch viel stärker zusammen sehen.

Doch wovon wir nichts haben, ist, dass wir Politikerinnen und Politiker in diesem Haus hier weitere Gesetze beschließen, womit irgendetwas flächendeckend eingeführt wird, dass wir irgendjemandem eine Vorstellung unterbreiten und sagen: Das musst du so und so machen. Ich glaube, wir müssen uns auf markante Dinge zurückziehen, behut­samer damit umgehen und sagen: Wir machen es mit diesen Bereichen und mit diesen Standards. In diesem Umfeld kann viel mehr – da stimme ich schon denen ein Stück weit zu, die diese Ansicht vertreten – autonomer geschehen und zugelassen werden.

Ich bin davon überzeugt – und ich bin selber Lehrer –, unsere Lehrerinnen und Lehrer, unsere Direktorinnen und Direktoren sind großartig. Es sitzen hier einige, wenn ich in die Reihen schaue, und auch welche, die Direktoren waren. Sie müssen die Möglich­keit haben, selber etwas von der Basis her zu entwickeln.

Ich sage auch – das sage ich hier als überzeugter Steirer und als einer, der die Steier­mark im Bundesrat mit vertreten darf –: Das ist uns teilweise in unserem Bundesland da oder dort gelungen. Wir haben vor eineinhalb Jahren nicht nur eine Diskussion ge­startet und sind rein in der Theorie geblieben. Da die Politik und unser Landesschulrat verschiedene Projekte mitgetragen hat, ist vieles von dem, was heute angesprochen worden ist, was auch kritisch und mit Fragezeichen angesprochen worden ist, da oder dort umgesetzt worden.

Bei uns in der Steiermark gibt es seit heuer 19 bis 20 Pilotprojekte zu ganztägigen Schulformen. Eines davon – und das nicht zwangsverpflichtet – gibt es in der Volks­schule Liebenau mit Frau Direktorin Frech. Ich nenne hier bewusst auch die Namen. Das war möglich, weil es dort eben eine Direktorin und einen Lehrkörper gegeben hat, die das selbst wollten – nicht, weil das die Politik wollte, nicht, weil das der Landes­schulrat wollte. Deswegen konnte das wachsen.

Oder – weil hier unser Landesschulinspektor Hermann Zoller sitzt, danke ich auch ihm –: Es gibt ein anderes Projekt in Kalsdorf, wo genau diese ersten acht, neun Schul­jahre ein kooperatives Modell probiert wird. Genannt sei die Volksschule Kalsdorf mit Frau Direktorin Vukan, wo eben dieses kooperative Modell auch mit der Sonderschule zusammen angeboten wird. Das wurde nicht vom Landesschulinspektor verpflichtend vorgeschrieben, aber er trägt es mit, er sagt ja dazu, er begleitet es pädagogisch.

Meine Damen und Herren! Wir haben eine hohe Qualität bei den Lehrerinnen und Leh­rern, wir haben großartige Kolleginnen und Kollegen in diesem Land. Ich glaube, wir sollten das ihnen – „committere“ – und der Kommission anvertrauen, damit sie vieles von dem weitertragen können. Das ist auch ein wichtiger Punkt, ein Punkt, der auch den Landeshauptleuten so wichtig war, dass sie voriges Jahr darum gebeten haben, das zu prüfen.

Wichtig ist, dass wir in unserem Regelschulwesen den Schritt wagen, das eine oder andere wachsen zu lassen. Wir sollen nicht wieder verpflichten und sagen, wir wissen alles besser. Deshalb finde ich es auch gut, dass es hier die Experten und die Medien gibt.

Weiters sollen wir auch die Möglichkeit schaffen, dass es da oder dort Modelle in Schu­len in anderer Trägerschaft gibt; die konfessionellen Schulen, die Schulen in freier Trä­gerschaft, denn dort wächst auch vieles, das wir in einer wunderbaren Weise weiter­führen können. Die Landeshauptleute haben ziemlich genau vor einem Jahr einstimmig darum gebeten, zu prüfen, wie weit man da noch mehr unter die Arme greifen kann.

Aber mein eindringlicher Appell ist: Nehmen wir uns ein Stück zurück! Gehen wir den Weg, den die Frau Bundesministerin vor der PISA-Studie bereits eingeschlagen hat, nämlich über Bildung zu reden! Wir dürfen Bildung nicht wieder definieren und fest­machen. Versuchen wir, diesen Bogen zwischen den Bildungsbereichen und den Bil­dungsstandards tatsächlich zu gehen, behalten wir das im Auge. Und vielleicht gelingt es uns, die Bereiche selbst zu sehen und nicht so sehr das Additive.

Diese Forderung möchte ich hier einbringen, verbunden mit der Bitte, dass man die Zukunftskommission und die Experten, die in diesem Land forschen, samt ihren Ergeb­nissen ernst nimmt, und dass man die Experten auch weiter arbeiten lässt.

Man soll diese Aufgaben in erster Linie unseren Lehrerinnen und Lehrern, unseren Direktorinnen und Direktoren anvertrauen. Man soll den Mut haben, in den unter­schiedlichen Gremien Entwicklungen zuzulassen, aber nicht, indem man sagt: Macht, was ihr wollt!, nein, sondern indem man diese Entwicklungen begleitet!

Ich möchte all jenen, die das jetzt schon tun – und gerade dir, Hermann (in Richtung von Landesschulinspektor Zoller) –, herzlichen Dank dafür aussprechen. – Danke schön. (Beifall.)

11.05

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Mag. Neuwirth. Ich erteile ihr das Wort.

 


11.05

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth| (SPÖ, Salzburg): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Professor Haider hat heute zu Beginn dieser Enquete aus verständlichen Gründen erklärt, warum er noch nicht auf die aktuellen Ergebnisse der jetzigen PISA-Studie eingehen kann.

Lassen Sie mich als Salzburger Bundesrätin Ihnen dennoch die zwei Titel, die zwei Überschriften zur Kenntnis bringen, die heute in den „Salzburger Nachrichten“ doch relativ großen Raum einnehmen. Sie lauten: „PISA: Absturz in der Schüler-Rangliste“ und „Rückfall im PISA-Ranking“.

Es ist natürlich leicht, sehr geehrte Damen und Herren, sich jetzt hier herzustellen und zu fragen: Was ist denn schon PISA? PISA ist ja nicht das Alpha und Omega aller Schüler- und Schulvergleichszahlen. – Das ist die eine Sache.

Die andere Sache ist, sich doch auch zu überlegen, wie es denn überhaupt zu solchen Ergebnissen kommen kann und warum das trotzdem, auch wenn manche es nicht so gerne lesen und hören wollen, ein wichtiges Thema auch in der Öffentlichkeit ist. Sonst würden sich ja nicht die „Salzburger Nachrichten“ und auch alle anderen Medien die­ses Themas immer wieder auf diese Art und Weise annehmen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte – und ich darf das sagen, da ich heute hier nicht nur als Bundesrätin zum Thema Bildung rede, sondern auch als Lehrerin – auf einige Dinge eingehen, die mit dieser PISA-Studie sehr wohl in Zusammenhang stehen. Diese Studie beinhaltet auch das Ergebnis des so genannten Leseverständnis­ses, der Lesekompetenz.

Herr Professor Haider hat uns heute erklärt, wie das in der Theorie ausschaut und wie sich das auswirkt. Ich kann das bestätigen. Ich unterrichte in einer HTL, in der sowohl Fachschüler ausgebildet als auch Schülerinnen und Schüler zur Matura geführt wer­den. Zu mir kommen Schülerinnen und Schüler nach acht Jahren Schulunterricht. Ich möchte jetzt wirklich keiner/keinem der Lehrerinnen und Lehrer in den vorhergehenden Schulen auch nur irgendeinen Vorwurf machen, aber wenn ich Ihnen vorlesen könnte, was für Aufsätze – ich gehöre auch zu denen, die auf Grund der Gesetzeslage Auf­sätze beurteilen müssen – geschrieben und was da für Fehler gemacht werden, ge­schweige denn, dass Schülerinnen und Schüler mit 14, 15 Jahren fähig sind, einen Text zu lesen, dessen Inhalt zu verstehen und ihn auch wiederzugeben, dann würde es Sie nicht mehr so sehr interessieren, ob wir auf Rang 12 oder 16 in der PISA-Studie liegen, sondern Sie würden sich fragen: Was soll denn aus diesen Kindern und Ju­gendlichen in Zukunft werden? Was soll schlussendlich aus unserem Staat werden? (Beifall.)

Ich möchte mich auf zwei Themen beschränken. Es ließe sich viel sagen; leider kann ich auf Ihr Thema nicht eingehen, Herr Professor Vierlinger, obwohl es mich sehr rei­zen würde, aber meine Themen sind heute Ganztagsschule und kooperative Mittel­stufe, also die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen.

Ich bedauere es, dass Herr Präsident Enzenhofer in seinem Referat gesagt hat, diese beiden Themen seien für ihn so genannte Paradoxa, und gefragt hat, warum man sich über diese Themen heute so besonders unterhalten müsse. Meiner Meinung nach sind das zwei ganz wesentliche Themen für die Zukunft des Bildungssystems in Österreich. Aber vielleicht stehen für Herrn Präsidenten Enzenhofer die Lehrerinnen und Lehrer in der Schule im Mittelpunkt. Für mich – ich darf das sagen, da ich selbst diesem Berufs­stand angehöre – sind es die Schülerinnen und Schüler, die im Mittelpunkt stehen und auch zu stehen haben. (Beifall.)

Es geht nämlich um die Zukunft dieser Kinder. Es geht um die Bildungschancen nicht nur einer Generation, sondern ganzer Generationen! Es geht um die Basis für das zukünftige Know-how, und zwar nicht nur das individuelle Know-how jedes Kindes, jedes Jugendlichen, jedes künftigen Erwachsenen, sondern schlussendlich auch um die Zukunft Österreichs, und zwar insofern, als Bildung und Forschung wohl eine unse­rer wesentlichen Ressourcen in diesem Staat darstellen, auf die wir in Zukunft wohl auch nicht verzichten können.

Zur kooperative Mittelstufe, dieser gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen, auch Gesamtschule genannt, und zur Ganztagsschule.

Diese beiden Themen sind Themen jeder Schuldiskussion und sind sehr stark von einem ideologischen Background überlagert. Es gilt, diese Ideologie aufzuarbeiten und aufzulösen und weder das eine noch das andere Modell als Allheilmittel darzustellen. Aber es muss klar sein, dass es eine echte Wahlfreiheit geben muss. Diese kann es nur geben, wenn es genügend Angebote gibt, nämlich genügend Angebote an beiden, an vielen, ja an allen Formen von Schulen, genügend Angebote, die schlussendlich dazu führen, dass sich diese sozio-ökonomische Schere, die Herr Professor Haider angesprochen hat, die immer weiter auseinander geht, schlussendlich doch wieder möglichst weit schließt. Und sie kann sich nur schließen, wenn es wirklich eine gute individuelle Betreuung gibt, nämlich eine individuelle Förderung der schwachen Schü­lerinnen und Schüler, aber natürlich auch der begabten Schülerinnen und Schüler.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bedarf an ganztägigen Schulen ist in den letz­ten Jahren enorm gestiegen; das werden mir alle bestätigen. Immer mehr Eltern wün­schen sich für ihre Kinder aus pädagogischen Gründen, vor allen Dingen aber auch aus privaten oder beruflichen Gründen eine schulische Betreuung auch am Nach­mittag.

Es kann kein Zufall sein, dass gerade Österreich und Deutschland gemeinsam mit der Schweiz das Schlusslicht beim Angebot an Nachmittagsbetreuung im europäischen Vergleich darstellen, wobei es innerhalb von Österreich auch ein starkes Ost-West-Ge­fälle gibt – leider, sage ich, da ich aus einem der westlichen Bundesländer komme. Je ländlicher der Raum, desto weniger ganztägige Schulformen gibt es.

Nun versuchen in den verschiedenen Bundesländern die Städte und Gemeinden, dem tatsächlichen Bedarf irgendwie zu entsprechen. Sie versuchen, Nachmittagsbetreuung anzubieten, und zwar über die lange Jahre hindurch bewährten Hortformen hinaus, denn es gibt diesen Bedarf. Man versucht, in Kindergärten nachmittags Gruppen einzu­richten, wo auch Schulkinder betreut werden. Man versucht an zahlreichen Volks­schulen und Hauptschulen, nachmittags Kinder zu betreuen, ihnen etwas zu essen zu geben, ihnen die Möglichkeit zu geben, eben nicht auf der Straße stehen zu müssen. All diese Möglichkeiten werden bereits genützt – und ich bin überzeugt davon, auch in anderen Bundesländern.

Aber es gibt einen hohen Qualitätsunterschied – das muss uns klar sein – zwischen der so genannten Nachmittagsbetreuung an Schulen und der Ganztagsschule. Die Ganztagsschule ist ein pädagogisches Gesamtkonzept, das uns allen helfen soll. Es ist klar, dass es ein Beitrag zur Chancengleichheit ist, zur Familienförderung und zur bes­seren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es macht das System insgesamt einfach menschlicher und erfolgreicher, und das würde uns auch bezüglich des Ranking schlussendlich helfen.

Die Ganztagsschule ist meiner Meinung nach die einzig wahre Antwort, und zwar eine Ganztagsschule auf freiwilliger Basis. Ich betone das noch einmal, um dann nicht wieder in den Geruch zu kommen, diesbezüglich alle zwangsverpflichten zu wollen. Die Ganztagsschule ist deshalb die kinder- und jugendgerechte Schule schlechthin, weil nur sie faire und gleiche Entwicklungschancen bieten kann, weil nur dort – das ist heute auch schon von den Expertinnen und Experten bestätigt worden – auf die indivi­duellen Stärken und Schwächen jedes Schülers und jeder Schülerin individuell einge­gangen werden kann. Es geht in diesem Bereich nicht nur um Lernen und Aneignen von Wissen, sondern auch um Kreativität, um soziales Lernen und um ein Miteinander.

Es geht auch um so profane Dinge, die vielleicht dem einen oder anderen in der Bil­dungspolitik nicht wichtig sind, wie zum Beispiel um gesundes Essen, sehr geehrte Damen und Herren! Es geht um Freiraum, um ein Miteinander, um Abwechslung von kognitivem Lernen und kreativem Tun – und das im Laufe eines Tages unter profes­sioneller Betreuung, unter Zusammenarbeit all jener, die auch schon bisher im Kinder- und Jugendbereich tätig sind, nämlich Lehrerinnen und Lehrer, Hortnerinnen und Hort­ner, Betreuerinnen und Betreuer. Da sind auch die gesamten außerschulischen Be­reiche zu erwähnen, die sehr leicht mit einzubeziehen wären, der Musikbereich – worauf Oberösterreich zu Recht stolz ist – oder der Sportbereich.

Um noch ein paar Worte zu dieser Zukunftskommission zu sagen, die mein Vorredner schon angesprochen hat: Ja, ich bin auch dafür, natürlich soll die Zukunftskommission weiterarbeiten, aber viel wichtiger als das Weiterarbeiten wäre mir das Umsetzen der Ergebnisse, Herr Kollege Schnider, denn in einer der Empfehlungen hebt diese Kom­mission hervor – ich darf zitieren –:

Jedes Schulkind der Primar- und Sekundarstufe I in Österreich sollte gesetzlichen Anspruch auf Betreuung auch über die Unterrichtszeit hinaus haben – nachmittägliche und ganztägige Betreuung, wenn die Eltern diese Betreuung wünschen. – Zitatende.

Ich denke, darum muss es uns auch gehen: um die Umsetzung, nicht nur um die Mög­lichkeit der Weiterarbeit an irgendwelchen Konzepten.

In den meisten europäischen Ländern ist es selbstverständlich, die Eltern bei der Ver­einbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen und für die optimale Ausbildung der Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Zahlreiche nationale und auch internationale Stu­dien belegen, dass die Ganztagsschule die bestmögliche Ausbildung in Verbindung mit Betreuung am Nachmittag bietet. Sie bringt Vorteile für alle Beteiligten: für die Kinder, für die Eltern und für die LehrerInnen.

Neuere Anforderungen an die Schule, aber auch an die Kinder und Jugendlichen las­sen allerdings die Frage aufkommen, ob unsere heutige, halbtägig organisierte Schule den veränderten Bedingungen von Kindheit und Familie einerseits und den zunehmend veränderten Bedingungen der Wissensanforderungen und der Erkenntnisse moderner Pädagogik andererseits überhaupt noch gerecht wird.

Diese Frage, meine Damen und Herren, möchte ich gerne an das Podium weiterge­ben, nämlich in welchem Verhältnis Sie sich das hier in Österreich vorstellen. (Beifall.)

11.16

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Ich bitte allgemein darum, die Einhaltung der Redezeit zu beachten.

 


Nächster Redner ist Herr Bundesrat Weilharter. – Bitte.

11.17

Bundesrat Engelbert Weilharter| (Freiheitliche, Steiermark): Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Es steht, so glaube ich, für alle in diesem Saal außer Zweifel, dass Bildungsmöglichkeiten, Bildungseinrichtungen notwendig sind und dass dieses Bil­dungsangebot auch Geld kostet. Man sollte sich aber auch dessen bewusst sein, dass Geld allein nicht der Garant für eine gute Bildungspolitik, für ein zeitgemäßes Bildungs­wesen sein kann. Es ist heute in den Referaten der Vortragenden schon aus verschie­denen Positionen darauf hingewiesen worden, dass Bildungspolitik andere, wichtigere Parameter hat als eben nur die monetäre Sicht. Auch aus dieser Überlegung heraus begrüße ich es, dass diese Bildungsenquete heute stattfindet.

Worin liegen die unterschiedlichen Positionen? – Es mag durchaus sein, dass es einen unterschiedlichen Zugang zur Bildungspolitik gibt, zum Beispiel Schulerhalter, Schüler und Lehrer. Wir sollten uns aber auch fragen: Gibt es unterschiedliche Rollen und Auf­gaben in der Bildungspolitik? Ist es zum Beispiel hier im Parlament angebracht zu sagen: Regierung oder Opposition, Personalvertreter oder Dienstgeber? Oder: Ist das Bildungssystem falsch, antiquiert? Heißt das, das ist ein Generationsproblem? Ist mehr als notwendiger Reform- und Handlungsbedarf gegeben?

Auf all diese Fragen, meine Damen und Herren, wird uns diese Enquete heute zum Teil eine Antwort geben. Man muss diese Antworten nicht teilen, und sie werden auch nicht vollständig sein.

Ich sage sehr bewusst, dass sich die nationale Bildungsdiskussion in der letzten Zeit, vor allem, wenn man die Berichte in diversen Medien verfolgt hat, anscheinend nur mehr um Geld gedreht hat. Die eine Gruppe beklagt, dass für die Bildungspolitik bud­getär zu wenig getan werde, die andere Gruppe erklärt uns fast täglich, dass eine Anhebung des Finanzmittelbedarfes im Bildungsbereich erfolgt sei – ein leidiger Streit um Geld, ohne dass Inhalte, zum Beispiel Inhalte einer Bildungsreform, diskutiert und wenigstens mit erwähnt werden.

Daher, meine Damen und Herren, erscheint mir eine bildungspolitische Planung, zum Beispiel ein mittelfristiger Bildungsplan auf – über Zeiträume kann man diskutie­ren – etwa sechs bis zehn Jahre, als erster Schritt unabdingbar. Dieser Bildungsplan müsste aber bundeseinheitlich die gleichen Qualitätskriterien für die gleichen Bildungs- und Schultypen aufweisen. Es kann und darf nämlich kein Stadt/Land-Gefälle geben.

In dieser Frage befinde ich mich auch im Widerspruch zu meinen Vorrednern, Kollegen Schnider und Kollegin Neuwirth sowie Frau Präsidentin Brandsteidl, nach deren Mei­nung die Ganztagsschule ein qualitativ gleichwertiges Modell wäre. Es schafft nämlich meines Erachtens die Ganztagsschule genau dieses  Stadt/Land-Gefälle, das wir im Bildungsbereich nicht haben wollen und nicht brauchen können.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Punkt dieses Bildungsplanes sollte die Schaf­fung einer so genannten Führungskräfte-Akademie sein. Es ist schon angesprochen worden, dass in dieser Führungskräfte-Akademie beziehungsweise Akademie für Schulleiter Schwerpunkte gesetzt werden: neben den pädagogischen Aufgaben Quali­fikationen im betriebs- und volkswirtschaftlichen Bereich, damit Schulen gut organisiert und gemanagt werden können.

Die Verwaltung der Schulkompetenz und der Bildungseinrichtungen insgesamt sollte ebenfalls überprüft werden. Zum Beispiel sollten wir uns die Frage stellen: Brauchen wir die Bezirksschulräte noch? Welche Kompetenzen haben die Bezirksschulräte? Sollten wir nicht Eltern- und Schülerrechte einmal definieren?

Es gäbe noch eine Reihe von Beispielen, meine Damen und Herren, die alle vor der Diskussion über Geld für die Schule, für die Bildungspolitik zu klären wären.

Zusammenfassend: Zuerst sollte man Inhalte und Rahmenbedingungen schaffen, diese Rahmenbedingungen abstecken und definieren – und erst dann die Diskussion über Geld beginnen, weil dann nämlich, meine Damen und Herren, die Entscheidungs­frage für die Politik die wäre: Wollen wir ein modernes, zeitgemäßes Bildungs- und Schulsystem? Wollen wir es – ja oder nein? Das müsste die Entscheidung sein! Und die Frage lautet dann: Ist es uns das wert oder nicht? Dann wäre nämlich die Entschei­dung über die Finanzen in diesem Bereich sicher eine einfachere. (Beifall.)

11.23

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


11.23

Bundesrat Stefan Schennach| (Grüne, Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Lieber Kollege Schnider! Die Freude darüber, dass diese En­quete wirklich von allen Fraktionen gemeinsam beschlossen wurde, soll nicht den Blick dafür trüben, dass es ein steiniger Weg bis hierher war, ein steiniger Weg, der sympto­matisch für die gesamte Bildungspolitik ist.

Wenn ich daran denke, dass erst vor wenigen Tagen in diesem Saal ein Antrag abge­lehnt worden ist, der genau in deine Richtung geht, lieber Kollege Schnider, nämlich Alternativen zum Regelschulsystem auch budgetär entsprechend auszustatten und damit jene Vielfalt zu ermöglichen, die du in deiner heutigen Rede hier gefordert hast – der wurde hier einfach abgelehnt, es gibt kein Nachdenken darüber, das wollen wir ein­fach nicht! –, dann ist das symptomatisch dafür, in welcher Verkrustung, in welchen ideologischen und nahezu mit Pawlowschen Reflexen versehenen Fallen wir teilweise stecken!

Lieber Kollege Weilharter! Ja, das Geld! – Natürlich kosten Schule, Bildung, Ausbil­dung Geld, aber diese Mittel, die wir in Schule, Bildung, Ausbildung investieren, sind allesamt Investitionen in unsere Zukunft. Es sind Investitionen, die uns später nicht auf anderen Ebenen einholen, nämlich dann, wenn wir Wiedereingliederung finanzie­ren müssen, wenn wir Arbeitslosigkeit finanzieren müssen, wenn wir Nachbefähigun­gen finanzieren müssen – und, und, und!

Wer im Bildungsbereich und im Schulsystem spart, spart an der Zukunft und spart vor allem an der Grundlage unseres Lebens, nämlich bei den Jungen, bei den Kindern und Jugendlichen!

Dabei, lieber Kollege Schnider, müssen wir uns generell die Frage stellen: Was kann Schule leisten? Was leistet sie? Und was sollte Schule leisten? – Wir müssen den ge­sellschaftlichen Wandel von Schule, von Ausbildung einfach akzeptieren und sehen, dass es diesen Wandel gegeben hat. Schule ist nicht mehr die Anstalt für Erziehung und Wissensvermittlung, sie ist mehr, Schule ist heute wesentlich mehr: ein Ort der Sozialisation, der viele Rollen der Familie, auch viele Rollen der kommunalen Einrich­tungen übernommen hat.

Schule muss Wissen vermitteln – klar! Sie muss auf das Leben vorbereiten. sie muss befähigen, aber sie muss heute, in einem gemeinsamen Europa, Sprachen, Sprachen, Multikulturalität vermitteln. Sie muss die Kreativität fördern, und sie muss die Selbst­ständigkeit, das Selbstbewusstsein der Jugendlichen fördern. Sie muss zu einem mün­digen Bürger ausbilden.

Die Politik jammert doch immer über Politikverdrossenheit. Man fragt immer, wie junge Menschen in das Rädchen der Demokratie und der Mitbestimmung kommen können. Dazu muss die Schule einen wesentlichen Beitrag leisten. Damit schafft sie nämlich zwei Dinge: Sie schafft weltoffene junge Menschen, und sie immunisiert vor dem Aller­schlimmsten, was es gibt, sie immunisiert vor Rassismus und Nationalismen.

Und letztlich – und das ist eine ganz große Anforderung an das Schulsystem – geht es nicht nur um ethische Werte, um geschichtliches Bewusstsein, sondern auch um die Vermittlung sozialer Werte. Es geht darum, dass die Schule heute eine Dreifachin­tegration schafft – Integration von Handicaps, Integration verschiedener Kulturen und Integration verschiedener sozialer Ebenen.

Und da ist eben die Frage: Ist unser heutiges Schulsystem darauf vorbereitet? Schon die Ergebnisse der ersten PISA-Studie waren für Österreich eine Ohrfeige. Das, was in den nächsten Tage veröffentlich wird, scheint mir sogar einen kleinen Schockzustand für unser Bildungssystem auszulösen. Sind wir darauf wirklich vorbereitet? Wie reagiert die Schulpolitik?

Wir diskutieren über die 35-Stunden-Woche, ein Reduzieren der 35-Stunden-Woche. Aber im höheren Bildungsbereich muten wir unseren Kindern 45-Stunden-Wochen und mehr zu? Während Gewerkschaften bei so etwas längst auf die Barrikaden gegangen wären, haben wir ein Schulsystem, in dem von 40 Stunden keine Rede ist, in dem junge Menschen 45 Stunden lang arbeiten – hoch qualitativ und unter extremem Stress arbeiten müssen. Da ist eine Schwerarbeiter-Diskussion angesagt!

Und zu den Finanzkürzungen des Schulsystems: Kürzen wir nicht genau dort, wo die Schwerarbeiter und die Schwerarbeiterinnen in den Schulen, nämlich die Kinder und Jugendlichen, ein wenig die Möglichkeit haben, eigenen Interessen und auch eigenen Wünschen und Fähigkeiten nachzugehen, nämlich in den Freifächern? Haben wir nicht ein System eingeführt, angesichts dessen man eigentlich sagen muss, dass Demokratie und Mitbestimmung an den Schulen Fassade ist?

Die Zweidrittelmehrheit, der Föderalismus – all das sind Fallen, in denen unser Schul­system steckt. Wir haben uns zwar eine Zeitlang mit Schulversuchen zu retten ver­sucht – und das, was Sie, Kollege Schnider, jetzt in der Steiermark machen, ist sicher zu begrüßen; es ist wirklich großartig, und ich kann dazu nur gratulieren –, aber wir stecken in Fallen wie Zweidrittelmaterie und – heute ebenfalls schon diskutiert – Föde­ralismus.

Wir stecken aber auch in einer gesellschaftspolitischen, ideologischen Falle: Wie beim Pawlow’schen Reflex sagen die einen, hören sie Ganztagsschule, nur: Uuuiii! Ge­spenst!, die anderen sagen: Wunderbar, die gemeinsame Schule!

Ich kenne keinen einzigen Pädagogen, keine einzige Pädagogin, die nicht sagt: Diese frühe Selektion mit zehn Jahren ist absoluter Irrsinn! – Bringen Sie doch Experten, die das gutheißen, was wir hier machen, nämlich schon mit zehn Jahren zu selektieren, mit zehn Jahren eine soziale und eine Bildungsfalle aufzubauen – die letztlich dazu ge­führt hat, dass die Hauptschule in den großen Städten zu einer sozialen Falle, zu einer Schulanstalt der dritten Kategorie wird! Das ist Unsinn. Da schlagen so starke ideo­logische Verbohrtheiten durch, dass es unmöglich ist, eine Diskussion rein fachlich zu sehen und Wahlmöglichkeiten zuzulassen.

Wir bekennen uns alle zum guten öffentlichen Schulsystem Österreichs, aber auch ein öffentliches Schulsystem muss Wahlmöglichkeiten bieten, muss Alternativen bieten, Alternativen auch jenseits der Konkordatfinanzierung, also jenseits der katholischen beziehungsweise der religiösen Schulen oder der Staatsvertragsschulen wie eine inter­nationale Schule.

Es gibt Alternativen im Bildungssystem! Sie sind wichtig, sie sind auch ein Turbo für die öffentliche Schule, sie bieten Beispielhaftes. Wir weisen da nur immer wieder auf das Problem der sozialen Ausstattung der Eltern, auf das nötige Engagement der Eltern hin, und dass das in der Finanzierung, in der Unterstützung zu kurz kommt. Aber das alternative Schulsystem entlastet ja auch das Bildungsbudget! Diese Kinder und Jugendlichen nehmen das öffentliche Schulsystem ja nicht in Anspruch, stellen also gleichzeitig eine Entlastung dar. Dass es hier nicht zu einer fairen Verteilung von Mitteln kommt, ist unverständlich und wiederum vor dem Hintergrund dieses Pawlow’­schen Reflexes zu sehen.

Mein letzter Punkt betrifft diesen Krampf mit den Noten. Darüber zu diskutieren ist, als ob man sich an einem Heiligtum vergriffe. Die Beispiele, die etwa Professor Vierlinger heute genannt hat, führen doch dazu, dass es einem wie Schuppen von den Augen fällt, dass es in nahezu jedem Fach letztlich Willkür ist, wie ich etwas bewerte, wie ich etwas sehe. Und wenn ein- und dieselbe Leistung von den verschiedensten Lehrern und Lehrerinnen so gänzlich unterschiedlich bewertet werden, und wenn heute – und ich sehe das auch immer wieder in diversen Firmen – gar nicht mehr die Frage ist: Wie schauen deine Zeugnisse aus?, sondern: Was stellst du dar?, Was hast du geleistet?, und viel wichtiger ist, wie man persönlich wirkt, was man tatsächlich an Leistung erbracht hat, wo man im Leben auch Erfahrungen gemacht hat, dann muss man das in ein anderes Schulsystem einbringen!

Das muss die Herausforderung für das Bildungssystem der Zukunft sein. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Klassen voll gestopft, Finanzmittel reduziert werden und wir in einer Föderalismus- und quasi Pawlowschen Ideologiediskussion zwischen Ganztags­schule, Gesamtschule, schriftlicher Beurteilung oder Notenbeurteilung stecken bleiben. Das wäre schade, denn wir verspielen mit jedem Jahr – und mit jedem Jahr, das dazu­kommt – die Chance für eine weitere Generation.

So ein System umzustellen, die Verkrustungen aufzubrechen und Freiheiten, die du, Kollege Schnider, selbst eingefordert hast, zuzulassen, braucht nämlich auch Zeit. Es gibt viele, viele Lehrer und Lehrerinnen, Direktoren und Direktorinnen, die dazu bereit sind, die aber die Bildungspolitik mitunter nicht arbeiten lässt. Das ist schade für unsere Kinder und unsere Jugendlichen! – Danke. (Beifall.)

11.35

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Amon. Ich erteile ihm das Wort.

 


11.35

Abgeordneter Werner Amon, MBA| (ÖVP): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich hoffe, Sie sind nicht nur bei den Bundesräten, sondern auch bei den Nationalräten ähnlich tolerant, wenn es um die Redezeit geht – und bei den Experten übrigens auch –, denn es ist ein sehr breites Thema; und es ist unheimlich schwer, in 5 Minuten auf alle Facetten, die hier beschrieben worden sind, einzugehen. (Abg. Mandak: ... ExpertInnen auch noch reden!) Aber es war ein bunter Flor, der hier dargeboten worden ist: einerseits von Seiten der Wissenschaftler, ande­rerseits aber auch interessant im Hinblick auf so manche Realitätsverweigerung, die in den ersten Statements Platz gegriffen hat.

Ich möchte eingangs die Vorgangsweise im Zusammenhang mit der neuen PISA-Studie sehr heftig kritisieren. Ich halte es – und bin da nicht in der inhaltlichen Ausein­andersetzung – für einen schweren Schaden, dass man, offenbar um irgendeinen Vorteil daraus zu ziehen, eine derartige Studie vor jenem Zeitpunkt, der international vereinbart ist, der Öffentlichkeit zuspielt, weil das zwar für die Debatte ganz witzig sein mag, international aber eher peinlich ist. Und man leistet damit, glaube ich, auch dem gesamten Projekt keinen guten Dienst, letztlich ein Projekt, das es dank Elisabeth Geh­rer gibt, denn davor hatten wir eigentlich kaum internationale Vergleichsdaten. (Abg. Dr. Niederwieser: Das hat doch mit der Gehrer nichts zu tun!) Ich halte diese inter­nationalen Vergleichsdaten für sehr wichtig für die Orientierung.

Nicht nachvollziehen kann ich die Aussage von Frau Präsidentin Brandsteidl, die auf Grund der Ergebnisse, die jetzt in der Öffentlichkeit kolportiert worden sind, wörtlich gesagt hat – ich habe es mitgeschrieben –: Wir sind Durchschnitt. – So eindimensional würde ich das noch nicht einmal vorliegende Ergebnis denn auch wieder nicht sehen!

Vor allem glaube ich nicht, dass PISA das allein Seligmachende ist. Es gibt eine Fülle von internationalen Vergleichsstudien, eine Fülle von Studien, in denen wir ganz unter­schiedlich abschneiden. Es gibt etwa die Studie des World Competitiveness Report, eine Studie, die, wenn sie dargeboten wird, immer zu Gelächter insbesondere der Frau Präsidentin führt (der Redner wendet sich um zum Platz der Amtsführenden Präsiden­tin des Stadtschulrates für Wien, Dr. Brandsteidl, welche jedoch nicht anwesend ist) – die jetzt bedauerlicherweise nicht da ist –, eine Studie, in der Tausende von inter­nationalen Führungskräften 80 Staaten und Bildungssysteme miteinander verglichen haben. Es ist heute bereits einmal angesprochen worden, wir liegen darin gemeinsam mit Finnland an erster Stelle!

Das ist insbesondere deshalb interessant, weil in dieser Studie auch untersucht wor­den ist, was mit Schulabgängern passiert, wie viele von ihnen einen Arbeitsplatz finden, nachdem sie die Schule verlassen haben. Und diesbezüglich schneiden wir international schlicht und einfach am besten ab!

Meine Damen und Herren! Das Bildungssystem hat ja nicht nur die Aufgabe, Bildung im weitesten Sinne zu vermitteln, sondern auch – insbesondere wenn ich unser groß­artiges duales Ausbildungssystem oder das berufsbildende Schulwesen betrachte – die Aufgabe, die jungen Menschen auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Und was kann es für einen Bildungsverantwortlichen – und da sind viele hier im Saal angesprochen – Schöneres geben, als zu sehen, dass wir da international am besten abschneiden? Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, den man nicht außer Acht lassen sollte.

Ich unterstreiche das, was auch Sie, Frau Bundesrätin Neuwirth, gesagt haben, näm­lich dass das Bildungssystem die Aufgabe hat, soziale Unterschiede auszugleichen. Ich bin absolut der Meinung, dass es ein vorrangiges Aufgabenfeld des Bildungs­systems ist, soziale Unterschiede auszugleichen und damit Chancen zu eröffnen. Das heißt aber nicht Gleichmacherei!

Ich glaube, dass wir die ideologische Debatte in der Frage Ganztagsschule oder ganztägige Schulformen tatsächlich überwunden haben. Einen Konflikt gibt es noch in der Frage, ob wir das zwangsweise verordnen müssen oder ob es eine Wahlmög­lichkeit geben soll. Man kann eine kleine Landhauptschule nicht von vornherein um­modeln und eine Ganztagsschule daraus machen; dann nimmt man nämlich den Betroffenen die Wahlmöglichkeit.

Dagegen wehren wir uns, meine Damen und Herren, weil es keine internationale Studie gibt, die von vornherein sagt, dass die Organisationsform der Ganztagsschule bessere Ergebnisse bringt als unser Modell. Es gibt in den führenden Bildungsnationen sowohl Ganztagsschulmodelle, die hervorragend abschneiden, als auch Modelle, die mit unserem vergleichbar sind – ergo ist es nicht die Organisationsform.

Man kann aber durchaus darüber reden, denn Vielfalt ist nur in einem differenzierten System möglich. Ich kann daher Vorschläge, wie sie etwa Herr Abgeordneter Gusen­bauer präsentiert hat, nicht teilen, der der Meinung ist, dass die starre Gliederung zwi­schen berufsbildendem Schulwesen und allgemein bildendem Schulwesen aufgelöst werden soll. – Ich glaube das nicht. Ich glaube, dass die berufsbildenden Schulen eine einzigartige Erfolgsgeschichte darstellen.

Letzter Punkt, Herr Präsident: Ausbildungssysteme sind dann erfolgreich – und das zeigen eigentlich alle Studien –, wenn wir ein gutes Schulklima und wenn wir motivierte und exzellent ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer haben. Ich meine, dass wir als Bildungspolitiker alles daransetzen müssen, um den Lehrerinnen und Lehrern, die im Übrigen eine hervorragende, eine großartige Arbeit an unseren Schulen leisten, nicht die Motivation zu nehmen. Die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung, wie sie von Elisabeth Gehrer im Hinblick auf die Umwandlung der Pädagogischen Akademien in Richtung Hochschulen für pädagogische Berufe vorgesehen ist, ist ein wesentlicher Schritt.

Ich schließe mit Karl Jaspers, der gesagt hat: „Es ist das Schicksal eines Volkes, welche Lehrer es hervorbringt und wie es seine Lehrer achtet.“

In diesem Sinne sollten wir die Lehrerinnen und Lehrer sehr achten, ihnen Zuspruch geben, sie motivieren, für ein gutes Schulklima sorgen und ideologische Berge über­winden in dem Sinne, dass wir auf die unterschiedlichen Neigungen, Interessen und Begabungen junger Menschen eine Antwort geben, sie dort abholen, wo sie stehen, und nicht versuchen, sie gleich zu machen. Die Unterschiede, die das Menschsein eben an sich hat, sollten wir respektieren. (Beifall.)

11.43

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Niederwieser. – Bitte.

 


11.43

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser| (SPÖ): Herr Präsident! Frau Präsidentinnen! Geschätzte Damen und Herren! Wir werden wohl tun können, was wir wollen, die Ver­öffentlichung der PisA-Studie steht uns bevor. Professor Haider hat es bereits ange­sprochen.

Ich denke, als Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker sollten wir uns eigentlich freuen, denn bei der ersten PISA-Studie im Jahr 2000 hat man vielen erst erklären müssen, worum es dabei eigentlich geht: ein Projekt, das schon relativ lange läuft, schon einige Vorlaufzeiten hat; europäische Länder, OECD-Länder schließen sich zu­sammen, um Vergleichswerte im Schulbereich zu erarbeiten.

Diesmal ist es ganz anders, nahezu wie bei einer Olympiade: Eine Bildungsstudie wird erwartet, und die Medien fiebern schon Wochen vorher den darin enthaltenen Ergeb­nissen entgegen. – Und das passt uns jetzt auch wieder nicht. Ich denke, wir leben in einer Mediengesellschaft und sollten uns eigentlich freuen darüber, dass an bildungs­politischen Themen und vor allem auch an dieser Studie ein so hohes Interesse be­steht.

Ob uns dieses Medieninteresse jetzt passt oder nicht, es fängt an – und das scheint mir das Wichtigste zu sein – mit einer Überschrift in einer an sich seriösen Zeitung wie den „Salzburger Nachrichten“: „Rückfall im PisA-Ranking“. Jetzt frage ich einmal diese Runde hier: Wie viele Österreicherinnen und Österreicher werden diese Überschrift überhaupt verstehen? „Rückfall im PisA-Ranking“ – werden das 50 Prozent verstehen oder 20 Prozent oder 100 Prozent? Sicher ist, dass es 15 bis 20 Prozent gibt, die das buchstabieren, aber mit Sicherheit nicht lesen können, was da drinsteht, und auch gar nicht verstehen können, was da drinsteht. Mir persönlich reicht Pisa 2000. Ich brauche keine neue Studie, die besagt, dass die Situation noch etwas schlechter geworden ist. Pisa 2000 war schon schlimm genug!

Es ist unsere Aufgabe auch als Politiker, Kollege Schnider – so wie du das ja auch in einem Buch getan hast –, Antworten zu geben auf die Probleme und nicht neuerlich Fragen und immer wieder Fragen zu stellen. Professor Vierlingers Studien, was die Noten anlangt, hat es schon Mitte der siebziger Jahre gegeben, und es gab in diesem Zusammenhang Arbeiten von Professor Weiss und wie sie alle geheißen haben. Auch die Politik hat immer wieder gefragt und gefragt und gefragt, aber seither hat sich an der Ziffernbeurteilung nichts geändert.

Natürlich gehört das dringend verändert. Und natürlich hat die Zukunftskommission ein Recht darauf, auf ihre Fragen Antworten zu bekommen, auf ihre Vorschläge Antworten zu bekommen. Diesen Konsens sehe ich sehr wohl. Wir sollten versuchen, die ein­zelnen Punkte aus dem Schlussbericht – wie viele es auch immer sein werden –, aufzugreifen, und wir sollten dann gemeinsam darüber beraten: Okay, über diese zehn Punkte können wir uns verständigen, so wollen wir sie umsetzen, und bei einer Reihe von anderen gibt es vielleicht Differenzen.

Mit Sicherheit aber sollten wir uns darauf verständigen, dass es wichtig ist, dass Kinder, wenn sie in die Schule kommen, über entsprechende sprachliche Fähigkeiten und Kommunikationsfähigkeiten verfügen, um dem Unterricht folgen zu können. Alles andere ist völliger Unsinn, weil man niemandem damit hilft, weder dem Kind noch den Lehrerinnen und Lehrern.

Das heißt, dieses Projekt, das Sie ja auch sehr deutlich beschrieben haben, dieser Vorschlag, bereits ein Jahr vor Schuleintritt den Kindern und Eltern – wenn nötig – sprachlichen Förderunterricht anzubieten, damit Fehlendes aufgeholt werden kann, ist ganz entscheidend. Das ist auch entscheidend angesichts der neuesten For­schungsergebnisse aus der Gehirnforschung, die belegen, dass genau in diesem Alter oder sogar noch etwas früher Sprachen sehr leicht erlernt werden können; später, mit 15 oder gar mit 30, ist das schon viel schwieriger.

Ich denke, es braucht endlich Entscheidungen. Wie viele Daten wollen wir denn noch? Das Österreichische Institut für Familienforschung, die Arbeiterkammer, die PisA-Studie, Professor Haider, Professor Vierlinger, Frau Präsidentin Brandsteidl – X Stu­dien, die besagen: Unser österreichisches Bildungssystem ist, was den Abbau von Ungleichheiten auf Grund sozialer Herkunft anlangt, nicht gut. Es fördert die Unter­schiede, die auf Grund der sozialen Herkunft bestehen, anstatt sie zu mildern. Haupt­grund dafür ist – für jeden Fachmann/jede Fachfrau absolut verständlich – die frühe Trennung, bereits mit dem zehnten Lebensjahr, in drei verschiedene Organisations­formen.

Wir sind uns ja darüber, dass Schulqualität etwas Wichtiges ist, sehr wohl einig, und ich habe auch nichts dagegen beziehungsweise ich bin sehr dafür, wir sind sehr dafür, dass die Führungskräfte im Schulbereich gefördert, dass sie eine eigene Akademie be­kommen. Aber das Problem der Ungleichheit unseres Bildungssystems werden wir damit nicht beseitigen können. Und dem müssen wir uns letztlich stellen, so wie sich auch in Holland vor etwa zehn Jahren alle Parteien diesem Thema gestellt und ver­sucht haben, das tatsächlich gemeinsam zu lösen.

Das wäre uns ein Anliegen – neben vielen anderen Dingen, die heute noch zu sagen wären, aber: Wenn viele reden wollen, kann der Einzelne nur 5 Minuten lang reden, und so soll es auch sein. – Ich danke jedenfalls den Antragstellern für diese Initiative. (Beifall.)

11.49

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als nächste Rednerin zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Rossmann. – Bitte.

 


11.49

Abgeordnete Mares Rossmann| (Freiheitliche): Herr Vizepräsident des Bundesrates! Verehrte Präsidentinnen des Landesschulrates und Präsidenten! Herr Professor Hai­der! Wir Abgeordneten zum Nationalrat begrüßen natürlich die Abhaltung dieser En­quete, selbstverständlich, ich möchte aber auch festhalten, dass wir sie eigentlich nur als Ergänzung sehen zum gesamten Diskussionsprozess – der mittlerweile länger als ein Jahr andauert – zum Thema: Zukunft Schule und Bildungsplan 2010.

Ich bin auch anderer Meinung als Kollege Schnider, der gemeint hat, dass Herr Profes­sor Haider hier das Hauptreferat gehalten hat. Herr Professor Haider, Sie werden mir verzeihen, aber wir haben erstmals die Möglichkeit, in diesen Räumlichkeiten auch hochkarätige Präsidentinnen und Präsidenten zu hören, und ich muss sagen, ich sehe das als durchaus gleichwertig, sowohl von der Redezeit als selbstverständlich auch vom Inhalt her.

Wir Freiheitlichen haben in den letzten Monaten und auch im abgelaufenen Jahr viele Positionen öffentlich bezogen und an vielen Diskussionen teilgenommen, und ich möchte auch hier ergänzend und vielleicht teilweise parallel zu den Ausführungen der Präsidentinnen und der Experten einige Positionen deponieren.

Ich habe dem Referat von Herrn Professor Vierlinger sehr aufmerksam zugehört. Herr Professor, Ihre Ausführungen würden beinahe dazu verleiten, ein alternatives Noten­system zu erarbeiten. Wir haben jedoch aus vielen Diskussionen, auch in den eigenen Reihen, auch mit vielen Fachleuten, die Erkenntnis gezogen, dass wir Noten brauchen. Bestätigt darin werden wir einmal mehr auch durch Umfragen und Studien, bei denen Schüler und Eltern sehr wohl Noten verlangen. Die Schüler wollen die Vergleichbar­keit.

Aber ich kann mir durchaus vorstellen – und da bin ich bei Ihnen –, dass man in gewis­sen Gegenständen, in denen eine Beurteilung mittels Noten nur sehr schwierig ist, dazu übergeht, die Leistungen verbal zu beurteilen. Ich denke da etwa an Zeichnen, an Musik. Mir hat man zum Beispiel das Zeichnen durch Notengebung abgewöhnt. Ich hatte einmal in einem Trimesterzeugnis – damals hat es noch Trimester gegeben – eine Mahnung, „4 E“, in Zeichnen, weil mein bildnerisches Talent nicht den Erwartun­gen des Lehrers entsprochen hat. Ich weiß bis heute nicht: Kann ich zeichnen oder kann ich es nicht?

Ich kann in gewissen – vor allem musischen – Bereichen, in Zeichnen etwa, den Vor­schlägen, die Noten durch eine verbale Beurteilung zu ersetzen, durchaus etwas abge­winnen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass etwa im Unterrichtsfach Deutsch eine Notenbeurteilung nicht immer einfach ist. Ich kann mir zum Beispiel eine Notenbeur­teilung dort vorstellen, wo es um eindeutige Rechtschreibfehler geht. Ein Notensystem ist aus unserer Sicht auf alle Fälle notwendig – in Verbindung mit verbaler Beurtei­lung; das ist durchaus diskussionswürdig.

Ein weiterer Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist natürlich die seit langem ge­führte Debatte um die Ganztagsschule. Kollege Amon hat es schon angesprochen, und auch ich denke, da wird oft das eine oder andere vermischt. Was wir uns unter Ganztagsschule vorstellen, ist ein Schulsystem mit Nachmittagsbetreuung. Das heißt: normaler Schulbetrieb plus zusätzliche freiwillige Nachmittagsbetreuung.

Wir sind zum jetzigen Zeitpunkt strikt gegen ein Schulsystem, das die Schüler den gan­zen Tag lang in eine Schule zwingt. Ich denke, die Entwicklung eines jungen Men­schen, vor allem im Volksschulalter, ja im Pflichtschulalter überhaupt, ist eng mit dem Elternhaus verbunden. Frau Präsidentin Egger hat das auch angesprochen: Eltern und Schüler – ein Miteinander mit den Lehrern. Wenn man die Kinder verpflichtet, sie nur mehr in die Schule „steckt“ – unter Anführungszeichen –, bleibt viel Erzieherisches, bleibt die sprichwörtliche Nestwärme, die die Kinder brauchen, auf der Strecke. Freiwil­ligkeit ja – dann ist man flexibel, ist man als Mutter flexibel, ist man flexibel hinsichtlich der Arbeitszeit, ist man flexibel auch hinsichtlich der Ressourcen, der Möglichkeiten, die man privat hat, auch hinsichtlich der eigenen Eltern und des Ehepartners selbstver­ständlich –, aber niemals verpflichtende Ganztagsschule!

Drei Felder möchte ich noch konkret ansprechen. Ein wichtiger Bereich ist uns die gesamte Frühförderung. Herr Professor Haider hat es in vielen Referaten und auch in St. Johann wirklich plausibel erklärt, wie wichtig die Frühförderung ist. Ich sage, die Frühförderung ist auch einmal mehr wichtig, wenn es darum geht, wirkliche Integration Kinder nichtdeutscher Muttersprache vorzunehmen. Da sind wir mit Herrn DDr. Nieder­wieser durchaus einer Meinung, nur kommt er ein bisschen spät drauf. Wir Freiheit­lichen waren schon vor über zehn Jahren jene Partei, die im damaligen Volksbegehren „Österreich zuerst“ gesagt hat: Mehr als ein Drittel Kinder nichtdeutscher Mutter­sprache pro Klasse ist zu viel! Die Integration kann nur dann funktionieren, wenn die Kinder in die Schule kommen und die Unterrichtssprache beherrschen.

Die Sozialdemokratie kommt jetzt drauf, natürlich auch auf Grund des mittlerweile dramatischen Bildes, das die Stadt Wien im gesamten Integrationsprozess bietet, der allein mit der bilingualen Förderung nicht vollzogen werden kann.

Deshalb sagen wir, vor Eintritt in die Volksschule muss es die Möglichkeit geben, die Unterrichtssprache zu erlernen. Man wird darüber nachdenken müssen, ob man diese Bildungsstandards nicht schon einige Zeit, bevor die Kinder eingeschult werden, an­bietet, um eben die Unterrichtssprache abzutesten und die Kinder, wenn nötig, ganz gezielt zu schulen, damit sie, wenn sie in die erste Klasse Volksschule kommen, sehr wohl die Unterrichtssprache beherrschen und dem Unterricht folgen können. Ich meine, alles andere, auch die Leseschwäche, wird sich dann erübrigen.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist uns auch die Aufwertung der Hauptschule, da es ja auch um die bestmögliche Ausbildung von Facharbeitern geht. Die Bildungs­standards am Ende der Volksschule werden es zeigen. Wir haben auch das beratende Gespräch in das Gesetz mit aufgenommen – auf unsere Initiative hin –, nämlich Bera­tung dann, wenn es darum geht, den weiteren Bildungsweg zu überlegen.

Abschließend ein Appell an die Opposition: Wir brauchen hier über irgendwelche Re­formen im Schulbereich überhaupt nicht weiter zu diskutieren, wenn die Opposition, vor allem die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokratie, im Bereich des Konvents und einer neuen Verfassung weiterhin so restriktiv ist und auf die Bremse steigt, wenn es darum geht, die Zweidrittelmehrheiten im Schulbereich aufzuheben! (Bundesrat Todt: Dann schaffen Sie einfach nicht die Demokratie ab!) Sie waren diejenigen, die über Jahrzehnte Schulgesetze als Missbrauch in der Verfassung verankert haben; sogar Professor Korinek hat es so genannt.

Deshalb bitte ich Sie nochmals: Wenn wir über eine Erneuerung der Schule reden wollen, brauchen wir ein Abgehen von den Zweidrittelmehrheiten, damit die erfor­derlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen möglich sind.

Ganz zum Schluss noch eine Frage an Frau Präsidentin Dr. Egger. Sie haben in Ihren Ausführungen über zusätzliche Ressourcen für Lehrer gesprochen. – Das ist etwas durchaus Ungewöhnliches. Könnten Sie vielleicht – ich glaube, das würde das Audito­rium interessieren – ein bisschen näher ausführen, was Sie darunter verstehen? – Danke vielmals. (Beifall.)

11.57

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als nächster Redner zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Brosz. – Bitte.

 


11.57

Abgeordneter Dieter Brosz| (Grüne): Herr Vizepräsident des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte bei Herrn Kollegen Schnider anschließen – so von Bundesrat zu Nationalrat oder umgekehrt –, der den positiven Aspekt des heutigen Tages hervorgehoben und auch angesprochen hat, welch positive Elemente Bun­desministerin Gehrer in Richtung Diskussionsbereitschaft eingebracht hat. Da kann man einige Dinge durchaus positiv hervorstreichen, zum Beispiel die Einsetzung der Zukunftskommission. Das wird von uns absolut befürwortet, denn das ist etwas, was auch wir schon länger vorgeschlagen haben. Aber egal, wer sich die Blume dafür ansteckt, dass es zur Einsetzung einer solchen Kommission kommt, die Frage ist: Mit welcher Intention und in welcher Form setzt man diese Zukunftskommission ein?

Herr Dr. Haider, der nach wie vor Kritik übt, wenn er es für nötig erachtet – was ich für sehr positiv halte, weil man ja durchaus in die Lage kommen kann, sich auch verein­nahmen zu lassen; das funktioniert ja nach wie vor ganz gut –, kann sich, wenn er den Auftrag bekommt, schon alles anschauen, aber Organisationsfragen im Schulsystem sind nicht Aufgaben der Zukunftskommission. Wenn man das auf Basis der PISA-Er­gebnisse betrachtet, kann man die Einsetzung zwar befürworten, die Umsetzung aller­dings durchaus auch in Frage stellen.

Oder: Wenn relativ breit eingeladen wird zu einem Zwischenschritt – St. Johann meine ich jetzt – bei der Zukunftskommission und 300 Experten aus Österreich, auch die Bil­dungspolitiker der Oppositionsparteien sowie sehr viele Personen aus dem Schulsys­tem eingeladen werden, und wenn es dann dort so etwas wie einen offenen Prozess gibt, den man vorstellt beziehungsweise so tut, als gäbe es ihn, wo 300 Menschen ihre schriftlichen Anmerkungen zu dem bisherigen Prozess abgeben können und wo zuge­sagt wird, dass das berücksichtigt wird, erkennt man, wenn  man am nächsten Tag in der Früh wieder zum Kongress kommt und die Ministerin das Memorandum aus unge­fähr 2 000 Seiten Papier präsentiert, nämlich die Ergebnisse dessen, was am Vortag erarbeitet worden ist, auf welche Art und Weise versucht wird, Menschen zu verein­nahmen. Mir geht es darum, dass es ein offener Prozess sein sollte, der in vielen Bereichen aber leider nicht stattfindet.

Herr Dr. Haider hat von Anfang an, seit es diese Zukunftskommission gibt, immer wie­der gesagt, all die Vorschläge seien ein Gesamtkonzept, und aus diesem Gesamtkon­zept solle man nicht einzelne Dinge herausnehmen, weil es eben nur funktionieren kann, wenn man es als Gesamtkonzept sieht.

Jetzt frage ich Sie ganz offen: Welche Teile dieses Gesamtkonzepts sind denn berück­sichtigt worden? Worum geht es denn? Worüber diskutieren wir im Moment? Es ging darin zum Beispiel um die ganztägigen Schulen. (Bundesrat Dr. Schnider: Der End­bericht kommt aber erst!) Der Endbericht kommt, aber es gab ja einen Vorschlag, zu dem damals gesagt worden ist, es handle sich um ein Gesamtkonzept.

Da waren die ganztägigen Schulen zum Beispiel drinnen, aber auch die Frage der Klassenwiederholungen, die in Österreich ein Ausmaß angenommen haben, das es in kaum einem anderen Land gibt und bezüglich dessen die Frage berechtigt sein muss, ob das ein effizientes System ist. Weiters war die Frage der Bildungsstandards drin­nen – bei Ihnen waren, glaube ich, Bildungsstandards beschrieben, wenn ich es richtig im Ohr habe –, aber wenn ich mir dann anschaue, was übernommen wurde, muss ich sagen: Es gibt einen Punkt, der übernommen wurde, und das sind die Bildungsstan­dards. Alles andere von diesem Konzept gibt es nicht, wird, aus meiner Sicht zu­mindest, vom Ministerium – nicht von Ihnen, aber vom Ministerium – in keiner Weise verfolgt.

Da stellt man sich schon die Frage: Was wird denn da simuliert? Ein offener Prozess? Und was geschieht in der Realität? – Meine Analyse ist: Es wird das herausgenom­men, wovon man glaubt, sich ideologisch wiederzufinden. Ich zumindest – es gibt noch keine klaren Vorstellungen über diese Bildungsstandards – kann mir in einem gewis­sen Konzept durchaus vorstellen, dass die Bildungsstandards die Qualität wirklich verbessern, wenn sie nicht als Selektionsinstrument verwendet werden.

Nur ein kleiner Hinweis: Wir haben damals die ominösen schwarz-grünen Regierungs­verhandlungen geführt – an diesen Teil kann ich mich noch gut erinnern – und haben mit der Frau Bildungsministerin die Einigung erzielt, dass man das nicht „Leistungs­standards“ nennen sollte. „Bildungsstandards“ ist ein sinnvollerer Begriff dafür, weil er etwas anderes ausdrückt. (Vizepräsident Mag. Pehm übernimmt den Vorsitz.)

Und weil Sie nicken, Herr Kollege Schnider: Ich lade Sie ein, Seite 23 des Regierungs­übereinkommens nachzulesen. Lesen Sie nach, was drinsteht: Erarbeitung von Leis­tungsstandards nicht von Bildungsstandards. Ich freue mich zwar, dass Sie das mittlerweile übernommen haben und auch von Bildungsstandards schreiben, aber die Befürchtung, dass es bei diesen Standards darum geht, selektive Elemente einzuzie­hen, ist nur allzu berechtigt, wenn man sich allein die Sprache anschaut.

Über Bildungsstandards kann man bei einem Konzept mit Qualitätssicherung, mit Auto­nomie – da gehören sie nämlich dazu – sicherlich reden, aber es muss ein gewisses Konzept verfolgt werden. Wenn es allerdings um die Frage von Rankings geht, bin ich eher skeptisch, ob das die Qualität verbessert oder nicht doch dazu führt, dass dieses Auseinanderdriften der Schulen, das in Österreich ohnehin schon sehr ausgeprägt ist, noch verstärkt wird.

Zu PISA. – Kollege Amon, vielleicht richten Sie der Frau Ministerin, die im Budgetaus­schuss des Parlamentes schon vorgebaut und erklärt hat, dass die Methodik vielleicht nicht ganz okay sei, aus: Das letzte Mal, als wir – nach ihrer Diktion – Weltklasse waren, war die Methodik okay. Und jetzt soll sie nicht mehr stimmen?!

Ich habe eine Graphik mitgebracht, die nicht uninteressant ist. (Der Redner zeigt Gra­phiken und weist jeweils auf die entsprechende Darstellung hin.) Da steht „OECD“ drauf, ist also nicht von den Grünen, und für die Experten ist das durchaus nachvoll­ziehbar. Was zeigt diese Graphik der OECD? – Es geht um die Frage, wodurch sich die Unterschiede in den Leistungen der SchülerInnen erklären lassen.

Da gibt es zwei Erklärungsmuster, nämlich dass es größere Leistungsunterschiede in den Schulen gibt, also klassische Systeme wie Gesamtschulen, in die einfach alle gehen und wo die Leistungen relativ weit auseinander gehen, und bei der anderen Kategorie – bei null ist ein Strich – wird die Varianz mit der institutionellen Struktur erklärt, wie hier steht. – Wir haben immer gehört, die Schulstruktur spiele keine Rolle.

Die Länder auf der rechten Seite sind jene Länder, in denen die Erklärung viel eher in den Schulen selbst liegt, also große Unterschiede innerhalb der Schulen, sehr geringe Unterschiede zwischen den Schulen. – Das sind die anderen Länder.

Das, was ich markiert habe, sind jene neun Länder, die besser als Österreich abge­schnitten haben. Alle neun Länder haben eine Schulstruktur, bei der sich die Unter­schiede wesentlich stärker aus den Schulen erklären, also große Unterschiede inner­halb der Schulen, und wo die Struktur der Schulen einen geringen Einfluss hat.

Österreich ist hier markiert. Österreich ist das beste Land jener Länder, die eine sehr selektive Schulstruktur haben.

Wenn man sich die Studie anschaut, nur einen Blick darauf wirft, kann man sagen: Wer sehen will, kann sehen! Und wenn dann gesagt wird, die Schulorganisation habe keinen Einfluss, muss ich sagen: Da wäre wirklich Diskussionsbereitschaft dringend nötig! – Wie gesagt, diese Graphik ist nicht von uns, sondern von der OECD.

Abschließend: Bei der letzten PISA-Studie sind 18 Prozent am untersten Ende des Rankings gelegen. Es ist leider in den letzten drei Jahren nichts geschehen, es hat keine Maßnahmen gegeben, die genau dort angesetzt hätten. Es gab keine Förderpro­gramme, keine institutionalisierten Programme, um diese Zielgruppe wirklich aus die­sem Bereich extremer Leseschwierigkeiten herauszubringen. Das wird dauern, das geht nicht von einem Jahr auf das andere, aber dort gilt es anzusetzen. – Danke. (Beifall.)

12.04

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Mag. Dr. Tomaschitz. – Bitte.

 


12.04

Mag. Dr. Markus Tomaschitz, MBA| (FH Joanneum Graz): Sehr geehrter Herr Prä­sident! Meine Damen und Herren! Als Experte, der aus dem Fachhochschulsektor kommt, möchte ich ein wenig die Brücke spannen zu dem, was von Schulen kommt, an Fachhochschulen geht, und darf mich ganz kurz auf diesen Bereich konzentrieren.

Was wir in den letzten Jahren sehen – die Fachhochschulen feiern in Kürze ihr zehn­jähriges Bestehen –, ist, dass wir in diesen Jahren zum Unterschied von Universitäten Aufnahmeverfahren machen können und dadurch ein recht gutes Bild über das Leistungsspektrum der Absolventen von AHS, BHS und anderen Schulsystemen, die zur Berechtigung eines Studiums an einer Fachhochschule führen, haben.

Es zeigt sich in den letzten zehn Jahren, dass es im Wesentlichen keine Differenzie­rungen gibt, dass also die Ergebnisse der Aufnahmeverfahren weder schlechter noch besser werden über die Generationen. Es gibt vielleicht da oder dort einen Jahrgang, der in einem Bereich ein bisschen schlechter oder besser ist, aber über die letzten zehn Jahre ist es im Wesentlichen konstant.

Wo tatsächlich Qualifikationen schlechter werden, das ist im Bereich der Naturwis­senschaften. Hier kann ich folgendes Ergebnis einbringen: Bei Beliebtheitsabfragen von Schülern an Schulen, welche Fächer beliebt sind, stehen nicht so sehr Latein und Mathematik an den hinteren Stellen, sondern belegen eigentlich naturwissenschaftliche Fächer schon seit Jahren eher untere Ränge, also Biologie, Chemie und Physik, was sich auch darin äußert, dass die Zugänge zu Studien und Fachhochschulen, gerade was Technik und Naturwissenschaften betrifft, in den letzten Jahren abgenommen haben, weshalb aus unserer Sicht – auch im Vergleich und in der Diskussion mit anderen Fachhochschulträgern ist das feststellbar – in der Frage der Lehrerausbildung einiges zu beantworten wäre.

Erfreulich ist, dass Studiengangsleiter, Kollegen von anderen Fachhochschulen ein im Wesentlichen positives Bild zeichnen, was die Schlüsselqualifikationen der Eintre­tenden betrifft, dass da also in den letzten Jahren im Schulbereich einiges Positives geschehen ist.

Ich möchte nun aber den Konnex zu einem Punkt spannen, wo man sich in der Rolle des Experten dadurch definiert, dass man fragt: Was kann ich in die Diskussion ein­bringen?

Ich möchte gerne die europäische Sichtweise hier mit einbringen. Es geht im We­sentlichen darum, dass wir uns eigentlich im tertiären Bildungsbereich und damit, wenn Sie wollen, auch in allen anderen Bereichen der Bildung in einer Art Revolution befin­den, dass wir uns von einem klassischen Diplomstudium, Diplomingenieur, Magister, verabschieden und in den nächsten Jahren, laut Bologna-Erklärung zumindest bis 2010, sämtliche Studiengänge auf Bachelor- und Master-System umzustellen haben.

Voraussetzung dafür ist dann, dass im Bakkalaureat die Berufsfähigkeit in grundlegen­den Bereichen auf wissenschaftlicher Basis, akademisch unterlegt, sicherzustellen ist. Das wird natürlich wieder dazu führen, dass sich die Anforderungen an die Schulen, an Schulausbildungen in AHS und BHS ändern werden und dass das Magisterium dann verstärkt einen wissenschaftlichen Bereich hat.

Das bedeutet für mich, dass sich die Herausforderungen an ein Bildungswesen auf den qualitativen Bereich der inhaltlichen, personellen und sozialen Aspekte der Bildung verlagern werden und auch die Fähigkeit zum lebensbegleitenden Lernen mit ein­schließen.

Nichtsdestotrotz ist der Grad der Bildungsbeteiligung nach der Pflichtschule von 80 Prozent auf 98 Prozent gestiegen. Die Fachhochschulen tragen ihren Beitrag dazu bei, weil nicht wenige, die aus dem klassischen Modell der dualen Ausbildung, der Lehre kommen, dann ein Studium an der Fachhochschule beginnen.

Weiters wird es wahrscheinlich auch notwendig sein, sich im Zusammenhang mit der Europäisierung und Internationalisierung der Bologna-Erklärung auch die Frage zu stellen: Wie kann man nun im Sinne und im Selbstverständnis eines ganzheitlich sys­temischen Bildungsverständnisses an den Schnittstellen arbeiten? – Dazu sind alle aufgefordert, wir von Seiten der Fachhochschulen in Richtung der Schulen, gerade was die Fragestellung betrifft: Wie können wir mit der Durchlässigkeit der Lebens- und Lernzeit junger Menschen besser umgehen? – Ich glaube, da sind wir alle gefordert, weil wir natürlich wollen, dass diese sinnvoll eingesetzt wird, dass aber auf der anderen Seite auch ein wesentlicher Teil der heutigen Lernzeit in den Bereich des so genannten lebensbegleitenden Lernens verlagert werden soll.

Aus der Sicht der Fachhochschulen – wie Sie wissen, eine Erfolgsstory des österrei­chischen Bildungswesens in den letzten zehn Jahren! – kann daher ein durchaus positives Bild gezeichnet werden, vor allem von jenen Absolventen und Beteiligten, die vom Bildungssystem heraus kommen. Dass es da oder dort Verbesserungen geben könnte, ist uns wohl bewusst, sie wurden angesprochen und betreffen vor allem den technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

12.08

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Grubich-Müller. – Bitte.

 


12.09

Regina Grubich-Müller| (Zentralverein der Wiener Lehrschaft): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Leiterin des Referates für Schulver­suche und Schulentwicklung im Stadtschulrat für Wien hat es heute für mich sehr, sehr spannende Zugänge in den Referaten, die eingangs gehalten wurden, gegeben.

Ich freue mich, dass heterogene Lerngruppen ein Thema sind. Ich freue mich, dass die gemeinsame Schule ein Thema ist und dass man Differenzierung und Individualisie­rung als Grundsatz sieht.

Mich würde aber auch der Themenbereich Altersstruktur der LehrerInnen sehr interes­sieren. Mich würde auch sehr interessieren Begabungsförderung und Noten als Mess­instrument oder die Sprengung dieser Noten als – Sie haben es, glaube ich, so ge­nannt – systemsprengende Alternative.

Würde ich mich all dieser Themenbereiche annehmen, die mich da interessieren, dann bräuchte ich nicht 5 Minuten, sondern würde wahrscheinlich 500 überziehen. Daher habe ich mich für einen bestimmten Bereich entschieden, den auch die Frau Präsiden­tin angesprochen hat, nämlich den Themenbereich: MigrantInnen – Frühförderung und sprachliche Benachteiligungen.

Ich habe dieses Thema auch deswegen gewählt, weil man heute in der Zeitung „Die Presse“ unter dem Titel „Gegen Sozialromantik“ Folgendes lesen kann:

„Die ÖVP Wien fordert für nicht deutschsprachige Kinder einen verpflichtenden Sprach­unterricht vor Schuleintritt. Dieser kann entweder aus Sprachkursen oder aus sprach­licher Förderung in einem Kindergarten bestehen.“

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie meiner Phantasie und auch Ihrer freien Lauf, wenn Sie sich überlegen, wie 5-jährige Kinder einen Sprachkurs absolvieren. Mir fällt dazu einiges ein, es zeichnen sich da einige Szenarien ab. Dem Vorschlag, dass es das Ziel des Kindergartens sein soll, dass die Kinder die deutsche Sprache erler­nen, kann ich auch nicht ganz zustimmen, denn ich denke mir, im Kindergarten lernt man etwas ganz anderes als nur die deutsche Sprache. (Bundesrätin Roth-Halvax: Das ist aber schon möglich! Es gibt genug Modelle, dass das möglich ist!)

Ich möchte auch nicht sozialromantisch werden, und schon gar nicht möchte ich mich für Bildungsstandards vor dem Eintritt in die Grundschule aussprechen. Wenn man endlich wirklich – so wie es die Frau Präsidentin gesagt hat – die österreichische Schule europäischen Standards angleichen möchte, dann könnte ich mir vorstellen, dass man auch das Thema Schulpflicht behandeln müsste. Es wäre, wie ich meine, eine Überlegung wert, ob man sich nicht Gedanken darüber machen sollte, ob Kinder nicht vielleicht ein Jahr früher, nämlich vor dem sechsten Lebensjahr, in eine Bildungs­einrichtung gehen und dort gemeinsam mit GrundschullehrerInnen und Kleinkind­pädagogInnen mehr als nur die deutsche Sprache erlernen sollten, nämlich allgemeine Sprachkompetenzen, ja Kompetenzen generell.

Ich war fünf Jahre Schulleiterin und weiß, dass nicht nur, so wie es in diesem Artikel steht, Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache Defizite beim Schuleintritt haben. Und ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass in einer guten Kooperation und dann in einem fließenden Übergang zwischen dieser vorschulischen Einrichtung und der Grundschule wirklich etwas getan werden könnte, damit dann alle Kinder mit diesen Schlüsselquali­fikationen ausgestattet, die auch immer angesprochen werden, in die Schule eintreten können. – Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.13

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Hofrat Mag. Grillmayer. – Bitte.

 


12.13

Hofrat Mag. Dieter Grillmayer| (Obmann des Freiheitlichen Lehrerverbandes): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst möchte ich ein grundsätzliches Bekenntnis zur Schulautonomie deponieren, weil diese den Gestal­tungsspielraum an den einzelnen Schulstandorten erweitert, was zu mehr Motivation und zu mehr Qualität beitragen kann. Unbeschadet dessen bleiben dem Staat aber Aufgaben vorbehalten, die er nicht auf untere Ebenen delegieren darf. Das sind erstens die Zielvorgaben für die einzelnen Schularten, zweitens die Finanzierung und drittens die Erfolgskontrolle. Letzteres schuldet er allein schon dem Steuerzahler, der ein Recht darauf hat, dass der Staat darauf schaut, dass sein Geld effizient eingesetzt wird.

Bei den Punkten eins und zwei, Zielvorgaben und Finanzierung, bewegen wir uns mei­ner Meinung nach derzeit im Grenzbereich, bei Punkt drei orte ich dringenden Hand­lungsbedarf.

Einige der im Papier der Zukunftskommission vorgeschlagenen Maßnahmen scheinen in diesem Zusammenhang zielführend zu sein.

Da ist zunächst einmal das Festlegen von Bildungsstandards und das Abtesten dersel­ben jeweils am Ende der 4., 8., 12. beziehungsweise 13. Schulstufe. Das ist insofern notwendig, als der Kernbereich, also die Mindesterfordernisse, in den neuen Lehrplä­nen viel zu schwammig definiert sind, was von unserer Seite schon seinerzeit kritisiert worden ist.

Hinsichtlich der Finanzierung des Schulsystems ist zu sagen, dass nach dem eher großzügigen Umgang mit dem Geld der Steuerzahler in den siebziger Jahren und zum Teil auch noch in den achtziger Jahren nun der Sparstift bereits zu Lasten der Qualität regiert.

Ich war schon vor 30 Jahren Administrator und weiß daher, wie großzügig Werteinhei­ten damals verteilt und verbraucht worden sind, bevor eine Kontingentierung erfolgte. Auch die stetige Verschärfung dieser Richtlinien, wie ich sie in den 18 Jahren meiner Tätigkeit als AHS-Direktor erlebt habe, war bei sorgfältiger Planung ohne Qualitätsver­lust verkraftbar, nicht jedoch, so meine ich, die überfallsartige Kürzung von Unterrichts­stunden im Pflichtbereich, wie sie im Vorjahr erfolgt ist.

Die Erfolgskontrolle über den traditionellen Beitrag der Schulaufsicht hinaus ist ein unverzichtbares Seitenstück zur Schulautonomie. Da ist jedoch abgesehen von Auffor­derungen und Handreichungen zur Selbstevaluation der Schulen und der Lehrer bisher praktisch nichts geschehen.

Im Papier der Zukunftskommission finden sich endlich Vorschläge, wie ein zentral be­stimmter Bestandteil der Matura sowie überregionale Inspektorate, wie von mir schon vor vielen Jahren in der seinerzeitigen Schulreformkommission des Unterrichtsministe­riums zur Diskussion gestellt und damals von den anderen Fraktionen heftig abgelehnt. Wir würden uns eine rasche Umsetzung dieser Vorschläge wünschen.

Wo es aus unserer Sicht derzeit an Autonomie fehlt, das ist im Bereich des Schulunter­richtsgesetzes und der entsprechenden Verordnungen. Die schulinterne Erziehungs- und Unterrichtskultur ist für ein eigenständiges Erscheinungsbild einer Schule min­destens ebenso wichtig wie autonome Freiräume beim Lehrangebot. Ängste, wie sie vor einiger Zeit im Zusammenhang mit den Verhaltensvereinbarungen geäußert wur­den, sind für mich nicht nachvollziehbar. Schließlich brauchen alle autonomen Rege­lungen eine Mehrheit in den schulpartnerschaftlich besetzten Gremien, und außerdem gibt es bekanntlich die Abstimmung mit den Füßen, sprich einen entsprechenden Zulauf der Kundschaft zu einer Schule, oder das Gegenteil, wenn die Vereinbarungen eben kontraproduktiv sind.

Nicht bewährt haben sich die schulautonomen Tage, wie von Anfang an zu befürch­ten war. Sie bringen Familien mit mehreren Kindern an verschiedenen Schulen oft in ärgste Schwierigkeiten. Eine Abschaffung der schulautonomen Tage steht daher auf der freiheitlichen Wunschliste.

Abschließend möchte ich alle Bildungspolitiker über die Parteigrenzen hinweg dazu aufrufen, das Bildungsbewusstsein, das Bewusstsein vom Wert der Bildung in der ös­terreichischen Bevölkerung nach Kräften zu fördern, weil ich hier ein Defizit orte. Dabei meine ich vor allem die allgemeine, der individuellen Suche nach dem Sinn des Lebens ebenso wie der Urteilsfindung in öffentlichen Angelegenheiten dienende Bildung, die auch Hartmut von Hentig im Sinn hat, wenn er sagt: „Die Antwort auf unsere behaup­tete oder tatsächliche Orientierungslosigkeit ist Bildung – nicht Wissenschaft, nicht Information, ..., nicht moralische Aufrüstung, nicht der Ordnungsstaat“. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.19

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächste ist Frau Kreissler  zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.19

Lotte Kreissler| (Referentin für Schule und Bildung im Rathausklub der Grünen, Wien): Ich bin hier als Expertin eingeladen, sehr geehrte Damen und Herren, und dafür vielen Dank. Ich möchte Ihnen kurz erklären, warum.

Ich bin seit 20 Jahren Praktikerin im österreichischen Bildungssystem, und zwar in verschiedensten Bereichen, auch in der LehrerInnenfortbildung, beschäftige mich aber auch mit Schülerinnen und Schülern, vor allem aber mit SchülerInnen, die ganz am untersten Rand stehen, also zu den sozio-ökonomisch Benachteiligten gehören, und mit SchülerInnen, die in Österreich nicht einmal einen Pflichtschulabschluss schaffen. Die Zahl dieser SchülerInnen ist sehr groß.

Die Zahlen sind – ich habe hier einen Zeitungsartikel vom September 2004 – höchst unklar. Ich nenne das mittlerweile Zahlenmassaker. Es gibt ein unglaubliches Zahlen­massaker! In diesem Zeitungsartikel steht, dass von der OECD 2003 11,3 Prozent SchulabbrecherInnen angegeben worden sind. Diese Zahl wurde verbessert, berichtigt, und im Jahr 2004 wurden nur mehr 6,3 Prozent angegeben, also eine Reduzierung von 11,3 Prozent auf 6,3 Prozent. Ich persönlich weiß eben nicht genau, wie viele das sind. Und ich empfinde auch die Diskussionen über die PISA-Studie, die ich heute hier gehört habe, als ziemliches Zahlenmassaker, denn ob Österreich jetzt an der zehnten oder an der neunzehnten Stelle ist, was Kinder betrifft, die nicht lesen können, interes­siert mich als Praktikerin nicht so sehr wie gewisse Analysen in Studien, die ich eben auch seit vielen Jahren mitverfolge und lese.

Herr Dr. Haider hat in seinem Referat gefragt, warum manche Länder besser als an­dere abschneiden und – zweite Frage – warum Bildungsinvestitionen nicht erwünschte Ergebnisse zeitigen.

Eine seiner Analysen ist, dass die wichtigen Kompetenzen, die Grundkompetenzen aktives Umgehen mit Wissen und eigenständiges Anwenden von Kompetenzen sind. – Das klingt alles sehr, sehr schön und sehr, sehr gut. Ich komme zu einer anderen Analyse – ich nehme mir dieses Recht heraus. Es gibt Dinge, die nicht messbar sind, auch nicht von einer PISA-Studie, und es gibt Worte, die heute hier nicht oder fast nie gefallen sind. Da geht es zum Beispiel um Spaß und Freude am Lernen – das ist teil­weise ganz kurz genannt worden –, Neugierde, eigene Motivation und um Schulangst. Das Thema Schulangst ist heute hier fast überhaupt noch nicht erwähnt worden.

Es gibt Studien, die nicht so bekannt sind wie die PISA-Studie, die zum Thema Schul­angst gemacht worden sind und die zu dem Schluss kommen, dass österreichische Schülerinnen und Schüler, verglichen mit den angeblich sehr guten Ergebnissen des Bildungssystems, eine relativ hohe Schulangst und Prüfungs- und Testangst mitbrin­gen.

Meine Schlussfolgerung aus dieser Tatsache, die ich hier nur sehr kurz beschreiben kann, ist, dass die wichtigsten Grundkompetenzen früher anfangen, also nicht bei die­sen messbaren Leistungen, sondern bei den nicht messbaren Leistungen, und dass die Schulfreude und die Motivation der Kinder und SchülerInnen bestehen bleiben und unterstützt werden sollen und es nicht zu Schulangst kommen soll. – Nicht so also, wie es jetzt der Fall ist.

Und da möchte ich jetzt konkret werden. Es gibt diese SchülerInnen, die nicht einmal einen Pflichtschulabschluss haben, die keine Lobby hinter sich haben – aber von ihnen hat auch heute hier kaum jemand geredet. Ich komme daher zu dem Schluss, dass es zwar schöne Lippenbekenntnisse von Vertretern fast aller Parteien gibt, aber es gibt kaum Bildungsmaßnahmen, die diesen SchülerInnen ganz konkret anbieten, diesen Pflichtschulabschluss nachzuholen.

Ich kann hier nur, weil ich nicht so viel sagen kann, wie ich eigentlich vorgehabt habe, Dialogbereitschaft und Zusammenarbeit anbieten und Informationen über diese Be­reiche sozusagen nachliefern, die nahezu unbekannt sind und von denen nur wenige wissen.

Etwas, was hier nicht genannt worden ist, sind die Mädchen in diesem Schulsystem, sind die Schülerinnen und Schüler, die sich an der Schuldemokratie und an der Ent­wicklung dieses Schulsystems beteiligen könnten, wenn sie hier wären. Ich weiß, dass zwei oder drei hier sind, aber nicht mehr. Jene, die in der Früh gekommen sind und zuhören und sich beteiligen wollten, zumindest am Mitdenken, sind weggeschickt wor­den, Ich empfinde das als sehr symptomatisch. Ich sehe da ganz leere Galerien, wo ganz viele Schülerinnen und Schüler sitzen und uns zuhören könnten; sie dürfen aber nicht.

Deswegen fordere ich Sie auch auf, diese Lippenbekenntnisse im Hinblick auf Schul­demokratie oder den Wunsch nach mehr Schuldemokratie tatsächlich ernst zu nehmen und mehr Schülerinnen und Schüler einzuladen, an der Schulentwicklung und an der Diskussion teilzuhaben, anstatt wie ein Kaninchen vor der Schlange auf die PISA-Zah­len zu starren.

Zum Abschluss: Es ist von der Gleichmacherei, von der angeblichen Gleichmacherei geredet worden. Eine gemeinsame Schule für alle SchülerInnen, so dass alle zu ihrem Pflichtschulabschluss kommen und nicht 10 Prozent der Bevölkerung eben nicht, bedeutet nicht Gleichmacherei, sondern das würde eine Respektierung der Vielfalt in einer Schule, die allen Schülern eine Chance gibt, bedeuten. Das würde aber Bedin­gungen voraussetzen, die es heute nicht mehr gibt.

In den letzten Monaten und bereits in den letzen Jahren ist bei folgenden Dingen ge­kürzt worden – ich nenne sie nur auszugsweise –: Schultheater, Musikveranstaltungen, Fußball, Schach, Basketball, Schwimmen, Eislaufen, Fotokurs, Legasthenie, soziales Lernen, Förderstunden, Deutsch-Begleitstunden, EDV, Doppelbesetzungen in Deutsch, Englisch, Mathematik, Projektwochen, Fördermaßnahmen für Kinder mit Be­hinderungen, Begabtenförderung und so weiter, und so fort.

Wenn diese Schule alles, was den Schülerinnen und Schülern Spaß und Freude macht, eliminiert und mit zusätzlichen budgetären Mitteln nicht wieder einführt, dann werden wir die PISA-Ergebnisse nicht verbessern können. – Danke. (Beifall.)

12.26

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Hofrat Professor Dr. Schäffer. – Bitte.

 


12.26

Hofrat Professor Dr. Mag. Gerhard Schäffer| (Österreichisches Zentrum für Begab­tenförderung und Begabungsforschung): Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Präsi­dium! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden über ein gutes Schulsys­tem. Die Europäische Union hat sechs Eigenschaften herausgehoben, die ein gutes Schulsystem auszeichnen. Ich möchte als Einleitung die sechs Punkte nur ganz kurz anführen.

Ein gutes Schulsystem soll wertorientiert sein.

Zweitens: Es soll praxisorientiert sein. – Gerade das duale Bildungssystem, um das uns international viele beneiden, hat einen ganz besonders hohen Stellenwert – rund 40, 42 Prozent der Jugendlichen gehen in ein duales System –, das berufsbildende mittlere und höhere Schulwesen, aber auch die Lebenswirklichkeit in den Pflichtschu­len.

Der dritte Punkt ist die Internationalität. – Das ist etwas ganz Entscheidendes: Fremd­sprachenkenntnisse, Fremdsprachenoffensive, Englisch als Arbeitssprache, aber das geht auch in die Richtung, möglichst viele Sprachen zu erlernen, auch exotische Spra­chen. Europa heißt nun einmal Vielfalt der Sprachen, und ich glaube, dass gerade Fremdsprachen das wichtigste Rüstzeug für einen jungen Menschen sind.

Der vierte Punkt ist in diesem Fall die Qualität, über die wir immer wieder diskutieren müssen, auch heute.

Die Vielfalt ist der fünfte Punkt, ein stark differenziertes Bildungssystem.

Und Punkt 6: die Ressource Zeit.

Wenn Sie nun all diese sechs Eigenschaften auf unser derzeitiges österreichisches Schulsystem übertragen, so kann man sagen, wir liegen sehr gut. Natürlich, jedes System ist verbesserungswürdig.

Und wenn auch heute hier über die PISA-Studie diskutiert wird: Es ist klar, dass wir sie ernst nehmen müssen; keine Frage. Ich glaube aber auch, dass in dem Ranking der PISA-Studie jene Länder sehr weit vorne liegen, in denen – und da gibt es verschie­dene Faktoren, aber ein Faktor ist auch dieser – die Kinder, Jugendlichen und Lehrer mit dem System der Standards schon viel länger konfrontiert wurden als unsere im deutschsprachigen Raum. Das ist ein Faktum.

Warum liegt Finnland so weit vorne oder Kanada oder eben Holland zum Beispiel? – Weil dieses System der Bildungsstandards dort schon seit langer Zeit gepflegt wird und auch erkannt wurde.

Aber eines muss auch gesagt werden: Schule ist mehr als PISA, Schule ist mehr als TIMSS. Das heißt, es geht um die Wertorientierung, es geht um das gute Schulklima, um die Persönlichkeitsentwicklung, aber auch um Erziehung.

Herr Professor Haider! Wenn Sie in Ihren Ausführungen festgestellt haben, dass eine gute Schule auch eine starke, individuelle Förderung braucht, dann muss ich betonen: Genau das ist es! Die Begabungen, die Talente der Kinder, die so vielfältig sind, sollen sich auch in einer Vielfalt der Organisationsform widerspiegeln. Nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine, bei dem er sich entfalten kann – das ist das Ent­scheidende! Dann kommt auch die Motivation, und die brauchen wir, und zwar sowohl bei den Kindern als auch bei den Lehrern.

Frau Präsidentin Brandsteidl – sie ist nicht hier – hat im ersten Teil mit der Aussage ge­schlossen: Spannende Fragen, aber wir haben keine Antwort. – Ich habe ein bisschen zugehört, und ich muss sagen: Wir geben gerne die Antwort.

Wir wollen eine Antwort geben, zum Beispiel für die Zukunftspolitik. Im Auftrag der Ministerin wird die Pädagogische Hochschule entwickelt, wird der Auftrag kommen, die Bildungsforschung gerade in diesem Bereich zu forcieren, wird der Auftrag kommen, das Lehrerbild und den Lehrerberuf auszudehnen, auszuweiten, wird der Auftrag kom­men, gerade auch eine bessere Qualität bei den Lehrerinnen und Lehrern im Sinne der Nachmittagsbetreuung zu erreichen.

Beide Vorredner, Dr. Haider, aber auch Dr. Brandsteidl, haben gemeint, die Bildungs­standards seien gut und richtig. – Jawohl, im Jahre 2001 hat Frau Bundesministerin Gehrer den Auftrag gegeben, Bildungsstandards einzuführen. Wir haben die Pilotpha­se 1 abgeschlossen und sind bei der Pilotphase 2, mit dem Ziel: 30 000 Kinder werden jedes Jahr in Österreich getestet werden. PISA-Studie: alle drei Jahre 6 000 Schüler. Da wird es also zu einer Verdichtung kommen.

Ich möchte noch den Schlusssatz der Frau Präsidentin aufgreifen, weil sie das mit einem gewissen wonnigen Lächeln erwähnt hat, nämlich die Aussage des PISA-Koor­dinators der OECD, Andreas Schleicher – ich darf zitieren –:

„Das dreigliedrige System ist gescheitert.“ Er betrachtet die Aufteilung der deutschen Schüler nach dem vierten Schuljahr auf Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen als Grund für das Scheitern des differenzierten Schulsystems.

Entweder weiß Herr Professor Schleicher nicht Bescheid – oder die Frau Präsidentin nicht. Deutschland ist eingeteilt in ein System der A-Länder, die SPD-regiert sind, und ein System der B-Länder, die CDU/CSU-regiert sind. In der PISA-Studie hat sich gezeigt, dass die CDU/CSU-regierten Länder sehr gut abschneiden – Bayern, Baden-Württemberg und so weiter – und die SPD-regierten Länder schlecht abschneiden. Durch das Mittelmaß ist Deutschland ungefähr auf dem 20. Platz gelandet. Gäbe es nur das differenzierte Schulsystem, dann hätte Deutschland viel besser abgeschnitten. Aber so wird eben alles verzerrt dargestellt. Nicht das differenzierte Schulsystem ist gescheitert, sondern die Gesamtschule; das muss man sehr deutlich sagen.

Zum Abschluss: Herr Kollege Brosz, Sie haben eine OECD-Studie gezeigt. Ich kann Ihnen auch die neueste OECD-Studie, die heute in Amsterdam veröffentlicht wurde, hier präsentieren und darf ganz kurz auf deren Inhalt verweisen: Sie zeigt die Differen­zierung des Schulwesens und das hohe Niveau der Lehrpersonen positiv auf.

„Gut bewertet wird das Schulsystem mit seinen Verästelungen im Sekundar- ... und Tertiärbereich ... Junge Menschen können besser als in anderen Ländern zwischen verschiedenen Ausbildungswegen wählen und wechseln“. – Ebenfalls positiv aufgefal­len sind das durchwegs gute Arbeitsklima, die Einführung von Bildungsstandards und die hohe Qualität der Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer, weiters die Leadership Academy und die Pädagogische Hochschulen.

Ich glaube, das ist ein Beispiel für eine sehr positive Darstellung, die aufzeigt, dass wir in Österreich einen guten, zukunftsorientierten Weg gehen. – Danke. (Beifall.)

12.33

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Herr Nekula. – Bitte.

 


12.33

Kurt Nekula| (Österreichischer Verband der Elternvereine an den öffentlichen Pflicht­schulen/Dachverband): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her­ren! Ich darf heute als Elternvertreter für den Pflichtschulbereich zu Ihnen sprechen. Ich möchte es gerne von einer anderen Seite angehen und noch einmal auf den Punkt zurückkommen, den schon einige erwähnt haben. Ich hoffe sehr, dass wir uns in einem Punkt einig sind, nämlich: dass im Zentrum der Schule und unserer Bemühungen um ein möglichst gutes Bildungssystem selbstverständlich die Kinder, die Jugendlichen stehen und dass es sozusagen unsere gesellschaftliche Verpflichtung ist, ihnen ein möglichst gutes System und möglichst gute Rahmenbedingungen für eine optimale Entwicklung zu bieten.

Wir Eltern im Pflichtschulbereich fordern so etwas wie eine verlässliche Pflicht­schule, die ein tragfähiges Fundament für alle weiteren Bildungswege darstellt, die leistungsorientiert, weil kindgerecht ist, die endlich diesen unseligen Zusammenhang zwischen den Schulerfolgen und der sozialen Herkunft überwindet und die nicht ge­prägt ist von einem ständigen Messen, Wägen und Sieben, sondern eben von der opti­malen Förderung aller Kinder.

All jene, die direkt im schulischen Bereich tätig sind, haben, wie ich meine, in den letz­ten Jahren sehr anschaulich erlebt, wie sich die erfolgten Kürzungen auf die Schul­praxis ausgewirkt haben. Es sind die Klassenschülerzahlen gestiegen, es ist einfach weniger da für die Förderung, die Interessen- und Begabungsförderung, für Deutsch­kurse, für Schulschwerpunkte und für sonderpädagogische Maßnahmen. Man erkennt das ganz deutlich an den einzelnen Standorten, weil dort eine intensive Diskussion entstanden ist, in welchen Bereichen man nun Schwerpunkte setzen soll und wo nicht, da eben klar ist, dass für alles die Mittel nicht mehr ausreichen.

Daher ist auch für uns das vorläufige Ergebnis des Finanzausgleichs ein erster Schritt in die richtige Richtung. Wir haben aber schon im Vorfeld eine Bürgerinitiative für Schulqualität an Österreichs Pflichtschulen eingeleitet, wo sich auch zwei Drittel der Elternvereine gegen weitere Kürzungen und für den Ausbau der Schulqualität ausge­sprochen haben. Diese Ergebnisse werden auch hier im Haus kurz nach der Präsenta­tion der PISA-Ergebnisse auf der Tagesordnung stehen, und ich bin sehr froh, dass wir mit dieser Initiative und den inhaltlichen Details in einem solchen zeitlichen Zusammen­hang stehen.

Wir fordern, dass schon vor dem Beginn der Volksschulzeit das geschieht, was heute schon von vielen angesprochen wurde, nämlich dass die Ausgangsvoraussetzungen für die Kinder möglichst so einander angeglichen werden, dass es im vorschulischen Bereich Bildungsangebote gibt, die für uns eine Attraktivierung des Kindergartens darstellen. Und in all jenen Ländern, in denen Kinder bereits im vorschulischen Bereich von entsprechenden Maßnahmen erfasst werden, werden ja auch die positiven Auswir­kungen, die dann auf dem Fuß folgen, deutlich.

Man lernt ja im Kindergarten nicht nur die deutsche Sprache, sodass man den Fokus nur auf die Ausländerkinder legen müsste, sondern es weisen auch die so genannten österreichischen Kinder in vielen Bereichen ähnliche Probleme auf, etwa was das Erlernen der deutschen Sprache anbelangt, aber auch in vielen anderen Details: im Sozialen, im Kommunikativen, in der individuellen Förderung, in der Feinmotorik, in der Kreativität und so weiter, und so fort. All diese Bereiche werden ja im Kindergarten erfasst, gefördert und von fachkundigen Personen den Kindern vermittelt.

Wir wollen weiters eine wesentlich stärkere Individualisierung des Unterrichts, die sowohl auf die Schwächen als natürlich auch auf die Interessen und Begabungen ab­zielt. Wir wollen einen kindgemäßen und altersgerechten Unterricht mit entsprechen­den Lehr- und Lernformen, und wir wollen eine gezielte Lehrerfortbildung, die sich all diesen Herausforderungen widmet. Ich möchte nur drei nennen, die im Moment be­sonders vehement verfolgt werden müssten: Das ist der Bereich der Förderpädagogik, der Individualisierung und natürlich auch der Qualitätsentwicklung.

Und wir fordern auch eine offensive Qualitätsentwicklung, die sich dem Problem nicht so nähert wie jemand, der weiß, dass die nächste Gesundenuntersuchung auf ihn zukommt, und dann versucht, drei Tage vorher nicht fett zu essen, nichts Süßes zu essen und keinen Wein zu trinken, damit dann die Untersuchungsergebnisse möglichst gut ausfallen, sondern wir wollen uns der Qualitätsentwicklung auf allen Ebenen, die möglich sind, nähern. Wir wollen die Stärken und die Schwächen ehrlich analysieren und darstellen und dann gemeinsam Maßnahmen entwickeln, um Schwächen nachhal­tig auszumerzen.

Man erkennt ja auch an Beispielen aus anderen Ländern, wie positiv es wirkt, wenn ein sehr flexibles, sehr rasches System der Analyse besteht und sehr rasch und wirkungs­voll reagiert werden kann, und wenn auch finanzielle Töpfe zur Verfügung gestellt wer­den, die sicherstellen, dass am Standort Schwächen, die erkannt werden und die eben oft nicht nur den einen Standort, sondern auf Grund struktureller Bedingungen viele Bereiche betreffen, wirkungsvoll und nachhaltig angegangen werden können. Das heißt, für uns findet Qualitätsentwicklung von der Bundesebene bis zum Standort statt.

Man muss die Daten so erheben, dass die Betroffenen damit etwas anfangen können und dass eine wirklich fruchtbringende und konstruktive Diskussion zwischen den Schulpartnern auch am Standort entstehen kann, um Stärken festzustellen und Schwä­chen nachhaltig beseitigen zu können.

In diesem Sinne würde ich auch sehr darum ersuchen, der bildungspolitischen Diskus­sion insgesamt mehr qualitative Aufmerksamkeit zu widmen – und weniger reflexhafte Äußerungen zu tätigen, die wir ja schon seit Jahrzehnten aus der österreichischen Bildungsdiskussion kennen und die eigentlich nur dazu geführt haben, dass sich in vielen Bereichen eher wenig weiterentwickelt hat. – Sollte es zu einer konsensualen und themenorientierten Diskussion kommen, wird es uns – davon bin ich überzeugt – gelingen, bei internationalen Vergleichen bereits in absehbarer Zeit besser abzuschnei­den. – Ich danke. (Beifall.)

12.40

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Mag. Hirsch­mann. – Bitte.

 


12.40

Mag. Josef Hirschmann| (Direktor des BG und BRG Pestalozzi, Graz): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Schulleiter eines Gymnasiums in Graz freut es mich, dass ich Ihnen heute ein paar Sorgen aus dem Schulalltag darstellen darf.

Geprägt von den Eindrücken im Schulalltag eines Gymnasiums, wundert es mich sehr, hier hören zu müssen, dass die Ganztagsschule tatsächlich ein ernst zu nehmendes Thema sein soll. Als einer, der jeden Tag damit konfrontiert ist, Gelder für die Schule aufzutreiben – über Sponsoring, auch über Werbung und sonstige Aktivitäten –, ist es für mich unvorstellbar, wie man rein schon vom Finanziellen her die Ganztagsschule in Österreich flächendeckend einführen sollte.

Und ich bekenne mich auch dazu – möglicherweise habe ich aber nach drei Jahrzehn­ten im Schulsystem eine entsprechende Betriebsblindheit –, dass die Schule nie und nimmer stressfrei sein kann. Sie muss angstfrei sein, ja, aber stressfrei, das kann ich mir nicht vorstellen!

Die Schule muss und soll auf das Leben vorbereiten. Wie sollen Kinder für die Arbeits­welt, für das Leben vorbereitet sein, wenn sie in einem Umfeld aufwachsen, in dem sie keinen Stress kennen lernen? – Damit muss man umgehen lernen!

Darf ich Ihnen abschließend meine drei Forderungen auf den Tisch legen:

Das ist erstens einmal die Forderung eines Schulleiters nach Autonomie der Schule in personeller Hinsicht.

Wie schaut denn da der Schulalltag aus? – Der Landesschulrat hat Lehrer zu beschäf­tigen und weist diese Lehrer den einzelnen Schulen zu. Die Schulen haben keine Mög­lichkeit, diese Zuweisungen zu hinterfragen, geschweige denn überhaupt zu beeinspru­chen oder gar zu überprüfen, ob denn die Qualifikation und die Zusatzqualifikation dieses Lehrers dem Schul- und Leitbild entsprechen.

Meine Damen und Herren! Ein nicht unerheblicher Teil der Zeit eines Schulleiters muss dafür aufgewendet werden, Auswirkungen der Tätigkeit „pädagogischer Blindgänger“ in Eltern-, Lehrer- und Schülergesprächen auszubügeln!

Diese personelle Autonomie könnte, wie ich meine, ohneweiters den Schulgemein­schaftsausschüssen übertragen werden.

Zweite Forderung: Autonomie in wirtschaftlicher Hinsicht. In meiner Schule sind Budgetmittel seit Anfang des Sommers blockiert, weil ein Antrag auf Umwidmung im Ministerium nicht bearbeitet wird. Das heißt, ich darf zwar Gerätschaften anschaffen, die über 900 € kosten, darf aber nicht Geräte anschaffen, die so genannte geringwer­tige Wirtschaftsgüter darstellen. – Dafür fehlt uns wirklich jegliches Verständnis!

Dritte Forderung: Gestatten Sie die Einrichtung mittlerer pädagogischer Führungs­ebenen! Motivation und Anerkennung der Lehrer, die sich besonders in pädagogischer Hinsicht hervortun, wären damit verbunden. Es ist ein Unterschied, ob jemand zu einem Fachkoordinator, zum Beispiel aus Physik, durch ein Dekret des Landesschulra­tes ernannt wird, oder ob das nur deshalb geschieht, weil der Direktor einen Mitarbeiter darum bittet und dieser dem Direktor einen Gefallen tun möchte. – Hiefür sind aber sicherlich auch die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Ein ernstes Wort zum Abschluss: Ermöglichen Sie jungen Lehrern den Einstieg in den Beruf! Haben Sie sich überlegt – an meiner Schule ist das so –, dass die Schüler meist von „Großeltern“ unterrichtet werden? Die langfristige Perspektive ist tatsächlich so, dass das noch weitere 15 Jahre so sein wird. Wenn wir uns keine andere Möglichkeit überlegen und junge Leute, die engagiert sind, die einen guten, oft besseren Zugang zu den Kindern und Jugendlichen haben, keine Anstellung finden, dann wird unser Be­mühen um Qualitätssicherung im Schulsystem sicherlich noch lange ein Bemühen bleiben, aber nicht realisiert werden.

Erst wenn diese Rahmenbedingungen stimmen, kann ich mir vorstellen, dass Qualität in der Schule auch lebt. (Beifall.)

12.45

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Frau Brandl. – Bitte.

 


12.45

Maria Brandl| (Integration Österreich): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich stehe hier als so genannte Expertin, bin aber weder Pädagogin noch Politikerin, noch Beamtin, sondern ich stehe hier als Vertreterin einer bundesweiten Elterninitiative, die sich seit vielen Jahren für ein gemeinsames Leben von behinderten und nichtbehinderten Kindern, von Jugendlichen und Menschen in allen Lebensbereichen einsetzt.

Ich weiß, wovon ich spreche: Ich bin selbst betroffene Mutter. Und ich möchte jetzt das Thema Integration – ich sage es ganz bewusst: dieses Thema hat mir heute sehr, sehr oft gefehlt – in die Mitte dieses Saales platzieren, wohin meiner Meinung nach be­hinderte Menschen, behinderte Kinder, behinderte Jugendliche gehören. Meiner Über­zeugung nach sagt es über eine Gesellschaft sehr viel aus, wie sie mit diesem Thema umgeht.

Diese Enquete, zu der ich eingeladen wurde, hat den Titel „Schule und Bildung – Ent­wicklungschancen des österreichischen Schulsystems“, und deshalb möchte ich an die Ausführungen von Herrn Nekula anschließen und die Frage stellen: Was bedeutet das an Entwicklungschancen für Kinder? Und das würde mir noch besser gefallen: Was be­deutet es für alle unsere Kinder? Was bedeutet es an Entwicklungschancen für behin­derte Kinder, für behinderte Jugendliche?

Die Integration behinderter Kinder war heute noch kein Thema – außer bei einem De­battenbeitrag von Herrn Präsidenten Enzenhofer. Eine Behandlung dieses Themas hier fehlt mir sehr. Ich möchte daher an alle Politikerinnen und Politiker hier im Saal appellieren, dieses Thema nicht zu ignorieren, sondern zu integrieren!

Ich möchte hier noch einmal das Thema Integration erwähnen, vor allem die Integra­tion behinderter Kinder. Da auf wissenschaftlicher Ebene mittlerweile schon die so genannte Inklusion zu einem breiten Thema geworden ist, möchte ich hier den Unter­schied klarstellen, weil es mir nicht gefällt, dass der Begriff „Integration“ einfach durch „Inklusion“ ersetzt wird.

Während der Begriff „Integration“ einen vorausgehenden Ausschluss aus den Leis­tungszusammenhängen der modernen Gesellschaft impliziert, geht es beim Begriff „In­klusion“ um die Teilhabe an der komplexen und differenzierten Gesellschaft. Und ich meine, da sollte eigentlich der Ansatz sein.

Wie könnte nun Schule diesem gesellschaftspolitischen Grundsatz gerecht werden? – Eine Teilhabe an der komplexen und differenzierten Gesellschaft und an den Leis­tungszusammenhängen der modernen Gesellschaft würde seitens der Schule ein Um­denken bedeuten, und zwar von einer differenzierten und aussondernden Pädagogik hin zu einer Pädagogik der Vielfalt, einer Pädagogik, die in der Heterogenität die Chan­ce breitgestreuter Anregungen zu vielfältigen Lernprozessen sieht, die ein Miteinander- und Voneinander- Profitieren zulässt und durch Individualisierung eines gemeinsamen Curriculums entwicklungsadäquate Lernangebote setzt.

Und weil das Thema Integration meiner Ansicht nach ein so wichtiges Thema ist, möchte ich ganz bewusst auf drei Bereiche hinweisen: Das ist einerseits die Qualität in den derzeitigen Integrationsklassen. – Sie werden vielleicht sagen: Was ist das für ein Thema? Es gibt ja ein entsprechendes Gesetz. Dieses Gesetz gibt es, ja, jedoch nur bis zur achten Schulstufe. Wir kämpfen seit Jahren um eine gesetzliche Absicherung nach der achten Schulstufe, aber wir scheitern daran, dass es heißt, Jugendliche mit Behinderung würden in Spezialeinrichtungen, in Sondereinrichtungen bessere Ausbil­dungsmöglichkeiten, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten finden.

Wir sehen das nicht so! Tatsache ist, dass alle Jugendlichen Ausbildungs- und Weiter­bildungsmöglichkeiten brauchen, dass es die unterschiedlichsten Arten von Behinde­rungen gibt – und dass daher das Bildungssystem einen neuen Schritt setzen und die Öffnung dieser Möglichkeiten ermöglichen muss. (Beifall.)

Heute habe ich mir gedacht, wozu diese Enquete „gut sein“ soll: dass eben Impulse gesetzt werden. Und ein meiner Ansicht nach ganz wichtiger Punkt dabei ist auch – dieser wurde heute überhaupt noch nicht angesprochen – die Kommunikation und Zusammenarbeit mit den Eltern. Nicht nur Kinder, sondern auch Eltern sind ein ganz wichtiger Teil in diesem Schulsystem.

Diesbezüglich weiß ich aus der Erfahrung unserer Arbeit, wie wichtig Kommunikation und Beratung mit Eltern ist; auch dazu gibt es Studien. Ich möchte aber jetzt nicht auf die PISA-Studie eingehen, sondern auf eine repräsentative empirische Studie von Dr. Klicpera, der die Beratung der Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem För­derbedarf in Bezug auf das Wahlrecht, ob Sonderschule oder Integrationsklasse, näher untersucht hat. Da gibt es sehr, sehr interessante Erfahrungen und Beobachtungen. Tatsache ist – auch das möchte ich hier deponieren –, dass zwar immer wieder viel vom Wahlrecht gesprochen wird, dass jedoch ein tatsächliches Wahlrecht von Eltern nur dann besteht, wenn es wirklich gleichwertige Angebote gibt. – Das ist aber derzeit nicht der Fall!

Tatsache ist weiters, dass sich Schulbehörden in Bundesländern mit niedriger Integrati­onsquote zwar der Wünsche der Eltern annehmen, diese aufnehmen, dass diese je­doch nicht wirklich umgesetzt werden. Die Schulbehörde weiß – das wird in dieser Stu­die aufgezeigt –, dass sie massiv beeinflusst. Das kann auch durch eine repräsentative Befragung der Schulbehörde empirisch belegt werden, und das ist daher nicht mehr zu leugnen.

Insofern möchte ich noch einmal an alle Verantwortlichen appellieren, das Thema In­tegration nicht als Randthema zu betrachten und nicht nur in einem Begleitsatz sozu­sagen zu erwähnen, sondern als wichtiges Thema, als gesellschaftspolitisches Thema wirklich in die Mitte des Saales zu platzieren und es als Spiegel unserer Gesellschaft in die weitere Entwicklung unseres Schulsystems zu integrieren. – Danke. (Beifall.)

12.51

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Frau Kadlec. – Bitte.

 


12.52

Kim Kadlec| (AKS – Aktion Kritischer SchülerInnen): Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe heute hier einiges gehört über Schule, wie hier Schule gedacht wird, sehr viel auch über Schüler und Schülerinnen. Es ist darüber gestritten worden, ob Schüler und Schülerinnen Mittelpunkt sein sollen – oder auch wieder nicht ganz Mittel­punkt. Gut, das liegt im Auge des Betrachters/der Betrachterin. Klar ist jedenfalls, dass wir Schüler und Schülerinnen – ich stehe hier unter anderem als Schülervertreterin; es ist ja Gott sei Dank noch Zeit, dass einige auch noch nach mir sprechen dürfen; das ist gut so – die größte Gruppe im Schulsystem sind. Wir sind darin die allergrößte Gruppe, aber wir sind auch diejenigen, die in der Bildungskette ziemlich weit unten sind. Wir sind diejenigen mit den wenigsten Rechten. Wir sind diejenigen, über die immer sehr viel geredet wird, die aber normalerweise selbst recht wenig mitreden dürfen. Aus dieser Sicht möchte ich Ihnen hier ein bisschen etwas schildern.

Es ist hier unter anderem auch über die Aufgabe der Schule debattiert worden. Die erste und, wie ich glaube, ganz offensichtliche Aufgabe der Schule ist, den Lehrstoff gut und solide zu vermitteln, sodass ihn die Schüler und Schülerinnen nachhaltig ver­stehen. – Spätestens seit der PISA-Studie wissen wir aber, dass das nicht so ganz „hinhaut“. Bereits an der ersten und grundlegenden Aufgabe hapert es in unserem Schulsystem.

Dafür sind heute auch sehr viele Erklärungen präsentiert worden. Es ist auf der einen Seite von „Kleinigkeiten“ gesprochen worden, es ging auch um schulorganisatorische Erneuerungen, ebenso um die Leistungsbeurteilung, weiters um die Noten, und dass das mit ein Punkt sei, wie es in der Schule funktioniert, wie die Beurteilung der Leis­tungen sei, die die Schüler und Schülerinnen erbringen sollen. All das ist, wie gesagt, bereits debattiert worden.

Die zweite Aufgabe, die die Schule hat, ist die Freude am Lernen; der Ausdruck „Ler­nen lernen“ ist ja heute bereits seitens der Experten und Expertinnen gefallen. Und ich glaube, da hat das österreichische Schulsystem ein viel größeres Problem, denn genau das funktioniert nicht. Wenn man sich Kinder im Kindergarten anschaut oder in den ersten Klassen der Volksschule bis hin zum weiteren Weg, dann merkt man, dass Kinder und Jugendliche, je länger sie in die Schule gehen – welches Paradoxon! –, umso weniger gerne lernen und einen umso größeren Schulfrust, einen umso größeren Druck in der Schule haben. – Umso „schlimmer“ wird ihr Leben.

Ganz am Anfang, bevor die Kinder noch das erste Jahr in der Schule sind, lernen sie bekannterweise sehr, sehr gerne. – Diese Umkehr ist tragisch, meine Damen und Herren!

Dieses „Lernen lernen“ funktioniert auch nicht wirklich, wenn man sieht, wie viele Kin­der beziehungsweise wie viele Jugendliche im österreichischen Schulsystem nicht lesen, nicht schreiben lernen, nicht gerne lesen – und keine Motivation haben, sich außerschulisch fortzubilden. Ich meine, was Motivation anlangt, weist die Schule ein großes Manko auf.

Wir sind konfrontiert mit Konkurrenzdenken, mit Leistungsdruck, mit Noten, die sehr viel über uns aussagen sollen – tun sie aber nicht, wie wir heute erfahren haben. All das sind Dinge, die das Schulklima nicht unbedingt fördern.

Jetzt zu einem dritten Punkt, der heute angesprochen wurde: zum Thema, was Schule noch mitgeben soll, nämlich das Partizipieren am öffentlichen Leben, das Partizipie­ren an Demokratie. Auch das funktioniert nicht! Denken wir beispielsweise nur daran, dass Schüler und Schülerinnen immer noch die Interessenvertretung mit den wenigs­ten Rechten haben. Und im Moment werden diese Rechte nicht nur nicht vollständig gewährt, sondern Schüler und Schülerinnen können im Unterricht überhaupt nicht mitreden. – Und da rede ich noch gar nicht von der überschulischen Interessenvertre­tung, sondern allein vom Mitbestimmen direkt im Unterricht, wer sagt, was getan und wann etwas getan werden soll, wer es tun muss und wann es dann wieder überprüft wird.

Ich spreche jetzt nicht nur davon, dass wir in der Schule nicht lernen, uns selbst einzu­schätzen, sondern auch von der Beschneidung demokratischer Rechte, und zwar auf Ebene der Universitäten. Das ist meiner Überzeugung nach nicht die Richtung, in die es gehen soll!

Ich bitte Sie, diese Debatte hier auch nicht ganz so polemisch zu führen, wie das bis jetzt teilweise geschehen ist. Ich halte diese Bildungsdebatte für eine sehr, sehr wich­tige, und vor allem, meine Damen und Herren, sollten wir alle schön langsam grundle­gende Reformgedanken in diesem Zusammenhang anstellen, denn es brennt der Hut! Mit Bildungskosmetik tut sich da nicht mehr viel, sind es doch dermaßen viele Kinder und Jugendliche, die nicht lesen und nicht schreiben können!

Es ist also an der Zeit, ernsthaft über Reformen nachzudenken – und nicht nur über Kleinigkeiten zu debattieren. – Danke. (Beifall.)

12.58

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Herr Paya. – Bitte.

 


12.58

Dario Paya| (Schülervertreter): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Dario Paya, Schülervertreter von den Freiheitlichen, und besuche die achte Klasse des Bundesreal­gymnasiums in Viktring bei Klagenfurt.

Bildung und Schule ist ein Grundrecht, das jedem österreichischen Staatsbürger zu sichern ist. Die Jugend von heute, die Kinder, werden früher oder später das Land regieren, die Wirtschaft leiten und Zukunftsträger in allen Belangen sein, und des­wegen ist es notwendig, dass das Bildungssystem den Schülern, den Kindern effizienz- und gewinnbringende Aufgaben vermittelt.

Erstens einmal ist zu sagen: Nicht alle Menschen sind gleich veranlagt. Es gibt leis­tungsschwächere und begabte Schüler. Und der Lehrer muss danach trachten, dass die Leistungsschwächeren gefördert und die Begabten gefordert werden, sodass sie ihre geistige Kapazität voll auslasten können.

Zum Thema Ganztagsschule: Ich glaube, es wäre der falsche Weg, die Ganztags­schule deswegen einzuführen, um die Qualität des Bildungssystems zu steigern. Viel wichtiger wäre es zum Beispiel, Nachmittagsbetreuung einzuführen, um leistungs­schwächere sowie Schüler mit Konzentrationsschwächen zu fördern. Aber auf keinen Fall Zwangsverpflichtung, sondern alles auf freiwilliger Basis!

Die Schule muss außerdem mit dem Trend und der Zeit, die ihr vor allem die Wirtschaft vorgeben, mitgehen. Kenntnisse im Bereich IT und Computer gelten heutzutage schon als Voraussetzung, um in die Berufswelt einsteigen zu können. Um als Arbeit­nehmer konkurrenzfähig zu bleiben, ist es wichtig, diesen Bereich zu beherrschen, und der Staat hat diesem Bereich höchste Priorität einzuräumen. Voraussetzung für eine gute Ausbildung in diesem Bereich sind modernste Geräte und Lehrkräfte, die im Com­puterbereich über einen hohen Ausbildungslevel verfügen.

Man darf aber die herkömmlichen Kulturtechniken wie Lesen, Verstehen, Schreiben und Rechnen nicht vergessen. Immer öfter werden diese Fähigkeiten nicht beherrscht.

Weiters wird es für den zukünftigen Arbeitnehmer in einem geeinten Europa wichtig sein, viele Fremdsprachen zu beherrschen. Englisch gilt mehr oder weniger als Vor­aussetzung, um einen guten Job zu bekommen. Es soll jedoch mindestens eine zweite lebende Fremdsprache Pflicht sein, und eine dritte sollte angeboten werden. Und für mich ist es selbstverständlich, dass jeder Nutznießer des österreichischen Bildungs­systems auch die deutsche Sprache beherrscht.

Um den Schülern den Einstieg in die Berufswelt beziehungsweise in die Studienzeit zu erleichtern, muss man früh beginnen, selbstständig arbeiten zu lernen. Rhetorik, Kom­munikation, Teamfähigkeit und Selbstständigkeit sind Begriffe, auf die in Zukunft mehr Wert gelegt werden sollte. Um diese Schwerpunkte vor allem in der Oberstufe zu ver­mitteln, wäre ein Kurssystem wie in Finnland angebracht, das ja – wie wir heute schon gehört haben – in der PISA-Studie hervorragend abgeschnitten hat. Fächer sollen obli­gatorisch oder fakultativ und möglichst auch auf praktische Anwendung ausgerichtet angeboten werden.

Der Arbeitsmarkt ändert laufend seine Ansprüche und Anforderungen, und daher muss auch das Bildungssystem flexibel sein und spezifische Ausbildungsmöglichkeiten in Berufssparten anbieten, wo Not am Mann herrscht, beziehungsweise für Berufssparten werben, welche dringend ausgebildete Arbeitskräfte benötigen. Heute in einer Schule zum Beispiel für Publizistik zu werben, wäre Schwachsinn, denn was macht der Staat mit derzeit schon über 5 000 Publizisten?

Bei der Leistungsbeurteilung sprechen viele von einem veralteten System, welches zu reformieren, zu erneuern ist. Ich halte davon wenig, weil der Schüler – genauso wie jeder andere Staatsbürger auch – seine Pflichten zu erfüllen hat, und wenn er die geforderten Leistungen nicht bringt, so muss er eben die Klasse wiederholen.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der heute noch nicht angesprochen worden ist, ist die Schutzfunktion der Schule. Ich selber gehe in Viktring in die Schule, und dort ist vor kurzem ein Schüler nach einer Überdosis Haschisch im Pausenhof zusammengebro­chen. Danach ist in Kärnten eine große Debatte losgegangen. Ich denke, dass Schüler in der Schule vor Drogen geschützt werden sollen. Es ist jedoch heutzutage eher so, dass man in der Schule zum ersten Mal in Kontakt mit legalen und illegalen Suchtmit­teln kommt. Die Eltern sollten nicht Angst haben müssen, wenn sie ihre Kinder in die Schule bringen, und deshalb ist es wichtig, mit Aufklärung und Prävention früh anzu­fangen, aber es ist auch wichtig, Kontrollen durchzuführen, um derartige Auswüchse, wie sie sich in meiner Schule gezeigt haben, zu vermeiden. Ich persönlich zweifle an der Kompetenz der Lehrer, diese Kontrollen ernsthaft durchführen zu können. Deswe­gen wäre es sinnvoll, der Exekutive zu erlauben, solche Kontrollen und Überwachun­gen in Schulen durchzuführen.

Jetzt noch etwas zu den Lehrern (Vorsitzender Vizepräsident Mag. Pehm gibt das Glo­ckenzeichen) – ja, Moment! –: Fachwissen allein zeichnet einen guten Lehrer nicht aus. Der Lehrer von morgen muss pädagogisch top sein, und es sollte verpflichtend für alle Lehrer eine Art Überprüfung ihrer Lehrmethoden und ihrer Pädagogik geben.

Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass man hier im Parlament Gesetze beschlie­ßen kann, so viele man will, gute oder schlechte, das sei dahingestellt, aber letztend­lich hängt es von der Kompetenz und vom Engagement des jeweiligen Lehrers ab, ob und wie viel ein Schüler von der Schule ins Leben mitnimmt. – Danke. (Beifall.)

13.05

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Rabenstein. – Bitte.

 


13.05

Florian Rabenstein| (Schülervertreter): Sehr geehrte Damen und Herren! Es freut mich, dass ich heute als einer der wenigen Schüler und Schülerinnen, die hier anwe­send sind, reden darf. Ich würde mich freuen, wenn es mehr wären, denn wir stehen – wie auch von einer Vorrednerin schon erwähnt – eigentlich im Mittelpunkt dieser Schul­diskussion. Wir sind diejenigen, die das Ganze hauptsächlich betrifft. Die LehrerInnen betrifft es in ihrer Berufsausübung, in der Hauptsache geht es in der Schule aber um die Schülerinnen und Schüler.

Ich muss meinem Vorredner in vielen Punkten widersprechen. Wenn er betont, dass wir Schülerinnen und Schüler viele Pflichten haben, dann muss man auch anerkennen, dass wir Rechte haben sollten – die wir aber nicht haben. Wenn man schon fordert, dass Pflichten erfüllt werden, dann geht es für mich darum, dass wir zunächst einmal mit Rechten ausgestattet werden, damit wir in einem Gleichgewicht leben, und das ist bei den Schülerinnen und Schülern eindeutig nicht der Fall.

Das ist auf vielen Ebenen nicht der Fall. Es ist zum Beispiel nicht der Fall im Unterricht. Es ist im Unterricht für Schülerinnen und Schüler nicht möglich, ihre Lerninhalte zu be­stimmen, es ist für sie nicht möglich, zu bestimmen, wie etwas gelernt wird und wie es den SchülerInnen beigebracht wird. Ich denke nicht, dass es alleine den Lehrerinnen und Lehrer zukommt beziehungsweise den Menschen im Ministerium, zu bestimmen, was wir lernen und wie wir es lernen. Es muss die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler sein, zu erarbeiten, wie gelernt wird und was gelernt wird und vor allem auch, von wem es gelernt wird.

Es geht meiner Meinung nach auch darum, zu bestimmen, wie der Schulalltag grund­sätzlich abläuft. Deswegen ist es für mich auch wichtig, da hier schon viel von der Ganztagsschule gesprochen worden ist, dass die SchülerInnen bestimmen, wie lange sie in die Schule gehen wollen beziehungsweise welche Fächer sie wählen wollen, was ja jetzt nicht möglich ist. Unter anderem mit der Kürzung der Wahlpflichtfächer hat sich das in eine absolut gegenläufige Richtung entwickelt.

Es ist wichtig, wie das auch schon kurz angeschnitten worden ist, auf Landes- und Bundesebene die SchülerInnenvertretung zu stärken. Die Schülerinnen und Schüler sind die größte Berufsgruppe Österreichs, aber es ist ihnen nicht erlaubt, eine gesetz­lich verankerte Interessensvertretung in irgendeiner Form zu haben! Eine SchülerIn­nenvertretung ist zwar im Gesetz verankert, allerdings hapert es mit ihren Rechten. Sie sitzt nebenbei im Bildungsministerium, darf auch ein paar Worte sagen, aber mitbe­stimmen darf sie nicht, obwohl es hier doch um uns geht.

Meiner Ansicht nach ist das das Wesentliche an dieser Debatte. Es wird über die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer geredet, es wird darüber geredet, wie man ihnen helfen kann, auch in der Harmonisierungsdebatte und so weiter – Herr Neugebauer ist jetzt nicht mehr da –, aber was mit den SchülerInnen passiert, das ist hier leider nicht im Mittelpunkt gestanden. Es wird heute wahrscheinlich auch nicht mehr im Mittelpunkt stehen, weil ich der Letzte von den Schülerinnen und Schülern bin, der hier redet. Es waren ja leider nur drei. Hoffentlich ändert sich daran etwas, und bei der nächsten Debatte sind vielleicht mehr Schülerinnen und Schüler anwesend beziehungsweise werden sie grundsätzlich für alle diesbezüglichen Debatten als Diskussionsteilnehmer verankert und bekommen das Recht, ihre Meinung zu äußern. Ich hoffe, es wird sich etwas ändern – ich bin noch immer „guter Hoffnung“. – Danke schön. (Beifall.)

13.09

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Herr Dr. Just. – Bitte.

 


13.09

Dr. Herbert Just| (Österreichischer Städtebund): Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser auch in ihrer Vielfalt beeindruckenden Darstellung unseres Themas durch die unmittelbar Betroffenen gestatten Sie mir als Vertreter des Städtebundes, die Sicht der großen Kommunen in diese Debatte einzubringen, nicht nur die Sicht als Schulerhalter der öffentlichen Pflichtschulen und damit als Beitrags­leistende zu einem Großteil der ökonomischen Grundlagen des Schulsystems, sondern auch als diejenigen, die mit den sozialen Auswirkungen von Defiziten sehr stark kon­frontiert sind.

Es gibt großartige Leistungen vor Ort, die Schulen arbeiten hervorragend, die LehrerIn­nen, die DirektorInnen, trotzdem steigen die Defizite an. Ich möchte diese Defizite in drei Punkten fokussieren.

Der erste Punkt: Es gibt zunehmende soziale Segregation ab dem zehnten Lebens­jahr. Die Hauptschulen, das wurde hier schon angesprochen, und ich verwende jetzt bewusst diesen Ausdruck, verkommen zu Restschulen, in denen Pädagogik nur mehr unter äußerst schwierigen Umständen möglich ist und deren Output sich immer mehr verschlechtert. Es gibt kaum mehr beziehungsweise immer weniger Absolventinnen und Absolventen von Hauptschulen, die danach weiterführende Schulen besuchen, als dies vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall gewesen ist. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf in Richtung einer stärkeren Integration der Sekundarstufen, in wel­cher Form auch immer.

Zweites Problemfeld: Die kommunalen Ballungsräume sind mit dem Problem der In­tegration von MigrantInnen nicht nur in die Gesellschaft, sondern speziell in das Schulsystem konfrontiert. Es geht hiebei nicht nur um vermehrte Bildungschancen für Zuwanderer, sondern auch um das Vorbauen gegen einen kulturellen Clash. Es besteht Handlungsbedarf im Hinblick auf Spracherwerb von MigrantInnenkindern vor Schuleintritt. Es kann aber nicht so sein wie derzeit, dass man einfach sagt: Die Kinder sollen halt in den Kindergarten gehen!, denn das trifft wieder die Leistungsfähigkeit der Eltern und die Kommunen als Erhalter der Kindergärten. Und es darf auch nicht so sein, dass das auf Freiwilligkeit der einzelnen Gebietskörperschaften beruht.

Dankenswerterweise gibt es in der Stadt Graz, aus der ich komme, in Kooperation mit dem Land Steiermark ein Projekt, wo Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache bei der Einschreibung in Spielerisch-Deutsch-lernen-Kursen erfasst werden. Das kostet die Stadt Graz und das Land Steiermark jährlich rund 200 000 €. Hier sind alle Gebietskör­perschaften gefordert. Ich rede jetzt gar nicht beziehungsweise nur in Klammern da­von, wie es um das auch von der UNICEF in den Kinderrechten postulierte Recht jedes Kindes auf Alphabetisierung in seiner eigenen Muttersprache steht, damit es dann auch die Sprache des neuen Landes umso leichter erlernen kann. Diese Problematik tritt vor allem in Bevölkerungskreisen sehr stark zutage, in denen die Familien Analpha­beten sind.

Dritter Fokus: die Nachmittagsbetreuung. Das wurde heute schon sehr stark disku­tiert. Aus der Praxis weiß ich, dass vor allem im Grundstufenbereich, aber auch in den ersten Jahren der Sekundarstufe I von Jahr zu Jahr eine verstärkte Nachfrage nach Nachmittagsbetreuungsplätzen besteht. Ich sage jetzt bewusst generell Nachmittags­betreuungsplätze und meine damit unterschiedliche Formen; ob sie nun Ganztags­schulen oder Tagesheimschulen heißen, will ich hier einmal ausklammern. Das Pro­blem ist jedoch, dass sie für die Eltern kostenpflichtig sind, und wenn sich die Eltern das nicht leisten können, dann springen die Kommunen ein, indem sie für den Freizeit­teil Gelder verlangen, die sozial gestaffelt sind.

Ich begrüße – leider ist Herr Bundesrat Dr. Schnider momentan nicht anwesend – sehr stark die Initiative, die Land, Stadt, Landesschulrat und Bezirksschulrat gemeinsam gesetzt haben, um in der Steiermark und besonders in Graz noch mehr Nachmittags­betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen, aber ein solcher Platz kostet die Kommune 1 000 € pro Kind und Jahr. Das heißt also, ein Modell, wo 120 Kinder Nachmittagsbe­treuung oder Ganztagsschulen in Anspruch nehmen, kostet die Stadt Graz 120 000 €. Und so ähnlich geht es auch den anderen Kommunen.

Ich fordere den Bund auch auf, die fünf Wochenstunden für die Nachmittagsbetreuung nicht nur in dem Ausmaß zur Verfügung zu stellen, dass ein Kind der Maßstab ist, son­dern im gleichen Ausmaß wie für den Vormittag Zusatzstunden für Integration gewährt werden, damit auch nachmittags Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen und Kindern, die außerordentliche Schülerinnen und Schüler sind, besser möglich wird.

Da immer wieder die Ökonomie des Bildungssystems angesprochen wird, noch eine abschließende Bemerkung: Jenseits jeder pädagogischen Betrachtung scheint mir, dass es teuer ist, Parallelsysteme aufrechtzuerhalten. Man diskutiert viel über die Parallelsysteme in der Verwaltung der Schule, aber man diskutiert wenig über Paral­lelsysteme im Sekundarbereich, über Parallelsysteme in der PädagogInnenausbildung, vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe in der AHS, und man redet wenig über die Parallelsysteme in der Nachmittagsbetreuung von Horten, ganztägigen Schulformen, über private Initiativen von Vereinen, die auch von den Kommunen gefördert werden. Überlegt man, was hier personell und räumlich an gemeinsamen Ressourcen zur Ver­fügung steht, erkennt man, dass man da auch ökonomischer arbeiten und mit geringe­rem Input einen besseren Output erreichen könnte. – Ich danke für Ihre Aufmerksam­keit. (Beifall.)

13.15

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Mag. Dr. Rie­mer. – Bitte.

 


13.15

Mag. Dr. Gerhard Riemer| (Vereinigung Österreichischer Industrieller): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob es strategische Planung war, zum Stichwort Ökonomie jemanden aus der Wirtschaft zu Wort zu bitten, aber wenn es so wäre, wäre ich sehr dankbar dafür. Ich bearbeite in der Industriellenvereini­gung seit vielen Jahren den Bereich Bildung, Innovation und Forschung und habe damit die Freude, Ehre und manchmal schwierige Aufgabe, international, europäisch und national die Dinge zu vertreten. Ich bin sehr froh, dass ich nach den Schülervertre­tern drankomme, denn das, was man europäisch und international erlebt, zeigt, wie die Welt, in der wir uns befinden und in der wir über Schule, Schulinhalte und -organisati­onsformen diskutieren, im Wandel wesentlich schneller ist, als wir es uns hier herinnen wahrscheinlich vorstellen können.

Fünf Punkte, um die es uns geht:

Erstens – und ich möchte das mit der notwendigen Deutlichkeit sagen –: Ziel der Wirt­schaft, der Industrie ist es, den Innovationsstandort Österreich ins Spitzenfeld Euro­pas zu bringen. Wir liegen im Wirtschaftsranking der Europäischen Union der 25 vom Wohlstand her an fünfter Stelle und an der vierten, fünften dem Einkommen pro Kopf nach. Wir liegen im Innovationsranking, wie immer man das rechnet, im Mittelfeld, und zwar deshalb im Mittelfeld, weil in den letzten zwei, drei Jahren Initiativen dieser Bun­desregierung im Bereich Forschung und Entwicklung gut gelungen sind.

Wir sind auf dem Weg nach oben, und auf diesem Weg nach oben spielt die Bildungs­qualität, die Schulqualität eine entscheidende Rolle. Ich schließe mich da ganz den Ausführungen von Herrn Schnider an, dass es eines Policy-Mix zwischen Bildung, For­schung, Entwicklung und – das würde ich noch ergänzen – entscheidend im Bereich Technologien bedarf, um im Innovationsbereich gut zu sein. Es gibt keinen anderen Bereich in Europa, in dem wir national solche Spielräume haben, wie in diesen Berei­chen. Wir könnten sie noch wesentlich mehr nutzen.

PISA ist in meinen Augen, auch wenn die neuen Daten stimmen, ich würde fast sagen, ein erfreulicher und heilsamer Schreckschuss für die Schulpolitik. Ich würde mir wün­schen und erwarte, dass das auch die Initiativen der Frau Bundesministerin unterstützt und verstärkt, damit das, was in der Pipeline ist, vielleicht da oder dort mit Zustimmung des Herrn Finanzministers, rascher, effizient und strategisch konzentriert transportiert wird.

Ich meine, dass die Probleme, die wir hier diskutieren, auch andere haben. Man tut manchmal so, als wären nur wir die Armen, aber aus meiner europäischen Kenntnis und aus der engen Zusammenarbeit mit fast allen Industrieverbänden der Länder, die hier gerankt werden – es gibt zwei Beispiele internationaler Zusammenarbeit, die wir gemeinsam erbracht haben: „In Search of Quality in Schools“ und „Empowering the Teaching Profession“ –, weiß ich, dass diese Probleme auch jene Länder haben, die im Ranking angeblich weit vor uns liegen: die Finnen, die Schweden und die Dänen; von den Deutschen will ich hier gar nicht reden. Also tun wir nicht so, als wären nur wir hier die Armen und müssten deutlich besser werden. Ich denke, wir sind gut in der Organisation, in der Qualität, im berufsbildenden Schulwesen et cetera, et cetera – ich erlebe das bei jeder Diskussion –, aber wir sind für morgen nicht gut genug.

Bei aller Wertschätzung – ich erlaube mir, das hier doch zu sagen, und ich weiß auch, dass man mir hier nicht böse ist –, bei aller Wertschätzung der wissenschaftlichen Arbeit und Kompetenz stört es mich manchmal in der Diskussion ein wenig, dass sich unsere Wissenschafter auch in der Zukunftskommission bei aller unbestritten hohen Qualität ein wenig zu sehr in die politische Umsetzung einmischen, also in Dinge, von denen ich glaube, dass man sie eher denen überlassen sollte, die davon wirklich etwas verstehen. Ich würde daher meinen und bitten, dass die Zukunftskommission ihre her­vorragende Arbeit beendet, dort, wo notwendig, in der Begleitung weiterführt, es aber der Politik überlässt, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Was ist uns – viertens – aus der Industrie und Wirtschaft besonders wichtig? – Das sind drei Peak-Points; es muss sich noch ausgehen, diese kurz anzusprechen: Es ist das erstens die Professionalisierung des Lehrberufes, des Lehrerberufes. Es gibt hervorragende Beispiele, wie man das macht. Zweitens ist das ein effektives Schul­management, unternehmerisches Arbeiten in den Schulen ermöglichen, und drittens ist das die Ausrichtung der Bildungsinhalte und der Arbeit auf die Anforderungen moderner Berufe, auf eine Arbeitswelt, die auf uns zukommt.

Was wären aus meiner Sicht the next steps, die nächsten Schritte? – Drei Dinge: Ers­tens: den von Ministerin Gehrer versprochenen Bildungsplan 2010 unter Berücksich­tigung der Ergebnisse vorzulegen, zweitens: mit aller Kraft an der Umsetzung zu ar­beiten, mit einem Masterplan, wie es so schön heißt, mit einer klaren Roadmap zum Erfolg, und drittens – und hier herinnen waren viel mehr Gemeinsamkeiten spürbar, als man draußen in den Medienaussendungen jener liest, die nie hier waren –: dass man auf diesen Gemeinsamkeiten aufbaut und gemeinsam die entsprechenden Initiativen setzt.

Wir alle wissen aber, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, frühestens bei der nächsten PISA-Studie – vielleicht – zum Tragen kommen werden. – Ich danke viel­mals. (Beifall.)

13.20

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Frau Vizepräsi­dentin Mühlwerth. – Bitte.

 


13.20

Monika Mühlwerth| (Vizepräsidentin des Stadtschulrates für Wien): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mich heute bei der Debatte über die Gesamtschule gar nicht genug wundern können. Ich frage mich eigentlich, wieso nur diejenigen die Betonierer sind, die beim Wort Gesamtschule nicht in lauten Jubel ausbrechen und dem nicht Applaus spenden. Weder der OECD-Bericht noch die PISA-Studie kommen nämlich eindeutig zum Schluss, dass ein Gesamtschulsystem, wie es beispielsweise in Finnland, aber auch in anderen Ländern besteht, wirklich zum Erfolg führt, sondern beide sagen, dass es verschiedene Faktoren sind, die zu einem insge­samt guten Ergebnis führen.

Ich bin auch ganz überrascht, wie studiengläubig wir sind, aber damit möchte ich, meinem Vorredner beipflichtend, in keiner Weise die Wissenschaft diskriminieren. Wir werfen unseren Blick auf eine Studie, die von allen zitiert und die auch immer wieder als Diskussionsunterlage herangezogen wird. Wie viele Studien kennen Sie und kenne ich, wo dieselben Leute bezüglich desselben Themas irgendwann zu einem ganz an­deren Ergebnis gekommen sind und gesagt haben: Leider war alles falsch, was wir vor fünf Jahren gesagt haben, oder zumindest nicht ganz richtig. Jetzt ist es ganz anders.

Wie Herr Dr. Schäffer heute schon gesagt hat, gibt es auch Bildungsexperten, die zu dem Schluss kommen, dass ein differenziertes Schulwesen, wie es in Österreich be­steht, durchaus auch gute Ergebnisse bringen kann.

Ich bekenne mich eindeutig zur Leistung. Ich habe mit diesem Begriff kein Problem und verstehe nicht, warum man das Wort Leistung fast nicht mehr in den Mund nehmen darf. (Beifall.)

Selbstverständlich darf Leistung nicht so gefordert werden, dass es den Schüler kaputt macht, aber sehr wohl darf der Schüler gefordert werden. Es ist wirklich fatal, dass wir in unserem Schulsystem von Leistung überhaupt nichts haben wollen. Beim Gesamt­schulsystem, auch wenn es noch so gut gemeint ist, wage ich wirklich zu bezweifeln, ob es darin auch eine echte innere Differenzierung gäbe, denn darauf käme es eigent­lich an.

Wir haben das in Wien mit der Mittelstufe, die schon den Boden für die Gesamtschule aufbereitet hat, weil das ja eine alte sozialdemokratische Forderung ist. Da gab es einen Schuldirektor einer berufsbildenden höheren Schule, der dann von den eigenen Genossen angegriffen worden ist, der in seiner Schule die ersten Schularbeitsergeb­nisse dahingehend angeschaut hat: Wie schaut es aus, wenn man von der AHS kommt, von der Hauptschule und vom Schulversuch Mittelschule? – Der Schulver­such Mittelschule ist jedes Mal schlecht positioniert gewesen, war eigentlich immer die schlechteste Gruppe.

Auf dem Land hat die Hauptschule einen sehr hohen Stellenwert, nur in den Ballungs­zentren, vor allem in Wien, ist es genau umgekehrt, was aber auch daran liegt, dass man die Schüler gezielt in die AHS-Unterstufen geführt und ihnen gesagt hat, das muss so sein, weil die Chancengleichheit falsch verstanden worden ist. Chancen­gleichheit heißt nämlich, nach den Möglichkeiten und nach den Begabungen gefördert zu werden.

Wir müssen uns auf etwas einigen. Das Erste ist: Was bedeutet Bildung überhaupt? – Bei Bildung geht es um den Menschen in seiner Gesamtheit, nicht um reine Wissens­vermittlung; das ist heute schon einige Male angesprochen worden. Es sind sehr wohl auch soziale Kompetenzen, Kommunikation, Konfliktlösung et cetera mit einzubezie­hen, und das sollte sowohl die Schule als auch das Elternhaus mittragen. Es ist heute von den Schülerinnen und Schülern, von den Lehrern gesprochen worden, aber nur sehr wenig vom Elternhaus. Es gibt sehr viele Eltern, die sich sehr um die Kinder kümmern, aber es gibt auch sehr viele, die alles der Schule überantworten, womit die Schule eindeutig überfordert ist.

Besonders wichtig ist mir noch Folgendes: Wenn wir dem Bildungssystem in seiner Entwicklung Chancen geben wollen – ich weiß nicht, wie das in anderen Bereichen ist, aus Wien weiß ich es aber –, muss die Parteipolitik aus der Schule hinaus. In Wien weiß jeder – auch wenn das immer bestritten wird und Wien ein Objektivierungssystem bei der Besetzung seiner Führungspositionen hat –, wo eine rote Schule ist und wo eine schwarze Schule ist. Jeder weiß, welcher Bezirksschulinspektor rot und welcher schwarz ist. Wir haben das auch schon ausprobiert: Wir haben, bevor das Bestellungs­verfahren in Gang gesetzt worden ist, beim Bürgermeister von Wien Namen in einem Kuvert deponiert, und siehe da: Es waren dann genau die Namen, die wir dort depo­niert haben!

Leider gibt es auch viele Lehrer, die ihre parteipolitische Gesinnung auch auf die Schü­ler übertragen. Damit will ich nicht sagen, dass jemand, der eine politische Gesinnung, welcher Farbe auch immer, hat, nichts werden darf. Der erste Schritt muss aber sein: Der Beste muss ausgewählt werden, und welche Farbe er hat, ist nicht wesentlich. Die Qualifikation ist das Wesentliche. In Wien aber läuft es oft umgekehrt.

Wir sollten alle einen Satz mit auf den Weg nehmen – ich sage nicht, vom wem er ist, weil er verschiedenen Menschen zugeordnet wird, aber ich finde ihn gut –, der da lau­tet: Bildung ist das, was bleibt, wenn man alles schon vergessen hat, was man jemals gelernt hat. Ich denke, wir müssen auch im Hinblick auf lebenslanges und lebens­begleitendes Lernen in diese Richtung gehen und unseren Kindern möglichst viel grundlegende Bildung mitgeben, auf die sie dann später aufbauen können. Von dem, was wir in der Schule lernen, wissen wir nicht, wann wir es jemals wieder brauchen werden und ob wir es nicht eines Tages ganz dringend brauchen werden. (Beifall.)

13.27

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Georg Pehm|: Zu Wort gemeldet ist Mag. Zach. – Bitte.

 


13.27

Mag. Ernst C. Zach| (EFFE-Österreich/European Forum for Freedom in Education): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde gerne einen Blick zurück auf ein ganz grundlegendes Problem im österreichischen Schulwesen werfen und würde dazu gerne ein Beispiel bringen. In meiner Eigenschaft als Vertreter der Alternativschulen, Montessori-Schulen und Waldorfschulen in Österreich in EFFE-Österreich habe ich in letzter Zeit auf E-Mails, Anfragen, Briefe sehr oft Antworten folgender Art bekommen – meistens nahezu wortidentisch –: Das österreichische Schulwesen ist großartig, einzig­artig, und wir müssen alles daransetzen, es zu bewahren und nicht zu gefährden.

Jetzt möchte ich mich nicht in die Diskussion über die Qualität des österreichischen Schulwesens hineinoptieren und darüber Auskunft geben. Es wurde hier schon viel über dessen Effizienz, Möglichkeiten und Grenzen gesprochen. Was bedeutet diese Aussage aber für mich – und darin sehe ich auch das grundlegende Problem –: Für mich zeugt diese Aussage, so wie sie getroffen wird, von mangelnder Reformbereit­schaft und einer unglaublichen Änderungsresistenz. Das kennen wir von Seiten des österreichischen Schulsystem eigentlich schon seit Maria Theresias Zeiten.

Ich denke, das österreichische Schulsystem braucht etwas ganz anderes, und zwar zum Ersten einmal eine Öffnung der Strukturen. Es muss möglich sein, Grundlegen­des fundiert in Frage zu stellen und zu diskutieren. Damit meine ich nicht, das Kind mit dem Bade auszuschütten, sondern es muss möglich sein, wirklich grundlegend etwas tun und nicht nur darüber reden zu können.

Es gäbe viele Beispiele: Der 50-Minuten-Raster der Stunden, die Konstruktion des Klassenverbundes als Jahrgangsklasse, den Vierjahresraster, von dem wir alle aus entwicklungspsychologischen Studien schon seit vielen Jahren wissen, dass er eigent­lich völlig falsch ist und das Beste ist, um es Kindern schwer zu machen, Umstiege von einem System in eines der folgenden Systeme zu finden.

Das Zweite, was das österreichische Schulsystem ganz dringend braucht, ist Vielfalt und Wahlfreiheit. Das sind siamesische Zwillinge, die sich gegenseitig bedingen. Das eine kommt ohne das andere nicht aus. Was nützt die Vielfalt, wenn man nicht aus­wählen kann? Und umgekehrt funktioniert das natürlich gar nicht: Man kann etwas wählen, hat aber nichts zum Auswählen.

Daraus folgt die Forderung nach Vielfalt und Wahlfreiheit im staatlichen System. Es muss einfach auch möglich sein, dank des Engagements der Lehrer und Lehrerinnen im staatlichen System viel mehr differenzierte Angebote im österreichischen staatlichen Schulsystem zu machen. (Präsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Es sind auch andere Dinge rein strukturell seltsam. Es kommt zum Beispiel oft vor, dass ein Kind große Probleme hat, die Schule im Nachbardorf zu besuchen, nur weil diese Schule im anderen Schulsprengel liegt. Das hat auch nichts mit Wahlfreiheit und Vielfalt zu tun und gehört eigentlich unverzüglich abgestellt. Es müssten Überlegungen angestellt werden, wie man damit umgehen kann. Warum muss der Gemeinderat beschließen, ob ein Kind mit seinen Freunden in die Schule gehen kann? Das ist völlig unverständlich!

Es gehört natürlich genauso – und das ist für mich verständlicherweise ein ganz wich­tiger Punkt – eine Vielfalt und Wahlfreiheit außerhalb des staatlichen Systems dazu. Mittlerweile kennen wir das alles schon: Die Waldorfschulen, die Montessori-Schulen, die Alternativschulen sind in vielen Bereichen des Schulsystems Impulsgeber. Ich führe hier nur Dinge an, über die wir nicht nur reden, sondern die wir schon jahrelang leben, Dinge, die heute bereits alle angesprochen worden sind: direkte Leistungsvorlage, indi­viduelle Förderung, Freiarbeit, offenes Lernen, soziales Lernen, Integration, eigenver­antwortliches, selbst bestimmtes Lernen, Erziehung zur Selbständigkeit, Elternbeteili­gung, Schülerbeteiligung, pädagogische Autonomie.

Das sind alles Dinge, von denen das österreichische Schulsystem profitiert und in noch größerem Maße profitieren könnte. Viele Lehrer – das sei nur nebenbei gesagt – schicken ihre Kinder in unsere Schulen. Lehrer des staatlichen Systems sind in einem überaus hohen Maße innerhalb unserer Elternschaft vertreten. Sie holen sich in einer Hospitationssituation einfach auch Kraft und Ideen dafür, was sie im staatlichen Schul­system weiter machen können.

Die Situation in den Waldorfschulen, Montessori-Schulen und Alternativschulen ist et­was triste, es herrscht permanente Mangelverwaltung. Wir sind eigentlich nahezu aus­gehungert, und das gehört für meine Begriffe eigentlich auch unverzüglich geändert. Ich sehe das jetzt nicht unter dem Aspekt, dass es da wieder eine Gruppe gibt, die irgendwo Geld haben will und halt irgendetwas vom Kuchen für sich urgiert, sondern hier ergibt sich aus meiner Sicht einerseits eine Chance, und aus dem Menschenrecht auf freie Wahl der Bildung ergibt sich andererseits auch eine Pflicht für Österreich, in ein dynamisches, engagiertes pädagogisches Entwicklungslabor zu investieren. Und wir sind ein Entwicklungslabor. Bei vielem, was wir relativ leicht tun können, tut sich die staatliche Schule auf Grund ihrer Struktur sehr schwer.

Das Ganze ist eine Investition, ist, wie bereits von Bundesrat Schnider angesprochen, eine Investition in eine Vielfalt, die sich in unserem gesamten österreichischen Bil­dungssystem vielfach rentieren würde. Es handelt sich also um eine Situation, wo alle nur gewinnen können, eine Investition, die uns allen zugute kommt. Ich hoffe also das Beste. – Danke. (Beifall.)

13.33

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Blatnik. – Bitte.

 


13.33

Bundesrätin Ana Blatnik| (SPÖ, Kärnten): Frau Präsidentin! Gospa president! Meine lieben Damen und Herren! Drage dame in gospodje! Wenn die Frau Vizepräsidentin des Wiener Stadtschulrates vorhin gesagt hat, dass Qualifikation in den Vordergrund gestellt werden sollte, bin ich voll ihrer Meinung. Sie hat auch gesagt, dass es in Wien anders ist. In Kärnten ebenfalls. Ich will aber, bitte schön, nicht die Qualifikation der betreffenden Personen hier in Abrede stellen.

Ich möchte kurz zur PISA-Studie Stellung nehmen. – Meine Damen und Herren, die gibt es nun einmal, das Resultat ist uns bekannt, und jetzt ist Handeln angesagt, und zwar, wie ich meine, deswegen, weil Bildung und Schule wohl zu den wichtigsten Bereichen unserer Gesellschaft zählen. Und von Bildung hängen zu einem überwie­genden Teil die Entwicklungschancen unserer Gesellschaft ab.

Wenn Herr Professor Dr. Haider gesagt hat, Chancengleichheit sollte gegeben sein, dann würde ich das noch ein bisschen erweitern wollen: kostenlose Chancengleich­heit für alle Schülerinnen und Schüler. Es darf diese Gleichheit nicht vom gesellschaftli­chen Status und auch nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein, weil, wie unsere Kärntner Landesschulratspräsidentin gesagt hat, der Mensch im Vordergrund steht und der Mensch zählen soll. Deswegen bedauere ich es schon ein wenig, dass die jetzige Bundesregierung diese Tendenzen in Richtung Chancengleichheit ein bisschen minimiert. Ich erwähne hier nur die Studiengebühren.

Herr Bundesrat Weilharter hat gesagt, Geld sei nicht alles. Stimmt! Ich bin auch Lehre­rin, aber man muss alles dazu tun, dass neben bestqualifiziertem Lehrpersonal ent­sprechende Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden, die für die beste Schule und beste Bildung notwendig sind.

Herr Landesschulratspräsident Enzenhofer hat gesagt: Am liebsten erinnere ich mich an die Zukunft. – Ich auch! Deswegen, und das zukunftsorientiert: Keine Sparmaßnah­men im Schul- und Bildungsbereich! Ich bin mir zwar dessen bewusst, dass Sparen angesagt ist, aber bitte nicht im Bildungs- und Schulbereich! Ich könnte da ein Beispiel nennen, wo man viel Geld einsparen könnte: beim Ankauf von Abfangjägern etwa. Keine Reduktionen und Kürzungen bei den Unterrichtseinheiten, keine Schließungen von Schulen – was das für den ländlichen Raum bedeutet, brauche ich im Grunde ge­nommen nicht zu erläutern – und auch keine Schaffung von Exposituren! So könnten Maßnahmen zur Hebung des Interesses am Wissen gefördert werden; das ist es, was unsere Frau Dr. Egger gesagt hat. Man sollte alles tun, um die beste Schule, um die beste Bildung für unsere Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen und auch für die Lehrerinnen und Lehrer beste Voraussetzungen zu schaffen.

Ich bin Kärntner Slowenin, das heißt, ich bin Angehörige der slowenischen Volksgrup­pe, und ich möchte daher kurz zum Minderheitenschulwesen Stellung nehmen. Weil der Schülervertreter der FPÖ gesagt hat, man sollte eine Europasprache, eine Fremd­sprache können, möchte ich darauf hinweisen, dass wir im zweisprachigen Gebiet in Kärnten die Möglichkeit haben, beide Landessprachen in den Volksschulen zu erler­nen.

Dieses Minderheitenschulwesen funktioniert eigentlich recht gut, aber nicht, weil es die Politik so vorschreibt, sondern weil sich die Menschen geöffnet haben, weil sie es so wollen und weil sie ein Bewusstsein der europäischen Konzeption mitgebracht haben, die besagt, dass neben der Muttersprache, neben einer Weltsprache auch Sprachen des Nachbarn zu erlernen sind. In Kärnten können wir feststellen, dass viele Men­schen, und zwar unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit, dieses Angebot an­nehmen.

In Österreich gibt es zwei unterschiedliche Systeme im Minderheitenschulwesen: das Abmelde- und das Anmeldeprinzip. Für mich ist das Abmeldeprinzip, das im Burgen­land praktiziert wird, das bessere.

Einen Kritikpunkt im Minderheitenschulwesen hätte ich hier doch anzubringen, und zwar die Bestellung von Direktoren an einer zweisprachigen Volksschule in Kärnten. Jetzt ist es nicht mehr erforderlich, als Direktor oder Direktorin an einer zweisprachigen Volksschule in beiden Landessprachen qualifiziert zu sein. Da Frau Dr. Egger die Fülle der Anforderungen an Direktoren und Direktorinnen erwähnt hat, möchte ich die Frage stellen: Wie kann ein Direktor oder eine Direktorin, die nur einsprachig ist, das heißt, nur der deutschen Sprache mächtig ist, in der deutschen Sprache qualifiziert ist, einen zweisprachigen Lehrer bewerten oder Amtsschriften in beiden Sprachen verfassen? Deswegen die dringende Forderung, bei der Bestellung von Direktoren und Direkto­rinnen an zweisprachigen Volksschulen in Kärnten darauf zu achten, dass diese die entsprechende Qualifikation in beiden Sprachen haben.

Da meine Muttersprache Slowenisch ist und ich Sie hier nicht provozieren will, sondern nach der europäischen Konzeption handle, möchte ich eine kurze Zusammenfassung auch in meiner Muttersprache, in Slowenisch, bringen.

(Bundesrätin Blatnik setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. (Beifall.)

13.40

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mandak. – Bitte.

 


13.40

Abgeordnete Sabine Mandak| (Grüne): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Schülerinnen und Schüler! Herr Dr. Riemer, Sie haben vor­hin von Seiten der Wirtschaft Forderungspunkte eingebracht, von denen ich ein paar ganz gut nachvollziehen kann.

Ein Wort, das Sie nicht erwähnt haben, das jedoch normalerweise von Ihrer Seite her kommt, ist das Wort Optimierungsmaßnahmen. Das ist etwas, was mich in der Bil­dungsdiskussion manchmal verwundert. Wir sprechen über Reform des Bildungswe­sens, es ist aber nicht erlaubt, dabei wesentliche Kernpunkte anzutasten – das ist heute schon kurz angesprochen worden –, nämlich wirklich neue Formen des Lernens und Lehrens, neue Formen der Organisation oder ein neues Mischen von Lehr- und Lernzeiten.

Wir sitzen jetzt gerade einmal viereinhalb Stunden da herinnen. Wenn Sie jetzt kurz so in sich hineinhören und darauf achten, wie aufnahmefähig Sie sind, so denke ich mir, das ist so ziemlich dem Nullpunkt zustrebend. Alle wetzen eigentlich schon herum. Pausen wären auch in der Schule dringend notwendig, aber auch eine kleine Pause nützt oft nur wenig, vor allem dann, wenn Schüler sie auch noch dazu nutzen müssen, um ein anderes Klassenzimmer aufzusuchen. – Fünf, sechs, sieben Stunden lang am Stück irgendwo zu sitzen und sich berieseln zu lassen, das kann wirklich nicht die optimalste Form des Unterrichts sein! Ich denke, da sind wir alle einer Meinung. Und ich finde es sehr schade, dass es in der Bildungsdiskussion in Österreich derzeit nicht möglich ist, hier aufzumachen und wirklich neue, zukunftsweisende Wege zu erschlie­ßen, wie Bildung sein könnte, damit sie wirklich effizient ist und das beste Ergebnis bringen könnte.

Ich denke mir, dass dann auch die Frage: Ganztagsschule – ja oder nein? nur mehr ein Randthema wäre, weil klar wäre, dass es natürlich Sinn macht, Lernzeiten über weitere Strecken auszudehnen, damit dazwischen auch wirklich Freizeit- und Erholungsphasen in einem ausreichenden Ausmaß gegeben sind.

Drei ganz besondere Herausforderungen für das Bildungssystem möchte ich kurz an­sprechen: Das eine ist etwas, das schon bei der letzten PISA-Studie herausgekommen ist, das aber viel zu sehr untergegangen ist – Herr Dr. Haider hat es heute schon an­gesprochen –, nämlich dieses eine Viertel der Schülerinnen und Schüler, die beim Pflichtschulabschluss nicht sinnerfassend lesen können. Ich bin der Überzeugung, dass es eines der wichtigsten bildungspolitischen Ziele in Österreich ist, diesen Anteil radikal hinunterzudrücken beziehungsweise im Idealfall auf null zu bringen, weil damit sämtliche weiteren Bildungschancen wirklich sehr stark begrenzt sind und weil sonst die Defizite und die Benachteiligungen dieser Schülerinnen und Schüler vorprogram­miert sind.

Der zweite Bereich wurde von Frau Brandl angesprochen, nämlich die Integration von Kindern mit Behinderung. Derzeit reicht die Integrationsquote in Österreich von Vor­arlberg, wo sie leider nur bei knapp über 30 Prozent liegt – Vorarlberg ist damit öster­reichweit Schlusslicht –, über Niederösterreich mit rund 42 Prozent bis zur Steiermark mit 78 Prozent. Und das in einem Land, in dem es ein Recht auf Integration gibt! Ich denke, wir vergessen das manchmal: Es besteht ein Recht der Kinder auf Integration, und dieses Recht haben sie in keinem Bundesland zu 100 Prozent und in manchen Bundesländern nur zu einem ganz, ganz geringen Prozentsatz. Ich würde mir erwar­ten, dass, bei aller Achtung der Autonomie der Länder, auch von Bundesebene her wirklich Maßnahmen ergriffen werden, damit diese Integrationszahlen gesteigert und auf hohem Niveau angepasst werden. (Beifall.)

Der dritte Punkt betrifft Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache. Frau Kollegin Ross­mann! Ich denke nicht, dass man vom Prozentsatz der Kinder mit nichtdeutscher Mut­tersprache in einer Klasse ausgehen und daraus dann das und jenes ableiten kann. Wesentlich ist ja, wie gut die Kinder Deutsch sprechen können – oder eben nicht. Es gibt Kinder, die eine andere Sprache als Muttersprache haben und trotzdem fast per­fekt Deutsch sprechen. Da muss man also sehr wohl unterscheiden. Und da fehlen – und ich denke, darin werden Sie mir Recht geben –, soviel ich weiß, sowohl im Schul- als auch im Kindergartenbereich in allen Bundesländern, also flächendeckend die Unterstützungsmaßnahmen, die notwendig wären, damit die Kinder schon sehr früh die Möglichkeit bekommen, gut Deutsch zu lernen. Da gibt es ganz, ganz große Defizite.

Ich komme aus Vorarlberg und erinnere mich noch an die Zeit, als meine Tochter, die jetzt 24 Jahre alt ist, in der Volksschule war. Damals war es dort noch möglich, dass in den Klassen Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen konnten, doppelt gezählt wurden. Das hat dazu geführt, dass sich in dem Moment, wo mehr Kinder kaum oder schlecht Deutsch gesprochen haben, die Klassenschülerzahl drastisch reduziert hat und damit natürlich im Ganzen viel bessere Lehr- und Lernbedingungen zur Verfügung gestanden sind. Von solchen Rahmenbedingungen können wir heute nur mehr träumen, leider auch in Vorarlberg. Ich denke, es wäre Zeit, in diesem Fall einmal ein wenig zurückzu­schauen, ob es nicht schon bessere Modelle gegeben hat, und hier entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. – Danke. (Beifall.)

13.46

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schimböck. – Bitte.

 


13.47

Bundesrat Wolfgang Schimböck| (SPÖ, Oberösterreich): Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die große Bedeutung des Bildungswesens für die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in unserem Land können Sie eigentlich auch der Arbeitslosenstatistik entnehmen. Während nur 16 Prozent der 27- bis 30-Jährigen – mir persönlich und wahrscheinlich auch Ihnen sind das allerdings auch noch immer zu viel – keinen über die Pflichtschule hinausgehenden Lehr- oder Schulabschluss haben, sieht das bei den Arbeitslosen ganz dramatisch aus: Über 40 Prozent der Arbeitslosen haben keine Berufsausbildung abgeschlossen.

Unser Bildungssystem muss gerade diesen Bürgerinnen und Bürgern neue, zusätz­liche Angebote machen. Hier würde sich ein Bereich anbieten, der heute noch wenig Erwähnung gefunden hat, nämlich die Berufsschulen. Man muss sagen, dass gerade der Berufsschulbereich mit in der Regel ganz bescheidenen Ressourcen im Rahmen des dualen Ausbildungssystems, das sicherlich auch insgesamt einmal sehr zu hinter­fragen wäre, Hervorragendes leistet. Sie müssen bedenken, dass eigentlich immer mehr Betriebe immer weniger vom vorgegebenen Ausbildungsprogramm in einem der 280 Lehrberufe anbieten können. Das hängt mit der starken Spezialisierung in der Wirtschaft zusammen. Und da kann man auch nicht völlig Abhilfe schaffen, indem man Modelle einer Komponentenlehre realisiert, das heißt, dass die praktischen Ausbil­dungsteile vom Lehrling dann eben in verschiedenen Betrieben absolviert werden.

Wir haben aber in Oberösterreich – ich komme aus diesem Bundesland – immerhin noch immer 22 954 Lehrlinge, Besucherinnen und Besucher von Berufsschulen, und – das wird jetzt mein Landsmann fast noch besser wissen – dem stehen 31 838 Schüle­rinnen und Schüler in höheren und mittleren berufsbildenden Schulen gegenüber; dazu gibt es allerdings auch noch ungefähr 8 000 Schüler in der Oberstufe der AHS.

Gerade dieser Bereich würde sich anbieten, etwas zu tun. Es ist auch ganz interes­sant, dass 9 262 Ausbildungsbetriebe diese Lehrlinge ausbilden. Diese Zahl sagt ja schon alles. In der Regel sind dies kleine, mittlere und Kleinstbetriebe. Ich betreibe selbst so einen Betrieb mit 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und weiß, wovon ich hier spreche. Wenn heute gesagt wurde, dass die monetäre Sicht eher zweitrangig sei, so muss man schon bedenken, dass Qualität hier wirklich oft etwas mit der materiellen Ausstattung der Betriebe zu tun hat. Ich weiß das auch selbst: Man muss dem Lehrling viele Zusatzbereiche anbieten. Ich denke dabei an den ganzen IT-Bereich, an die Kom­munikation und so weiter.

Vergleichen wir: Bei uns in Linz werden von der Voest-Stahl 11 Millionen € in die her­vorragende Ausstattung einer Lehrwerkstätte für etwa 480 Lehrlinge investiert. Ich kenne keinen Klein- oder Mittelbetrieb, der das machen könnte: 11 Millionen € in die Zukunft von 480 jungen Menschen zu investieren! Oder denken Sie an die Handels­konzerne, die bereits eigene Akademien in Form von Berufsschulen mit Öffentlichkeits­recht betreiben, in denen Lehrlinge mit einer Menge an zusätzlichen Lernangeboten ausgebildet werden! Schlussendlich könnte auch im Berufsschulbereich quasi ein Zweiklassensystem entstehen, wenn man nicht gewillt ist, weiter zu investieren und eine weitere Entwicklung einzuleiten.

Und was vielleicht besonders hervorzuheben ist: Es haben auch die Berufsschulen im Bereich des Handicaps den Ball aufgenommen. Auch da wird Menschen, die in ver­schiedener Weise behindert sind, aber auch Lernschwachen Ausbildung angeboten, und auch da wäre es natürlich dringend notwendig, entsprechendes Personal bereitzu­stellen und die Modelle zu adaptieren. Eine solche Lehre dauert statt drei Jahre dann vielleicht manchmal vier oder viereinhalb Jahre.

Insgesamt kann ich als Partner und auch als Ausbildender über die Berufsschule sagen: Es gibt dort beim Lehrpersonal ein hohes Maß an sozialer Kompetenz, und es ist daher nicht ganz verständlich, wenn diese Lehrkräfte, die zum Teil aus branchen­spezifischen Bereichen kommen, früher eben andere Berufe ausgeübt haben und viel soziale Kompetenz in den Lehrbetrieb einbringen, jetzt durch einen föderalen ausbil­dungs- und vor allem dienst- und besoldungsrechtlichen Dschungel sehr stark verun­sichert werden. So sollen etwa Lehrkräfte, die schon seit Jahrzehnten erfolgreich tätig sind, plötzlich eine AHS-Ausbildung nachholen und dergleichen mehr, um besoldungs­rechtlich nicht in eine völlige Schieflage zu geraten. Es wäre also ganz, ganz wichtig, hier wieder klar Schiff zu machen, um motiviertes Personal, einen motivierten Lehrkör­per zu haben.

Herr Professor Haider hat heute hier einen Begriff angesprochen, der mir sehr gefallen hat. Herr Professor, Sie haben von „Lernepisoden“ gesprochen. – Ich meine, dass das Berufsschulwesen wie kein anderer Schultyp für dieses episodenhafte Lernen anfällig ist. Wir bräuchten daher eine Reihe neuer Konzepte, wenn wir uns in diesem Bereich wirtschaftlich und sozial für die Zukunft rüsten wollen. Lebenslanges Lernen heißt vor allem auch fortwährende Weiterentwicklung des Schulwesens und natürlich auch des Berufsschulwesens. – Danke. (Beifall.)

13.53

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Mag. Gimpel. – Bitte.

 


13.53

Mag. Herbert Gimpel| (Amtsführender Präsident des Landesschulrates für Salzburg): Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Expertinnen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Amtsführender Präsident des Landeschulrates für Salzburg noch kurz in Amt und Würden, möchte ich zuallererst den Initiatoren der heutigen Enquete zu dieser Aktion, zu dieser Maßnahme gratulieren. Sie war längst überfällig.

Ich habe natürlich als 27. Nachredner den Vorteil, dass ich keine eigene schriftliche Vorbereitung mehr brauche, sondern aus dem Fundus meiner Vorredner schöpfen kann. Ich möchte mich dabei auf einige wenige Punkte beschränken.

Ich denke, es ist wichtig, dass man nicht alles negativ, defizitär sieht, sondern auch das Positive an Reformschritten, an Veränderungspotentialen betrachtet. Es ist mehr als angezeigt, über Entwicklungschancen, Entwicklungspotentiale des österreichischen Bildungssystems auch im Sinne von Reformen zu diskutieren.

Dr. Schnider hat es bereits angezogen: Es ist nicht alles schlecht, was etabliert wurde, und ich möchte da speziell auf den Lehrplan 2000 Bezug nehmen. Das war eine wirk­lich gute Sache, wenngleich die Diktion bei der Einführung nicht sehr glücklich war, da man vom „Entrümpeln“ von Lehrinhalten sprach. Ich meine – und ich habe in der Zeit davor unterrichtet –, dass nicht alles „Gerümpel“ war, was ich unterrichtet habe. Den­noch ist der Lehrplan eine gute Sache, denn er ist schlank, er ist zielorientiert und effi­zient.

Meine Frage, wenn man etwas Neues, einen Lehrplan etwa, einführt, ist immer: Wel­che Maßnahmen werden danach gesetzt, die dieser Maßnahme entsprechen? Herr Dr. Schnider, Sie werden es wissen: Der Lehrplan 2000 im Bereich der AHS-Unterstufe und der Hauptschule wurde auch deswegen implementiert, um die Schulen auf dem Weg zur Leitbildentwicklung, zur Profilbildung voranzubringen. Und da stelle ich schon die Frage: Warum hat man im Jahr 2003 mit der Rechtsbereinigungsverordnung den Hauptschulen in vier Jahren von 127 Stunden sieben Stunden gestrichen? Das hat nämlich an vielen Standorten die schulautonome Profilbildung zunichte gemacht. Die Schlüssigkeit von Reformmaßnahmen gilt es also immer zu hinterfragen.

Ich würde mir wünschen – und Dr. Haider hat es in seinem Referat auch angezogen –, dass wir zur Erkenntnis gelangen, dass wir eine nachhaltige, langfristige und vor allem eine Reform im Rahmen eines pädagogischen Gesamtkonzeptes brauchen, damit nicht in kleinen Schritten niederschwellige Einzelmaßnahmen gesetzt werden, bei denen man unter Umständen Gefahr läuft, dass man in ein, zwei Jahren Effekte erzielt, die die betreffende Maßnahme konterkarieren. In vielen Bereichen ist das leider der Fall.

Besonders wichtig ist mir in dieser Runde der Experten, dass wir auch mit den Fach­termini etwas differenzierter umgehen, sonst führt das zu Undifferenziertheit. Wenn man heute von der Qualität und der Bedeutung des Differenzierens im Unterrichts­geschehen spricht, so ist das sehr gut. Wenn man aber von der Differenzierung der Schulorganisation spricht, von der hohen Differenzierung, so muss ich sagen: Diese ist abzulehnen, denn wir alle wissen jetzt, dass die frühzeitige und hohe Differenzierung der Bildungssysteme weniger erfolgreich ist als gesamtschulartige Systeme. Das dazu. (Beifall.)

Weiters meine ich, und ich bleibe beim Prinzip der Differenzierung, dass wir doch end­lich einmal zwischen den Lehrerinnen und Lehrern hinsichtlich ihrer Ausbildung unter­scheiden sollten. Es wird immer von der LehrerInnenausbildung gesprochen; auch Dr. Haider hat das angezogen. Die Unterrichtsqualität, die pädagogisch-didaktische Kompetenz muss sich steigern. Ich stelle die Frage: In welchem Teil oder in welchem Typ der Ausbildung muss sie sich steigern? Ich habe noch keine Antwort bekommen. Ist es die universitäre Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, oder ist es die Ausbildung der Pflichtschullehrerinnen und -lehrer auf dem Weg zur Pädagogischen Hochschule?

Ich denke, das sind Fragen, die offen sind, die noch nicht beantwortet wurden, obwohl wir wissen, dass wir im Bereich der Plichtschullehrerausbildung das Akademiestudien­gesetz bereits 1999 etabliert haben. Es ist viel Zeit vergangen, und es gibt viele Fra­gen, aber es gibt wenig Antworten in diesem Bereich.

Ein letzter Punkt, denn ich möchte nicht zu lange reden: Wenn wir uns wirklich auf den Weg machen, eine nachhaltige, echte Reform des österreichischen Bildungssystems in allen Bereichen anzugehen, dann würde ich meinen, dass nicht eine, zwei oder drei Legislaturperioden dafür ausreichen, wie Dr. Haider gesagt hat, sondern dann soll man sich wirklich an die Vorbilder anlehnen, die, wie zum Beispiel Finnland, das heute an der Spitze einer internationalen Bildungsstudie steht, in den siebziger Jahren mit der Schulreform begonnen haben und unter Umständen – das antizipiere ich jetzt –, wenn am 7. Dezember die Ergebnisse präsentiert werden, auch wieder weit vorne sein wer­den. – In diesem Sinne wünsche ich uns noch einen schönen Tag. (Beifall.)

 


13.59

Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Sektionschef Mag. Stelzmüller. – Bitte.

 


13.59

Sektionschef Mag. Wolfgang Stelzmüller| (Bundesministerium für Bildung, Wissen­schaft und Kultur): Sehr geehrte Damen und Herren! Zu dieser sehr weit vorgeschritte­nen Stunde möchte ich mich sehr kurz fassen und mich auch dafür bedanken, dass hier das Thema Bildung und Entwicklungsmöglichkeiten des Bildungssystems so brei­ten Raum finden.

Als Vertreter des Ressorts möchte ich aber doch darauf hinweisen – PISA wurde schon angeschnitten –, dass PISA, die Studie, die am 7. Dezember veröffentlicht wird, natürlich nicht alles ist. PISA ist ein sehr wichtiger Teil, der die Altersgruppe der 15-, 16-Jährigen nach verschiedenen Leistungskategorien beurteilt.

Im internationalen Querschnitt schneidet das österreichische Bildungssystem im Ge­samten in fast allen Studien ausgezeichnet ab und liegt im internationalen Spitzenfeld. Ich möchte das nur an ein paar Beispielen dokumentieren:

Österreich hat das Ziel, dass bis 2010 mindestens 85 Prozent der 22-Jährigen einen weiterführenden Bildungsabschluss nach der Pflichtschule haben sollen, mit 86,5 Pro­zent bereits jetzt erreicht.

Österreich hat auch die niedrigsten Schulabbrecherzahlen; das wurde heute bereits angeschnitten. Der Anteil derjenigen, die die Schule frühzeitig verlassen, liegt mit 9,5 Prozent weit unter dem EU-25-Durchschnitt, der derzeit bei 18,5 Prozent liegt.

Und: Österreich hat die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. Ende Juli 2004 lag Österreichs Jugendarbeitslosenquote mit 6,9 Prozent weit unter dem EU-25-Durch­schnitt, der derzeit bei 18 Prozent liegt. Das österreichische Berufsbildungssystem be­reitet die jungen Menschen bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vor und schafft damit auch die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Berufseinstieg.

Ich möchte noch kurz auf die jüngst veröffentlichte OECD-Studie zu sprechen kommen und in einem Shortcut blitzlichtartig jene Punkte hervorheben, die in dieser Studie als vorbildhaft eingestuft wurden: Da ist zunächst einmal die Wissensentwicklung im IT-Bereich, deren Umsetzung im schulischen Lernen, sowie die Sprachoffensive Englisch ab der ersten Klasse, ebenso die hohe Differenzierung des Schulsystems als großer Vorteil für Eltern und SchülerInnen, als Wahlmöglichkeit, weiters die hohe Eigenverant­wortung und Autonomie der Lehrerinnen und Lehrer bei der Gestaltung des Unter­richts.

In weiterer Folge weist Österreich vor allem im Primarbereich, was unterschiedlich beurteilt und sehr oft kritisiert wird – Herr Nekula hat das bereits angeschnitten –, eine geringe Klassengröße auf, und zwar weit unter dem OECD-Schnitt; im Rahmen der EU-25 liegen wir am siebenten Platz.

Das Betreuungsverhältnis Lehrer –Schüler ist eines der besten in der OECD und eben­falls im Bereich der EU-25: im Sekundarschulbereich dritter beziehungsweise vierter Platz und im Primarschulbereich an neunter Stelle.

Ebenso sind die Bildungsausgaben, die hier immer wieder als zu gering bezeichnet oder zu einem Sparprogramm umdefiniert wurden, mit die höchsten in den EU-25-Staaten: im Primarschulbereich ist es der vierte Platz und im Sekundarschulbereich insgesamt der zweite Platz mit 8 562 Dollar kaufkraftbereinigt. Ich meine, mit 36 Pro­zent über dem OECD-Schnitt wird wirklich sehr viel in die Bildung investiert, was ande­rerseits von manchen – Herr Dr. Haider hat das am Anfang in seinem Referat zitiert – auch durchaus kritisch gesehen wird, nämlich in der Weise, dass unser Schulsystem zu teuer ist.

Ich meine, wir sind auf dem richtigen Weg. Ich möchte auch auf meinen Nachredner, Sektionschef Dobart, verweisen, der nicht nur die monetären Investitionen ins Bil­dungssystem, sondern auch die pädagogischen Initiativen darstellen wird. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.03

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Schrodt. – Bitte.

 


14.04

Direktorin Mag. Heidi Schrodt| (AHS Rahlgasse, Wien): Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Sehr geehrte noch anwesende und durchhaltende Damen und Herren! Es ist heute schon sehr viel gesagt worden. Daher möchte ich mich auf zwei Aspekte beschränken, mit denen ich auch in meiner täglichen Arbeit zu tun habe.

Vorausschicken möchte ich noch, dass es – was mich immer wieder fasziniert –, wenn man sich über den österreichischen Tellerrand hinausschauend mit Bildungsfragen beschäftigt, fast – fast! – keine Frage gibt, die bei uns nicht sofort parteipolitisch abge­handelt wird, bevor sie sachlich abgehandelt wird. Das halte ich irgendwie für ein Kuri­osum.

So geht es auch mit der Autonomie. Das ist der erste Punkt, zu dem ich Stellung neh­men möchte. Auch die wird bereits, so merke ich, wieder mehr von einem parteipoli­tischen Aspekt her diskutiert. Wir haben ja angeblich seit 1996 eine so genannte Auto­nomie an Schulen; tatsächlich haben sie einige Schultypen im Sachaufwandsbereich, der seit dieser Zeit an meiner Schule ganz konkret um ein Drittel reduziert wurde. Über diese Autonomie möchte ich aber nicht sprechen, weil das für mich eigentlich keine Autonomie ist.

Mir geht es vielmehr darum, dass sich unter anderem bei PISA, aber auch in anderen internationalen Untersuchungen der Schulforschung herausgestellt hat, dass die Auto­nomie ein ganz wesentliches Erfolgskriterium ist. Die Frage wäre also – und das ist für mich noch nicht ganz klar –, wie dieser Autonomiebegriff genau definiert ist. Das sollte man sich näher anschauen, denn das reicht von einer Autonomie im Sachaufwandsbe­reich, wie wir sie haben, die also de facto nicht vorhanden ist, bis hin zu – ich verweise auf das Beispiel eines Kollegen aus Helsinki, an dessen Schule ich im Frühjahr einen Tag verbracht habe – einem Schulleiter, dessen nächsthöhere Instanz für 500 Schulen zuständig ist. Der hat tatsächlich ein sehr hohes Ausmaß an Autonomie.

Ich möchte auch, dass man davon wegkommt, dass man das nur auf die personelle Autonomie einschränkt: Lehrer einstellen – ja oder nein? Davon sollten wir jetzt ein­mal wegkommen.

Wir müssen auch sehen – und damit höre ich mit der Autonomie auch schon auf –, dass ein hohes Maß an Autonomie natürlich auch mehr zentrale, mehr teilzentrale Überprüfungen, mehr Standards, mehr Qualitätssicherung bedeutet. Und das ist nichts Schlechtes, dazu bekenne ich mich auch als Schulleiterin.

Der zweite Aspekt, der von Dr. Haider genannt, aber von niemandem aufgegriffen wurde – und das ist eines der ganz wenigen Beispiele, die nicht parteipolitisch dis­kutiert werden, weil sie nämlich überhaupt nicht diskutiert werden –, ist der Aspekt der Geschlechtszugehörigkeit und welche Auswirkungen sie auf Bildungsfragen hat. Ich beschäftige mich schon sehr lange damit, und wir haben an unserer Schule einen entsprechenden Schwerpunkt. Das ist eine sträflich vernachlässigte Kategorie.

Begonnen hat es eigentlich mit dem Blick auf die Mädchen und ihre Defizite. Es gibt schon seit längerer Zeit Förderprogramme, die Mädchen in Naturwissenschaften und Technik fördern – allerdings haben diese Programme bis jetzt nicht wirklich gegriffen. Aber da wird zumindest etwas getan, und es gibt wenigstens eine entsprechende Wahrnehmung.

Es freut mich, dass von Dr. Haider erwähnt wurde, dass auch die männlichen Ju­gendlichen ein Untersuchungsbereich in den Bildungsvergleichsstudien sind. Das Schulversagen und die schlechten Schulleistungen von männlichen Jugendlichen ins­besondere auch im sprachlichen Bereich haben bereits alarmierende Ausmaße er­reicht, und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch international gesehen. Das können wir uns nicht leisten, einmal ganz abgesehen von allen persönlichen Tragö­dien, die sich daraus ergeben. Die Frage an die Politik beziehungsweise an die Politi­kerinnen und Politiker hier wäre: Was wird jetzt schon dagegen getan, was können wir tun? Und an die Bildungsforschung: Seit wann sind diese Defizite in zunehmendem Ausmaß festzustellen? Es gibt auch Länder, die schon ganz gezielte Förderprogramme für die männlichen Jugendlichen entwickelt haben.

Damit bin ich schon am Ende meiner Ausführungen angelangt und würde mir noch wünschen, dass ein nationaler Bildungsplan auch über die Parteigrenzen hinaus in Angriff genommen wird. – Danke. (Beifall.)

14.09

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Felzmann. – Bitte.

 


14.09

Abgeordnete Carina Felzmann| (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Ex­pertinnen, Experten, Schülerinnen und Schüler, sofern Sie noch anwesend sind! Ich schließe mich gleich einmal dem Wunsch meiner Vorrednerin, Frau Mag. Schrodt, an, diese Diskussion über alle parteiideologisch besetzten Grenzen hinweg zu führen. Selbstverständlich! Ich denke, Bildung ist etwas, was uns allen am Herzen liegt und wo wir alle ein ernsthaftes Interesse daran haben, dass Vorschläge für nachhaltige Refor­men eingebracht werden und ehrlich darüber diskutiert wird, was wir besser machen können.

Gleichzeitig haben wir natürlich auch ideologisch unterschiedliche Zugangsweisen. Ich finde es schon wichtig, dass man da nicht sagt: Decken wir das zu! Ich meine, das Ziel ist, das auszudiskutieren, und dazu kann eine Enquete einen Teil beitragen. Darüber hinaus muss die Diskussion natürlich auch weitergeführt werden.

Daher finde ich es persönlich wirklich hervorragend, dass auch diese breite Diskussion klasse:zukunft auf Schiene gesetzt wurde, an der sich nicht nur ein kleiner Kreis, sondern sehr viele Menschen intensiv beteiligt haben und es ja auch noch laufend tun.

Ich möchte nur ganz kurz auf ein paar Punkte eingehen, die ich nicht im Raum stehen lassen möchte, respektive weil ich einfach eine andere Meinung dazu habe. Unsere Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl ist leider schon weg, ich sage es dennoch: Sie hat die Schwächen im Lesen aufgezeigt und dann gemeint, um hier etwas zu tun, brauchen wir mehr Finanzmittel. Wenn das alleine die Lösung wäre, dann hätten wir nicht dieses Problem, denn, wie Herr Sektionschef Stelzmüller vorher schon ausgeführt hat, um diesen OECD-Ländervergleich „Education at a Glance“ zu zitieren: Österreich investiert ja genau in diesen primären Sektor unglaublich viel. Da liegen wir um 36 Pro­zent über dem Schnitt der anderen. Das heißt, Geld alleine ist es nicht.

Frau Präsidentin Brandsteidl hat weiters gemeint, sie würde sich eine umfassendere Datenerhebung wünschen, wir müssten mehr Daten, Fakten, Zahlen auf dem Tisch ha­ben. – Dazu muss ich sagen, gerade Wien ist hier in einer speziellen Situation, und es sei natürlich jedem Bundesland unbenommen, hier auch eigene Studien einzubringen. Diese Initiative ist absolut zu unterstreichen, und da kann auch die Stadt Wien etwas dazu beitragen.

Es ist dann darum gegangen, dass es in der AHS, also im gleichen Schultyp, unter­schiedliche Noten für die Schüler und Schülerinnen gibt. Also, wenn das nicht auch ein Beweis dafür ist, dass es gut ist, wenn wir rechtzeitig hier unsere Standards definieren, um hier Klarheit zu haben, dann weiß ich nicht! Es ist doch nicht gut, wenn alle unbe­dingt in die AHS gehen wollen. Gut ist, wenn jene, die vielleicht nicht für diesen Ausbil­dungsweg geeignet sind, eine Hauptschule oder andere alternative Möglichkeiten vor­finden. Das ist genau der Punkt: Wir setzen hier auf ein differenziertes Vorgehen. Wir sagen, der Mensch ist ein Individuum, und es ist gut, wenn wir dementsprechend viele individuelle Angebote haben.

Auch noch kurz erwähnt sei die Diskussion betreffend Leistungsstandards bezie­hungsweise Bildungsstandards. Leistung ist nicht negativ! Leistung ist etwas Positi­ves, und da brauchen wir uns nicht zu verstecken. Ich verstehe in diesem Zusammen­hang das Wording, aber wir können es nicht oft genug betonen: Leistung soll in diesem Land nichts Negatives sein!

Ganz kurz zu Professor Vierlinger, der in sehr anschaulicher Art und Weise für ein Sys­tem ohne Noten plädiert hat. Als Unternehmerin, die einen Gewerbebetrieb führt, muss ich Ihnen sagen: Wenn ich für eine ausgeschriebene Lehrstelle 100 schriftliche Bewer­bungen bekomme, dann möchte ich nicht 100 „Aufsätze“ lesen. Das ist unmöglich! Über 90 Prozent der Firmen in Österreich haben unter zehn MitarbeiterInnen, so wie die unsrige auch, und da gibt es keine Personalchefs. Um die Einstellung von Mitarbei­tern kümmern sich der Chef und die Chefin. Wir haben einfach nicht die Zeit dazu, das sprengt unsere Möglichkeiten. Wir brauchen hier eine schnellere Orientierung und kön­nen – so Leid es mir tut, denn ich würde es gerne tun – hier nicht umfangreiche Texte lesen. Das ist unmöglich, das ist in der Praxis unrealistisch.

Zur Ganztagsschule sei nur so viel erwähnt: Bitte, bleiben wir bei der individuellen Auswahl! Noch einmal: Wir sind Individuen, wir haben unterschiedliche Familiensitua­tionen; Sie kennen die Diskussion. Was wir brauchen, ist ein Nachmittagsangebot, wo wir Förderungen anbieten, wie zum Beispiel in der Kreativität. Es geht darum, wie wir unsere Kinder in diesem Bereich fördern können, ihnen eine gute Basis geben können. Oder: Wie können wir unsere Kinder im Sport fördern? Also ich würde mir eine Schule mit entsprechendem Nachmittagsangebot wünschen.

Ein Satz noch zu Frau Kreissler, die gemeint hat, es gebe große Ängste in der Schule. Einzelbeispiele gibt es immer; ich weiß nicht, wie sie zu diesem Zugang gekommen ist. Faktum ist: Es gibt den WHO-Bericht, der aussagt – da wurden Umfragen in 35 Län­dern gemacht –, dass sich in Österreich 27 Prozent der 15-jährigen Burschen und 23 Prozent der Mädchen in der Schule sehr wohl fühlen. Und sogar in der Altersgruppe der 11-Jährigen liegt Österreich auf Platz drei unter diesen 35 befragten Ländern, was die Zufriedenheit der Schülerinnen und Schüler betrifft. Man muss schon im Sinne einer differenzierten Diskussion schon auch diese Berichte und Studien berücksichti­gen.

Grundsätzlich denke ich, es ist gut, dass diskutiert wurde – ein Dank an die Initiato­ren! –, aber das ist nur ein Teil auf dem Weg zu einem wirklich effizienten und guten System in Österreich. (Beifall.)

14.15

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Hofrat Mag. Skala. – Bitte.

 


14.15

Hofrat Dkfm. Mag. Helmut Skala| (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst): Frau Präsiden­tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Was halten Sie von einem Unternehmen, das sich selbst so beschreibt, dass die Produkte, die es herstellt, eigentlich nicht die innovativsten sind, dass die Mitarbeiter nicht unbedingt optimal ausgebildet und nicht besonders motiviert sind? Würden Sie sich als Kunde einem solchen Unternehmen sehr gerne zuwenden – oder würden Sie sich eher mit Grausen abwenden?

Wir reden heute oft auch von der Schule als einem großen Unternehmen. Moderne Managementqualitäten muss es da geben, eine Leadership Academy und so weiter. Wie schaut es bei den Mitarbeitern eines solchen Unternehmens aus, das in der Öf­fentlichkeit durch die Stakeholder dieses Unternehmens immer wieder abqualifiziert und in Frage gestellt wird? – Diese Mitarbeiter sind wir Lehrerinnen und Lehrer.

Ich vertrete die Lehrerinnen und Lehrer der berufsbildenden mittleren und höheren Schulen und leite auch eine Schule. Das ist, wie Sie ja an meinem Äußeren sehen können, nicht meine erste bildungspolitische Enquete. Ich weiß, dass sich um diese Zeit immer die Reihen lichten. Man hat das abgeliefert, was man abliefern wollte, und verlässt die Veranstaltung, obwohl man vorher beteuert hat, dass eine der besten und erforderlichsten Tugenden ist, dem anderen zuzuhören, aber dank des Stenographi­schen Protokolls wird ohnehin alles schriftlich dokumentiert.

Ich frage mich manchmal: Wieso sind unsere Lehrerinnen und Lehrer überhaupt noch so motiviert? – Das in Abwandlung eines Bestsellers aus den sechziger Jahren: „Mich wundert, daß ich so fröhlich bin“. – Sie sind nicht motiviert durch die Politik, nicht durch die Schulbürokratie, nicht durch die Besoldung, nicht durch die Medien, sondern einzig und allein durch die Freude am Arbeiten mit jungen Menschen und am Teilhaben an deren Erfolgen. Wir machen seit Jahrzehnten eine Befindlichkeitsuntersuchung in un­serem Bereich, und dabei stellt sich heraus, dass das die Haupttriebfeder ist, warum man Lehrer geworden ist und warum man gerne Lehrer ist.

Wir freuen uns mit unseren jungen Schülerinnen und Schülern im BMHS-Bereich, die bei jedem internationalen Wettbewerb hervorragend abschneiden. Wir freuen uns im AHS-Bereich, wo es bei jeder Olympiade Goldmedaillen gibt. Und wir freuen uns mit den Lehrlingen, die über die Berufsschule und die Unternehmungen international eine Goldmedaille nach der anderen einheimsen.

Ebenso ist es Realität, meine sehr geehrten Damen und Herren, dass unsere Schüle­rinnen und Schüler, die nicht nur gefordert, sondern auch gefördert sein wollen, durch­aus leistungsbereit sind, wenn man ihnen einen interessanten Unterricht bietet und sie auch entsprechend motiviert. Wir wollen ja – und wir sollten nicht die Augen vor der Realität verschließen – tatsächlich danach trachten, dass wir die jungen Menschen auf eine globale Weltwirtschaft vorbereiten.

Wenn ich die Forderungen gehört habe, frage ich mich manchmal, in welchem Land wir uns befinden. Das meiste von dem, was gefordert wird, ist bereits Wirklichkeit. Wir haben in unserem Bereich autonome Lehrpläne und setzen diese im SGA auch ge­meinsam um. Viele unserer Schulen sind nicht nur mit der Qualitätsoffensive konfron­tiert, sondern sind ISO-zertifiziert. In meinem Bundesland habe ich als Schulleiter eine große Mitsprache bei der Bestellung von Lehrerinnen und Lehrern. Ich muss sie auch anfordern, ich muss ja auch wissen, wen wir an der Schule brauchen. Ich habe in meinem Bundesland auch nie Schwierigkeiten gehabt, wenn es in der Clearingstelle des Landesschulrates Umwidmungen in den Budgets gegeben hat.

Was ich gerne hätte, wäre ein Budgetvollzug, der nicht auf Steinzeitmethoden der Kameralistik beruht. Und was ich nicht will, ist die Pflege alter Vorurteile, wie das der leider nicht mehr anwesende AHS-Kollege getan hat, sehr plakativ: Nur junge Lehrer sind gute Lehrer; alte würden nichts mehr bringen. Ein legendärer Landeshauptmann hat einmal gesagt: Es gibt junge Esel und es gibt alte Esel. – Ich habe hervorragende Kolleginnen und Kollegen in meinem Lehrerkollegium, die schon knapp vor der Pen­sion stehen und beste Arbeit leisten.

Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zur Lehreraus- und -fortbildung. Die Hohen Schulen, die Universitäten – ich habe heute gelernt, dass es in der Pädagogik auch Päpste geben soll, die uns gute und weise Ratschläge geben –, geben uns immer wie­der schöne Ratschläge und erheben sogar die Forderung nach fundamentalen Refor­men. Gerade als Absolvent einer Hochschule und einer Universität darf ich Ihnen eines mit auf den Weg geben, an die Adresse dieser Hohen Schulen gerichtet: Die Weltver­besserung beginnt immer bei der Selbstverbesserung. – Danke. (Beifall.)

14.20

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Konrad. – Bitte.

 


14.21

Bundesrätin Eva Konrad| (Grüne, Tirol): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch ich finde es schade, dass heute hier so wenige Schülerinnen und Schüler zugelassen waren. Besonders schade finde ich es, dass welche hier waren, die die Diskussion hören wollten, das aber aus Procedere-Gründen leider nicht konnten.

Meine Matura ist jetzt ziemlich genau sechs Jahre her, also ich glaube, ich kann noch recht gut auch aus der Sicht einer Schülerin sprechen. Wie viel sich in dieser Zeit in der Praxis geändert hat, das weiß ich leider nicht genau, aber viele Dinge, die ich jetzt sage, beruhen auf meinen eigenen Erfahrungen, die noch nicht sehr lange zurücklie­gen.

Zwei Dinge finde ich in unserem Schulsystem aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern besonders problematisch. Das Erste ist die Tatsache dieser sehr frühen Selektion, die bei uns stattfindet. Wenn mein Volksschullehrer nicht zufälligerweise meinen Eltern vorgeschlagen hätte, dass ich doch ins Gymnasium gehen könnte, hätte sich, so glaube ich, mein Leben ganz anders entwickelt. In meiner Familie gibt es keine, nennen wir es, Tradition von höherer Schulbildung. Ich weiß nicht, ob meine Eltern von selbst auf diese Idee gekommen wären. Die Tatsache, dass ich ins Gymna­sium gegangen bin, hat meinen Lebensweg sicherlich massiv beeinflusst.

Ich glaube nicht, dass Kinder im Alter von zehn Jahren bereits in der Lage sind – man­che vielleicht schon, aber sicher nicht alle –, wirklich eine bewusste Entscheidung dar­über zu treffen, wie sie sich ihr zukünftiges Leben vorstellen. Im Alter von zehn Jahren das Kind faktisch vor diese Entscheidung zu stellen, halte ich für sehr problematisch. Ich glaube, diese Entscheidung, diese Differenzierung so früh anzusetzen, ist proble­matisch. Man erschwert damit den Schülerinnen und Schülern, aber auch den Eltern das Leben zu einem Zeitpunkt, zu dem es noch nicht nötig wäre.

Vor allem setzt man damit den zukünftigen Lebensweg einer gewissen Zufälligkeit und Willkürlichkeit aus. Ich kenne sehr viele Menschen in meinem Bekanntenkreis, die Jahre später, nach einer Lehre und nach einigen Jahren Berufstätigkeit, draufkommen, dass sie sich das Leben eigentlich anders vorgestellt haben, und die dann mit großen Mühen und unter großen Anstrengungen, auch finanziellen, die Matura nachholen, um ihr Leben doch noch anders zu gestalten.

Das zweite Problem, das ich im Schulsystem sehe, ist die Tatsache, dass es für Schü­lerinnen und Schüler sehr schwer ist, in ihrer eigenen Schulkarriere Schwerpunkte für sich selbst zu setzen – abgesehen von der Frage, ob ich in ein Neusprachliches oder ein Realgymnasium gehe –, sich selbst Themen zu suchen, wie es später von allen verlangt wird, Themen, die einen interessieren und mit denen man sich im Rahmen der Schule besonders auseinander setzen will.

Auch für Schulen selbst ist es oft schwierig, diese Voraussetzung zu bieten, verschie­dene Freifächer anzubieten. Genau hier wurde in den letzten Jahren auch gekürzt. Alle zusätzlichen Angebote an Schulen brauchen vor allem zwei Dinge: Zeit und Geld. Zeit, Stundeneinheiten, Werteinheiten wurden ja vor nicht allzu langer Zeit gekürzt, und auch mit dem Geld schaut es leider nicht sehr rosig aus. In der Praxis sieht man, dass sehr viel von freiwilligem, zusätzlichem und unbezahltem Angebot von Lehrerinnen, also von den Frauen, geleistet wird. Hier mehr Geld zu investieren wäre auf jeden Fall sinnvoll.

In diesem Zusammenhang sehe ich auch die Diskussion um die Ganztagsschule. Es geht bei der Ganztagsschule, glaube ich, niemandem darum, Kinder zu zwingen, den ganzen Tag in der Schule zu sitzen, sondern da geht es darum, dass eine Nachmit­tagsbetreuung, auch ein kreatives, ein sportliches Angebot vorhanden ist – all das, was eigentlich ein Elternhaus nicht unbedingt bieten kann. Denn ehrlich gesagt – ich möchte da den Eltern keinesfalls irgendeine Qualifikation absprechen oder irgend­jemandem auf den Schlips treten – ist für viele Kinder das Zuhause nicht der Ort, wo sie die vielfältigste und bestmögliche Förderung in allen für sie interessanten Bereichen erfahren können.

Lehrerinnen und Lehrer sind dafür ausgebildet, haben das zu ihrem Beruf gemacht und haben eine Motivation, die Schülerinnen und Schüler umfassend und bestmöglich zu fördern. Das, finde ich, sollte auch am Nachmittag möglich sein, und in diesem Zusam­menhang würde ich gerne die Ganztagsschule diskutiert wissen, nicht als Zwang.

Herr Professor Haider hat zu Beginn etwas gesagt, was ich ganz interessant gefunden habe, nämlich: Dass bei österreichischen Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit zur Analyse und die Fähigkeit, Probleme aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, verhältnismäßig schlecht ausgebildet sind. Das halte ich für besonders problematisch, da ja die Wissensmenge explodiert ist. Es ist unmöglich, alles zu wissen. Was man in der Schule lernen muss, das sind Methoden, wie man sich Wissen aneignen kann, das ist exemplarisches Lernen. Und das müssen die Schülerinnen und Schüler auch wis­sen. Sie müssen wissen, dass sie nicht den absoluten Stand des mathematischen Wis­sens, das es derzeit gibt, im Mathematikunterricht lernen können.

Wenn ihnen klar ist, dass sie exemplarisch lernen und dass sie Methoden lernen, sich Wissen aneignen zu können, dann, glaube ich, erklärt das in vielen Fällen, warum dieses oder jenes jetzt gelernt werden muss, dann gibt das Selbstvertrauen, auch in Zukunft selbst mehr lernen zu können, was ja für die Frage des lebenslangen Lernens besonders wichtig ist. Jemand, der sich das zutraut, wird wahrscheinlich auch später viel eher zu Bildungsangeboten greifen. – Das gibt einem also großes Selbstvertrauen in der Schule und auch für den Rest des Lebens.

In diesem Zusammenhang möchte ich nur ganz kurz die Schuldemokratie anspre­chen, denn ich glaube, dass Schuldemokratie für diejenigen, die sie ernst nehmen, viel mit Analyse von Schule und von Problemen aus verschiedenen Perspektiven gesehen zu tun hat. Schülerinnen und Schüler, für die Schuldemokratie wichtig ist, befassen sich sehr stark nicht nur mit der Frage, dass sie lernen, sondern auch damit, was, wie und warum sie lernen. Und das ist ein kritisches Herangehen auf einer Metaebene, das ich für sehr wichtig halte, das aber leider im Schulalltag auch zeitlich zu kurz kommt. Allein schon deshalb halte ich die Schuldemokratie für etwas sehr Wichtiges und abso­lut Fördernswertes. – Vielen Dank. (Allgemeiner Beifall.)

 


14.27

Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Stöttinger. – Bitte.

 


14.27

Jürgen Stöttinger| (Bundesobmann Schülerunion): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, wir sollten grundsätzlich das Bildungs­system nicht schlechter reden, als es ist. Faktum ist, wir haben ein gutes Bildungssys­tem. Faktum ist auch, es gibt viele Verbesserungsmöglichkeiten. Was ich vermisse, ist die Mitbestimmung für Schülerinnen und Schüler. Es beginnt schon bei Reformprozes­sen wie klasse:zukunft. Warum besteht diese Zukunftskommission nicht auch aus Schülern? Wo ist hier die Mitbestimmung für Schülerinnen und Schüler? Es geht hier um uns Schüler – und nicht um die Erwachsenen, die die Themen für SchülerInnen bearbeiten, ohne sie mit einzubeziehen!

Das geht aber weiter, bis hinein in die Klassen. Wo gibt es konkret die Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, den Unterricht mitzugestalten? Hier fehlt die Möglichkeit des Feedback für Schülerinnen und Schüler. Es muss selbstverständlich werden, dass SchülerInnen den Unterricht mitgestalten dürfen.

Oder: Eine Forderung auf Landesebene, die es schon lange in der Schülervertretung gibt, ist die Einrichtung von Landesschulgemeinschaftsausschüssen. Sie könnten die Kollegien in den Landesschulräten ersetzen.

In der Schule muss der Unterricht mehr Wichtigkeit bekommen. Es wird unterrichtet für die Note, aber es wird nicht unterrichtet für den Unterricht, zumindest in vielen Fäl­len nicht. Unterrichtsschluss ist nicht Ende der Schule, sondern Unterrichtsschluss ist der Tag der Notengebung, der Tag, an dem die Noten feststehen müssen. Es muss die Möglichkeit geben, dass sich Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit den LehrerIn­nen die Notenkriterien ausmachen können. Verbale Beurteilung muss in der Schule selbstverständlich werden!

Was ich aber heute am meisten vermisse, ist Konkretes. Es wird Zeit, dass dieser Raum konkrete Ideen, Vorschläge und schließlich auch Reformen zu hören bekommt. Ich nenne nur einige Forderungen der Schülervertretung.

Es ist nötig, mehr Betreuung an der Schule für SchülerInnen, aber auch für LehrerIn­nen zur Verfügung zu stellen. Lehrerinnen und Lehrer brauchen ein besseres Image und somit auch eine bessere Ausbildung. Wie ich schon erwähnt habe, muss Feed­back selbstverständlich werden, und gekoppelt mit diesem Feedback muss es auch LehrerInnenfortbildung geben. Es muss mehr Berufs- und Bildungsberatung geben, um die Schülerinnen und Schüler in ihrer Berufsfindung und in ihrer Schulauswahl zu unterstützen. Es muss Schulbilanzen geben, um Schulstandards sicherzustellen. Der Bildungszugang muss ausgeweitet werden, um Schülerinnen und Schülern, die die Matura nachholen wollen, das auch zu ermöglichen.

Wir brauchen mehr Schulautonomie, damit der Schulgemeinschaftsausschuss auch mehr Kompetenzen an der Schule bekommt. Außerdem sollten wir auch über die Schulorganisation diskutieren. Warum können wir kein Modulsystem einführen? War­um findet darüber keine konkrete Diskussion statt?

Sehr verehrte Damen und Herren! An Ideen mangelt es nicht. Bitte beachten Sie die Schülervertretung mehr – so wie heute, aber bitte früher und wesentlich intensiver. – Vielen Dank. (Beifall.)

14.30

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet hat sich Herr Abgeordneter Dr. Sonnberger. – Bitte.

 


14.30

Abgeordneter Dr. Peter Sonnberger| (ÖVP): Sehr geehrte Frau Präsidentin des Bun­desrates! Geschätzte Damen und Herren! Zunächst zu Frau Bundesrätin Konrad. Ich glaube, das mit der Nachmittagsbetreuung – und vor allem auf freiwilliger Basis – ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Wenn 10 000 zusätzliche Plätze angeboten wurden und jetzt nicht einmal zur Gänze nachgefragt werden, dann kann man in diese Richtung sicher noch Werbung machen: Hier gibt es ein konkretes Angebot, das durch­aus geeignet ist, auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit auch das Verhältnis Eltern – Kinder – Schule zu verbessern.

Morgen ist heute schon gestern, oder: Beständig ist nur der Wandel. – Was will ich mit diesem Zitat von Karl Valentin oder Heraklit sagen? – Wir müssen ständig verände­rungsbereit sein, in allen Bereichen der Politikfelder, und PISA-Studie hin oder her: Wir sind mitten im Veränderungsprozess, und die Informations- und Wissensgesellschaft erfordert neue Kenntnisse. Mit Veränderungen umzugehen, sie positiv zu bewältigen, sie als Chance zu begreifen, das ist eine für Menschen jeden Alters, gleich in welcher Lebenslage, ganz, ganz entscheidende Kompetenz.

Die knappe Antwort auf diese Herausforderung lautet: Auf dem Wegweiser in die Zu­kunft steht: Bildung, Bildung, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung.

Bildung aber sollte auch als Selbstwert den Wert haben, der ihr zukommt. Sie ver­mittelt Festigkeit und Anpassung, Wertverwurzelung und Neuorientierung, Wissen und Gewissen, Selbständigkeit und Solidarität.

Wesentlicher Bestandteil der Bildung ist auch eine zukunftsgerichtete Ausbildung. Ein modernes Bildungssystem auf hohem Niveau wahrt nicht nur die Chancen des Einzelnen am Arbeitsmarkt, sondern ist darüber hinaus ein zentraler wirtschaftlicher Standortvorteil unseres Landes, der letztendlich zur Schaffung von Arbeit beiträgt.

Ein paar Facts noch: 91 Prozent der Österreicher sind mit dem Bildungssystem sehr zufrieden oder zufrieden. Der WHO-Bericht wurde bereits zitiert. Es gibt ein positives Schulklima – das ist ein Kompliment an unsere Lehrerinnen und Lehrer. Ich glaube, sie leisten ausgezeichnete Arbeit und bemühen sich sehr. Das beweist auch der Umstand, dass sie nicht nur in der Schule erfolgreich tätig sind, sondern auch in zahlreichen ehrenamtlichen Vereinen tätig sind, sei es im Sozialbereich, im Kulturbereich oder im Sportbereich.

Ein Lehrer, der nicht gerne mit Kindern umgeht und diese nicht gern unterrichtet, würde auch in der Freizeit nicht diese zahllosen ehrenamtlichen Tätigkeiten ausüben. Es stünde schlecht um uns, wenn wir demotivierte Lehrer hätten, die diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen würden. Ich glaube, hier gilt es, dafür ein lautes Danke zu sagen.

78 Prozent der Bevölkerung zwischen 19 und 64 Jahren haben eine Ausbildung abge­schlossen, die über die Pflichtschule hinausgeht. Österreich liegt da, verglichen mit dem OECD-Durchschnitt, der 64 Prozent beträgt, sehr gut, und wir liegen auch was die Bildungsinvestitionen betrifft um 32 Prozent über dem OECD-Durchschnitt.

Das duale Bildungssystem, um das uns sehr viele Länder beneiden, bewährt sich, und 79 Prozent der Schüler, die eine weiterführende Schule besuchen, machen gleich­zeitig eine berufliche Ausbildung. Hier belegen wir den hervorragenden zweiten Platz. Im OECD-Vergleich liegt der Durchschnitt bei 49 Prozent. Das erklärt schon auch, war­um wir im Bereich der Arbeitsmarktpolitik momentan doch ganz gut liegen. Aber: Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.

Daher ist die Qualitätsoffensive nur zu begrüßen. Die Initiative klasse:Zukunft, die von der Basis getragen wird, also von unten herauf kommt, ist genau der richtige Weg. Die Erarbeitung von Bildungsstandards zur Qualitätssicherung ist ganz entscheidend; die­se Bildungsstandards haben im Wesentlichen Orientierungsfunktion.

Die Durchlässigkeit des Bildungssystems, die Vermittlung von sozialer Kompetenz, Teamfähigkeit, Selbsttätigkeit, motivationsstärkende Selbsterfahrung und Wissensma­nagement sind in Zukunft Themen einer modernen Bildungspolitik.

Zur Lehreraus- und -fortbildung. – Ich glaube, die Errichtung von Pädagogischen Hoch­schulen und die Leadership Academy sind positive Beispiele dafür, dass es auch hier weitergeht.

Fit für den Beruf, Lebenslanges Lernen, „School goes international“, Sprachoffensive, Mobilitätsprogramme, IT – 99,5 Prozent der Schulen sind an das Internet angeschlos­sen; im Jahr 2000 waren es 60 Prozent; 30 Prozent haben bereits Breitbandan­schluss –, der ECDL-Führerschein – auch eine tolle Sache, die im Schulbereich voran­getrieben wurde! – sind in diesem Zusammenhang zu erwähnen.

Ein letzter Punkt noch: Die Erhaltung der Schulen im ländlichen Raum ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Anliegen. Wir dürfen den ländlichen Raum nicht aushöhlen, sondern müssen kleinere Schulen zu erhalten versuchen und daraus auch Bildungszentren für Erwachsene schaffen.

Entwickeln wir gemeinsam das differenzierte Schulsystem weiter! Mir hat sehr gut ge­fallen, was Herr Paya sagte: Fördern und fordern, das ist die Aufgabe einer zukünftigen modernen Bildungspolitik. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.36

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Brait. – Bitte.

 


14.36

Romana Brait| (AKS – Aktion Kritischer SchülerInnen): Sehr geehrte Damen und Herren, die noch anwesend sind! Ich spreche hier als eine der wenigen Schüler- und Schülervertreterinnen. Schülerinnen und Schüler sind, wie schon erwähnt, die größte Berufsgruppe in ganz Österreich. Es ist jetzt auch gefragt worden: Welche Leistungen erbringen sie? Erfüllen sie ihre Pflichten? Werden sie auch gut vorbereitet sein auf das wirtschaftliche Leben? Aber wer spricht eigentlich darüber, was Schülerinnen und Schüler wollen? Wer spricht zum einen über die Rechte von Schülerinnen und Schü­lern und wer zum anderen über ihre Möglichkeiten, die Schule zu gestalten?

Das ist auch gleich der erste Punkt, auf den ich eingehen möchte, nämlich Mitbestim­mung. Es heißt, Schülerinnen und Schüler interessierten sich nicht für den Stoff in den Stunden. Lehrer und Lehrerinnen beklagen sich oft, die Schüler seien zwar körperlich anwesend, aber in Wirklichkeit hörten sie nicht zu. Es heißt, die Schüler bringen schlechte Leistungen. Wir haben schon gehört, 20 Prozent der Schülerinnen und Schü­ler können nicht wirklich lesen.

Woher kommt wohl dieses Desinteresse an der Schule? – Vielleicht kommt es daher, dass sich niemand wirklich dafür interessiert, was Schülerinnen und Schüler lernen wollen?! Vielleicht wäre es eine Möglichkeit, einmal dort anzusetzen und Schülerinnen und Schüler einmal bestimmen zu lassen: Was möchte ich lernen, wie möchte ich ler­nen, wann möchte ich es lernen. So könnte man auch das Interesse von Schülerinnen und Schülern am Unterricht selbst steigern.

Die zweite Sache: Leistungsbeurteilung. Wir haben schon gehört über das tolle Bil­dungssystem, wie großartig Österreich laut PISA-Studie war – der letzten zumindest –, aber die 50 000 Schülerinnen und Schüler, die jedes Jahr eine Schulklasse wieder­holen müssen, wird das wohl wenig interessieren.

Da stellt sich schon die Frage: Glauben Sie nicht auch, dass Noten – anscheinend schon seit den siebziger Jahren erwiesen – das falsche Konzept sind, um dem entge­genzuwirken? Glauben Sie nicht auch, dass man Motivation nicht mit Angst und Druck steigern kann, sondern dass man Motivation fördern kann, indem man auf Schüle­rinnen und Schüler eingeht, indem man auf ihre Begabungen schaut statt auf ihre Schwächen? Natürlich müssen die Schwächen ausgemerzt werden, aber es muss auch hervorgestrichen werden, was Schülerinnen und Schüler können.

Oft hört man, einen Zweier bekommt man dann, wenn man nicht alles weiß, einen Dreier bekommt man, wenn man noch weniger als das weiß. – Das heißt, selbst die Noten werden an den Schwächen der Schülerinnen und Schüler gemessen – und nicht an der Stärke. Ob das Motivation ist, möchte ich in Zweifel stellen. (Beifall.)

Nur kurz noch zu einem Test, der durchgeführt wurde: Ein Aufsatz eines Volksschülers ist 15 verschiedenen Lehrerinnen und Lehrern vorgelegt worden, und dieser Aufsatz hat von Eins bis Fünf alle Noten bekommen! – Das ist schon interessant.

Ich kann diese Enquete grundsätzlich nur begrüßen, weil hier eine offene Diskussion stattfindet und weil es darum geht, Reformen im Bildungssystem durchzuführen. Das halte ich für ziemlich wichtig, aber ich glaube, Reformen kosten auch etwas, und Refor­men, gerade im Bildungssystem, muss man sich auch etwas kosten lassen, denn die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Zukunft von morgen. Ich glaube daher, an den Schülerinnen und Schülern sollte man am allerwenigsten sparen! – Danke. (Beifall.)

14.40

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Sektionschef Dr. Dobart. – Bitte.

 


14.40

Sektionschef Dr. Anton Dobart| (Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Wort­meldung hat nicht den Grund, hier erneut die Ausdauer der österreichischen Beamten­schaft zu demonstrieren, sondern ich möchte dem Bundesrat danken für das Aufgrei­fen dieser Initiative seitens des Bildungsministeriums, weil sie deutlich macht – und das haben auch die Diskussionen gezeigt –, dass Bildung eine Sache der „res publica“ ist.

Das ist wichtig, das verlangt ein Aufeinander-Zugehen in diesen Bereichen, das ver­langt, dass wir über einen Prozess reden, in dem auch die Verwaltung, so wie die Poli­tik, die Eltern, die Betroffenen, ihre Aufgabe, ihre Herausforderung hat.

Eine Vorbemerkung noch zur Empirie. Wir halten die Empirie für einen wichtigen An­stoß – nicht für anstößig, sondern für einen wichtigen Anstoß –, um nachzudenken, wie wir auf verschiedenen Ebenen Veränderungsprozesse initiieren. Ich glaube, dass das ein wichtiger Bereich ist, der zum Nachdenken anregt.

Was man dabei aber auch sehen muss, ist, dass die Rezipierung solcher empirischen Erkenntnisse zu leicht in solche „Wenn, dann“-Relationen driftet: Wenn das so ist, dann gibt es diese oder jene Antwort! Diese Situation haben wir nicht, und ich hätte mir gewünscht – ein bisschen Kritik muss sein! –, dass auch Herr Professor Haider sagt, dass wir in den letzten Jahren seitens der Verwaltung um dieses Spannungsverhältnis gerungen haben. Er hat auch vergessen, dass wir dazu auch die Aktions- und die Handlungsforschung benötigen und wir sie gefördert haben, weil Handlungsforschung ein Instrument ist, um ganz einfach die Professionalität zu entwickeln, auch Leute zu unterstützen. Daher unser Dank für diese Initiative, für diesen Prozess!

Der zweite Bereich: Auch auf der europäischen Ebene läuft eine ähnliche Diskussion. Da heißt es: Wir benötigen in den europäischen Systemen – nicht in Konkurrenz, son­dern indem wir voneinander lernen – die Möglichkeit, die Gesellschaft und ihre Mitglie­der auf Wettbewerbsfähigkeit einzustellen, in dieser „knowledge-based society“, aber auch, wie es der Auftrag der Regierungschefs war, unter Berücksichtigung sozialer Kohäsion. Beides muss sein!

Die OECD nennt es „excellence“ und „equity“, die derzeitige beziehungsweise vorma­lige US-Regierung hat gesagt: No child left behind! – Es sind Rohstoffe, es ist eine Ressource im Wissen, die ganz einfach gesellschaftlich erforderlich ist, die aber ge­nauso die Verantwortung zur Equity erzwingt. Und in diesem Prozess sind wir.

Die Zielstellungen der europäischen Ebene sind vor allem Qualität; das ist nichts Neues. Wir haben seitens des Bildungsministeriums 2003 ein Weißbuch zur Qualitäts­entwicklung herausgegeben, aber nicht, um Erklärungen zu geben, sondern um die Spannungsverhältnisse aufzuzeigen, in denen diese Qualitätsentwicklung steht. Dieses Weißbuch – das ist eine kleine Werbeeinschaltung – erfreut sich wohlwollender Igno­ranz. Wir bedauern das, aber es wäre genau die Einladung zu solchen Diskussionen auf verschiedenen Ebenen: in der Schule, in der Region, im Bundesland, auf der Ebe­ne des Nationalstaates und im europäischen Kontext.

Die Bildungsminister haben aber auch gesagt, es muss der kontinuierliche Zugang – „life-long learning“ – immer wieder gewährleistet sein. Institutionen – das war der dritte Punkt – müssen sich öffnen. Sie müssen nicht nur offen sein für die Umwelt, sondern sie müssen sich auch öffnen für neue Ideen und für erhöhte Möglichkeiten der Partizipation der Betroffenen. Ich erinnere nur: Das „Weißbuch Jugend“, also nicht von den Bildungsministern, vor zwei Jahren beschlossen, hat deutlich gemacht, dass Parti­zipation für junge Menschen auch ein wichtiger Gradmesser ist – ich erlaube mir das kurz zu sagen – für die Glaubwürdigkeit der Politik.

Das heißt, dieses Spannungsverhältnis nehmen wir wahr. Dazu das Zauberwort „Auto­nomie“; wir versuchen es auf allen Ebenen zu platzieren.

Zwei Anmerkungen noch: Erstens zur Leistungsbeurteilung. – Wir kennen aus den Studien, was auch Professor Haider gesagt hat, dieses Lernen für den Moment, für die nächste Prüfung. Das heißt, wir müssen hier nachhaltige Initiativen setzen. Wir ha­ben die Portfolio-Gedanken, die hier ja in bewundernswerter Weise präsentiert wurden, aufgegriffen, zumindest im Bereich der Sprachen, wo ein Ansatz ist, die Vielsprachig­keit zu nützen.

Wir wissen aber auch etwas Zweites: Dass wir – ich meine, in den deutschsprachigen Ländern – ein Problem haben mit dem Umgang mit Fehlern. Wenn Fehler auftreten, dann bestrafen wir dafür manchmal; das mag tief in archaischen Strukturen unserer Persönlichkeit liegen. Wir sollten es nicht als Fehler sehen, sondern als Anlass zum Lernen, zum Ergreifen neuer Chancen.

Ich bin kein Experte, aber ich denke, laut PISA und auf Grund meiner zwei Wahrneh­mungen, die ich diesbezüglich hatte: Nicht die guten Testergebnisse allein sind es, sondern der entscheidende Faktor im Fall Finnland dürfte sein, dass die Schule in das Gemeinwohl eingebettet ist, dass alle Verantwortung haben, dass das Ministerium nicht an Schulen geht, um zu sagen: Ihr habt versagt!, sondern: Da gibt es Ergebnisse, die nicht befriedigen. Wie können wir sie gemeinsam ändern?

Zu zwei Anfragen noch, weil der Herr Abgeordnete Brosz gesagt hat, er sei hier nicht informiert. Zu LESEFIT: Wir haben hier Maßnahmen gesetzt; das ist nachzulesen.

Zweitens zur Diskussion um „klasse:Zukunft“. – Gedacht war, dass wir in St. Johann einen ersten Abschluss der öffentlichen Debatte vornehmen. Derzeit werden die Er­gebnisse der Beratungen der Expertengruppe um Professor Haider abgeschlossen, es wird seitens des Ministeriums eine Bildungsstrategie entwickelt, ja sie liegt vor und wird von der Frau Bundesministerin auch präsentiert, und sie lädt auch zu einem weiteren Diskussionsprozess und Entwicklungsprozess ein, einem Prozess, in dem Bildung erneut Sache der „res publica“ ist. – Danke. (Beifall.)

14.46

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Winkler. – Bitte.

 


14.47

Daniel Winkler| (Österreichische Hochschülerschaft): Jetzt haben Sie es gleich über­standen. Ich habe die ehrenvolle Aufgabe, heute hier als Letzter zu sprechen – was für Vertreterinnen und Vertreter der Österreichischen Hochschülerschaft dieser Tage lei­der Gottes nicht so einfach ist. Es scheint nämlich zu den neuen politischen Usancen zu gehören, dass man InteressenvertreterInnen nicht mehr einlädt, sondern dass man ihnen diktiert und vorgibt, was in Zukunft zu passieren hat.

Das ist sehr schade, und daher möchte ich mich dafür bedanken, dass wir hier sein dürfen. Ich habe dieses Angebot gerne angenommen, und ich bin auch froh darüber, dass noch so viele interessierte Menschen da sind.

Ich möchte mich ganz kurz fassen und möchte eingangs von der ÖH-Warte aus ein Wort zur Hochschulwerdung sagen, weil das sehr wichtig ist und uns als Österrei­chische HochschülerInnenschaft derzeit am meisten beschäftigt. Da möchte ich nur ein kleines Sittenbild zeichnen, wie derzeit im Ministerium mit uns, der Österreichischen HochschülerInnenschaft, und auch mit allen anderen Vertreterinnen und Vertretern ver­fahren wird, die seit Jahren versuchen, sinnvolle LehrerInnenbildungskonzepte einzu­bringen, beim Ministerium vorsprechen, in Arbeitsgruppen sitzen, debattieren und wirk­lich tolle Konzepte ausarbeiten – viele, viele gute Dinge, die wir hier gehört haben, über die allgemeiner Konsens herrscht, nämlich die Stärken der PÄDAKs zu nutzen, ihren Praxisbezug, ihre Praxisorientiertheit zu sehen, zu sehen, wie hervorragend die Ausbil­dung der Volksschullehrerinnen und Volksschullehrer, der Sonderschullehrerinnen und Sonderschullehrer und auch der Hauptschullehrerinnen und Hauptschullehrer in dieser Institution läuft.

Man muss das aber als eine gemeinsame Sache sehen: Wir brauchen auch die Uni­versitäten, wir müssen eine gemeinsame LehrerInnenbildung finden. Diesbezüglich herrscht breiter Konsens. Die Kindergärtnerinnen-Vertreterinnen haben sich bei uns gemeldet und gesagt: Danke, ÖH, ihr seid die Ersten, die auch an uns gedacht haben, weil wir sind das einzige Land in Europa, das die Kindergärtnerinnenausbildung nicht im tertiären Bereich angesiedelt hat.

Ich halte das für ein ganz, ganz massives Problem unseres Bildungssystems, weil die wahren Bildungsfenster – meine Damen und Herren, das wissen Sie – öffnen sich bei unseren Kleinsten. Mein Sohn ist vier Jahre alt und interessiert sich gerade brennend für das Erwerben der Schrift. Er möchte das offenbar nicht im Gleichschritt mit anderen Kindern erst mit sechs Jahren tun, sondern er interessiert sich jetzt schon dafür und beginnt Buchstaben nachzumalen. Er beginnt, dieses Kulturgut selbständig zu erwer­ben und nicht im Gleichschritt erst später, wenn er sechs Jahre alt ist.

Diese Bildungsfenster gilt es zu nutzen – aber jetzt bin ich total abgeschweift. Ich wollte eigentlich sagen, dass all diese guten Vorschläge und guten Konzepte vorliegen. Es ist auch nachzulesen. Es gibt auf unserer Homepage, auf der ÖH-Homepage, eine Lehre­rInnenbildungsplattform; da sind all diese Konzepte als Download herunterzuladen.

Leider Gottes sind die Gespräche alle verebbt. Universitätsprofessor Titscher ist weg; er hat gesagt, er kann diese ministerielle Arbeitsgruppe nicht mehr leiten, weil seine Chefin, Frau Gehrer, sagt, nein, sie möchte diese Reform in so breitem Maße nicht haben, sie möchte einfach einen Etikettenaustausch haben und Standorte bereinigt wissen. – Das ist die Reform, von der Frau Gehrer spricht, über die wir aber nicht spre­chen wollten und an die wir auch gar nicht denken wollen, denn wir brauchen Profis für alle pädagogischen Berufe – und das wird durch diesen Etikettenschwindel bestimmt nicht erreicht.

Der zweite Punkt – bevor dann wahrscheinlich das Licht am Rednerpult zu leuchten beginnt –: Ich möchte nur ganz kurz zur Didaktik und Methodik etwas sagen, was ich jetzt schon angedeutet habe, als ich von meinem kleinen Sohn gesprochen habe.

„Die Schule neu denken“ – wie auch in der Einladung steht –: Hartmut von Hentig hat ein hervorragendes Werk geschrieben, das sich jeder aufs Nachtkästchen legen und nicht nur einmal lesen sollte. Wenn wir glauben, dass wir unseren Kindern Lesen und Schreiben im Gleichschritt beibringen können, dann haben wir uns getäuscht. Daher kommen die Leseschwächen. Wenn wir glauben, dass Buchstaben-Tage allein sinnvoll sind, damit unsere Kinder – auf ach so offene Art und Weise! – lesen und schreiben lernen, dann muss ich Ihnen auch sagen: Leider gilt das nicht für alle Kinder.

In der Schulpraxis, als ich hospitieren war – weil ich Junglehrer bin, arbeitsloser Jung­lehrer –, hatten die Kinder einmal gerade den Buchstaben-Tag M – da isst man ein Marmeladebrot und zeichnet Mäuse und so weiter –, und ein Kind hat mich verzweifelt gefragt: Aber was mache ich denn? Ich kann das M schon!

Und das ist die Frage, die wir uns stellen sollen: Wie individualisieren wir die Schulen so, dass wir nicht an den Kindern vorbeidozieren, sondern dass jedes Kind dort eine Stelle findet, einen Lebensraum, in dem es sich wohl fühlt?

Ich hoffe, dass Herr Schnider, der immer für die Autonomie eintritt, nicht der Einzige ist in seiner Fraktion, der an das glaubt und den man in den Medien dann immer vorzeigt nach dem Motto: Wir haben ohnehin einen, der an solch ein offenes Konzept glaubt!, sondern ich hoffe, dass die anderen Damen und Herren da auch nachziehen. Und ich hoffe, dass Herrn Schnider nicht das gleiche Schicksal ereilt wie Herrn Titscher.

Zum Abschluss möchte ich ganz kurz den wahren Experten, Hartmut von Hentig, zitie­ren:

„Eine Gesellschaft, die ihre jungen Leute bis zum 25. Lebensjahr nicht braucht und sie dies wissen lässt, indem sie sie in ‘Schulen’ genannte Gettos sperrt, in eine Einrich­tung, die nichts Nützliches herstellt, an der nichts von dem geschieht, was die Men­schen für wichtig halten, die sich nicht selbst erhält und die man nicht freiwillig be­sucht – eine Gesellschaft, die ihren jungen Menschen dies antut, wird sie verlieren, ganz gleich wie reich, wie demokratisch, wie aufgeklärt sie ist und wie verlockend sie dies darstellt.“

Aber es wäre nicht von Hentig, wenn er nicht auch eine Alternative parat hätte:

Aber das kann ich doch in einer Schule zuwege bringen: „daß in dieser Schule jedes Kind, während der zehn oder zwölf oder 13 Jahre, die es an ihr verbringt, erfährt: ich werde gebraucht, ich mit meiner Fähigkeit und Lust zum Aufräumen, Marlies mit ihrem Mut voranzugehen und ihrer Kraft, andere zu führen; Klaus mit seiner bedächtigen Art zuzuhören und selbstlos zu raten, Anna mit ihrer Musikalität (und totalen Sperre gegen Mathematik), Michael mit seiner Gabe, ein Problem schnell zu erfassen und verständ­lich zu erklären ...“

Die Antwort hat mir gefallen, aber ich glaube nicht, dass das geht!, hat jemand Herrn Hentig darauf geantwortet. Und er sagt als Antwort darauf: Nun, „ob es geht, das wird man sehen, wenn man es versucht“!

Ich hoffe, dass wir es alle gemeinsam versuchen. – Danke. (Beifall.)

 


14.53

Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke vielmals für die Diskus­sionsbeiträge.

Schlussworte

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Herr Präsident Enzenhofer hat sich bereit erklärt, ein Schlusswort zu halten. – Bitte, Herr Präsident.

 


14.54

Referent Fritz Enzenhofer| (Amtsführender Präsident des Landesschulrates für Ober­österreich): Sehr geehrte Damen und Herren! Offensichtlich können wir Lehrer es nicht lassen, den erhobenen Zeigefinger in die Menge zu richten. Das ist unser Ethos, das wir haben.

Es wurden einige Fragen an mich gestellt, und ich möchte darauf kurz antworten. Es sind aber nicht mehr alle da, die diese Fragen gestellt haben.

Nachmittagsbetreuung: Es gibt genügend Plätze für Nachmittagsbetreuung; sie wur­den nicht in diesem Ausmaß eingefordert. Und: Die Nachmittagsbetreuung ist eine de­mokratische Angelegenheit – wir haben einige Male heute das Wort „Demokratie“ gehört –, sie ist eine basisdemokratische Angelegenheit der Schulgemeinschaft. Das schaffe nicht ich an, das schafft keiner an: Basisdemokratisch – da können die Leute entscheiden, was sie wollen.

Betreffend das Aufsatzbeispiel von dem Schüler, der so schlecht abgeschnitten hat: Vielleicht gibt es auch Schüler, die in der falschen Schule sitzen. So etwas soll es ge­ben. Für uns ist es wichtig, dass wir in der Berufsorientierung, auch in der Orientierung für die Schüler, ein entsprechendes Angebot zur Verfügung stellen.

Zur Frage Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache ganz kurz eine Antwort: Wenn alles integrativ funktioniert, wenn alles ohne zusätzliche externe Betreuung funktio­niert – alles integrativ in den normalen Klassen –, dann frage ich mich, warum Wien 160 Dienstposten für die Ausländerbetreuung zusätzlich bekommt und alle anderen Bundesländer keinen Dienstposten extra bekommen, wenn ohnehin alles im normalen Unterricht erfolgt.

Ich glaube, dass die Sprache die Basis ist, und wenn wir die Kinder die Sprache nicht lehren, ghettoisieren wir sie. Wir brauchen keinen pädagogischen Brunnenmarkt!

Zur Antwort von Frau Bundesrätin Blatnik und zu ihren Vorschlägen. – Schule ohne Ex­positur, wenn ich das richtig verstanden habe: Wenn das so wäre, kann ich in Linz-Süd keine AHS gründen, denn ich beginne mit der ersten Klasse, und diese muss ich in einer Expositurform machen.

Wenn ich Schüler in Schulen habe, die jedenfalls mehr Schüler haben müssen als 300, dann muss ich in Oberösterreich 80 Prozent der Schulen zusammenlegen.

Wenn mir jemand hier in diesem Raum mehr Dienstposten zur Verfügung stellen möchte, ist es leicht möglich. Der Finanzausgleich sähe vor, dass ich in Oberösterreich 85 zusätzliche bekäme.

Zur Frage der Schülervertretung darf ich eines sagen: Ich komme aus der Schüler­vertretung. Ich habe relativ bald damit begonnen und dafür gekämpft, dass es einen Schulgemeinschaftsausschuss und Ähnliches gibt. Mir gefällt auch Ihre radikale Form der Darstellung. Unser Alt-Landeshauptmann Gleißner hat das einmal sehr treffend ge­sagt: Wer als junger Mensch nicht radikal ist, der hat kein Herz, und wer als alter Mensch noch radikal ist, der hat kein Hirn.

Ich möchte darauf hinweisen, dass man die Noten auch anders sehen kann. Sie haben sich ins Schlechte gesteigert. Ich sage jetzt einmal umgekehrt: Wer zu wenig kann, ist nicht genügend. Wer mehr als das kann, ist genügend. Wer noch mehr kann, ist befriedigend. Wer noch mehr kann, ist gut. Und wer noch mehr kann, ist sehr gut. – Man kann es also von beiden Seiten sehen.

Zur Frage der Mitbestimmung der Inhalte und des Wissens und des Stoffes: Um zu wissen, wohin ich will, muss ich die Karte kennen, muss ich die Straßen kennen. Zu wissen, was an Wissenswertem vorhanden ist, setzt voraus, dass ich einiges von diesem Wissen schon habe, denn sonst hilft mir das relativ wenig.

Ich glaube nicht, dass es eine Frage der Basisdemokratie ist, über Schulzeit zu ent­scheiden. Da sind wir offensichtlich völlig anderer Meinung. Ich glaube auch nicht, dass es eine Frage der Basisdemokratie ist, die richtige Form der Didaktik zu wählen. Es ist auch bei Ärzten nicht basisdemokratisch, wie sie ihre Diagnosen stellen.

Wenn wirklich alles so schlecht ist, dann frage ich mich, wo die internationalen Wettbe­werbe sind, wo unsere Leute, unsere Schülerinnen und Schüler mit Gold-, Silber- und Bronzemedaillen nach Hause kommen, wo wir international reüssieren.

Eine Gedanke, weil ja alles so grauslich und so schlecht und so überdramatisch ist: PISA ist ein Messinstrument. Alle Untersuchungen, die wir bekommen, halten uns Spiegel vor – unterschiedliche Arten, unterschiedliche Bilder. Wenn ich in der Früh in den Spiegel schaue und mir nicht gefalle, dann tue ich etwas: frisieren – egal, was auch immer. Aber das ist für mich noch lange kein Grund, mich zu enthaupten.

Zum letzten Punkt: Schüler in den Mittelpunkt, Lehrer nicht als Mittelpunkt sehen. – Natürlich sehen wir die Schüler als Mittelpunkt! Die Schule hat keinen anderen Zweck, als den Schülern auf ihrem Weg in die Zukunft zu helfen – das ist sonnenklar. Nur: Bei der Schule ist es sehr interessant, dass im Prinzip jeder, der einmal in die Schule gegangen ist, Profi für Schule und Ausbildung und entsprechende Umsetzungen ist. – Für mich sind ganz einfach die Lehrer die Spezialisten, die Profis, die das gelernt haben, und darum, glaube ich, haben sie eine wichtige Rolle.

Was das Image der Lehrer betrifft, so darf ich Ihnen im Folgenden aus einer Untersu­chung vorlesen, die von einer nicht sehr großformatigen Zeitung gemacht wurde und sicherlich nicht lehrerfreundlich angesetzt war:

Sehr typisch für Lehrer: gebildet, verantwortungsbewusst, engagiert, fleißig, gerecht, fortschrittlich, objektiv, verständnisvoll. – Nicht typisch für Lehrer: desinteressiert, rück­ständig, politisch einseitig, eigennützig, streng, bequem, selbstherrlich.

So sieht die Bevölkerung die Lehrer, und ich glaube, die Bevölkerung sieht sie richtig.

Ich habe die Aufgabe, die Schule in Oberösterreich zu führen, und es heißt: Wer Leute führen will, muss nicht vor, sondern hinter ihnen stehen. Das ist auch der Grund, war­um ich hinter der oberösterreichischen Schule stehe, hinter den oberösterreichischen Schülern und hinter den oberösterreichischen Lehrern. Und ich glaube, das ist der rich­tige Weg auch für die zukünftigen Entscheidungen, die wir treffen: dass wir uns hinter die Schule stellen und nicht dagegen.

Herr Kollege Haider und Herr Dr. Vierlinger waren so lieb und haben mich vorgelassen, weil es mir sehr, sehr pressiert. Ich bitte um Verständnis und bedanke mich sehr herz­lich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

15.00

 


*****

Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Zu einer tatsächlichen Be­richtigung hat sich Herr Bundesrat Todt zu Wort gemeldet. Ich darf darauf hinweisen, dass 2 Minuten Redezeit nicht überschritten werden dürfen und dass sich die Ausfüh­rungen auf eine Äußerung zu beziehen haben, die hier gemacht wurde.

 


15.00

Bundesrat Reinhard Todt| (SPÖ, Wien): Meine tatsächliche Berichtigung bezieht sich auf die Äußerung bezüglich Ghetto, nämlich „Ghetto Brunnenmarkt“.

Ich verwahre mich dagegen, dass Sie den Brunnenmarkt als „Ghetto“ bezeichnen. (Beifall bei der SPÖ und den Grünen.) Ich verwahre mich gegen solche Äußerungen!

Was Ihre anderen Äußerungen betrifft, so achte ich Ihre Meinung, bin aber nicht Ihrer Meinung. (Beifall bei der SPÖ.)

15.01

*****

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Ich darf nun Herrn DDr. Haider bitten, sein Schlusswort zu halten.

 


15.01

Referent Ass. Prof. DDr. Günter Haider| (Institut für Erziehungswissenschaften Uni­versität Salzburg, Nationaler Projektleiter PISA): Meine Damen und Herren! Genügend Anstöße, wie ich meine, über Bildung konkret nachzudenken! Herzlichen Dank an die Initiatoren dieser Enquete, herzlichen Dank dafür, dass über Bildung so engagiert und auch mit so viel intellektueller Anstrengung diskutiert wird! Das ist etwas, was wohl wert ist, dass wir uns wirklich anstrengen, es zu verbessern.

Wenn an dieser Stelle jetzt mehrere Wochen lang über Pensionssicherung gesprochen wurde, dann kann ich als Bildungsforscher nur sagen: Sie können hier Formeln ent­wickeln, so viele Sie wollen: Wer in 20 oder 30 Jahren die Pensionen zahlen wird, das wird davon abhängen, wie innovativ diese Leute sind, wie sie unsere Wirtschaft gestal­ten werden. Daher ist jede Investition und jede Anstrengung, die wir jetzt für die Bil­dung tätigen, wirklich wichtig, und sie dient ja letztlich auch unserer Generation.

Für mich ist das eine Art Höhepunkt in einer langen Reihe von Veranstaltungen des letzten Jahres – es waren etwa 50 – zum Thema Schulreform. Es waren unglaublich viele spannende und informative Dinge dabei, mit Lehrern, Eltern, Schülern, und ich denke, das war wirklich auch für mich selbst eine Belohnung dafür, den Elfenbeinturm zu verlassen – auch wenn Herr Dr. Riemer, der leider nicht mehr da ist, will: Husch, husch, Haider, wieder zurück ins Kästchen „Universität“! Reformen nur, solange wir sie brauchen, und dann, wenn sie kritisch oder unangenehm werden, schicken wir sie wie­der weg. – Sie brauchen keine Angst zu haben, gleich ob rechts oder links in diesem Hause: Mich werden Sie längere Zeit nicht los! (Beifall bei den Grünen und bei Abge­ordneten der ÖVP.)

Ich denke, drüben am Minoritenplatz lauert inzwischen seit einer Stunde eine zwanzig­köpfige Journalistengruppe, um mir ein paar PISA-Ergebnisse zu entlocken. Sie wer­den nicht erfolgreich sein. Ich hoffe, die Frau Minister hat in dieser Zeit versucht, ihnen auch noch ein bisschen etwas anderes zu erzählen, nicht nur von PISA.

Tatsache ist aber: Die nächsten Wochen werden ohne Zweifel von den PISA-Ergebnis­sen in der Bildungsdiskussion geprägt sein. Wir sollten aber die Kirche im Dorf lassen: PISA ist PISA. Was sagt PISA aus? – Wir wissen etwas über die Allgemeinbildung, wir wissen, dass es beim Lesen nicht so gut ist, wir wissen, dass wir in den Naturwissen­schaften Probleme haben, wir wissen, dass die Probleme eher zunehmen als abneh­men, wir wissen, dass wir neue Dinge entdecken, wie die Problematik der Buben in dieser Größe und Konsequenz. Da sollten wir hinschauen, und da sollten wir konkret ansetzen. – Wir sagen nichts aus über das berufsbildende Schulwesen, wir sagen über viele Dinge nichts aus, wir sind keine Wunderwuzzis – wir haben eben nur das, was wir haben. Aber das sollte meines Erachtens auch sorgfältig gelesen und berücksichtigt werden.

Und wenn das geschieht, dann gehe ich gerne wieder zurück in den Hörsaal, wo ich ja ohnehin bin, und brauche nicht mehr so viel herumzureisen.

Abschließend möchte ich etwas aufgreifen, was Sektionschef Dobart vor mir schon sehr gut dargelegt hat. Ich glaube nämlich, dass es in der Schule neben dem optimalen Organisieren des Unterrichts, neben der guten Erziehung und anderen Dingen prinzi­piell auch so etwas wie eine Unterrichtskultur gibt, und ich denke, wir haben noch immer ein bisschen diesen Ungeist der Fehlerkultur, und wir müssten ihn eigentlich notwendigerweise durch den Vorteil einer Förderkultur ersetzen.

Ich möchte schließen mit einem finnischen Ausspruch, der besagt, was Schule sein soll oder wie Unterrichts- und Schulkultur sein sollen. Wir sollen nämlich nicht ständig nur nach den Fehlern suchen und die Kinder nach den Fehlern beurteilen und sie nach dem, was sie nicht können, aussortieren, wir sollten vielmehr das finden, was sie können, und wir sollten sie darin fördern. Und die Finnen haben einen Ausspruch, der lautet: Jeden Schüler optimal fordern und fördern und nie einen Schüler beschämen! – Danke sehr. (Allgemeiner Beifall.)

15.05

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Herr Professor Vierlinger, möchten Sie noch ein Schlusswort halten? – Bitte.

 


15.06

Referent Univ.-Prof. Dr. Rupert Vierlinger| (emerit. Professor für Schulpädagogik an der Universität Passau): Meine Damen und Herren! Ein neugieriger, lernbereiter Außenseiter wäre, wenn er heute Vormittag zugehört hätte, vor lauter Antinomien nicht zurechtgekommen:

Ein Schülervertreter spricht für das Repetieren, ein anderer Schülervertreter sagt, das ist schlecht.

Die Forderung nach Standards wird von vielen als sehr gute Zukunftsvision dargestellt. Andere sagen: Das Schwein wird vom Wiegen nicht fett! Den Lehrer, den Unterricht muss man fördern, aber nicht glauben, dass von den Standards das Heil kommt!

Die einen sagen: Die Schüler sind in der falschen Schule. Wir haben den richtigen Unterricht! – Die anderen drehen das lieber um und sagen: Wenn die Schüler so ver­schieden sind, dann müssen wir unsere Methoden verändern. Deswegen müssen wir die Schüler aber nicht sortieren!

Gesamtschule: Den Begriff, sagt Karl Heinz Gruber, nehmen manche gar nicht in den Mund; lieber noch die Zahnbürste eines anderen. – Der Begriff „Gesamtschule“ ist so sehr sinnentstellt worden, dass ich auch schon bald zu denen gehöre, die ihn nicht in den Mund nehmen. Man ist angetreten, Gesamtschule zu konstruieren nach dem Modell der Schulreformer am Beginn des vergangenen Jahrhunderts herauf bis Hentig, hat aber im schulpolitischen Diskurs und in der Verwirklichung der schulpolitischen Devisen genau das Gegenteil getan.

„Gesamt“ würde heißen: Da sind sie beisammen, da sind sie heterogen, wie wir eine Volksschülerklasse zusammenstellen. – Dann hat man gesehen, dass man das ja gar nicht will; jetzt hat man das „integrierte Gesamtschule“ genannt, das heißt also: Poten­zieren wir die Gesamtheit! – Und herausgekommen ist eine Perfektionierung dessen, was am gegliederten Schulsystem zu kritisieren ist: dass man nämlich die Schüler sor­tiert! Jetzt sortiert man sie in den Gesamtschulen sogar innerhalb eines Hauptgegen­standes noch in drei, vier Leistungsgruppen, und dann wundert man sich, dass die deutschen Gesamtschulen bei PISA schlecht abschneiden. Das war von vornherein klar! Das ist das genaue Gegenteil von Gesamtschule!

Entschuldigen Sie, dass ich mich bei diesem Begriff ein bisschen verbreitet habe. Das wäre vielleicht ein Thema für eine nächste Enquete! Alle neun Länder, die leistungs­mäßig über uns, über Österreich liegen, haben nämlich die echten Gesamtschulen. Die Schüler in der Sekundarstufe I sind beisammen, wie sie der Herrgott geschaffen hat – und wir variieren unsere Methoden, wir gehen weg vom Exerziermodell des Unter­richts: ein Thema in gleicher Weise für alle, in der gleichen Zeit, im selben Tempo. Da gibt es ja nur Überforderte und Unterforderte!

Eine Gesamtschule hingegen, die die Variation der Methoden auf ihre Fahnen schreibt, die holt sie dort ab, wo sie sind, und führt sie auf ihrem jeweils individuellen Weg und je nach der Verschiedenheit ihrer Köpfe, wie sie Herber einmal das Problem der Pädago­gik genannt hat, weiter.

Dann können wir die Kollektivnorm der Beurteilung verabschieden und kommen auto­matisch zur Individualnorm der Beurteilung, und somit kommt auch der schwache Schüler zu seinem Erfolg. Und der Erfolg ist nun einmal das Erfolgreichste, was es gibt.

Ich habe von Antinomien gesprochen: Da gibt es nun diejenigen, die sagen, wir müs­sen den ideologischen Berg überwinden, der Geleitzug muss in die richtige und in die wahre Richtung fahren. – Ja, wer will denn das den anderen diktieren, was die einzige und die ewige Wahrheit ist?

Blaise Pascal hat einmal gesagt: „Wahrheit diesseits der Pyrenäen ist Irrtum jenseits.“

Als ich mit meinem zwölfjährigen Sohn nach Sarajevo gekommen bin, voll Impetus, stelle ich ihn an die Stelle, an der Princip, der Terrorist, unseren Thronfolger erschos­sen hat. Dort finde ich eine Marmortafel mit der Inschrift „Unser Held“. Da ist mir Blaise Pascal wieder in den Sinn gekommen: Die Wahrheit von diesseits des Karstes ist der Irrtum von jenseits.

Jetzt könnte man in der Schulpolitik nach dem Wiener Spruch Folgendes sagen: Da muass was g’schehn, da kann ma nix machen! – Das ist freilich nicht unser Weg, nicht Ihr Weg, weil Sie sonst nicht politisch tätig sein wollten. Es bleibt uns ausschließlich der Weg der rationalen Analyse, der Aufarbeitung der Probleme und der Missverständ­nisse. Dazu sind natürlich wissenschaftliches Denken und wissenschaftliche Methoden ganz wesentlich. Und die Methode der überzeugenden Darstellung, was man als zukunftswürdig erkennt: Das zeichnet den guten Politiker aus, dass er das eben her­vorragend versteht.

Ich bedanke mich wirklich sehr herzlich dafür, dass Sie diese Enquete veranstaltet ha­ben – und vor allem auch dafür, dass Sie mich eingeladen haben. Ich empfinde das als eine ganz große Ehre und danke Ihnen für Ihr Zuhören. (Beifall.)

15.12

*****

 


Vorsitzende Präsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Meine Damen und Herren! Ich danke allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr große Interesse. Da wir heute schon sehr viel im Schuljargon gesprochen haben, sage ich – das ist wirklich erfreu­lich –, es war kein Nachsitzen, sondern es waren alle freiwillig hier, um eben ihr Inter­esse an Bildungsfragen zu bekunden.

Vor allen Dingen möchte ich für die wertvollen Diskussionsbeiträge danken. Diese Ver­anstaltung soll doch uns Parlamentariern dazu dienen, Rahmenbedingungen zu schaf­fen, um den Lehrenden und Lernenden das Vermitteln und Erfassen von Kulturtechni­ken effizient zu ermöglichen und auch um Lehrenden und Lernenden die Bereitschaft und Kompetenz zu geben, ständige Veränderungen erkennen und darauf auch reagie­ren zu können. Dazu, meine Damen und Herren, bedarf es der Vermittlung besonders wichtiger Werte, die die Teilnahme am öffentlichen Leben in Selbstverantwortung und in Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ermöglichen sollen.

Ich darf abschließend noch einen kleinen Dank aussprechen: Es war ein Kollege aus dem Bundesrat, der den Anstoß zu dieser Enquete gegeben hat. Ich möchte Herrn Dr. Schnider auch von dieser Stelle aus ganz herzlich dafür danken, dass er angeregt hat, diese Enquete abzuhalten.

*****

Die Enquete ist geschlossen. (Beifall.)

Schluss der Enquete: 15.15 Uhr

 

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien