„Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und deren Konsequenzen für Österreich“

 

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Donnerstag, 20. April 2006

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 

 

 

 

 

 

 


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Donnerstag, 20. April 2006

(XXII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und deren Konsequenzen für Österreich“

Dauer der Enquete

Donnerstag, 20. April 2006: 9.04 – 12.54 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung

Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach

II. Einleitungsreferat zum Stand der Verhandlungen auf EU-Ebene

Sektionsleiter Dr. Michael Losch, Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit

III. Referate

Mag. Evelyn Regner, ÖGB-Europabüro Brüssel

Mag. Melitta Aschauer, Arbeiterkammer Wien

Mag. Christina Fürnkranz, Industriellenvereinigung, Abt. Industriepolitik

Mag. Markus Stock, Wirtschaftskammer Österreich, Abt. EU-Koordination

Veronika Litschel, Vorsitzende des Netzwerkes Sozialwirtschaft

IV. Diskussion

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Vorsitzende Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach ............ 3

II. Einleitungsreferat zum Stand der Verhandlungen auf EU-Ebene

Referent Sektionsleiter Dr. Michael Losch ................................................................. 3

III. Referate

Referentin Mag. Evelyn Regner .................................................................................... 8

Referentin Mag. Melitta Aschauer .............................................................................. 12

Referentin Mag. Christina Fürnkranz ........................................................................ 16

Referent Mag. Markus Stock ...................................................................................... 20

Referentin Veronika Litschel ...................................................................................... 25

IV. Diskussion

Bundesrat Ludwig Bieringer ...................................................................................... 30

Abg. Mag. Kurt Gaßner ............................................................................................... 31

Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier .............................................................................. 32

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 34

Abg. Marianne Hagenhofer ......................................................................................... 36

Bundesrat Franz Perhab ............................................................................................. 37

MEP Dr. Evelin Lichtenberger .................................................................................... 38

Katharina Schinner ...................................................................................................... 40

Abg. Carina Felzmann ................................................................................................. 41

Abg. Michaela Sburny ................................................................................................. 42

Manfred Allerstorfer .................................................................................................... 43

Abg. Konrad Steindl .................................................................................................... 45

Dr. Renate Kamleithner ............................................................................................... 46

Bundesrat Wolfgang Schimböck ............................................................................... 47

Thomas Kerschbaum .................................................................................................. 49

Bundesrat Peter Mitterer ............................................................................................. 51

Schlussworte

Referent Sektionsleiter Dr. Michael Losch ............................................................... 52

Referentin Mag. Evelyn Regner .................................................................................. 55

Referentin Mag. Melitta Aschauer .............................................................................. 56

Referentin Mag. Christina Fürnkranz ........................................................................ 56

Referent Mag. Markus Stock ...................................................................................... 57

Referentin Veronika Litschel ...................................................................................... 58

 


09.03.52Beginn der Enquete: 9.04 Uhr

Vorsitzende: Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Haselbach, Vize­präsident des Bundesrates Jürgen Weiss.

*****

09.03.55I. Eröffnung

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Die EU-Dienstleistungsrichtlinie und deren Konse­quenzen für Österreich“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung zu dieser Enquete so zahlreich gefolgt sind.

Ich begrüße alle Anwesenden sehr herzlich, und mein besonderer Gruß gilt den Referentinnen und Referenten: Herrn Sektionsleiter Dr. Michael Losch, Frau Evelyn Regner, Frau Mag. Melitta Aschauer, Frau Mag. Christina Fürnkranz, Herrn Mag. Mar­kus Stock und Frau Veronika Litschel.

Weiters begrüße ich sehr herzlich alle Mitglieder des National- und Bundesrates, die Vertreter des Bundeskanzleramtes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit sowie des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten, die Vertreterinnen und Vertreter der Ämter der Landesregierungen, des Österreichischen Städtebundes, des Österreichischen Gemeindebundes und der Verbindungsstelle der Bundesländer sowie von Attac Österreich sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die heute als Experten und Expertinnen zu dieser Enquete geladen sind.

Nicht zuletzt darf ich die Vertreterinnen und Vertreter der Medien willkommen heißen.

Bevor wir in die Beratungen eingehen, möchte ich kurz den geplanten Ablauf der Ver­anstaltung skizzieren sowie einige organisatorische Dinge bekannt geben. (Es erfolgen technische Mitteilungen und Hinweise auf das Procedere bei der Enquete durch die Vorsitzende.)

Nunmehr erteile ich Herrn Sektionsleiter Dr. Michael Losch als erstem Referenten das Wort. Er wird in seinem Einleitungsreferat über den Stand der Verhandlungen auf EU-Ebene berichten. – Ich darf Sie bitten, das Wort zu nehmen.

09.08.09II. Einleitungsreferat

 


9.08.10

Referent Sektionsleiter Dr. Michael Losch (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! Hohes Haus! Vielen Dank für die Gelegenheit, Ihnen hier den aktuellen Stand der Diskussionen und Verhandlungen in Brüssel, in Straßburg, auf EU-Ebene darzustellen.

Vorweg möchte ich sagen, es ist dies ein sehr guter Zeitpunkt für diese Enquete – ich weiß nicht, ob dieser Termin absichtlich so angesetzt wurde –: Die Einigung im Par­la­ment ist geschehen, der neue Kommissionsvorschlag ist seit 4. April auf dem Tisch. Wir haben bisher noch keine Runde mit den Mitgliedstaaten auf Ratsebene abge­halten; diese wird diesen Samstag beim informellen Wettbewerbsfähigkeits-Ministerrat in Graz zum ersten Mal stattfinden.

Es hat auch noch keine Gespräche in Arbeitsgruppen auf Ratsebene oder Ähnliches gegeben. Das zeugt von einer kleinen Schwäche: Auf der einen Seite die hohe Aktualität – auf der anderen Seite sind wir auf Ratsebene in der Situation, dass wir den Samstag abwarten müssen, um das erste Feedback seitens der 25 Mitgliedstaaten und der Minister zu erhalten.

Ich habe mir überlegt, wie ich meinen Beitrag am besten strukturiere und möchte daher noch einmal relativ kurz eingehen auf die Grundsätze der Richtlinie. Ich möchte ver­meiden, zu polarisieren, sondern möglichst sachlich bleiben, und Ihnen einerseits die Änderungen, die wesentlichen Änderungen schildern, die das Parlament gegenüber dem ursprünglichen Kommissionsentwurf eingebracht hat, und dann auf die sehr klei­nen technischen Änderungen – so möchte ich sie qualifizieren –, die jetzt seitens der Europäischen Kommission eingebracht wurden, eingehen.

Im Großen und Ganzen – das möchte ich gleich zu Beginn sagen – ist es gelungen, auch mit Unterstützung unseres Ressorts, des Herrn Bundesministers Bartenstein, aber auch mit Unterstützung von Bundeskanzler Schüssel und Kommissions­prä­sidenten Barroso, die Kommission dazu zu bewegen, sehr, sehr eng, am besten zu 95 Prozent, 98 Prozent beim Vorschlag, bei den Formulierungen des Europäischen Parlaments zu bleiben. Das wird im Moment als die Chance gesehen, das window of opportunity, die Diskussion in ein konsensuales Ergebnis münden zu lassen.

Lassen Sie mich noch einmal kurz Revue passieren über die Ursprünge, die Begrün­dung der Richtlinie. Natürlich ist auf der einen Seite wesentlich die ökonomische Argumentation und die Eingliederung dieser Richtlinie als wesentliches Element, als wesentlicher Beitrag in die Lissabon-Strategie; das stand auch im Wim-Kok-Report.

Die Dienstleistungsfreiheit, eine der vier Freiheiten, ist zum Beispiel im Gegensatz zur Warenverkehrsfreiheit noch sehr unterentwickelt. Es sind noch verschiedenste Hindernisse in den einzelnen Mitgliedstaaten vorhanden, und der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten hat das Ganze vielleicht noch komplexer gestaltet.

Die Kommission hielt es ursprünglich für sinnvoll – und das wurde, glaube ich, auch in breiten Zügen unterstützt –, dass man die Dienstleistungsfreiheit, die zu einer der vier Freiheiten gehört, in kodifizierter Form darstellt und es nicht den KMUs überlässt, wegen jedes Einzelfalles vor den EuGH gehen zu müssen, vor die Gerichte gehen zu müssen, um dann möglicherweise Recht zu bekommen.

Ein konkretes Beispiel dazu, das seitens der Kommission nach wie vor zitiert wird: Wenn man in Belgien als Handwerker, als Maler zum Beispiel, arbeiten möchte, dann verlangen belgische Vorschriften, dass der Lieferwagen, der dafür verwendet wird, in Belgien zugelassen sein muss; man kann nicht mit österreichischen Nummerntafeln fahren. Auch wenn man als Maler zugelassen wurde, bleibt dieses Erfordernis auf­recht, aber für ein kleines KMU lohnt es sich nicht, für einen einzigen Auftrag ein Auto umzumelden. – Das sind Hindernisse, die man mit dieser Richtlinie wegbringen möchte.

Ein zweites Beispiel: In Slowenien gibt es die Regelung, dass bei öffentlichen Messen und Ausstellungen alle Kataloge auf Slowenisch aufliegen müssen. Für ein KMU aus Österreich war es nicht möglich, mit Unterlagen in deutscher Sprache auszustellen. Es musste entweder alles teuer übersetzen lassen – aber das rentiert sich vielleicht für einen Auftritt nicht – oder es bleiben lassen.

Das sind viele Kleinigkeiten, wobei ich dazusagen möchte, man könnte wahrscheinlich diese Kleinigkeiten einklagen. Wenn ein KMU jetzt diese belgische oder slowenische Regelung einklagen würde, würde es nach zwei, drei Jahren vielleicht Recht bekommen, aber in einem anderen, ähnlich gelagerten Fall müsste wieder eingeklagt werden. – Daher der Gedanke der Richtlinie, das zu kodifizieren und einen Prozess in Gang zu setzen, indem die Mitgliedstaaten ihre Regeln überprüfen müssen und nach Umsetzung der Richtlinie, was ja meistens erst zwei Jahre nach In-Kraft-Treten erfolgt, ein umfassendes Screening all dieser Bestimmungen auf Sinnhaftigkeit und Zulässigkeit unternommen wird. Das ist der eine Punkt.

Der zweite wesentliche Punkt ist die Simplifizierung und die Vereinfachung der Behör­denkooperation. Das ist ein in der Diskussion oft vergessener oder wenig thema­tisierter Punkt. Hier geht es darum, dass Qualifikationsbestätigungen, Entsende­bestätigungen und so weiter nicht kompliziert mit beglaubigten Übersetzungen und zig Duplikaten per Postweg geschickt werden, sondern dass eine Anlaufstelle, eben dieser One-Stop-Shop, gegründet wird, damit Dokumente auch elektronisch übermittelt wer­den können. Die Kommission arbeitet an einem System, einem vernetzten, auf dem Web basierenden System, das in Zukunft – aber das wird noch einige Jahre dauern – den Behörden ermöglichen soll, solche Bestätigungen, die eben wichtig sind für die Anerkennung und für die Kontrolle der Qualifikationen, der Sicherheiten, viel einfacher, viel schneller und effizienter zu erhalten, was dem Binnenmarkt erst wirklich einen Schub geben wird.

Wie Sie sehen, ist die Dienstleistungsrichtlinie aus Sicht des Wirtschaftsministeriums doch auch ein wesentlicher Beitrag zur Vereinfachung der Gesetzeslage und der Rechtslage für die KMUs. Große Unternehmen können sich Niederlassungen leisten, Rechtsagenturen, die die Rechte erkämpfen – ein Kleinunternehmen im Einzelfall wird diese Zeit und diese Ressourcen möglicherweise nicht haben.

Sie kennen wahrscheinlich die ökonomischen Untersuchungen. Es gab zwei Studien, eine aus Holland, eine aus Dänemark. Die Studie von „Copenhagen Economics“ prognostiziert 600 000 Arbeitsplätze, geschaffen durch die Richtlinie. Auch Österreich hat – als Vorsitzland –, und zwar seitens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, bereits letztes Jahr eine Studie bei Professor Breuss von der WU in Auftrag gegeben, die diese Zahl 600 000 im Prinzip bestätigt hat, allerdings mit einer anderen Methode. Ich gehe jetzt aber nicht aufs Detail ein, das wäre auch schwierig. Herkunfts­landprinzip, Dienstleistungsfreiheitsprinzip, das sind qualitative Ansätze, die nur sehr schwer in ein ökonometrisches Modell überzuleiten sind. Deswegen möchte ich das jetzt gar nicht überbetonen.

Sie kennen die Schwierigkeiten, die es gegeben hat, daher möchte ich diese auch nicht länger ausführen. Ich glaube, ein wesentlicher Punkt war, dass die Kommission in ihrem damaligen Erstentwurf sehr viele Lücken und Interpretationsspielräume offen gelassen hat, vieles nicht explizit geregelt hat, was natürlich die Türen geöffnet hat für Interpretationen, die polarisiert haben.

Ebenso waren die Abgrenzungen, würde ich einmal sagen, zur Entsenderichtlinie, zur Berufsqualifikationsrichtlinie, zu verschiedenen anderen Themen nicht klar, und dadurch hat eine Vermischung von Themen stattgefunden. Gerade Artikel 24, 25, die sich mit Entsendefällen beschäftigt haben, die versucht haben, die Kontrolle der Marktstaaten, jener Staaten, in denen entsendet wird, etwas zu streamlinen – sagen wir es einmal so leger –, haben dazu geführt, dass sich die Diskussion verwoben hat. Und das sind Dinge, die dann, glaube ich, durchaus zu Recht kritisiert wurden.

Nun zur Chronologie. Nach diesen Diskussionen auch im Rat auf Basis des ersten Kom­missionsvorschlages, der auch schon sehr weit gediehen war, gelang es – und das ist schon eine großartige Leistung des Europäischen Parlaments und auch eine Sternstunde europäischer Demokratie, muss ich sagen –, im Europäischen Parlament am 16. Februar diese breite Zustimmung in erster Lesung zu erreichen. Das war, glaube ich, kein leichter Weg. Hier haben auch österreichische Abgeordnete, allen voran Herr Karas und Herr Swoboda, tolle Arbeit geleistet. Die Mehrheit ist so stark, umfasst die beiden großen Parteien, umfasst – es gibt natürlich auch nationale Trenn­linien, und gewisse nationale Gruppen auf beiden Seiten haben auch nicht zuge­stimmt – die große Masse, und auch die liberale Fraktion hat zugestimmt. Das bietet jetzt eine Mehrheit, die so stark ist, dass sie auch in zweiter Lesung als absolute Mehrheit oder eine Art qualifizierte Mehrheit dem Parlament erlauben würde, seine Position auch gegenüber einer andersartigen Ratsposition noch einmal zu bestätigen.

Das war, glaube ich, ein sehr wichtiges Zeichen, dass dieser Konsens zustande kam, denn er ermöglicht es jetzt eigentlich erst wirklich, diesen verfahrenen Karren noch einmal in Gang zu bringen und dieses Thema, das, wie ich glaube, für die Europa-Diskussion sehr schädlich war, zu einem positiven Ende zu bringen, so hoffen wir.

Die wesentlichen Unterschiede, die das Europäische Parlament eingebracht hat, sind aus meiner Sicht dreierlei.

Erstens: der Anwendungsbereich der Richtlinie. Hier wurde explizit eine Reihe von Ausnahmen angeführt. Die Kommission hat zum Beispiel gesagt, Dienstleistungen im allgemeinen öffentlichen, nicht wirtschaftlichen Interesse sind ja ohnedies nicht vom Gemeinschaftsrecht, also von diesen Binnenmarktrichtlinien, erfasst. Es tut nicht weh, das jetzt explizit zu sagen, aber es gibt auch Unschärfen, denn die Kommission war nicht in der Lage, genau zu definieren, was Dienstleistungen von allgemeinen wirtschaftlichen und von allgemeinen nicht wirtschaftlichen Interessen sind. Und das ist jetzt der große Vorteil: dass Gesundheitsdienstleistungen, Sozialdienstleistungen, aber auch Dienstleistungen im audiovisuellen Bereich, Glücksspiele, Notare, Bankge­schäfte, Altersvorsorge, Telekommunikation, Steuerwesen jetzt viel expliziter, teilweise auch erstmals explizit angeführt sind als Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie. – Das ist eine große Klarstellung. Insbesondere wird in den Artikeln 2 und 3 das Verhältnis zu anderen Rechtsakten klargestellt, zum Beispiel zur Entsende­richtlinie. Es wird festgestellt, dass diese spezifische Rechtsakte auch für Berufs­grup­pen – zum Beispiel die Rechtsanwalts-Richtlinie – Vorrang hat, dass die Entsende­richtlinie Vorrang hat. Diese Dinge wurden vom Parlament für den Anwendungsbereich explizit klargestellt.

Wesentlich sind auch zwei weitere, in der letzten Zeit diskutierten Punkte, die auch vom Anwendebereich ausgenommen sind. Das sind Zeitarbeitsagenturen, Temporary Workers Agencies. Bei der Leiharbeit gibt es auch eine andere Richtlinie, die im Moment sozusagen im Rat steckt, und da gäbe es auch eine Verquickung. Da hat man gesagt, das nimmt man aus, das sei ein heikles Thema. Auch Sicherheitsdienst­leistungen, Sicherheitsunternehmen sind ausgenommen.

Wie Sie sehen können, gibt es eine Reihe von Ausnahmen, die zuerst nicht im Kom­missionstext enthalten waren. Auch die Bereiche Arbeitsrecht, Streikrecht, Kollektiv­vertragsrecht wurden explizit ausgenommen. Hier ist also eine große Klarstellung im Anwendungsbereich.

Zweiter großer Schwerpunkt, den das Parlament in diesem Neuentwurf eingebaut hat, ist die Streichung des Terminus beziehungsweise des Begriffes „Herkunfts­land­prinzip“. Dieses Prinzip hat sehr stark die Emotionen hochgehen lassen. Man hat sich jetzt auf das Prinzip der Dienstleistungsfreiheit geeinigt. Die Artikel gehen sozusagen nicht mehr ein auf die Frage, welches Recht anzuwenden ist, sondern sagen klar, es ist die Dienstleistungsfreiheit zu ermöglichen und der Mitgliedstaat kann nur Einschränkungen aus den Gründen öffentliche Ordnung, Sicherheit, Umweltschutz und Gesundheit vornehmen. Das sind die vier zulässigen Möglichkeiten, da Hindernisse beziehungsweise Schutzbestimmungen zu erlassen. Die dürfen nicht diskriminierend und müssen proportional sein.

Dritter großer Bereich ist das Thema „Entsenderichtlinie“; Artikel 24, 25 aus­genommen.

Um dieses Thema zu entflechten, hat die Kommission in der Weise darauf reagiert, dass sie gesagt hat, sie akzeptiere das, hat aber, um auch den neuen Mitgliedstaaten entgegenzukommen, ein so genanntes Leitlinienpapier, ein Guidance-Papier, vorge­schlagen, das gewisse Dinge klarstellt, um da auch den neuen Mitgliedstaaten Rechts­sicherheit zu geben. Es gibt hier keine neuen legislativen Würfe, sondern auf Basis der entstehenden Entsenderichtlinien Klarstellungen der Kommission, die natürlich Anleitung für Vertragsverletzungsverfahren in Zukunft sein können.

Als erste Analyse: Aus österreichischer Sicht gibt es kein wirkliches Problem mit dem Inhalt dieses Leitlinienpapiers.

Die Unterschiede sind da zwischen Parlament und Kommission aus unserer Sicht sehr gering. Ich möchte jetzt nicht von den Formulierungen her hier groß etwas darstellen, was nicht groß ist. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: die Formulierung statt Ausnahme „soziale Dienstleistungen“.

Das Parlament schreibt, soziale Dienstleistungen sind ausgenommen, und qualifiziert sie „such as“, also beispielsweise „Social Housing“, also sozialer Wohnbau, oder Kindererziehung und Familienunterstützung.

Die Europäische Kommission schlägt da vor, nicht exemplarisch zu sein, nicht zu sagen, ist zum Beispiel auszunehmen, sondern taxativ vorzugehen. Sie hat dann aber im Gegenzug einen zusätzlichen Tatbestand eingeführt, nämlich „Unterstützung für bedürftige Personen und Familien“.

Jetzt ist die Frage: Hat man es lieber exemplarisch mit engeren Kriterien – oder hat man es lieber taxativ mit einem weiteren Kriterium? Das ist zum Beispiel eine Feinheit, die wahrscheinlich zu diskutieren ist und wo sich der Rat dann positionieren muss. Und man wird dann sehen, ist man da näher beim Parlament oder ist man näher bei der Kommission.

Eine weitere Frage ist die bezüglich Notare. Da ist die Formulierung des Parlaments eher auf den Berufsstand bezogen – die Formulierung der Kommission hingegen auf die notarielle Tätigkeit. Das ist natürlich auch ein mögliches Konfliktpotential.

Ein weiteres Beispiel ist, dass bei Genehmigungen für Niederlassungen die Kom­mission bei der ursprüngliche Formulierung geblieben ist, nämlich, dass, wenn nicht in einer gesetzten Frist entschieden wird, das als genehmigt gilt. Das Parlament hat das hingegen herausgenommen.

Das sind ein paar technische Punkte, die durchaus ein gewisses Potential für Diskussion und Konflikt in sich bergen, die aber aus unserer Sicht nicht die große Balance stören. Insofern sind hier durch die Deklaration des Europäischen Rates und durch Diskussionen mit Sozialpartnern wesentliche Punkte gelungen, wie zum Beispiel, dass die ursprüngliche Absicht der Kommission, die Zeitarbeitsagenturen wieder in die Richtlinie reinzubringen, nicht realisiert wurde. Die Kommission ist aus unserer Sicht dem Parlamentsentwurf im Großen und Ganzen gefolgt.

Wie das jetzt interpretiert wird, werden wir noch sehen. Die Sache ist aus unserer Sicht noch nicht gelaufen. Wir streben einen breiten Konsens an. Im informellen Rat am Samstag soll es darüber eine Diskussion geben. Minister Bartenstein wird sicherlich darauf verweisen, dass die Heads of states beim Europäischen Rat Ende April in ihren Schlussfolgerungen dazu aufgefordert haben – da hat es eine explizite Diskussion gegeben –, eine „swift adoption“ dieser Richtlinie auf Basis des Parlamentsentwurfs vorzunehmen. Man wird sehen, ob sich die Wirtschaftsminister an die Aussagen ihrer Regierungschefs halten werden. Wir hoffen natürlich, dass das der Fall sein wird. Wir werden das auch einmahnen.

Wir haben auch europäische Parlamentarier dazu eingeladen, an der Diskussion am Samstag teilzunehmen, um auch hier gleich die Diskussion zwischen Ministern und Parlamentarien zu stimulieren, und zwar die Ausschussvorsitzende Frau McCarthy, Frau Gebhardt, Herrn Malcolm Harbour und einige weitere.

Wir hoffen, dass das ein bisschen ein Bild gibt und zum gegenseitigen Verständnis zwi­schen Parlament, Kommission und den Mitgliedstaaten beiträgt. Wir sind zuver­sicht­lich, dass wir da rasch und in einem Konsens fortschreiten können. Wir sind jedenfalls dazu bereit. Wir würden uns als faire Mittler in unserer Funktion als Träger der EU-Präsidentschaft einsetzen – vor allem beim nächsten formellen Wettbewerbsfähig­keits­rat, der am 29. Mai in Brüssel stattfindet –, damit es zu einer Art politischer Einigung kommt.

Sollte das jedoch nicht gelingen, hätten wir dann noch die Möglichkeit, einen Reserve-Rat Ende Juni einzuschalten. Aber das ist jetzt mehr oder weniger Spekulation.

Es gibt eine Gefahr der Polarisierung. Es waren nämlich vor allem die neuen Mit­gliedstaaten sowie England und die Niederlande da durchaus kritisch. Die schlossen sich nicht der Euphorie an, das Parlament habe einen breiten Konsens, sondern haben gesagt, das sei eine Verwässerung der Richtlinie. Die neuen Mitgliedstaaten haben vor allem Sorge bezüglich des Entsenderechtes, nämlich, dass sie da Erleichterungen bekommen.

Jetzt wird man sehen: Haben die Leitlinien von Špidla ihren Zweck erfüllt, sozusagen ihre Arbeit getan, und sind die Mitgliedstaaten beruhigt, können sie das akzeptieren, was jetzt auf dem Tisch liegt – oder wird das sozusagen noch einmal aufbrechen? Wir hoffen auf Basis der Diskussion im Europäischen Rat, dass jetzt das Momentum, dass der Zeitpunkt da ist.

Ich meine, aus österreichischer Sicht können wir den fairen Makler spielen, denn wir haben da wenig Eigeninteresse und können so in Richtung eines Kompromisses arbeiten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

9.28


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke, Herr Sektions­leiter.

Wir kommen nun zu den nächsten Referenten. Ich darf Frau Regner bitten, ihren Beitrag zu bringen.

09.28.40III. Referate

 


9.28.42

Referentin Mag. Evelyn Regner (ÖGB-Europabüro Brüssel)|: Sehr geehrter Damen und Herren! Als Vertreterin der Gewerkschaften, des Österreichischen Gewerk­schafts­bundes beziehungsweise auf Grund meiner Einbindung in der europäischen Gewerk­schaftsbewegung muss ich sagen: Wir hatten und haben teilweise noch immer massive Probleme mit dieser Dienstleistungsrichtlinie. Wir hatten sie in den letzte zwei Jahren ganz massiv, es hat sich zwar vieles geändert, aber einige Kritikpunkte bleiben noch offen.

Die Dienstleistungsfreiheit als eine der vier Freiheiten – und das möchte ich gleich an die Spitze meiner Ausführungen stellen – wird natürlich nicht in Frage gestellt. Das ist ganz klar. Es geht nicht darum, ob die Dienstleistungsfreiheit verwirklicht werden soll, sondern es geht letztlich um das Wie.

Da geht es natürlich darum, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, und da haben wir uns noch nie in die Quere gestellt, entsprechende Regeln, die von allen anzuwenden sind, zu schaffen und mit zu tragen.

Tatsächlich muss allerdings dieses Projekt „Dienstleistungsrichtlinie“ in einem größeren Kontext gesehen werden. Es geht nicht nur um die Dienstleistungsrichtlinie – die ist natürlich sehr hohl –, sondern es geht auch darum, das Problem von Entsendungen in der Entsenderichtlinie zu lösen und das Problem der Daseinsvorsorge, also den ganzen Komplex der öffentlichen Dienstleistungen, in den Griff zu bekommen. Und es geht natürlich auch um die Frage selbst, ob diese Dienstleistungsrichtlinie in einem richtigen makroökonomischen Kontext gebettet ist. Die Entstehungsgeschichte der Dienstleistungsrichtlinie hat sehr viel damit zu tun, wie die EU-Institutionen mit den europäischen Bürgern umgehen, insbesondere die Europäische Kommission, wie wir gesehen haben – und umgekehrt natürlich auch mit der Einstellung der Menschen zur EU selbst. Insofern ist sie also wirklich ein Prüfstein für die Europäische Union. Der deutsche Vizekanzler Müntefering hat beim Tripartiten Sozialpartnergipfel anlässlich des Europäischen Rates ganz klar darauf hingewiesen, dass am Zustandekommen der Dienstleistungsrichtlinie im Endeffekt viel mehr hängt, nämlich auch die Diskussion über die Zukunft der EU und über die Europäische Verfassung. Das heißt also, es ist wirklich ein großes Paket, weil es eben so viele Menschen und so viele Bereiche trifft.

Kurz einige Fakten zu den Dienstleistungen in der europäischen Wirtschaft, die Ihnen sicherlich großteils bekannt sind – um die Dimension zu zeigen, wie stark wir wirklich von dem ganzen Thema „Dienstleistungsrichtlinie“ berührt sind.

Die Dienstleistungen umfassen 56 Prozent des europäischen BIP. 80 Prozent der Unternehmen sind letztlich davon betroffen. Die Dienstleistungsrichtlinie ist natürlich eine Richtlinie, die in erster Linie mit Jobs, mit Beschäftigten zu tun hat, denn zirka zwei Drittel, rund 70 Prozent der Beschäftigten, arbeiten beziehungsweise sind im Dienstleistungsbereich beschäftigt – und dementsprechend geht das natürlich sehr, sehr viele Menschen etwas an, und zwar von den Gemeinden bis direkt auf die EU-Ebene selbst.

Nun auch ein kleines Argument zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Notwendigkeit, dass Europa natürlich seinen Beitrag dazu leisten muss, auch auf dem Dienstleistungsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben.

Im Zeitraum 1997 bis 2003 lag der Anteil der EU-15 – nicht der EU-25! – am globalen Dienstleistungsmarkt bei 25,8 Prozent. Das ist ein Anstieg von 1,8 Prozent. Insofern kann man durchaus sagen, dass wir sehr wettbewerbsfähig sind, wenn man die Anteile und auch den Anstieg beispielsweise mit jenen der USA vergleicht, die immer wieder als Vorbild hingestellt werden. Selbst im Vergleich zu China oder Indien, die einen Anstieg von 1,6 Prozent – also durchaus beachtlich in dieser Zeitspanne – zu ver­zeichnen hatten, kann man trotzdem noch sagen, dass der europäische Dienst­leistungsmarkt ganz gut im Rennen ist.

Nichtsdestotrotz möchte ich die Feststellung an die Spitze stellen: Dienstleistungs­freiheit ja, aber es kommt natürlich auf die Ausgestaltung an, darauf, wie das geschehen soll. Da hat es in der Europäischen Union im Laufe der Jahre offensichtlich einen gewissen Wandel gegeben, denn noch Ende der achtziger Jahre war die soziale Dimension des Binnenmarktes, um das wortwörtlich zu zitieren, ein Fundamental­bestandteil für die Vollendung des Binnenmarktprojektes, denn im Endeffekt lieben die Menschen nicht dem Markt, sondern sie müssen sich mit dem Projekt EU als funktionierende Wirtschaft identifizieren.

Wo stehen wir zurzeit beziehungsweise wie ist es so weit gekommen – und zwar aus der Sicht der Europäischen Gewerkschaft?

Die Bolkestein-Richtlinie ist schon einige Zeit alt, sie datiert zurück auf den Jahresbeginn 2004, und sie kam damals eigentlich auf eine Art und Weise zustande, die man als demokratiepolitisch bedenklich bezeichnen kann, also mehr oder weniger auf der grünen Wiese gab es auf einmal diesen Vorschlag. Natürlich gibt es dann den Rechtsetzungsprozess, wie er in den EU-Verträgen vorgesehen ist, aber normaler­weise gibt es dann doch sehr weiter gehende Konsultationen, insbesondere von all jenen, die davon betroffen sind, und wie ich bereits dargestellt habe, sind wir sehr, sehr stark alle miteinander davon betroffen.

Ich möchte nun dokumentieren, wie zynisch zu diesem Zeitpunkt mit den Protesten, die es nach einer ersten Analyse dieses durchaus komplizierten Regelwerks, das ja nicht so einfach zu durchschauen ist, gegeben hat, umgegangen wurde.

Nach einer Demonstration der belgischen Gewerkschaften, die zu den Ersten zählten, die sich diesen Richtlinienentwurf näher angeschaut haben, reagierte Kommissar Bolkestein mit den Worten: „Wer gegen diese DL-RL ist, ist rassistisch und politisch nationalistisch!“

Das heißt, zunächst einmal wurden Kritiker auf Ebene der Europäischen Kommission sozusagen in ein Eck gestellt. Es hat einige Zeit gedauert, bis sowohl auf europäischer Ebene als auch dann schön langsam in den einzelnen Staaten die Dienst­leistungs­richtlinie kritischer aufgenommen wurde.

Noch eine Klarstellung: Die hochrangige Expertengruppe „Kok-Group“, immer wieder zitiert, die sich für die Dienstleistungsfreiheit geäußert hat, hat sich allerdings explizit nicht für diese Bolkestein-Richtlinie ausgesprochen, hat also dieses Prinzip grund­sätzlich befürwortet und trotzdem gesagt, Sozialdumping im Gegenzug dürfe es nie geben. – Das ist für die weitere Entwicklung vielleicht wichtig.

Wie wir alle wissen, gab es ja dann darauf massive Proteste, insbesondere in Frank­reich, aber auch in Deutschland und in anderen EU-Ländern. Es war der wirklich absolute Druck von unten: von Nicht-Regierungsorganisationen, aber vor allem von Gewerkschaften europaweit, und zwar teilweise vereint, teilweise national, ein Druck, der zu einem gewissen Umdenken bei Ministern sowie bei Staats- und Regierungs­chefs geführt hat, wodurch es dann auch zu einer anderen inhaltlichen Gestaltung gekommen ist.

Die Kommission selbst ist allerdings noch einen Zickzackkurs gefahren. Mein Eindruck war der, dass sie immer geschaut hat, wie weit man es sozusagen ausreizen kann, diese Richtlinie möglichst liberal zu lassen, und wie stark der Druck ist, da doch ein wenig nachgeben zu müssen. Nach dem Europäischen Rat 2005 war der Druck ins­besondere seitens der deutschen und der französischen Regierung so stark, dass Kommissar Barroso sagen musste, es werde jetzt etwas Neues geben. Daraufhin glaubten auf einmal alle, die Richtlinie sei zurückgezogen worden. – Mitnichten war das der Fall! Wir haben auf derselben Grundlage weiter verhandelt. Mit über 1 000 Abänderungsanträgen hatte das Europäische Parlament wirklich alle Hände voll zu tun, und alle, die versucht haben, entsprechend Lobbying zu betreiben, sich konstruktiv ein­zubringen, hatten geradezu eine irre Arbeit damit, ein komplett verunglücktes Ding so weit umzukrempeln, dass es letztendlich akzeptabel war für die ArbeitnehmerInnen, für alle Bürgerinnen und Bürger in Europa.

Was die Haltung der österreichischen Bundesregierung dazu betrifft, war es meiner Beobachtung nach im Jahre 2004 noch relativ still, und zwar bis weit in das Jahr 2005 hinein. Da gab es immer noch eine sehr starke Befürwortung des Herkunfts­land­prinzips. Erst in den letzten Monaten gab es sehr konstruktive Verhandlungen, was die österreichische Position betrifft. Und da möchte ich darauf hinweisen: Das war allerdings heftigst umkämpft. Es gab am 19. März 2005 große Demonstrationen in ganz Europa. 75 000 GewerkschafterInnen, aber auch ATTAC und NGOs waren auf den Straßen in Brüssel und in ganz Europa zur gleichen Zeit, um sich massiv dafür einzusetzen. Das war vor der Abstimmung in der ersten Lesung im Plenum im Europäischen Parlament. Insofern kann man wirklich nur sagen: Hätte es diesen Druck nicht gegeben, dann wären all die Änderungen, die letztlich das Europäische Parla­ment dann in einem Kraftakt gemeinsam auf die Beine zu stellen versucht hat, nicht zustande gekommen.

Es gibt aber nach wie vor massive Kritikpunkte, es gibt nach wie vor große Probleme damit. Es ist dann diese Richtlinie, wie es damals die Berichterstatterin Evelyne Geb­hardt gesagt hat, sozusagen vom Kopf auf die Füße gestellt worden. Das heißt, dass es sich jetzt sozusagen um eine normale Richtlinie mit normalen Problemen handelt, dass aber doch die wirklichen Wahnwitzigkeiten nicht mehr vorhanden sind.

Nun zu den wichtigsten, noch offenen Punkten zum jetzigen Zeitpunkt: Im Augenblick liegt es an den Staaten selbst, liegt es an den nationalen Regierungen, sich zu positi­onieren und zu sagen, welche Punkte noch die Knackpunkte sind und welche noch tatsächlich große Probleme auslösen. Das heißt: Jetzt ist es wirklich allerhöchste Zeit, sich entsprechend einzubringen, sodass ein qualitätsvoller Kompromiss bei der Dienstleistungsrichtlinie zustande kommt. Zu den Punkten, die aus Arbeitnehmersicht noch absolut bedenklich sind, möchte ich einiges sagen. Der Kommissionsvorschlag hat zwar, wie bereits erwähnt, vieles aus dem Europäischen Parlament übernommen, allerdings nicht alles. Ich erwähne jetzt nicht all unsere Kritikpunkte dazu, sondern nur die allerwichtigsten.

Einer der durchaus großen Erfolge war, dass das Arbeitsrecht ausgenommen ist, das heißt also, dass die Dienstleistungsrichtlinie unbeschadet des Arbeitsrechts gilt. Ein Dienstleister, der seine Dienstleistung beispielsweise in Österreich erbringt, muss sich an österreichisches Arbeitsrecht halten. Allerdings gilt es jetzt durch den Vorschlag der Kommission doch noch einige Probleme auszuräumen. Die Kommission hat einige Bestimmungen zusammengezogen und auf einmal sieht es so aus, als ob das kollek­tive Arbeitsrecht nicht so klar und deutlich ausgenommen würde.

Man muss immer auf das Wording aufpassen. Nach unseren ersten Auskünften geht es da um Klarheit. Jedenfalls ist das für uns von grundlegender Bedeutung, weil es bereits einen – und in Hinkunft wird es sicherlich noch andere Fälle geben – Fall vor dem Europäischen Gerichtshof gegeben hat, bei dem dies massive Probleme bedeutet hat. Für uns ist es wirklich wichtig, dass das Arbeitsrecht klipp und klar und deutlich auch für den Europäischen Gerichtshof in allen Phasen, in allen Fällen ausgenommen ist. Das muss garantiert sein.

Ein Erfolg war ebenfalls, was ursprünglich im Text des Europäischen Parlaments stand, dass die Grundrechte – und jetzt bewege ich mich im Abstrakten, aber das ist gerade bei einer Richtlinie wie der Dienstleistungsrichtlinie so, die dann großteils doch vom Europäischen Gerichtshof ausgelegt wird – entsprechend zu respektieren sind. Das ist ganz wichtig. Also: Grundrechte haben Vorrang gegenüber der Dienst­leistungs­richtlinie. Da bestehen nach wie vor Probleme mit dem Erwägungsgrund, der die vier Freiheiten und damit auch die Dienstleistungsfreiheit praktisch auf dieselbe Ebene hebt wie die Grundrechtscharta, wie die Grundrechte und dementsprechend auch das Streikrecht und alles, was uns in diesem Zusammenhang wichtig ist.

Wesentlich ist auch besonders, dass die sozialen Dienstleistungen effektiv und gene­rell ausgenommen werden und nicht, wie im Moment – wie bereits erwähnt wurde –, einige taxativ aufgezählt werden, aber ein Gutteil wegfällt.

Zentral ist auch, dass klargestellt ist, dass, auch wenn das jetzt wesentlich besser formuliert ist, die Gesundheitsdienstleistungen wirklich zur Gänze ausgenommen werden. Auch da gibt es noch einige Bereiche, wo man sehr aufpassen muss, Stich­wort Altenbetreuung, Altenpflege. Hier sind die Grenzen durchaus schwammig.

Ein ganz entscheidender Punkt wird sicherlich auch sein – da bleiben wir auf unserer Linie; ich bin mir dessen bewusst, dass das sehr schwierig ist –, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie auszunehmen. Die Diskussionen laufen, aber nach unseren Analysen, Beob­achtungen und auch wegen der Schwierigkeit der ganzen Materie der Dienstleistungs­richtlinie hat sich eben herausgestellt, wie schwierig es ist, dann festzulegen: Wo fangen die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse an? Wie lange bleiben sie sozusagen Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse? Ab wann fängt ein Staat an, mehr oder weniger den Wettbewerb zu öffnen? Das heißt also: Dieses leise, langsame Aushöhlen ist eine absolute Gefahr.

Zum Schluss – ich möchte allerdings nicht mehr näher darauf eingehen – noch Folgen­des: Die Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen im Zielland sind schon ein altes Anliegen. Die schönste Richtlinie nützt nämlich nichts, wenn sie nicht entsprechend kontrolliert und vollzogen wird. Im Bereich der Vollstreckung, aber zunächst auch im Bereich der Zustellung muss es natürlich ebenfalls nicht nur ein entsprechendes Abkommen geben, sondern es muss letztlich auch umgesetzt werden. Sonst wird es im Endeffekt doch so sein, wie es oftmals zu befürchten ist, dass jeder Dienstleister letztlich das tut, was er gerne möchte. Solange er weiß, dass er nicht kontrolliert wird, bestehen natürlich auch keine Befürchtungen.

In diesem Sinne: Danke für Ihre Aufmerksamkeit! (Beifall.)

9.45


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Rede­beitrag.

Nächste Referentin ist Frau Mag. Aschauer. – Bitte.


9.45.23

Referentin Mag. Melitta Aschauer (Arbeiterkammer Wien)|: Schönen guten Morgen! Ich bedanke mich recht herzlich für die Einladung, heute einen Beitrag zur Enquete betreffend die EU-Dienstleistungsrichtlinie liefern zu dürfen.

Ich bin seit Anfang der neunziger Jahre in der EU-Politik tätig. Ich muss sagen, dass die Dienstleistungsrichtlinie aus meiner Sicht die herausforderndste, komplexeste und interessanteste Rechtsmaterie ist, mit der ich mich bisher beschäftigt habe. Die Dienstleistungsrichtlinie ist deswegen so interessant, weil sie gezeigt hat, dass euro­päische Bürgerinnen und Bürger mit großer Begeisterung über europäische The­men diskutieren und streiten können. Die Dienstleistungsrichtlinie ist deswegen so inter­es­sant, weil sie gezeigt hat, dass alles, was sich die Europäische Kommission ausdenkt, doch nicht das Ergebnis einer europäischen Politik sein muss. Und die Dienstleistungs­richtlinie ist deswegen so interessant, weil sie gezeigt hat, dass man die europäische Politik mitgestalten und mitverändern kann.

Ich möchte in meinem Beitrag zwei Bereiche ansprechen. Ich möchte zuerst ein wenig auf die Entstehungsgeschichte der Dienstleistungsrichtlinie eingehen und möchte dann konkret an vier Punkten den jetzigen Vorschlag der Kommission beurteilen und sagen, welche Dinge aus Arbeitnehmersicht, aus Sicht der Arbeiterkammer noch anzugehen wären.

Meine Vorrednerin hat schon den Namensgeber und Schöpfer der Dienstleistungs­richtlinie zitiert: Frits Bolkestein. Er eignet sich wirklich sehr gut zum Zitieren, daher darf ich Ihnen auch noch ein Zitat anbieten. Als man Frits Bolkestein gefragt hat, warum er diese Dienstleistungsrichtlinie eigentlich möchte, hat er geantwortet:

Ich habe mir gerade ein wunderschönes Haus in Südfrankreich als Alterssitz gekauft. Ich möchte, dass die billigen Handwerker aus den neuen Mitgliedsländern endlich kommen dürfen und mir mein Haus zu günstigen Bedingungen renovieren.

Bolkestein hat dieses Interview live einem Fernsehsender gegeben – und der Redak­teur war so verdutzt, dass er im ersten Moment überhaupt nicht gewusst hat, was er tun soll. Die Kommissionskollegen waren entsetzt und haben gesagt: Um Gottes willen, man kann doch nicht die wirklichen Motivationen und Beweggründe einer Richtlinie so offen und unverblümt sagen!

Für uns war es natürlich sehr gut, dass das jemand so offen und unverblümt gesagt hat, denn es geht bei dieser Richtlinie natürlich auch um einen Richtungsstreit in der europäischen Politik.

Es ist in der Tat so, dass darüber Konsens besteht, dass wir einen europäischen Bin­nenmarkt wollen, aber es gibt keinen Konsens darüber, wie dieser europäische Binnenmarkt entstehen soll. Und es gibt keinen Konsens darüber, wann der richtige Zeitpunkt ist und wann die richtigen Rahmenbedingungen gegeben sind.

Wie aus der Aussage von Frits Bolkestein zu ersehen ist, ist es bei der Idee der Dienstleistungsrichtlinie darum gegangen, dass man einen Binnenmarkt durch Libe­ralisierung schaffen will. Das ist ein Ansatz. – Aber es gibt auch noch einen anderen Ansatz, den die Arbeitnehmervertretungen jedenfalls in Europa verfolgen, näm­lich einen Binnenmarkt, der dadurch geschaffen wird, dass die europäischen Normen für ganz Europa in die Höhe gehoben werden. Das ist ein Binnenmarkt, den ich mir ganz gut vorstellen kann; und dann, so glaube ich, ist die Bevölkerung auch der Meinung, dass dieser Binnenmarkt etwas ist, womit sie sich identifizieren kann.

Der Grund dafür, warum diese Richtlinie jetzt unbedingt kommen muss, wurde schon im Einleitungsreferat genannt. Allerdings bin ich diesbezüglich ein bisschen skeptisch. Es wurde darauf hingewiesen, dass der Binnenmarkt für Dienstleistungen und die Auswirkungen dieser Richtlinie die europäische Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen sollen. – Ich muss sagen, dass ich fürchte, dass die Europäische Kommission denselben Fehler macht, den sie schon öfters gemacht hat: Als der Binnenmarkt für Waren geschaffen wurde, wurden Erwartungen geweckt, was dies für Effekte haben werde. Als den Euro eingeführt wurde, wurde gesagt, das wir uns retten, jetzt wird der Aufschwung kommen. Als die Erweiterung durchgeführt wurde, wurde uns ebenfalls alles Mögliche versprochen. Man muss sagen, dass die Erwartungen bei all diesen Versprechungen, die vor allem von der Europäischen Kommission gekommen sind, leider in den meisten Fällen nicht erfüllt wurden. Ich glaube, dass es jetzt auch bei diesen Studien, die Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum versprechen, nicht so sein wird.

Zuerst muss man sich anschauen, in welchem Zeitraum 600 000 Arbeitsplätze ge­schaffen werden. Ich würde sagen, dass die volle Auswirkung des Binnenmarktes sicher nicht vor zehn Jahren eintreten wird. Man muss dann auch ganz klar sagen, dass diese Studien über die wirtschaftlichen Auswirkungen die Verteilungseffekte nicht berücksichtigen, was nämlich mit den Gewinnen aus dem Dienstleistungsbinnenmarkt geschieht, und dass diese Studien natürlich auch nicht berücksichtigen, welche Aus­wirkungen das mögliche Lohn- und Sozialdumping durch diese Richtlinie haben wird.

Das heißt zusammengefasst: Ich bin sehr skeptisch, dass die Versprechungen, die in diesen Studien gemacht werden, auch tatsächlich eintreten werden. Ich bin weiters von der Systematik und von der Annahme der Studien her sehr skeptisch, dass das ein guter Weg ist, die Auswirkungen tatsächlich zu beziffern.

Ich möchte noch einmal auf den Kommissionsvorschlag zurückkommen, den Kom­missar Bolkestein ja trefflich begründet hat. Ich glaube, dass dieser Vorschlag wirklich ein Beispiel für einen sehr schlechten Vorschlag war, der in keiner Weise mit den Bedürfnissen der Europäerinnen und Europäer rückgekoppelt war. Dieser Vor­schlag und das Herkunftslandprinzip hätten in der Tat dazu geführt, dass wir einen Wett­bewerb um die niedrigsten Standards in Europa gehabt hätten und dass Österreich als Land mit höheren Standards enorm benachteiligt gewesen wäre.

Das Europäische Parlament hat auch auf Druck der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft einige Änderungen an diesem Vorschlag vorgenommen. Es wurden diesem Vorschlag einige Giftzähne gezogen, aber der Vorschlag beinhaltet aus unserer Sicht doch noch wesentliche Kritikpunkte, von denen einige schon von meiner Vorrednerin angesprochen worden sind.

Zum Kommissionsvorschlag, wie er jetzt vorliegt, gibt es vor allem vier Punkte anzu­merken:

Der erste Punkt ist, dass jetzt, wie schon gesagt worden ist, das Wort „Herkunfts­landprinzip“ nicht mehr vorkommt, aber wir müssen uns schon darüber klar sein, dass die Regelung, die das Herkunftslandprinzip ersetzt hat, eine enorme Einschränkung des nationalen Handlungsspielraums bedeutet. Das heißt, die nationalen Parlamente haben, wenn die Formulierung, wie sie jetzt lautet, kommt, extreme Einschränkungen in ihrem Handlungsspielraum. Diese Regelung, die das Herkunftslandprinzip ersetzt, ist ein Zurückgehen hinter den Status quo und auch ein Zurückgehen hinter die derzeitige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Ich darf das an einem Beispiel ganz simpel aufzeigen. Der Europäische Gerichtshof hat 30 Rechtfertigungsgründe akzeptiert, dass man nationale Vorschriften machen und sie damit begründen kann. In dem Richtlinienvorschlag sind jetzt nur noch vier von diesen 30 enthalten. Dadurch wird es zu großen Problemen kommen. Wenn wir zum Beispiel eine Regelung machen, die wir damit rechtfertigen wollen, dass sie für den Verbraucherschutz notwendig und gut ist oder dass sie für den Sozialschutz notwendig und gut ist, dann werden wir dafür in dieser Richtlinie keine Grundlage finden. – Das ist der erste Punkt, also die Einschränkung des nationalen Handlungsspielraumes. Und das ist vor allem hier in diesem Haus von großer Bedeutung.

Ich habe den Konsumentenschutz angesprochen und möchte noch ein wenig auf diesen eingehen, da er von den Vorrednern noch gar nicht behandelt worden ist. Der neue Vorschlag bringt meiner Meinung nach nur teilweise Klarheit, welches Schicksal die Konsumenten erwarten wird. Es sind zwar die allgemeinen Verbraucherverträge und auch das internationale Privatrecht aus der Richtlinie ausgenommen, es ist jedoch eine Reihe von Konsumentenschutzbestimmungen in Verwaltungsbestimmungen ent­halten. Da bin ich der Meinung, dass in diesen Fällen zumindest Rechtsunsicherheit bestünde, beziehungsweise könnte ich das sogar so interpretieren, dass hier das Herkunftslandprinzip gilt. Das gilt vor allem für die vorvertragliche Phase der Ver­braucherschutzangelegenheiten, aber zum Beispiel auch für die Frage, welche Re­gelungen für Provisionen von Immobilienmaklern gelten.

Das ist eine Frage, die meiner Ansicht nach nicht ganz klar und auch nicht zu beant­worten ist. Die Konsumenten werden überhaupt sehr von dieser Richtlinie betroffen sein. Sie werden zwar auch davon profitieren, weil sie eine große Auswahl an grenzüberschreitenden Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, aber sie werden auch das Problem haben, dass sie Dienstleistern gegenübergestellt sind, von denen sie nicht wissen, welche Zugangsbeschränkungen, welche Zugangsbestimmungen diese in ihrem Land haben. Die Konsumenten wissen auch nicht, welche Ausbildung diese haben.

Wir haben einen Versuch mit Italien, mit Malta, mit Großbritannien und mit Ungarn durchgeführt und haben muttersprachliche KollegInnen gebeten, sie mögen versuchen herauszufinden, welche Zulassungsbestimmungen und welche Ausübungsbestim­mungen Baumeister, Fliesenleger und Leiharbeitsunternehmer haben. Die KollegIn­nen sind quasi in einer Schleife von Informationen rotiert, es ist fast kein Ergebnis herausgekommen, das heißt, wir müssen uns jetzt eingestehen, dass wir nicht in der Lage sind, zu sagen: Lieber Konsument, bitte sei so nett und such’ dir selber zusam­men, welche Zulassungs- und Ausübungsbestimmungen es für manche Dienst­leistungen gibt! – Darin sehe ich schon ein großes Problem, mit dem unsere Kon­sumenten wahrscheinlich noch zu kämpfen haben werden.

Ich möchte nur sehr kurz auf den Punkt öffentliche Dienstleistungen eingehen, da meine Vorrednerin dies auch schon angesprochen hat. Ich glaube, die Grundsatzfrage, die hinter den öffentlichen Dienstleistungen steht, ist einfach folgende: Bedarf eine öffentliche Dienstleistung einer besonderen Behandlung oder ist eine öffentliche Dienstleistung eine Dienstleistung wie jede andere? – Meiner Ansicht nach ist es so, dass die öffentlichen Dienstleistungen, die Leistbarkeit und die Qualität ein elementarer Bestandteil des europäischen Sozialsystems sind. Ich denke, dass die öffentlichen Dienstleistungen auch vom wirtschaftlichen Interesse her nicht über eine Kamm geschoren werden dürfen und daher aus der Richtlinie gesamt ausgenommen werden müssen.

Ich komme jetzt zum letzten Punkt unserer Kritik an dem derzeitigen Entwurf der Richtlinie. Das betrifft die Kontrolle, die Sanktion und die Vollstreckung. Und das ist sozusagen der Kernpunkt, wo unbedingt noch flankierende Maßnahmen notwendig sind. Im Verwaltungsbereich sind wir ja derzeit – mit Ausnahme der Beziehungen zu Deutschland, mit dem wir ein Abkommen haben – auf die Behördenkooperation angewiesen. Wir wissen zum Beispiel aus Konsumentenschutzfällen, die wir betreut haben, dass eine funktionierende Behördenkooperation in Europa derzeit eine Illusion ist. Und wir wissen auch, wenn wir ganz ehrlich sind, wie schwierig die Behör­denkooperation allein innerhalb von Österreich ist. Man muss sich dann vorstellen, welches Interesse eine estnische oder maltesische Behörde hat, die österreichische tatkräftig zu unterstützen; vom Sprachproblem will ich in diesem Zusammenhang überhaupt noch nicht reden.

Die Dienstleistungsrichtlinie soll ja zu einem Ansteigen der grenzüberschreitenden Dienstleistungen führen. Daher ist es unbedingt notwendig, dass dementsprechend, wenn es österreichische Regelungen gibt, diese anzuwenden sind und dann auch die Kontrolle sichergestellt ist. Das ist ein Problem, das wir heute schon haben. Es wird sich vervielfachen. Und wenn die Unternehmen grenzüberschreitend agieren können, darf die Reichweite der Behörden, die sie sanktionieren können, nicht an der Grenze aufhören.

Es herrschte vor kurzem in den österreichischen Medien große Aufregung – man hat sich zu Recht darüber beschwert – darüber, dass, wenn jemand 160 km/h auf der Autobahn fährt, das Auto ein deutsches Kennzeichen hat und das Radarfoto von hinten gemacht wird, derjenige dann nicht über die Grenze verfolgt werden kann. Diesen Aufschrei würde ich mir auch wünschen, dass, wenn die Unternehmen die Arbeits­rechtbestimmungen nicht einhalten, man sich da auch darüber aufregt, dass dieser Umstand nicht über die Grenze hinweg verfolgt werden kann. Ich möchte zum Schluss noch sagen, dass diese Richtlinie – Österreich war da sehr initiativ, eine bessere Rechtsetzung in Europa zu erreichen – in weiten Teilen extrem unklar, extrem unverständlich ist. Ich muss Ihnen ehrlich sagen – vielleicht kann Herr Sektionschef Losch da weiterhelfen –, dass ich nicht genau sagen kann, welche Bestimmungen betroffen sein werden und welche nicht, ich glaube aber, das ist schon eine we­sentliche Voraussetzung, dass man sich mit einer Richtlinie einverstanden erklären kann.

Die Richtlinie ist ja noch in Diskussion, und ich appelliere an Sie und bitte Sie, dass Sie Ihre Möglichkeiten, Ihren Einfluss in Österreich, in der politischen Landschaft nutzen, dass diese Richtlinie sozial verträglich wird, dass sie bürgerfreundlich, verständlich wird und dass der Binnenmarkt und das soziale Europa in dieser Richtlinie gemeinsam verwirklicht werden können. – Danke. (Beifall.)

10.01


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke vielmals. – Als Nächste: Frau Mag. Fürnkranz, bitte.

 


10.01.18

Referentin Mag. Christina Fürnkranz (Industriellenvereinigung, Abteilung Industrie­politik)|: Zunächst vielen Dank für die Gelegenheit, hier im Bundesrat die Position der Industriellenvereinigung vertreten zu dürfen.

Wir sehen in der Dienstleistungsrichtlinie eine enorme Chance für Wachstum und Beschäftigung in Europa – und vor allem auch für Österreich. Deshalb haben wir die Dienstleistungsrichtlinie von Anfang an unterstützt. So, wie sie jetzt auf dem Tisch liegt, gibt es für uns auch noch einige Punkte, die wir ausbessern müssen, zu denen ich später kommen werde, die sich aber naturgemäß nicht ganz mit dem decken, was meine VorrednerInnen gesagt haben.

Ich möchte mich vorweg dafür entschuldigen, dass einige der Dinge, die ich jetzt erzählen werde, schon angesprochen worden sind, deswegen werde ich versuchen, mich da kurz zu fassen. Ich möchte Ihnen zuerst einmal über die Ausgangslage erzählen, die Ziele der Richtlinie, dann über die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte – da geht es im Wesentlichen um die Studien, die hier schon angesprochen wurden –, über die Chancen, die sich für Österreichs Wirtschaft daraus ergeben und Ihnen zum Schluss die Knackpunkte des geänderten Richtlinienvorschlags aus unserer Sicht darlegen.

Zur Ausgangslage. Meine Vorrednerin hat gesagt, dass der Binnenmarkt nicht so viel gebracht hätte. – Dieser Ansicht möchte ich schon widersprechen. Eine Mitteilung der Kommission zu „10 Jahre Binnenmarkt“ zeigt, dass 2,5 Millionen zusätzliche Arbeits­plätze geschaffen wurden, dass das BIP um 164,5 Milliarden € angestiegen ist, was einem Wohlstandszuwachs von 900 Milliarden € entspricht. Darin enthalten ist aber zum Großteil nur der Warenverkehr, wie wir schon von den Vorrednern gehört haben.

Waren, Kapital, Personen zirkulieren mittlerweile frei, bei den Dienstleistungen gibt es hingegen noch eine ganze Reihe von Barrieren. Deswegen hat sich die Kommission im Endeffekt dazu entschlossen, den Richtlinienvorschlag auf den Tisch zu legen, mit den zwei aus unserer Sicht wichtigen Zielen, nämlich einerseits die ungerechtfertigten Markthindernisse im Dienstleistungsbereich abzuschaffen, und zwar sowohl für Dienst­leister, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat niederlassen wollen, um dort ihre Dienstleistungen zu erbringen, als auch für Dienstleister, die grenzüberschreitend ihre Dienstleistungen erbringen wollen, das heißt von Österreich aus zum Beispiel in Ungarn, Slowenien, wo auch immer sie ihre Dienstleistungen anbieten wollen.

Das ist, wie schon erwähnt, ein enormes Wirtschafts- und Beschäftigungspotential in Europa, das zu nützen wir zur Erreichung der Lissabon-Ziele dringend notwendig haben – und das belegen letztlich auch alle Studien. Man kann Zahlen immer anzweifeln, aber alle Studien, die mir bekannt sind, gehen in dieselbe Richtung, und ich glaube, diese Tendenz kann wohl niemand bezweifeln.

Es ist schon angesprochen worden, die eine Studie ist vom Wirtschafts­forschungs­institut Copenhagen Economics, die im Auftrag der Kommission gemacht wurde. Sie kommt im Wesentlichen zu folgendem Ergebnis: 600 000 neue Jobs – auch wenn diese Zahl mittel- oder langfristig zu erwarten ist, ist das doch etwas, würde ich sagen –, ein Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent, niedrigere Preise und höhere Qua­lität für die Verbraucher und ein Anstieg des Handels innerhalb der EU.

Eine zweite Studie, und zwar die des Netherlands Bureau for Economic Policy, weist ein Wirtschaftswachstum von 0,3 bis 0,7 Prozent aus, was 32 bis 74 Milliarden € entspricht, einen Anstieg der Auslandsdirektinvestitionen von 18 bis 36 Prozent und einen Anstieg des EU-Handels von 30 bis 62 Prozent.

Das ist für uns der Beleg, dass die Dienstleistungen der Motor für Wachstum und Beschäftigung sind, weshalb wir auch vor einer Verwässerung der Dienstleistungs­richtlinie warnen.

Sektionsleiter Losch hat es schon angesprochen: Auch das Wirtschaftsministerium hat eine Studie in Auftrag gegeben, die im Wesentlichen zu den gleichen Ergebnissen kommt: 600 000 neue Jobs und ein Anstieg des BIP um 74 Milliarden €. Wenn man das unter den gleichen Parametern wieder umlegt, was der Binnenmarkt gebracht hat, so entspricht das einem Wohlstandszuwachs von 405 Milliarden €. Also es gibt da durchaus positive Effekte.

Da sieht man noch einmal die Effekte für Österreich im Beschäftigungsbereich. Da kommt man laut Dr. Breuss auf 10 000 neue Arbeitsplätze für Österreich.

Damit kommen wir schon zu den Chancen für Österreich, gerade für Österreich als exportorientiertes Land. So zum Beispiel ist Österreich nach der WTO-Handelsstatistik die Nummer 13 weltweit im Dienstleistungsexport. Beim Warenexport liegen wir „nur“ auf Platz 22. – Das ist also für Österreich eine enorme Chance, vor allem auch deshalb, weil in Österreich die Barrieren schon relativ gering sind. Das heißt, es ist relativ einfach, Dienstleistungen nach Österreich anzubieten. Und wenn jetzt die Barrieren innerhalb der EU fallen würden, wäre es für österreichische Unternehmen viel leichter zu exportieren. Das heißt, die Chancen überwiegen aus unserer Sicht eindeutig.

Eine andere Berechnung des Industriewissenschaftlichen Instituts zeigt, dass 1 Million € Dienstleistungsexporte eine Wertschöpfung von 0,8 Millionen € im Inland und 17 neue Arbeitsplätze bringt. Im Vergleich dazu der Warenexport: Da ist der Hebel viel geringer, da bringt 1 Million € 0,59 Millionen € Wertschöpfung und 11 neue Arbeits­plätze.

Die nach der Studie des Wirtschaftsministeriums 10 000 neuen Jobs in Österreich habe ich bereits erwähnt.

Alle drei Studien kommen jedenfalls zu dem Ergebnis, dass Österreich – neben Portugal, Dänemark und Italien – zu den überproportionalen Gewinnern der Dienst­leistungsrichtlinie beziehungsweise der Öffnung der Märkte zählt. Verlierer wären Bel­gien, Niederlande, Irland, Schweden. Das ergibt sich sicher einerseits aus unserer exportorientierten Dienstleistungskomponente und zum anderen daraus, dass bei uns die Barrieren schon sehr gering sind.

Was die neuen Mitgliedsstaaten betrifft, so ist das mit einem Fragezeichen zu versehen, denn die neuen Mitgliedsstaaten wurden da nicht mit einbezogen. Es gibt aber sehr wohl Aussagen dazu, wie der Handel dort läuft, und man kann eigentlich annehmen, dass die Importe an Dienstleistungen in den neuen Mitgliedsstaaten, näm­lich an hochqualitativen Dienstleistungen, zunehmen werden, weil diese nicht mehr das Potential haben werden, mehr Dienstleistungen zu erbringen, sondern sie orientieren sich mehr an der Produktivität, also zum Beispiel an Industriestandorten.

Summa summarum: Es überwiegen die Chancen für Österreich eindeutig! Deshalb haben wir von Anfang an die Richtlinie unterstützt, vor allem auch aus unter­neh­merischer Sicht.

Was bringt nun der geänderte Richtlinienvorschlag? Es ist schon erwähnt worden: Das Parlament hat sehr große Änderungen vorgenommen, und es ist ein recht schwierig zu durchschauender Anwendungsbereich herausgekommen. Ich habe ver­sucht, das zusammenzufassen. Grundsätzlich fallen einmal alle Dienstleistungen darunter, die wirtschaftlich sind, also jene, wo es eine wirtschaftliche Gegenleistung gibt. Das heißt, alle nicht wirtschaftlichen Dienstleistungen wie hoheitliche Dienst­leistungen oder die schon viel zitierten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse wie zum Beispiel Bildung sind draußen.

Darüber hinaus gibt es spezifische Bereichsausnahmen. Die sind vor allem vom Parla­ment und in der Folge auch von der Kommission ausgebaut worden. Darunter fallen Leiharbeiteragenturen und Private, Sicherheitsdienste, Gesundheitsdienste, Glücks­spiele, audiovisuelle Dienste, Sozialdienstleistungen und Steuerwesen. Das sind sicherlich nicht alle. Wo wir einige Probleme sehen, das ist im Bereich der Leih­arbeiteragenturen. Die Arbeitnehmer aus Leiharbeiteragenturen fallen sowieso unter den Schutz der Entsenderichtlinie. Das heißt, einem Leiharbeiter, der von Slowenien nach Österreich kommt und hier arbeiten muss, muss der österreichische Lohn gezahlt werden, und daher erhält er auch die österreichischen Sozialleistungen. Deswegen ist es für uns sachlich nicht gerechtfertigt, dass sie ausgenommen sind.

Bei Gesundheitsdiensten und Sozialdienstleistungen würden wir auch meinen, dass die privaten Dienstleistungen in dem Bereich eigentlich unter die Dienstleistungs­richtlinie fallen sollten. Ich denke da an private Kinderbetreuung, an private Alten- oder Krankenbetreuung. Diese Ausnahme ist für uns eigentlich auch nicht sachlich gerecht­fertigt; bei den Öffentlichen ist es klar – aber warum die Privaten da ausgenommen werden sollen, ist uns nicht klar. Ein anderer Bereich, der ausge­nommen ist – das wurde jetzt durch die Kommission und das Parlament präzisiert –, sind die Beson­deren EU-Regelungen; sie fallen nicht in den Bereich der Dienstleistungen. Das sind Finanzdienstleistungen, der Banken- und Versicherungs­bereich, der Bereich der elektronischen Kommunikation, Fernsehen, Verkehr, Hafen­dienste.

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang sind die Berufsanerkennungs-Richtlinie – damit werden das hohe Niveau der österreichischen Ausbildung und die Qualitäts­standards unserer Handwerker garantiert – und die schon viel zitierte Entsende-Richtlinie.

Ein anderer wichtiger Punkt ist IPR, das heißt, außervertragliches und vertragliches Schuldrecht ist ausgenommen. Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt im Verbraucher­schutz. Das bedeutet, ein österreichischer Verbraucher unterliegt den Regelungen des österreichischen Verbraucherschutzes.

Dann gibt es noch spezifische Ausnahmen von der Dienstleistungsfreiheit. Das betrifft jene Dienstleistungen, die grenzüberschreitend in einem anderen Land ange­boten werden. Darunter fallen vor allem Post, Elektrizität, Gas, Wasser, Abfallwirt­schaft, also die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Das heißt, es gibt keinen Zwang, diese geschützten Sektoren zu öffnen. Insofern ist für uns hier ausreichend Schutz garantiert.

Der positive Punkt, der für uns geblieben ist, ist im Bereich der Niederlas­sungs­freiheit und der Verwaltungsvereinfachung. Das heißt, in Zukunft wird es einem Unternehmen möglich sein, alle Formalitäten online und über eine einzige Anlaufstelle abwickeln zu können. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, wenn man an das Beispiel des österreichischen Bodenlegers denkt, der in Bayern Dienste anbieten will und zu sechs verschiedenen Stellen gehen muss.

Folgendes wurde auch von meiner Vorrednerin angesprochen: Die One-Stop-Shops sehen wir auch als wichtigen Punkt im Konsumentenschutz, weil da natürlich alle Informationen über Anforderungen zusammenlaufen und man sie dort auch bekommen kann. Das ist ein Punkt, der von uns sehr begrüßt wird und den wir immer schon unterstützt haben.

Erwähnen möchte ich noch, wo wir Verbesserungen beim Rat erwarten würden. Bei den einheitlichen Ansprechpartnern des Parlaments war es ganz klar, dass die Ver­waltungsvereinfachung auch für den Bereich der grenzüberschreitenden Dienst­leistungserbringung gelten soll. Im Text, wie er jetzt vorliegt, ist das nicht mehr so klar. Wir denken aber, dass das sehr wichtig ist, diese ganzen Anforderungen auf für den Bereich der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung zugänglich zu machen, dass das auch auf den Bereich ausgedehnt wird und nicht nur für den Bereich der Niederlassungsfreiheit gilt.

Jetzt sind wir schon bei meinem Lieblingsthema, bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit. Es ist schon angesprochen worden: Das Herkunftsland­prinzip – ich gebe es zu, das ist das, was wir eigentlich präferiert hätten – ist jetzt gestrichen worden. Die Konsequenz daraus: Es finden sich jetzt keinerlei Hinweise mehr über das anwendbare Recht. Das geht aus unserer Sicht zu Lasten der Rechts­sicherheit.

Was jetzt geregelt ist: Mitgliedsstaaten müssen den freien Zugang und die Ausübung der Dienstleistung sicherstellen. Einschränkungen sind nur mehr möglich, wenn sie nicht diskriminierend sind, aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der Gesundheit und des Umweltschutzes verhältnismäßig und notwendig sind.

Wie schon Sektionschef Losch gesagt hat, ist das nichts anderes als die Fest­schreibung der jetzigen Judikatur. Das Herkunftslandprinzip wäre aus unserer Sicht ein Schritt weiter gewesen, denn dadurch hätten die Unternehmen die Garantie gehabt, dass sie mit ihren Regelungen, ausgenommen zwingende Gründe des öffent­lichen Interesses, wie schon angeführt, im Ausland anbieten können.

De facto bleibt jetzt nur eine kostspielige und zeitaufwendige Ex-post-Betrachtung beim EuGH. Das heißt, Unternehmen, die sich beeinträchtigt fühlen, müssen weiterhin zum EuGH gehen. Das sind dann Einzelfallentscheidungen, die nicht bindend sind. Insofern gibt es in dem Bereich unserer Überzeugung nach keine Verbesserung. Es ist das die Festschreibung der Judikatur, wie sie jetzt schon ist. Es hat sich aber schon in der Vergangenheit gezeigt, dass die EuGH-Judikatur in puncto Dienstleistungsfreiheit, die es schon zahlreich gibt, nicht ausreichend ist, die Mitgliedsstaaten sozusagen dazu zu zwingen, Barrieren abzubauen.

Nach dem klaren Votum im Parlament und auch nach dem, was jetzt im Europäischen Rat beschlossen worden ist, hegen wir keine Hoffnung mehr, dass das Herkunfts­landprinzip tatsächlich wieder hineinkommt. Wir würden uns aber wünschen – um den Verlust an Rechtssicherheit auszugleichen und mehr Transparenz hinein­zubekom­men –, dass, ähnlich wie beim Niederlassungsprinzip, ein Notifizierungs- und Regis­trie­rungssystem vorgesehen wird. Das heißt, dass die Mitgliedsstaaten alle nationa­len Barrieren, die sie unter Berufung auf das Schutzinteresse des Artikels 16 weiterhin aufrechterhalten wollen, der Kommission anzeigen müssen und diese in ein Register aufgenommen werden. Das wäre eine Verbesserung, die wir uns vom Rat noch wünschen würden. – Ich danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.15


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke vielmals. – Als Nächster am Wort ist Herr Mag. Stock. – Bitte.

 


10.15.50

Referent Mag. Markus Stock (Wirtschaftskammer Österreich; Abteilung EU-Koordi­nation)|: Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst ganz herzlich für die heutige Einladung bedanken und auch für die Gelegenheit, die Sichtweise der Wirtschaftskammer Österreich zur EU-Dienstleistungsrichtlinie darzulegen.

Es ist schon angesprochen worden, die EU-Dienstleistungsrichtlinie ist sicherlich das am heftigsten und am kontroversiellsten diskutierte EU-Vorhaben der jüngeren Zeit gewesen. Die Gegner haben darin einen Angriff auf das österreichische und euro­päische Sozial- und Gesellschaftsmodell gesehen – die Befürworter einen wichtigen Impuls für Wachstum und Beschäftigung.

Ich möchte in den nächsten rund 15 Minuten ein bisschen auch zur Versachlichung der Diskussion beitragen und zunächst auf die Frage eingehen: Ist die Dienstleistungs­richtlinie notwendig – oder ist die Dienstleistungsrichtlinie, wie man auch immer wieder hört, ein unnötiges Projekt neo-liberaler Kreise?

Anschließend möchte ich einige sensible Bereiche ansprechen, die die öffentliche Diskussion beherrscht und zu sehr viel Missverständnissen, aber auch zu sehr viel Ängsten geführt haben. Drittens möchte ich darauf eingehen, welche Vorteile aus der Dienstleistungsrichtlinie insbesondere für heimische Unternehmen zu erwarten sind. Und abschließend möchte ich Ihnen noch ganz kurz die Grundsatzposition der Wirt­schaftskammer Österreich und die Hauptforderung im weiteren Gesetz­ge­bungs­verfahren darstellen.

Zunächst zur Frage der Notwendigkeit. Es ist heute schon sehr viel gesagt worden über die wirtschaftlichen Gründe für die Dienstleistungsrichtlinie. Kollegin Fürnkranz hat auch sehr gut und ausführlich dargestellt, welche wirtschaftlichen Gründe für die Dienstleistungsrichtlinie sprechen. Ich möchte diesen Aspekt noch ergänzen, weil aus meiner Sicht neben den wirtschaftlichen Gründen auch eine klare juristische Notwendigkeit besteht, die Dienstleistungsrichtlinie zu schaffen.

Sie wissen alle, der EG-Vertrag garantiert die Dienstleistungsfreiheit als eines der Grundprinzipien der Europäischen Integration. Das kann einem nun gefallen oder nicht gefallen, aber sämtliche Mitgliedsstaaten haben sich diesem Prinzip verpflichtet und sind verpflichtet, es auch in der Praxis zu garantieren, so natürlich auch Österreich.

Wenn man sich dann aber in der Praxis umschaut, kann man feststellen, dass diese Grundfreiheit, die nicht nur in einem Diskriminierungsverbot, sondern zusätzlich in einem Beschränkungsverbot besteht, vielfach missachtet wird. Allein im Euro-Infocenter der Wirtschaftskammer Österreich haben wir pro Jahr rund 150 Anfragen und Beschwerden österreichischer Unternehmer, die auf vielfältige Schwierigkeiten bei der Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit stoßen.

Die Palette der Probleme ist sehr vielfältig. Das beginnt damit – ähnlich dem Problem, das auch die Verbraucher haben –, wenn ein Unternehmer ins Ausland gehen möchte, herauszufinden, welche Behörde zuständig ist und welche Formalitäten erfüllt werden müssen. Allein die Erlangung dieser Information, wo man meinen möchte, das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und sollte keine Schwierigkeit sein, ist derzeit ein massives Problem. Wenn man sich ein Vier-Personen-Unternehmen vor Augen führt, in dem dann ein Mitarbeiter mit 25 Prozent der gesamten Arbeitskraft und -leistung eine Woche lang damit beschäftigt ist, herauszufinden, welche Formalitäten für einen Auslandsauftrag erfüllt werden müssen, dann, glaube ich, kann man sich vorstellen, welche negativen praktischen Auswirkungen das hat! Aber selbst wenn es dann gelungen ist, die zuständige Behörde und die zuständigen Formalitäten heraus­zufinden, ist das Problem oft noch nicht beendet.

Mitunter kommt es ganz einfach vor: Der Unternehmer stellt seinen Antrag – die Behörde reagiert nicht. Der Unternehmer ist monatelang nicht in der Lage, herauszufinden: Ist mein Antrag jetzt genehmigt, ist er abgelehnt, oder ist er ganz einfach irgendwo verloren gegangen? – Das sind Dinge, die skurril klingen mögen, die aber in der Praxis immer wieder vorkommen.

Neben diesen bürokratischen, proceduralen Hindernissen gibt es nach wie vor auch eine Vielzahl ganz offener Diskriminierungen. So verlangt zum Beispiel ein Mitglied­staat für Computerdienstleistungen die Vorlage eines Sicherheitszertifikats. Da könnte man auf den ersten Blick sagen: Na ja, ist gerechtfertigt, gerade wenn man an Wirt­schaftsspionage und so weiter denkt; das sollen zuverlässige Personen machen, die Gewähr für Sicherheit bieten.

Wenn man dann einen zweiten Blick auf dieses Zertifikat wirft, stellt man fest: Dieses Zertifikat wird nur einheimischen Staatsbürgern ausgestellt; Ausländer sind einmal grundsätzlich von diesem Markt ausgeschlossen.

Die Liste dieser Beispiele ließe sich noch fortsetzen, zeigt aber recht deutlich, dass wir es mit einem krassen Missverhältnis zwischen einer rechtlichen Garantie und der tatsächlichen Situation zu tun haben. Und wenn man jetzt davon ausgeht, dass die Europäische Union eine Rechtsgemeinschaft ist, dann, glaube ich, kann man nicht ernsthaft daran zweifeln, dass dieser Missstand behoben werden muss.

Zur Behebung dieses Missstandes gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit besteht darin, den bisher eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Man kann sich mit den Grundprinzipien im EG-Vertrag begnügen und die Konkretisierung, die Ausgestaltung dem Europäischen Gerichtshof überlassen.

Die zweite Möglichkeit ist, eine klare, allgemein gültige gesetzgeberische Lösung herbeizuführen, und aus unserer Sicht ist dieser zweite Weg – die gesetzgeberische Maßnahme – aus mehreren Gründen vorzuziehen, denn nur so kann ein allgemein gültiger Rahmen geschaffen und nur so können die notwendigen Begleitmaßnahmen ergriffen und der Dienstleistungs-Binnenmarkt wirklich verwirklicht werden – und nicht nur Stückwerk bleiben. Und so gesehen – rein aus juristischer Sicht – besteht unseres Erachtens eine Notwendigkeit, die Dienstleistungsrichtlinie zu schaffen, und zwar möglichst bald zu schaffen.

Eine zweite Frage, unabhängig von der Frage des Ob, ist die Frage des Wie: Wie soll die Dienstleistungsrichtlinie ausschauen? Und in dem Zusammenhang – ich habe es eingangs schon kurz erwähnt – ist die öffentliche Diskussion durch sehr viele Miss­verständnisse und sehr viele Ängste geprägt gewesen. Ich gebe zu, der ursprüngliche Kommissionsvorschlag war sicherlich nicht optimal, ich möchte aber auch darauf hinweisen: So schlecht, wie er öffentlich dargestellt wurde, war er auch wieder nicht.

Ich finde, es ist müßig, jetzt darüber zu diskutieren: Welche Gefahren hat der ursprüng­liche Vorschlag bedeutet?, ich möchte daher auf den jetzt auf dem Tisch liegenden Vorschlag eingehen, den geänderten Vorschlag, den die Europäische Kommission Anfang April präsentiert hat.

Man hört immer wieder, die Dienstleistungsrichtlinie verpflichte sozusagen geradezu zum Ausverkauf des heimischen Wassers, und Ähnliches. – Die Dienstleistungs­richtlinie stellt klipp und klar fest, dass weder eine Pflicht zur Privatisierung noch eine Pflicht zur Liberalisierung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge besteht! Die Dienstleistungsrichtlinie betrifft nur solche Dienstleistungen, die bereits im Wettbewerb stehen, und da müssen faire Bedingungen herrschen. Ich glaube, diese Entscheidung ist eine gute Entscheidung, denn die Entscheidung, welche Dienstleistungen öffentlich erbracht werden oder nicht, muss, glaube ich, beim Mitgliedstaat bleiben. – So gesehen ist dieser Vorwurf an die Dienstleistungsrichtlinie meines Erachtens nicht richtig.

Häufig ist auch zu hören, die Dienstleistungsrichtlinie würde einem Qualitätsdumping Vorschub leisten. – Auch dieser Vorwurf ist nicht richtig! Die Dienstleistungsrichtlinie in ihrer derzeitigen Form stellt ausdrücklich klar, dass die Berufsanerkennungsrichtlinie unberührt bleibt, und die Berufsanerkennungsrichtlinie regelt, welche Qualifikationen ein ausländischer Dienstleister haben muss, um in Österreich tätig zu werden. Und da gilt im Wesentlichen der Grundsatz, dass ein ausländischer Anbieter vergleichbare Qualifikationen haben muss wie ein heimischer Anbieter. – Es ist also nicht möglich, dass ein ausländischer Anbieter nach einem Zwei-Wochen-Crashkurs anfängt, in Österreich Häuser zu bauen. – Daher ist auch der Vorwurf des Qualitätsdumping meines Erachtens nicht haltbar!

Komplett unberührt bleibt auch das Arbeitsrecht und insbesondere auch die Ent­senderichtlinie. Damit ist sichergestellt, dass in Österreich eingesetzte Arbeitskräfte öster­reichische Löhne erhalten, österreichisches Arbeitszeitrecht genießen und ande­res mehr.

In diesem Zusammenhang ist immer wieder argumentiert worden: Na ja, das ist gut und schön, allerdings gibt es einige arbeitsrechtliche Bereiche, die nicht in der Ent­senderichtlinie abgedeckt sind, wie zum Beispiel Kündigungsschutz oder Entgeltfort­zahlung im Krankheitsfall. – Das stimmt, allerdings bedeutet auch da die Dienst­leistungsrichtlinie keinerlei Verschlechterung gegenüber dem derzeitigen Zustand: Es bleibt einfach alles beim Alten. Schon bisher kommt in solchen Fällen, eben auf Grund des Internationalen Privatrechtes, das Recht jenes Staates zur Anwendung, in dem der Arbeitnehmer für gewöhnlich arbeitet. Auch da ändert sich überhaupt nichts.

Angesprochen worden ist auch der Verbraucherschutz. – In der Dienstleistungs­richt­linie in der derzeitigen Form ist vorgesehen, dass das internationale Privatrecht unberührt bleibt. Das bedeutet im Normalfall, dass der Verbraucher in den Genuss seiner heimatlichen Rechtsordnung kommt, also in den Genuss jenes Konsumenten­schutzrechtes, das in seinem Heimat-Mitgliedstaat gilt.

Und daneben, neben dieser Ausnahme – was häufig auch übersehen wird – enthält die Dienstleistungsrichtlinie ganz konkrete Vorschriften, die den Verbraucher gegenüber der derzeitigen Situation in eine bessere Lage bringen: So werden zum Beispiel dem Unternehmer bestimmte Informationspflichten auferlegt. Es ist vorher angesprochen worden, wie schwierig es ist, herauszufinden: Welchen Berufszugangsregelungen unterliegt ein Unternehmer?, ein Problem, das durch die Dienstleistungsrichtlinie beho­ben wird, weil der Unternehmer verpflichtet wird, diese Information dem Verbraucher mitzuteilen.

Unberührt bleibt schließlich auch der Umweltschutz, das heißt, jeder Mitgliedstaat kann aus gerechtfertigten Umweltschutzgründen weiterhin Beschränkungen vorsehen. Die Dienstleistungsrichtlinie wird also auch nicht zu einem Umweltdumping führen.

Was ist jetzt von der Dienstleistungsrichtlinie an Vorteilen zu erwarten? – Ein Hauptvorteil in der Praxis wird meines Erachtens die leichtere Rechtsdurchsetzung sein. Wir haben derzeit immer wieder mit Fällen zu tun, wo zwei Mitgliedstaaten die gleiche Beschränkung vorsehen und ein österreichisches Unternehmen in beiden Mitgliedstaaten tätig ist, und gegen einen Mitgliedsstaat ergeht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, und diese Beschränkung wird aufgehoben. So gesche­hen zum Beispiel im Fall Luxemburg – Deutschland:

Eine luxemburgische Beschränkung wurde vom Europäischen Gerichtshof beseitigt, gegen Deutschland gab es kein Urteil. – Jetzt kann der österreichische Unternehmer mit diesem Urteil zum deutschen Beamten pilgern und kann sagen: Der Europäische Gerichtshof hat gesagt, ihr dürft mir diese Beschränkung nicht auferlegen! – Der deut­sche Beamte wird sagen: Was der Europäische Gerichtshof sagt, ist gut und recht, mir allerdings relativ egal; ich wende deutsches nationales Recht an! – Eine solche Argumentation wird nach dem In-Kraft-Treten der Dienstleistungsrichtlinie nicht mehr möglich sein, weil danach sämtliche Mitgliedstaaten nationale Umsetzungsgesetze erlassen müssen, und dann wird auch der deutsche Beamte ein deutsches Gesetz vor sich liegen haben und sich daran zu halten haben.

Angesprochen wurden schon die einheitlichen Ansprechstellen. – Auch das ist etwas, wodurch meines Erachtens keinerlei Gefahr für irgendjemanden droht, was allerdings das praktische Leben für grenzüberschreitend tätige Unternehmer wesentlich erleichtern wird.

Bisher ist es oft so, dass ein Unternehmer von der Behörde A zur Behörde B, weiter zu C und dann wieder zurück zu A geschickt wird. Derzeit muss sich der Unternehmer den Kopf zerbrechen: Wie schaut die Behördenstruktur aus, wer könnte zuständig sein? – Nach In-Kraft-Treten der Dienstleistungsrichtlinie und nach Einrichtung dieser einheitlichen Ansprechstellen wird es Aufgabe der Behörde sein, sich den Kopf darüber zu zerbrechen: Wer muss da noch eingebunden werden?, aber nicht mehr der Unternehmer.

Die einheitlichen Ansprechstellen werden auch verpflichtet, bestimmte Informationen vorab zur Verfügung zu stellen. Also im Wesentlichen muss die Information leicht zugänglich sein: Welche Formalitäten muss ich erfüllen? – Durch diese Informationen wird der Unternehmer, aber auch der Verbraucher in die Lage versetzt, bereits im Vorhinein zu wissen: Welche Formalitäten kommen auf mich zu? Lohnt es sich angesichts dieser Formalitäten, eine Dienstleistung im Ausland zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen? Was ich schon kurz angesprochen habe und was auch in der Praxis, glaube ich, sehr viel bringen wird, ist die Festschreibung, dass bestehende Genehmigungsverfahren im Niederlassungsbereich diskriminierungsfrei, transpa­rent und auch von angemessener Dauer sein müssen. Das heißt, wenn der derzeitige Vorschlag durchgeht und die Behörde in Zukunft nicht innerhalb angemessener Dauer reagiert, dann geht das nicht mehr zum Nachteil des Unternehmers, sondern zum Nachteil der Behörde, weil die Genehmigung in einem solchen Fall grundsätzlich automatisch als erteilt gilt.

Sehr wichtig ist aus unserer Sicht auch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Geneh­migungskriterien, Genehmigungsverfahren zu identifizieren und zu begründen. Derzeit kommen wir immer wieder drauf, dass sich Unternehmer, die im Ausland tätig sind, diskriminierenden Anforderungen ganz einfach unterwerfen, weil sie nicht wissen, dass ihnen das Gemeinschaftsrecht andere Möglichkeiten geben würde.

Wenn die Mitgliedstaaten aber verpflichtet werden, ihre Verfahren und Kriterien einem größeren Kreis mitzuteilen, ist natürlich auch die Chance größer, dass die Kommission, wenn sie dann feststellt, dass solche Kriterien oder Verfahren unverhältnismäßig oder unnötig sind, dagegen vorgeht und diese beseitigt werden müssen.

Von Vorrednern angesprochen wurde auch schon der Bereich Dienst­leistungsfreiheit. Ich glaube, dazu lässt sich ganz kurz sagen: Ursprünglich Her­kunfts­landsprinzip, jetzt Beschränkungsverbot. Aus meiner Sicht hatte das Herkunfts­landprinzip Vor- und Nachteile – und hat auch das jetzige Beschränkungsverbot Vor- und Nachteile. Grob gesagt, glaube ich, lässt sich aber sagen, das derzeitige Be­schrän­kungsverbot ist eine Verbesserung gegenüber der derzeitigen Situation, ermög­licht es aber gleichzeitig auch, gerechtfertigte Schutzinteressen aufrechtzuerhalten.

Sehr wichtig und vorteilhaft ist auch die vorgeschriebene Verwaltungszusam­menarbeit. Derzeit gibt es immer wieder Probleme dahin gehend, dass einige Unternehmen überhaupt nicht kontrolliert werden, andere Unternehmen hingegen von fünf verschiedenen Behörden. Durch eine sinnvolle Koordination der Behörden wird es möglich sein, schwarze Schafe rechtzeitig aus dem Verkehr zu ziehen, andererseits allerdings auch Doppelgleisigkeiten und Doppelkontrollen zu vermeiden.

Ich sehe, ich habe meine Redezeit schon leicht überschritten, deshalb jetzt ab­schließend noch ganz kurz die hauptsächlichen Forderungen der Wirtschaftskam­mer Österreich. Grundsätzlich lässt sich sagen: Gegen das Ziel der Dienst­leistungsrichtlinie, nämlich die Schaffung eines funktionierenden Dienstleistungsbin­nenmarktes, lässt sich aus unserer Sicht nicht wirklich etwas einwenden. So gesehen befürworten wir die Dienstleistungsrichtlinie.

Allerdings muss der Dienstleistungsbinnenmarkt auch aus unserer Sicht bestimmten Rahmen-Regularien unterliegen. Das ist zunächst einmal die Wahrung einer hohen Dienstleistungsqualität. Ziel muss es sein, einen Qualitätswettbewerb und keinen Preiswettbewerb zu schaffen, und vor diesem Hintergrund ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass die Berufsanerkennungsrichtlinie unberührt bleibt.

Wir schon von der Vertreterin der Industriellenvereinigung angesprochen, ist der der­zeitige Kommissionsvorschlag ein wenig missverständlich, was die Frage betrifft, ob einheitliche Ansprechstellen nur im Niederlassungsbereich zur Verfügung stehen oder auch dann zur Verfügung stehen, wenn man nur vorübergehend grenzüberschreitend tätig wird. – Da fordern wir im weiteren Verfahren eine unmissverständliche Klarstellung, dass die einheitlichen Ansprechstellen sowohl im Niederlassungs- als auch im Dienstleistungsbereich vorgesehen sind.

Sehr wichtig zur Wahrung eines fairen Wettbewerbs ist schließlich auch die Sicherstellung ausreichender Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten im Zielmit­glieds­land. Bei den Kontrollmöglichkeiten, glaube ich, hat es schon sehr große Fortschritte gegeben und sieht der jetzige Vorschlag im Wesentlichen in allen wesentlichen Bereichen die Kontrollbefugnis des Zielmitgliedstaates vor. Im Normalfall dürfte das auch zur Sanktionierung ausreichen. Allerdings gibt es noch Bereiche, wo nach unserer Meinung nachgeschärft werden muss. Stellen Sie sich zum Beispiel folgenden Fall vor: Ein ausländischer Dienstleistungserbringer verstößt in Österreich gegen Gesetze; dieser Verstoß wird aber erst festgestellt, wenn der Dienst­leistungs­erbringer schon wieder in seinem Heimatstaat ist. Genau für solche Fälle fordern wir – und da, glaube ich, besteht sozialpartnerschaftliche Einigkeit – einen Mechanismus, der sicherstellt, dass auch im Ausland Sanktionen verhängt werden können.

Eher skeptisch haben wir ursprünglich auch den Vorschlag der Kommission zu den Berufshaftpflichtversicherungen gesehen. Die Kommission wollte ursprünglich verpflichtend über sämtliche Bereiche eine Berufshaftpflichtversicherung stülpen. – Unserer Meinung nach war das der falsche Ansatz, denn vorrangiges Anliegen darf es nicht sein, Schäden im Nachhinein zu beheben, sondern Schäden nach Möglichkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Bester Garant für das Nichtentstehen von Schäden ist unseres Erachtens eine hohe Qualifikation der Berufsausbildung, und dement­sprechend fordern wir auch, dass die vorhandene Qualifikation im Zusammenhang mit den Berufshaftpflichtversicherungen Berücksichtigung findet. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Gestatten Sie mir noch eine letzte zusammenfassende Bemerkung: Die Dienst­leistungsrichtlinie wird sicherlich nicht sämtliche Probleme beseitigen. Ich glaube, würde man sich das erwarten, würde man einer Illusion unterliegen. Sehr wohl wird die Dienstleistungsrichtlinie aber ein erster wichtiger Schritt hin zu mehr Dienstleistungs­binnenmarkt sein.

Ziel der Wirtschaftskammer Österreich im Zuge dieser Diskussionen ist es, unsinnigen Protektionismus zu beseitigen, gleichzeitig aber sicherzustellen, dass dort, wo wirklich berechtigte Schutzinteressen bestehen, diese auch gewahrt bleiben können. – Danke sehr. (Beifall.)

10.36


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als nächste Referentin gelangt Frau Veronika Litschel zu Wort. – Bitte.

 


10.36.09

Referentin Veronika Litschel (Vorsitzende des Netzwerkes Sozialwirtschaft)|: Ich werde aus der Sicht eines bestimmten Bereiches der Dienstleistungserbringung, näm­lich der sozialen Dienstleistungen, zur jetzigen Dienstleistungsrichtlinie Stellung neh­men. Ich möchte mich herzlich bedanken, dass auch in diesem Bereich, nämlich jenem der sozialen Dienstleistungen, der in der Diskussion oft vergessen wird, der meines Erachtens aber ein sehr wichtiger Bereich ist, die Gelegenheit dazu besteht.

Wir haben jetzt schon sehr viel über die allgemeinen Auswirkungen, die allgemeinen Vor- und Nachteile, die Prognosen des Beschäftigungswachstums und von Ähnlichem in Bezug auf die Dienstleistungsrichtlinie gehört. Ich werde mir jetzt den Bereich der Sozialwirtschaft und die Auswirkung des jetzigen, geänderten Kommissions­vor­schlages zur Dienstleistungsrichtlinie auf Österreich anschauen.

Was ist Sozialwirtschaft? – In Österreich ist das der Überbegriff für private gemein­wohlorientierte Anbieter von Dienstleistungen im sozial- und arbeitsmarktpolitischen Be­reich, also verkürzt gesagt: von einer kleinen Sozialinitiative bis hin zu großen Trägern wie der Caritas, der Diakonie, der „Volkshilfe und ähnlichen. Das fasst man unter Sozialwirtschaft zusammen. Sie erbringen Dienstleistungen im Auftrag der öffentlichen Hand, direkt oder indirekt, und großteils werden diese Dienstleistungen auch ganz oder teilweise von der öffentlichen Hand finanziert. Und alle Dienst­leistungen bewegen sich entlang des wohlfahrtsstaatlichen Zielkatalogs, das heißt, es gibt einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens, dass diese Dienstleistungen dem Sozialbereich zuzuordnen sind.

Warum ist der Bereich der Sozialwirtschaft jetzt von der Dienstleistungsrichtlinie betrof­fen, wenn soziale Dienstleistungen ja eigentlich von der Richtlinie ausgenommen sind? Im ersten Moment würde man doch sagen: Warum stehe ich hier? Warum erzähle ich hier etwas? Es ist ja ohnedies draußen!

Schaut man sich die Richtlinie genau an und legt sie auf die österreichischen Regulierungen im Sozialbereich um, dann stellt man fest: So einfach ist das nicht! Viele der sozialen Dienstleistungen fallen zur Gänze unter die Dienstleistungsrichtlinie, und zwar sowohl im Kompromissvorschlag des Europäischen Parlaments als auch beim Kommissionsvorschlag.

Das Europäische Parlament hat, wie schon vorhin erwähnt, eine Formulierung dahin gehend gefunden, dass es soziale Dienstleistungen ausgenommen hat und dann beispielhaft aufgezählt hat, welche das sein könnten. In einer weiteren Abänderung ist im Europäischen Kommissions-Vorschlag des Europäischen Parlaments auch noch zu finden, dass Dienstleistungen mit wohlfahrtsstaatlicher Zielsetzung aus der Richtlinie ausgenommen werden sollen. Das ist zwar immer noch schwierig und immer noch nicht besonders klar, aber es kann recht stark ausgelegt werden.

Nun hat die Kommission in ihrem jetzt vorliegenden Vorschlag diesen Passus verän­dert, zur Gänze umformuliert, und hat gesagt: Soziale Dienstleistungen im Zusam­menhang mit Sozialwohnung, der Kinderbetreuung und der Unterstützung bedürftiger Familien und Personen sind vom Geltungsbereich der Dienstleistungsrichtlinie aus­genommen.

Das birgt eine Reihe von Problemen in sich. Das erste ist: Das Europäische Parlament versucht, relativ breit eine Ausnahme für einen spezifischen Bereich von Dienst­leistungen zu formulieren, und die Kommission macht daraus eine taxative Aufzählung. Das finde ich schon eine sehr starke, massive Änderung. Dazu nimmt sie einen relativ unbestimmten Verordnungsbegriff, indem sie sagt: „bedürftige Familien und Personen“. – Was sind „bedürftige Familien und Personen“? Das ist nirgendwo defi­niert. Ich werde jetzt zeigen, dass auch das, was wir unter bedürftigen Familien und Personen verstehen, nicht einfach so dem gleichen Verständnis der Kommission nachkommt. Welche sozialen Dienstleistungen sind im jetzigen Stadium, nach jetzigem Wissen von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen?

Die Kommission definiert in den Erwägungsgründen der Richtlinie die sozialen Dienst­leistungen, also das, was sie unter „sozialen Dienstleistungen“ versteht, und sagt: Soziale Dienstleistungen werden entweder direkt von der öffentlichen Hand – sie benutzt das Wort „Staat“ – oder im Auftrag, also von Erbringern, die im Auftrag des Staates agieren, erbracht.

Schauen wir uns an, wie das in Österreich aussieht. Wir haben in Österreich drei Arten der Erbringung von sozialen Dienstleistungen – im Groben gesagt, im Detail ist das viel komplizierter –: Das eine sind die Dienstleistungen, die direkt von der öffentlichen Hand erbracht werden; diese sind nach meinem jetzigen Verständnis im Bereich der Sozialwohnungen, Kinderbetreuung und bei bedürftigen Personen und Familien von der Richtlinie ausgenommen.

Das Zweite sind jene Dienstleistungen, die über Objektförderungen, Subventionen, Leistungsverträge im Auftrag der öffentlichen Hand von privaten, im Moment gemein­wohlorientierten Anbietern erbracht werden. – Das ist ein relativ geschützter Markt in Österreich, der ist tradiert gewachsen, setzt relativ viel Geld um und erbringt im Wohlfahrtsstaat nicht verzichtbare Sachleistungen. Es wird meines Erachtens sehr schwierig sein, diesen Bereich direkt abzugrenzen, ob er darunter fällt oder nicht. Diese Entscheidung wird, wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, vermutlich an den Europäischen Gerichtshof delegiert werden. Ob man wirklich haben möchte, dass man solch eine politische Entscheidung, dass ich sage, das ist eine soziale Dienst­leistung, die bestimmt geschützt erbracht werden soll, an den Europäischen Gerichts­hof delegiert, würde ich mir wirklich gut überlegen.

Das Dritte sind die Subjektförderungen in Österreich, die zunehmen. Das heißt, es wird nicht mehr die Einrichtung gefördert, es bekommt nicht mehr die Einrichtung den Auftrag, sondern der einzelne Klient oder Nutzer bekommt eine Unterstützung für eine soziale Dienstleistung, die er in Anspruch nehmen muss. Das sind zum Beispiel private Kinderbetreuungseinrichtungen, Leistungen von Pflegegeldbeziehern, mobile Betreu­ungs­leistungen von Menschen mit Behinderungen, mobile Betreuungsleistungen im Alter und vieles mehr. Und das nimmt zu. In verschiedenen Bundesländern werden Voucher-Systeme für sehr viele soziale Dienstleistungen bis hin zur Sozialberatung überlegt, um auf diese Subjektförderung zu kommen. Das hat andere Gründe, aber es wird ein großer Bereich werden.

In diesem Bereich besteht kein direktes Auftragsverhältnis mehr der öffentlichen Hand gegenüber dem Dienstleistungserbringer, sondern der Auftrag besteht zwischen Dienstl­eistungsempfänger und Dienstleistungserbringer.

In der jetzigen Formulierung der Richtlinie und in der Auslegung der Kommission fallen alle diese Dienstleistungen zur Gänze unter die Dienstleistungsrichtlinie – egal ob sie für bedürftige Menschen erbracht werden und ob sie eine soziale Zielsetzung haben. Das halte ich für sehr schwierig.

Abgrenzungsschwierigkeiten wird es bei allen Formen der Mischfinanzierung geben, bei denen man einen Teil selbst zahlt und einen Teil als Förderung und als Unter­stützung dazubekommt.

Die Konsequenzen sind wahrscheinlich, dass sich der Bereich der sozialen Dienstleistungen in Österreich komplett verschieben wird, dass wir den gesamten Bereich, der gemeinwohlorientiert ist, der mit gutem Grund gemeinwohlorientiert ist und damit unter bestimmten Spielregeln abläuft, wie nämlich mit sehr hohen Qualitäts­kriterien, leichter Zugänglichkeit, damit, dass man sich die Kunden nicht aussuchen kann, sondern alle nehmen muss, auch die schwierigen Fälle, Barrierefreiheit im Zu­gang und sehr viele Dinge mehr, dass wir diesen Bereich also so nicht mehr gehalten werden können.

Die nächste Problematik im Bereich der Dienstleistungsrichtlinie ist meiner Ansicht nach, dass es sehr eindeutige Bestimmungen und Formulierungen in diesem Vorschlag gibt, was verbotene Anforderungen im Bereich der Niederlassung und der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung betrifft. In den ganz heiklen Bereichen wie soziale Dienstleistungen allerdings wird allgemein und undefiniert gesagt, das falle dort hinein, das falle dort nicht hinein, man meine das oder etwas anderes. Die Formulierung zur Unterstützung der bedürftigen Familien und Personen ist so breit, dass sie so sicher nicht halten kann, dass es da eine Reihe von Präzedenzfällen geben würde.

Wer legt fest, was eine bedürftige Person ist? Worauf bezieht sich die Bedürftigkeit? Bezieht sie sich auf das Einkommen oder auf die Notwendigkeit, eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen? Was ist mit arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, die in Österreich zum Großteil unter die sozialen Dienstleistungen fallen? Was ist mit Maß­nahmen oder mit Dienstleistungen, die eindeutig für Bedürftige erbracht werden, allerdings in anderen Bereichen, im Bereich der Nachbarschaftshilfe gemacht werden und somit im allgemeinen Interesse sind, aber gar nicht im wirtschaftlichen Bereich oder auf dem freien Markt erbracht werden, weil das System anders ist? – All diese Fragen sind offen.

Als ich mich auf diesen Input hier vorbereitet habe, habe ich mich gefragt: Wer fällt mir als eindeutig bedürftige Person ein? – Eine eindeutig bedürftige Person ist für mich ein älterer Mensch mit Pflegebedarf. Er ist eingeschränkt, er kann sich nicht mehr allein in seiner Wohnung versorgen, möchte aber zu Hause bleiben, braucht eine mobile Betreu­ung, ist sonst noch ganz agil, hat aber bestimmte Probleme mit der alltäglichen Versorgung, lebt in seiner Welt, hat keinen Marktüberblick, weiß nicht, wie viele Dienst­leistungserbringer die Leistung anbieten.

Dann habe ich mir gedacht: Das ist ein eindeutig bedürftiger Mensch, darüber wird es nicht viel Diskussion geben. – Aber häusliche Pflege für ältere Menschen wird in den Erwägungsgründen der Kommission exemplarisch dafür genannt, dass es unter die Dienstleistungsrichtlinie fällt. Das ist eine soziale Dienstleistung, die unter die Dienst­leistungsrichtlinie fällt!

Jetzt frage ich noch einmal: Wer ist bedürftig? Wie ist das mit Menschen mit Behinderung? Welchen Grad der Behinderung müssen Menschen haben, damit sie als bedürftig eingestuft werden? Wie ist das mit Menschen, die einen eingeschränkten Überblick über den Zugang zu den Dienstleistungen haben? Wie ist das mit Menschen, die psychisch krank oder drogenabhängig sind? Vieles mehr würde mir dazu jetzt noch einfallen. Wie ist es mit Kinderbetreuung auf dem Land? – All das sind Fragen, die sich sofort stellen. Da komme ich nicht mehr weiter. Wenn ich das nicht definiere, komme ich da nicht mehr weiter.

Die eindeutige Nennung der häuslichen Pflege birgt meiner Überzeugung nach noch ein weiteres Problem in sich, nämlich im Bereich der grenzüberschreitenden Dienst­leistungen in der häuslichen Pflege. Wir haben in Österreich folgendes Phänomen: Es gibt eine 24-Stunden-Pflege, die von Menschen aus grenznahen Regionen karitativ erbracht wird, die dafür ein Taschengeld bekommen, und dieser Bereich ist total ungeregelt. Das funktioniert, Gott sei Dank, hat auch sehr hohe Qualität, es ist noch nichts passiert, wir können darüber sehr froh sein. Das wird jetzt aber legalisiert, und man kann so etwas grenzüberschreitend anbieten: 24 Stunden Pflege in den Häusern eine bestimmte Zeit lang, grenzüberschreitend angeboten, von einem Selbständigen.

Da gibt es dann kein Arbeitsrecht mehr, keine Qualitätskontrollen, da kann man gar nicht hineinschauen, weil das im privaten Bereich ist, die wohnen dort und erbringen das dort im privaten Bereich. Was ist, wenn etwas passiert? Was ist mit den physi­schen und psychischen Belastungen bei dieser Arbeit? Wo ist die Abgrenzung zur Gesundheitsdienstleistung in der Altenpflege? Muss man den dann liegen lassen, wenn jemand ausgebildete Krankenschwester ist und dem eigentlich helfen könnte? All das ist im Moment völlig ungeklärt! Aber es wird etwas, was ohnehin schon schwierig ist, vermutlich legalisiert – und es wird nicht darüber diskutiert. Da stelle ich mir schon verschiedene Fragen.

Ein massives Problem besteht meiner Überzeugung auch darin, dass man mit der Dienstleistungsrichtlinie, mit dem jetzigen Vorgehen die Entscheidung getroffen hat, politische Entscheidungen dem EuGH zu überlassen, das auf die Ebene des EuGH zu heben! Man formuliert eine Rahmenrichtlinie, in der man sagt: Alle Dienstleistungen, alles, was Dienstleistung ist, fällt unter diese Richtlinie. Hinsichtlich der Abgrenzungen lässt man es auf EuGH-Urteile ankommen. – Ich kann dem „Argument“ größere Rechts­sicherheit in diesem Bereich nicht zustimmen!

Die Elemente des Wohlfahrtsstaates, die ja politisch gewollt sind und derentwegen politisch gewollte Ausnahmen formuliert werden, werden über den Umweg der Richt­linie in Frage gestellt und juristisch entschieden, denn der EuGH entscheidet ja nicht politisch, sondern juristisch.

Diese Widersprüche beziehungsweise diese Abgrenzungsprobleme gelten für die Definition von sozialen Dienstleistungen, für die Verhältnismäßigkeit einer Beschrän­kung mit der Begründung des „zwingenden Allgemeininteresses“ – in den Ausfüh­rungen meiner Vorredner habe ich das vermisst; man kann nicht sagen, dass man das ohnehin ausnehmen kann, denn da gibt es noch das Wort „Verhältnismäßigkeit“, und diese muss auch gewahrt bleiben, einer Ausnahme, da frage ich mich: Was ist verhältnismäßig?; für jeden ist etwas anderes verhältnismäßig. Das Gleiche gilt für die Grenzüberschreitung, für die Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung im Sinne der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit sowie des Umweltschutzes – da ist meiner Ansicht nach noch nicht der ganze Umweltschutz ausgenommen. Eine Frage, die meiner Überzeugung nach noch unklar ist, ist die Frage: Erinnerung an die GATS-Diskussion, Universaldienstverpflichtungen für öffentliche Dienstleistungen. Es sind zwar einige öffentliche Dienstleistungen in der Dienstleistungsrichtlinie taxativ genannt, das sind aber lange nicht alle.

Zusammenfassend und abschließend möchte ich sagen, dass durch die Wahl dieses horizontalen Ansatzes über alle Dienstleistungen hinweg viele Befürchtungen, die vor­her bestanden haben, immer noch aufrechtzuerhalten sind, auch wenn einige Ver­besserungen durchgeführt und zum Beispiel das Arbeitsrecht und das Herkunfts­landprinzip entschärft wurden. Was für Dienstleistungen auf dem freien Markt mit einem großen Regelungsbedarf unter Umständen gut sein kann, kann für andere Dienstleistungen, wie zum Beispiel im Sozialbereich, wie zum Beispiel für öffentliche Dienstleistungen, verheerende Folgen haben.

Als Ausblick betreffend Sozialdienstleistungen kann man schon relativ sicher sagen, dass im Pflegebereich ein großer Anstieg von selbständigen Pflegekräften zu befürch­ten ist. Was das bedeutet, hat man in Deutschland sehr gut gesehen, als man diesen Bereich sehr weit liberalisiert hat, wo man heute noch mit immensen Problemen zu kämpfen hat.

Auch andere Entwicklungsoptionen sind für mich für lange Zeit ad acta gelegt, zum Beispiel der politische Gestaltungsspielraum von Mitgliedsländern im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen, der kommunalen Dienstleistungen. Weiters haben wir einen unzureichend angewendeten Begriff der „sozialpolitischen Belange“ im Vergabe­recht, der für mich in der Dienstleistungsrichtlinie massiv unter Druck gerät. Und viele Regulierungen, die für die NachfragerInnen, für die NutzerInnen und auch für die KundInnen Schutz bedeuten, werden neu definiert oder neu formuliert werden müssen oder fallen zur Gänze.

Ich hätte es als interessanten und guten Ansatz gesehen, wenn man darüber diskutiert hätte, ob man nicht die gesamte öffentliche Auftragsvergabe aus der Dienstleistung herausnimmt, um den Mitgliedsländern einen Gestaltungsspielraum zu geben. Das ist nicht passiert, ist nicht so formuliert. (Zwischenrufe.) – Ich ernte Widerspruch, ich mer­ke das schon. Das wäre aber ein Weg gewesen, indem man gesagt hätte: Wir haben ohnehin das Vergaberecht, wir haben diverse andere Rechtssetzungen.

Abschließend möchte ich sagen: Meiner Überzeugung nach ist die Dienstleistungs­richtlinie eine vergebene Chance. Für mich ist sie ein Stück weit weg von der Europäischen Sozialunion, und für mich ist die Rechtsunsicherheit in vielen Berei­chen wesentlich größer geworden.

Ich hoffe, dass die Dienstleistungsrichtlinie so, wie sie jetzt ist, nicht kommt, sondern noch lange diskutiert wird. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

10.52


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Ich danke den sechs Referentinnen und Referenten für die sehr informativen und auch zeitlich präzisen Ausführungen.

10.52.55IV. Diskussion

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Wir gehen in die Diskussion ein.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir für die Diskussion eine Redezeitbegrenzung von 5 Minuten in Aussicht genommen haben, und lade Sie ein, sich daran zu halten.

Erster Redner ist Herr Bundesrat Bieringer. Ich erteile ihm das Wort.

 


10.53.13

Bundesrat Ludwig Bieringer (ÖVP, Salzburg)|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir nach diesen fünf Referaten und dem Einfüh­rungsreferat des Herrn Sektionsleiters, dass ich für die Österreichische Volkspartei im Bundesrat eine Stellungnahme abgebe.

Meine Damen und Herren, der europäische Binnenmarkt ist eine Erfolgsgeschichte. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens erhöhte sich die Wertschöpfung um 1,8 Prozent, 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze wurden geschaffen. Gerade aus diesem Grunde muss es unser gemeinsames Interesse sein, dass alle derzeit noch bestehenden Lücken des gemeinsamen Marktes geschlossen werden, um das Potential an Wachstum und Beschäftigung in Europa besser auszuschöpfen.

Während der freie Personen-, Waren- und Kapitalverkehr innerhalb der EU-Staaten mittlerweile sehr gut funktionieren, gibt es im Dienstleistungsbereich nach wie vor zahlreiche Barrieren, die sich negativ auf den Wettbewerb, die Beschäftigung und die Konsumenten auswirken.

Die Lissabon-Ziele können nur erreicht werden, wenn es uns gelingt, deutliche Fort­schritte im Zusammenhang mit der Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleistungen zu erzielen. Dienstleistungen sind in der EU der Motor des Wirtschaftswachstums, 70 Prozent des Bruttosozialproduktes und der Arbeitsplätze der Mitgliedstaaten. Die Schranken im Binnenmarkt treffen den Dienstleistungsverkehr härter als den Waren­handel. Am härtesten davon betroffen sind die mittelständischen Unternehmen und letztendlich die europäischen Konsumenten.

Österreich als exportorientiertes Land hat größtes Interesse an offenen Märkten. Die Liberalisierung von Dienstleistungen bietet für Österreich mehr Chancen als Risiken, insbesondere deshalb, weil die Rechtslage vielfach schon dem Gemein­schaftsrecht angepasst wurde.

Österreich weist eine positive Dienstleistungsbilanz von 1,6 Milliarden € auf. Nach den vorläufigen Zahlen für 2004 konnte der Überschuss sogar auf 2,1 Milliarden € gestei­gert werden.

In der politischen Diskussion wird überdies zumeist nicht berücksichtigt, dass die Dienstleistungsrichtlinie vor allem als Kodifizierung der Binnenmarktjudikatur des Europäischen Gerichtshofes zu begreifen ist.

In der Abstimmung im Europäischen Parlament am 16. Feber 2006 billigte eine breite Mehrheit – 394 Abgeordnete stimmten mit Ja, 215 mit Nein, bei 33 Enthaltungen – in erster Lesung den zwischen EVP und SPE ausverhandelten Kompromisstext. Wir haben heute schon gehört, dass die Abgeordneten Swoboda und Karas einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatten.

Am 4. April 2006 hat die Europäische Kommission einen neuen Vorschlag vorgestellt, der sich weitgehend am Beschluss des Europäischen Parlaments orientiert. Die Kommission ist dabei auch an den klaren Signalen der Staats- und Regierungschefs am Frühjahrsgipfel 2006 nicht vorbeigegangen. Der überarbeitete Textvorschlag verbindet nun Wettbewerbsfähigkeit mit sozialer Gerechtigkeit, Marktöffnung mit dem Schutz der Umwelt und Verbraucherinteressen sowie die Chance auf neue Arbeits­plätze und mehr Wachstum mit der Sicherung der heimischen Rechts- und Qualitätsstandards. Der mit der Dienstleistungsrichtlinie verbundene Bürokratieabbau wird den Zugang auch österreichischer Unternehmen zu den Märkten anderer Mitglied­staaten entscheidend verbessern.

Die österreichische Ratspräsidentschaft hat sich in enger Zusammenarbeit mit dem Parlament und der Kommission und unter Einbindung der europäischen Sozialpartner immer für eine ausgewogene Richtlinie eingesetzt, die den in der nunmehr zweijährigen Diskussion zum Teil zu Recht geäußerten Bedenken Rechnung trägt und gleichzeitig eine Rechtsgrundlage für einen funktionierenden Binnenmarkt für Dienst­leistungen schafft, der die Wachstums- und Beschäftigungspotentiale bestmöglich ausschöpfen kann.

Der im Europäischen Parlament gefundene Kompromiss hat die Tür für eine rasche Einigung zwischen Rat und Europaparlament weit geöffnet. Die Union kann mit der Umsetzung eines überarbeiteten Richtlinienvorschlages jetzt ein deutliches Signal für mehr Wachstum und Beschäftigung setzen.

Daher tritt meine Fraktion unmissverständlich dafür ein, dem österreichischen Rats­vorsitzenden Bundesminister Martin Bartenstein den Rücken zu stärken und ihn nach Kräften dabei zu unterstützen, dass dieses für Europa wie für Österreich so wichtige Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden kann. (Beifall.)

10.59

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner: Herr Abgeordneter zum Nationalrat Mag. Gaßner. – Bitte.

 


10.59.38

Abgeordneter Mag. Kurt Gaßner (SPÖ)|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Vorredner hat gemeint, er werde dafür eintreten, dem Herrn Rats­vorsitzenden Minister Bartenstein den Rücken zu stärken. – Ich trete eher dafür ein, dass wir den Menschen in Österreich und im übrigen Europa den Rücken stärken, und auch dafür, dass aus dieser Dienstleistungsrichtlinie keine Nachteile für die Menschen entstehen. Je mehr ich mich mit diesem Thema beschäftige, desto verwirrender ist die gesamte Materie für mich.

Herr Stock hat gemeint, berechtigte Schutzinteressen seien natürlich zu berück­sichtigen. – Da stellt sich für mich schon die Frage: Wer legt fest, welche Schutz­interessen berechtigt sind?

Oder: Frau Litschel ist auf die Frage Bedürftigkeit eingegangen. – Wer legt denn diese Bedürftigkeitsmaßstäbe fest?

Das sind so ganz schwammige Formulierungen, wo ich den Verdacht hege, dass sie nicht dazu angetan sind, den Rücken der Menschen so zu stärken, dass sie die Dienstleistungen in Anspruch nehmen können, die sie brauchen.

Warum ich mich hier zu Wort melde, ist ganz einfach die Tatsache, dass bei der ganzen Diskussion um Dienstleistungen der größte Dienstleister in Österreich nur am Rande vorgekommen ist. Der größte Dienstleister in Österreich sind die Gemeinden Österreichs.

Und ich höre da jetzt immer wieder: Na ja, das Wasser wird ja nicht verkauft. – Das Wasser wird nicht verkauft, das glaube ich schon. Wie schaut es aber mit den Ein­richtungen dazu aus, mit Leitungen, mit Pumpwerken? Wie schaut es mit der Erhaltung dieser Einrichtungen aus? Es gibt ja nicht nur Zuleitungen, sondern es gibt auch Ableitungen im Kanal. Wie schaut es da aus? Ist in den Dienstleistungsrichtlinien vor­gesehen, dass diese Arbeiten jetzt auf dem freien Markt gemacht werden? Dürfen die Gemeinden das noch selber machen? – Da ist überhaupt keine Regelung getroffen.

Mit großer Aufmerksamkeit habe ich den Ausführungen von Frau Litschel zugehört, die von der „offenen Altenbetreuung“ gesprochen hat, also von jenen Leuten, die sich von Krankenschwestern, von AltenpflegerInnen betreuen lassen. Das ist zurzeit ein grauer Markt in Österreich, der deswegen von niemandem angegriffen wird, weil wir selber zu wenig Einrichtungen haben, und der, wenn es nach österreichischem Recht, bei Bezahlung von österreichischer Lohnhöhe nach österreichischen Standards abge­wickelt wird, für ganz normale Leute nicht leistbar ist.

Jetzt frage ich mich aber: Ist denn das die Lösung, dass wir jetzt für billiges Geld nicht-österreichische AltenbetreuerInnen hereinnehmen, und wer garantiert mir, dass es da zu keinen Qualitätsverletzungen kommt? Wer kontrolliert überhaupt die Qualität in diesen Bereichen?

Ich will darauf nicht näher eingehen, aber das ist ein höchst interessanter und sehr wichtiger Aspekt deswegen, weil wir es dort ja mit Menschen zu tun haben, die Hilfe brauchen, und nicht mit irgendwelchen Gegenständen, mit denen man handelt.

Ein Bereich, den ich noch kurz anschneiden möchte – die Zeit ist ja sehr beschränkt –: Im ländlichen Raum, in unseren Gemeinden raufen und kämpfen wir dafür, dass wir Infrastruktur noch erhalten können, dass wir unsere kleinen Betriebe dort erhalten können. Und jetzt höre ich, genau für unsere KMUs sind die Dienstleistungsrichtlinien das Um und Auf schlechthin, die werden jetzt wachsen, überleben und sich erhalten. – Ich glaube, genau das Gegenteil ist doch der Fall!

Ich glaube, dass all diejenigen, die mit drei, vier, fünf Leuten arbeiten, also unsere ganzen kleineren Gewerbebetriebe, all jene, die wir im ländlichen Raum noch haben und die wir dringend brauchen – die auch unsere Aufträge dringend brauchen –, unter die Räder kommen werden! Diese Betriebe können es sich nicht erlauben, mit ihren Dienstleistungen ins Ausland zu gehen, diese haben diese Möglichkeiten nicht. Daher fürchte ich, dass es auf Grund dieser Tatsachen zu einigen Insolvenzen und zum Sterben dieser ganzen kleinen und mittleren Unternehmen kommen wird.

Ich denke aber, wir sollten, wenn wir der Ehrlichkeit hier das Wort reden, einmal genauer definieren: Was ist denn ein KMU? Reden wir da von einem Betrieb mit fünf Leuten, mit zwei Leuten, mit zehn Leuten oder reden wir von einem Betrieb mit 80, 100 Leuten. Dass ein Betrieb mit 80, 100 Leuten mit den Dienstleistungsrichtlinien kein Problem haben wird, glaube ich schon. Aber all die Kleinen, die bei uns draußen noch die Wirtschaft erhalten, die Infrastruktur erhalten und letztlich auch ein wesentlicher Bestandteil der Lebensqualität in den ländlichen Regionen, Gemeinden sind, wird es nicht mehr geben.

Und die nächste Frage – eine typische „Bürgermeister-Frage“ –: Wie schaut es denn mit den Kommunalsteuerausfällen aus? Diese kleinen Unternehmen zahlen uns die Kommunalsteuer! Die Dienstleister, die von irgendwoher für ein paar Wochen hereinkommen, die werden bei uns keine Kommunalsteuer bezahlen.

Letzte Bemerkung: Ich höre immer, es wird jetzt so schön werden, es wird alles so schnell gehen, weil wir den One-Stop-Shop haben. Wer ist das bitte? Wo ist der untergebracht? Wie funktioniert das? Bisher habe ich zwar viele Stops, aber wenige Shops gesehen. – Danke. (Beifall.)

11.05


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Dr. Gumplmaier.

 


11.05.32

Bundesrat Dr. Erich Gumplmaier (SPÖ, Oberösterreich)|: Verehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Präsident! Die Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie ist vor allem auch deswegen so kontroversiell und emotionell, weil an dieser Schnittstelle, bei diesem Thema ein grundsätzlicher Interessenkonflikt sichtbar wird, der im politischen Alltag verschleiert wird: der unauflösliche Interessenkonflikt zwischen Kapital und Arbeit. Entlang dieser Interessen läuft die Debatte. Dies wurde in den letzten Jahren selten so sichtbar wie an dem Beispiel der Debatte um die Dienst­leistungsrichtlinie.

Was für die einen Markthindernisse sind oder als Markthindernisse definiert wird, sind für die anderen Schutzbestimmungen.

Warum braucht man Schutzbestimmungen? Wer braucht Schutzbestimmungen? – Nicht der, der Arbeitskräfte nachfrägt. Im ungleichen Machtgleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt ist derjenige der Schwächere, der gezwungen ist, seine Arbeitskraft zu verkaufen. Das ist Realität. Je mehr wir uns diese Realität vergegenwärtigen, desto ehrlicher können wir die Debatte führen.

Nun zu den Ausführungen von Herrn Sektionsleiter Losch, der ja, wie ich meine, zu den Vordenkern hinter Minister Bartenstein gehört. Sie haben versucht, sachlich zu informieren. Gleichzeitig ist aber trotzdem ganz offensichtlich geworden, welche Denk­schule da die Regierung und ihre Zuarbeiter vertreten.

Wenn also die Dienstleistungsfreiheit mit der Freiheit des Warenverkehrs verglichen wird, dann, muss ich sagen, ist das schon ein Riesenproblem, denn hinter Dienst­leistungen stecken immer Menschen und nicht nur krumme oder gerade Gurken.

Beim Arbeitnehmer geht es um sehr viele Sensibilitäten. Um eine Existenz zu gründen, braucht er bestimmte Rahmenbedingungen. Und entlang dieser Interessen entstehen natürlich andere Entwicklungskonzepte, Entwicklungsmodelle für Europa. Ich möchte mich nicht zufrieden geben mit der Ankündigung, dass die versprochene Deregulierung 600 000  Arbeitsplätze bringt, wobei einmal davon auszugehen wäre, dass die ökono­metrischen Berechnungen gut gemeint sind, aber dahinter die Wirkungen auf den Einzelnen natürlich verheimlicht oder auch nicht wirklich berücksichtigt werden. Dere­gulierung und niedrige Preise bedeuten immer: für jemanden weniger! Der Preis für die Ware Arbeitskraft kommt nämlich unter Druck, wenn dereguliert wird, wenn Schutzbestimmungen fallen. Und wir brauchen keine 600 000 Arbeitsplätze, von denen der Einzelne nicht leben kann, bei denen er wie in Amerika gezwungen ist, Zweit- und Drittjobs anzunehmen. Herr Sektionsleiter Losch, Ihre Zufriedenheit mit der jetzigen Lösung macht mich misstrauisch. Wie wir uns hier im Bundesrat als Augen- und Ohren­zeugen erinnern können, ist es erst wenige Wochen her, als hier Bundesminister Bartenstein noch groß die Vorteile des Herkunftslandprinzips angepriesen hat. – Ich denke, Sie gehören auch zu den geistigen Urhebern dieser positiven Ankündigungen, und befürchte, dass zwar die Begriffe ausgewechselt wurden, man sich aber nicht von den Zielen verabschiedet hat. Die Ziele unterscheiden sich einfach, und zwar darin, welches Entwicklungsmodell, welches Entwicklungskonzept für Europa dahinter steckt.

Das Beispiel über die Entstehungsgeschichte durch Frits Bolkestein zeigt ganz eindeutig: Markthindernisse sind es für den einen, diese abzuschaffen, ist der Weg für die einen, die Verdienstmöglichkeiten zu maximieren, zu vergrößern, ist die eine Priorität, die Einkommensmöglichkeiten für die Arbeitnehmer zu verbessern, ist die andere Priorität. Bolkestein ist offensichtlich dem Prinzip gefolgt: Schaffen wir alles ab, was Leute zu Rechtsbrechern werden lässt, nämlich Schwarzmarkt! Wenn man die Regeln dort einzieht, wo bisher Schwarzmarkt entstanden ist, und alle mit einbezieht, die unter den Regeln agiert haben, dann haben wir sozusagen die Freiheit auf Erden!

Ich habe hier in einer Sitzung im Bundesrat das Beispiel einer Gemeinde in Ober­österreich, nämlich Peuerbach, gebracht, wo man jetzt schon das Gefühl hat, man ist über die Grenze nach Tschechien geraten, weil am Sonntag Nachmittag Hundert­schaften von tschechischen Privat-PKW in den Parkplatz eines Transportunternehmers hineinfahren und Autos, Lastwagen mit tschechischen Kennzeichen wieder heraus­kommen. – Ohne Dienstleistungsrichtlinie bereits jetzt Tatsache.

Genau das Problem haben wir, dass über Regeln und über Entwicklungspläne und -strategien der Streit geführt wird, während mittlerweile eine Realität entsteht, die Entwicklungen vorwegnimmt, die sich der Steuerung entziehen, und die Tendenzen aus der Politik vorwegnimmt und als Ermunterung aufnimmt. Wir sollten Regeln schaffen, die richtige Ermunterungen bewirken und motivieren. Diese heißen: ein so­ziales Europa schaffen, ein Europa schaffen, das die Menschen ermuntert, das den Menschen Mut und Zuversicht gibt und vor allem den Arbeitnehmern Zuversicht gibt, dass sie nicht unter die Räder kommen, wenn es darum geht, die Lissabon-Ziele zu erreichen.

Ich habe die Zeit ausgenützt und kürze hier ab. – Danke. (Beifall.)

11.14


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Schen­nach.

 


11.14.47

Bundesrat Stefan Schennach (Grüne, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als einer der Antragsteller dieser Enquete bin ich sehr froh, dass sie nach gewissen Umwegen zustande gekommen ist und uns hier eine so intensive Diskussion zu einem sehr, sehr wichtigen Thema ermöglicht.

Einerseits kann man ja die Dienstleistungsrichtlinie im Hinblick auf den Markt, die Vertiefung der EU sehen, andererseits – gerade deswegen auch die Initiative hier im Bundesrat – auch aus der Sicht der Länder und Gemeinden, die ja zu den wichtigsten öffentlichen Dienstleistern zu zählen sind, die einen wesentlichen Beitrag zur Daseins­vorsorge leisten und gemeinsam mit NGOs und NPOs im Bereich der sozialen Dienst­leistungsanbieter hier eine Grundsäule bilden.

Jetzt hat es auf europäischer Ebene einen sozialpartnerschaftlichen Kompromiss gegeben. Ich bin froh, dass die Grünen nicht Teil dieses Kompromisses sind. Und wenn ich heute die Ausführungen von Gewerkschaftsseite, aber auch seitens sozialdemokratischer Kollegen und Kolleginnen höre, dann hoffe ich, dass dieser Diskussionsprozess eine Rückkoppelung auf europäischer Ebene hat und dass das, was derzeit als Kompromiss vorliegt, noch einer langen Diskussion unterworfen wird.

Klar ist – und da brauchen wir uns, wie ich meine, nicht zu streiten –, dass bei den grenzüberschreitenden Dienstleistungen Handlungsbedarf gegeben ist, einerseits dahin gehend, dass es Vereinfachungen gibt, zum anderen, da es unberechtigte Hemmnisse gibt, die auch abgebaut werden, dass es – darauf hat Kollege Gumpl­maier, der vor mir gesprochen hat, Bezug genommen – um gerechtfertigte Schutz­bestimmungen geht, die es in gleicher Weise zu verteidigen gilt wie den Abbau von ungerechtfertigten Hemmnissen.

Wir haben uns ja immer dafür stark gemacht, dass es auf allen Ebenen zu einer Har­monisierung kommt – Harmonisierung im Sozialbereich, im Lohnbereich, im Ver­braucherbereich und bei den Umweltstandards, das auf einem hohen Niveau. Was aber hier passiert ist, ist, dass die gesamte Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie von Anfang an ein Kämpfen gegen eine Spirale des Lohn- und Sozialdumpings war, von Anfang an ein Abwehren dieser Spirale nach unten.

Herr Mag. Stock, ich würde mir einmal wünschen, dass bei Kritik, die zu einem Entwurf kommt, nicht immer so getan wird, als würde sie auf Missverständnissen und Ängsten beruhen, sondern gesagt wird, dass die Grundlage ein hundsmiserabler Entwurf einer Kommission war, und dass die andere Seite einmal zugibt, dass die Anerkennung dessen ein Beitrag zur Versachlichung einer Debatte ist – und nicht umgekehrt die Kritiker immer dazu aufgerufen werden, endlich einen Beitrag zur Versachlichung einer Debatte zu liefern. Es sollte umgekehrt sein: Das Eingeständnis, ja, es war ein schlechter Entwurf, am besten ab damit ins Archiv, und die Möglichkeit, aus all den Dingen, die nun an Kritik von so vielen Seiten in Europa eingegangen sind, etwas Besseres zu machen, wären auch ein Beitrag zur Versachlichung gewesen.

Wir anerkennen ja alle voll – und das ist ja unbestritten –, dass der Bereich der Dienstleistungen und der gesamte Dienstleistungssektor einer der wichtigsten wirt­schaftlichen Motoren der europäischen Wirtschaft und Wirtschaftskraft sind und dass wir in manchen Bereichen sehr wohl Richtlinien erarbeitet haben, wie zum Beispiel im IT-Bereich oder im Finanzbereich. Aber dieser Bereich hat einfach einen Regelungs­bedarf.

Das Herkunftslandprinzip, das Herr Minister Bartenstein hier noch ganz groß verteidigt hat, ist auch einfach weg, wird fallen gelassen. Es wird die Schaffung von 600 000 Arbeitsplätzen hier angekündigt. Frau Kollegin Aschauer von der Arbeiterkammer hat ja hier Zweifel geäußert und die Frage gestellt, in welchem Zeitraum das eigentlich erfolgen soll. Und dann die nächste Frage, wenn wir schon von Lohn- und Sozial­dumping reden: Auf welchem Niveau sind diese Arbeitsplätze? Wollen wir ein Förder­programme für schlecht bezahlte Jobs hier durchsetzen? Das wäre übrigens auch eine Sorge gewesen, lieber ÖAAB-Mann Bieringer, die ich gehofft hätte, von jemandem aus dem ÖAAB zu hören, nämlich dass jemand fragt, welche Jobs wir schaffen. Sind das alles nur schlecht bezahlte Zweit- und Drittjobs? – Eine sanfte, sozial verträgliche, aber wirtschaftlich auch interessante Harmonisierung in diesem Punkt herbeizuführen, wäre wesentlich interessanter gewesen. Vielleicht wären diese versprochenen Jobs schnel­ler gewachsen als die 600 000, die da irgendwo in der Atmosphäre von Studien schweben und deren Sicherheit nicht gegeben ist.

Sicherheit ist auch das nächste Stichwort. Was der jetzige Kompromiss bringt, sagt der zuständige EU-Kommissar McCreevy in einem Interview selbst: Manche Bereiche sind ausgenommen, manche sind hinzugekommen; das beschäftigt häufig den EuGH! – Wenn man daher qualifizierte Arbeitsplätze beim EuGH schafft, wenn man sagt, einen Teil dieser 600 000 Arbeitsplätze hat man beim EuGH platziert, weil nun eine Summe von Rechtsunsicherheiten und eine Fülle von Definitionsproblemen, die schon meine VorrednerInnen und die ReferentInnen erwähnt haben, eintritt, dann verstehe ich das, aber 600 000 werden es doch nicht. – Also „Rechtssicherheit“ kann das nicht sein!

Die Kollegin der SPD im Europaparlament, Frau Gebhardt, meint, das sei ein Durch­bruch für ein soziales Europa. – Von der Hochwassersituation kennen wir Durchbrüche als etwas Gefährliches! Ich halte es lieber mit dem neuen ÖGB-Chef Hundstorfer, der meint, er sähe einige Fortschritte, aber erhebliche Lücken.

Von einem Durchbruch kann man da wohl kaum sprechen, und auch die Kollegin vom ÖGB hat ja hier mehr als ihre Sorge bekannt gegeben. Insofern wäre es besser, zurück zum Start zu gehen, oder wie Frau Kollegin Litschel gemeint hat, eine möglichst lange Diskussion zu führen.

In dieser ganzen Diskussion sind übrigens so interessante Vorschläge gekommen wie zum Beispiel das Führerscheinprinzip und, und, und. (Vizepräsident Weiss gibt das Glockenzeichen.) – Ja, Herr Präsident, ich weiß, zumindest die Bundesräte sollen sich an die Zeitvorgaben halten, insofern hoffe ich noch auf eine lange Diskussion, und dass diese Dienstleistungsrichtlinien in der Form nicht kommen wird. (Beifall.)

11.22

Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächste kommt Frau National­ratsabgeordnete Hagenhofer zu Wort. – Bitte.

 


11.22.54

Abgeordnete Marianne Hagenhofer (SPÖ)|: Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Zuerst möchte ich sagen, dass es ganz wichtig ist und war, so eine Enquete zu veranstalten. Wir haben heute ja schon in den verschiedensten Beiträgen gehört, welche Durchbrüche – um das aufzugreifen, was mein Vorredner gemeint hat – es geben kann und welche es vielleicht noch zu verändern oder überhaupt wegzuschaffen gilt.

Ich hätte zwei praktische Beispiele und würde den Herrn Sektionsleiter Dr. Losch und vielleicht auch Herrn Mag. Stock bitten, zu erläutern, ob diese Beispiele betroffen sind beziehungsweise ob diese Beispiele durch die jetzt geänderte Dienstleistungsrichtlinie sozusagen verändert werden können und wenn ja, wie.

In meiner Heimatgemeinde wurde eine Umfahrung gebaut – ich komme aus dem Bezirk Braunau, ganz nahe an der bayrischen Grenze –, die B 148, Umfahrung Altheim. Der Bau dieser Umfahrung wurde vom Land Oberösterreich ausgeschrieben, und ein bayrisches Bauunternehmen, ein mittelständisches Bauunternehmen, hat die Ausschreibung gewonnen. Im Nachhinein – und ich möchte jetzt nicht sagen warum – ist aufgekommen, dass die Arbeitnehmer der bayrischen Baufirma zwölf Stunden pro Monat zum Wohle der Firma zu arbeiten hatten. (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Unent­geltlich, zum Wohle der Firma. Ich habe es so formuliert, wie es in den Zeitungen dann auch gestanden ist.

Aus meinem Bezirk haben sich drei Baufirmen, ebenfalls mittelständische Baufirmen, mitbeworben, und haben den Auftrag natürlich nicht bekommen, weil – wenn man genauer nachschaut – das der Kollektivvertrag in Österreich offensichtlich nicht hergibt oder Gott sei Dank nicht hergibt, es im deutschen Bereich aber durchaus legal ist. Es gibt die Entwicklung, dass immer mehr Unternehmen aus den Tarifmodellen aus­steigen.

Wie bitte wird für die österreichischen Unternehmen diese Situation – das kann ja auch andere Unternehmen betreffen, aber in dem Fall sind es halt österreichische Unternehmen – verändert werden? Das ist schlichtweg wettbewerbsverzerrend, und da können diese Firmen nicht mit – oder sie werden gezwungen, mitzugehen! – Das ist die eine Frage.

Die zweite Frage zum Arbeiten über der Grenze ist heute auch schon angesprochen worden. Da ist es derzeit so – wieder ein Beispiel aus der Baubranche –: Eine österreichische Baufirma muss, wenn sie in Deutschland arbeitet, auf der Baustelle das aktuelle Lohnkonto der jeweiligen Arbeitnehmer für eine Kontrolle zu Verfügung haben. An der Baustelle muss die Anmeldung des Arbeitnehmers aufliegen und an der Baustelle muss nachvollziehbar sein, wann der letzte Lohn an wen ausgezahlt wurde, neben der Identitätsüberprüfung der dort arbeitenden Personen.

Arbeitet ein bayrisches Unternehmen bei uns im Bezirk, dann genügt es für das bayrische Unternehmen, beim Finanzministerium anzuzeigen, dass es im Zeitraum von bis mit so und so vielen Personen diese und diese Tätigkeit macht. Die KIAB hat die Kontrollmöglichkeit in dem Sinne, dass sie überprüfen kann: Sind die Personen, die da gemeldet sind, auch auf der Baustelle, und sind die Personen angemeldet. Zu überprüfen, zu welchen Bedingungen die Personen angemeldet sind, ist nicht Aufgabe der KIAB.

Der bayrische Zoll kann, wenn eine österreichische Firma drüben arbeitet, sofort Sanktionen verhängen: Die KIAB kann im Unterschied dazu nichts machen. Sie kann zwar sagen, sie hat festgestellt, aber was weiter geschieht, ist nicht festgeschrieben und kann nicht gemacht werden. Was ich fragen will, ist: Wie ist daran gedacht, dass die Kontrolle harmonisiert wird, und wenn ja, auf welchem Level wird sie harmonisiert? Und wann gibt es endlich einmal eine Anlaufstelle – es gibt ja drei Jahre Zeit, so eine Anlaufstelle in den jeweiligen Ländern zu installieren –? Diese Fälle gibt es ja jetzt schon! Denkt man daran, das in Österreich auch raschest umzusetzen?

Eine weitere Frage: Ich habe im Jahresprogramm des Rates 2006 gelesen, dass es eine mögliche Aktualisierung der Grundzüge der europäischen Wirtschaftspolitik gibt. Ist diese im Kontext der Dienstleistungsrichtlinie? Wird diese im Kontext gesehen oder nicht, oder wird das nicht tangiert? Und ich hätte auch noch eine Bitte bezüglich der 600 000 Jobs. Es werden zwar viele Studien gemacht, vielleicht gibt es aber einmal eine Studie, die tiefer geht, die sagt, welche Jobs das sind, in Form von welchen Branchen, ob als Vollzeit, Teilzeit oder geringfügig beschäftigt. Das Niveau der Arbeitsplätze ist wichtig. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.28


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächster kommt Herr Bundesrat Perhab zu Wort. – Bitte.

 


11.28.23

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark)|: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die EU-Dienstleistungsrichtlinie soll die Vollendung des Binnen­marktes erreichen. Ich denke, da sind wir uns einig. Zum Lissabon-Programm und -Prozess hat sich Österreich bekannt, und ich denke, auch hier im Parlament und unter Experten müsste Einigkeit herrschen.

Meine Damen und Herren, die Stellungnahme der Arbeiterkammer hat mich etwas befremdet, weil hier so locker über die Chance, in Europa 600 000 Arbeitsplätze zu lukrieren – das ist so eine Art Minimum –, polemisiert wird, anstatt dass wirklich über diese Chance nachgedacht wird. Wachstum und Beschäftigung sind ja Haupt­forderungspunkte der österreichischen Arbeitkammer, und ich denke, diese Dinge sollte man ernsthaft diskutieren. Auch wenn es 32 Millionen Arbeitslose in Europa gibt, sind 600 000 Arbeitslose weniger 600 000 weniger. Diese Chance sollten wir nützen und mithelfen und unterstützen.

Daher stellt sich die Frage, meine Damen und Herren, was die EU-Dienstleistungs­richtlinie eigentlich erreichen soll. Die Vollendung des Binnenmarktes ist das zen­trale Ziel und ausschlaggebend zur Schaffung von mehr Wachstum und Beschäf­tigung. Es bestehen aber bereits jetzt Probleme im Dienstleistungssektor. Die Richtlinie soll diese Probleme lösen und die Barrieren im Dienstleistungsbinnenmarkt beseitigen. Die Änderungen des Parlaments am Richtlinienentwurf entsprechen voll der bisherigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Die Richtlinie will administrative und bürokratische Hindernisse vor allem auch für KMU im Binnenmarkt abbauen. Weiters will diese Richtlinie grenzüberschreitende Dienstleistungen und die Gründungen von Niederlassungen, von Dienstleistungserbringern in anderen Mitgliedstaaten fördern. Öster­reich ist ein exportorientiertes Land und ist inzwischen in allen Rankings unter den ersten dreien auf dem Exportsektor. Und ich denke, diese Richtlinie wird auch unseren Betrieben, die dazu von der Größe her, von der Struktur her, von der Organi­sation her in der Lage sind – das gebe ich durchaus zu –, helfen, diesen Binnenmarkt auch zu nützen. Es gibt aber selbstverständlich im ländlichen Bereich auch Kleinst­unter­nehmungen, die diese Chance nicht nützen werden können. Daher gibt es auch die Anpassung an das österreichische, nationale Recht, um diese Betriebe auch weiterhin zu schützen und in dieser Beziehung den Wettbewerb halbwegs fair zu halten.

Die Richtlinie will die Regulierungssysteme europaweit modernisieren, Verwaltungs- und Verfahrensvereinfachung und einen schrittweisen Abbau der Bürokratie er­reichen. – Was spricht dagegen?!

Mit dieser Richtlinie sollen Schutzmaßnahmen für die Verbraucher sichergestellt werden!

Meine sehr verehrten Damen und Herren vor allem von Seiten der SPÖ, Sie kritisieren hier diese Richtlinie. Aber der österreichische Konsument nützt diese Konsumfreiheit in Europa doch ständig! Auch Arbeitnehmer fahren nach Ungarn und lassen sich ihre Zähne reparieren, und gerade die Wiener fahren scharenweise nach Bratislava einkaufen.

Ich denke, auf der einen Seite Freiheit, auf der anderen Seite Einschränkung, so geht das Spiel nicht! Wir sind in Europa, und wir müssen uns an diese Spielregeln halten.

Unsere Fraktion wird alles dazu beitragen, dass diese Richtlinie nicht zum Nachteil, sondern zum Vorteil unserer KMUs wird. (Beifall.)

11.31


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächste Rednerin ist Frau Abgeordnete Dr. Lichtenberger. – Bitte.

 


11.31.55

Abgeordnete zum Europäischen Parlament Dr. Evelin Lichtenberger (Grüne)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich danke für die Ge­legenheit, dass ich hier sprechen kann, auch aus der Sicht des Europäischen Parlaments, denn im Europäischen Parlament war natürlich die Dienstleistungs­richt­linie für fast ein Jahr das dominierende, heiß umstrittene Thema, und – wie auch schon gesagt wurde – es ist dem Europäischen Parlament gelungen, einige Giftzähne aus dieser Richtlinie zu beseitigen. Das muss man ganz klar sagen.

Ohne die Arbeit des Europäischen Parlaments, mit hunderten, mit über tausend Abän­derungsanträgen und heftigen, intensiven Diskussionen und Verhandlungen hätten wir jetzt ein beinhartes Herkunftslandprinzip ohne jegliche Relativierungen! Das muss man auch einmal deutlich in den Raum stellen.

Aber – und jetzt komme ich zum ganz großen „Aber“ – was nun das Ergebnis ist, was nun heraus gekommen ist, ist eben keine inhaltliche Verbesserung, die wir brauchen, um einen Binnenmarkt so zu verwirklichen, dass die Menschen – und zwar Konsu­menten, Produzenten und Erbringer von Dienstleistungen – langfristig, nachhaltig, etwas davon haben können.

Die Regelung ist so widersprüchlich in sich selbst, ist so unklar in ihren Definitionen, dass sie das krasse Gegenteil von der viel beschworenen Better Regulation, von dem besseren, klareren Regieren geworden ist. Das ist eines der großen Probleme.

Erster Punkt: Herkunftslandprinzip. Das ist ja nur auf verbaler Ebene zum so genannten Restriktionsverbot mutiert. Das was im Restriktionsverbot artikuliert wird, fällt noch gegenüber dem derzeitigen Stand der EuGH-Rechtssprechung zurück! Das muss bitte klargestellt werden.

Hatten wir früher mehr Ausschließungsgründe, so haben wir jetzt weniger, und wir haben sie so allgemein formuliert, dass ein Rattenschwanz an Prozessen vor dem Europäischen Gerichtshof die Folge sein wird, infolge dessen mittels Case Law, mittels sachbezogener Entscheidungen, Recht erst entstehen wird und noch nicht definiert und klar ist und damit auch für die Dienstleisterinnen und Dienstleistern im Ausland die rechtliche Präzision und Klarheit fehlt, um damit gut umgehen zu können.

Das ist ein dramatisches Problem, denn damit hat letztendlich auch der Gesetzgeber, die Politik das Heft aus der Hand gegeben und gibt es in die Hände der Rechts­sprechung, auf der Basis von Regeln, die derzeit existieren und die natürlich durch die Hintertür dann zu einer klaren Verwirklichung des Herkunftslandsprinzips führen wer­den, weil wie eben im Binnenmarktprinzip festgehalten – das „Cassis de Dijon“-Urteil für Waren, ich zitiere es für jene, die sich etwas mit europäischem Recht beschäf­tigen –, ist das natürlich zwangsläufig durch die Rechtssprechung auf der Basis der derzeitigen Regelungen der Fall. Das wird einige Zeit dauern, wird aber gröbere Ver­werfungen mit sich bringen.

Es fehlt zum Beispiel in diesem Bereich der Verbraucherschutz als Möglichkeit der Einschränkung, und es ist vor allem die Klausel der Verhältnismäßigkeit, mit der wir in Österreich schon schlechte Erfahrungen vor dem Europäischen Gerichtshof gemacht haben, ich denke zum Beispiel an etliche Urteile im Verkehrsbereich.

Was in dieser Richtlinie nicht gelungen ist und was es wert gewesen wäre, zu tun – denn wir brauchen etliche Regelungen für diesen freien Binnenmarkt –, ist eine Beschränkung auf die rein kommerziellen Dienstleistungen. Das wäre gut, not­wendig und richtig gewesen. Da gibt es Bedarf zur Veränderung; der ist groß und notwendig.

Die DAW, die Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, sind nicht präzise genug geregelt, um wirklich einen Ausschluss zu bewirken. Da wird es einen Graubereich geben, der für Kommunen, für die Länder, für die Staaten relativ problematisch werden wird.

Es wäre das Ziel gewesen, das so genannte Führerscheinprinzip einzuführen, das heißt: Das Herkunftslandprinzip gilt mit den entsprechenden Regelungen der gegen­seitigen Anerkennung für den Marktzugang, aber die Erbringung der Dienstleistung wird dann nach den Regeln des Landes, in dem die Dienstleistung erbracht wird, geregelt.

Das heißt, wenn man den Führerschein in Malta macht und man kommt dann nach Österreich, muss man sich trotzdem an die österreichischen Verkehrsregeln halten. Würde man das nicht tun, wäre gerade von der Frage des Linksverkehrs aus gesehen, ein relativ großes Problem gegeben.

Genau da hätten wir die große Chance gesehen, so zu regeln, dass unsere Unter­nehmungen und vor allem die Konsumenten etwas davon gehabt hätten.

Ich komme zur Conclusio. Ich halte das, was entstanden ist, für rechtlich so schlecht formuliert, dass ein Rattenschwanz an EuGH-Urteilen das Leben für Unternehmerin­nen, Unternehmer, Konsumentinnen, Konsumenten, nach dieser Dienstleistungs­richt­linie schlechter, schwieriger machen wird, als es jetzt der Fall ist. Und ich habe noch gar nicht vom Riesenproblem der Kontrolle gesprochen, für die die entsprechenden Mechanismen auch der Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg noch gar nicht existieren!

Meine Damen und Herren! Die Kontrollen dessen, was hier geschaffen werden soll, sind noch nicht vorhanden. Und wenn sie denn jemals vorhanden sein werden, dann bin ich sehr gespannt darauf, wie diese aussehen. Wenn ich mir die derzeitigen Umgangsweisen mit Schwarzarbeit und Scheinselbständigkeit anschaue, dann sehe ich keinen großen Fortschritt.

Im Ganzen ist hier eine große Chance für eine gute Regelung im Sinne der Euro­päerinnen und Europäer verpasst worden. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

11.38


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächste Rednerin ist Frau Schinner, bitte.

 


11.38.51

Katharina Schinner (Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Danke, dass ich heute die Gelegenheit habe, hier kurz für den Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband eine Stellungnahme abzugeben.

Im Sinne dessen, dass gerade in Referaten und auch in den Wortmeldungen sehr stark auf die Arbeitnehmerseite eingegangen wurde in Bezug auf die Dienstleistungs­richtlinie, möchte ich einen kurzen Blick auf die Sicht der Wirtschaft und in die Situation in unserem Verband, in die Unsicherheiten und die Ängste, mit denen unsere Mit­glieder und unsere Leute zu kämpfen haben und die da sind, werfen.

Zur Entstehung der Dienstleistungsrichtlinie, die schon sehr ausführlich dargestellt wurde, ist aus unserer Sicht zu sagen, dass dieser Ansatz von Bolkestein, dieses „der freie Markt regelt sich selbst“ aus unserer Sicht etwas ist, mit dem wir uns überhaupt nicht anfreunden können und was in unserer Denke so überhaupt nicht unseren Maßstäben entspricht.

Wir denken, dass es eindeutig wesentlich mehr Versuche hätte geben müssen, von Seiten der EU-Kommission einheitliche Standards zu finden und wirklich einen anderen Ansatz zu wählen. Für die Auswirkungen auf die Wirtschaft: Wenn man sich vor Augen führt, dass 99 Prozent der Unternehmen Klein- und Mittelbetriebe sind, und wenn man das wiederum herunterbricht und sieht, dass 65 Prozent der Beschäftigten in Österreich in diesen Betrieben arbeiten, dass, europaweit gesehen, das sogar 70 Pro­zent sind, und die Schwierigkeiten und Unsicherheiten durch diese Dienstleistungs­richtlinie in Zukunft sieht, wenn man sieht, welche Rechtsunsicherheiten es hier geben wird, dann ist es für mich unverständlich, dass Wirtschaftsfachleute anderer Fraktionen, denen man einen kaufmännischen Hintergrund ganz klar attestieren muss, diese Dienstleistungsrichtlinie in der Form unterstützen konnten.

Vielleicht darf ich das – weil sich die Diskussion doch irgendwie sehr auf einer Metaebene bewegt hat – mit einem konkreten Beispiel herunterbrechen. Wenn man zum Beispiel in den Bereich des Gewerbes geht und dort vielleicht einen Glaserbetrieb hernimmt, dann, denke ich, wird es so sein, dass der normale Konsument, wenn er neue Fenster braucht, sich wahrscheinlich weiterhin an ein österreichisches Unter­nehmen wenden wird, weil gerade am Anfang der Aspekt der Rechtsunsicherheit für die Leute doch relativ stark sein wird.

Es wird aber de facto so sein, dass große Unternehmen, die ganz andere Möglich­keiten haben – sie haben einen ganz anderen Beraterstab, sie haben einen ganz anderen Anwaltsstab –, vielleicht zum Beispiel ein tschechisches Unternehmen beschäftigen werden. Ich denke, das wird zu einem sehr starken Druck besonders in den Grenzland-Regionen führen, und ich meine, man darf die Augen davor nicht ver­schließen, dass es dort wahrscheinlich vielleicht nicht eine Lawine, aber auf jeden Fall ein deutliches Ansteigen von Konkursen geben wird, dadurch natürlich auch Arbeits­platzverluste, und dass es dort wirklich zu einer ganz, ganz starken Wettbewerbs­verzerrung kommen wird.

Abschließend möchte ich sagen, anstatt Qualitätsstandards von Westeuropa in die neuen Beitrittsländer zu exportieren, hat man sich aus meiner Sicht wirklich für den Weg entschieden, die Spirale nach unten zu gehen: gegen Qualität, gegen Wirt­schaftswachstum und gegen Beschäftigung! – Danke. (Beifall.)

11.42


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Ich erteile nun Frau Nationalrats­abgeord­neter Felzmann das Wort. – Bitte.

 


11.42.35

Abgeordnete Carina Felzmann (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen, Kollegen, Expertinnen, Experten! Es wird Sie wahrscheinlich nicht ver­wundern, dass ich als Unternehmerin, als begeisterte Europäerin seitens meiner Fraktion eine sehr unterschiedliche Haltung zu den von Seiten der SPÖ ange­sprochenen Themen einnehme.

Werfen wir jetzt noch einmal einen Blick auf das Ganze: Auf der einen Seite Amerika, auf der anderen Seite Asien und in der Mitte Europa: Wir haben nur dann die Chance, durch diesen größten gemeinsamen Binnenmarkt zu bestehen – natürlich wissend, dass die anderen beiden Wirtschaftsmächte ein Wirtschaftswachstum vorlegen, von dem wir im Moment nur träumen können –, wenn es gelingt, diesen Binnenmarkt, wirklich zu beleben, wenn es gelingt, den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr derart zu beleben, dass er auch im Alltag weder für die Unternehmer noch für die Arbeit­nehmer ein Hindernis darstellt. – Das muss gelingen, denn das ist die Chance für Europa!

Was mir von Ihrer Seite auffällt: Sie haben einen extrem negativen Zugang! Natürlich, Sie haben bestimmte Diskussionen im Europaparlament erlebt – wir teilen nicht alle Ihre Erinnerungen –, aber wir sind der Meinung, dass wir jetzt genug von der Historie der Gesetzeswerdung gehört haben beziehungsweise mittlerweile wissen, dass der Weg zum bestehenden Entwurf sehr, sehr schwierig war. Ich finde es sehr gut, wenn sehr viele Abänderungsanträge eingebracht werden, wenn intensiv im Parlament diskutiert wird. Das zeigt doch von einer wirklichen Beteiligung, und dass man davon ausgehen kann, dass am Ende des Tages eine sehr große Zustimmung erreicht werden wird, was auch der Fall war. Wir wünschen dem Rat alles Gute, dass das jetzt vorliegende Ergebnis entsprechend rasch und schnell weiterbehandelt wird. Rasch und schnell deswegen: Selbstverständlich wünscht man sich als Unternehmerin die Sicherheit, die für den grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr notwendig ist!

Meiner Vorrednerin sei auch gesagt: Vor Jahren schon haben sich unsere Unter­nehmer und Unternehmerinnen über die Grenzen hinweg orientiert. Also bitte, das ist nichts Neues, da haben schon viele Prozesse stattgefunden. Jetzt geht es darum, die noch offenen Unsicherheiten zu beseitigen.

Wenn man sich jetzt noch einmal die Bedeutung dieser Dienstleistungsrichtlinie vor Augen führt, wenn man weiß, hier geht es um 70 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der EU, hier geht es – um es auf Österreich herunterzubrechen – um möglicherweise 10 000 Jobs, dann wäre es wünschenswert, wenn wir hier auch in diesem Hause zu einem Gleichklang kommen könnten. Diesen Gleichklang glaube ich mittlerweile mit der SPÖ nicht mehr zustande bringen zu können. Es ist bisher von Ihnen wie immer ein Zickzackkurs betrieben worden. Ich bedauere, muss ich wirklich sagen, auch diesen Negativismus seitens der Arbeiterkammer, seitens des ÖGB. Auf der einen Seite werden zwar die Sorgen für die Menschen formuliert, auf der anderen Seite aber fehlt mir die Wahrnehmung für die Chancen der Zukunft.

Beschäftigen wir uns, bitte, mehr mit der Zukunft! Wir stehen an einem Punkt in der Europa-Diskussion, wo wir alle wissen, dass wir, wenn wir ein gemeinsames Vorgehen der jetzt EU-25 und in Folge auch mit den weiteren Beitrittskandidaten, mit unseren zusätzlichen, neuen Partnerländern nicht schaffen, dann haben wir international wenig Chancen! Würden wir diese Chancen nicht ergreifen, so würde ich das für Europa sehr bedauern.

Diese Vorlage ist ein Schritt zum erfolgreichen Binnenmarkt – umso mehr hoffe ich, dass wir uns noch einmal intensiv mit den Unterlagen beschäftigen. Ich danke Sektionschef Losch, Mag. Stock, Mag. Fürnkranz für die ausgezeichneten Ausführun­gen, für die sehr guten Unterlagen. Ich bin überzeugt, wir sind auf einem sehr guten Weg. Einige Punkte sind noch offen, und ich habe sehr große Zuversicht, dass es uns gelingen wird, hier ein sehr erfolgreiches Ergebnis auf den Tisch zu bringen. – Danke. (Beifall.)

11.47


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächster erteile ich Frau National­rats­­abgeordneter Sburny das Wort. – Bitte.

 


11.47.26

Abgeordnete Michaela Sburny (Grüne)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Felzmann, was ich wirklich bewundere, ist Ihre Fähigkeit, die Augen zu verschließen vor Realitäten, nämlich einerseits vor der Realität der Bevöl­kerung (Bundesrat Perhab: Das ist eine Unternehmereigenschaft!) – ja, ja, warten Sie ein bisschen, das kommt gleich! –, vor der Realität eines Großteils der Bevölkerung, wenn Sie sagen, was das für ein Erfolgsprojekt sei. 2,5 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze wurden hier behauptet. – Das funktioniert nur statistisch! Sie wissen so gut wie ich, dass wir sowohl in Österreich als auch in den anderen europäischen Län­dern parallel eine steigende Arbeitslosigkeit zu vermerken haben! Und das igno­rieren Sie komplett und permanent!

Genauso verschließen Sie die Augen vor den Realitäten dieser Dienstleistungs­richtlinie! Ich weiß ja nicht, welche Teile oder wie viel davon Sie gelesen haben, Faktum ist, dass die Kolleginnen Litschel, Aschauer und Regner sehr genau darauf eingegangen sind, was die Problematik dabei ist, und dass Sie mit keinem Wort auf das eingegangen sind, was das Spannungsfeld ist und was das Problem ist bei dem, was jetzt hier definiert wurde in diesem neuen Entwurf. – Und das finde ich einfach verwunderlich.

Dieser jetzige Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie ist aus meiner Sicht ein Parade­beispiel dafür, dass ein Interessenausgleich oder der Versuch eines Interessen­ausgleichs, der ja im Prinzip in der Politik etwas Positives ist, komplett schiefgehen kann, in einem ganz schlechten Kompromiss komplett schiefgehen kann, dass ein Kompromiss nicht immer gut ist, sondern, so wie hier, einfach auch völlig daneben sein kann!

Es sind die meisten Punkte genannt worden. Die Auslagerung der politischen Verantwortung an die Gerichte – das wird der zentrale Punkt sein, dass nicht mehr politisch entschieden wird, sondern juristisch. Es ist völlige Rechtsunsicherheit in vielen Bereichen gegeben, und auch für die Seite, die sich für eine Liberalisierung eingesetzt hat, kann doch wohl dieser Punkt kein positiver sein. Für uns, die wir uns eingesetzt haben dafür, dass es eine Möglichkeit der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung gibt, kann ich sagen: Ja, das wollen wir, aber wir wollten klare Rahmenbedingungen dafür. (Ruf bei der ÖVP: Die gibt es ja!) Ja, es gibt Rahmenbedingungen, aber wir wollten welche, die einerseits sicherstellen, dass Standards gesichert werden, und das ist nicht gelungen. Also auch wenn das Wort „Herkunftslandprinzip“ nicht mehr vorkommt – Frau Litschel hat das sehr genau ausgeführt –, ist Standardsicherung nicht gelungen! Wir wollten auch, dass anderer­seits Barrieren abgebaut werden, und das ist ebenfalls nicht gelungen. Das muss Ihnen doch auffallen! Ich verstehe Ihre Euphorie überhaupt nicht. Es ist überhaupt nicht gesichert, wie Barrieren abgebaut werden sollen, weil nämlich ein Großteil der Materie wieder in nationales Recht verlagert wird und genau das nicht gelungen ist, was eigentlich das Ziel war, nämlich auf europäischer Ebene eine Lösung zu finden.

Wir haben von Anfang an einen Vorschlag gemacht, der sichergestellt hätte, dass es eine europäische Lösung ist, und der sichergestellt hätte, dass Standards abgesichert werden, und das war die sektorale Harmonisierung. Das war eine sektorale Har­monisierung auf möglichst hohem Niveau, und ich wünsche mir, dass die Abgeord­neten der Europafraktion der SP zu dem zurückkehren. Wir haben eine Menge Dis­kussionen geführt, wir waren mit der SP auf derselben Ebene, und es war ganz klar, dass das das Ziel sein muss; dass wir nicht eine Renationalisierung von Recht wollen, sondern dass wir sehr klare europäische Richtlinien haben wollen und dass es kein Ziel sein kann, uns jetzt einzubetonieren auf diesen nationalen Ebenen. Offensichtlich hat hier zumindest die europäische Fraktion der Sozialdemokraten umgeschwenkt. Ich kann es nicht ganz nachvollziehen. Der einzige Punkt, den ich nachvollziehen kann, ist, dass Frau Gebhart mit der Berichterstattung natürlich unter großem Druck gestanden ist, und ich verstehe, dass sie gewisse Verbesserungen, die tatsächlich passiert sind, eben zum Anlass genommen hat.

Ich wünsche mir trotzdem, dass man diese Mutlosigkeit – und ich kann das nur so nennen: politische Mutlosigkeit, eine völlige Verwässerung, die zu überhaupt nichts führt – beendet, dass man den Entwurf zurückzieht und einen neuen Versuch macht, bei dem man all das, was jetzt an positiven Inputs gekommen ist, miteinbezieht und Rechtssicherheit schafft. – Danke. (Beifall.)

11.52


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Allerstorfer. – Bitte.

 


11.52.29

Manfred Allerstorfer (Unternehmer)|: Geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die von der Europäischen Kommission geplante Dienstleistungs­richtlinie zielt auf die Stärkung des Binnenmarktes ab. Das ist durchaus begrüßens­wert, allerdings wird es notwendig sein, auch entsprechende begleitende Rahmen­bedingungen dafür zu schaffen.

Auf Grund der Verhandlungen und den Beratungen im Europäischen Parlament – das ist heute schon angesprochen worden – legte die Kommission am 4. April eine über­arbeitete Fassung vor, und auf dieser aufbauend möchte ich mich nun mit den möglichen Folgen für die Klein- und Mittelbetriebe beschäftigen, insbesondere mit den Chancen und Risken im grenznahen Raum zu den östlichen Mitgliedstaaten. Als Unternehmer im oberösterreichischen Mühlviertel sehe ich hier lokal natürlich im Speziellen die Situation mit Tschechien, aber ich denke, dass diese auch durchaus auf andere gleichgeartete Grenzregionen umgelegt werden kann.

Vorweg einige Zahlen: Im Mühlviertel gibt es derzeit 10 000 Betriebe – damit man weiß, was jetzt wirklich Klein- und Mittelbetriebe sind –, wobei 55 Prozent davon 1-Personen-Unternehmen sind. Es gibt 30 Prozent Unternehmen mit ein bis fünf Mitarbeitern beziehungsweise Beschäftigten. Insgesamt 95 Prozent der Unternehmen weisen bis maximal 20 Beschäftigte aus. Der größte Teil der Unternehmen im Mühlviertel ist so strukturiert, wie das auch für andere Gebiete in Österreich durchaus repräsentativ ist.

Es handelt sich hier vorwiegend um Kleinst- und Kleinbetriebe, deren wirtschaftliche Situation zum Teil schon jetzt angespannt ist, um Betriebe, die mit dem Problem des Kaufkraftabflusses in den Zentralraum konfrontiert sind, die aber andererseits auch eine große Bedeutung für die Nahversorgung in den ländlichen Regionen haben. In Folge der geplanten Dienstleistungsrichtlinie kommt es dann noch zu einer zusätz­lichen Konkurrenz durch Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten, insbesondere aus jenen, die niedrigere ökologische und ökonomische Standards aufweisen.

Auch wenn der nunmehrige Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie durch die Verhand­lun­gen im Europäischen Parlament – das ist zweifelsohne so auch festzustellen – zum Teil entschärft wurde, eben beispielsweise dieses Herkunftslandprinzip, so gibt es aber doch noch eine Reihe von Bestimmungen, die zu einer Ungleichbehandlung der Unternehmen aus den unterschiedlichsten Mitgliedstaaten führen wird.

Einige Problemfelder dazu: Vor dem In-Kraft-Treten der Dienstleistungsrichtlinie brau­chen wir in Europa sicherlich funktionierende Zustellungs- und Vollstreckungsnormen für Sanktionen bei Verstößen gegen das heimische Recht, denn was hilft es, wenn wir zwar österreichisches Recht anzuwenden haben, das dann aber im Falle des Zuwiderhandels nicht wirklich verfolgen können.

Im Bereich Umwelt- und Konsumentenschutzvorschriften gibt es teilweise auf landes­gesetzlicher Ebene basierende Vorschriften, die nur dann gegenüber den auslän­dischen Dienstleistern anzuwenden und durchzusetzen wären, wenn sie gegen Schutztatbestände gemäß der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Das wird dazu führen, dass letzten Endes die österreichischen Klein- und Mittelbetriebe diesen Normen unterworfen werden und die ausländischen eben nicht.

Ich denke, dass eine Harmonisierung des Marktes nur dann möglich ist, wenn zu diesem Zeitpunkt für alle Marktteilnehmer die gleichen Spielregeln gelten. – Das ist mit der Dienstleistungsrichtlinie sicherlich nicht gewährleistet, und dadurch kommt es auch zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen für die einzelnen Unternehmer. Diejenigen Unternehmen, die durch die Richtlinie benachteiligt sind, werden dadurch klarerweise weiter unter wirtschaftlichen Druck geraten. Ich sehe damit aber auch die sehr wichtige Struktur der vielen kleinen Unternehmen gerade im ländlichen Raum gefährdet.

Ob dies tatsächlich gewünscht ist, möchte ich hier nicht beurteilen, es ist für mich allerdings doch sehr interessant, dass sich gerade die Industriellenvereinigung als Vertreter der Großbetriebe auch für die Dienstleistungsrichtlinie in der ursprünglichen Fassung sehr stark gemacht hat. Ebenso hat mir ein bisschen das Engagement der Wirtschaftskammer zum Schutze der vielen Klein- und Mittelbetriebe gefehlt.

Durch die mit der Dienstleistungsrichtlinie zweifelsohne geschaffenen Erleichterungen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs, die natürlich auch von den österreichischen Unternehmen genutzt werden können, werden in den grenznahen Regionen nur eingeschränkt zusätzliche Chancen entstehen. Es wird nämlich nicht möglich sein, in billigeren grenznahen Ländern auf österreichischem Preisniveau anbieten zu können, und ich sehe dort eben auch die Folgen für den ländlichen Raum insgesamt. Wenn diese kleinstrukturierte Wirtschaft auseinander brechen wird, dann wird letztendlich auch das Leben in den Landgemeinden zum Problem. Auch Herr Nationalratsabgeordneter Gaßner hat heute schon die Fragen aufgeworfen: Wie schaut das dann aus mit Kommunalsteuern? Wie schaut das mit den Finanzierungen der kommunalen Einrichtungen aus? – Ich denke, auch damit muss man sich ein­gehend beschäftigen.

Wie eingangs bereits erwähnt, bekenne ich mich sicherlich voll zur Europäischen Union und auch zur Stärkung des Binnenmarktes. Eine Harmonisierung im Sinne dieser vorliegenden Dienstleistungsrichtlinie wird allerdings nur dann für alle Beteiligten fair und positiv ablaufen, wenn Märkte mit gleichen Standards harmonisiert werden, und dieser Standard muss der uns in Mitteleuropa bekannte Standard sein. Das heißt, die Zielsetzung muss sein, alle europäischen Länder zuerst diesem Standard anzupassen und erst dann eine Harmonisierung durchzuführen – und nicht umgekehrt.

Ich appelliere an alle Verantwortlichen, zuerst diese notwendigen Schritte zu setzen, um allen Unternehmen in der Europäischen Union einen fairen Wettbewerb, allen Menschen in Europa ein faires Zusammenleben und gute Zukunftsaussichten zu gewähren! – Danke. (Beifall.)

11.58


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Zu Wort kommt nun Herr National­ratsabgeordneter Steindl. – Bitte.

 


11.58.50

Abgeordneter Konrad Steindl (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst meinen herzlichen Dank an die Referentinnen und Referenten für ihre Ausführungen zur Dienstleistungsrichtlinie. Ich habe für mich persönlich hier ein wirklich eindrucksvolles Bild von allen Seiten erhalten und ich glaube, dass wir, wenn wir den pragmatischen Ansatz wählen, ein Instrument haben, mit dem wir einen Schritt in der doch schon längst festgelegten EG-Richtlinie – dem ersten Schritt zu diesen Freiheiten – weiter kommen.

Man konnte heute von SPÖ-Abgeordneten und -Rednern oder auch von den Grünen teilweise hören, es sei alles besonders schwierig und umständlich und auf viele Bereiche werden nicht eingegangen. Meine Damen und Herren! Ich glaube, wir müssen darangehen, den volkswirtschaftlichen Wettbewerb, der sich in ganz Europa abspielt, anzugehen und dabei mitzustreiten.

Es ist doch so, dass wir solche Debatten immer dann sehr heftig führen, wenn neue Länder der Europäischen Union beitreten. Ich kann mich noch genau an die Debatte erinnern, als die Portugiesen der Europäischen Union beigetreten sind. Damals konnte man die Meinung hören, dass nun alle Bauwerke in Österreich von portugiesischen Baufirmen errichtet werden. Genau das Gegenteil war der Fall: Unsere Baufirmen haben europaweit wirklich hervorragende Aufträge an Land gezogen. Ich denke da beispielsweise an Bauwerke in Berlin oder an das Stadion in München oder an Bauwerke in anderen Ländern. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) – Wir haben damit vor allem für Beschäftigung gesorgt!

Weil hier heute Herr Kollege Gaßner Sorge um die Kommunalsteuern in Österreich geäußert hat, wenn wir dem Wettbewerb europaweit ausgesetzt sind, möchte ich sagen: Wir können da mithalten, weil wir eine sehr gute Facharbeiterausbildung haben, bestausgebildete Techniker, die für den Wettbewerb bestens gerüstet sind. Das ist die Voraussetzung für ein Mitstreiten im Wettbewerb, der ja nicht unverborgen bleibt.

Was die Harmonisierung betrifft, stellt sich die Frage: Wo setzen wir da an? Wenn wir Standard 100 haben und andere Mitgliedsländer lediglich bei 40 liegen, wie gehen wir das dann pragmatisch an? Sollen wir nach unten nivellieren, oder sollen wir schauen, dass wir unseren Standard 100 halten, oder sollen die anderen Länder in zwei oder drei Jahren auf unseren Standard kommen? Wir alle wissen, dass das nicht so einfach geht. Das Einzige, das uns bleibt, ist der Wettbewerb, meine Damen und Herren, und für diesen Wettbewerb sind wir, wie wir schon in der Vergangenheit gesehen haben, bestens gerüstet. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt wieder den Vorsitz.)

Weiters hat Kollege Gaßner die Frage gestellt, wie es denn mit Wasser, Kanal und so weiter ist. – Dazu darf ich ihm sagen: Die SPÖ-Bürgermeister waren die Ersten, die ihre Kanalsysteme an amerikanische Leasingfirmen verkauft haben – und nicht andere! (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Das sollte hier auch hier einmal klar festgestellt werden!

Also ich bin da guter Dinge, sehe einen durchaus pragmatischen Ansatz für die weitere positive Entwicklung auf unserem Arbeitsmarkt. Letztlich können wir dadurch nur reüssieren. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass wir im Autocluster Steyr – mit anderen Bundesländern zusammen – einmal 260 000 bis 290 000 Fahrzeuge pro­duzieren werden.

Wir haben mittlerweile auch eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz. Insgesamt sind wir hier, glaube ich, bestens aufgestellt. Wir brauchen diese Freiheiten für unsere Unternehmer. Es wird auf nationalem Recht abgestellt, das ist uns sehr wichtig. Wir werden die entsprechende Kontrollinstanzen haben, wie etwa die KIAB. 

Auch ich teile Ihre Sorge, denn es kann nicht so sein, dass beispielsweise deutsche Straßenbauarbeiter zu anderen Bedingungen arbeiten als die österreichischen. Da wird die KIAB nach dem Anspruchssystem vorgehen, nämlich: Für jeden, der in Österreich arbeitet und hier einen kollektivvertraglichen Anspruch hat, gilt natürlich nationales Recht, und das ist entsprechend umzusetzen.

In diesem Sinne glaube ich, dass wir mit diesem Instrument eine gute Richtlinie haben, die uns einen pragmatischen Ansatz im Wettbewerb ermöglichen wird. – Danke. (Beifall.)

12.03


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Dr. Kamleithner. – Bitte.

 


12.03.58

Dr. Renate Kamleithner (Arbeiterkammer Oberösterreich)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab eine Bemerkung in Richtung des Herrn Bundesrates Perhab, der seine Befremdung darüber zum Ausdruck gebracht hat, dass die AK nicht jubelt über 600 000 zusätzliche Jobs in Europa. – Man übersieht leicht und gerne, dass in Europa 32 Millionen Menschen Arbeitssuchende sind. Und 600 000 Jobs in einem Sektor, der 70 Prozent der Wirtschaftstätigkeit umfasst, das ist doch eine sehr dürftige Bilanz. – Das ist der eine Aspekt. (Ruf bei der ÖVP: Besser als nichts! Jeder Arbeitsplatz ist wichtig!)

Der zweite wesentliche Aspekt ist, dass die Kopenhagener Studie nichts über die Qualität der Arbeitsplätze aussagt. Sie sagt nichts darüber aus, in welchen Ländern diese Arbeitsplätze entstehen, und sie sagt weiters nichts darüber aus, in welchem Zeitraum diese Arbeitsplätze entstehen, und sie sagt auch nichts darüber aus, wie viele Jobs vernichtet werden, bevor diese 600 000 Arbeitsplätze geschaffen werden.

Es ist zweifellos ein großer Erfolg der Arbeitnehmerinteressenvertretungen in Europa, des Europäischen Gewerkschaftsbundes, der Arbeiterkammer und des Österreichi­schen Gewerkschaftsbundes, dass die Dienstleistungsrichtlinie in der heutigen Fas­sung sozial weitaus verträglicher ist als der ursprüngliche Kommissionsentwurf vom Jänner 2004. – Es war aber ein langer, harter Weg bis dahin.

Es hat lange gedauert, bis das offizielle Österreich die Ausnahme des Arbeitsrechtes gefordert hat. Ich möchte daran erinnern, dass das erst im Oktober 2005 der Fall war, und zwar erst 20 Monate nach Vorlage des Vorschlags vor der Kommission.

Die Proteste haben sich zwar ausgezahlt, aber dennoch sind einige wesentliche Forderungen nicht erfüllt worden, wie die Kolleginnen Regner, Aschauer und Litschel bereits aufgezeigt haben.

Was den Richtlinientext im Hinblick auf das Problem der Scheinselbständigkeit betrifft – ein Punkt, der heute noch nicht diskutiert worden ist –, ist zu sagen: Es gibt in Europa immerhin 23 Millionen Scheinselbständige. Natürlich zielt die Dienstleistungs­richtlinie nicht in erster Linie darauf ab, zu definieren, was Scheinselbständigkeit ist, aber es spielt eine Rolle in diesem Zusammenhang. Wer definiert, ob jemand ein Selbständiger oder ein Arbeitnehmer ist. Einerseits hat man das Arbeits- und Sozialrecht von der Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen, und somit ist auch die Definition des Arbeitnehmerbegriffs ausgenommen, und andererseits hat man den Artikel 16, das ehemalige Herkunftslandprinzip – das ist jetzt umgeändert, da gibt es eine Namensänderung –, wo die Umsetzung einer Dienstleistungsrichtlinie nicht von bestimmten Anforderungen abhängig gemacht werden darf. Gilt für die Definition des Arbeitnehmerbegriffs beziehungsweise des Unternehmensbegriffs jetzt das Herkunftslandprinzip oder gilt das Ziellandprinzip?

Verwirrung entsteht auch, wenn man im Richtlinientext den Erwägungsgrund 41b liest, wo relativ überraschend plötzlich eine Definition des Unternehmensbegriffs auftaucht und wo es auf einmal heißt:

„Jedwede Tätigkeit einer Person außerhalb eines Unterordnungsverhältnisses muss als selbständige Beschäftigung ...angesehen werden.“

Soweit ich einen Überblick habe, ist das erstmals eine Definition des Unternehmens­begriffs, und da muss man sich sehr wohl die Frage stellen, was er in dieser Richtlinie verloren hat und ob das überhaupt eine „richtige“ Definition – unter Anführungs­zeichen – ist.

Es bleibt mir nur noch, als Arbeitnehmerinteressenvertreterin darauf aufmerksam zu machen, dass die österreichische Ratspräsidentschaft alle aufgezeigten Mängel zu beheben versuchen sollte – es ist mir durchaus klar, dass das in der derzeitigen europäischen Konstellation schwierig ist –, und darum zu ersuchen, dass, was ein noch viel wesentlicherer Punkt ist, nicht all die aufgezeigten Mängel und die Entschärfungen, die wir im Laufe des zweijährigen Diskussionsprozesses erreicht ha­ben, nämlich Entschärfungen in der Dienstleistungsrichtlinie, auf dem Umweg über andere Rechtsvorhaben wieder neu auftauchen! Da gibt es nämlich so manchen Ansatz dazu. – Danke. (Beifall.)

12.08


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächster Redner: Herr Bundesrat Schimböck, bitte.

 


12.08.21

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist hier wirklich noch einiges ins rechte Lot zu bringen, denn wenn es so ist, wie es die Kollegin Felzmann gemeint hat oder nachher noch ein Kollege, dass hier nicht alles im Gleichklang mit der ÖVP marschieren kann, dann glaube ich, in diesem Land geht es nicht darum, dass irgendwer, sei es jetzt unternehmerisch tätige Menschen oder Arbeitnehmer, im Gleich­klang mit der ÖVP marschiert, sondern darum, dass wir hier als politische Vertreter im Gleichklang mit den berechtigten Bedürfnissen der Arbeiter, der Angestellten und der Unternehmer in diesem Land marschieren sollten, und diese Bedürfnisse unter­scheiden sich, wie ich meine, ganz wesentlich von dem, was wir jetzt in dieser Richtlinie finden.

Es ist vorhin von Frau Fürnkranz von der Industriellenvereinigung zur Frage: Was wer­den wir denn bekommen? gemeint worden: Wir bekommen niedrigere Preise und höhere Qualität!

Ich frage Sie: Zu welchen Lasten wird es denn gehen, dass wir eine höhere Qualität zu niedrigeren Preisen bekommen? – Das wird nur dann möglich sein, wenn das Lohn­niveau gesenkt wird. Kollegin Schinner als Jungunternehmerin hat es vorhin schon erwähnt: Wir brauchen eigentlich Kaufkraft in diesem Land! Aber Kaufkraft werden wir nur dann haben, wenn es Betriebe gibt mit Mitarbeitern, die auch entsprechend gut verdienen.

Ich glaube, es ist nicht so, dass in der Wirtschaftskammer aus Jux und Tollerei die Innungen und Fachgruppen bestimmte Kriterien zusammenstellen, wann hier jemand einen Betrieb gründet. Man will Qualität haben, man will, dass die Betriebe eine Zukunft, eine Existenzsicherung haben. (Ruf bei der ÖVP: Genau! Das steht in der Richtlinie so drinnen!) Ich weise darauf hin, dass es einige Berufsgruppen gibt, die Sie da ganz bewusst aus dem Ganzen sozusagen hinausinterveniert haben, und zwar österreichische Berufsgruppen, wie zum Beispiel die Rechtsanwälte. Es ist nämlich nicht möglich, dass jemand zu den Bedingungen, die etwa in Italien, in der Slowakei oder sonst wo immer herrschen, hier einen Betrieb eröffnet, sondern man wird die ersten Jahre einen so genannten Vertrauensanwalt benötigen, der einen bei seiner Tätigkeit begleitet.

Ähnliches findet sich bei einem weiteren freien Beruf, nämlich bei den Apothekern. Es ist daher für mich nicht ganz nachvollziehbar, warum das alles über Bord geworfen wurde.

Außerdem hat bereits vor etwa eineinhalb Jahren, soweit ich weiß, die Oberöster­reichische Wirtschaftskammer mit der Oberösterreichischen Arbeiterkammer sehr wohl eine gemeinsame Regelung gefunden, wie man da vorgehen könnte. Und genau in diesem Raum hat uns der Wirtschaftsminister – es wäre ganz gut gewesen, wenn er hier heute mit dabei gewesen wäre, er hätte sicher auch Interessantes erfahren können (Bundesrat Bieringer: Mir kommen die Tränen! Es wurde doch ausdrücklich ausgemacht, dass keiner kommt!) – erklärt, dass ihn diese Meinung eigentlich nicht interessiert, er habe sich darüber woanders erkundigt. Aber das ist dann eigentlich versandet.

Wenn Kollege Bieringer meint, die Dinge stünden anders, dann stelle ich an ihn als Bürgermeister die Frage: Wer wird denn künftig die Kommunalsteuer zahlen, damit Betriebe, Grundschulen, Volksschulen, für die die Gemeinde aufkommen muss, finanziert werden können? (Bundesrat Bieringer: Da mache ich mir keine Sorgen!) Es gibt nämlich nicht lauter Gemeinden, die große Handelsbetriebe, Einzelhandels­betriebe, Einkaufsmalls und dergleichen in ihrem Gemeindegebiet haben. Und da schaue ich mir dann an, wie wir die Zukunft dieser Gemeinden sichern wollen. (Neuerliche Zwischenrufe des Bundesrates Bieringer.) Das ist, wie ich meine, eine ganz wichtige Sache.

Es wurde von Seiten der Wirtschaftskammer ins Treffen geführt, dass in den benach­barten Städten das auch irgendwie geregelt ist. Es wurden von einer Arbeitsgruppe etwa 100 Berufsbilder beziehungsweise Unternehmensgruppen untersucht. Und was hat sich dabei herausgestellt? – Da kann man doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen! Der Baumeister zum Beispiel, ein konzessioniertes, ein reglementiertes Gewerbe, ist in Italien ein freies Gewerbe. Das heißt, dort ist ein ganz anderer Zugang gegeben, das wird dort ganz anders betrachtet. Wenn der hier arbeitet, herrscht doch ein großes Maß an Ungleichheit, denn für seinen österreichischen Kollegen wird weiterhin das österreichische Recht gelten. Das kann doch einfach nicht funktionieren, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Folgendes ist, glaube ich, auch ganz schlimm – das wurde heute schon einige Male gesagt, ich wiederhole es aber noch einmal –: Die Rechtsgestaltung, die Rechts­schöpfung wurde hier in weiten Bereichen, wie es Frau Kollegin Sburny bereits gesagt hat, an die Rechtssprechung delegiert. Es kann doch nicht sein, dass der europäische Gesetzgeber hier etwas auf den Tisch legt und sagt: Na ja, das Weitere wird dann der Europäische Gerichtshof ausjudizieren!

Ich kann mir nur wünschen, dass dann dieselbe Wirtschaftskammer, die jetzt zu dem Ganzen applaudiert, ihren Mitgliedern den nötigen Rechtsbeistand verschafft, damit dann wirklich zum Beispiel der kleine Dachdecker, der kleine Kunstschmied oder wer auch immer den Weg zum Europäischen Gerichtshof beschreiten kann, denn der braucht einen langen Atem, bis er dort ankommt, und der braucht auch die Mittel, um sich diese rechtsfreundliche Vertretung leisten zu können.

Abschließend Folgendes (der Redner hält ein plakatähnliches Schriftstück in die Höhe): Die Oberösterreichische Wirtschaftskammer beschickt jedes Jahr mit ganz hervorragenden Betrieben die Bayerische Handwerksmesse, und da kann man immer nachlesen, was dort passiert, was dort gezeigt wird. Hier steht: Es zählen Qualität, Innovation, und das ist wichtiger als der Preis. Ganz richtig, denn unsere Betriebe sollen gut verdienen, um ihre Mitarbeiter auch entsprechend bezahlen zu können. Aber diese Innovationen und diese guten Preise für hervorragende Produkte, dank gut ausgebildeter Mitarbeiter, wird es dann nicht mehr geben, denn wir fahren hier talabwärts, wir fahren hier den ganzen Level nach unten. Und ich meine, das kann nicht Sinn der Sache sein. (Rufe bei der ÖVP: ... pessimistisch! Ihr Kollege Swoboda hat das mit ausverhandelt!)

Ich ersuche Sie daher, unsere Bemühungen zu unterstützen, dass hier noch ent­sprechende Nachjustierungen erfolgen! – Ich danke für Ihr Verständnis und für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.14


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Zum Wort gelangt als Nächster Herr Kerschbaum. – Bitte.

 


12.14.51

Thomas Kerschbaum (Rechtsfürsorger und KIV/UG-Personalvertreter im Wiener Jugendamt)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Zuerst möchte ich mich dafür bedanken, dass ich als Personalvertreter im kommunalen Sozialbereich und als Gewerkschafter die Möglichkeit habe, hier Stellung zu beziehen.

Ich bin auch dazu da, um Folgendes zu bekräftigen: Es gibt die ÖGB- und die AK-Forderungen, und wir bleiben, soweit es die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten betrifft, auch dabei, und wir werden auch in Zukunft Widerstand gegen diese Dienst­leistungsrichtlinie leisten, und zwar in Österreich, aber vor allem auch europaweit.

Im Besonderen möchte ich auf zwei Forderungen des ÖGB hinweisen, die viel zu wenig in dieser Diskussion vorgekommen sind, und das ist die effektive und generelle Herausnahme von sozialen Dienstleistungen und Gesundheitsdienstleistungen. Es scheint wie immer zu sein: Der öffentliche Dienst kommt in der Diskussion nicht vor. Wenn er denn doch vorkommt, dann als Belastung, als ineffiziente Geldvernichtungs­maschine oder was auch immer.

Dazu muss man sagen, dass der öffentliche Dienst das Rückgrat des Sozialsystems in Österreich und auch europaweit ist und daher eine viel größere Beachtung verdient. Wenn Arbeitsplätze dauerhaft geschaffen wurden, und zwar Arbeitsplätze, von denen man leben kann und die würdige Arbeitsbedingungen bieten, dann war es in der letztjährigen Vergangenheit in der EU so, dass dies wesentlich seitens des öffentlichen Dienstes geschehen ist. (Ruf bei der ÖVP: Wie viele haben Sie schon geschaffen?)

Mir ist nicht bekannt, dass in der Privatwirtwirtschaft ein großartiger Boom von Arbeits­plätzen stattgefunden hat. Wenn in öffentlichen Dienst Arbeitsplätze verlorengehen, dann deshalb, weil uns die Politik unter einen verstärkten Ökonomisierungs- und Privatisierungszwang setzt. In diesem Sinne ist diese Dienstleistungsrichtlinie auch keine Überraschung, weil sie natürlich korrespondiert mit den nationalen Politiken, die in Richtung Ökonomisierung, Privatisierung oder auch Individualisierung der sozialen Risken läuft, wie zum Beispiel in Österreich, in verschiedenen Bundesländern, auch in meinem Bundesland, der Stadt Wien, wo es auch einen Drang zur Subjektförderung im Sozialbereich gibt.

Auf Folgendes muss man schon hinweisen, und das ist ganz grundsätzlich: Eine Gesellschaft, die sich als sozial bezeichnen will, die auch soziale Grundwerte hat, braucht ein funktionierendes Sozialwesen. Doch das geht nur mit einem funk­tionie­renden, gut ausgestatteten öffentlichen Dienst, öffentlichen Dienstleistungen, die auch eine Chance auf Zukunft haben.

Es ist schön und gut, dass Klein- und Mittelbetriebe auch gefördert werden, aber eine Chance für den öffentlichen Dienst bietet diese Dienstleistungsrichtlinie nicht, denn sie greift uns wieder einmal dort an, wo wir am schwächsten sind. Wir garantieren Arbeitsplätze, von denen man leben kann, und wir garantieren Arbeitsplätze, wo die Bezahlung von Frauen und Männern gleich ist; das vergisst man immer sehr gern.

Es sind die Privatisierung und auch der versteckte Wertwettbewerb schön und gut, aber schlecht ist es, wenn dann Arbeitsplätze rauskommen, die besonders für Frauen eine enorme Verschlechterung darstellen. – Wir hingegen bieten soziale Sicherheit für einen sehr großen Teil der Bevölkerung!

Man sieht auch, wie man damit umgeht, wenn Abgrenzungen, was aus dieser Dienst­leistungsrichtlinie rauszunehmen ist, stattfinden: Sehr ungenau, schwach formuliert, sehr eng definiert; es scheint so, als ob sich da irgendwelche Lobbys durchgesetzt hätten.

Zum Beispiel: soziale Leistungen für bedürftige Personen. – Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als die österreichische Sozialpolitik davon ausgegangen ist, dass Sozialpolitik und Sozialleistungen für alle Menschen wichtig sind, ob sie dezidiert bedürftig sind oder nicht. Das war doch eine Grundlage des österreichischen Sozialsystems, und das war auch sehr wichtig. Man hat doch immer argumentiert, dass eine tragende Mehrheit der Bevölkerung dieses Sozialsystem auch unterstützt.

Wenn wir „poor services for poor people“ wollen, dann ist das der richtige Weg. Aber dann setzt man den öffentlichen Dienst, die sozialen Dienstleister enorm unter Druck!

Eine starke Basis in unserer Gesellschaft sind auch die Vereine und Unternehmen im Sozialbereich, die gemeinwohlorientiert sind. Und da wundert es mich schon sehr, dass auch von konservativer, von christlicher Seite diese Vehemenz für eine extreme Ökonomisierung kommt, denn es war doch einmal als gesellschaftliche Grundlage akzeptiert, dass der Sozialbereich und der öffentliche Dienst eine breite soziale Basis haben.

Ganz wichtig ist es, in der Diskussion auch zu erwähnen, dass die sozialen Rahmen­bedingungen der Gesellschaft auch definieren, wie die Privatwirtschaft arbeitet. Ich glaube, das sollte man viel breiter diskutieren. Einfach nur auf den Profit und auf die Preise zu achten – und so nebenbei das ganze Sozialsystem platt zu machen (Zwischenrufe bei der ÖVP) und horizontal zu bearbeiten und zu privatisieren, das wird es wohl nicht bringen!

Besondere Beachtung sollten Sie dem Grundsatz schenken, dass sich die Form der Organisation des Sozialen – und zwar weiter gedacht, auch in Bezug auf den Bereich des Arbeitsrechts – auch durch die Form der Erbringung definiert. Wenn wir davon reden, dass dann die öffentliche Hand zum Beispiel sagt, große Bereiche fallen unter die Dienstleistungsrichtlinie und sind einer stärkeren Ökonomisierung und Priva­tisierung ausgesetzt – Privatisierung auch in dem Sinne, dass der gemeinwohl­orientierte Bereich unter starken Druck kommt –, dann heißt das auch, dass der Inhalt des Sozialen in Österreich – das betrifft weitestgehend Sozial- und Gesundheits­leistungen – völlig verändert wird: hin zu einer sehr starken Profit-Orientierung. Das bedroht meiner Ansicht nach sehr stark den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.

Das ist keine isolierte Stellungnahme – weil Sie (in Richtung ÖVP) sich auf dieser Seite so echauffieren –, sondern das ist die Stellungnahme einer wirklich breiten gewerk­schaftlichen Bewegung in Europa, die eine sehr starke Basis in der Bevölkerung hat. Wenn es ein Europa sein soll, das wirklich soziale Grundwerte garantiert, genügt es nicht, diese festzuschreiben oder in irgendeiner Richtlinie als Vorrang zu definieren. Es müssen ja auch die materiellen Voraussetzungen gegeben sein, dass soziale Grund­rechte gelebt werden können.

Es braucht einen starken öffentlichen Dienst und öffentliche Dienstleistungen, denn der öffentliche Dienst ist nicht nur das, was die Kommune selbst als Grundlage erbringt, sondern die öffentliche Hand – besonders die Gemeinden in Österreich – ist ein wirklich starkes ökonomisches Rückgrat der Gesellschaft in Österreich. Ich glaube nicht, dass sich die Privatwirtschaft so rosige Vorstellungen machen sollte, weil eigentlich auch ihre eigene Lebensgrundlage stark bedroht ist, wenn die Bevölkerung in Österreich einer stärkeren Ökonomisierung ausgesetzt ist.

Abschließend möchte ich sagen, dass es tatsächlich um eine Art von Grund­satz­entscheidung geht. Es ist klar, diese Dienstleistungsrichtlinie entspricht jetzt dem politischen Mainstream; aber wir sollten die Diskussion weiterführen und forcieren, und wir sollten tatsächlich auf einer Basis von Grundwerten diskutieren.

Auch das Wort „Sozialunion“ muss materielle Grundlagen haben, sonst bleibt es wie immer nur sozusagen geschriebenes Wort, an das sich sowieso niemand hält. – Danke. (Beifall.)

12.22


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mitterer. – Bitte.

 


12.22.21

Bundesrat Peter Mitterer (ohne Fraktionszugehörigkeit, Kärnten)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich wollte mich ursprünglich nicht zu Wort melden, aber das ist gerade jetzt, auf Grund des letzten Redners, notwendig geworden.

Was mich bei der Verfolgung der Debatte etwas irritiert hat, war eigentlich die kontroversielle Debatte zu diesem sehr, sehr wichtigen Thema. Wir haben es ja schon in Europa sehr schwer, unsere Positionen zu verteidigen und zu festigen; umso schwieriger ist es, wenn wir im eigenen Lande nicht mit einer Zunge sprechen. Diese Diskussion hat eigentlich eher dazu geführt, dass wir Positionen beziehen und letztlich auch polarisieren. Dabei ist das nicht notwendig. Denn wenn man die einzelnen Punkte durchgeht, dann sind wir durchwegs fast auf einer Ebene.

Ich möchte nur drei Beispiele herausheben, an denen ich die Positionen der SPÖ und der Grünen entkräfte, da sie glauben, dass wir hier andere Positionen haben, und verweise auf die Positionen, die die Sozialministerin vertritt. Sie hat kritisch angemerkt, dass es die Ausnahme sozialer Dienstleistungen vom Anwendungsbereich gibt: Hier werden Beispiele angeführt, die eine exklusive Wirkung entfalten; damit wären die für uns wichtigen Bereiche der Dienstleistungen für pflegebedürftige und behinderte Menschen nicht vom Anwendungsbereich ausgenommen. – Das ist ein Punkt, den die Sozialministerin sicherlich auch in der Weiterverhandlung der Dienstleistungsrichtlinien vertreten wird.

Der zweite Punkt ist: Wenn nationale Einschränkungen des freien Dienstleistungs­verkehrs stattfinden können, wird auch der Verbraucherschutz nicht als Recht­fer­tigungs­grund genannt, was aus der Sicht des Konsumentenschutzes keine zufrieden stellende Lösung darstellen würde. – Da haben wir, glaube ich, mit Sozialministerin Haubner ebenfalls eine Kämpferin, um auch hier einzugreifen.

Durchwegs sind wir auch dort in der gleichen Position, Frau Abgeordnete, wo Sie gemeint haben, dass wir gegen eine Verlagerung von der politischen Ebene auf die Gerichtsebene sein sollten. (Abg. Sburny: Dann müssen Sie aber eine andere Richtlinie machen!) Auch darüber wird noch gesprochen werden, Frau Abgeordnete! Ich habe vorgestern und gestern an der Subsidiaritätskonferenz in St. Pölten teilgenommen, und dort haben nicht sozialdemokratische Vertreter die Forderung aufgestellt, dass in der EU die Politik die Verantwortung zu tragen hat und keinesfalls eine Verlagerung auf die Gerichtsebene stattfinden sollte. Personen wie Landes­hauptmann Pröll, Ministerpräsident Stoiber oder Verheugen sind sicherlich nicht Per­sonen, die Ihrem Kreise zuzurechnen sind. Wenn auch an so hoher Stelle das Gleiche wie von Ihnen gefordert wird, ist das der Beweis dafür, dass wir hier eigentlich ganz nahe beieinander liegen.

Wenn wir mit Bedacht vorgehen und nicht nur die Nationalratswahl im Oktober oder November vor Augen haben, sondern bedenken, dass mit diesen Richtlinien letztlich für Österreichs Wirtschaft und für die Arbeitnehmer etwas ganz Entscheidendes passieren sollte, dann sollten wir, bitte, auch hier in unserem Hause, in beiden Kammern dieses Hauses, mit einer Zunge sprechen! (Beifall.)

12.25


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Mir liegt keine weitere Wortmeldung mehr vor.

Wünscht noch jemand das Wort? – Dies ist nicht der Fall.

Daher möchte ich nun die Referenten, die uns die Einleitungs-Statements gegeben haben, noch bitten, eine Schlussrunde zu machen, falls sie das wünschen. Ich würde vorschlagen, dass wir in der gleichen Reihenfolge wie zu Beginn unserer Enquete vorgehen.

Somit frage ich Herrn Sektionsleiter Dr. Losch, ob er ein kurzes Resümee fassen möchte. – Bitte.

12.26.25Schlussworte

 


12.26.31

Referent Sektionsleiter Dr. Michael Losch (Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit)|: Das waren jetzt viele Beiträge in dieser Diskussion. Generell möchte ich voranstellen, dass wir im Moment diesen Kompromiss im Parlament haben. Es war ein harter und steiniger Weg dorthin. Nun ist es ein breiter Kompromiss mit 394 Pro-Stimmen zu 214 Kontra-Stimmen.

Nach diesem Kompromiss im Parlament haben in einer ersten Umfrage unter den Mitgliedstaaten doch 12 bis 18 Mitgliedstaaten eher in die Richtung argumentiert, dass die ursprüngliche Richtlinie nicht zu sehr verwässert werden sollte. Es war, wie gesagt, eher eine Koalition aus den neuen Mitgliedstaaten, die sich da mehr erwartet hätten, an Vereinfachung, in Bezug auf Entsendung und durchaus in Richtung – ich möchte jetzt nicht Sozialdumping sagen – von Möglichkeiten, sich wettbewerblich im Rest der EU zu bewegen.

Unterstützt wurden sie zunächst von Großbritannien, von den Niederlanden und am Anfang auch von Spanien. Es war also durchaus eine gefährliche Situation gegeben, und trotz dieses großen Erfolgs des Europäischen Parlaments – und da hat ja, wie gesagt, auch die sozialistische Fraktion und Herr Swoboda dafür gestimmt – ist dieser Kompromiss durchaus noch nicht im Trockenen, möchte ich einmal sagen. Wir haben uns entschieden – Minister Bartenstein, Kanzler Schüssel –, zu versuchen, Folgendes zu sagen: Das ist das Beste, was wir erreichen können, und versucht, diesen Kompromiss des Europäischen Parlaments sozusagen „einzulochen“, wenn man so will.

Die Kommission hat jetzt einige Dinge nachgebessert. Sie hat vor allem dieses Guidance-Papier geschaffen, und jetzt liegt meiner Ansicht nach die Verhandlungs­marge zwischen dem Parlamentsentwurf und dem neuen Kommissionsentwurf. Das ist meiner Auffassung nach der Spielraum, in dem es sich jetzt abspielt, wenn man diese Chance, dieses Window of Opportunity nützen möchte. Wenn man allerdings sagt, wir möchten jetzt sozusagen alles explodieren lassen, dann muss man natürlich eine andere Strategie verfolgen.

Wir glauben also, dass das die Marge ist, und deswegen habe ich die Unterschiede aufgeführt. Da bin ich durchaus auch dankbar für die Beiträge der anderen Referenten; wir haben das alles genau notiert. Wir möchten jetzt abwarten, wie die Mitgliedstaaten am Samstag – wir haben den halben Samstag zur Verfügung – reagieren werden, und werden anschließend dort und da noch das eine oder andere einbringen können. Daher war dies für uns durchaus sehr hilfreich, und zwar von beiden Seiten, weil es nicht so leicht ist, in diesen Formulierungen die Unterschiede zu finden. Minister Bartenstein war auch vor eineinhalb Wochen in Straßburg und hat mit der High-Level-Gruppe des IMCO abgeklärt, welche Punkte möglicherweise offen sind.

Wie gesagt, wir werden jetzt den zweiten Schritt erreichen. Wir warnen aber vor einem Aufschnüren des Pakets! Es gibt einerseits Forderungen wie zum Beispiel die von Frau Regner, die sich durchaus in diesem Spannungsfeld befinden – das hat man sich also sehr genau angeschaut –, andererseits gibt es auch Forderungen – insbesondere von Kollegin Aschauer –, die ich mir natürlich notiert habe, die aber nicht sozusagen zwi­schen Parlament und Kommission liegen, sondern weiter reichen, sodass schon das Ergebnis im Parlament für sie nicht zufrieden stellend war. Das ist natürlich gefährlich. Wenn wir das aufmachen, wird auch die andere Seite – die neuen Mitgliedstaaten, die Engländer, die Liberaleren oder wie auch immer – ihre Gegenforderungen einbringen. Wir würden daher in unserer Strategie eher darauf setzen, innerhalb dieser Marge zu bleiben. Das wird generell und von wichtigen Leuten, möchte ich einmal sagen, als Strategie gesehen.

Vielleicht darf ich kurz noch ganz konkret auf ein paar Anmerkungen eingehen. Frau Abgeordnete Hagenhofer hat mich direkt nach der Trauner Umfahrung gefragt, diesen zwölf Stunden, die zusätzlich geleistet werden, und hat auch ein zweites Beispiel vorgebracht. – Das ist aber gerade ein Fall, der nicht von der Dienstleistungsrichtlinie berührt wird, soweit ich das jetzt sehe. Durch die Streichung der Artikel 24 und 25 wollte man ein klares Zeichen setzen, diese Fragen sind somit auf Basis der be­stehenden Rechtslage zu beantworten, sprich Entsenderichtlinie, sprich Protokoll zum Beitrittsvertrag mit siebenjähriger Übergangsfrist, alle diese Themen. Die bestehende Rechtslage sowie das Leitlinienpapier von Kommissar Špidla sind hier weiter anzuwenden, das ist jetzt sozusagen der Effekt.

Soweit diese Dinge jetzt schon illegal sind, sind sie natürlich verfolgbar. Ich glaube, es ist klar, dass die Kollektivverträge an und für sich anzuwenden wären; wenn das nicht passiert, ist das eine Frage der Effektivität der Verfolgung. Was hier gemacht wird, liegt zwar nicht in meinem direkten Verantwortungsbereich, aber ich werde diese Fragen und Beispiele gerne weiterleiten, damit man das vielleicht konkret verfolgen kann. Meiner Einschätzung nach sind das auch jetzt schon Regelverstöße; beziehungsweise wenn Sie sagen, die bayrische Firma muss sich nur anmelden, wohingegen die in Österreich niedergelassene andere Regeln betreffen, das ist die österreichische Rechts­lage, dann muss man das noch genauer untersuchen. Aber ich glaube, das hat mit der Dienstleistungsrichtlinie nichts zu tun. Wenn schon, dann würde ich mir durch die verstärkte Behördenkooperation auf Grund der Richtlinie eher etwas in Richtung Verbesserung erwarten, aber jedenfalls keine materielle Regelung dazu.

Ein bisschen hat mich die Bemerkung von Herrn Bundesrat Gumplmaier getroffen, mit der Sie mich dafür, dass ich die Dienstleistungsfreiheit und die Warenverkehrsfreiheit als Teile der vier Freiheiten gemeinsam genannt habe, sozusagen gerügt haben. – Ich glaube, auch was die Warenverkehrsfreiheit betrifft, stehen bei der Erzeugung oder beim Handel von Waren letztendlich Menschen dahinter. Ob also eine Firma eine Ware erzeugt und im Wettbewerb gefordert ist, oder eine Dienstleistung – in diesem Sinne habe ich diesen Vergleich angestrengt und auf die an sich allgemein bekannten vier Freiheiten im Binnenmarkt verwiesen.

In Bezug auf die Stellungnahmen von Abgeordneten der Grünen möchte ich sagen, es ist natürlich klar, dass Harmonisierung auch Mehrheiten braucht. Wenn Sie gewisse Bereiche harmonisiert haben wollen, dann brauchen Sie in Europa die notwendigen Mehrheiten dafür, die höheren Standards Österreichs durchzusetzen und auf den Rest der EU zu verteilen. Ich glaube, wir sind einfach nicht in dieser Lage, wenn man das pragmatisch und realistisch sieht, und deshalb ist es, wenn man sich in diesen Dingen streitet, die einzige Lösung, Dinge herauszunehmen; das stimmt schon. Dement­sprechend ist auch die Herausnahme der Artikel 24 und 25 erfolgt, weil es hiezu keine Einigungsmöglichkeit in Europa gibt.

Das ist einfach eine Realität, mit der wir sozusagen pragmatisch leben, und es ist hier auch mein Job, zu versuchen, Kompromisse zu finden und für alle, insbesondere für Österreich verträgliche Lösungen abzusichern. Wir schauen natürlich, dass kein Lohn-Dumping vorkommt und auch die Špidla-Leitlinie in Ordnung ist – soweit es aussieht: ja. Harmonisierungen würden auch zu langfristigen Verschiebungen führen, wenn man das Postulat aufstellen würde, dass man erst dann Dienstleistungsfreiheit machen darf, wenn etwas harmonisiert ist. Das wollte die Kommission nicht, das will auch die Regierung nicht.

Dasselbe gilt für die Definition der Daseinsvorsorge. Es gibt einen langen Prozess von Grünbüchern und Weißbüchern der Kommission, die sich mit der Daseinsvorsorge beschäftigen, den nichtwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Daseinsvorsorge-Dienst­leis­tungen, dem Versuch, hier eine Abgrenzung zu machen. Das ist über Jahre nicht gelungen; das ist in der Kommission selbst nicht gelungen, als sie sich sozusagen noch nicht mit Mitgliedstaaten herumschlagen musste, und es gelingt auch jetzt kaum. Es ist auch irrsinnig schwer, zum Beispiel Sozialdienstleistungen zu definieren und als Ausnahme zu definieren. Das sind Problembereiche, die wir nicht lösen können.

Auch der Ruf nach einer klare Definition, „Wir brauchen eine Definition!“, ist im Moment nicht konsensfähig. Da möchte ich, gerade weil ich auch in St. Pölten war, auf das Subsidiaritätsprinzip verweisen. Die Mitgliedstaaten stehen – wie ich glaube, auch zu Recht – dazu, dass gewisse Daseinsvorsorgeleistungen vom Mitgliedstaat definiert werden. Damit ist natürlich auch ein Spannungsfeld gegeben. Wenn ich auf der einen Seite sage, ich möchte, dass die Mitgliedstaaten bürgernahe im Sinne des Subsidiaritätsprinzips die Definitionshoheit haben, dann tue ich mir natürlich schwer, in einem europäischen Rechtsakt eine gemeinsame Definition zu finden. Das ist im Prinzip ein Widerspruch in sich selbst, mit dem wir, glaube ich, leben müssen.

Eine letzte Bemerkung noch zu Bundesrat Schimböck und dem reglementierten Gewer­be in Italien: Das ist natürlich ein Thema der Berufsanerkennungsrichtlinie, die schon in Kraft ist. Da geht es um die Regelung, die ein Land für ein reglementiertes Gewerbe oder einen sonstigen regulierten Beruf nach europäischer Definition hat; dazu zählen in Österreich auch die freien Berufe, die Architekten und so weiter. Diese Regelungen sind jetzt beschlossen und in Kraft getreten, die Umsetzungsfrist läuft noch. In der Anerkennungsrichtlinie gilt zum Beispiel die Regel, dass die freie Ausübung, wenn diese für den Zeitraum von zwei Jahren nachgewiesen wird, ange­rechnet werden muss. Das ist aber direkt auch keine Angelegenheit der Dienst­richtungsrichtlinie, sondern da verweist auch die Dienstleistungsrichtlinie richtigerweise auf den Vorrang dieses bereits beschlossenen und geltenden Rechtsaktes. – Danke vielmals. (Beifall.)

12.37


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächste Rednerin ist Frau Regner. – Bitte.

 


12.37.19

Referentin Mag. Evelyn Regner (ÖGB-Europabüro Brüssel)|: Nur eine kleine Klarstellung in Richtung des Herrn Bundesrates Schennach, der vom „sozialpartner­schaftlichen Kompromiss“ im Europäischen Parlament gesprochen hat. – Das war natürlich ein Kompromiss der EVP und der SPE. Die Sozialpartner haben – auf allen Seiten, glaube ich – versucht, zu lobbyieren, was sie können, mit allen Mitteln, zu demonstrieren, Briefe zu schreiben. Aber das ist nicht unser Kompromiss gewesen.

Weiters eine kurze Replik an Frau Abgeordnete Felzmann: Sie haben sich darauf bezogen, dass es um die gemeinsame Zukunft geht. – Ja, genau darum geht es! Deshalb machen wir so viel „Tango“, so viel Tamtam um diese Dienstleistungsrichtlinie. Es haben die mittel- und osteuropäischen Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen mit uns demonstriert, weil sie auch verstanden haben, dass es sozusagen um Kopf und Kragen geht, was ihre Möglichkeiten, was ihre Rechte betrifft. Das ist eben der Grund, warum wir bei Sozialdienstleistungen, bei Gesundheitsdienstleistungen, bei all den Bereichen, die ich aufgezählt habe, nicht locker lassen möchten.

Zum Schluss möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie diese Enquete initiiert haben, denn je früher, je rechtzeitiger ein Thema, das auf EU-Ebene behandelt wird, national aufgegriffen wird, desto eher besteht auch die Möglichkeit, dass Sie etwas davon transportieren.

Ich merke jeden Tag bei der Arbeit in Brüssel, wie wunderbar es ist, wenn nationaler Druck gemacht wird, wenn von nationaler Ebene die Probleme aufgelistet und einge­bracht werden, und zwar nicht, wie es relativ oft passiert – ich möchte nicht sagen, zu spät –, sehr spät. Manchmal ist es dann auch wirklich zu spät.

Zum Schluss möchte ich sagen – und das sage ich gar nicht zynisch, obwohl wir natürlich immer wieder massivste Kritikpunkte an all der Arbeit, die seitens der Regierung gemacht wird, einbringen –, ich weiß haargenau, welche Wahnsinnsarbeit in den nächsten Tagen auf Sie zukommt. Wir wissen genau, wie die Kräfteverhältnisse im Rat sind. Wir bringen uns natürlich inhaltlich ein, und wir wollen nicht locker lassen, wir wollen den Druck, so gut es nur geht, erzeugen und auch erhalten. Aber ich weiß haargenau, dass es nicht einfach ist, in der Konstellation zehn gegen fünfzehn Mitgliedstaaten – oder je nachdem, wie eben die Verhältnisse sind – auch tatsächlich etwas durchzusetzen.

Nichtsdestoweniger: Qualität vor Geschwindigkeit, bitte! – Danke. (Beifall.)

12.39

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächste Rednerin ist Frau Mag. Aschauer. – Bitte.

 


12.40.15

Referentin Mag. Melitta Aschauer (Arbeiterkammer Wien)|: Ich möchte Ihnen zunächst für die Geduld danken, die Sie auch mit uns Fachexperten gehabt haben. Ich hoffe, es ist uns gelungen, dass wir Ihnen das breite Spektrum des Diskus­sions­prozesses aufgezeigt haben und dass wir auch einen Beitrag dazu leisten konnten, dass Sie mit dieser Diskussion sozusagen mehr Freude und mehr Identifikation auch in Hinkunft haben werden. Das ist natürlich damit verknüpft, dass Sie die Interessen, die hier aus meiner Sicht, aus Arbeitnehmersicht, zum Ausdruck gebracht worden sind, auch aufnehmen. Ich hoffe, es haben die Leute auch Sachen gehört, die sie nicht schon vorher gehört haben, und dass es sozusagen für sie auch Sinn gemacht hat.

Ich möchte auf zwei Sachen kurz eingehen, weil ich missverstanden wurde bei meiner Kritik an den Studien über die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie. Ich freue mich natürlich über jeden zusätzlichen Arbeitsplatz, den es in Österreich gibt, den es in Europa gibt. Ich wollte mit meiner Kritik nur zum Ausdruck bringen, dass ich glaube, dass die Dienstleistungsrichtlinie nicht einen Richtungswechsel in der makro­öko­nomischen Politik – in Richtung von mehr Wachstum und mehr Beschäftigung – ersetzen kann. Das wollte ich damit sagen.

Einen zweiten Punkt möchte ich noch einmal ansprechen, weil ihn auch Kollege Losch angesprochen hat. Für uns Arbeitnehmerorganisationen gehört die Frage der Kontrolle, der Sanktionierbarkeit und der Vollstreckung unmittelbar mit der Dienst­leistungsrichtlinie zusammen. Jetzt weiß ich schon, dass sich das nicht in der Marge befindet, die momentan in den Verhandlungen disponibel ist. Aber mit der Kontrolle und der Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten könnte Österreich sofort anfangen, dagegen spricht überhaupt nichts.

Was die Vollstreckung betrifft, gibt es auch die Möglichkeit bilateraler Abkommen. Natürlich würden wir eine Lösung bevorzugen, bei der die Dienstleistungsrichtlinie gemeinsam mit Kontrolle und Sanktionierung geregelt wird. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten, die flankierenden Maßnahmen, die zur Dienstleistungsrichtlinie gehö­ren, bilateral oder in Österreich umzusetzen.

Ich glaube, dass diese Dienstleistungsrichtlinie nur dann erfolgreich sein wird, wenn wir auch die flankierenden sozialen Maßnahmen entsprechend treffen werden. Ich glaube auch, dass sie nur dann erfolgreich sein wird, wenn wir den Konsumentenschutz und den Umweltschutz berücksichtigen. Und ich glaube, dass Jacques Delors mit seinem Wort „In einen Binnenmarkt allein kann man sich nicht verlieben, man braucht noch mehr an sozialen, flankierenden Maßnahmen darum“ schon sehr Recht gehabt hat. – Danke schön. (Beifall.)

12.43


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächste Rednerin ist Frau Mag. Fürnkranz. – Bitte.

 


12.43.11

Referentin Mag. Christina Fürnkranz (Industriellenvereinigung; Abteilung Industrie­politik)|: Vielen Dank auch von meiner Seite! Es war eine sehr interessante Erfahrung für mich, hier im Bundesrat zu sein. Es war auch sehr interessant, Ihre Diskus­sionsbeiträge zu hören und andere Gesichtspunkte kennen zu lernen. Viele Aspekte, die jetzt eingebracht worden sind, haben mir gezeigt, dass es immer noch wahnsinnig viele Missverständnisse zur Dienstleistungsrichtlinie gibt – was jetzt hineinfällt, was jetzt nicht hineinfällt –, die man jetzt auch nicht aufklären kann.

Ich möchte nur noch einmal darauf hinweisen, was in Österreich der Fall ist. Darin sind sich alle Experten einig, dass die Dienstleistungsfreiheit besteht. Diese ist nach dem EGV garantiert, und jeder hat eigentlich das Recht, nach Österreich zu kommen; das ist jetzt schon so. Österreich hat sehr geringe Barrieren, das heißt, es ist relativ einfach für jemand aus einem anderen Mitgliedstaat, nach Österreich zu kommen und etwas anzubieten. Deswegen gibt es ja vielleicht in den Grenzregionen jetzt schon Probleme. Diese werden durch die Dienstleistungsrichtlinie nicht verstärkt, sondern im Gegenteil: Das zwingt eigentlich dazu, die ungerechtfertigten Barrieren, die andere Länder aufgebaut haben, um sich ihre Schutzzonen zu schaffen, ein wenig zu reduzieren. Insofern glaube ich schon, dass die österreichischen Unternehmen dadurch Chancen haben und dass es zu ihrem Vorteil ist, wenn diese Barrieren beseitigt werden.

Außerdem glaube ich auch, dass gerade im Dienstleistungssektor das Niveau und die Qualität sehr wichtige Aspekte sind, viel mehr als bei einer Ware, die ich kaufe. Daher überlege ich mir gut, welchen Dienstleister ich nehme, und ich überlege mir gut, welche Qualitäten er hat. Insofern glaube ich, dass österreichische Unternehmen mit den hohen Qualitätsstandards, die wir haben, sehr gute Chancen haben.

Sektionsleiter Losch hat es schon angesprochen, was die Qualität unserer reglemen­tierten Berufe anbelangt: Das ist durch die Berufsanerkennungsrichtlinie aus meiner Sicht eigentlich gewährleistet. Das ist ein Bereich, der dort hingehört, da sehe ich also keine Probleme mehr.

Ich habe es schon in meinem Statement gesagt: Wir hätten uns das Herkunfts­landprinzip gewünscht, weil das für Unternehmen noch mehr Rechtsklarheit mit sich gebracht hätte. Es war ein sehr schwieriger Prozess; ich glaube, das haben jetzt alle Redner unterstrichen. Insofern glaube ich, dass das ein wichtiger, notwendiger Schritt ist, den wir jetzt machen sollten. Wir hätten uns vielleicht mehr gewünscht, aber es ist besser, einen Schritt zu machen, dann schauen wir uns an, wie es funktioniert, und in ein paar Jahren können wir vielleicht die nächsten Schritte setzen. – Danke. (Allgemeiner Beifall.)

12.45


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächster Redner ist Herr Mag. Stock. – Bitte.

 


12.45.36

Referent Mag. Markus Stock (Wirtschaftkammer Österreich; Abteilung EU-Koordination)|: Ich möchte auch auf einige Punkte eingehen, die in der Diskussion er­wähnt wurden, die teilweise auch immer wieder erwähnt wurden. Der erste Punkt ist die Auslagerung an die Gerichte. Es wurde mehrmals gesagt, durch die Dienst­leistungsrichtlinie finde eine Auslagerung an die Gerichte statt. Meines Erachtens ist genau das Gegenteil der Fall: Durch die Richtlinie kommt es zu einer zwar nur teilweisen, aber immerhin Eingliederung in den Gesetzgebungsrahmen, in den Rahmen einer allgemeinen Regelung, die vom Gesetzgeber geschaffen wurde.

Ich möchte ihnen das auch an einem ganz konkreten Beispiel zeigen, und zwar an der Frage der Formalitäten bei der Arbeitnehmerentsendung. Da hat der ursprüngliche Vorschlag eine Regelung enthalten, und dadurch wäre dieser Bereich – wir waren auch nicht glücklich damit, sind aber für eine Verbesserung und nicht für eine Streichung eingetreten – in den Rahmen einer vom Gesetzgeber geschaffenen Regelung gekom­men. Jetzt wurden – hauptsächlich auf Grund des Widerstandes der Arbeitnehmer­vertreter – diese Bestimmungen gestrichen. Was ist die Konsequenz? Wir haben eine Miteilung der Kommission – auch die Kommission ist kein Gesetzgeber –, die auf Rechts­prechung des Europäischen Gerichtshofes verweist und diese mehr oder weniger allgemein gültig festschreibt. So gesehen, glaube ich, ist der Vorwurf einer Auslagerung an die Gerichte nicht haltbar.

Der zweite Punkt ist die Überlegung: Soll man nicht eine sektorielle Harmonisierung anstreben? – Ich glaube, wenn man eine sektorielle Harmonisierung fordert, muss man auch dazusagen, dass damit die Verwirklichung des Dienstleistungs-Binnenmarktes auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben wird.

Auch das möchte ich an einem konkreten Beispiel festmachen. Es wurde die Harmonisierung der Entgelte angesprochen. Wenn man sich den EG-Vertrag anschaut, besteht derzeit keinerlei Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft, Entgeltfragen zu regeln. Das heißt, bevor Sie überhaupt eine Harmonisierung anden­ken können, müssen Sie den EG-Vertrag ändern, was die Zustimmung sämtlicher Mit­glied­staaten erfordert. Auch da glaube ich, wenn man die Hintergründe sieht, sind diese Vorschläge nicht wirklich zielführend.

Mir ist vorgeworfen worden, ich rede von Missverständnissen und gehe nicht darauf ein, dass berechtigte Ängste bestehen. (Abg. Sburny: Unterschiedliche Interessen!) Ich habe es, glaube ich, in meinen Ausführungen vorhin schon gesagt und möchte es noch einmal festhalten: Der ursprüngliche Kommissionsvorschlag war sicherlich nicht ideal. Nichtsdestoweniger bestehen Missverständnisse, und auch das möchte ich anhand eines konkreten Beispiels festhalten.

Es wurde heute in der Diskussion angesprochen, dass die Dienstleistungsrichtlinie Folgendes nicht klar festlege: Wer kann bestimmen? Wer ist Arbeitgeber oder Unter­nehmer? Wer ist Arbeitnehmer? Wer ist Scheinselbstständiger? – Meines Erachtens ist das ein klares Missverständnis. Denn wenn man sich die Mühe macht, den geänderten Vorschlag zu lesen, steht da ausdrücklich drin, dass die Festlegung, wer selbstständig ist, wer nicht selbstständig ist, wer scheinselbstständig ist, Aufgabe des Zielmitglied­staates ist. Das steht im Erwägungsgrund 41b, das kann man also nachlesen.

Auf die reglementierten Gewerbe ist schon eingegangen worden, ich möchte da ergänzend nur Folgendes hinzufügen: Wenn ein Anbieter aus einem Staat kommt und einen Beruf ausübt, der nicht reglementiert ist, diese Tätigkeit aber in Österreich reglementiert ist, muss er eine vergleichbare Qualifikation entweder schon haben oder erwerben. Es ist also nicht möglich, dass jemand Unqualifizierter in Österreich reglementierte Gewerbe ausübt.

Abschließend möchte ich es vielleicht eher plastisch ausdrücken: Die Dienstleis­tungsrichtlinie, wie sie derzeit vorliegt, der Kompromiss, der gefunden wurde, ist sicher­lich keine Schönheit. Allerdings kann er sich unseres Erachtens, meines Erachtens durchaus als wertvolles Instrument zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit herausstellen. Davon würden im Endeffekt sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer und auch die Konsumenten profitieren. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP.)

12.49


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächste Rednerin ist Frau Litschel. – Bitte.

 


12.50.08

Referentin Veronika Litschel (Vorsitzende des Netzwerkes Sozialwirtschaft)|: Ich bleibe dabei, denn in bestimmten Punkten bin ich von Ihnen nicht überzeugt worden, schon gar nicht was diese Delegierung an den EuGH betrifft.

Es geht nicht darum, eine Entscheidung auf den EuGH zu verlagern, denn: Mit der Dienstleistungsrichtlinie werden Grenzfälle geschaffen, die politisch zu entscheiden sind! Nochmals: Über diese Bereiche ist politisch zu entscheiden, und zwar: Will man, dass das einem freien Dienstleistungswettbewerb unterworfen wird – oder will man das nicht? Will man, dass Rahmenbedingungen festgeschrieben werden – oder will man das nicht?

Mit Grenzfällen, die nicht definiert werden, mit Graubereichen, die man in der Dienst­leistungsrichtlinie bestehen lässt, wird eine Entscheidung an den EuGH delegiert, eine Entscheidung, die jedoch zweifelsohne eine politische ist. Und der EuGH wird von seinem Selbstverständnis her sicherlich nicht politisch, sondern juristisch ent­scheiden! Das ist der Unterschied! – Das ist doch etwas anderes, als wenn man sagt, man verlagert sozusagen irgendetwas an den EuGH.

Ich wollte auch noch auf das eingehen, was Herr Dr. Losch gesagt hat. Ich verstehe, dass man sehr große Probleme damit hat, bestimmte Dinge zu definieren, gerade einen Bereich wie etwa soziale Dienstleistungen.

Ich bewege mich seit Jahren in diesem Bereich, auch auf Ebene der Europäischen Union, und zwar in verschiedensten Netzwerken – und kann daher sagen: Wir brau­chen immer sehr lange, bis wir über das Gleiche reden, aber das ist meiner Überzeugung nach doch kein Grund, etwas nicht zu regulieren beziehungsweise etwas zu deregulieren – oder gar, Mitgliedsländer dazu aufzufordern, das zu deregulieren. Das geschieht jedoch indirekt mit der Dienstleistungsrichtlinie.

In dem Moment, in dem man die Regulierung im Sozialbereich zurückdrängt und sagt, dass das kein besonders schützenswerter Bereich mehr ist, hat man im Sozialbereich ganz normale Kundenbeziehungen, und dann kann sich ein Dienstleistungserbringer aussuchen, welche Kunden er nimmt. Dann kommt es natürlich dazu, dass sich Dienst­leistungserbringer die „leichteren“, die „besseren“ Kunden – unter Anführungszeichen – aussuchen, weil diese gewinnbringender sind. Damit bleiben dann der öffentlichen Hand die so genannten Problemfälle, denn jemand muss sich auch um diese küm­mern; jemand muss sich auch um bedürftige Menschen kümmern. Problemfälle sind teuer, sie sind aufwendig, und der Sozialbereich steht hinsichtlich der Kosten ohnehin schon mehr als genug unter Druck. Das führt dann dazu, dass es dieses berühmte und schon zum Stehsatz gewordene „poor services for poor people“ gibt, dass diese von der öffentlichen Hand erbracht werden, denn die anderen können sich ohnehin etwas dazukaufen.

Soziale Arbeit in den Bereich der Gewinnerzielung überzuführen, halte ich für wirklich schwierig. Man kann die Entscheidung treffen, dass man über das bestehende Sozialsystem, wie es jetzt existiert, eben mit seinem gestützten Bereich, diskutieren möchte, aber dann muss man tatsächlich darüber diskutieren – und es nicht über den Umweg einer Dienstleistungsrichtlinie dem Wettbewerb öffnen und dann die Mitglied­staaten vor vollendete Tatsachen stellen! Das wird einfach zu wenig diskutiert.

Abschließend: Je konkreter die Formulierung ist, desto größer wird die Rechts­sicher­heit sein. Es besteht absolut kein Zeitdruck, jetzt irgendwie schnell diese Dienst­leistungsrichtlinie zu verabschieden, sondern man kann sich in völliger Ruhe an­schauen, wo man zusammenkommt und wo nicht. Wo keine Harmonisierung zustande kommt, dort wird man es eben noch nicht europaweit öffnen.

Nochmals: Man sollte sich einfach mehr Zeit lassen, dann kann man vielleicht zu einer Lösung kommen, die wesentlich besser hält, als dass jetzt, und zwar über viele Jahre hinweg, Rechtsunsicherheit geschaffen wird, und man sich letztendlich immer nur über EuGH-Präzedenzfälle weiterhantelt. – Danke schön. (Allgemeiner Beifall.)

12.53


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Ich danke auch für diese Ausführungen aus dem Kreise der Referentinnen und Referenten.

Da keine weiteren Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich die Debatte.

*****

Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern darf ich für das große Interesse, das sie an der Themenstellung dieser Enquete gezeigt haben, ganz herzlich danken. Danken darf ich auch dafür, dass es so viele wertvolle Diskussionsbeiträge zu diesem Thema gegeben hat.

Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für Ihr Kommen und wünsche Ihnen eine gute Heimreise! Herzlichen Dank! (Allgemeiner Beifall.)

12.54.29Schluss der Enquete: 12.54 Uhr

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum:

Parlamentsdirektion

1017 Wien