„Bildung – Beruf – Wirtschaft – Mehr Chancen für Alle“

 

 

 

 

 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Dienstag, 11. Dezember 2007

 

(Stenographisches Protokoll)

 

 


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Dienstag, 11. Dezember 2007

(XXIII. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Bildung – Beruf – Wirtschaft – Mehr Chancen für Alle“

Dauer der Enquete

Dienstag, 11. Dezember 2007: 9.06 – 13.24 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung

Präsident des Bundesrates Mag. Wolfgang Erlitz

II. Referate

Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied

Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Johannes Hahn

Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Christine Marek

Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz Dr. Erwin Buchinger

Statements von Expertinnen und Experten sowie Mitgliedern des Bundesrates

Dr. Herbert Buchinger (Arbeitsmarktservice)

Dr. Johannes Kopf (Arbeitsmarktservice)

Mag. Peter Schlögl (Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung)

Stadtrat Johann Mayer (Stadt Linz)

Johannes Fenz (Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs)

Mag. Thomas Mayr (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft)

Univ.-Prof. Dr. Hans G. Schuetze (University of British Columbia, Vancouver; Kanada)

Edith Kugi (Arbeiterkammer für Wien; Abteilungsleiterin der Abteilung Lehrling- und Jugendschutz)

Dr. Michael Landertshammer (Wirtschaftskammer Österreich; Leiter der Abteilung für Bildungspolitik)

Dr. Gerhard Riemer (Industriellenvereinigung; Bereichsleiter Bildung, Innovation, For­schung)

Ing. Alexander Prischl (ÖGB; Leiter des Referates für Berufsbildung)

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich)

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich)

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol)

Bundesrätin Monika Mühlwerth (ohne Fraktionszugehörigkeit, Wien)

III. Diskussion und Fragerunden an die Referentinnen und Referenten

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Vorsitzender Präsident des Bundesrates Mag. Wolfgang Erlitz .............................. 4

II. Referate

Referentin Bundesministerin Dr. Claudia Schmied .................................................. 6

Referent Bundesminister Dr. Johannes Hahn ........................................................... 8

Referentin Staatssekretärin Christine Marek ........................................................... 12

Referent Bundesminister Dr. Erwin Buchinger ....................................................... 16

Statements von Expertinnen und Experten sowie Mitgliedern des Bundes­rates

Dr. Herbert Buchinger ................................................................................................. 19

Dr. Johannes Kopf ....................................................................................................... 21

Mag. Peter Schlögl ....................................................................................................... 23

Stadtrat Johann Mayer ................................................................................................ 26

Johannes Fenz .............................................................................................................. 28

Mag. Thomas Mayr ...................................................................................................... 30

Univ.-Prof. Dr. Hans G. Schuetze ............................................................................... 32

Edith Kugi ..................................................................................................................... 35

Dr. Michael Landertshammer ..................................................................................... 36

Dr. Gerhard Riemer ..................................................................................................... 38

Ing. Alexander Prischl .................................................................................................. 40

Bundesrat Wolfgang Schimböck ............................................................................... 42

Bundesrätin Sonja Zwazl ............................................................................................ 44

Bundesrätin Eva Konrad ............................................................................................. 46

Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 48

III. Diskussion und Fragerunden an die Referentinnen und Referenten

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth ........................................................................ 50

Dr. Otto Prantl .............................................................................................................. 51

Bundesrat Dr. Andreas Schnider ............................................................................... 52

Abg. DDr. Erwin Niederwieser ................................................................................... 53

Bundesrat Erwin Preiner ............................................................................................. 55

Abg. Veit Schalle .......................................................................................................... 56

Abg. Dr. Kurt Grünewald ............................................................................................ 57

Abg. Franz Kirchgatterer ............................................................................................. 59

Abg. Silvia Fuhrmann .................................................................................................. 59

Abg. Dkfm. Dr. Hannes Bauer .................................................................................... 61

Dr. Raimund Ahr .......................................................................................................... 63

Abg. Mag. Peter Eisenschenk ..................................................................................... 64

Geschäftsbehandlung

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 28


09.06.14Beginn der Enquete: 9.06 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Mag. Wolfgang Erlitz, Vizepräsident des Bundesrates Jürgen Weiss, Vizepräsidentin des Bundesrates Anna Elisabeth Hasel­bach.

*****

09.06.15I. Eröffnung

 


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Bildung – Beruf – Wirt­schaft – Mehr Chancen für alle“, und ich danke Ihnen, dass Sie der Einladung zu die­ser Enquete so zahlreich gefolgt sind.

Ich begrüße alle Anwesenden sehr herzlich, und mein besonderer Gruß gilt den Refe­rentinnen und Referenten, allen voran Frau Bundesministerin Dr. Claudia Schmied, Herrn Bundesminister Dr. Johannes Hahn und Herrn Bundesminister Dr. Buchinger, der derzeit verhindert ist und erst etwas später zur Enquete kommen wird, sowie vor allem Frau Staatssekretärin Christine Marek.

Weiters begrüße ich sehr herzlich alle Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates, die Vertreterinnen und Vertreter des Bundeskanzleramtes und der Bundesministerien, der Länder, des Österreichischen Städtebundes, der Verbindungsstelle der Bundeslän­der, des Österreichischen Gemeindebundes, der Österreichischen Hochschülerschaft, der Bundesschülervertretung sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft ge­machten Vertreterinnen und Vertreter, die heute als Expertinnen und Experten zu die­ser Enquete geladen sind. Nicht zuletzt darf ich die Vertreterinnen und Vertreter der Medien willkommen heißen.

Bevor wir in die Beratungen eingehen, werde ich den geplanten Ablauf der Enquete kurz skizzieren:

Zunächst werden die Referenten und Referentinnen sowie jeweils eine Mandatarin/ein Mandatar beziehungsweise je ein Bundesrat/eine Bundesrätin pro Fraktion ein Einlei­tungsstatement mit je 10 Minuten beziehungsweise 6 Minuten abgeben.

Um zirka 10.45 Uhr darf zu einer kleinen Pause ins Lokal V, welches sich nebenan be­findet, gebeten werden.

Im Anschluss an die Statements werden wir in die Diskussion eintreten. Zur Teilnahme an der Diskussion bitte ich Sie, sich mit den vorgedruckten Kärtchen schriftlich anzu­melden und diese den an meiner Seite sitzenden Mitarbeitern zu übergeben. Ihre Wort­meldung wird dann in eine Rednerliste aufgenommen werden.

Für die Diskussion ist vereinbart, dass die einzelnen Wortmeldungen eine Dauer von 5 Minuten nicht überschreiten sollen. Ich ersuche Sie, diese Redezeiten einzuhalten.

Frau Bundesministerin Dr. Schmied kann leider nicht die ganze Zeit über an der En­quete teilnehmen – aber sie wird länger da sein, als ursprünglich geplant – und wird sie vor der Diskussion noch verlassen. Allerdings ist auch eine Mitarbeiterin ihres Ministe­riums anwesend.

Da Herr Bundesminister Dr. Buchinger erst später zur Enquete kommen wird, ersuche ich Frau Staatssekretärin Marek, ihr Referat an das des Herrn Bundesministers Dr. Hahn anzuschließen.

Ich darf Ihnen vor meinem einleitenden Statement noch einige technische Hinweise geben: Über die heutige Enquete wird ein Stenographisches Protokoll verfasst, das aufgrund der – bedingt durch die Untersuchungsausschüsse – nach wie vor laufenden Nachbearbeitung von Plenarsitzungsprotokollen in zirka drei Monaten im Internet unter www.parlament.gv.at für sämtliche TeilnehmerInnen abrufbar sein wird.

Ich ersuche die Referentinnen und Referenten sowie alle DiskussionsteilnehmerInnen, ihre Wortmeldungen über das Mikrofon am Rednerpult abzugeben. In regelmäßigen Abständen werde ich die mir vorliegenden Wortmeldungen bekannt geben.

Ich komme damit zu meinem Statement und möchte mich zu Beginn bei den Initiatoren und Initiatorinnen – die ich hiermit nochmals herzlich begrüßen darf – sowie bei den OrganisatorInnen dieser Veranstaltung bedanken. Ich freue mich, ehrlich gesagt, sehr, dass diese Bildungs- oder Ausbildungsdebatte hier im Bundesrat noch in der Zeit mei­ner Präsidentschaft stattfindet. Wie Sie wissen, bin ich ja Präsident des Landesschulra­tes der Steiermark, und deswegen ist das ein Thema, das mich besonders interessiert.

Tatsächlich befinden wir uns in einem enorm dynamischen weltweiten Bildungsprozess in einer globalisierten Welt. Es wird immer deutlicher, dass die Investition in Bildung und Entwicklung von Wissen, von Fähigkeiten, von Kompetenzen und Schlüsselquali­fikationen sowohl für den Einzelnen wie auch für das gesamte Land, für die Volkswirt­schaft von besonderem Vorteil ist, wirtschaftliche und soziale Vorteile bringt.

Bildung wird immer mehr zur Grundlage für Wohlstand, für Wertschöpfung, für Wettbe­werbsfähigkeit, und sie trägt wesentlich zur gesamten gesellschaftlichen Entwicklung bei. Ich denke nur an die Gesundheit: Gesundheit ist nicht nur eine Folge individuellen Verhaltens, sondern wir kennen den Zusammenhang zwischen Bildungsniveau, sozia­lem Status und gesundheitlichem Wohlbefinden. Oder: Bildung trägt auch bei zur sozi­alen Kohäsion. Vor allem übernimmt Bildung aber immer stärker die Rolle der Wachs­tumstreiberin. Sie ist zuständig für den Produktivitätszuwachs. Waren vor zehn Jahren für den Produktivitätszuwachs 50 Prozent Bildung und 50 Prozent Kapital erforderlich, sind heute für diesen Zuwachs 20 Prozent Kapital und 80 Prozent Bildung notwendig. Und in Zukunft werden es 10 Prozent Kapital und 90 Prozent Bildung sein, die erforder­lich sind, um die Produktivität wachsen zu lassen.

Die Industriellenvereinigung meint dazu, Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien, die von 1995 bis 2006 weniger in Bildung und Innovation investiert haben, verzeichnen gegenüber Ländern mit hohen Investitionen, wie Schweden, Finnland, Dänemark, ge­ringere Wachstumsraten.

Das österreichische Bildungswesen liegt im internationalen Vergleich, wie wir ja an­hand der neuesten PISA-Ergebnisse feststellen mussten, bestenfalls im Mittelfeld. Je­denfalls sind wir von Spitzenpositionen weit entfernt. Deshalb meine ich, dass großer Handlungsbedarf besteht. Und im Verhältnis zum Wohlstand investiert Österreich, so meine ich, doch zu wenig in Bildung. Das meint auch die Industriellenvereinigung.

Die jüngste OECD-Studie 2007, der OECD-Bericht 2007 belegt dies auch: Von 30 OECD-Ländern liegt Österreich an 19. Stelle bei den Ausgaben für Bildung im Verhältnis zum Volkseinkommen, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Der OECD-Schnitt liegt bei 6,2 Prozent, Österreich gibt 5,4 Prozent für Bildung aus.

Was besonders unerfreulich ist, ist, dass diese Ausgaben in Bezug auf 1995 deutlich gesunken sind – wir haben im Jahr 1995 schon deutlich mehr ausgegeben, über 6 Pro­zent –, obwohl Österreich laut IV auf der anderen Seite zu den reichsten Nationen der Welt zählt: Wir nehmen den dritten Platz innerhalb der EU ein und liegen in der OECD auf dem fünften Platz.

Ich meine daher, wir stehen vor notwendigen, entscheidenden Weichenstellungen. Der Reformbedarf unseres Schulsystems ist unübersehbar. Es muss uns einfach gelingen, mehr Menschen zu höheren Bildungsabschlüssen zu führen und sie für das lebens­begleitende Lernen vorzubereiten. Systembedingte und strukturelle Barrieren, die das Lernen behindern und Ungleichheiten verstärken, sind, meine ich, zu beseitigen. Seit sich der politische Wind in Bund und Land gedreht hat, steht gerade auch in der Steier­mark ein Fenster offen, eine solche Strukturreform zu versuchen. In bildungspolitischer Hinsicht sollen die Modellregionen eben einen Beitrag dazu leisten, die systemischen Schwachstellen des österreichischen Schulsystems auszumerzen, das heißt: die schichtenspezifische Zuteilung der Schülerinnen und Schüler, die soziale Benachteili­gung, die regionale Chancenungleichheit, die geringe Leistungsfähigkeit des Schul­systems, seine Fehlorientierung oder auch die nachlassende Bindung der Schüler und Schülerinnen an ihre Schule.

All das lässt sich nicht kostenneutral durchführen. Hier sind, so glaube ich, neben ent­sprechendem persönlichem Engagement aller Beteiligten auch die notwendigen Res­sourcen von unabdingbarer Notwendigkeit. Das war mein einbegleitendes Statement zu diesem Thema.

09.14.38II. Referate

 


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Ich erteile nun Frau Bundesministerin Dr. Schmied als erster Referentin das Wort. – Bitte, Frau Ministerin.

 


9.14.40

Referentin Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich beginne mein Statement mit zwei Aussagen. Aussage Nummer eins: Spitzenleistungen brauchen eine breite Basis. Aussage Nummer zwei: Leistung und Freude sind kein Widerspruch. Ich denke, es geht darum, dass wir die Begabungen und Talente aller Menschen von einem möglichst frühen Stadium an bestmöglich fördern. Es geht dabei auch um Neu­gier, um Entdeckergeist, aber auch um Eigenständigkeit, die Entwicklung einer selbst­bewussten Persönlichkeit.

Es gibt in Österreich große Bevölkerungsgruppen – ich denke vor allem an sozial be­nachteiligte Menschen, aber auch an Menschen mit Migrationshintergrund –, die noch nicht ausreichend gefördert werden und deren Potenzial derzeit nicht zur Entfaltung kommt. Wir müssen bedenken, dass Qualifikation und Beschäftigungsfähigkeit in einer sehr, sehr engen Verbindung zueinander stehen. Es ist heute – Präsident Erlitz hat es in seiner Einleitung ja auch betont – eine Grundvoraussetzung für Leben und Arbeit in einer innovationsorientierten Gesellschaft, dass möglichst alle Menschen über zentrale Schlüsselkompetenzen wie Lesen, Schreiben, Mathematik, Fremdsprachen verfügen, und über soziale und kulturelle Kompetenz. Es geht bei Bildung um mehr als um Wis­sensvermittlung, es geht auch um die Vermittlung von Werten, um die Entwicklung der Persönlichkeit.

Wir können, wollen und sollen uns nicht länger ein Bildungssystem leisten, das Bil­dungserfolge in hohem Maß vom Status der Eltern abhängig macht. Wir können und sollen uns nicht länger ein Bildungssystem leisten, das laut letzter PISA-Studie 30 Pro­zent der Schülerinnen und Schüler als Risikoschüler aus der Schulpflicht entlässt, ein Bildungssystem, das Kinder mit Migrationshintergrund nicht optimal in unsere Gesell­schaft integriert. Wir sind als für die Bildungspolitik Verantwortliche verpflichtet, un­gleiche individuelle Ausgangsbedingungen in gleiche Chancen zu verwandeln, und das in jeder Lebensphase. Es ist aus meiner Sicht Zeit, zu handeln.

Was ist konkret zu tun? – Ich möchte Ihnen einige Maßnahmen nennen, die wir im Rahmen der Bundesregierung umsetzen beziehungsweise vorbereiten.

Ich halte es für zentral und notwendig, den Kindergarten in Richtung Bildungsgarten weiterzuentwickeln, mit einer verpflichtenden Sprachförderung, jedenfalls in dem Jahr vor der Volksschule. Wir haben hier auch eine Artikel-15a-Vereinbarung vorbereitet. Der Bund wird für die Sprachförderung die bisher eingesetzten Mittel verzehnfachen – statt 500 000 € werden 5 Millionen € pro Jahr zur Verfügung stehen –, und ich hoffe sehr, dass die Bundesländer jetzt rasch den bereits vorbereiteten 15a-Vertrag unter­zeichnen, damit wir in die Umsetzung gehen können und dieses Projekt plangemäß im September 2008 startet.

Nächster Punkt: es ist wichtig, speziell in der Volksschule, aber auch in der Sekundar­stufe I den Schüler, die Schülerin in den Mittelpunkt zu stellen. Was meine ich damit? – Die individuelle Förderung ganz groß zu schreiben. Das „Projekt 25“, nämlich kleinere Klassen, ist in diesem Zusammenhang entscheidend. Es geht hier vor allem um trag­fähige Beziehungen zwischen Lehrern/Lehrerinnen und ihren Schülern und Schüle­rinnen, und hier ist es wichtig, dass wir kleinere Klassen ermöglichen. Wir sind dabei, hiefür auch die gesetzliche Grundlage vorzubereiten, sodass dieses Projekt dann auch auf gesetzlicher Basis fortgesetzt werden kann. Wir verbinden das auch mit einem pädagogischen Begleitprogramm, das die Individualisierung, Teamunterricht, spezielle Förderung, vor allem aber auch Diagnosekompetenz für die Lehrer und Lehrerinnen in den Mittelpunkt rückt.

Weiters ist es wesentlich, dass wir die ganztägigen Betreuungsangebote, aber auch die ganztägigen Schulformen weiterentwickeln. Die Bundesregierung hat die Zahl der Betreuungsplätze beträchtlich ausgeweitet. Hier geht es aber nicht nur um Quantität, hier geht es auch ganz stark um Qualität. Mein Ressort hat daher ein Gütesiegel erar­beitet, das die Besten auszeichnet, mit einem Gütesiegel versieht, sodass die Eltern hier auch klar Bescheid wissen, wo höchste Qualität geboten wird.

Ein weiterer wesentlicher Punkt – und hier arbeiten Minister Hahn und ich sehr eng zu­sammen – ist die ganz wesentliche Frage der Bildungsentscheidung und der Berufs­entscheidung.

Wir wollen hier in ein qualifiziertes Bildungs- und Berufsberatungsangebot einsteigen, wollen das schon sehr früh auch in den Schulen verankern, damit wir in Kooperation mit den Universitäten, den Fachhochschulen, den Unternehmen, dem Arbeitsmarkt­service, anderen Bildungseinrichtungen, vor allem auch mit den Sozialpartnern eine attraktive Bildungs- und Berufsberatung anbieten können, um den jungen Menschen eine bessere Fundierung für diese ganz wichtige Entscheidung im Leben zu geben.

Weiters werden wir den nationalen Qualifikationsrahmen fertig stellen. Und zwei we­sentliche Projekte auch des Jahres 2008 werden sein: erstens kostenlose Bildungsab­schlüsse aller formalen Ausbildungen der Sekundarstufe I und II. Es ist einfach wichtig, dass die Durchlässigkeit im Bildungssystem gegeben ist und dass es immer auch mög­lich ist, sich weiterzubilden, Bildungsabschlüsse nachzuholen und damit auch zu einem späteren Zeitpunkt wieder in Bildungsprozesse einzusteigen.

Und ein weiteres wichtiges Projekt, das wir auch in enger Kooperation mit den Sozial­partnern gerade erarbeiten, ist das Projekt Lehre mit Matura, Lehre mit Reifeprüfung, wo wir auch 2008/09 mit einem Pilotjahr starten wollen.

Wir müssen in die Neugestaltung von Lernen investieren und auch unser Bildungssys­tem selbst einem Innovationsprozess unterziehen. Man kann das auch als gleichzeiti­ges Arbeiten am System und im System bezeichnen.

Klar muss uns sein, dass wir das, was im Elternhaus, im Kindergarten, in der Schule verabsäumt wird, später nur mit großer Mühe nachholen können. Daher sind Investi­tionen und Innovationen hier so wichtig. Auch muss lebensbegleitendes Lernen eine hohe gesellschaftliche Anerkennung erfahren, einen hohen Wert in unserer Gesell­schaft haben.

Die strategischen Überlegungen der Industriellenvereinigung gehen in diese Richtung, und auch die Sozialpartner fordern dies sehr deutlich in ihrem Positionspapier „Chance Bildung“. Und in diesem Sinn fühle ich mich von beiden Gruppierungen sehr unterstützt bei meinen Reformbestrebungen und Arbeiten.

Lebensbegleitendes Lernen ist im Regierungsprogramm verankert. Die konkreten Zielsetzungen lauten: Forcierung lebenslangen Lernens sowie Ausarbeitung eines LLL-Strategiepapiers.

Internationalen Rückenwind bekommen wir auch von der Europäischen Union. Die Europäische Kommission misst dies in Indikatoren zum lebensbegleitenden Lernen und hat eine Sollgröße von 12,5 Prozent als Weiterbildungsquote definiert. Österreich liegt bei 13,1 Prozent, also eine gute Grundlage, um da anzusetzen, aufzusetzen und die einzelnen Maßnahmen durchzuführen.

Insbesondere Schulen, aber auch alle anderen Bildungseinrichtungen müssen zu offe­nen, attraktiven Orten für Innovation und Kreativität werden. Nach meinem Verständnis sind Investitionen in die Bildung, Investitionen in eine nachhaltige und innovative Wei­terentwicklung Österreichs auch Grundlage für eine konfliktfreie gesellschaftliche Ent­wicklung.

Ich lade Sie alle, meine sehr geehrten Damen und Herren, herzlich ein, mit mir gemein­sam an einer intensiven Vernetzung aller Bildungsinstitutionen, an einer intensiven Vernetzung auch von Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft zu arbeiten. Unser Be­wusstsein, unser gemeinsames Bewusstsein muss wachsen, dass wir diese Bereiche nicht mehr isoliert betrachten, sondern als ein harmonisches Ganzes. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

9.24


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Danke, Frau Bundesministerin, für diesen Beitrag.

Ich erteile nun Herrn Bundesminister Dr. Hahn das Wort. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


9.24.54

Referent Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Johannes Hahn|: Herr Präsident! Hoher Bundesrat! Einen schönen guten Morgen! Wissen ist die Wäh­rung der Zukunft. Das ist schon hinlänglich oft gesagt worden und wird heute wahr­scheinlich noch öfters gesagt werden.

Anfang der siebziger Jahre hat schon ein gewisser Daniel Bell – nicht zu verwechseln mit jenem Bell, der vor weit über hundert Jahren das Telefon mit entwickelt hat – von der Wissensgesellschaft gesprochen. Seitdem begleitet uns dieser Begriff und wird manchmal durch den Kakao gezogen. Aber ich denke, in Summe ist der Befund ein absolut richtiger, dass wir uns in einer wissensbasierten Gesellschaft befinden.

Zu den Ausführungen des Herrn Präsidenten zu Beginn: Die Prozentzahlen kann ich nicht bestätigen, aber auch nicht leugnen, aber von der Grundtendenz wird es wohl stimmen, dass der Anteil des Wissens im Vergleich zum Kapitaleinsatz insgesamt im­mer bedeutsamer wird. Einen Kapitaleinsatz braucht man zwar auch, aber die Dinge müssen miteinander ordentlich verwoben sein.

Ich denke, dass der Staat, die Gesellschaft in der Vergangenheit die Verantwortung für die Qualifizierung unserer jungen Leute zu tragen hatte, diese auch in der Gegenwart zu tragen hat, dies auch in Zukunft tun wird und an dem nicht zu rütteln ist.

In diesem Zusammenhang muss einem schon der Umstand zu denken geben – ich glaube, ich habe in öffentlichen Stellungnahmen hinlänglich meine Skepsis, was PISA-Test et cetera anbelangt, klargestellt, und ich klammere mich auch nicht an jede ein­zelne Prozentziffer –, dass auch da wieder deutlich geworden ist, was wir ohnedies eigentlich schon seit einem längeren Zeitraum wissen, dass es eine durchaus beacht­liche strukturierte Leseschwäche unter den österreichischen Jugendlichen gibt. Es ist daher notwendig, dass wir gemeinsam darüber nachdenken, wie wir zu bestmöglichen Qualifizierungen kommen.

Und wir sollten dabei nicht immer nur auf – wie soll ich sagen? – Akademikerquoten und dergleichen schielen, sondern das Entscheidende ist, dass wir Qualifikationen zu­stande bringen, die unseren Kindern, unseren jungen Menschen Jobperspektiven ge­ben.

In diesem Zusammenhang – auch schon oft genug gesagt –: Wir schauen zwar immer mit großer Ehrfurcht nach Finnland und begeilen uns sozusagen im wahrsten Sinne des Wortes an herausgegriffenen Kennziffern, aber man sollte auch immer das Ganze betrachten. Und das Ganze heißt in etwa, dass zum Beispiel die Finnen bei der Ju­gendarbeitslosenquote einen doppelt so hohen Wert haben, wie das in Österreich der Fall ist. Das heißt, es ist mit Fug und Recht die Frage zu stellen: Wie optimal ist das Ausbildungssystem dann im Hinblick auf die Berufsqualifikation? Und das ist letztlich die entscheidende Frage.

Aber ich freue mich trotzdem, Ihnen auch hier wieder sagen zu dürfen, dass gerade in den letzten sechs, sieben Jahren die Zahl derer, die an die Universität gegangen sind, um 38 Prozent zugenommen hat, die Zahl derer, die an den Universitäten einen Ab­schluss aufzuweisen haben, um 42 Prozent zugenommen hat.

Wir werden im Laufe der Zeit in der Tat eine Verbesserung der Akademikerquote haben. Ich sage das auch deshalb, weil wir auch da immer wie das Kaninchen auf die Schlange auf jede einzelne PISA-Ziffer schielen. Und man muss gelegentlich in Erinne­rung rufen, dass die Akademikerquote, die uns immer wieder vorgehalten wird, eine Befundaufnahme aller 25- bis 64-Jährigen einer Gesellschaft, die einen akademischen Abschluss haben, ist. Daher kann ich Ihnen, ohne ein großer Mathematiker zu sein, heute schon sagen, dass die Akademikerquote in drei Jahren auch nicht signifikant an­ders sein wird, als sie es heute ist. Aber das Entscheidende ist, wie sich die Situation bei den MaturantInnen hier und heute, bei jenen, die an die Universität gehen, und bei jenen, die gegenwärtig Abschlüsse machen, entwickelt. Und da ist der Befund insge­samt ein positiver.

Die Fragen, die wir uns allerdings zu stellen haben – und ich hoffe, dass der heutige Tag wiederum eine weitere Möglichkeit dazu bietet –, sind letztlich: Was sind – und da schließe ich durchaus an die Ausführungen von Kollegin Schmied an – die Schlüs­selqualifikationen, die elementaren Kulturtechniken, die es zu vermitteln gilt? – Lesen, Schreiben, Rechnen, aber auch was früher einmal unter „Rhetorik“ gelaufen ist, also die Fähigkeit, sich artikulieren zu können, seine Position zu vertreten, seine Meinung kundzutun, aber auch die Qualität des Umgangs mit Informationstechnologien.

Heute ist ja die große Herausforderung nicht der Zugang zum Wissen, sondern die Fä­higkeit, mit dem vorhandenen Wissen etwas anzufangen, die Qualität, die Fertigkeit zu besitzen, sich dieses Wissen in einer Art und Weise zugänglich zu machen, dass man davon auch etwas profitiert, auch die Frage, welche Fertigkeiten sind zu entwickeln, dass das gewährleistet ist.

Ich setze meine Hoffnung in den heutigen Tag, dass wir stärker zu einer inhaltlichen Diskussion auch dessen, was im Bildungsbereich stattfinden soll – Stichwort Bildungs­standards et cetera –, kommen und uns nicht immer in Strukturdebatten verheddern, was allerdings ungeheuer beliebt, weil auch einfach ist. Und ehrlich gesagt, ich kenne das auch aus der Wirtschaft: Kastl zeichnen geht allemal schneller als Strategien ent­wickeln. Es heißt ja nicht umsonst: Strategy follows structure, aber selten umgekehrt. Aber auch hier gälte für den Bildungsbereich, dass wir die Inhalte definieren, klarlegen, was wo zu passieren hat, und uns danach den organisatorischen Rahmen überlegen.

Allerdings sei mir bei dieser Gelegenheit ein aktueller Sidestep gestattet. Ich höre aus dem südlichen Burgenland – und ich hoffe, es handelt sich hiebei nur um einen Bur­genländerwitz und nicht um die Realität –, dass Überlegungen angestellt werden, etwa bei der Frage der Festlegung, ob es nun zu einem neuen Schulversuch kommen soll oder nicht, eine andere Zählweise anzuwenden. Im Gesetz ist an sich vorgesehen, dass man die Eltern befragt und die Lehrer befragt und dass bei Zustimmung für jeden einzelnen Körper eine entsprechende Zweidrittelmehrheit gegeben sein sollte. Ich höre, dort sollten die Dinge zusammengerechnet und gesamthaft betrachtet werden. Also das kann nicht der Zugang sein! Und ich hoffe, dass es sich hiebei, sage ich ein­mal sehr vorsichtig, nur um eine Fehlinformation handelt.

Aber zurückkommend zur Frage der Qualifikation: Da sage ich jetzt als Universitäts-, als Wissenschaftsminister, ich glaube, es geht auch darum – diese Diskussion haben wir noch viel zu wenig geführt –, Überlegungen dahin gehend anzustellen, wie wir ge­rade auch den Oberstufenbereich, den Bereich der 15- bis 18-Jährigen gestalten, wei­terentwickeln müssen, um diese noch besser auf das Studium vorzubereiten. Claudia Schmied hat es schon angesprochen, wir arbeiten gemeinsam an einer besseren Be­rufsinformation, Studieninformation, sodass wir eben die Dropoutrate, die ja nicht eine echte Dropoutrate ist, denn das würde ja bedeuten, dass man wirklich herauströpfelt, sondern die Quote derer, die nach zwei, drei Semestern das Studium wechseln, in der Tat deutlich reduzieren. Und das kann man sicherlich dadurch, dass bereits an den höheren Schulen eine bessere, eine nachhaltigere Information stattfindet.

Das Ziel muss es wirklich sein, dass jeder Maturant/jede Maturantin am Tag nach der Matura – denn bis dahin haben sie etwas anderes zu tun – weiß, was er/sie im Herbst machen möchte. Jeder von uns weiß aus persönlicher Erfahrung noch aus seiner eige­nen Zeit und von seinen Kindern und Kindeskindern, dass es zwischen Matura und Studienanfang im Herbst oft noch Phasen der Unsicherheit dahin gehend gibt, was man eigentlich tun könnte. Dieser Zugang ist, wenn man daran denkt, dass das eigent­lich eine sehr vitale Entscheidung ist, eigentlich nicht sehr zufriedenstellend.

Wir müssen aber auch die Frage stellen, was können Schulen auch leisten, um bei­spielsweise die wissenschaftlichen Karrieren stärker zu befördern, als das gegenwärtig der Fall ist. Momentan, sage ich ganz offen, ist es nicht sonderlich sexy, eine wissen­schaftliche Karriere an den Universitäten anzustreben. Das heißt nicht, dass es nicht ein großes Interesse gibt, im Forschungsbereich tätig zu sein. Aber wir müssen auch sicherstellen, dass das an den Universitäten stattfindet.

Ich denke, dass der tertiäre Sektor insgesamt – und ich hoffe, dass dieser heute auch ein bisschen betrachtet wird – gerade in den letzten Jahren eigentlich wesentlich viel­fältiger und bunter geworden ist. Das fängt an bei der Schaffung der Fachhochschulen vor 13, 14 Jahren, eigentlich eine Erfolgsstory. Wir haben heute fast 30 000 Studentin­nen und Studenten. Was dort mittlerweile hervorragend funktioniert und was auch bei­spielgebend sein muss, etwa für den universitären Bereich, ist der Anteil an berufs­begleitendem Lernen, an berufsbegleitendem Studieren. Dieser beträgt bei den Fach­hochschulstudentinnen und ‑studenten bereits ein Drittel. Und das ist eine der großen Herausforderungen, dass wir die Erstausbildungsphase verkürzen, weil wir gesehen haben, dass die Erstausbildungsphase – aufgrund der demographischen Entwicklung die Phase der Ruhezeit – mittlerweile fast so viel Zeit umfasst wie der Produktivteil. Und daher ist es notwendig, dass wir die Erstausbildungsphase verkürzen, wissend, dass es hinterher ohnedies notwendig ist – Stichwort berufsbegleitendes Lernen, le­benslanges Lernen –, weitere Ausbildungsphasen zu haben, weil heute mittlerweile der Faktor 3 gegeben ist, was das Lernen völlig neuer beruflicher Tätigkeiten während eines Berufslebens anlangt. Dieser Faktor wird sich in relativ kurzer Zeit um weitere zwei Mal erhöhen, sodass man davon ausgehen kann, dass man sich während einer beruflichen Tätigkeit fünfmal neu orientieren wird müssen. Dass das natürlich mit einer entsprechenden Ausbildungszeit gekoppelt ist, steht außer Zweifel. Daher ist es ganz wichtig, dass wir es schaffen, die Bologna-Architektur umzusetzen, und zwar gerade im Bachelorbereich, wo es darum geht, die Studienzeit zu verkürzen und damit die Leute schneller in das Berufsleben zu bringen.

Ein Nebeneffekt kann und muss auch sein, dass dadurch etwa technische Studien, na­turwissenschaftliche Studien attraktiver werden und sich auf diese Art und Weise mehr junge Leute einem Studium in diesem Bereich zuwenden, als das gegenwärtig noch der Fall ist. Wir wissen aus vielen Umfragen, dass wesentlich mehr Leute ein Interesse an einem Technikstudium haben, als sie es dann tatsächlich machen, weil sie eben ab­geschreckt sind von der gegenwärtig langen Studiendauer.

Auf etwas möchte ich hinweisen, weil das gegenwärtig so dargestellt wird, als wäre
das etwas völlig Neues. Wir haben schon seit zehn Jahren ein sehr durchlässiges Bil­dungssystem auch etwa in Gestalt der Berufsreifeprüfung. Es haben mittlerweile be­reits 11 000 Personen diese Berufsreifeprüfung gemacht, 1 000 sind dann an die Fach­hochschulen gegangen, 4 000 an die Universitäten, und noch einmal 11 000 sind gera­de in der Pipeline, was diese Berufsreifeprüfung anbelangt. Also insgesamt sehen wir, dass im tertiären Bereich doch einiges weitergegangen ist. Aber, wie gesagt, wir müs­sen uns immer die Frage nach der Weiterentwicklung unseres Bildungssystems stel­len.

Es ist bereits von meiner Vorrednerin angesprochen worden: Das Bildungssystem, sa­ge ich ganz offen, ist nicht nur eine ausgesparte Sichtweise der 10- bis 14-Jährigen, sondern geht vom Bildungsgarten – und hier haben wir Potentiale schon bei den Kleinstkindern, was das Vermitteln von Wissen, von Fähigkeiten, von Fertigkeiten an­belangt – bis eben hin zum tertiären Sektor. Und dieser tertiäre Sektor wird abgelöst vom quartären Sektor, wenn Sie so wollen, Stichwort lebenslanges Lernen. Also die Dinge enden nie.

Ich kann Ihnen aus der Sicht der Wissenschaft nur sagen, wir brauchen eine möglichst breite Basis, damit sich quasi pyramidenartig eine Spitze in der Wissenschaft, in der Wirtschaft, in der Gesellschaft herauskristallisiert. Wir sind am Übergang von der Imita­tions- zur Innovationsgesellschaft. Das verlangt die besten Köpfe dieses Landes. Wir haben dieses Potenzial. Wir haben im Großen und Ganzen – und wir sollten da unser Licht nicht unter den Scheffel stellen – eigentlich ein ganz ordentliches Bildungssys­tem, das zeigen alle Daten, was ja keineswegs heißt, dass man nicht an der Sache ar­beiten muss. Wie für jedes gute Unternehmen – und dazu zählt in diesem Fall auch der Staat – gilt es auch in diesem Fall, dieses System weiterzuentwickeln, zu adaptieren, sich den Herausforderungen zu stellen.

Ich möchte vielleicht nur eines abschließend sagen: Wir haben alle Chancen, alle Mög­lichkeiten als Wissenschaftsstandort, als Bildungsstandort Österreich, das auch zu einem Wirtschaftsfaktor zu machen, denn Menschen, die in der Wissenschaft, in der Bildungslandschaft tätig sind, das sind auch Arbeitsplätze. Und wenn wir unsere Ein­richtungen erfolgreich gestalten, dann sind wir auch so attraktiv, dass viele nach Öster­reich kommen, um sich hier ausbilden zu lassen, dann sind wir so attraktiv, dass wir internationale Kooperationen schließen, etwa in der Entwicklung gemeinsamer Univer­sitäten et cetera.

Wenn wir diese internationalen Verknüpfungen schaffen, dann schaffen wir Netzwerke zwischen Institutionen, in denen Menschen tätig sind, die dann mit dem österreichi­schen System vertraut sind und aufgrund dieser Kontakte letztlich eine lebenslange Beziehung zu unserem Land aufbauen. Diese Beziehung lässt sich in einem ökonomi­schen, aber auch in einem kulturellen Return darstellen: Wenn sich die Menschen auf internationaler Ebene begegnen, studieren, Austausch betreiben, in die Welt kommen, dann ist das eine unglaublich friedensstiftende Maßnahme, die letztlich dazu beiträgt, dass unsere Welt friedfertiger wird. – Auch das kann ein Bildungssystem leisten, wenn wir imstande sind, es nicht immer nur regional oder national zu betrachten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen interessante Beratungen und fröhliches Schaf­fen! – Danke schön. (Beifall.)

9.40


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Danke für dieses Statement.

Ich erteile nun Frau Staatssekretärin Marek das Wort. – Bitte.

 


9.40.55

Referentin Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit Christine Marek|: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich für die Initiative zu dieser Enquete danken, vor allem, weil diese die Situation sehr umfassend beleuchtet. Ich denke, sie ermöglicht damit eine Betrachtungsweise, die sonst in vielen Fällen nicht so einfach möglich ist, weil man sie immer auf einen einge­schränkten Bereich fokussiert.

Ich möchte mich im Rahmen dieses umfassenden Ansatzes auf ein Thema konzentrie­ren, für das ich als Staatssekretärin im Wirtschafts- und Arbeitsministerium zuständig bin, das, so glaube ich, ein ganz wichtiges für unseren Wirtschafts- und Arbeitsstandort Österreich ist, nämlich die duale Ausbildung, die Lehre und auch die Zukunft der Lehre. Hier gibt es einiges, was man diskutieren sollte und zu hinterfragen hat, um so erfolg­reich zu bleiben und um das System auch zukunftsfähig zu machen.

Ganz grundsätzlich möchte ich sagen, dass das duale System ein Erfolgsmodell und in Wirklichkeit etwas ist, was Österreich weltweit als Wirtschafts- und Arbeitsstandort stark macht. Das können wir auch ganz konkret mit Daten belegen. Zirka 40 Prozent der Jugendlichen eines Altersjahrgangs absolvieren eine Lehre beziehungsweise ent­scheiden sie sich für eine Ausbildung im dualen System, und diese Zahl zeigt, wie gut diese Ausbildung doch ist.

Seit dem Jahr 2003 konnten wir hier Gott sei Dank wieder eine Trendwende erreichen: Bis zum Jahr 2003 hatten wir jährlich sinkende Lehrlingszahlen, seit 2003 steigen sie wieder. Ende 2003 beziehungsweise Ende 2004 – diese waren, was das betrifft, etwa gleich – hatten wir in allen Lehrjahren insgesamt nur knapp über 119 000 Lehrlinge, und zum Stichtag 30. November 2007 hatten wir fast 130 000 Lehrlinge in allen Lehr­jahren in Ausbildung. – Daran sehen wir also, dass diese Zahl Gott sei Dank steigt und die Betriebe wieder mehr ausbilden.

Gegenüber dem Vorjahr, Stichtag 30. November 2006, ist das eine Steigerung um 3,1 Prozent.

41 164 Lehrlinge haben sich im ersten Lehrjahr befunden beziehungsweise befinden sich im ersten Lehrjahr, und auch hier, bei den Lehranfängern, gibt es eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr, nämlich um 4,2 Prozent.

Wir haben diese Trendumkehr mit Sicherheit hauptsächlich durch die betriebliche Lehr­stellenförderung – Stichwort „Blum-Bonus“, der ja im Herbst 2004 eingeführt wurde – erreichen können, und gerade diese Lehrstellenförderung, meine Damen und Herren, ist mir ein besonders wichtiges Anliegen.

Wir sind derzeit in sehr guten Gesprächen mit den Sozialpartnern, die diesbezüglich ein Papier, das Papier „Zukunft 2010“, vorgelegt haben. Auf Basis dieses Papiers wol­len wir gemeinsam die betriebliche Lehrstellenförderung und die Jugendausbildung entsprechend auf neue, zukunftsfähige Beine stellen und adaptieren – quasi „Blum-Bonus neu“ –, und diskutieren, was hier praktisch an Rahmenbedingungen noch zu schaffen ist.

Die Lehre bietet, denke ich, eine besonders praxisnahe, flexible Ausbildung, und sie ist wahrscheinlich auch deswegen so erfolgreich, weil damit genau dem Rechnung getra­gen wird, was die Wirtschaft an Bedürfnissen und Anforderungen hat. Aber es ist ganz wichtig, dass wir sie auch ständig hinterfragen und dafür sorgen, dass wir die Rahmen­bedingungen adaptieren, denn in der Arbeits- und Wirtschaftswelt verändert sich sehr vieles, dessen sind Sie sich wahrscheinlich ganz besonders bewusst. Die Entwicklun­gen gerade im technischen Bereich passieren sehr schnell, das heißt, wir haben hier ständigen Handlungsbedarf, denn die Lehre und die duale Ausbildung können nur dann erfolgreich sein, wenn wir sie laufend hinterfragen.

Es werden ständig Lehrberufe aufgelassen beziehungsweise in entsprechende Nach­folge-Lehrberufe übergeführt, aber es entstehen auch immer wieder neue Berufe: Seit dem Jahr 2000 sind 30 neue Lehrberufe gemeinsam mit den Sozialpartnern entwickelt worden, etwa im Bereich der Werbewirtschaft oder auch im Pharmabereich. Dort gibt es sehr viele Chancen für die jungen Menschen, gerade auch mit der dualen Ausbil­dung.

Es gibt auch neue Zugänge und Ansätze im Bereich der Lehrausbildung – Stichwort Modularisierung: In diesem Zusammenhang tragen wir der stärkeren Individualisierung und Spezialisierung Rechnung, indem wir gerade neue Möglichkeiten schaffen, mit de­nen wir einzelne Berufsbilder mittels eines Basis- und mehrerer weiterführender Modu­le zusammenführen können, wodurch wir Effizienzsteigerungen erreichen und Speziali­sierungsmöglichkeiten der jungen Menschen entsprechend entgegenkommen. Die ers­ten beiden Modul-Lehrberufe – sie werden demnächst verordnet – kommen aus den Bereichen Installation und Gebäudetechnik sowie Werkstofftechnik, und die nächsten beiden Berufe – sie sind bereits in Vorbereitung beziehungsweise geplant – kommen aus den Bereichen Kraftfahrzeugtechnik und Holztechnik.

Worin ich aber eine besondere Herausforderung sehe, und das haben sowohl Frau Bundesministerin Schmied als auch Herr Bundesminister Hahn angesprochen, das ist das Thema der Lehre mit Matura. Ich glaube, dass es eine der großen Herausforderun­gen ist, dass wir da noch bessere Rahmenbedingungen schaffen, denn es ist für uns sehr wichtig, dass wir noch mehr und insgesamt leistungsstarke Jugendliche für eine duale Ausbildung begeistern und dafür eine echte Alternative zur Schulausbildung schaffen.

Das Problem heute ist, dass fast reflexartig alle oder zumindest ein großer Teil der Ju­gendlichen gerade in den Ballungsräumen in die Schule drängt und die Möglichkeit einer Lehrausbildung gar nicht ins Auge fasst, weil es leider ein Imageproblem gibt, was Ihnen mit Sicherheit auch bewusst ist. Viele Eltern haben ein Problem damit, wenn ihr Kind „nur“ eine Lehre macht, aber alle Unternehmen bestätigen uns, dass die Lehr­linge von heute die Facharbeitskräfte von morgen und überdies sehr gut ausgebildete, spezialisierte Facharbeitskräfte sind. Das bedeutet, wir haben hier Handlungsbedarf, denn der Facharbeitskräfte-Mangel ist ja jetzt schon sehr stark spürbar, er wird noch massiver werden, und letztlich geht er, aber auch dessen sind Sie sich sicher bewusst, auf Kosten des Wirtschaftswachstums und ist auch ein Problem für den Wirtschafts­standort Österreich insgesamt.

Das heißt, die Lehre mit Matura wird dann eine echte Chance sein, um leistungsstarke Jugendliche für die Lehre zu gewinnen, wenn diese keine Sackgasse, sondern eine echte Alternative darstellt und alle Optionen, alle Möglichkeiten für weiterführende Aus­bildungen – zum Beispiel für ein Studium – bietet und es kein Fragezeichen gibt: Was mache ich, wenn ich die Lehrabschlussprüfung hinter mir habe? Ist das eine Sack­gasse oder nicht?

Wir haben 1997 die Möglichkeit der Berufsreifeprüfung geschaffen, das heißt, die Mög­lichkeit geschaffen, nach dem Lehrabschluss im Rahmen der Erwachsenenbildung die Berufsmatura abzulegen, die einen vollwertigen Zugang zur Universität, eine vollwer­tige Matura bedeutet, und dort haben wir jedes Jahr steigende Absolventenzahlen, also junge Menschen, die diese Möglichkeit wählen. Um Ihnen genauer zu sagen, wie viele das sind: Im Schuljahr 2000/2001 waren es noch 861 Personen, die die Berufsmatura abgelegt haben, 2004/2005 waren es bereits 2 144 Personen, und im vergangenen Schuljahr waren es schon 2 600 Personen. – Wir sehen also, dass das ein Modell ist, das gut angenommen wird. Insgesamt waren es rund 13 700 Personen, die diese Op­tion seit deren Einführung 1997 gewählt haben.

Aber auch hier ist es natürlich wichtig, weitere Modelle, weitere Alternativen anzubie­ten. Eine besondere Chance bietet in diesem Zusammenhang die Gleichzeitigkeit, dass man mit der Lehrabschlussprüfung auch die Berufsreifeprüfung ablegen kann und man somit gleichzeitig mit der Lehrabschlussprüfung die Matura hat. Hier gibt es in den Bundesländern wirklich erfolgreiche Modelle!

Diesbezüglich ganz wichtig – hier gibt es ja auch eine gemeinsame Arbeitsgruppe zwi­schen dem Unterrichts- und dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium – ist die Frage der Kosten. Die Kosten für die Berufsreifeprüfung im Rahmen der Erwachsenenbildung sind teilweise relativ hoch und müssen von den Auszubildenden selbst getragen wer­den.

Gerade was die Gleichzeitigkeit betrifft, ist es wichtig, dass die Kosten kein Hindernis für die Weiterbildung, für die Wahl der Berufsmatura, darstellen. In diesem Zusammen­hang gibt es mittlerweile in fünf Bundesländern sehr erfolgreiche Modelle. – Sonja Zwazl ist eine von jenen, denen es ein besonderes Anliegen ist, dass die Länder ge­meinsam mit der Wirtschaftskammer die Kosten zur Gänze übernehmen, und wir dis­kutieren gerade, wie es auf Bundesebene ein einheitliches Modell geben kann.

Das Wirtschafts- und Arbeitsministerium hat eine Studie in Auftrag gegeben, und darin sehen wir, und das bestätigt uns, dass es hier eine ganz besonders hohe Akzeptanz bei den Unternehmen gibt. Das ist für uns ganz wichtig, weil der überwiegende Teil derjenigen, die die Berufsreifeprüfung ablegen, auch in den Unternehmen bleibt und dort wichtige Führungs- und Management- oder auch Projektleiterfunktionen über­nimmt.

Ich möchte aber ganz besonders betonen, dass es nicht darum geht, dass jeder Lehr­ling eine Matura machen muss, weil wir dort dann zu einer Zweiklassengesellschaft kommen. Jemand, der nur einen Lehrabschluss hat, ist kein Lehrling zweiter Klasse, sondern auch das sind hoch qualifizierte Facharbeitskräfte, die wir dringend benötigen. Die, die das selbst wollen und die das Potenzial dazu haben, sollen Matura machen können, und dafür sollen Hemmschwellen aus dem Weg geräumt und interessante Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Ganz wichtig ist die Qualitätssicherung in den ausbildenden Unternehmen, und auch das ist Bestandteil der Sozialpartnergespräche zur Zukunftsförderung im Bereich der Jugendausbildung. Hier geht es unter anderem um die Unterstützung – und das heißt nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern auch Weiterbildung für ausbildende Unter­nehmen – solcher Betriebe und um Ansätze, wie wir das in der Finanzierung und der betrieblichen Förderung berücksichtigen wollen.

Mir ist es darüber hinaus wichtig, dass die Lehre auch für Schwächere Chancen bietet. Wir, ich durfte da als Abgeordnete auch mit dabei sein, haben ja 2003 im Parlament die integrative Berufsausbildung geschaffen. Ich glaube, diesbezüglich kann man mit Fug und Recht sagen, dass das ein sehr erfolgreiches Konzept ist, durch das gerade Schwächere die Chance auf eine Berufsausbildung auf dem Arbeitsmarkt haben – ent­weder durch eine verlängerte Ausbildungszeit oder über die Erreichung einer Teilquali­fikation –, die früher keine Möglichkeit hatten, zu einer wirklichen Berufsausbildung zu kommen.

Auch hier sehen wir Zahlen, die die Richtigkeit unserer Entscheidung letztendlich be­stätigen – 2006 hatten wir 2 700 Jugendliche in einer integrativen Berufsausbildung; davon zirka 1 800, die in Unternehmen ausgebildet wurden, der Rest in überbetriebli­chen Ausbildungsformen –, und auch hier können wir aus einer Befragung der Unter­nehmen herauslesen, dass es unter ihnen eine sehr hohe Akzeptanz und Zufriedenheit gibt, was die integrative Berufsausbildung betrifft. – Das heißt, wir sind da auf dem rich­tigen Weg.

Eine funktionierende Lehrausbildung – ich habe es schon gesagt, möchte es aber noch einmal betonen – ist sicherlich die einzige nachhaltige Antwort auf den sich abzeich­nenden Facharbeitskräfte-Mangel. Alles andere kann nur eine Übergangslösung sein, um dem Mangel kurzfristig zu begegnen, aber natürlich geht es im Sinne der Nachhal­tigkeit in erster Linie darum, unsere eigene Jugend in den Bereichen auszubilden, in denen es wichtig ist.

Wie erfolgreich unsere jungen Menschen sind, durfte ich vor knapp drei Wochen bei der Berufsweltmeisterschaft in Japan selbst sehen. Ich durfte auch bei der Sieger­ehrung dabei sein – immerhin haben unsere Lehrabsolventen den zweiten Platz unter den europäischen Ländern und unter insgesamt 48 teilnehmenden Nationen den sie­benten Platz weltweit errungen. – Ich glaube, wir können auf unsere jungen Fach­arbeitskräfte sehr stolz sein.

Meine Damen und Herren! Wir als Politiker haben dafür Sorge zu tragen, dass die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so gut sind, dass diese ausreichend Ausbil­dungsplätze zur Verfügung stellen kann und dass diese auch eine gute Ausbildung zur Verfügung stellen kann. Es ist wichtig, dass jeder junge Mensch eine entsprechende Ausbildungsmöglichkeit beziehungsweise einen Lehrplatz findet. Dort, wo Jugendliche keinen Lehrplatz finden, überbetriebliche Ausbildungsstellen anzubieten, wo die Ausbil­dung auch abgeschlossen werden kann, ist uns ein wichtiges Anliegen – das ist ein weiterer Bestandteil der Sozialpartnergespräche, die wir derzeit führen und bald ab­schließen werden.

Ganz wichtig, und auch das ist von Bundesminister Johannes Hahn angesprochen worden, ist die Berufsinformation. Jeder junge Mensch soll einen Ausbildungsplatz, der, um mit Blum zu sprechen, seiner Eignung beziehungsweise Neigung entspricht, finden, denn nur so kann man dann weitergehen und wirklich punktgenau das machen, was einem Spaß macht, und ist dort entsprechend stark. Entscheidend ist daher die Berufsinformation in der siebenten und achten Schulstufe. Darüber führen wir Gesprä­che mit dem Unterrichtsministerium, denn es ist ganz wichtig, das stärker als bisher zur verankern.

Ich danke Ihnen noch einmal für die Initiative zur heutigen Enquete und hoffe, dass wir viele Impulse für unsere gemeinsame Arbeit, für die Ausbildung der Jugend und auch den Bereich lebenslanges Lernen von hier mitnehmen können. – Danke und alles Gute! (Beifall.)

9.55


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Ich danke für diesen Beitrag.

Ich begrüße Herrn Bundesminister Dr. Erwin Buchinger, der rechtzeitig eingetroffen ist, und erteile ihm sogleich das Wort.

 


9.55.39

Referent Bundesminister für Soziales und Konsumentenschutz Dr. Erwin Bu­chinger|: Sehr geschätzter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Minister- und Ministerinnenkollegen! Sehr geschätzte Herren Vorstände des Arbeitsmarktser­vice! Vor allem aber sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete zu den Hohen Häusern!, muss ich richtigerweise sagen. Ich komme gerade von einer Veranstaltung zum Thema Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung, in deren Rahmen wir Nicht­regierungsorganisationen und Sozialpartnervertretern/-vertreterinnen den derzeitigen Zwischenstand betreffend die bedarfsorientierte Mindestsicherung präsentieren, um für den nächsten Schritt der Implementierung dieses sozialpolitischen Vorhabens noch Feedback zu erhalten.

Sie werden sich jetzt vielleicht wundern, warum ich bei einer Enquete zum Thema „Bil­dung – Beruf – Wirtschaft – Mehr Chancen für Alle“ mit Armut und der sozialen Frage beginne. – Nun, für mich ist der Zusammenhang ein ganz klarer, und ich habe diesen Zusammenhang vor Augen geführt bekommen, als ich am 30. April dieses Jahres der Öffentlichkeit den Armutsbericht 2005 präsentiert habe. Viele Zahlen daraus haben mich beeindruckt, nachdenklich und besorgt gemacht, aber eine Zahl hat mich ganz besonders bedrückt, und zwar, dass nach einer Berechnung der Statistik Austria auf Basis von Mikrozensus-Daten die Chance von Kindern aus Akademikerhaushalten, selbst einen akademischen Abschluss zu machen, bei fast 50 Prozent liegt, die Chan­ce von Kindern aus Arbeiterhaushalten mit Pflichtschulabschluss, zu einem akademi­schen Abschluss zu gelangen, bei 5 Prozent liegt, dass hier also eine Divergenz der Chancen im Verhältnis von 1 : 10 besteht.

Wenn wir wissen, dass Bildung eine wichtige Voraussetzung ist, um nicht nur im Beruf, in der Arbeitswelt seinen Weg machen zu können, sondern generell Teilhabe an der gesellschaftlichen, demokratischen Entwicklung zu haben, und wenn wir dann diesen Befund zur Kenntnis nehmen müssen, dann ist es doch sehr bedrückend zu sehen, dass Armut über schlechte Chancen auf Bildungszugang auch über die Generationen hinweg vererblich ist. Das ist, so denke ich, noch einmal ein ganz starker Anstoß, sich diesem Thema mit aller Ernsthaftigkeit und allem Nachdruck zu widmen.

Wenn wir Fragen der Bildung, der Chance auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben besprechen, dann ist es ja nicht so, dass das nur eine allgemeine gesellschaftspoli­tische Frage ist, woran sich auch die Möglichkeit knüpft, im globalisierten Wettbewerb als Land, als Gesellschaft zu bestehen, es knüpft sich daran nicht nur die Chance, dass der einzelne Mensch, die einzelne Person in ihrer Lebensentwicklung reüssieren kann, sondern daran knüpft sich insbesondere auch die Frage: Was tun wir, damit die­se Chancen, diese Möglichkeiten auf Teilhabe auch Menschen, die es sozial schwerer haben, die sich in besonderen Situationen befinden, durch ein erhöhtes Ausmaß an Aufmerksamkeit und Unterstützung gewahrt bleiben?

Als Sozialminister sind mir in diesem Zusammenhang drei Gruppen von ganz besonde­rer Bedeutung. Diesbezüglich bitte ich Sie, im Rahmen der Enquete und im Rahmen Ihrer weiteren Tätigkeit bei aller generellen Schwerpunktsetzung auch diese Personen­gruppen in Ihre Überlegungen und Umsetzungen mit einzubeziehen: Das sind behin­derte Menschen, das sind ältere Menschen und das sind Menschen mit Migrationshin­tergrund. – Lassen Sie mich zu allen drei Gruppen kurz Stellung nehmen.

Ich denke, auf Menschen mit Migrationshintergrund wird auch aus Sicht des Arbeits­marktservice im Folgenden ein gewisser Schwerpunkt gelegt werden, weil die Arbeits­marktpolitik über die Sozialpolitik hinaus in den letzten Jahren deutlicher als bisher erkannt hat, dass die Chancen, im Arbeitsprozess Fuß zu fassen, im Arbeitsprozess nachhaltig und lange zu verbleiben, für Personen mit Migrationshintergrund besonders schlecht sind.

Das gilt insbesondere für die Ränder in Bezug auf die Erwerbsarbeit, für Jugendliche und für Ältere. Wenn heute beim Arbeitsmarktservice mehr als die Hälfte der vorge­merkten arbeitslosen Jugendlichen und Lehrstellensuchenden – so eine Zahl vom Sommer – einen Migrationshintergrund haben und damit das Risiko zweieinhalb bis drei Mal so groß wie bei Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder von österreichischer Herkunft ist, so ist das nicht nur ein Hinweis auf Chancen, die in der gesellschaftlichen Entwicklung verloren gehen, auf die Nichtausschöpfung von Poten­zial, sondern es ist für mich als Sozialminister vor allem auch ein Hinweis auf soziale Ungerechtigkeiten, die in einem Sozial- und Wohlfahrtsstaat in den Fokus der Aufmerk­samkeit gerückt werden müssen.

Ähnlich ist es aber auch bei der Sicht von Migranten und Migrantinnen im höheren Alter, bei den über 50-Jährigen. Auch bei den Antragstellungen auf Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension sind wieder besonders Personen mit Migrationshintergrund überproportional vertreten. Das hängt natürlich zu einem guten Teil damit zusammen, dass die formale Qualifikation in diesem Personenkreis eine vergleichsweise niedrigere ist und dieser Personenkreis insbesondere für Hilfstätigkeiten und angelernte Tätigkei­ten herangezogen wird. Damit unterliegt er auch besonders dem gesundheitlichen Ver­schleiß in der Arbeit, im Wirtschaftsleben und wird dann oftmals in einen Kreislauf zwi­schen Pension, Arbeitslosenversicherung und Sozialhilfe geschickt.

Auch hier ist es – neben Fragen der sozialen Integration – sicherlich die Frage: Wie können wir es schaffen, im Bereich der Arbeitsmarktpolitik, aber auch in Bezug auf Bil­dungspolitik generell diesen Personenkreis mit Migrationshintergrund in seinen beson­deren Bedürfnissen anzusprechen und ihm zu einer höheren formalen Bildung und da­mit auch nachhaltigeren Integration im Erwerbsleben zu verhelfen? – Dies kann nicht mit 50 oder 55 Jahren angesetzt werden, sondern das muss bereits im jugendlichen Alter ansetzen und im Haupterwerbsalter laufend begleitet werden.

Die älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind im Bewusstsein sowohl der Wirt­schaft als auch der Politik in den letzten Jahren doch stark in den Fokus gerückt. Wir haben in den Programmen und in der Aufmerksamkeit, die wir dieser Personengruppe widmen, wahrscheinlich kein Defizit. Wir wissen alle, dass es auf Grund der demogra­phischen Entwicklung für die Wirtschaft notwendig sein wird, dieser Ressource älterer Arbeitskräfte verstärkt Beachtung zu schenken. Wir wissen alle, dass es unter dem Ge­sichtspunkt der nachhaltigen Finanzierung der Sozialversicherung von großer Bedeu­tung ist, ältere Arbeitskräfte länger im Erwerbsleben zu halten.

Allein: Die realen Erfolge, die Umsetzung dieses Bewusstseins in praktische Politik ist teilweise sehr, sehr mangelhaft! In vielen Unternehmen sind über 55-Jährige und über 60-Jährige kaum zu finden. Auch in Qualifizierungsmaßnahmen des Arbeitsmarkt­service findet sich diese Gruppe kaum.

Im Bereich der Erwerbsbeteiligung haben wir im letzten Jahr zwar große Fortschritte gemacht – die Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte ist von knapp über 32 Prozent auf fast 36 Prozent gestiegen, und ich bin zuversichtlich, dass wir auch im heurigen Jahr eine ähnlich positive Entwicklung nehmen werden –, vom Lissabon-Ziel, bis zum Jahr 2010 eine 50-prozentige Beschäftigungsquote zu erreichen, sind wir aber weit entfernt.

Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es vor allem drei Interventionen: zum einen, das Bewusstsein bei den Betroffenen und bei den Unternehmen weiter zu schärfen; zum Zweiten, die gesundheitlichen Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern; und zum Dritten – das ist das Thema hier bei der Enquete, und das sollte es auch sein –, die Einbeziehung älterer Arbeitskräfte in das lebensbegleitende Lernen laufend sicherzu­stellen, um die Beschäftigungsfähigkeit auf hohem Niveau zu halten und weiterzuentwi­ckeln.

Ich gehe einen Schritt weiter und sage: Bildung ist nicht nur eine Frage der Bildung für die Wirtschaft und für den Arbeitsmarkt, Bildung – auch Bildung für Ältere – ist auch eine Frage der sozialen Teilhabe, der Integration in die Gesellschaft. Diese endet nicht mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, sondern es ist auch im höheren Alter, in der dritten und vierten Lebensphase, wichtig, durch Teilhabe an Bildung der Auseinan­dersetzung mit der Gesellschaft und mit der Umwelt sowie den immer steigenden Bildungsanforderungen gerecht zu werden. Denken Sie etwa an die Tatsache, dass, wer heute als älterer Mensch den Zugang zum Internet oder zu den Neuen Medien nicht findet, von einem wichtigen Teil der Kommunikation ausgespart bleibt.

Der dritte Bereich, auf den ich kurz eingehen möchte, ist der Bereich der Menschen mit Behinderung. Hier ist es Besorgnis erregend, dass die günstige Entwicklung am Ar­beitsmarkt, die wir seit etwa Mitte letzten Jahres verzeichnen und die sich über stei­gende Beschäftigung und sinkende Arbeitslosigkeit ausdrückt, Menschen mit Behin­derung nicht erfasst hat. Für Menschen mit Behinderung – sowohl körperlicher oder mentaler Behinderung als auch Sinnesbehinderung oder Mehrfachbehinderung – steigt die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit, gemessen an den absoluten Zahlen und an der Quote, weiter – nicht stark, sondern einstellig, aber immerhin sinkt sie nicht, sondern sie steigt.

Wir sind hier mit dem Wirtschafts- und Arbeitsministerium sowie dem Arbeitsmarktser­vice seit Monaten in Gesprächen darüber, wie wir hier gegensteuern können. Im Sozi­alministerium haben wir bereits drei Aktionen eingeleitet. Eine davon erfolgt im Bereich Bildung/Qualifizierung, da verstärken wir die Kapazitäten im Bereich der Berufsausbil­dung, der integrierten Berufsausbildung, der Teillehre. Auch die „Aktion 500“ und die entsprechende Verstärkung der Förderung dient diesem Ziel. Aber das ist noch zu we­nig. Wir müssen das gemeinsame Vorgehen mit dem Arbeitsmarktservice und dem Ar­beitsministerium weiter forcieren, um auch für Menschen mit Behinderung eine ange­messene, das heißt gleiche Chance zu bekommen, von der positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt zu profitieren.

Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Fragen der Bildung, Fragen der Chancen­gerechtigkeit und der Chancen für alle sind nicht Fragen, die punktuell von einem Ministerium, von einer gesetzgebenden Körperschaft oder von einem Sozialpartner bewältigt werden können. Sie werden nur dann erfolgreich gestaltet werden können, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte in Österreich zusammenwirken, das Problem erken­nen, die richtige Analyse vorlegen und auf Basis dieser Analyse Maßnahmen gemein­sam und koordiniert umsetzen.

Ich bedanke mich daher für die Initiative dieser Enquete, die dazu einen großen Beitrag leisten kann und, wie ich hoffe und erwarte, auch leisten wird. – Ich danke für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall.)

10.08


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Danke für diesen Beitrag.

10.08.22Statements von Expertinnen und Experten
sowie Mitgliedern des Bundesrates

 


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Ich erteile nunmehr Herrn Dr. Herbert Buchinger vom AMS das Wort. – Das heißt, das Wort bleibt in der Familie.

 


10.08

Dr. Herbert Buchinger (Arbeitsmarktservice)|: Meine sehr verehrten Damen und Her­ren! Ich glaube, wir sind unverwechselbar, allein schon von der Statur her. – Aber ich danke Ihnen für Ihren Mut, auch Arbeitsmarktmanager zu dieser Enquete eingeladen zu haben. Wir Arbeitsmarktmanager haben ja den Ruf, Zahlenfetischisten zu sein und praktisch nur von Zahlen zu leben. Kollege Kaltenbacher kann ein Lied davon singen; er ist einer unserer leitenden Bediensteten in der Steiermark. Er muss oft auch den Un­mut von Bediensteten abfangen: Dem Management geht es nur um Zahlen, nicht um Menschen! – Aber ich glaube, er kann auch gut den Zusammenhang zwischen Zahlen und Menschen übersetzen.

Ich nehme diese Kritik auch sehr ernst und diszipliniere mich, aber ich komme ohne sieben Zahlen nicht aus. Das müssen Sie mir verzeihen, sieben Zahlen müssen Sie mir zugestehen. Sieben Zahlen brauche ich, wenn ich die Aufgabe erfüllen soll, die Bundesminister Hahn hier in den Raum gestellt hat: das österreichische Bildungssys­tem im Hinblick auf seine arbeitsmarktpolitische Effektivität zu bewerten.

Minister Hahn hat zu Recht gesagt: Die Nagelprobe für jedes Bildungssystem ist der Arbeitsmarkt. – Wenn wir das österreichische Bildungssystem im Spiegel des Arbeits­marktes betrachten, können wir dem österreichischen Bildungssystem durchaus ein gutes Zeugnis ausstellen, soweit es Absolventen produziert.

Wenn Sie sich die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit und das Risiko, arbeitslos zu sein, nach erworbenen Bildungsabschlüssen anschauen, dann kommen Sie eindeutig zu dem Schluss, dass die Hauptlast der Arbeitslosigkeit in diesem Land jene Menschen zu tragen haben, deren höchste abgeschlossene Schulausbildung die Pflichtschule ist; vielleicht ist nicht einmal diese positiv abgeschlossen. 17 Prozent betrug die Arbeitslo­senquote 2006 bei jenen, die ausschließlich Pflichtschulabsolventen oder nicht einmal das waren.

Jede Form der weiterführenden Schulausbildung, der weiterführenden Ausbildung führt bereits zu einem unterdurchschnittlichen Arbeitslosigkeitsrisiko. Schon die Arbeitslo­senquote jener, die eine Berufsausbildung im dualen System gemacht haben – Berufs­schule plus Betrieb –, betrug unterdurchschnittlich 6 Prozent; im Jahr 2006 betrug die durchschnittliche Arbeitslosenquote 6,8 Prozent.

Jede weiterführende Schulausbildung senkt das Risiko, arbeitslos zu sein: 3 Prozent hatten die Absolventen von berufsbildenden mittleren Schulen, 3,4 Prozent die Absol­venten von allgemein bildenden höheren Schulen, zu 3,6 Prozent waren die Absolven­ten von berufsbildenden höheren Schulen arbeitslos und nur zu 2 Prozent die Absol­venten tertiärer Ausbildungen.

Das ist sozusagen der erste Befund. Das schließt Kritik am Schulsystem dergestalt nicht aus, dass das schulische Ausbildungssystem in Österreich aus arbeitsmarktpoli­tischer Sicht zu viele Drop-outs produziert.

Wenn die Leute Schultypen absolvieren, dann sind sie für den Arbeitsmarkt gerüstet. Was ist aber mit denen, die den Abschluss nicht schaffen? – Die tauchen entweder als Lehrstellensuchende auf und belasten den Lehrstellenmarkt, der nicht zuletzt dadurch aus dem Gleichgewicht geraten ist, oder sie tauchen überhaupt nur als Pflichtschulab­solventen auf, indem sie nach Hilfsarbeit oder angelernter Tätigkeit suchen.

Das schließt auch die Kritik nicht aus, die wir immer wieder von Arbeitgeberseite hören, dass Pflichtschulabsolventen nicht die nötigen Basisqualifikationen mitbringen, um ohne gezielte Förderung einen Lehrabschluss zu erreichen. Das alles ist nicht ausge­schlossen. Aber es lenkt doch aus unserer Sicht die Diskussion sozusagen auf die inneren Verhältnisse des österreichischen Schulsystems.

Hohes Haus! Wenn Sie also etwas tun wollen, um die Effektivität des österreichischen Bildungssystems im Hinblick auf den Arbeitsmarkt zu stärken, dann müssen Sie etwas gegen die Drop-outs tun, dann müssen Sie etwas dafür tun, dass das Schulsystem die Kinder, die Jugendlichen besser fördert und nicht so stark selektiert, wie es das jetzt tut. Das steht mehr mit der inneren als mit der äußeren Organisation im Zusammen­hang – wie gesagt, aus arbeitsmarktpolitischer Sicht.

Der Trend ist ein anhaltender. Das war die Momentaufnahme von 2006, aber auch nach allen Studien, die wir beim IHS, beim Wifo, bei Synthesis in Auftrag geben – be­treffend die Beschäftigungsentwicklung bis 2012, weiter trauen wir uns nicht nach vorne zu blicken und zu prognostizieren –, und das nach Qualifikationserfordernissen, sehen wir eindeutig Folgendes – ich bringe hier keine Zahlen, sondern nur die Trend­aussagen –:

Die Beschäftigung von und die Nachfrage nach Arbeitskräften mit wissenschaftlicher Qualifikation, mit tertiären Abschlüssen, wird bis 2012 rascher steigen als das Arbeits­kräfteangebot. Gleiches gilt für die Nachfrage nach und die Beschäftigung von Arbeits­kräften mit sekundären Abschlüssen, also mit Matura, wie dies bei uns heißt. Auch in diesem Qualifikationsbereich wird – nach allen verfügbaren Prognosen – die Arbeits­kräftenachfrage rascher steigen als das Arbeitskräfteangebot.

Nicht mehr eindeutig sind die Prognosen im Hinblick auf das duale Berufsausbildungs­system und auf das Fachschulsystem. Ich nehme das deshalb zusammen, weil wir es sonst sehr geschlechtsspezifisch anschauen müssten. Fachausbildungen für Frauen – das kann man, über den Daumen gepeilt, sagen – funktionieren über das berufsbil­dende Schulwesen; Fachausbildungen für Männer funktionieren, über den Daumen ge­peilt, über die duale Ausbildung.

Zusammen betrachtet gibt es viele Hinweise darauf, dass auch im Bereich der Fach­qualifikation die Arbeitskräftenachfrage rascher als das Angebot steigen wird. Aber da sind die Prognosen nicht eindeutig. Das wird vor allem davon abhängen, welcher An­gebotsdruck nach dem Wegfall der Übergangsfristen gegenüber unseren ost-, nord- und südeuropäischen Nachbarländern, den neuen EU-Ländern, entstehen wird. Diesen Angebotsdruck einzuschätzen, damit tun sich alle schwer. Die Nachfrage entwickelt sich steigend.

Bei den Hilfskräften, bei den Arbeitskräften mit ausschließlich Pflichtschulabschluss, die nur für Hilfstätigkeiten oder Anlerntätigkeiten qualifiziert sind, ist der Befund auch eindeutig. Entgegen landläufigen Meinungen wird hier die Beschäftigung auch nicht zu­rückgehen. Manche meinen ja, die Hilfstätigkeit verschwindet völlig; das stimmt nicht. Die Nachfrage und die Beschäftigung werden auch im Bereich der Hilfstätigkeit stei­gen, aber nach allem menschlichen Ermessen weniger rasch, also langsamer als das Arbeitskräfteangebot.


Das ist also die große Herausforderung: Wie können wir das Schulsystem, das ganze Ausbildungssystem in diesem Land so gestalten, dass mehr Leute in höhere Abschlüs­se kommen und weniger Personen ausschließlich mit Pflichtschulabschluss auf dem Arbeitsmarkt auftauchen? – Danke schön. (Beifall.)

10.16

Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Danke auch für diesen Beitrag. – Ich erteile nunmehr Herrn Dr. Kopf das Wort.

 


10.16.19

Dr. Johannes Kopf (Arbeitsmarktservice)|: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin meinem Kollegen und Vorredner ein bisschen ins Messer gelaufen, weil ich viele Zahlen mitbringe, sogar Zahlen, die sich verändern; aber dazu später.

Die Enquete hat den Titel „Bildung – Beruf – Wirtschaft – Mehr Chancen für alle“. Ich habe mir dazu Gedanken gemacht und möchte Ihnen zwei Zusammenhänge darstel­len.

Das Erste ist der Zusammenhang zwischen Beschäftigungswachstum und Arbeitslosig­keitsentwicklung. Ich selbst bin, damals als Mitarbeiter von Minister Bartenstein, mehr­mals hier in diesem Saal gesessen, als über die unerfreuliche Entwicklung der Arbeits­losigkeit vor allem in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 gesprochen wurde. Die Regierung hat damals immer mit der Antwort reagiert: Ja, aber die Beschäftigung steigt enorm! – Beides war richtig.

Wie geht das zusammen? – Auch in den Jahren, in denen sich die Arbeitslosigkeit schlecht entwickelt hat, ist die Beschäftigung in Österreich massiv gestiegen, allein von 2005 auf 2006 um 50 000. Was ist in dieser Zeit passiert, „Mehr Chancen für alle“?

Der entscheidende Schlüssel für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im Verhältnis zur Beschäftigung ist das Arbeitskräftepotenzial – das ist das Gebiet, auf dem Sie hier in den gesetzgebenden Körperschaften großen Einfluss haben –, und da entwickelt sich Folgendes – wir schauen uns das Jahr 2006 an –: Im Jahr 2006 hat sich das Arbeits­kräfteangebot durch die Pensionssicherungsreform um 5 700 Personen erhöht. Das heißt, 5 700 Ältere waren dadurch, dass sie länger in Beschäftigung geblieben sind, mehr auf dem Arbeitsmarkt.

Gleichzeitig ist die Erwerbsbeteiligung der Frauen um 10 200 gestiegen – das ist eine erfreuliche Entwicklung; wir haben als gemeinsames EU-Ziel die Hebung der Beschäf­tigungsquote der Frauen –, es sind also mehr Personen auf dem Arbeitsmarkt. Gleich­zeitig steigt aus demographischen Gründen noch die Zahl der 15-Jährigen. Auch Ein­bürgerungen bei den Männern führen dazu, dass die Erwerbsbeteiligung bei den Män­nern noch steigt; es sind 7 200 Männer mehr auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Das alles geschah innerhalb eines Jahres.

Zusätzlich interessant – weil seit vielen Jahren ohnedies steigend – ist, dass innerhalb eines Jahres 8 600 deutsche Arbeitskräfte mehr auf dem österreichischen Arbeitsmarkt waren. Dazu kamen etwa 3 000 zusätzliche Bürger aus den neuen EU-Staaten. Wir haben noch Übergangsfristen, es sind daher sehr wenige, die auf dem österreichi­schen Arbeitsmarkt zusätzlich aufgetreten sind. Überdies sind 2 400 Arbeitskräfte aus Drittstaaten auf dem österreichischen Arbeitsmarkt innerhalb eines Jahres zusätzlich aufgetreten.

Das heißt, das Arbeitskräfteangebot ist innerhalb eines Jahres um 37 000 Personen gestiegen. Stellt man dem die steigende Beschäftigung gegenüber, nämlich die Be­schäftigung von 50 000 Personen, dann sieht man relativ einfach, dass die Arbeits­losigkeit um die Zahl von 13 000 Personen gesunken ist.

Das heißt, wenn Wirtschaftsforscher prognostizieren, dass wir ein 2,5-prozentiges Wirt­schaftswachstum brauchen, damit die Arbeitslosigkeit sinkt, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Es ist sehr relevant, wie sich das Arbeitskräftepotenzial entwickelt.

Ganz spannend ist momentan die deutsche Entwicklung: 600 000 Beschäftigte mehr in Deutschland innerhalb eines Jahres, gleichzeitig 600 000 Arbeitslose weniger. Das heißt, sie haben dort im Moment ein konstantes Arbeitskräftepotenzial. Das ist ein gro­ßer Unterschied zu Österreich.

Wo sehe ich die Herausforderungen für das AMS in den kommenden Jahren? – Das gemeinsame Ziel ist, glaube ich, Vollbeschäftigung für 2010. Wie kann das AMS da helfen? – Ganz sicher im Bereich Vermittlung und Bildung, und wir verhindern Arbeits­losigkeit vor allem, indem wir sie kurz halten. Unsere Aufgabe ist es, im Sinne einer „early intervention“ das Problem, das arbeitsuchende Personen haben, rasch zu erken­nen, sie rasch zu vermitteln oder, wenn notwendig, rasch zu qualifizieren und dann rasch zu vermitteln. Diese Geschwindigkeit ist es aus meiner Sicht, die letztlich dafür relevant ist, ob wir unseren Job gut machen oder nicht.

Ein zweiter großer Punkt wird breit diskutiert: Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wir haben einen Fachkräftemangel in Österreich, und er wird noch stärker werden. Er ist nicht mit einer singulären Maßnahme bekämpfbar, er ist nur gemeinsam lösbar. Unter­nehmen müssen mehr in Lehrlingsausbildung investieren, Unternehmen müssen Maß­nahmen finden, mit denen sie Ältere länger in Beschäftigung halten und das Know-how von Älteren behalten.

Gleichzeitig ist das AMS gefordert, mehr zu tun. Ein Beispiel dafür ist, dass wir im heu­rigen Jahr 10 000 Fachkräfte im Metallbereich qualifizieren werden.

Der letzte Punkt – wo es dann sozusagen noch immer nicht reicht – ist der Punkt der Migration, also der bedarfsgerechten Zuwanderung.

Ich habe schon gesagt, dass wir schneller arbeiten müssen; wir müssen aber auch besser arbeiten. Es gibt eine wirkliche Verschiebung bei unseren Maßnahmen, unsere Qualifizierungen dauern länger. Das ist auch der Grund dafür, dass wir heuer weniger Qualifizierungen machen. Wir kaufen im AMS hochwertigere Maßnahmen, das ist ohnedies schon angesprochen worden. Wir meinen, dass wir in der Qualität unserer Maßnahmen besser werden müssen. Wir müssen aber auch bei der Auswahl sozu­sagen treffsicherer werden. Es ist nicht einfach, in kurzen Gesprächen herauszufinden, welche Ausbildung für wen die richtige ist.

Wir glauben, dass wir mit dieser Steigerung der Qualität die Kundenzufriedenheit so­wohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite erhöhen können. Gleichzeitig gibt es auch Wünsche unserer Eigentümer. Arbeitgeber wollen mehr Vorauswahl, da­mit wir die richtigen Personen schicken und nicht viele schicken, von denen nur einer oder zwei geeignet sind. Arbeitnehmer wollen, dass wir uns noch besser und intensiver um Arbeitsuchende kümmern. Die Regierung hat auch Wünsche, bedarfsorientierte Mindestsicherung ist ein Schlagwort, das Sie alle sicherlich noch lange beschäftigen wird, und uns auch. Wie betreuen wir diese Kunden? Wie intensiv betreuen wir diese Kunden?

Der letzte Punkt, den ich hier ansprechen möchte, ist die Bewältigung der steigenden Dynamik. Wir haben auf dem österreichischen Arbeitsmarkt eine enorme Dynamik, die – das zeigt sich, wenn man Medien beobachtet – oft nicht wahrgenommen wird. Wir sagen zum Beispiel immer: Wir haben jetzt noch 200 000 Arbeitsuchende, was ma­chen wir mit diesen 200 000 Menschen? – Dass es in Wirklichkeit ständig andere Per­sonen sind, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wird oft nicht wahrgenommen. Das ist aber sehr wichtig.

Wer auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich agieren will, dessen bin ich mir sicher, muss die­se Dynamik verstehen und kennen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus dem Juli des heurigen Jahres nennen.

Wir hatten im Juli am Monatsanfang 183 000 Arbeitsuchende, am Monatsende 185 000, also praktisch keine Veränderung in einem Monat. Jetzt könnte man sagen, das ist erfreulich, da können alle meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Juli Urlaub machen.

Was ist in Wirklichkeit passiert? – Auf diese 183 000 Menschen entfallen 66 000 Ab­gänge, es sind also Arbeitsuchende in Arbeit gegangen, in Pension, in Schwanger­schaft oder in Mutterschutz, und 68 000 Menschen sind in der Arbeitslosigkeit neu zu­gegangen. Es gab also eine enorme Veränderung in einem Monat. Dividieren Sie das durch 20 Tage, dann kommen Sie auf über 3 000 Arbeitsuchende an einem Tag, die ab- und zugehen.

Noch eindrucksvoller ist es aus meiner Sicht bei den offenen Stellen. Wir hatten rund 43 000 offene Stellen am Anfang des Monats und 43 000 am Ende des Monats. Da könnte man sagen: Nichts hat sich getan! Was hat sich in Wirklichkeit getan? – Von den 43 000 Stellen sind 75 Prozent besetzt worden, und ähnlich viele sind wieder da­zugekommen!

An guten Tagen werden dem AMS zwischen 2 000 und 3 000 offene Stellen neu ge­meldet. Das sind enorme Bewegungszahlen. Das ist letztlich auch der Grund dafür, dass wir weniger offene Stellen als Arbeitsuchende haben. Eine offene Stelle ist beim AMS im Schnitt 30 Tage offen, aber ein Arbeitsuchender sucht etwa 100 Tage Arbeit. Dadurch kommt es auch zu dieser augenscheinlichen „mismatch“ an offenen Stellen im Verhältnis zu Arbeitsuchenden.

Ich möchte Ihnen zum Abschluss ein Beispiel bringen. Zwar kann man sich mit diesen großen Zahlen viel vorstellen, aber damit man es sich noch besser vorstellen kann, möchte ich Ihnen eine Verbindung zeigen, die dieser Rechner mit unserem Rechen­zentrum hat. Diese Webseite ist jetzt mit unserem Rechenzentrum verbunden, und das ist der heutige Tag. Wir hatten am heutigen Tag bereits 1 688 Arbeitsaufnahmen und haben 322 neu gemeldete offene Stellen erhalten. Eine Meldung ist zum Beispiel um 8.27 Uhr eingelangt, sie betrifft eine Reinigungskraft in Salzburg.

Während wir hier sprechen, tut sich daher einiges. (Abg. Broukal: Welche Internetseite ist das?) Die Seite ist momentan noch mit einem Passwort geschützt, in Kürze werden wir sie aber auch öffentlich zeigen. Das ist sozusagen das, was sich jetzt auf dem Ar­beitsmarkt tut, während wir hier reden. Es gibt hundert Geschäftsstellen, mein Kollege sitzt hier und weiß, dass in seiner Geschäftsstelle soeben Menschen Arbeit finden und neue offene Stellen gemeldet werden. So geschieht das in ganz Österreich.

Es ist wichtig, um den Arbeitsmarkt zu verstehen, dass man auch die Dynamik und die Bewegung kennt. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.25


Vorsitzender Präsident Mag. Wolfgang Erlitz|: Danke schön. – Zu Wort gemeldet hat sich jetzt Herr Mag. Schlögl. Ich erteile es ihm.

 


10.25

Mag. Peter Schlögl (Österreichisches Institut für Berufsbildungsforschung)|: Sehr ge­ehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich beginne den Reigen der Experten aus dem wissenschaftlichen Bereich. Die Frage, die ich mit Ihnen kurz durch­gehen möchte, ist: In welcher Form stellen sich denn die Herausforderungen bezüglich Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit? – Ich habe es ergänzt, nicht nur um den Bereich der Wirtschaft, sondern auch den der Gesellschaft. Es ist ja auch schon ange­sprochen worden: Die Gesellschaft insgesamt wird fordernder bezüglich der Kompe­tenzen, die Menschen brauchen.

Wir haben schon einiges von den Schwächen des österreichischen Bildungswesens gehört. Eine dezidierte Stärke unseres Bildungswesens ist, dass wir einen relativ ho­hen Anteil von Jugendlichen in beruflicher Ausbildung haben. Im Anschluss an die Pflichtschule sind es rund 80 Prozent des Altersjahrganges, die entweder in dualer Ausbildung in Betrieb und Schule oder in vollschulischer Ausbildung sind. Das ist ein im internationalen Vergleich relativ hoher Wert.

Wir haben allerdings auch eine kleinere Gruppe derjenigen, die gar keine Ausbildung draufsetzen, und die Arbeitsmarktdaten sprechen für sich. Was die Daten natürlich auch zeigen, ist, dass von Arbeitslosigkeit speziell Personen betroffen sind, die eine Ausbildung beginnen, sie aber nicht abschließen können. Dies findet sich natürlich auch in diesen Arbeitsmarktdaten.

Die Lehre – sie wurde auch schon mehrfach angesprochen als ein wichtiger Bereich der Berufsausbildung in Österreich – ist immer noch der größte Sektor innerhalb dieser 80 Prozent. Allerdings, wenn man alle schulischen Ausbildungswege im Berufsbil­dungsbereich zusammenzählt, haben die Schulen die Lehre bereits überholt. Dennoch wird im Zusammenhang mit Berufsausbildung immer stark auf den Lehrbereich fokus­siert – zu Recht, weil das für bestimmte Gruppen von Jugendlichen eine sehr attraktive Ausbildung ist. Allerdings ist man hier konjunkturellen Schwankungen stark unterwor­fen, und da stehen auch einzelne menschliche Schicksale dahinter, die davon betroffen sind.

Es ist nicht das erste Mal Mitte der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts passiert, dass wir massive Probleme im Lehrstellenangebot hatten. In der Zweiten Republik war das schon die dritte große Krise; so kann man das beschreiben. Es hat in den fünfziger Jahren Probleme gegeben, damals hat man mit einer gesetzlichen Initiative gegenge­steuert. Es hat in den achtziger Jahren eine Initiative gegeben, weil ein zu niedriges Ausbildungsplatzangebot da war, im Rahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Und seit den neunziger Jahren hat man hier versucht, mit AMS-Maßnahmen gegenzusteuern; mittlerweile umfassen die berühmten JASG-Maßnahmen 10 000 Jugendliche.

Jetzt soll versucht werden, über eine Ausbildungsgarantie ein stabiles Angebot zu ma­chen. Die Staatssekretärin hat es schon angesprochen: Das hat natürlich auch Effekte auf die Attraktivität: Wie stabil sind die Angebote, die man hier von Jahr zu Jahr vorfin­det?

Dieser Rückgang der Lehrstellenangebote insgesamt über die Jahre hinweg ist lange Zeit überlagert worden durch die Expansion des berufsbildenden Schulwesens der mittleren und der höheren Schulen, und das hat der Problematik ein bisschen die Spitze genommen. Mittlerweile kommt man hier auch an Grenzen, an Kapazitätsgren­zen und an Grenzen der finanziellen Ressourcen.

Dieser Rückgang an Lehrstellen ist einerseits natürlich in der wirtschaftlichen Dynamik begründet. Aber – und das zeigen uns Befunde, wenn man genauer hinschaut – worin bestehen denn die Tätigkeiten, die hier ausgebildet werden und ausgeübt werden sol­len? – Sie bestehen auch in einer Veränderung des Aufgabengebietes.

Nur einige Stichworte dazu: Wir sprechen von einer Entwicklung in eine Dienstleis­tungsgesellschaft, einer Tertiärisierung. Viele der Lehrberufe, die wir kennen, sind eher in Produktionsberufen zu finden. Das Stichwort der Wissensgesellschaft oder wissens­basierten Gesellschaft ist schon gefallen, hier gibt es ein gewisses Spannungsfeld. Stichworte wie „Globalisierung“ und „Regionalisierung“ sind auch schon vorgekommen.

Ein wichtiger Punkt ist natürlich auch, dass die Dynamik der Wirtschaft auch mit star­ken Veränderungen der Produktionsweisen und der Fertigungsmethoden verbunden ist und dass da die duale Ausbildung zusätzlich unter Druck kommt. Diese Ausbildungs­garantie soll hier nun helfen.

Ein Problem, das ich immer wieder erkenne, ist, dass man diese gesamte Diskussion stark unter dem Aspekt der Jugendbeschäftigung führt und die berufspädagogischen und berufsqualifizierenden Fragestellungen immer etwas zurückreiht. Natürlich ist es ein Problem, wenn 15-Jährige keinen Ausbildungsplatz oder keinen Arbeitsplatz finden. Da braucht es Lösungen. Nichtsdestotrotz muss man darauf achten, welche Effekte man mit bestimmten Bildungsangeboten auslöst, um das Primat der Jugendbeschäfti­gung ein bisschen zu brechen und Fragestellungen der Qualität und weitere wichtige Fragestellungen im Zusammenhang mit lebensbegleitender Bildung zu beachten. Das wird zunehmend wichtig werden.

Wir sehen, wenn wir uns den sozialen Hintergrund der Jugendlichen in unserem Bil­dungssystem anschauen, eine starke Segregation, eine Verteilung. Wir haben die Ein­kommensschwächsten in der dualen Ausbildung, und die sind gerade von Phasen der Arbeitslosigkeit im Übergang dann doppelt betroffen.

Wir haben damit verbunden allerdings auch die Fragestellung: Wie geht es denn mit der Bildung von Absolventinnen und Absolventen der Lehrausbildung weiter? Das sind jene Personen, die in der betrieblichen Weiterbildung oder in der Erwachsenenbildung am schwächsten repräsentiert sind. Das heißt, die haben einen schwierigen Einstieg und sind dann auch noch im Weiterqualifizieren benachteiligt. Das betrifft einerseits den betrieblichen Einsatz, nämlich dass diese Einsatzbereiche in den Unternehmen nicht so stark an der Weiterbildung teilhaben, und andererseits auch formale Aspekte, nämlich dass Absolventinnen und Absolventen dieser Bildungsgänge keinen Zugang zu hochwertiger Weiterbildung, zum Beispiel im fachhochschulischen oder im hoch­schulischen Bereich, haben, weil sie keine Reifeprüfung haben. Das wurde schon mehrmals angesprochen. (Vizepräsident Weiss übernimmt den Vorsitz.)

Es gibt jetzt die Möglichkeit der Berufsreifeprüfung. Die ist kostenpflichtig und zusätz­lich noch mit einem hohen persönlichen Einsatz in der Freizeit verbunden.

Hier gibt es neben der Chancengleichheit oder Chancenungerechtigkeit im Zugang auch ein Problem der Durchlässigkeit zu höherwertiger Bildung in späteren Lebens­phasen.

Abgesehen davon sehen wir neben dem sozialen Hintergrund der Bildungswegent­scheidungen – auch das ist schon im Zusammenhang mit dem Kompetenzprofil un­serer Jugendlichen gefallen – eine starke Verdichtung von Jugendlichen, die eher dem schwächeren Feld zuzuordnen sind. Hier bedarf es bestimmt zusätzlicher Aspekte der Unterstützung, die dann wieder Voraussetzung für eine faktische Durchlässigkeit sind.

Wir haben in unserem Bildungssystem formal sehr viele Möglichkeiten, ich kann natür­lich eine Abendschule besuchen, ich kann eine Berufsreifeprüfung machen, ich kann auch ohne Reifeprüfung zum Fachhochschulstudium zugelassen werden, aber unsere faktische Durchlässigkeit ist sehr begrenzt. Die Zahlen sind sehr klein. Der Punkt ist: Wie schafft man diese Spannung? – Formal besteht sie, faktisch ist sie schwach aus­gebaut. Hier bedarf es sicher Möglichkeiten zur Förderung dieser Kompetenzen. Was nützt es jemandem, wenn ich ihm die Matura schenke? Er oder sie wird sich im hoch­schulischen System nicht bewähren können. Das heißt, das muss auch mit den ent­sprechenden Kompetenzen gestützt sein.

Ein wichtiger Punkt gerade im Zusammenhang mit lebenslangem Lernen – auch da gibt es in den verschiedenen Bildungswegen verschiedene Optionen – ist, dass die Schulen zunehmend in den Aufgabenbereich gelangen, für weitere Bildungswegent­scheidungen vorzubereiten. Sie haben die Aufgabe, nicht nur für unmittelbar im An­schluss an die Ausbildung, sondern – wir haben das von Minister Hahn gehört – für sämtliche Veränderungen, Neuorientierungen, die in den Lebenssituationen vorkom­men werden, vorzubereiten.

Das müsste in den Bildungsauftrag der Pflichtschulen, aber auch in jenen der weiter­führenden Schulen zunehmend hineinkommen, nämlich zu sagen: Wir bereiten nicht nur auf den beruflichen Ersteinstieg vor, sondern wir statten unsere Schülerinnen und Schüler, unsere Absolventinnen und Absolventen mit einer Lebensentscheidungskom­petenz aus, die sie dazu befähigt und ermächtigt, auch in späteren Lebensphasen hö­here Informationskompetenz zu haben, zu wissen, an wen sie sich wenden können, wenn sie Berufsinformation, Berufsorientierung brauchen, und Entscheidungshilfen an die Hand zu bekommen.

Das Modell des „Lebensberufes“ wird es immer weniger geben, und es muss der Auf­trag der Schulen werden, die Menschen auch diesbezüglich besser auszustatten.

Wenn es um mehr Chancen in Gesellschaft und Wirtschaft geht, sind also drei Punkte wichtig: Wir brauchen Chancengerechtigkeit beim Zugang. Wir brauchen Chancenge­rechtigkeit hinsichtlich einer realen, faktischen Durchlässigkeit in unserem Bildungssys­tem. Und wir brauchen Kompetenzen, um uns in einer komplexer werdenden Gesell­schaft immer wieder neu orientieren zu können. – Danke schön. (Beifall.)

10.35


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächster gelangt Herr Stadtrat Jo­hann Mayr zu Wort.

 


10.35

Stadtrat Johann Mayer (Stadt Linz)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist heute schon vielfach darauf hingewiesen worden, welche Ziele ein Bil­dungssystem – angefangen von den Arbeitsmarktwirkungen bis hin zur Chancengleich­heit, Chancengerechtigkeit – erreichen soll. Es wurde auch darüber diskutiert bezie­hungsweise die Frage angesprochen: Wie misst man das dann, wenn man kritisch zu PISA und PIRLS und anderen Vergleichen steht? Diejenigen, die das kritisieren, müs­sen auch angeben, wie sie öffentliche Dienstleistungen – sprich: im Speziellen im Bil­dungssystem – dann messen und dokumentieren.

Ich gehe davon aus, dass öffentliche Dienstleister in einem hohen Maße transparent gegenüber den Bürgern ihre Leistungsfähigkeit und ihre Leistungserbringung zu legiti­mieren haben. Ich gestehe zu, dass wir da in Österreich in vielen Bereichen – im Ge­gensatz zum Beispiel zu Großbritannien –, angefangen vom Gesundheitswesen bis hin zum Bildungswesen, entsprechende Defizite haben.

Aber diese Ziele sind definiert. Die Makrobefunde aus diesen internationalen Verglei­chen und Fachstudien sind eindeutig. Um die strukturellen Bedingungen – Chancen­gleichheit und Ausschöpfen der Fähigkeitspotenziale der Kinder, Jugendlichen und Älteren, wenn man den gesamten Bildungsprozess hernimmt – wissen wir Bescheid.

Ich möchte Ihnen heute ein Modell für einen „Mikro-Blick“ vermitteln, der aus meiner Sicht sehr interessant ist und der auch vieles erklärt, wie Bildungsentscheidungen ge­troffen werden. (Der Redner verdeutlicht seine Ausführungen durch Tabellen im Rah­men einer PowerPoint-Präsentation.)

Es geht nicht nur um die strukturellen Rahmenbedingungen, sondern auch um die Fra­ge: Wie entscheiden sich Erziehungsberechtigte für ihre Kinder, wie entscheiden sich Jugendliche, wie entscheiden sich Erwachsene, wenn sie zu bestimmten Zeitpunkten Entscheidungen dahin gehend zu treffen haben, ob sie bestimmte Bildungsangebote wahrnehmen oder nicht?

Die Grundlage ist ein Modell von Professor Hartmut Esser aus Mannheim, der ver­sucht, einen mikrosoziologischen Blick in diesem Modell sicherzustellen. Die Variablen des Grundmodells sind auf den ersten Blick vielleicht nicht klar, aber auf den zweiten schon.

Bei der Bildungsentscheidung ist Folgendes wichtig:

Erstens: Welchen Nutzen erwarte ich mir am Ende des Bildungsdurchganges?

Zweitens, und das ist schon entscheidend: Welche Wahrscheinlichkeit unterlege ich, dass ich diesen Nutzen auch realisieren kann, das heißt, dass ich meine Ausbildung abschließe und aufgrund dieser Ausbildung dann einen bestimmten Ertrag für mich selbst erzielen kann?

Klar ist, dass die zweite Seite neben der Nutzenseite die Kosten sind, und zwar die subjektiven Kosten. Da geht es nicht nur um finanzielle Kosten, sondern auch um per­sönliche Investitionen, persönliche Anstrengungen. Wichtig ist ein gesamter Blick auf die Kostensituation. Dazu kommen noch der Wert des drohenden Statusverlustes und die Wahrscheinlichkeit, dass dieser eintritt.

Das heißt, bei diesem Mikromodell haben die Menschen in der Regel zwei Entschei­dungsmöglichkeiten in ihrem Strategiebündel: entweder eine bildungsabstinente Alter­native oder eine weiterführende Alternative, das heißt tatsächlich einen zusätzlichen Bildungsschritt oder die Möglichkeit, in ein höheres System einzusteigen.

Die bildungsabstinente Alternative ist relativ einfach: Der erwartete Nutzen ist gleich dem Statusverlust. Der Statusverlust wird entweder am eigenen Status oder an dem der Eltern festgemacht und an der Wahrscheinlichkeit, dass er eintritt.

Daraus geht klar hervor: Je bildungsferner die Herkunft, desto geringer ist die Wahr­scheinlichkeit, dass man überhaupt etwas verlieren kann. Denn: Bildungsferne heißt niedriger sozialer Status. Daher ist der Verlust für Kinder aus bildungsfernen Schichten gering. Für Kinder aus höheren Bildungsschichten ist der Statusverlust größer, wenn sie eine bildungsabstinente Alternative wählen.

Die weiterführende Alternative ist auch wieder der erwartete Nutzen, und zwar einer­seits ein mit der Wahrscheinlichkeit bewerteter Nutzen, nämlich diesen auch realisieren zu können, und andererseits klarerweise die Gegenalternative, nämlich dass man scheitert, wobei man natürlich das Risiko des Statusverlustes hat und ein Minus bei den Kosten.

Das Modell für untere Bildungsschichten beziehungsweise mittlere Bildungsschichten stellt sich folgendermaßen dar:

Wenn man davon ausgeht, dass der Nutzen für beide gleich ist, ist die Realisierungs­wahrscheinlichkeit für bildungsferne Schichten weit geringer als für nicht bildungsferne Schichten. Das macht einen zentralen Unterschied aus. Der Statusverlust ist, wie ich bereits angesprochen habe, bei unteren Schichten nicht gegeben, denn wenn man nichts hat, kann man auch nichts verlieren.

Jetzt ist die ganz einfache Entscheidung zu treffen: Wähle ich die bildungsferne bezie­hungsweise bildungsabstinente Strategie oder engagiere ich mich bei meiner Bildungs­entscheidung und treffe eine höhere Entscheidung? Dann muss der erwartete Nutzen für eine Bildungsinvestition höher sein als der erwartete Nutzen bei einer abstinenten Strategie.

Ich erspare Ihnen jetzt, die Gleichung umzuwandeln. (Der Redner weist auf verschie­dene Darstellungen im Rahmen der PowerPoint-Präsentation hin.) – Das Ergebnis ist relativ anschaulich und einfach: Es muss der Nutzen höher sein als die Kosten dividiert durch die Wahrscheinlichkeit des Realisierens des Nutzens. Die linke Seite sagt etwas aus über die Bildungsmotivation, und die rechte Seite der Ungleichung sagt etwas aus über das Investitionsrisiko.

Entscheidend sind bei dieser individuellen Entscheidung die institutionellen Rahmenbe­dingungen: Wie hoch sind die Kosten für eine höhere Bildungsentscheidung? Und wie hoch oder wie gering schätzen die einzelnen Personen, wenn sie diese Entscheidung treffen, die Wahrscheinlichkeit ein, dass sie den höheren Nutzen in der Bildungsent­scheidung auch tatsächlich realisieren können?

Die politische Aufgabe ist aus meiner Sicht, einerseits die Bildungsmotivation zu erhö­hen, aber der Schwerpunkt muss andererseits darauf liegen, das Investitionsrisiko für die Betroffenen zu senken. Das heißt, die Kosten minimieren und die Eintrittswahr­scheinlichkeit des Nutzens maximieren. Dafür müssen die politischen Rahmenbedin­gungen geschaffen werden, beziehungsweise es müssen die Strukturentscheidungen so getroffen werden, dass die Kosten minimiert werden und die Erfolgswahrscheinlich­keit der Realisierung des Bildungsschrittes erhöht wird.

Faktum ist, dass das in unserer Gesellschaft ungleich verteilt ist. Das heißt, die vom Sozialminister angesprochenen Schichten, wie zum Beispiel Menschen mit Migrations­hintergrund, haben eine auch aus der Gesellschaft heraus vermittelte und signalisierte geringe Realisierungswahrscheinlichkeit. Daher darf man sich nicht wundern, dass be­stimmte Bildungsentscheidungen so und nicht anders getroffen werden.

Es ist aus meiner Sicht Aufgabe der Politik, einerseits die Bildungsmotivation zu erhö­hen, das heißt, dafür zu sorgen, dass der subjektive Nutzen für die einzelne Person bei ihrer Bildungsentscheidung erhöht wird, und andererseits das Investitionsrisiko für die Zielgruppen, die es in unserem Bildungssystem zu unterstützen gilt, also die subjek­tiven Kosten zu senken und die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen.

Ich ersuche Sie, mit dieser einfachen mikrosoziologischen Formel bei Ihren politischen Entscheidungen darauf zu achten, ob sie Nutzen erhöhen oder geringer machen, ob sie Kosten senken oder Kosten erhöhen und ob sie die Realisierungswahrscheinlich­keit für den Einzelnen senken oder erhöhen. Bei der Einschätzung der Maßnahmen können Sie sich dann auch die Effekte bei Ihren bildungspolitischen Entscheidungen ausrechnen. (Beifall.)

10.45


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Danke.

Ich unterbreche zum Zwecke einer kurzen Pause für die Raucher, Kaffeetrinker und so weiter die Sitzung

Ich gehe davon aus, dass wir uns um 11 Uhr hier zur Fortsetzung der Enquete wieder einfinden.

*****

(Die Enquete wird um 10.46 Uhr unterbrochen und um 11.05 Uhr wieder aufgenom­men.)

*****

 


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und erteile dem nächsten Redner das Wort.

 


11.05

Johannes Fenz (Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs)|: Herr Präsident! Ich möchte das Thema aus dreierlei Sicht beleuchten: einerseits aus Eltern­sicht, da ja der Katholische Familienverband gemeinsam mit den Kinderfreunden eine Trägerorganisation für die Elternvereine ist; zweitens als Direktor einer Berufsschule aus Lehrersicht; drittens als Mitglied des Hochschulrates im Burgenland und auch als Schuldidaktiker sowie Fachdidaktiker aus Lehrerausbildungssicht.

Ich glaube, dass man, wenn man von Bildung spricht, davon ausgehen sollte, dass jeder Mensch befähigt sein sollte, sein Leben und somit seine Ausbildung und Bildung in freier Selbstverantwortung selbst in die Hand zu nehmen. Da braucht es nicht nur Ausbildungskompetenz, sage ich einmal, sondern Bildung ist sicher mehr als das, wie wir es immer definieren. Wenn wir von Bildungsstandards sprechen, meinen wir oft Wissensstandards oder derlei Kompetenzen.

Zunächst aus der Sicht der Eltern: Jeder Vater, jede Mutter möchte natürlich das Beste für sein/ihr Kind, die beste Ausbildung. Die Entscheidung darüber, in welche Schule das Kind geht, möchten die Eltern treffen, das heißt, es braucht eine entsprechende Wahlfreiheit. Auch wenn wir gegenwärtig viele Schultypen diskutieren, spricht vor allem die aktuelle Sprengelregelung dagegen.

Konkret würde ich daher vorschlagen, dass man die Finanzierung der Schulen nicht auf die Schüler, die dorthin gehen, abstellt, sondern auf die Einwohner, die im jeweili­gen Schulsprengel wohnen. Damit wird es gleichgültig, in welche Schule welches Kind geht und die Eltern hätten eine echte Wahlfreiheit. Die Eltern wollen sicher auch Ver­lässlichkeit – eine Verlässlichkeit dahin gehend, dass ihre Kinder in eine Schule gehen können, wo sie ihren Neigungen, Begabungen und ihrer Leistungsfähigkeit entspre­chend gefördert werden.

Die Verlässlichkeit einer Schule, wie sie Eltern sehen, darf nicht nur erlebnisorientiert sein, sondern die Schule muss vor allem ergebnisorientiert sein, was sich ja in weite­rer Folge sicher auch auf die berufliche Bildung oder die Berufsentscheidung auswirkt.

Eine verlässliche Schule braucht nicht eine ständige Strukturdebatte, sondern braucht aus meiner Sicht vor allem eine pädagogische Debatte; diese Debatte müsste für die Bildungspolitik verschiedene Konsequenzen haben.

Ich meine – und hier ist man meiner Ansicht nach politisch auf einem guten Weg –, dass es das kostenlose Kindergartenjahr verpflichtend für alle geben soll, ich möchte aber hinzufügen, dass nicht nur die sprachliche Kompetenz im Mittelpunkt steht, son­dern sehr wohl auch die soziale Kompetenz, da ein Großteil der Kinder als Einzelkinder aufwächst. Diese Kinder haben, wenn sie in die Volksschule kommen und vorher nicht im Kindergarten waren, vor allem im sozialen Umgang miteinander Defizite. Dazu ge­hört natürlich auch die Schulung des motorischen Geschicks oder generell, dass alle Kompetenzen vermittelt werden müssen.

Ich meine auch, dass in der Volksschule die Konzentration auf die und das Erlernen der Kulturtechniken im Mittelpunkt stehen müssen, dazu gehören vor allem das sinn­erfassende Lesen und Schreiben, aber auch mathematische und musisch-kreative Kompetenzen, die es im Volksschulbereich geben muss. Ich glaube, man muss sich auf diese Grundaufgaben konzentrieren.

Wir an der Berufsschule Eisenstadt führen nun seit drei Jahren Untersuchungen im Be­reich der Lesekompetenz zu Beginn und am Ende eines geblockten Lehrganges durch, stellen die schulischen Leistungen gegenüber, merken, dass der Zuwachs an Lese­kompetenz relativ gering, aber doch gegeben ist und die Lesekompetenz daher sehr wohl mit den Leistungen in Korrelation steht.

Ich glaube auch – das wurde heute schon mehrfach angesprochen –, dass die Berufs­orientierung in die dritte oder siebente oder achte Schulstufe vorverlegt wird. Das heißt, dass die Polytechnische Schule einer Weiterentwicklung bedarf, und zwar in Richtung eines Berufsgrundjahres. Sie sollte aus meiner Sicht in einem Berufsfeld konkret aus­bilden, um einen positiven Einstieg in die Lehre zu gewährleisten.

Es wäre auch zu hinterfragen, ob es nicht Sinn machen würde, die Schule in der Form weiterzuentwickeln, dass Schüler aus berufsbildenden mittleren und höheren Schulen, die dort – sage ich jetzt einmal – mit Bomben und Granaten negativ abschließen, auch dieses Berufsgrundjahr absolvieren müssten, um hier vielleicht die Bildungsströme in die richtige Richtung zu steuern.

Die Weiterentwicklung der Berufsschulen bezüglich der Berufsreifeprüfung wurde heute auch schon mehrfach angesprochen. Ich glaube, ein wesentlicher Punkt hier ist diese Ungleichheit, dass nämlich einerseits die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen mehr oder weniger von der Allgemeinheit finanziert werden, andererseits aber jemand, der den Weg zur Berufsreifeprüfung beschreitet, nicht nur viel Engagement, sondern auch viel Geld investieren muss. Hier besteht also eine Ungleichheit; es müss­te die Berufsreifeprüfung in das bestehende System eingeordnet werden.

Abschließend vielleicht noch einige Worte zur Lehrerausbildung. Auch diese ist ja in Diskussion. Die Meinung, die emotionalen Meinung, sage ich jetzt einmal, der Eltern sieht so aus, dass man die Auffassung vertritt, die AHS-Lehrer hätten ein höheres Maß an fachlicher Kompetenz, die Lehrer an den Hauptschulen ein höheres Maß an päda­gogischer Kompetenz. Darum würde es meiner Meinung nach Sinn machen, wenn alle Lehrer die Fachkompetenz an den Universitäten erlernen würden und alle Lehrer als weiteren Entwicklungsschritt die pädagogische Kompetenz eben an den Pädagogi­schen Hochschulen erwerben müssten.

Ich glaube aber auch, dass wir im Unterricht generell vom rein kognitiven Lernen zu einem mehrdimensionalen Lernen kommen müssen, also einerseits nicht nur vom Wis­sen sprechen, sondern Wissen zum Verstehen sollte damit gemeint sein, Wissen zur Anwendung, verbunden mit persönlicher und sozialer Kompetenz. Ich denke, wenn uns das gelingt, haben wir im Bereich der Berufswahl und der Wirtschaft dem Fachkräfte­mangel, der uns bevorsteht, einiges entgegenzusetzen. – Danke. (Beifall.)

11.12


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Mag. Thomas Mayr.

 


11.13

Mag. Thomas Mayr (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte die mir zustehenden 6 Minu­ten Redezeit dafür verwenden, Ihnen einen Überblick über das österreichische Berufs­bildungssystem im internationalen Vergleich zu geben, um Ihnen hier Besonderheiten und vor allem auch Stärken aufzuzeigen, die aus meiner Sicht vor dem Hintergrund notwendiger und zukünftiger politischer Handlungsfelder sehr wichtig sind.

Wenn ich „Stärken“ sage, überrascht das vielleicht, weil man ja gewohnt ist, dass aus dem internationalen Vergleich – Stichwort PISA, Stichwort OECD – eigentlich tenden­ziell im öffentlichen und auch im politischen Diskurs eher die Schwächen im Vorder­grund stehen. Die mögen begründet und tatsächlich besorgniserregend sein, wie es bei PISA sicherlich der Fall ist. Sie mögen auch aufgrund statistischer Unklarheiten be­stehen, so wie es das aus meiner Sicht bei „Education at a Glance“, der Bildung auf einen Blick sozusagen, seitens der OECD der Fall ist.

Im Bereich der Berufsbildung hingegen glaube ich, dass die Stärken, die wir in Öster­reich haben, tatsächlich enorm sind, und dass genau der Blick, den wir im allgemein bildenden Bereich normalerweise nach Finnland, in Richtung anderer Staaten richten, in der Berufsbildung auf Österreich gerichtet wird.

Wie mein Kollege Peter Schlögl bereits angedeutet hat, liegen wir, was den Anteil der Jugendlichen in der Sekundarstufe 2 betrifft, die sich in beruflicher Bildung befinden,
im absoluten europäischen Spitzenfeld. Rund 80 Prozent eines Altersjahrganges sind in beruflicher Bildung. Diese 80 Prozent teilen sich auf in etwa 40 Prozent Lehrlings­ausbildung, ungefähr 25 Prozent gehen in berufsbildende höhere Schulen, und etwa 15 Prozent gehen in berufsbildende mittlere Schulen, ist gleich Fachschulen.

Eine große Besonderheit ist in diesem Zusammenhang das hohe Engagement der Un­ternehmen, die wir in Österreich im Bereich der dualen Ausbildung haben, eine Art der Ausbildung, die im internationalen Vergleich eher die Ausnahme als die Regel ist. Eine vergleichbare Situation gibt es eigentlich nur in den deutschsprachigen Ländern und zum Teil auch in Dänemark.

Ein konkreter Erfolgsindikator sind die relativ hohen Abschlussraten auf der Sekundar­stufe 2. Sie sehen anhand der Grafik hinter mir, dass im Alter von 20 bis 24 Jahren nur mehr rund 15 Prozent eines Altersjahrganges ohne Abschluss bleiben. Wenn man sich diesen Wert im Zeitverlauf ansieht, so wird klar, wie extrem ausgeprägt die Bildungs­expansion war oder ist: 1971 waren es 41 Prozent, 1981 28 Prozent; und heute sind es, wie gesagt, um die 50 Prozent. Meine These ist, dass ein wichtiges Element in die­sem Zusammenhang und sozusagen die Basis für die Bildungsexpansion die duale Ausbildung ist, weil genau diese es schafft, mit einem relativ heterogenen Zielpubli­kum – soll heißen mit Jugendlichen unterschiedlicher Leistungsstärke – umzugehen und diese in Bildungsprozesse zu integrieren.

Dass das System dieser Zweiteilung – schulische Ausbildung im beruflichen Bereich auf der einen und duale Ausbildung im beruflichen Bereich auf der anderen Seite – funktioniert, erkennt man am Anteil der Jugendlichen, die sich nicht in Ausbildung be­finden und arbeitslos sind, hier unterschieden zwischen den 15- bis 19-Jährigen und den 20- bis 24-Jährigen, ein Wert, der sich für Österreich absolut sehen lassen kann.

Ähnliche Zahlen, wie Sie sie jetzt an der Wand stehen haben, haben Sie heute bereits vom AMS gesehen. Der Unterschied zu meinen Zahlen ist, dass hier eine andere Me­thode, die international übliche Labour-Force-Methode verwendet wird, das Ergebnis ist aber im Grunde das Gleiche. Es zeigt sich, dass Bildung, insbesondere berufliche Bildung, am Arbeitsmarkt in Österreich funktioniert. Das heißt, dass die Einmündung in den Arbeitsmarkt mit Hilfe von beruflicher Bildung oder durch berufliche Bildung sehr erfolgreich ist und dass die einzige Gruppe, die am Arbeitsmarkt tatsächlich enorme Schwierigkeiten hat, diejenigen sind, die lediglich über Pflichtschulausbildung verfügen.

Trotzdem gibt es, von diesen Stärken insgesamt ausgehend, natürlich jede Menge Herausforderungen und Ziele. Es wäre also völlig falsch, sich jetzt zurückzulehnen und zu sagen: Es ist eh alles super, wir stehen im internationalen Vergleich hervorragend da. Man kann immer besser werden. Vor allem die Herausforderungen sind da, und die Herausforderungen sind insbesondere darin begründet, dass wir einen volatiler wer­denden Arbeitsmarkt haben und dass auch die Anforderungen der Unternehmen an Absolventen der Berufsbildung steigen und insgesamt höher werden.

Aus meiner Sicht ist die Bildungs- und Berufsberatung absolut zentral. Hier haben wir eine Situation, dass wir zwar gesetzmäßig definiert eine verbindliche Übung in der sie­benten und achten Schulstufe haben, gleichzeitig aber – und das ist aus meiner Sicht absolut erschreckend – zeigen Studien, die wir als ibw gemeinsam mit unseren Kolle­gen vom öibf gemacht haben, dass sich in der Gruppe der benachteiligten Jugendli­chen, also solchen, die keine Berufsausbildung abgeschlossen haben, 70 Prozent – stellen Sie sich vor: 70 Prozent! – nicht daran erinnern können, dass sie in der Schule jemals Berufsorientierung hatten. Also es geht nicht darum, ob die Berufsorientierung gut oder schlecht war, sondern sie können sich nicht einmal daran erinnern, dass sie überhaupt eine Berufsorientierung hatten.

Da ist meine These, dieses Instrument einer verbindlichen Übung, das in vielen Fällen sozusagen quer über alle Fächer unterrichtet werden soll, funktioniert in dieser Form nicht und fällt in vielen, vielleicht sogar in den meisten Schulen unter den Tisch, sodass wir hier tatsächlich Handlungsbedarf haben. Darum begrüße ich die laufenden Initiati­ven, die Bildungs- und Berufsberatung an den Schulen zu stärken. Ich halte auch die Angebote, die sich insbesondere vonseiten der Wirtschaftskammer beziehungsweise auch der Arbeiterkammer oder des AMS hier entwickelt haben, für enorm wertvoll, weil eine sehr praxisorientierte und sehr relevante Berufsorientierung als Angebot an Schu­len, aber auch an Individuen gemacht wird.

Die zwei weiteren Punkte möchte ich, sofern es die Zeit noch erlaubt, zusammenfas­sen und sagen: Es geht auch darum, die Berufsbildung, sei es die Lehrlingsausbildung, sei es die schulische Berufsausbildung, für Jugendliche attraktiv zu machen, attraktiv zu halten. Dafür wird hoffentlich die Entwicklung eines nationalen Qualifikationsrah­mens hilfreich sein, eines nationalen Qualifikationsrahmens, der das Ziel hat, alle Ab­schlüsse, die wir in Österreich haben, auf insgesamt acht Stufen zuzuordnen, und das sozusagen nicht aus einer rein akademisch allgemein bildenden pädagogischen Per­spektive, sondern auf Basis einer Kompetenzperspektive, mit der Frage: Was sind denn die konkreten Kompetenzen, die konkreten Handlungsfähigkeiten, die Jugend­liche nach Abschluss einer Bildung haben?

Da sollte es gelingen, die Berufsbildung auf ein vergleichbares und adäquates Niveau im Verhältnis zur allgemeinen beziehungsweise zur Hochschulbildung zu bringen.

Das Gleiche, was sozusagen die Attraktivität betrifft, bezieht sich selbstverständlich auch auf die Unternehmen. Noch einmal: Es ist im internationalen Vergleich nicht selbstverständlich, dass sich Unternehmen in diesem Ausmaß zeitlich und auch finan­ziell für die Ausbildung der Jugendlichen engagieren.

Hier müssen aus meiner Sicht alle Schritte gesetzt werden: durch Förderungen, durch Gestaltung der Rahmenbedingungen, Unternehmen an der Stange zu halten, damit sie sich in der Ausbildung engagieren. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.21


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächster gelangt Herr Profes­sor Dr. Schuetze zu Wort.

 


11.21

Univ.-Prof. Dr. Hans G. Schuetze (University of British Columbia, Vancouver; Kana­da)|: Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Meine Damen und Her­ren Vertreter der Regierung! Ich bedanke mich für die Einladung, heute zu Ihnen zu sprechen.

Ich bin seit 17 Jahren Professor, Bildungsforscher an der Universität von British Colum­bia in Vancouver, in Kanada. Ich war vorher sieben Jahre lang bei der OECD im Be­reich Bildungsforschung und -innovation.

Ich will Ihnen ganz kurz etwas zu meinem Verständnis von lebenslangem Lernen sa­gen. Ich werde mich zu den anderen Themen nicht äußern können, ich spreche also nicht speziell über österreichische Daten.

Es sind Ihnen die Kräfte, die das lebenslange Lernen so prominent gemacht haben, bekannt, nämlich einmal der tief greifende Funktions- und Strukturwandel in der Wirt­schaft, in der Gesellschaft. Wir haben einige der Auswirkungen hier heute Morgen schon gehört: die Individualisierung der Gesellschaft, die größere Entsozialisierung und damit auch die Individualisierung von Bildungsgängen, und die Frage der gesellschaftli­chen Teilhabe und Teilnahme – einer der Werte, die die Bildung vermitteln soll.

Was ist die Definition von lebenslangem Lernen? – Es wird oft gesagt, das lebenslan­ge Lernen sei das organisierte Lernen nach Abschluss der ersten Bildungsphase. Das ist allerdings nicht die Definition, wie wir sie verstehen, sondern das ist die Definition der Weiterbildung.

Lebenslanges Lernen ist nicht Weiterbildung oder Erwachsenenbildung. Lebenslanges Lernen ist organisiertes Lernen vor, während und nach der Erstbildungsphase. Das fängt also bereits im frühkindlichen Bereich an, und – ich komme gleich noch darauf zurück – wie wichtig gerade dieser erste Bereich für das lebenslange Lernen ist, wird oft von den Leuten, die sich lebenslanges Lernen auf ihre Fahnen geschrieben haben, übersehen.

Jeder spricht heute über lebenslanges Lernen. Es gibt das lebenslange Lernen als Grundbegriff, es ist beinahe beliebig geworden, weil jeder etwas anderes darunter ver­steht. Ich denke, es geht im Wesentlichen um drei Elemente, die lebenslanges Lernen bedeuten.

Erstens: Es ist lebenslang, das ist offensichtlich, also nicht nur in der Jugendphase.

Zweitens: Es ist lebensweit oder lebensbreit. Das heißt, wir lernen nicht nur in der Schule oder an der Universität oder in der Berufsausbildung, wir lernen auch in vielen Organisationen, deren erster Zweck nicht unbedingt die Bildung ist. Das sind Sportver­eine, das ist das Militär, das ist die Sozialisierung in den Strafanstalten. Der Arbeits­platz, wo gelernt wird, ist ganz besonders wichtig. Die meisten Erwachsenen lernen einen Großteil während des Arbeitsprozesses.

Drittens: Lebenslanges Lernen ist lernorientiert und nicht nur durch die vorgeschriebe­nen Curricula von formalen Bildungsanstalten definiert.

Das ist ein wesentlicher Paradigmenwechsel, wenn Sie so wollen, vom alten Begriff der lebenslangen Bildung zum lebenslangen Lernen. Es segeln verschiedene Schiffe unter der Flagge „lebenslanges Lernen“, und die fahren nicht alle in dieselbe Richtung.

Es gibt drei größere Modelle, die man unterscheiden kann, zum einen ein sozial eman­zipatorisches Modell „Bildung für alle“, nicht nur für die, die sich sowieso bilden und die das von zu Hause mit dem Sozialkapital in die Wiege gelegt bekommen haben, son­dern eben für alle.

Das zweite Modell ist Folgendes: Alle, die sich bilden wollen und die sich bilden kön­nen, die die Voraussetzung dafür mitbringen, sollen es tun.

Und das dritte Modell ist Bildung für den Arbeitsmarkt und die Beschäftigung. Wir ha­ben im Wesentlichen heute Morgen darüber gehört.

Alle drei Modelle haben ihre eigene Berechtigung, sie haben aber verschiedene Ziel­setzungen, sie erfordern verschiedene Maßnahmen und sie generieren verschiedene Kosten.

Was die Umsetzung dieser Modelle angeht, ist festzuhalten: Die einen sagen, lebens­langes Lernen passiert sowieso, jeder lernt doch von klein auf. Individuen, die das wol­len und können, bilden sich weiter. Der Staat leistet im Wesentlichen Bildungsinvesti­tionen, hat also den Bildungsbereich in den letzten 30, 40 Jahren enorm ausgeweitet. Er fördert bestimmte Gruppen, die nicht an dieser Bildung teilhaben können.

Es gibt aber auch einen systematischeren Ansatz zur inhaltlichen Gestaltung, nämlich mehr als dieses Laissez-faire, mehr als „More of the Same“, mehr als schon bisher, einen etwas tieferen Ansatz.

Dieser würde eine Vernetzung von verschiedenen Lernorten bedeuten, nicht nur im formalen Bildungsbereich, nicht nur zwischen Schule und Hochschule, zwischen Schu­le und beruflicher Ausbildung, sondern zwischen Schule und Arbeitsplatz, zwischen Schule und gesellschaftlichen Gruppen und so weiter.

Ein zweites Erfordernis wurde eben schon von einem Vorredner erwähnt: das Erforder­nis eines umfassenden Beratungs- und Informationssystems.

Drittens wäre die Anerkennung von Wissen zu erwähnen, die in einem anderen Be­reich, im nonformalen Bereich, erworben worden ist. Das muss anerkannt werden, um die Leute, die sich an anderen Lernorten oder mit anderen Lernformen weiterbilden, zu berücksichtigen.

Ich werde die Frage nach den Kosten auslassen. Ich werde nur sagen, dass die OECD geschätzt hat, dass der längerfristige Effekt eines zusätzlichen Bildungsjahres – für jeden in der Bevölkerung – etwa zwischen 3 bis 6 Prozent Produktionszuwachs bedeu­tet.

Wenn wir also auf der einen Seite nur von den Kosten, den Mehrkosten für die Bildung sprechen, dann müssen wir auch sehen, dass dem auf der anderen Seite ein Ertrag entgegensteht. Und dieser Ertrag wird von einer eher konservativen Organisation, der OECD, doch beträchtlich hoch angesetzt.

Lassen Sie mich abschließend ganz kurz einige Bemerkungen machen.

Lebenslanges Lernen, also mehr als Weiterbildung, ist auch mehr als nur weiter wie bisher, aber ein bisschen mehr davon. Die Modelle, die ich eben genannt habe, ins­besondere das Humankapitalmodell, stehen in den meisten Ländern im Mittelpunkt der staatlichen Bildungspolitik und standen auch heute Morgen, so glaube ich, im Mittel­punkt unserer Debatte.

Lebenslanges Lernen für alle erfordert die Stärkung der Voraussetzungen der Grund­lagen von Lernen, das heißt, insbesondere die Förderung von Kindern aus bildungs­fernen Schichten und von Kindern mit Migrationshintergrund – schon vor dem Schul­eintritt. Das bedeutet individuelle Förderung auch während der Grundschule und der Sekundarstufe 1.

Erlauben Sie mir eine persönliche Bemerkung: Ich bin selber in Deutschland zur Schu­le gegangen, in die Grundschule und dann ins Gymnasium. Meine Kinder sind in Kana­da zur Schule gegangen, in eine Gesamtschule. Wir waren eigentlich sehr beeindruckt, wie die Kanadier es verstehen, Kinder mit ganz verschiedenem Hintergrund – da gibt es Klassen mit mehr als 50 Prozent chinesischer Einwandererkinder – zu integrieren und diesen Kindern zu einem hohen Leistungsstand zu verhelfen.

Wenn Sie die PISA-Statistiken im Gedächtnis haben, wissen Sie, Kanada rangiert im­mer unter den ersten Fünf in jeder Kategorie. Das hat natürlich mit diesem Schul- und Förderungssystem zu tun. – Auch das zum Bereich „Lebenslanges Lernen“.

Ich habe schon erwähnt: die umfassende Berufsinformation und -beratung, die Öffnung der Bildungsinstitutionen und eine Vernetzung und, wenn möglich, eine Modularisie­rung der Bildungscurricula und des Know-how. (Vorsitzender Vizepräsident Weiss gibt das Glockenzeichen.)

Ich werde ermahnt, zum Schluss zu kommen. Ich habe das alles in einem Artikel, der in Ihrer Mappe liegt, ausgeführt. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.30


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Als Nächste gelangt Frau Kugi zu Wort. – Bitte.

11.31

Edith Kugi (Arbeiterkammer für Wien; Abteilungsleiterin der Abteilung Lehrling- und Jugendschutz)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her­ren! Ich möchte den Fokus der heutigen Veranstaltung noch einmal auf die Lehrlings­ausbildung richten.

Etwas mehr als ein Drittel der österreichischen Bevölkerung gibt an, als höchste abge­schlossene Ausbildung eine Lehre absolviert zu haben, und zirka 28 Prozent der Ge­samtbevölkerung haben eine Pflichtschule abgeschlossen und danach keine weitere Ausbildung mehr absolviert.

Zu den Arbeitslosenzahlen: Wir haben heute bereits von Herrn Dr. Buchinger gehört, dass die arbeitslosen PflichtschulabsolventInnen die größte Gruppe darstellen, die zweitgrößte Gruppe sind allerdings bereits die LehrabsolventInnen.

Die Lehrlingsausbildung stellt innerhalb des Bildungssystems eine sehr wichtige Säule dar. Es wählen immerhin zirka 40 Prozent, das haben wir heute auch schon gehört, der Jugendlichen eines Altersjahrganges eine duale Ausbildung. Wir haben aber einige Probleme, was die Lehrlingsausbildung betrifft, und es gibt den Wunsch beziehungs­weise auch die Notwendigkeit einer Reform der Lehrlingsausbildung. Wir haben, ob­wohl die LehrabsolventInnen eine sehr große Gruppe innerhalb der Arbeitslosen stel­len, immer noch in einigen Berufen einen FacharbeiterInnenmangel. Das heißt, dass wir offensichtlich nicht in der Lage sind, die Lehrlinge in jenen Berufen auszubilden, in denen sie dann auch auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden.

Wir brauchen eine Lehrlingsausbildung, die so gut ist, dass sie nachher den Jugend­lichen Beschäftigung und auch – das ist heute noch nicht gefallen – Einkommens­chancen sichert, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Das ist auch ein wich­tiger Aspekt im Zusammenhang mit der Chance Bildung. Bildungschancen hängen im­mer auch mit Einkommenschancen zusammen.

Die Konzentration der Jugendlichen auf einige wenige Lehrberufe stellt in der Praxis ein Problem dar. Zirka die Hälfte aller jugendlichen Mädchen, die in einer Lehre sind, werden in nur drei Lehrberufen ausgebildet: Das ist der Friseur, der Einzelhandel- und Bürokaufmann. Bei den Burschen werden etwas weniger als die Hälfte in zehn Lehrbe­rufen ausgebildet. Wobei man sagen muss, dass das nicht nur damit zusammenhängt, dass die Jugendlichen unbedingt diese Berufe wollen und sich diese wünschen, son­dern das hängt auch sehr stark mit dem Lehrstellenangebot, das die Wirtschaft zur Verfügung stellt, zusammen.

Es gibt eigentlich ein Quantitätsproblem und ein Qualitätsproblem, und wir müssen uns daher sowohl mit der Quantität als auch mit der Qualität beschäftigen. Zum einen ist es, glaube ich, ganz wichtig, auch zu sehen, dass die Betriebe, wenn es 2006 oder 2007 einen Fachkräftemangel in bestimmten Berufen gegeben hat und gibt, 2003/2004 mit der Lehrlingsausbildung hätten beginnen müssen. Das heißt, man muss viel lang­fristiger planen. Man braucht für einen Durchgang in der Lehrlingsausbildung zum Bei­spiel in Metallberufen üblicherweise dreieinhalb Jahre.

Wir haben in der Lehrlingsausbildung aber auch ein Qualitätsproblem, es gibt derzeit in der Lehrlingsausbildung eigentlich kaum Qualitätssicherung. Der Betrieb bildet aus – kann gut ausbilden, kann durchschnittlich ausbilden, kann aber auch schlecht ausbil­den. Das heißt, Qualität spielt in der dualen Ausbildung zwar eine wichtige Rolle, ein Qualitätssicherungssystem und Qualitätssicherung spielen in der Praxis aber eine sehr geringe Rolle. Die Betriebe werden nur ein Mal überprüft, nämlich bevor sie mit der Lehrlingsausbildung beginnen, zu Beginn also, in der Folge aber kommt es, wenn sie Lehrlinge aufnehmen, zu keiner Überprüfung mehr. Man sieht den Erfolg einer Lehr­lingsausbildung eigentlich erst am Ende der Lehrzeit bei der Lehrabschlussprüfung – jemand kommt bei der Lehrabschlussprüfung durch oder auch nicht. Das heißt, Quali­tät muss eine viel wichtigere Rolle in der Lehrlingsausbildung spielen.

Wir haben auf der Sozialpartnerebene das Paket „Arbeitsmarkt – Zukunft 2010“ ver­handelt, und dieses Paket wird derzeit diskutiert. Ich glaube, es ist dringend notwendig, dass man diese Maßnahmen auch umsetzt.

Das Paket setzt bei zwei Bereichen an, sowohl bei der Qualität als auch bei der Quan­tität. Bei der Quantität insofern, als man darauf schaut, dass man für die Jugendlichen, die derzeit keine Lehrstelle finden, Ausbildungsangebote schafft, die bis zum Ende der Lehrzeit gehen, und zwar auch darauf schaut, dass sie dann in Berufen ausgebildet werden, die es ihnen ermöglichen, auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der zweite Punkt ist, dass man das derzeitige Fördersystem – es gibt derzeit ja För­derungen der Lehrlingsausbildung, Blum-Förderung, Lehrlingsausbildungsprämie – so umgestaltet und so umbaut, dass wirklich auch die Qualität der Lehrlingsausbildung, die ein Betrieb anbietet, belohnt wird.

Es soll eine Basisförderung geben, diese soll sich an der Lehrlingsentschädigung ori­entieren, und es soll zusätzlich auch die Qualität, die der Betrieb in der Ausbildung anbietet, ein Förderkriterium sein. Wichtig ist auch, dass man Betriebe anregen, dazu bringen soll, dass sie Lehrlinge erstmals aufnehmen, dass sie in die Lehrlingsausbil­dung einsteigen. Es soll eine Förderung geben, wenn ein Betrieb erstmals einen Lehr­ling aufnimmt.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass eine Reform der dualen Ausbildung notwendig ist, die sich daran orientiert, dass es mehr Lehrstellen in den Betrieben gibt, und zwar auch in jenen Berufen, die dann auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden, dass es Ausbildungsplätze gibt in Lehrberufen bis zum Lehrabschluss, die auf dem Arbeits­markt auch nachgefragt sind und dass Qualitätssicherung und -förderung eine wichtige Rolle spielen. – Danke schön. (Beifall.)

11.37


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Dr. Landerts­hammer.

 


11.37

Dr. Michael Landertshammer (Wirtschaftskammer Österreich; Leiter der Abteilung für Bildungspolitik)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Gestatten Sie mir drei Vorbemerkungen, die eine unmittelbar anschließend an meine Vorrednerin: Da Österreich bei den Berufsweltmeisterschaften das zweitbeste europäische und das beste EU-Ergebnis geliefert hat, ist, glaube ich, die Qualität im Lehrlingswesen grundsätzlich nicht anzuzweifeln. (Beifall.)

Dass überall Reformbedarf besteht, steht außer Frage. Ich werde mich auch in weiterer Folge auf jene Bereiche konzentrieren, wo wir von der Wirtschaft Reformbedarf orten.

Zweite Vorbemerkung: Ich bin sehr froh darüber, dass es diese Enquete gibt, und hoffe, dass weitere Enqueten folgen werden.

Dritte Vorbemerkung: Der in der Schulreformkommission sitzende Vertreter des finni­schen Bildungsministeriums hat einmal gesagt: Wir – er hat in diesem Fall Finnland gemeint; ich meine, das gilt auch für Österreich als kleines Land, als Hochtechnologie­land – können es uns nicht leisten, auch nur auf ein Kind, auf einen Schüler zu ver­zichten, der im Laufe seiner Karriere in der Schule und in weiterer Folge verloren geht im Sinne von nicht die für ihn optimale Ausbildungshöhe erreicht. – Das ist auch sozu­sagen das Leitmotiv für uns in der Wirtschaftskammer.

Ich darf Ihnen zu den Grundsätzen unserer Bildungspolitik sagen: Wir möchten end­lich – wir stehen dazu, nicht nur, indem wir Konzepte liefern, sondern auch, indem wir selbst ein riesiger Bildungsanbieter sind, von Schulen über Fachhochschulen bis zu den Wirtschaftsförderungsinstituten – eine Evidence-based Policy statt ideologische Kämpfe, wie sie in den letzten Monaten stattgefunden haben. Ich glaube, es kann nur – das ist heute schon angeklungen – das Gemeinsame über ideologische Grenzen hin­weg zum Ziel führen.

Zwei Punkte, die beim lebenslangen Lernen wichtig sind und die auch schon ausge­führt wurden: Die Altersunabhängigkeit ist ein derartiger Paradigmenwechsel und die Lernerzentrierung. Es soll in Zukunft nicht auf Strukturen, auf Curricula ankommen, es soll nicht darauf ankommen, ob jemand bis zum 18. Lebensjahr die Matura quasi kos­tenlos bekommt, nichts dafür zahlen muss, sondern das muss auch möglich sein, wenn jemand mit 25 oder 40 Jahren die Matura nachholen möchte, weil es notwendig ist, weil er es möchte, weil er aufsteigen möchte.

Ein Schulsystem, generell ein Bildungssystem muss so aufgebaut sein, dass jeder sei­ner Leistung, seinen Fähigkeiten entsprechend gefördert, aber auch gefordert werden kann.

Und nicht zuletzt – das ist sehr wichtig und führt auch zu der Diskussion zum Thema duales System –: Es muss uns gelingen, in den nächsten Jahren eine Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zustande zu bringen, denn nur dann, wenn die Bildungswegentscheidung nicht danach fällt, was die Großmutter gemacht hat, was die Eltern, was die Freunde machen und wo man wahrscheinlich mehr Erfolg haben wird, sondern danach, was das eigene, das persönliches Potenzial ist, was man schaffen kann, wie gut man ist, und wenn man dann schaut, welchen Weg man einschlagen kann, werden wir viele Probleme, die wir jetzt haben, in Zukunft nicht haben.

Ein Thema, das noch nicht oder nicht wirklich angesprochen wurde – wie gesagt, ich konzentriere mich auf zwei oder drei Punkte –: In unserem Bad Ischler Papier, unse­rem Sozialpartnerpapier, das sich mit dem gesamten Bereich des Lernens befasst, verlangen wir, dass eine sprachliche Frühförderung oder generell eine Frühförderung durch ein gebührenfreies Vorschuljahr mit Opting-out-Möglichkeit eingeführt wird.

Alle Studien auf internationaler Basis beweisen, Investitionen in die Frühförderung brin­gen wesentlich mehr, wesentlich mehr Return on Investment oder Return on Education als spätere Reparaturarbeiten. Was passiert denn? – Drop-outs müssen in irgendeiner Weise mit sehr viel Geld, oft über das AMS, oft auch über private Anstrengungen, über staatliche Einrichtungen, dorthin gebracht werden, wo sie längst sein könnten, würden wir stärker bei der Frühförderung ansetzen.

Was es in Österreich noch nicht gibt, aber hoffentlich bald geben wird – das zeigt auch, wie wichtig dieses Thema bisher offenbar war –: Es gibt keinen Lehrstuhl für Vorschul- und Grundschulpädagogik. Ich denke, auch das wäre eine ganz gute Aktion, die etwa seitens des zuständigen Ministeriums oder einer Universität gesetzt werden könnte, durchaus auch mit Sponsorship, um sich hier auch mittel- und langfristig entsprechend zu positionieren.

Nicht zuletzt glauben wir, dass es wichtig ist, auch bereits für die Kindergärten nationa­le Rahmenbildungslehrpläne zu erstellen, sodass sich von Anfang an das Lernen und die Auseinandersetzung mit Bildung in einem langfristig strategisch orientierten Rah­men befindet und nicht, wie so oft, dem Zufall überlassen wird.

Für die Schule der 10- bis 14-Jährigen – ich wiederhole noch einmal: Evidence-based Policy und nicht Ideologie – sind wir überzeugt von mehr Leistungsdifferenzierung in einem gemeinsamen Modell. Gemeinsame Schule ist daher zu verstehen als gemein­sames Modell, das sehr wohl Differenzierung, ob äußere oder innere, in jedem Fall in­nere Differenzierung und in vielfältiger Weise, auch gewährleisten muss, dass es Wahl­möglichkeiten gibt.

Wir haben ein sehr gutes Schulsystem, wir geben sehr viel dafür aus. Die Ergebnisse sind mittelmäßig, wir gehören nicht zur Spitzengruppe, aber wir wollen dorthin. Das heißt, der Unterricht muss sich ändern, das heißt, wir brauchen Lehrer, die eine andere Ausbildung erhalten, wir brauchen Bildungsstandards, und diese Bildungsstandards müssen natürlich auch extern evaluiert werden.

Da ich die Redezeit schon überschritten habe, mache ich es jetzt ganz schnell: Ein flä­chendeckendes Angebot an Ganztagsschulen ist für uns genauso wichtig wie, wie wir meinen, eine gemeinsame Aus- und Weiterbildung an Pädagogischen Hochschulen für Lehrer, und zwar für Lehrer sowohl an Pflichtschulen als auch an höheren Schulen.

Zum Thema Berufsbildung ist schon viel gesagt worden, ich darf daher hier nur eine abschließende Bemerkung machen: Wichtig ist, dass in Zukunft das duale Angebot als gleichwertig mit dem vollschulischen Angebot erachtet wird, sodass damit der große Vorteil des österreichischen Systems, nämlich berufsbezogen ausgebildet zu werden, erhalten bleibt. – Danke schön. (Beifall.)

11.44


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Nächster Redner ist Herr Dr. Riemer. – Bitte.

 


11.44

Dr. Gerhard Riemer (Industriellenvereinigung; Bereichsleiter Bildung, Innovation, For­schung)|: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erstens herzlichen Dank für die Veranstaltung, Dank für die Einladung und Dank vor allem für die Breite der Diskussionsbeiträge, auch wenn es manchmal schwierig ist, sich auf etwas zu konzentrieren.

Erlauben Sie mir auch drei Vorbemerkungen und drei oder vier konkrete Anregungen zu wichtigen Bildungsthemen.

Vorbemerkung eins – das hat mir heute ein wenig gefehlt –: Wir haben eine ausge­zeichnete Situation in Österreich, ein hervorragendes Wirtschaftswachstum, um das uns alle anderen beneiden, 3,5 Prozent.

Zweitens: Wir haben eine ausgezeichnete Beschäftigungssituation, um die uns andere beneiden – der Herr Bundesminister hat gemeint, wir nähern uns Schritt für Schritt der Vollbeschäftigung. In einzelnen Bundesländern haben wir die Vollbeschäftigung er­reicht.

Was heißt das? – Drittens heißt das, dass wir eigentlich viel von dem, was wir erreicht haben, auch unserem guten Bildungswesen verdanken und vielen Reformschritten – Dank an alle, die daran nach wie vor mitwirken – im Bereich der Innovationspolitik, im Bereich der Forschungspolitik und im Bereich der Wirtschafts- und der Steuerpolitik.

Wir haben jetzt die Chance, in die Zukunft zu investieren, Bildung, Innovation, For­schung, Technologie, Infrastruktur. Tun wir das? – Ich komme später darauf zurück.

Die Chance, die wir jetzt haben, ist ein Aufbruch ohne Krise – im Gegensatz zu man­chen Ländern, die heute im europäischen Spitzenfeld liegen, die diese Chance seiner­zeit nicht hatten.

Zweitens: Der Innovationsstandort Österreich – das hat sich bei der letzten Enquete Innovationspolitik, Innovationen für Österreich der Bundesregierung sehr deutlich ge­zeigt, wo alle acht Regierungsmitglieder in den Tenor eingestimmt haben: Wir sind deutlich besser geworden, aber wir sind bei Weitem nicht gut genug.

Jedes europäische Ranking, so gut oder schlecht es sein mag, zeigt uns besser: im­mer näher an der Spitze, aber immer weiter weg von der Spitze. Warum? – Wir sind besser, wir werden ständig besser, die Dynamik dieser Entwicklung reicht aber nicht, weil die anderen Länder – wie alle sie heißen, die internationalen Player – einfach ebenso viel tun, und daher schaffen wir es nicht ganz.

Der Punkt ist: Wir müssen besser werden, wir müssen die Dynamik verstärken, und Ziel muss es sein – das wurde vom Herrn Bundeskanzler und vom Herrn Vizekanzler unisono gesagt –, dass wir uns im Spitzenfeld der Innovationsländer positionieren, denn als eines der wohlhabendsten Länder Europas und der Welt setzen wir in der Innovationspolitik heute die Weichen dafür, ob wir übermorgen wohlhabend sind, Wachstum haben, Beschäftigung haben, uns um all das kümmern können, was Herr Minister Buchinger angeschnitten hat.

Dritte Bemerkung: Das Hauptthema der österreichischen Industrie ist das Problem des Fachkräftenachwuchses. 69 Prozent der Industrieunternehmen sagen, für die nächsten fünf Jahre ist das Hauptproblem das Finden des qualifizierten Nachwuchses – und da­mit komme ich zu den Lösungsansätzen.

Welche Lösungsansätze gibt es? – Variante eins – davon haben wir heute noch nichts gehört –: Migrationspolitik. Ich glaube, dass hier die Bundesregierung wichtige Schritte gesetzt hat; ob sie wirklich in der Form reichen, werden wir in der Praxis sehen.

Das zweite Thema ist die Bildungspolitik, dazu zwei oder drei konkrete Bemerkungen. Mit „Schule 2020“ haben wir eine Vision erarbeitet, die eigentlich für alle politischen Parteien – ich will nicht sagen, relativ leicht – Schritt für Schritt umsetzbar ist. Hier ge­schieht einiges, aber ersparen Sie mir Anmerkungen zur Diskussion der letzten Tage.

Ziel der Initiative – ich glaube, das eint uns alle – ist es, alle Potenziale im Bildungs­wesen zu erkennen, zu fördern und zu unterstützen. Ein konkretes Beispiel dazu, weil Herr Landertshammer das kurz angeschnitten hat: Je früher wir investieren, also mög­lichst vor der Schule, desto größer der „Return on Investment“, zwischen Anführungs­zeichen. Das wissen wir alle. Und je früher wir hier etwas tun, desto mehr können wir erreichen. Ich glaube, dass hier die Artikel-15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern ein ganz wichtiger Schritt sind.

Punkt zwei: Lehrlingsausbildung. Ich bin dankbar für die Initiativen der Bundesregie­rung der letzten Zeit. Es haben sich hier die Wirtschaft und die anderen Bereiche sehr, sehr bemüht mit einer Reihe von Maßnahmen.

Meine Damen und Herren, es ist nicht selbstverständlich, dass die Unternehmen, die auch viel Geld in die Hand nehmen, insbesondere in der Industrie, hohe Qualität bieten und in einem Strukturwandlungsprozess trotzdem junge Leute immer wieder heranbil­den und möglichst die Besten suchen, um die entsprechende Nachwuchssicherung zu betreiben.

Das ist teilweise ein sehr teurer Prozess, in den man bewusst investiert, aber auf der anderen Seite nicht selbstverständlich ist. Hier ist uns manches gelungen. Ein Aspekt aus der Lehrlingsausbildung: Wir sollten uns mehr und viel stärker – Frau Präsidentin Zwazl hat das schon mehrmals gesagt – um das Thema Matura und Lehre kümmern, aber nicht nur um die klassischen Wege – und ich sage hier etwas, das vielleicht nicht völlige Zustimmung findet –, sondern auch um die Verbindung von qualifizierten jungen Leuten, die über die Lehrlingsausbildung zur HTL-Matura kommen könnten. – Ein neuer Weg, der uns sehr wichtig ist.

Die zwei letzten Punkte: Hochschulstrategie zum einen. Herr Minister Hahn hat ge­sagt, die Hochschullandschaft sei wesentlich vielfältiger geworden. – Das stimmt, das ist erfreulich. Aber ich glaube, das, was wir in den nächsten Jahren brauchen, ist eine konzertierte Hochschulpolitik für Österreich. Die österreichischen Hochschulen, wie im­mer sie heißen – Privat-, Fachhochschulen, Universitäten – brauchen in den nächsten Jahren eine neue Positionierung, eine bessere Positionierung im internationalen Ver­gleich. Ohne die besten Köpfe, ohne die notwendige Breite würden wir es nicht schaf­fen.

Erlauben Sie mir die letzte Bemerkung: Lifelong Learning. All jene, die sich ein bis­schen länger mit der Bildungspolitik beschäftigen – es ist hier in meinen Unterlagen auch irgendwo ein Zitat eines Professors, wonach wir uns locker 20 Jahre lang damit beschäftigen –, wissen, die Konzepte liegen auf dem Tisch – nicht zuletzt in einer Ar­beitsgruppe des Unterrichtsressorts –, wissen, was wir hier brauchen. Es wird aber nicht reichen, dass sich hier nur ein Ministerium engagiert. Ich glaube, wir brauchen eine umfassende Lifelong-learning-Strategie. Die Konzepte sind da, wir sollten sie um­setzen. – Ich danke vielmals. (Beifall.)


11.51

Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Letzter Redner in dieser Runde ist Herr Ing. Prischl. – Bitte.

 


11.51

Ing. Alexander Prischl (ÖGB; Leiter des Referates für Berufsbildung)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke für die Einladung zu dieser heutigen Veranstaltung.

In meinem Redebeitrag möchte ich auf eine wesentliche Säule des Bildungssystems in Österreich eingehen, die heute schon mehrmals erwähnt wurde, und das ist, wie man unschwer erraten kann, die duale Berufsausbildung. Es ist von Frau Staatssekretärin Marek schon angesprochen worden, dass sich die Situation auf dem Lehrstellenmarkt in den letzten Jahren verbessert hat, nichtsdestotrotz muss man die Langzeitentwick­lung zur Kenntnis nehmen. Und hier ist zu beobachten, dass in den letzten 17 Jahren die Zahl der Jugendlichen, die eine Lehrstelle beansprucht haben, von 145 516 auf derzeit rund 126 000 zurückgegangen ist. Das heißt, die duale Berufsausbildung hat nach wie vor ihren Stellenwert, ist aber vom Potenzial her in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen.

Da aber die duale Berufsausbildung nach wie vor einen wesentlichen Stellenwert hat, lohnen sich meiner Meinung nach jede Maßnahme und jede Initiative, die die Lehr­lingsausbildung forcieren und reformieren.

Es gibt gute Gründe und einige Punkte, wo wir ansetzen müssen, um die Lehre für
die zukünftigen Herausforderungen zu reformieren. Drei Punkte möchte ich an dieser Stelle herausgreifen, die aus meiner Sicht wesentliche Beiträge dazu sein können: Das Erste ist – heute schon mehrfach erwähnt – der Bereich der Berufsberatung und Bil­dungswegorientierung. Der zweite Bereich ist die Steigerung der Durchlässigkeit in der Lehrausbildung, und der dritte Bereich ist ein verbessertes Angebot zum Nachholen von Bildungsabschlüssen.

Beim ersten Bereich – Kollegin Kugi von der Arbeiterkammer hat das bereits ange­führt –, Berufsberatung und Bildungswegorientierung, ist nach wie vor das große Problem gegeben, dass wir uns im Lehrlingsbereich auf eine kleine Gruppe von Lehr­berufen konzentrieren. 60 Prozent der weiblichen und 30 Prozent der männlichen Lehr­linge sind auf fünf Lehrberufe konzentriert. Bei den Mädchen sind das die Klassiker Einzelhandel, Friseurin, Restaurant und Büro, und bei den Burschen sind das Kfz-Techniker, Elektroinstallationstechniker, Einzelhändler, Maschinenbautechniker und Tischler.

Daher ist aus meiner Sicht in der zukünftigen Planung, auch der Berufsberatung und Berufswegorientierung die gesamte Palette der Lehrberufe aufzuzeigen. Ich meine, dass es hier eine Vielzahl an neuen, innovativen und guten Lehrberufen gibt, die auch eine Alternative zu den genannten sein können. Das soll nicht heißen, dass diese nicht gut sind, sondern nur, dass wir die gesamte Palette aufzeigen und in die Beratungs­arbeit miteinfließen lassen sollen. Dabei ganz wichtig ist es, die Beratung nicht auf die Jugendlichen allein zu konzentrieren, sondern vor allem auch die Eltern miteinzubezie­hen. Es ist nämlich nach wie vor eine Tatsache, dass die Eltern bei der Bildungs- und Berufsentscheidung eine ganz wesentliche Rolle spielen.

Wir haben derzeit die Form der integrativen Berufsberatung, die zwar gut flächende­ckend angeboten wird, aber im Effekt nicht zum gewünschten Erfolg führt. Kollege Mayr hat das bereits an einem Beispiel dargestellt. Ich denke, dass es daher auch eine gemeinsame Forderung und ein wesentlicher Ansatz im Bereich der Bildungsberatung sein muss, die Berufs- und Bildungsorientierung in der 7. und 8. Schulstufe als ein ver­pflichtendes Unterrichtsfach einzurichten, verbunden natürlich mit den entsprechenden Lehrplänen und auch der entsprechenden Lehreraus- und -weiterbildung. Wir sehen uns als Sozialpartner gemeinsam in der Verantwortung, hier unseren Beitrag zu leis­ten, und sind bei diesem Thema natürlich sehr gerne bereit, unsere Rolle auch aktiv wahrzunehmen.

Der zweite Bereich, den ich angesprochen habe, betrifft die Durchlässigkeit. Wir fei­ern jetzt zwar das zehnjährige Bestehen der Berufsreifeprüfung, nichtsdestotrotz haben noch viele Eltern das Gefühl, dass die Lehrlingsausbildung eine Sackgassenausbil­dung ist und wählen daher oft den schulischen Weg der Berufsausbildung. Ich glaube, dass es notwendig ist, dafür Sorge zu tragen, dass der schulische und der duale Aus­bildungsbereich in Zukunft eine gleichwertige Rolle und Stellung haben, und dass die Entscheidung, ob ein Jugendlicher in eine berufliche oder in eine schulische Berufs­ausbildung geht, von der Neigung und Begabung, ob praxis- oder theorieorientiert, ab­hängig gemacht wird und nicht von zwei Faktoren, die nach wie vor eine Rolle spielen, nämlich einerseits von der sozialen Situation der Eltern, also von dem sozialen Hinter­grund im Elternhaus, und zweitens eben von der mangelnden Durchlässigkeit in der dualen Berufsausbildung.

Wir haben sowohl in der horizontalen Ebene als auch in der vertikalen massive Pro­bleme. In der horizontalen gibt es sehr wenige Möglichkeiten, zwischen den Bildungs­schienen umzusteigen; beispielsweise von einer Lehrausbildung in eine berufsbildende mittlere Schule oder umgekehrt, und vertikal ist, wie gesagt, die Durchlässigkeit nach wie vor ein Problem, das in den Köpfen der Eltern herumschwirrt, obwohl es Angebote gibt.

Wir Sozialpartner haben daher in einem gemeinsamen Papier einen wesentlichen Re­formschritt im Themenbereich der Berufsreifeprüfung angedacht, der zwei wesentliche Punkte beinhaltet. Erstens sind wir der Auffassung, dass dieses Angebot in Zukunft für die Jugendlichen gebührenfrei und flächendeckend sein muss. Um diese Flächende­ckung auch umzusetzen, sehen wir die Rolle der Berufsschulen in Zukunft als eine stärkere. Das heißt, wir regen an und schlagen auch in der ministeriellen Arbeitsgruppe vor, dass die Berufsschulen in Zukunft als Anbieter für die Berufsvorbereitungskurse dienen sollen.

Dritter und letzter Punkt – wie ich glaube, auch ein wesentlicher; Kollege Buchinger hat das schon aufgezeigt im Hinblick auf die Arbeitsmarktdaten –: dass das Nachholen von Bildungsabschlüssen auch künftig ein politisch wichtiges Thema sein muss. Ich meine, das muss die Politik sowohl aus bildungspolitischer Sicht als auch aus arbeits­marktpolitischer Sicht zum Handeln auffordern. Die Bemühungen um ein flächende­ckendes Angebot und vor allem auch ein gebührenfreies Angebot sowohl für das Nachholen des Hauptschulabschlusses als auch für die berufsbildenden Abschlüsse generell müssen noch verstärkt werden. Ich denke, dass hier auch eine neue Form Einzug halten könnte, nämlich dass zum Beispiel – um auch die Problematik mit den vielen Pflichtschulabschlüssen in den Griff zu bekommen – ein Berufsschul- oder Be­rufsausbildungsabschluss automatisch den davor gelagerten Pflichtschulabschluss er­setzt.

Abschließend möchte ich festhalten: Um den Titel „Mehr Chancen für Alle“ Wirklich­keit werden zu lassen, wartet auf uns gemeinsam viel Arbeit. Wir sind als Sozialpartner mit unseren beiden Unterlagen und Papieren – Chancen und Bildungs- und Arbeits­marktzukunft 2010 – dazu bereit und werden auch aktiv unseren Beitrag dazu leisten. – Danke schön. (Beifall.)

11.59


Vorsitzender Vizepräsident Jürgen Weiss|: Herzlichen Dank.

Wir kommen jetzt zu einer Runde mit insgesamt vier Wortmeldungen von Mitgliedern des Bundesrates.

Als Erstem erteile ich als Vertreter der SPÖ-Fraktion Herrn Bundesrat Schimböck das Wort. – Bitte.

 


11.59.21

Bundesrat Wolfgang Schimböck (SPÖ, Oberösterreich)|: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute bereits eine ganze Reihe sehr sachkundiger Beiträge gehört. Nächste Woche wird hier im Hohen Haus eine ganz wichtige Beschlussfassung stattfinden, mit der die gesetzlichen Grundlagen dafür ge­schaffen werden, dass in Zukunft laufend eine entsprechende Bildungsdokumentation erstellt wird. – Man muss sich einmal vorstellen: Es gibt zwar jährlich einen Landwirt­schaftsbericht, einen Bericht zur sozialen Lage, aber es gibt keinen Bericht zum Bil­dungswesen! Und das zu ändern ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig.

Ich glaube, es war der Vertreter der Wirtschaftskammer, der heute gemeint hat, wir punkten eigentlich immer bei den großen Berufsolympiaden, wo sich Lehrlinge, Auszu­bildende aus der ganzen Welt treffen. Aber mit solch einem Ergebnis würde ich vor­sichtig umgehen, denn auch wenn Benni Raich zum Beispiel ganz oben auf dem Sto­ckerl steht, heißt das noch lange nicht, dass alle Österreicherinnen und Österreicher ganz tolle Schifahrer sind. Es ist daher ganz wichtig, dass wir in Zukunft durch diesen Bericht eine Bildungsevaluation haben werden. (Vizepräsidentin Haselbach übernimmt den Vorsitz.)

Wir haben uns jetzt auch mit PIRLS und PISA beschäftigt, und auch da, muss ich sa­gen, haben wir natürlich ganz großen Handlungsbedarf. Gerade die letzten Ergebnisse haben uns gezeigt, dass immerhin 14 000 Risikoschülerinnen und ‑schüler jährlich die Volksschule verlassen. Ich meine, diese Zahl sollte uns aufschrecken und sehr nach­denklich machen. Sie ist übrigens deckungsgleich mit den AbsolventInnen von Berufs­maturaprüfungen. Man sieht also, es gibt hier offensichtlich an beiden Polen Extreme.

Das führt mich zu dem Bereich, der heute schon sehr oft angesprochen wurde, nämlich zur dualen Ausbildung. In diesem Zusammenhang wurde heute vergessen zu erwäh­nen, dass in verschiedenen Berufsgruppen nur mehr 20 Prozent der Absolventen einer Lehre, einer dualen Ausbildung, drei Jahre nach dieser Lehrabschlussprüfung in die­sem Berufsfeld tätig sind, und – es wurde heute nur die Drop-out-Rate an den Universi­täten angesprochen – auch das sollte uns sehr bedenklich stimmen.

Auch dieses System ist daher zu hinterfragen. Wenn Sie heute zum Beispiel mit einem Installateur reden, dann werden Sie erkennen müssen, dass ein Gewerbeinstallateur im Industrieinstallationsbereich schwerlich einsetzbar ist, und umgekehrt gilt das Glei­che. Es ist daher notwendig, Ausbildungselemente verstärkt zuzukaufen beziehungs­weise einen Austausch zu pflegen. Es gibt bereits modulare Systeme, aber die sollten noch forciert werden, denn nur dann werden wir punkten können. Es ist ja schön und gut, wenn viele junge Damen den Friseurberuf ergreifen. Wenn man sich aber dann die Statistiken darüber ansieht, wo die bereits drei Jahre nach ihrem Abschluss sind, dann, kann man sagen, war das eigentlich kein Weg in die Zukunft.

Weiters wurde heute ein Bereich angesprochen, der uns sehr am Herzen liegen sollte. Im Jahr 2020 werden in den großen Kommunen 40 Prozent der Bevölkerung aus dem Bereich der Migranten, der Zuwanderer, kommen. In verschiedenen Handwerksberu­fen sind bereits heute 80 Prozent der Lehrlinge aus dem Zuwandererbereich. – Ich glaube, hier müssen wir verstärkt an eine schulische Förderung dieser Bereiche den­ken. Es geht nicht an, dass viele, die sich um einen Lehrplatz bemühen, ganz einfach deshalb scheitern, weil es an den grundlegenden Kulturtechniken fehlt.

Erst kürzlich ist ein meiner Meinung nach sehr eindrucksvolles Wiener Bildungspapier vorgelegt worden, das sich vor allen Dingen verstärkt auf Grundkompetenzen gestützt hat, das sich zum Beispiel verstärkt um Kernstoffe, richtige Grundlagen und so weiter beziehungsweise um prozessorientierte Darstellungen, um die Vertiefung der Kernge­biete des Wissens annimmt, und das, muss ich sagen, wurde hier von verschiedensten politischen Richtungen sehr kritisch hinterfragt. Wo wurde es zuerst realisiert? – In Linz, in – politisch ganz unverdächtig – einer katholischen Privatschule, nämlich im Je­suitenkolleg Aloisianum. Dort wird genau dieses Modell, das auf individuelle Förderung der Schwächeren abstellt, in Klein- und Kleinstgruppen umgesetzt. Diese Schule, die bereits seit ungefähr drei Jahrzehnten in Form einer Ganztagsschule geführt wird, wür­de, glaube ich, auch bei verschiedenen Wettbewerben gewinnen – aber da geht es nicht um den Wettbewerb, sondern da geht es ganz einfach darum, möglichst vielen jungen Menschen in dieser Republik eine Chance zu geben!

Thema „Einsteiger“ – heute von Herrn Professor Schütze hier ganz eindrucksvoll dar­gebracht. Es ist ganz wichtig, im Zusammenhang mit lebenslangem Lernen auch dar­über zu reden: Was passiert eigentlich vor dem Eintritt in die Grundschule? Und wenn der Bildungs- beziehungsweise Kinderbetreuungsatlas, den die Arbeiterkammer jedes Jahr erstellt, so aussieht, dass es in vielen Gemeinden der Republik noch immer keine Tagesbetreuung in den Kindergärten gibt, dass zu Mittag geschlossen wird bezie­hungsweise Kinder erst am frühen Nachmittag wieder gebracht werden können, dann, denke ich, mangelt es bereits dort – und dort müssen wir ansetzen.

Wenn wir die Migranten verstärkt fördern wollen, dann würde ich auch einmal die kri­tische Frage stellen: Wäre es nicht sinnvoll, auch die Muttersprachen zu unterrichten? Denn mir wird von den Bildungsexperten immer gesagt: Nur wer in seiner Mutterspra­che heimisch ist, ist auch in der Lage, die Sprache der neuen Heimat entsprechend zu erlernen!

Der Vertreter des AMS hat heute gemeint, wir haben noch ein anderes großes Pro­blem, nämlich die älteren Arbeitnehmer. In diesem Bereich, glaube ich, gilt es, verstärkt Aktivitäten zu setzen, dort sind Chancen einzuräumen.

Es war heute auch schon die Rede davon, dass bereits ein Drittel der Fachhochschul-Absolventen eigentlich berufsbegleitend Ausbildungen absolviert. Diesem Bereich soll­ten wir uns verstärkt widmen, diesen Menschen mehr Chancen geben, Bildungskaren­zen und dergleichen mehr. Ich glaube, wir sollten in diesem Bereich europäisch und vor allen Dingen auch flächendeckend denken.

Ich komme aus dem Bundesland Oberösterreich, und dort gibt es ein „Bildungs-Bermu­dadreieck“ ohne Fachhochschul-Standorte, nämlich das Innviertel. Einige Vertreter ha­ben heute am Rande dieser Veranstaltung eine Landkarte an Regierungsmitglieder übergeben, denn es ist ganz wichtig, dass die entsprechenden Bildungsmaßnahmen auch in den Bundesländern lokal umgesetzt werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksam­keit. (Beifall.)

12.06


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke, für Ihren Beitrag.

Als Nächste zu Wort gemeldet: Frau Bundesrätin Zwazl. – Bitte.

 


12.06.38

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich)|: Frau Präsidentin! Meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! „Mehr Chancen durch Bildung für alle“ heißt für mich: mehr Chancen für mich. Jeder von uns ist ein Individualist, das heißt, jeder von uns hat ganz einfach individuelle Begabungen, Talente und Fähigkeiten und Fertigkeiten, und die gehören ganz einfach gefördert und entsprechend ausgebildet. Deshalb freue ich mich ganz besonders darüber, dass wir uns heute bei dieser Enquete alle dazu bekannt ha­ben, dass wir in der siebenten Schulstufe eine verpflichtende Berufsorientierung brau­chen.

Für mich wäre auch ganz wichtig, dass wir zu dieser Berufsorientierung auch Berufs­informationstests machen. Wir alle haben Berufsinformationszentren, die wirklich dar­über Auskunft geben: Welche Talente, welche Fähigkeiten hat der junge Mensch? Was ist er für ein Mensch? Wie reagiert er unter Stress? Es geht nicht nur darum, welche Fingerfertigkeiten er hat, wie er mit der Lösung technischer Probleme zurande kommt, sondern auch darum, was er für ein Mensch ist. Ist er in der Lage, im Team zu arbei­ten? Ist er ein Einzelspieler? – Das sind ganz wesentliche Aspekte bei der Berufswahl. Bei diesen Berufsinformationstests kann man auch feststellen, was der Betreffende für ein Lerntyp ist. Ist es besser, er geht in eine höhere, beruflich weiterbildende Schule, oder ist es besser, er geht ganz einfach in eine Lehre?

Es ist wunderschön, dass wir jetzt auf so breiter Basis die Berufsreifeprüfung für Lehr­linge haben. Dadurch wird es den Eltern leichter fallen, ihrem Kind den Weg in die Lehre zu ermöglichen oder zu lassen. Wir wissen, dass viele junge Leute nach ihrem Schulabschluss sagen, sie hätten jetzt einmal genug vom Lernen. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun, und auch der Spruch: Wenn du in der Schule nichts taugst, gehst du in die Lehre!, passt nicht mehr. Man braucht nämlich nicht nur goldene Hände, sondern man braucht auch Hirn und Verstand, sonst ist man nicht in der Lage, eine Lehre er­folgreich zu absolvieren.

In meinem Heimatbundesland bin ich sehr darauf bedacht, dass wir unseren jungen Leuten die Berufsinformationstests auch anbieten – wir gehen auch in die Schule –, und ich habe das auch evaluieren lassen. 88 Prozent der jungen Leute, die einen aus­führlichen Berufsinformationstest gemacht haben – erfreulich und wünschenswert ist es auch, dass die Eltern dabei sind, die leider nicht immer mitkommen –, sind in einer ihnen vorgeschlagenen Ausbildung oder in einer Lehre. Auf diesem Wege werden wir auch das Problem bei den Mädchen in den Griff bekommen. Sie werden einer breite­ren Berufspalette gegenüberstehen, wenn sie sehen, welche Talente und welche Fä­higkeiten sie haben. Sie wissen es ja nicht! Es ist nicht so, dass die Mädchen sagen: Ich will Friseurin oder Einzelhandelskauffrau werden!, sondern sie kennen die anderen Berufe nicht. Österreichweit bilden wir in 260 Berufen aus.

Es ist immer wieder zu sehen: Wenn die jungen Leute diesen Test gemacht haben, vor allem junge Leute, die in der Schule nicht besonders gut sind, und wenn sie es dann am späten Nachmittag nach einem Gespräch mit der Psychologin/dem Psychologen und den Eltern schwarz auf weiß haben, dass sie ungeheure Talente und Fähigkeiten haben, werden sie in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt und mit entsprechender Freude ihren Beruf ergreifen. – Und das ist eigentlich das Wichtigste.

Das ist auch der Grund, warum Leute dann lebensbegleitendes Lernen leben: Weil sie Freude daran haben, weil sie Interesse haben. Und dadurch ist es selbstverständlich, dass sie sich immer wieder weiterbilden, wodurch sie erfolgreich sind. Wir wissen, dass es heutzutage nicht mehr so ist, dass man mit dem Beruf, den man gelernt hat, sein Berufsleben auch beschließt, sondern man muss sich immer wieder neu orientieren, man muss offen sein für andere Berufe.

Ich muss sagen, dass ich sehr stolz auf unsere österreichischen Betriebe bin – nicht nur auf die in Niederösterreich, die heuer wieder um 3 Prozent mehr Lehrlinge ausbil­den, sondern auf alle Betriebe –, weil sie die Lehrlinge wirklich gut ausbilden, weil sie die Fachkräfte, die wir haben, erfolgreich für die Zukunft rüsten. Und auch wenn Sie, Herr Kollege Schimböck, die Berufsweltmeisterschaft sozusagen als Breitensport nicht anerkennen, muss ich schon sagen, dass die Konjunkturdaten Ausdruck dessen sind, dass wir erfolgreiche, gut geschulte Mitarbeiter haben, und diese sind nun einmal in unseren Betrieben ausgebildet worden.

Es ist heute schon sehr viel gesagt worden, aber was mir dabei – da es ja eine En­quete ist, die vom Bundesrat verlangt und initiiert wurde – ein bisschen fehlt, ist, dass wir die Konzepte, die es schon gibt, auf den Tisch legen und fragen: Was funktioniert denn in den verschiedenen Bundesländern gut? Wo haben wir denn Erfolgsstorys? – Es ist ja nichts Negatives, wenn wir das eine oder andere in unser Land bringen!

Ich freue mich ganz besonders, dass Niederösterreich eines der Bundesländer ist, in denen die Berufsreifeprüfung gratis ist. Ich habe bei einer Veranstaltung auf Bundes­ebene bei uns in der Wirtschaftskammer mit Bedauern gehört, dass die Steiermark ihre Förderungen für die Berufsreifeprüfung ab 1.1.2008 wieder zurücknimmt. – Das tut mir leid, weil gerade das wesentlich und für unsere jungen Leute ein wirklich wichtiger Schritt ist.

Wir bieten zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem AMS auch Gratisnachhilfe für Lehrlinge an: Es gibt nun einmal Kinder, die – warum auch immer, das ist zweitrangig – in der Berufsschule Probleme haben, und für die bieten wir Gratisnachhilfe an. Es sind bis jetzt 700, die das in Anspruch genommen haben.

Um das Image der Lehre aufzuwerten, haben wir jetzt auch „Let’s walz“ eingeführt, das heißt, wir schauen, dass wir Lehrlinge ins Ausland schicken, und wir werden auch junge Leute in unsere Betriebe holen.

Wir haben „Jimmy on tour“, das ist eine Internetplattform, mit deren Hilfe wir jungen Leuten in den Schulen in vier Blöcken 176 Berufe vorstellen, wo sie spielerisch und mit Unterstützung von Unternehmen darauf hingewiesen werden, welche Möglichkeiten es gibt.

Und es gibt ein sehr erfolgreiches Sozialpartnerpaket namens „Job konkret“, wo wir alle unsere Kräfte bündeln.

Ich glaube, das ist wesentlich und dazu sind wir aufgerufen, denn wenn sie einen Be-
ruf ergreifen, für den sie talentiert sind und der ihnen Freude macht, wird es auch für ältere Arbeitnehmer selbstverständlich sein, dass sie sich weiterbilden, denn Lebens­qualität hängt davon ab, wie erfolgreich man im Beruf ist und wie jemandes Bildung ausschaut. – Danke. (Beifall.)


12.13

Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag.

Das nächste Statement kommt von der grünen Fraktion, und ich bitte Frau Bundesrätin Konrad darum. – Bitte.

 


12.13.27

Bundesrätin Eva Konrad (Grüne, Tirol)|: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Staatssekretärin Marek hat heute Vormittag zu Beginn dieser Veranstal­tung gesagt, sie freut sich über den umfassenden Ansatz, den wir bei dieser Enquete gewählt haben. – Umfassende Ansätze haben nur leider den Nachteil, dass es dann oft wenig konkret wird, und wir haben jetzt die Situation, dass eben alle über den Bereich reden, in dem sie sich am besten auskennen. Ich hoffe, wir profitieren trotzdem davon, und ich hoffe, es gelingt uns auch, diese vernetzten, aber verschiedenen Themenberei­che zusammenzuführen.

Der Zusammenhang von Wirtschaft und Bildung hat für mich zwei Facetten: Einerseits kenne ich den mit einem ein bisschen negativen Beigeschmack von der Universität, wo wir in den letzten Jahren oft vor der Situation standen, dass alles, was nicht direkt wirt­schaftlich verwertbar war oder keinen direkten wirtschaftlichen Output hat, als nicht zielführend und nicht sinnvoll angesehen wurde und sich in seiner Existenz rechtferti­gen musste – das kann es natürlich nicht sein! –, andererseits ist Bildung natürlich auch die Grundlage, die dafür sorgen soll, dass wir später in der Wirtschaft in einem Arbeitsleben auch einen Beruf finden, mit dem wir uns unser Leben finanzieren kön­nen.

Hier gibt es also eine Wechselwirkung, wobei man jedenfalls nicht den Fehler begehen darf, Bildung allein unter wirtschaftlichen Kriterien zu sehen. – Das ist heute nicht der Fall gewesen, und es freut mich sehr, dass wir nicht in diese Falle getappt sind.

Wenn wir uns die PISA-Studie anschauen – ich glaube, es ist verständlich, dass wir nach der Diskussion der letzten Wochen, wo das ja ein Thema war, das auch hier mit hereinnehmen –, dann haben wir vor allem zwei gefährdete Gruppen in Österreich.

Das sind einmal Jugendliche mit Migrationshintergrund. Ich finde es eigentlich sehr traurig, dass in Österreich Jugendliche aus der zweiten Generation bei diesem Test offensichtlich schlechtere Ergebnisse erbracht haben als jene der ersten Generation. – Das heißt, hier ist irgendetwas in der Integration im schulischen Bereich ganz klar schiefgegangen, da hat etwas nicht funktioniert.

Wir wissen, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund vor allem aus bildungsfernen Schichten kommen, das heißt, ihre Eltern haben keinen Schulabschluss einer höheren Schule, haben eben oft auch Berufe, die zum Beispiel unter diesen Hilfsarbeitertätig­keiten angesiedelt sind. Das heißt, wenn diese Jugendlichen dann die Schule verlas­sen, fehlen ihnen auch berufliche Vorbilder, und es tut sich ein Teufelskreis auf: Sie werden höchstwahrscheinlich wieder in Berufe mit eher niedrigem Einkommen, auch mit eher niedrigem Ansehen gelangen.

Eine ähnliche Situation kennen wir auch von Kindern aus anderen bildungsfernen Schichten: Es gibt hier einen Teufelskreis, denn die soziale Herkunft eines Kindes und der Bildungsstand der Eltern haben einen ganz starken Einfluss darauf, was das Kind dann selbst an Chancen im Bildungssystem hat.

Wenn wir also den Teil des Titels der heutigen Veranstaltung „Mehr Chancen für alle“ ernst nehmen wollen, dann müssen wir uns vor allem um diese beiden Gruppen küm­mern: Wir müssen schauen, dass unser Schulsystem so umgestaltet wird, dass diese Diskriminierungen nicht mehr passieren und dass diese Gruppen wirklich mehr Chan­cen bekommen.

Ein sehr großes Problem ist meiner Meinung nach diese frühe Selektion, diese frühe Entscheidung, die wir betreffend unsere Schullaufbahn treffen müssen, indem man bereits im Alter von zehn Jahren entscheidet, ob man in die Hauptschule oder in ein Gymnasium geht. – Bei allem Respekt für die Versuche, die Situation zu verbessern, wird sich mit dem neuen Modell, das jetzt beschlossen worden ist, die Lage diesbezüg­lich nicht verbessern, denn das Wesen einer Gesamtschule, einer gemeinsamen Schu­le ist es ja, dass alle Kinder einer Altersstufe in dieselbe Schule gehen, und nicht, dass man dann drei Varianten hat, aus denen man auswählen kann.

Wer in unserem Schulsystem einmal die Abzweigung weg von einem höheren Bil­dungsabschluss genommen hat, tut sich sehr schwer, auf diese Straße wieder zurück­zukommen. Wenn ich mich also dafür entschieden habe, in die Hauptschule zu gehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass ich Matura mache oder eine Universi­tät besuche, und für viele Menschen, die hier früh abgezweigt sind, braucht es später sehr viel an Mut und oft auch an Geld, um sich wieder einen Zugang zu höherer Bil­dung zu besorgen.

Meiner Meinung nach sind frühe Erlebnisse in der Schule hier sehr prägend: Wer früh die Erfahrung gemacht hat: Ich kann etwas!, der wird sich auch später leichter tun, wie­der Bildung in Anspruch zu nehmen und sich eben gemäß dem Schlagwort lebenslan­ges Lernen auch später fortzubilden. Wer in der Schule früh die Erfahrung gemacht hat, dass er eben in manchen Bereichen vielleicht nicht so begabt ist, wird frustriert und demotiviert sein und wird sich wahrscheinlich auch in Zukunft nicht freiwillig fortbil­den wollen.

Unsere Schule ist momentan Schwäche-orientiert, das heißt, wir konzentrieren uns darauf, was Kinder falsch machen, was sie nicht können: Das sollen sie dann aus­bessern. Viel sinnvoller wäre es – und meiner Meinung nach für die Schülerinnen und Schüler auch viel motivierender –, ein Schulsystem aufzubauen, das sich auf die Stär­ken konzentriert, das individuelle Förderung ermöglicht.

Zum Thema gemeinsame Schule muss ich für mich ein bisschen überraschend sagen, dass ich eigentlich fast alle der Forderungen, die der Sprecher der Wirtschaftskammer hier vorgetragen hat, unterschreiben kann. – Ich war ein bisschen überrascht, dass wir hier einer Meinung sind, aber das waren durchwegs Vorschläge, wo ich sage: Ja, die würde ich auch unterschreiben! Insbesondere wenn Sie sagen, es geht hier nicht um Ideologien, sondern um Evidence based Policy, finde ich es eigentlich noch wichtiger, dass wir in diese Richtung endlich Schritte unternehmen, weil das leider momentan noch nicht der Fall ist.

Bildung ist der Schlüssel – das haben wir schon gehört – einerseits zu Chancen im Be­rufsleben, andererseits auch zu sozialem Status, aber sie ist interessanterweise sogar ein Schlüssel zu einem gesunden Lebensstil, denn je mehr Bildung ich habe, umso mehr Chancen habe ich, mein Leben so zu führen, wie ich will, so zu führen, wie ich es als angenehm erachte. Das heißt, eine gemeinsame Schule ist für mich ein ganz wich­tiger Schritt hin zu „Mehr Chancen für alle“, was sich ja eben im Titel dieser Veranstal­tung wiederfindet.

Zum Abschluss möchte ich noch anmerken, dass, wie man weiß, auch die Phase beim Berufseinstieg besonders kritisch ist. Das heißt, wenn es für Kinder Schwierigkeiten am Ende der Schullaufbahn beziehungsweise beim Einstieg ins Berufsleben gibt, werden sich diese Probleme später im Berufsleben fortsetzen: Wer zu diesem Zeitpunkt zum Beispiel lange arbeitslos ist und lange keine Lehrstelle findet, hat auch später eine viel größere Gefahr, arbeitslos zu sein.

Eine verpflichtende Berufsberatung halte ich für eine gute Idee. So, wie sie jetzt in der Schule stattfindet, ist es definitiv zu wenig. Ich meine, dass die Schule die ganz starke Verpflichtung hat, den Schülerinnen und Schülern wirklich die gesamte Bandbreite von dem zu zeigen, was möglich wäre, damit wir eben verhindern, dass Mädchen, die quasi keine anderen Berufe „kennen“, immer nur in dieselben schlecht bezahlten Be­rufe gehen, in denen sie dann später keine Chancen mehr für sich sehen. – Danke. (Beifall.)

12.20


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag. – Wir haben im Bundesrat auch eine Gruppe von Bundesräten, die keiner Fraktion ange­hören, trotzdem sollen sie hier ein Rederecht haben.

Ich bitte daher nun Frau Bundesrätin Mühlwerth zum Rednerpult.

 


12.20.51

Bundesrätin Monika Mühlwerth (ohne Fraktionszugehörigkeit, Wien)|: Sehr geehrte Damen und Herren! – Danke, dass auch die Fraktionslosen des Bundesrates bei einer Enquete, zu der sie entsandt wurden, reden dürfen. – Bildung ist nicht nur – dieser Satz ist heute schon gefallen – Ausbildung und reiner Wissenserwerb, sondern Bildung umfasst die gesamte Persönlichkeit! Ein Satz, den man gar nicht stark genug unter­streichen kann.

Frau Ministerin Schmied hat heute gesagt, dass Leistung und Freude einander nicht ausschließen. – Diese Ansage lässt mich wirklich hoffen, denn in den letzten Jahrzehn­ten war ja „Leistung“ ein geradezu verpöntes Wort. Die Schule war hauptsächlich ge­prägt von einem Event- und Spaßfaktor, wobei das Wort „Leistung“ nahezu zu einem Unwort verkommen ist. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass das Bewusstsein des Wertes einer Bildung stark gesunken ist.

Wenn wir die präsentierten Zahlen anschauen, sehen wir, dass 30 Prozent der Schüler nach neun Schuljahren Risikoschüler sind – und dass sich bei der letzten PISA-Stu­die gezeigt hat, dass 20 Prozent der Schüler nach neun Pflichtschuljahren nicht aus­reichend lesen und schreiben können. Wenn wir wissen, dass 15 Prozent der Volks­schüler nicht ausreichend lesen und schreiben können, müssen wir uns schon Sorgen machen, was das Bildungsbewusstsein anlangt.

Ich glaube, es ist egal, welchen Weg ein Schüler nimmt – egal, ob Lehre, ob Matura, ob Studium –, geht es doch darum, dass die Schüler zuerst einmal wieder lernen ler­nen, denn das ist etwas, woran es oft hapert. Zum Zweiten muss die Wissbegierde der Schüler und auch ihre Neugierde erhalten bleiben. Und die Schülerinnen und Schüler müssen auch dahin gehend gefördert werden, dass man etwas einfach um des Wis­sens willen wissen kann, ohne dass das mittelbar oder unmittelbar gleich einen Nutzen hat. – Wenn das beherzigt wird, dann ist schon einmal ein großer Schritt in Richtung lebenslanges und lebensbegleitendes Lernen getan.

Meine Damen und Herren, mir ist da heute ein großer Widerspruch aufgefallen: Auf der einen Seite ist, völlig zu Recht, die Lehrausbildung gelobt worden – dieses duale Sys­tem in Österreich findet durchaus internationale Anerkennung –, gleichzeitig aber steht sozusagen immer wieder im Raum: Ohne Matura schafft man es nicht! Das wird ja dann auch immer mit Zahlen unterlegt. Das AMS hat gesagt, Menschen mit Lehrab­schluss sind die zweitgrößte Gruppe der von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen.

Da ist doch, meine Damen und Herren, irgendwann einmal ein Fehler im System pas­siert. In Wien lässt sich das natürlich nachvollziehen, denn jahrzehntelang wurde dort gesagt: Wenn du keine Matura hast, dann ist deine Ausbildung einfach nichts wert!, und das haben die Eltern in Wien auch mittlerweile so aufgenommen, was zur Folge hat, dass 70 Prozent aller Volksschüler Wiens Richtung AHS ziehen.

Die Hauptschule – speziell in Wien, aber auch in allen anderen Ballungszentren – ist zu einer Ausländer-Restschule verkommen, wohin der Wiener seine Kinder nicht mehr schicken will. Das ist ein Spannungsverhältnis, das aufgelöst gehört! Am Land funktio­niert die Hauptschule ja noch; 70 Prozent aller Hauptschüler maturieren. Das heißt, die Durchlässigkeit des Systems ist durchaus gegeben.

Da heute öfters angesprochen wurde, dass Migranten-Kinder so benachteiligt seien: Auch für Migranten-Kinder ist die Durchlässigkeit des Systems gegeben, sie müssen es nur annehmen! Gerade bei den Zuwanderern ist ja das Problem oft das, dass Bil­dung nicht den entsprechenden Stellenwert hat, wobei man nicht vergessen darf, dass es auch da selbstverständlich Unterschiede gibt. Es kommt darauf an, aus welchem Kulturkreis jemand zu uns kommt.

Die Durchlässigkeit des Systems fördern, ja, das heißt aber auch, keine Schranken bei den Kosten einzuziehen oder beizubehalten. Ich würde mich freuen, wenn das generell möglich sein wird, dass die Berufsreifeprüfung nicht an einer Kostenhürde scheitert. Ich halte auch das Modell der Lehre mit Matura durchaus für begrüßenswert. Ich habe mir erzählen lassen, in einem Bundesland wird das schon erprobt – und hat ganz gute Er­folge. Das wird man sich also sicherlich genauer anschauen müssen, aber als Ansatz, um auch jenen die Möglichkeit zu geben, weiterzukommen, wenn sie es wollen, ist das durchaus begrüßenswert.

Folgendes dürfen wir aber nicht vergessen: Wir müssen uns schon darüber im Kla-
ren sein, dass Chancengleichheit nicht heißt, jedem sozusagen alles hineinpressen zu müssen – egal, ob der Betreffende will oder nicht, sondern allein deshalb, weil das eben so sein müsse.

Diese Einstellung hat ja in Bezug auf die AHS dazu geführt, dass man heute nicht mehr schaut, ob jemand die Matura hat, sondern mittlerweile schon bewertet, wo man seine Matura gemacht hat. Wir müssen uns dazu bekennen und einsehen, dass nicht jeder gleich bildungswillig und auch nicht gleich bildungsfähig ist, hat es doch immer wieder Menschen gegeben, denen eben, wie man so salopp sagt, erst später der „Knopf aufgegangen“ ist, und für diese Kinder ist eine Durchlässigkeit des Schulsys­tems durchaus von Wichtigkeit.

Wir müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass es solche gibt, die sich mit einem Status quo begnügen.

Wenn wir die Schüler solcherart fördern, dass sie jenen Bildungsabschluss erzielen, den sie auch erreichen können, und wenn wir ihnen sagen, dass es natürlich auch An­strengung bedeutet, sich Wissen anzueignen und sich weiterzubilden, dass es aber sehr wohl Glücksgefühle auslösen kann, wenn man etwas erreicht hat, von dem man am Anfang gar nicht glauben konnte, dass man es je erreichen kann, dann können wir bei einer nächsten Bildungs-Enquete sicherlich noch hoffnungsfroher sein, als das heu­te der Fall war. (Beifall.)

12.26


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag.

Wir haben noch eine relativ lange Rednerliste vor uns, ich bitte daher, dass sich alle an die vorgesehenen 5 Minuten pro Rede halten. Es ist nicht notwendig, zum Rednerpult zu kommen; es gibt genug Mikrophone in den Sitzreihen. Ich würde vorschlagen, dass die Damen und Herren, die sich zu Wort gemeldet haben, die Mikrophone in den Bän­ken verwenden.

III. Diskussion und Fragerunden an die Referentinnen und Referenten

Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach: Nächste Rednerin ist Frau Bundesrätin Mag. Neuwirth. – Bitte.

 


12.27.53

Bundesrätin Mag. Susanne Neuwirth (SPÖ, Salzburg)|: Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Mehr Chancen für alle“ bedeutet meiner Über­zeugung nach vor allem mehr Chancen für junge Frauen, mehr Chancen für Mädchen, und es ist sicher kein Zufall, dass die Frage der Geschlechterdifferenz heute zum ers­ten Mal von der einzigen weiblichen Referentin aus der ExpertInnenrunde angespro­chen wurde und das somit einen Aspekt darstellt, der meiner Meinung nach doch noch etwas zu kurz gekommen ist.

Lassen Sie mich kurz Folgendes erzählen: Ich war gestern Abend bei einer sehr inter­essanten Diskussion zum Thema PISA und Gender. Ich kann jetzt nicht alles aus­führen, was dort zu erfahren war, aber so viel: Verblüffend war für mich – obwohl ich darüber vieles weiß, schon von meiner Berufserfahrung her; ich bin im Zivilberuf Lehre­rin an einer HTL und sehe die PISA-Ergebnisse in der Praxis quasi tagtäglich, was Lesekompetenz et cetera betrifft, aber erstaunlich war das für mich allemal –, dass 25 Prozent der Schülerinnen zur Risikogruppe in Mathematik gehören und dass der Unterschied zwischen Mädchen und Burschen, was ihre Kompetenz in Mathematik und Naturwissenschaften betrifft, in Österreich am höchsten ist. Von allen Ländern ist diese Differenz, dieser Gap zwischen Mädchen und Burschen in Österreich am allerhöchs­ten. – Ich meine, da herrscht eindeutig Handlungsbedarf!

Worum geht es denn? – Wenn wir von Bildungschancen reden, reden wir vor allen Din­gen auch von Chancen auf dem Arbeitsmarkt; da hält ja, wie wir alle wissen, die ge­schlechtsspezifische Segregation immer noch an. Obwohl die Erwerbsbeteiligung von Frauen zunimmt und zusätzliche Frauenarbeitsplätze entstehen, entstehen diese vor­nehmlich in traditionellen Frauenberufen im Dienstleistungssektor. Wir wissen, dass in etwa 80 Prozent der unselbständig beschäftigten Frauen im tertiären Sektor arbeiten und drei Viertel der berufstätigen Frauen in nur neun Berufsgruppen tätig sind.

In all diesen neun Berufsgruppen arbeiten wieder zu mehr als 50 Prozent Frauen, das bedeutet also, es sind wieder segregierte Frauenberufe. Dazu gehören nicht nur die heute schon angesprochenen klassischen Lehrlingsberufe, die von den Mädchen ge­wählt werden, sondern natürlich auch Berufe im Gesundheitsbereich oder im Bildungs­bereich – denken Sie an die Lehrerinnen im Volksschulbereich, denken Sie an die Kin­dergärtnerinnen –, im sozialen Bereich Krankenschwestern, Hebammen et cetera, im Büro nach wie vor, im Gastgewerbe, im Einzelhandel und so weiter, also in diesen neun Berufen.

Wenn wir uns dazu anschauen, wie die Einkommensverhältnisse sind, dann wissen wir, dass es wiederum genau diese Berufe sind, in denen weniger verdient wird als in den anderen Berufen. Der Anteil an Berufseinsteigerinnen – wie hoch der Anteil derje­nigen ist, die sozusagen in den drei Hauptberufen einsteigen, haben wir schon gehört – in Handwerk und Technik ist nach wie vor sehr bescheiden.

Diese geschlechtsspezifische Segmentierung am Arbeitsmarkt führt natürlich dazu, dass auch die Einkommensverhältnisse dementsprechend sind. Wir wissen aus zahl­reichen Studien, die jedes Jahr wieder neu herauskommen, dass die Einkommensun­terschiede immer noch bei über 30 Prozent liegen und dass sich in den letzten Jahren eigentlich nichts ins Positive verändert hat, sondern vielmehr ins Negative.

Schauen wir uns jetzt die Berufseinsteigerinnen an – was verdienen junge Frauen nach ihrer Berufsausbildung, im Gegensatz zu jungen Männern? –, so stellen wir fest, dass im Durchschnitt auch hier wieder der Unterschied bei rund 18 Prozent, also bereits bei fast 20 Prozent liegt, dass sich das im Laufe des Lebens erhöht und niemals wieder aufgefangen werden kann. Wir wissen, warum: Es geht eben um geschlechtsspezifi­sche Benachteiligungen, es geht um geringere Aufstiegschancen, es geht um die klas­sischen Erwerbsunterbrechungen von Frauen und natürlich um die heute immer höhe­ren Anteile von atypischen Beschäftigungen.

Das Thema Berufsorientierung/Berufswahl ist heute schon angesprochen worden, auch der sehr frühe Zeitpunkt, zu dem die Kinder entscheiden müssen, auf welchen Lebensweg sie gehen. Da gibt es einmal die Entscheidung mit zehn Jahren, da wählen sie eben Hauptschule oder Gymnasium. Bei den Hauptschulen gibt es heutzutage auch wieder ganz beträchtliche Unterschiede; Hauptschule ist ja nicht gleich Haupt­schule, vor allem nicht in den städtischen Bereichen.

Dann aber erfolgt diese zweite Entscheidung in einem Alter von 13 oder 14, spätestens 15 Jahren: In welche Ausbildung, in welches Berufsfeld gehe ich wirklich? – Diese Zeit, in der sie diese Entscheidung treffen müssen, ist auch die Lebensphase, in der sie sich orientieren und entscheiden: Wie kommen sie zu ihrer Geschlechterrollenfindung? Wohin soll sich ihr Leben überhaupt orientieren?

Da werden natürlich auch vom Umfeld – von den Eltern, von den Lehrerinnen und Leh­rern – Berufsentscheidungen eher dann unterstützt und die Interessen und Kompeten­zen eher dann gefördert, wenn es sich um die gängigen Geschlechterklischees han­delt, und weniger dann, wenn es sich um andere, sozusagen atypische Klischees han­delt.

Man muss auch berücksichtigen, dass der Gender-Aspekt in der heutigen Berufsinfor­mation in den Schulen und auch auf dem Arbeitsmarkt erst in Ansätzen vorhanden ist. Da gibt es einfach noch viel zu wenig Erfahrung, aber auch viel zu wenige ausgebildete Leute, die den Mädchen aufzeigen, dass es eben andere Möglichkeiten gibt und dass ihr Berufswahlspektrum nicht so klein ist.

Was sollen wir tun? – Es geht darum, geschlechtersensible Materialien schon in der Volksschule herzustellen und bereitzustellen. Vor allen Dingen geht es meiner Meinung nach aber darum, Lehrerinnen und Lehrer geschlechtssensibel auszubilden, und zwar verpflichtend in ihren Ausbildungen. Nur dann können diese ganz stereotypen Rollen aufgebrochen werden, und dann werden die Mädchen und Frauen die Chancen auf dem Arbeitsmarkt und im Leben haben, die sie auch verdienen. – Danke.

12.34


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag. – Nächster Redner: Herr Dr. Prantl. – Bitte.

 


12.34

Dr. Otto Prantl (Amt der Kärntner Landesregierung)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Otto Prantl, ich komme aus dem Land Kärnten und bin innerhalb der Abteilung 6 für lebenslanges Lernen zuständig. Abtei­lung 6, man könnte sagen, damit ist die Querschnittsmaterie des lebenslangen Ler­nens, Bildung, Arbeitsmarkt, Familie gemeint.

Wenn man lebensbegleitendes Lernen auch als veränderungsbegleitende Aus- und Weiterbildung, als Qualifizierung in allen Lebensphasen beschreiben kann, wäre es meiner Ansicht nach wichtig, erstens einmal die Lebensphasen und zweitens auch die demographische Veränderung, die Entwicklung in der Gesellschaft zu betrachten. Und da, denke ich, ist der weite Bogen des lebenslangen Lernens ein fast nicht begreif­barer.

Ich bin deshalb sehr froh darüber, heute hier zu sein, weil es im österreichischen Bun­desgebiet ein sehr wichtiges Vorhaben gibt, nämlich den nationalen Qualifikationsrah­men, der die Leistungen in der formalen Bildung zum Ziel hat, also formale Bildung an Schulen und Universitäten, die Leistungen der Weiterbildung – Erwachsenenbildung, ‑weiterbildung –, aber auch die Leistungen im informellen Lernen. Da könnte man durchaus informelles Lernen am Arbeitsplatz einbeziehen, informelles Lernen beim Ar­beiten im Unternehmen, dies zu beschreiben, anzuerkennen und zu zertifizieren.

Da sind wir dabei – und da kann ich der Verbindungsstelle der Bundesländer sehr dan­ken –, auch koordinierend für die Bundesländer diesen Abstimmungsprozess einmal zu beginnen und weiterzuentwickeln. Das ist deshalb wichtig, weil lebenslanges Lernen so viele Inhalte hat: beginnend mit der persönlichen Entwicklung, über Familie und Wirt­schaft bis hin zur Aus- und Weiterbildung. Aus dem Grunde ist es mir sehr wichtig, zu dem Thema auch in diesem Rahmen zu sensibilisieren.

Der zweite Punkt – da nehme ich einfach den Zeitrahmen des Redebeitrags wahr – ist, dass das Projekt „Lehre mit Matura“ als Zukunftsprojekt des Bundes in Kärnten schon Gegenwart ist. Lehre mit Matura findet also in Kärnten statt. Wer dazu Informationen möchte: Auf der Homepage www.ktn.gv.at ist alles abfragbar, was dazu interessant und wichtig ist. – Danke.

12.37


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag. – Ich darf nun das Wort Herrn Bundesrat Dr. Schnider geben. – Bitte.

12.37.10

 


Bundesrat Dr. Andreas Schnider (ÖVP, Steiermark)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst einmal freue ich mich sehr, dass es abermals der Bundesrat ist, der nun schon zum zweiten Mal eine Enquete zum Thema Schule und Bildung einberuft und damit eigentlich in diesem Hause die Kammer ist, die sich in den letzten Jahren sehr stark mit diesem Thema auseinander setzt.

Ich denke, es gäbe auch noch ein weiteres Thema, das heute ja stark aufgekommen ist. Es wäre für uns vielleicht auch ein Auftrag, sich des Themas Kindergarten und Vor­schule anzunehmen. Dann hätten wir auch ein Stück dieses Spektrums mit hereinge­nommen.

Nun drei, vier Bemerkungen zum Thema lebenslanges Lernen: Ich bin Professor Schuetze sehr dankbar dafür, dass er diese Definition gewählt hat. Wenn ich es richtig im Kopf habe und es auch richtig in seinem Beitrag nachgelesen habe, hat er drei Wesenselemente dessen genannt, was lebenslanges Lernen ist: erstens lebenslang; zweitens Lernen in mannigfaltigen Formen und an vielen Lernorten; und drittens, es geht um das Lernen, um den Lernenden, aber nicht um Erziehung und Schule.

Zum Ersten: lebenslang. Wenn dem so ist, dann stellt sich für uns selbstverständlich politisch die Herausforderung, wirklich das Bildungssystem als Gesamtes zu sehen, als ein Bildungswerk zu sehen, als das, was hier ja angesprochen ist, nämlich angefangen von den Kindern bis hinauf zu den Erwachsenen. Da kommen wir nicht umhin, zu fra­gen: Wo haben wir das Gemeinsame? Wo ist der pädagogische Mehrwert des Ge­meinsamen?

Wenn wir möchten, dass unsere Kinder und Jugendlichen letztendlich friedvoll und ge­meinsam in einem demokratischen Land leben können, ist es meiner Ansicht nach wichtig, dass gerade in den Jahren, in denen sie das am besten miteinander lernen können, sie es auch tatsächlich miteinander lernen können. Dazu gehört auch der Punkt, dass wir uns der Übergänge zwischen den unterschiedlichen Altersgruppen an­nehmen, uns vielleicht weniger der Übergänge zwischen unterschiedlichen Schultypen annehmen und dies vielleicht da und dort wirklich eher in Frage stellen.

Das Zweite ist: Wenn es heißt, in mannigfaltigen Lebensbereichen und an unterschied­lichen Lernorten, dann frage ich mich: Warum gehen wir jetzt nicht auch her und über­legen uns, wie in der Schule die unterschiedlichen Lebens- und Berufsbereiche präsent sein können?

Da gibt es meiner Ansicht nach zwei Möglichkeiten. Das eine betrifft das Personal, und deshalb frage ich mich wirklich, warum wir nicht den Mut haben, doch wieder zu der Titulatur zurückzukehren, die wir ursprünglich 1999 hatten, dass wir nämlich von Hoch­schulen für pädagogische Berufe gesprochen haben, und auch nicht den Mut haben, hier in diesem Haus zu sagen, dass die Sozialpädagogen, die Kindergärtnerinnen, die Freizeitpädagogen selbstverständlich in diesen Bereich mit hineingehören, und heute, gerade jetzt, wenn es um diese Modelle geht, nicht nur über Werteinheiten für Lehre­rinnen und Lehrer zu reden, sondern über Ressourcen zu reden, wie wir uns diese Berufsgruppen in die Schule mit hereinholen.

Damit ergibt sich für mich selbstverständlich die zweite Möglichkeit, und zwar was die Lernorte betrifft. Professor Schuetze hat es angesprochen: Musikvereine, Sportvereine, Kulturtreffs, Bibliotheken, Museen und so weiter; das alles ist bei ihm nachzulesen. Wie schaffen wir es, dass die Schule ein Ort ist, der Lernorte verknüpft? – Nur so kann es uns gelingen, dass jemand in ein lebenslanges Lernen hineinwächst, und vielleicht auch das, was Johann Mayr gesagt hat mit seiner Formel, die ich als hochinteressant erachte: zu schauen, wie das mit der Motivation ist.

Wir wissen ja aus der Motivationsforschung: Man kann sich nur selbst motivieren, und man kann von außen nur bestimmte Rahmenbedingungen dafür schaffen. Vielleicht besteht die Möglichkeit, dass es, wenn man viele Lernorte mit hereinnimmt, wo junge Menschen sowieso schon lernen, uns dadurch gelingt, Rahmenbedingungen zu schaf­fen, um quasi die Motivation auch ein Stück zu ermöglichen, dass junge Leute sich da vielleicht auch besser motivieren können.

Ein Punkt, den ich hier noch erwähnen möchte, ist dieser: Wenn man so ein System überlegt, dann muss es auch ein konsistentes System sein; das ist auch angesprochen worden. Es kann nicht so sein, dass für manche das Erreichen einer Matura oder eines Abschlusses eine Menge Geld kostet und für die anderen weniger. Es ist ja nach wie vor so, dass, wenn ich den Weg Volksschule/AHS/Universität wähle, 90 Prozent der Staat bezahlt und dass es mich, wenn ich den anderen Weg wähle – den, der heute hier auch angesprochen worden ist, über die Lehre hin zur Matura – und vielleicht so­gar erst mit 30 oder 35 Jahren eine Matura mache, sehr, sehr viel Geld kostet.

Ich denke, da hätten wir anzusetzen. Da hätten wir auch gut zu differenzieren und dar­über nachzudenken, wie Bildung in Zukunft aussehen soll. Dazu ein Schlagwort, das ich auch bei den heutigen Referenten gefunden habe (Vorsitzende Vizepräsidentin Ha­selbach gibt das Glockenzeichen): Menü à la carte – und nicht Standardmahlzeit oder Fastfood. – Danke. (Beifall.)

12.42


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke vielmals, Herr Kol­lege. – Herr Dr. Niederwieser ist der nächste Redner. – Bitte.

 


12.42

Abgeordneter DDr. Erwin Niederwieser (SPÖ)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Kolle­ginnen und Kollegen! Ein paar Punkte möchte ich herausgreifen. Der erste: „lifelong learning“.

Sie werden ja demnächst im Bundesrat etwas beschließen, was letzte Woche im Natio­nalrat gewesen ist, nämlich die Verbesserungen bei der Bildungskarenz. Ich glaube, solche Dinge sollten wir nicht einfach so mitnehmen: Es ist erledigt, und wir reden nicht mehr darüber. Ich halte das für einen ganz wichtigen Beschluss, nämlich es zu ermög­lichen, dass man künftig sehr flexibel, flexibler jedenfalls als bisher, Bildungskarenz in Anspruch nimmt. Das sind praktische Beispiele, auf die wir eigentlich stolz sein können und die wir noch mehr verbreiten müssen.

Zweiter Punkt: die Sozialpartner-Papiere. Ich glaube, das Bad Ischler-Papier ist es wert, auch für den Nationalrat und für den Bundesrat eine Grundlage für viele weitere Schritte zu sein. Da haben sich die großen Gruppen auf eine Vorgangsweise geeinigt. Ich möchte nur sagen, für mich ist das sicherlich auch ein sehr wichtiges Papier, was die nächsten Jahre anlangt.

Was mir auch aufgefallen ist – ich könnte jetzt ein paar Dinge aufzählen, die wir in Tirol machen –: Ich finde es schön, dass es in Kärnten die Berufsreifeprüfung gibt, und auch die Förderung in Niederösterreich; das ist hochinteressant, ich habe das nicht gewusst. Wir haben Geld für die Nachhilfe in Sprachen für die Lehrlinge gesucht; jetzt weiß ich, wo ich hingehen muss. Aber eigentlich sind wir dafür verantwortlich, dass wir den Men­schen in ganz Österreich solche Dinge anbieten. Das ist ja auch der Vorteil dieses Austausches, dass wir dann überlegen können: Wie können wir es auf ganz Österreich ausdehnen?

Konsens besteht darüber, die Berufsorientierung ernster zu nehmen und als wirkli­ches Fach einzuführen. Ich habe da keinen Widerspruch gehört. Ich höre schon seit einigen Jahren keinen Widerspruch dazu, und heute ist es wieder als wichtiger Punkt gekommen. Ich denke, das ist etwas, was wir im nächsten Jahr einfach tun müssen, verbunden mit den verbesserten Instrumenten der Berufsorientierung. Da gibt es auch sehr viel, wodurch sich Jugendliche ihrer Kompetenzen stärker bewusst werden, diese wirklich erarbeiten und dann den richtigen weiteren Bildungsweg finden.

Was mir auch auffällt, ist, dass heute gerade im Zusammenhang mit „lifelong learning“ sehr viel Wert auf den vorschulischen Bereich gelegt wurde. Meiner Überzeugung nach ist der Schritt dieser Artikel-15a-Vereinbarung wirklich nur ein Zwischenschritt. Wenn wir wissen, wie wichtig es ist, dass alle dieses Vorschuljahr besuchen sollten, dass 93 Prozent es besuchen und bei 7 Prozent versucht wird, diese mit „kunstvollen Maß­nahmen“ dazu zu bewegen, es auch noch zu tun, dann wäre es doch die einfachere Variante, was schon im erwähnten Sozialpartner-Papier steht, nämlich die verpflichten­de Vorschule wirklich als das zu machen, als was sie zu machen ist und was viele Länder einschließlich der Schweiz getan haben, ohne dass diese im Verdacht stünde, die Freiheit der Menschen einschränken zu wollen.

Abschließend: Qualitätssicherung in der Berufsbildung. Da hat es im Zusammenhang mit der Berufsweltmeisterschaft eine kleine Diskussion gegeben: Wie gut sind wir tatsächlich? – Natürlich sind wir alle stolz auf diese hervorragenden Leistungen. Aber ich finde es interessant – ich sage es umgekehrt –, dass wir sehr hohe Anteile von Ju­gendlichen in den PISA-Studien in den Gruppe 0 und 1 drinnen haben – das sind die schlechtesten Kompetenzgruppen, eigentlich Risikogruppen –, die die Berufsschule besuchen, und dass mir viele Berufsschullehrerinnen und ‑lehrer sagen: Wenn wir da wirklich die Noten ernst nehmen würden, dann würden einige nicht durchkommen.

Das kann man jetzt als eine sehr fortschrittliche Herangehensweise an die Leistungs­beurteilung sehen; das ist sicherlich auch eine Variante. Oder man kann sagen, da müssen wir noch etwas genauer hinschauen, weil wir doch alle an Qualität interessiert sein sollten. (Beifall.)


12.47

Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort ge­meldet ist Herr Bundesrat Preiner. – Bitte.

 


12.47.12

Bundesrat Erwin Preiner (SPÖ, Burgenland)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Anwe­sende! Ich versuche, mich auch auf Grund meiner derzeit etwas ramponierten Stimme kurz zu fassen. – Wir haben im Burgenland, glaube ich, eine bereits seit Jahrzehnten sehr gute Entwicklung im Bereich der Schulversuche. Diese möchte ich kurz darlegen, zumindest was die Sekundarstufe 1 betrifft, die Mittelstufe, die ja in vieler Munde ist.

Die Ergebnisse der PISA-Studie sind so weit bekannt; natürlich inkludiert das auch die Schulen des Burgenlandes. Weitere Reformen im Bildungsbereich sind meiner Mei­nung nach daher grundlegend notwendig und wichtig. Die ersten Schritte, die in die richtige Richtung gehen, sind in jüngster Vergangenheit bereits gesetzt worden. Ich verweise nur kurz auf die Senkung der Klassenschülerhöchstzahl auf 25, die sukzes­sive greift, vor allem im Mittelstufenbereich, aber auch in der Grundschule; des Weite­ren auch auf den Ausbau der sprachlichen Frühförderung, ein ganz zentrales Thema im Reformansatz. Damit einhergehen muss die Bereitstellung des Lehrpersonals, um zumindest die Dienstpostenkürzungen der vergangenen Jahre etwas zu reduzieren.

Auf die Herausforderungen im Bildungsbereich wird meiner Meinung nach im Wesentli­chen aber auch durch das Modell der neuen Mittelschule richtig reagiert. Diese werden wir im Burgenland, speziell im Südburgenland, und zwar in den zwei Bezirken Jenners­dorf und Güssing, umsetzen. Bis dato gibt es bereits einige Schulen, die sehr konkret ja dazu gesagt haben. In diesen beiden Bezirken gibt es traditionellerweise keine AHS-Unterstufe. Das heißt, sehr zentrale inhaltliche Bereiche der neuen Mittelschule, dieses Schulmodells, werden bereits seit Jahrzehnten sehr positiv umgesetzt.

Die neue Mittelschule soll meiner Meinung nach aber auch ein Motor für wirtschaftliche Impulse sein; dies wurde heute bereits erwähnt. Diesbezüglich haben wir seitens des Burgenlandes vor, uns auch zukünftig nach den entsprechenden gesetzlichen Vorga­ben zu richten, was ja offensichtlich nicht in allen Bundesländern der Fall ist.

Das Burgenland – ich habe es eingangs schon erwähnt – hat bereits seit Jahrzehnten Tradition, was die Schulversuche betrifft. Ich verweise auf die sehr positiv gelungenen Schulversuche Tagesheimschule, Ganztagsschule, Fünftageschule, aber auch Sport­hauptschulen bereits seit Ende der siebziger Jahre. Viele von diesen Schulversuchen sind auch in das Regelschulsystem übernommen worden.

In jüngster Zeit waren viele Schulen – vor allem klein strukturierte Schulen, die es hauptsächlich im Burgenland gibt – auch Pilotschulen bei der Entwicklung der Schul­autonomie unter Berücksichtigung regionaler Schwerpunkte. Das ist ganz entschei­dend. Sie waren vor allem auch Pilotschulen in der Entwicklung und Erstellung von Leitbildern und Schulprogrammen, so zum Beispiel auch eine ganz kleine Hauptschule im Seewinkel, in Andau, zwei oder drei Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt. Diese Schule wurde in einem österreichweiten Ranking in den letzten Jahren zweimal unter die drei bestgenannten Hauptschulen Österreichs gewählt.

Im Rahmen einer schulinternen Evaluierung und Qualitätssicherung wurde auch auf den weiteren Bildungs- und Berufsweg der Schulabgänger Rücksicht genommen. Wir mussten aber feststellen, dass es damals und auch heute noch keine entsprechenden statistischen Daten gibt. In wochenlanger Arbeit wurden Fragebögen selbst erstellt, ge­eignete Parameter ausgearbeitet und dies der Öffentlichkeit präsentiert. Das Feedback war durchwegs positiv. Es hat gezeigt, dass zirka drei Viertel der Schüler weiterführen­de, berufsbildende mittlere oder höhere Schulen besuchen und von ihnen auch wieder drei Viertel die berufsbildenden höheren Schulen mit Matura abgeschlossen haben.

Des Weiteren sollte, glaube ich, in Zukunft darauf geachtet werden, dass die Schulsta­tistik auch insofern ausgeweitet wird, um den weiteren schulischen Werdegang und den ersten Beruf zu erfassen, damit man auch im Mittelstufenbereich die entsprechen­de Rückmeldung hat: Wie effizient war die schulische Ausbildung vor Ort? (Vorsitzende Vizepräsidentin Haselbach gibt das Glockenzeichen.)

Des Weiteren halte ich es für notwendig, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, und ich spreche auch dezidiert die Werteinheiten beim Personal für die neue Mittelschule an, damit dieser Erfolg beschieden ist.

Mittelfristig – dies wurde heute bereits von einigen Vorrednern erwähnt – möchte ich dezidiert darauf hinweisen, dass die gleichwertige Ausbildung aller Lehrer auf Master-Niveau grundlegend notwendig ist und eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Hauptschule/AHS-Unterstufe und den berufsbildenden Schulen beziehungsweise auch den Betrieben notwendig ist. (Vorsitzende Vizepräsidentin Haselbach gibt neuerlich das Glockenzeichen.)

Schülerberatung und Berufsorientierung – damit schließe ich – funktionieren weitge­hend nur in der Theorie; die Praxis schaut leider Gottes anders aus. Es ist dezidiert notwendig, dafür separate Unterrichtsstunden zur Verfügung zu stellen, aber auch die entsprechenden Inhalte zu ändern (Vorsitzende Vizepräsidentin Haselbach gibt ein weiteres Mal das Glockenzeichen), damit der Output für die Schulabgänger besser ist. (Beifall.)

12.52


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Nächster Redner ist Herr Abgeordneter Schalle. – Bitte.

 


12.53.01

Abgeordneter Veit Schalle (BZÖ)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben heute eigentlich so ziemlich alles gehört, was für die Jugendlichen, für den Lehrberuf und auch für die Schule gut ist. Mir geht es aber in erster Linie dar­um, den Unternehmerinnen und Unternehmern, egal, ob in Klein- oder Großbetrieben, vor Augen zu führen, dass es in ihrem eigenen Interesse sein muss, dass sie Jugend­liche und Lehrlinge ausbilden.

Derzeit gibt es fast 7 000 Lehrlinge in Österreich, die keinen Lehrplatz haben. Was das für jeden Einzelnen und auch für die Familien bedeutet, kann sich, glaube ich, keiner vorstellen. Man muss einmal wirklich mit den Jugendlichen und den Eltern darüber re­den. Es ist ganz, ganz schlimm!

Ich erwarte mir aber auch gerade von der Schule – und das ist besonders wichtig –, dass man im Schulvorbereitungsjahr, in der 9. Klasse auch mit den Betrieben mehr ko­operiert, um wirklich Schnupperwochen in verschiedensten Betrieben durchführen zu können, sodass es der Jugendliche wirklich einmal selbst weiß: Was passt mir, und was tut mir eigentlich gut?

Es ist sowohl von der alten als auch von der neuen Bundesregierung enorm viel für die Unternehmen gemacht worden, angefangen vom sogenannten Blum-Bonus bis hin zu etlichen Prämien in Höhe von 100 bis 400 €. Aber was mir eigentlich generell fehlt, ist das Interesse der Kammer und der Unternehmen an den Jugendlichen selbst.

Ich erwarte mir gerade von den Wirtschaftskammern, dass sie solche Kampagnen wie zum Beispiel „Geht’s den Unternehmern oder der Wirtschaft gut, geht’s auch den Leu­ten gut“ ändert und einmal eine Aufklärungskampagne für die Unternehmen macht. Denn ohne Lehrlinge und Facharbeiter wird es in Zukunft nicht gehen! Ich erwarte mir eine Aufklärungskampagne für alle Groß- und Kleinbetriebe. Gerade von den Fachver­bänden ist zu erwarten, dass sie insbesondere die Betriebe, die Lehrlinge ausbilden können, aufklärt.

Es kann auch nicht sein, dass das Zeugnis allein ausschlaggebend dafür ist, ob je­mand in einem Beruf oder als Facharbeiter gut oder schlecht wird. Die Wirtschaft kann nicht auf der einen Seite permanent beklagen, dass sie keine Facharbeiter hat – auf der anderen Seite aber nichts oder sehr wenig dafür tun, dass sie welche hat. Ich er­warte mir schon, dass die Wirtschaftskammer einmal eine Kampagne für Unternehmen macht, dass sie Lehrlinge aufnehmen.

Ich sage das eigentlich aus einem ganz einfachen Grund. Ich habe auch in meiner Fa­milie einen Kleinbetrieb mit zehn Filialen, da musste ich es meiner Frau auch erklären: Du wirst keine Expansion mehr machen können; wer wird dir die Lehrlinge ausbil­den? – Es gibt niemanden, der die Lehrlinge ausbildet, wenn du es nicht selbst in die Hand nimmst!

Ich habe da meine Frau Gott sei Dank nach etlichen Gesprächen überzeugen kön-
nen. Aber so geht es mit vielen mittleren und kleinen Unternehmen, die sagen: Ich will eigentlich nicht ausbilden! – Ich glaube, sie hat es in der Zwischenzeit auch eingese­hen, weil es sonst keine Expansion gibt. Denn wer macht die Arbeit für sie?!

Weiters wäre es mir ein ganz großes Anliegen, dass die Anpassung der Berufsschul­pläne an die sich ständig ändernden Anforderungen der Wirtschaft und die Modernisie­rungspläne durchgezogen wird. Vor allem fehlt mir die Entwicklung neuer Berufsbilder für den Technologiebereich; dort werden meiner Meinung nach auch viel zu wenige Ju­gendliche in den Beruf aufgenommen. Es kann nicht sein, dass eine der größten Tele­fongesellschaften nur, ich weiß nicht, 50 Lehrlinge hat; das ist doch eine Schande! – Danke. (Beifall.)

12.57


Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke. – Nächster Redner ist Herr Dr. Grünewald. – Bitte.

 


12.57.14

Abgeordneter Dr. Kurt Grünewald (Grüne)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich gratuliere dem Bundesrat auch und stehe nicht an, zu sagen: Es wäre nicht schlecht, wenn auch der Nationalrat öfter ähnliche Enqueten machen würde. Daher meine wirklich ernsthafte Gratulation!

Nur machen solche Enqueten meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn man ver­sucht, sich auf einige realitätsgestützte Daten und Fakten zu einigen und quasi das größte gemeinsame Vielfache zu finden, um dann – ich möchte das Wort „nachhaltig“ nicht überstrapazieren – doch längerfristig daran zu arbeiten, das umzusetzen, von dem man sieht, dass es umgesetzt werden sollte.

Natürlich neigt die Politik immer dazu, zu sagen: Wir sind die Besten, und es ist ohne­hin alles gut! – Hier gefällt mir das schon, was ich von Seiten der Industriellenvereini­gung und der Wirtschaftskammer sowie auch von Bundesrat Schnider gehört habe, weil es doch zeigt, dass es einen aufgeschlossenen Flügel der ÖVP gibt. Was er be­wirkt oder zu sagen hat, ist wahrscheinlich eine andere Enquete wert.

Was mich irritiert, ist, dass zwar immer wieder über Eliten gesprochen wird – ich habe es heute von Hahn und auch anderen gehört –, und es ist richtig, dass Eliten eigentlich nur dann große Chancen haben, wenn immer breitere und größere Bevölkerungs­schichten Zugang zu einer höheren Bildung haben, aber über Letzteres wird nicht ge­redet!

Man kann PISA kritisieren und ohneweiters kritisch begutachten, aber etwas ist schon fix: Die soziale Schieflage im Zugang zur höheren Bildung ist unbestritten. Warum kommt man hier nicht zu der Erkenntnis, dass etwas zu tun ist und dass eine gemein­same Schule nicht so etwas wie der Gottseibeiuns oder der Beelzebub sein kann? – Ich meine, Krampus ist vorbei.

Was mich irritiert, ist auch Folgendes: Obwohl hier so viele Expertinnen und Experten reden können, gibt man ihnen eigentlich kaum die Chance, in Diskussion zu treten, und sie haben auch nicht einmal ein Drittel der Redezeit von Ministern, die alles behaupten, die alles versprechen können – dann über alle Berge sind und eigentlich das nicht mehr hören, was wir hier sagen. Das finde ich schade, und zu diesen Dingen komme ich noch.

Eine gute Enquete beruht auf einer wahrheitsgemäßen Darstellung von Fakten. Und wenn ich jetzt wieder höre, dass Akademikerraten ein Mumpitz seien, dann kann ich zu Bundesminister Hahn sagen, Mumpitz sind sie zwar nicht, aber sie stellen dar, wie vie­le AkademikerInnen in der erwerbsfähigen Bevölkerung sind, beziehungsweise jener zwischen 25 und 65 Jahren – und da tragen viele Regierungen die Schuld, das ist klar. Aber was er nicht gesagt hat, ist, dass Österreich eine sehr schlechte Hochschulüber­trittsquote nach der Matura hat und dass wir auch unterdurchschnittliche MaturantIn­nenquoten haben – obwohl diese mit dem Jahrgang steigen; sie steigen, aber sie sind unterdurchschnittlich.

Warum sagt der Bundesminister das nicht? Warum redet er mehr über die Schule, wo sein Fach doch die Universität ist? Und wenn er sagt, er weiß, dass die Universität „zu wenig sexy“ ist, dann frage ich: Himmel Herrgott, warum macht man die Universitäten nicht sexy? – Das Gegenteil passiert! Studierende haben das Gefühl, sie sind nicht erwünscht, sie sind eine Bedrohung für die Universität, weil man sie dort nicht mehr betreuen kann, weil keine Plätze vorhanden sind. Was vermittelt man da der Jugend?

Aber ich möchte jetzt die Universität nicht als das Zentrum der Bildung betrachten, son­dern einmal kurz ein anderes Problem ansprechen. – Viele Berufsgruppen sind bei uns unterqualifiziert, so etwa im Pflegebereich: Das ist EU-weit nicht vergleichbar – die haben alle eine Matura, wenn nicht Fachhochschulen! Den medizinisch-technischen Dienst hat man zwar jetzt auf Fachhochschul-Niveau gehoben, aber es steht den Län­dern frei, ob sie das machen oder nicht. – Ich meine, Föderalismus ist gut und schön, aber er hat auch seine Nachteile, muss ich sagen.

Kinderpädagogik ist angeführt worden, und der größte Skandal ist die Lehrerausbil­dung. Nicht nur ich habe der Regierung vorgeworfen, dass das einer der größten Eti­kettenschwindel ist, die sich eine Regierung leisten konnte, eine Akademie überzufüh­ren in eine Hochschule – und dort ändert sich aber nichts: Es sind die gleichen Leute, Forschung kommt nur am Rande vor, es sind politische Seilschaften, politisch bestellte Uni-Räte, und österreichische Lehrerinnen und Lehrer für die Grundschule werden nicht graduiert, nach internationalen Kriterien ausgebildet, sondern nur mit Bakka­laureat. Das gibt es in Europa kaum noch einmal!

Die wichtigsten Weichenstellungen erfolgen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren, vielleicht noch bis vierzehn. Und warum sagt man, dass diese LehrerInnen keine bes­sere Ausbildung haben müssen, sondern nur AHS- oder Mittelschul- oder Berufsschul­lehrpersonal? – Das ist völlig unvernünftig!

Und was das lebensbegleitende Lernen betrifft, so sollte man das auch nicht als Dro­hung sehen, sondern als Chance.

Ganz zum Schluss noch – ich wiederhole es –: Man muss schauen, dass die soziale Diskriminierung in der Bildung aufhört, man muss sie abbauen, die Durchlässigkeit erhöhen und atypische Zugänge erhöhen. Das ist common sense, und wenn das common sense ist, bitte ich wirklich alle, das der Bundesregierung einmal etwas deut­licher, bildhafter und intensiver klarzumachen. – Danke. (Beifall.)

13.03


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke. – Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Kirchgatterer. – Bitte.

13.03.14

Abgeordneter Franz Kirchgatterer (SPÖ)|: Frau Präsidentin! Meine Damen und Her­ren! Ich bin ganz positiv überrascht, dass heute fast allgemeine beziehungsweise sehr breite Zustimmung dazu festzustellen war, dass die Berufsorientierung ein Pflichtfach werden soll. Das freut mich außerordentlich, und ich darf da anschließen an die Aus­führungen des Kollegen Preiner, der auch von Schulversuchen gesprochen hat.

 


Auch ich kann von einem Schulversuch sprechen, von einer berufsorientierten Haupt­schule, wo noch ein zweiter sehr positiver Effekt umgesetzt worden ist, nämlich die Auflassung der Leistungsgruppen. Das hat sich als sehr positiv herausgestellt, und diese Auflassung der Leistungsgruppen läuft schon fast ein Jahrzehnt. Es werden dort Förderung und Forderung umgesetzt – ein sehr positives Beispiel.

Erwähnt wurde auch, dass man das Image der Lehrberufe, der Lehrlinge heben sollte. Ich glaube, ein Weg dazu ist auch, die Facharbeit als solche höher zu bewerten, bes­ser zu bewerten. Die Facharbeiterinnen und Facharbeiter liefern in Österreich eine Ar­beit von wirklich hoher Qualität, und unser Exporterfolg zum Beispiel beruht auf der ho­hen Qualität der Facharbeiter. Wenn man den Facharbeitern eine dementsprechende Wertschätzung entgegenbringt, dann wird auch der Berufsnachwuchs diese Wertschät­zung wiederfinden.

Zum Schluss noch ein Punkt, der mich überrascht hat, und zwar positiv überrascht hat: Es sind unsere über Grenzen hinausgehenden Bildungseinrichtungen angesprochen worden. Hier hätte ich einen konkreten Vorschlag: Es gibt bei uns in wahrscheinlich mehreren Bundesländern Gebiete, in denen man nicht sehr viele Möglichkeiten von Bildungseinrichtungen vorfindet. Ich spreche hier auch aus der Situation in Oberöster­reich. Es könnte durchaus einen Versuch wert sein, einen Lehrgang einer Fachhoch­schule gemeinsam mit dem angrenzenden Land zu führen. Es würde unsere Region davon profitieren, aber auch das anschließende Ausland. Es wäre vielleicht ein Vor­schlag, mit einem Lehrgang anzufangen, nämlich in jenem Bereich, wo es Arbeitskräf­temangel gibt, wo man Fachkräfte, sehr gut ausgebildete Fachkräfte braucht. Das wäre vielleicht ein erster Schritt. Wenn man dann positive Ergebnisse, Erfahrungen hat, kann man durchaus den zweiten Schritt setzen. – Danke. (Beifall.)

13.06


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke. – Als Nächste zum Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fuhrmann. – Bitte.

 


13.06

Abgeordnete Silvia Fuhrmann (ÖVP)|: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass es unumstrittene Tat­sache ist, dass Bildung und Ausbildung selbstverständlich eine entscheidende Phase im Leben eines jeden jungen Menschen sind und deshalb wir von der Politik gefordert sind, erstens ein bestmögliches Schulsystem zu gewährleisten und zweitens auch in Bildung zu investieren.

Dass wir in Bildung investieren, belegen die Fakten, insofern als nämlich seit 1995 das Bildungsbudget um 24 Prozent erhöht wurde. – Das zum einen.

Zum anderen ist aber auch nachweisbar, dass Geld sicherlich nicht alles ist, weil selbst PISA-Ergebnisse zum Ausdruck bringen, dass es Länder gibt, die weniger Geld in die Bildung investieren und trotzdem bessere Ergebnisse erzielen können.

Abgesehen davon war in einem Artikel im „Economist“ erst kürzlich nachzulesen, dass Länder wie Australien oder auch Amerika seit den siebziger Jahren ihr Bildungsbudget verdoppelt haben, allerdings ohne Erfolg, das heißt, die Leistungen der Schülerinnen und Schüler dort vor Ort haben sich nicht verbessert.

Nicht nur ich bin der Überzeugung, sondern auch 90 Prozent der Bevölkerung, dass sie mit dem Schulsystem zufrieden sind. Trotzdem gilt es, bestehende Modelle zu ver­bessern und auch offen für Neues zu sein. Dementsprechend wird es jetzt unsere Her­ausforderung sein, die Neue Mittelschule, die ich als Versuch natürlich anerkenne, mit Leben zu erfüllen.

Mehrere Dinge sind mir dabei wichtig: Erstens die Einbeziehung der Schulpartner. Ich glaube, dass es sehr, sehr wichtig ist, Betroffene vor Ort auch wirklich in die Entschei­dung mit einzubeziehen. Ein bisschen schade finde ich es, dass gerade die Gruppe der Schüler aus dieser Entscheidung herausgenommen worden ist und die Frau Ministerin diese nicht mit einbezogen beziehungsweise sich dagegen ausgesprochen hat. Ich glaube, dass das im Hinblick auf Schuldemokratie und Stärkung der Schulpartnerschaft schon wichtig wäre.

Und das Zweite ist – da ich höre, dass es in einigen Bundesländern durchaus Pro­bleme gibt mit der Abwicklung dieser Abstimmungen –, dass es schon klar sein muss, dass eine geheime Abstimmung in puncto Schulversuch eine Selbstverständlichkeit sein muss und dass es nicht heißen darf, jemand, der eine offene Abstimmung sozusa­gen verweigert, hat automatisch etwas zu verheimlichen. Man muss natürlich berück­sichtigen, dass es in kleinen Regionen oft gar keine andere Alternative für Eltern gibt, als ihre Kinder an diese Schulen zu schicken; und wenn dann der Direktor oder der Lehrer vor Ort sagt, er hätte das gerne so, und ein Elternteil es wagt, zu widerspre­chen, dann wünsche ich dem Schüler, der dort vier Jahre lang in die Schule gehen muss, viel Spaß.

Unterm Strich glaube ich, dass dieser Schulversuch evaluiert und wissenschaftlich be­gleitet gehört. Nur so wird es dann nämlich herauszufinden sein, ob die Neue Mittel­schule, also die Gesamtschule in Form der Neuen Mittelschule, wobei die Bundeslän­der hier ja variieren können, von Erfolg gekrönt ist oder nicht und ob wir dann sozu­sagen auch die Gesamtschule als Lösung für alle Probleme, die wir im Schulsystem haben, hoffentlich ad acta legen können.

Was ich nicht teilen kann, ist, dass – was vorhin gesagt wurde – die Hauptschule eine Einbahnstraße sei. Das stimmt meiner Meinung nach ganz und gar nicht! Im Gegenteil: In vielen ländlichen Regionen gibt es gar keine andere Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, als eine Hauptschule zu besuchen. Teilweise sind das sogar sehr gute Hauptschulen, die auch mit Leistungsgruppen geführt werden, also eigentlich auch so etwas Ähnliches wie ein gut geführtes Gesamtschulsystem, wenn ich das so vorsichtig formulieren darf. – Das ist das Erste.

Und das Zweite: Ich möchte auch darauf hinweisen, nämlich in puncto Einbahnstraße, dass auch eine Lehre keine Einbahnstraße ist auf dem Weg, eine akademische Ausbil­dung zu machen, denn wir wissen, dass pro Jahr 2 000 Absolventen eine Berufsmatu­ra erfolgreich abschließen. Das heißt, pro Jahr sind es 2 000 Lehrlinge, die tatsächlich auch dann die Matura erreichen.

Tatsache ist, dass wir gerade bei den Berufsschulen, auch in der Berufsschule Aufhol­bedarf haben. Seit Längerem reden wir in der Bildungspolitik von einer Modularisierung des Lehrplanes beziehungsweise der Lehrpläne. Ich glaube, da ist die Ministerin gefor­dert, das Konzept auch in die Realität umzusetzen.

Was die Lehrstellen betrifft, so glaube ich, dass die Maßnahmen der Vergangenheit, nämlich auf der einen Seite die Lehrlingsprämie einzuführen und auf der anderen Seite auch den „Blum-Bonus“ einzuführen und diesen auch zu verlängern, Schritte in die richtige Richtung waren. Wir haben mit dem „Blum-Bonus“ beispielsweise in Summe 42 000 Lehrstellen finanzieren und fördern können. Und ich glaube, dass es diesen so lange auch geben muss, solange noch ein Jugendlicher oder eine Jugendliche auf der Straße steht.

Neu soll in Zukunft die Schaffung neuer Ausbildungsverbünde sein. Da wir in Öster­reich viele kleine Betriebe haben, ist es auch im Sinne der Kompetenzanreicherung durchaus eine sinnvolle Initiative, wenn mehrere Betriebe gemeinsam sagen, wir bilden Lehrlinge aus.

Eines möchte ich noch sagen, und zwar: Unterstützen möchte ich auf jeden Fall auch Bestrebungen in Richtung Lehrerausbildung und Verbesserung dieser – ohne jetzt Lehrer schlechtreden zu wollen. Aber ich glaube, auch da sind einige Maßnahmen schon auf dem Tisch, neue Ausbildungsmodelle für Lehrer am Beispiel von Finnland. Und auch ich persönlich bin nicht abgeneigt, wenn es darum geht, sich im Vorfeld ge­nau anzuschauen: Wer soll eigentlich Lehrer werden? – Danke. (Beifall.)

13.11


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke für Ihren Beitrag. – Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Abgeordneter Dr. Bauer. – Bitte.

 


13.11.53

Abgeordneter Dkfm. Dr. Hannes Bauer (SPÖ)|: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind uns einig darin, wie wichtig Bildung und Entwick­lung insgesamt sind. Ich bin auch überzeugt davon, dass dies nicht das eigentliche Thema der Diskussion ist, sondern dass es bei dieser vielmehr darum geht, dass wir, wie ich hier ganz kritisch anmerken möchte, viel zu starre institutionelle Rahmenbedin­gungen haben – auch wenn man das Gegenteil behauptet. Tatsache ist, wenn man zunächst einmal die Situation im Bereich der Kindergärten betrachtet, dass schon dort die Bedingungen nicht in ganz Österreich gleich sind. Da hängt es schon davon ab, in welcher Region man gerade lebt – oder es wird versucht, einige Versuche mit guten Ansätzen zu untergraben.

Das Zweite: In der Volksschule geht es darum, dass man auch jene Fähigkeiten, von den Grundkenntnissen her, erwirbt, nämlich Schreiben, Lesen und Mathematik, wo man schon einmal eine Sprache erlernen muss. Das ist früher Standardausbildung ge­wesen, von der Grammatik her und so weiter, weil das nie mehr wieder vermittelt wird. Daher ist das ein sehr wesentlicher Teil der Ausbildung.

Dann geht es sozusagen weiter in die Mittelschule, und da beginnt eigentlich bereits der erste „Numerus Clausus“ zu wirken – der sehr abhängig ist von Schule zu Schule, möchte ich meinen –, ein Numerus Clausus de facto insofern, als diejenigen, die in die Mittelschule gehen wollen, keinen Dreier haben dürfen. So wird das in manchen Regio­nen gehandhabt. Das würden sich manche, übertragen auf ältere Semester, nicht gefallen lassen! – Dort ist sozusagen schon einmal eine Hürde aufgebaut.

Das Zweite, was die Hauptschulen selbst betrifft: Natürlich gibt es Hauptschulen von sehr unterschiedlicher Qualität, und ich bin selbst auch durch eine Hauptschule gegan­gen und habe dann später meinen Weg gesucht. Tatsache ist jedenfalls: Da beginnt schon eine gewisse andere Orientierung, aus der es dann sehr schwer ist, wieder in die schulische Schiene zurückzukehren. Und jetzt frage ich einmal: Mit welcher Selbst­verständlichkeit gibt man zum Beispiel für Lehrlinge kaum viel Geld aus – außer die Unternehmen bilden sich die Lehrlinge aus?

Oder: Ist es bei den 10- bis 14-Jährigen wirklich so, dass man zum Beispiel Gleich-
heit in der Richtung hat, dass man sich die Schule aussuchen kann? – Kann man
sich nicht! In der Mittelschule kann man sich die Schule in ganz Österreich aussuchen, in der Hauptschule hingegen hat man eine Sprengeleinteilung, weil man halt einen Sprengel braucht, und so weiter.

Dann geht es weiter: Es ist selbstverständlich, dass für jeden Mittelschüler, TGM-Schü­ler oder was immer, also Schüler mit technischer Ausbildung, hohe Ausbildungskosten hingenommen werden. Vergleichen Sie einmal, wie viel ein Lehrling die Republik an Ausbildungskosten kostet und wie schwierig für einen Lehrling alles ist – selbst die Freifahrt muss erkämpft werden –, weil das alles einfach anders bewertet wird! Und da bin ich ganz der Auffassung jenes Kollegen, der das auch gesagt hat, und stelle die Frage: Sind uns unsere Jugendlichen, einerseits jene, die in der schulischen Ausbil­dung sind, und andererseits jene, die in der beruflichen Ausbildung sind, tatsächlich gleich viel wert? – Messen Sie das sozusagen einmal nach!

Das Nächste – es geht dann sozusagen weiter –: Wenn sich jemand mit abgeschlosse­ner Prüfung als Lehrling, also Gesellenprüfung, in die Weiterbildung hineinbegibt, zahlt er sich dafür fast alle Kosten selbst. Er wird kaum mehr in das schulische Ausbildungs­system hineinkommen. Selbst wenn er eine Meisterprüfung macht, kostet ihn das zwi­schen 10 000 € und 15 000 €, und in manchen Fällen sogar mehr. (Bundesrätin Zwazl: Nein, nein, nein, ...!) – Gut. Vielleicht brauchen die, die ich kenne, länger. Aber es sind, sagen wir, etwa 10 000 €.

So, und dann gehen wir von der Mittelschule auf die Hochschule und auf die Fach­schule, wo ich ja wesentlich daran mitgewirkt habe, dass es diese Fachhochschulen überhaupt gibt. Da gab es die Diskussion, ob man einen Nicht-Maturanten überhaupt nehmen kann. – Selbstverständlich, denn das ist ja die berufliche logische Weiterent­wicklung einer Chance, die sich auch bewährt hat. Wenn ich aber dann vergleiche mit der Universität: Ist die Fachhochschule wirklich mit der Universität gleichgestellt? Oder zahlen zum Beispiel die einen etwas und die anderen nicht?

Wir haben also ununterbrochen das Problem, dass man auch aus institutionellen Grün­den die Institution, in die man sich hineinentwickelt hat, nicht so leicht wechseln kann. Ich meine, wenn man im Rahmen einer Enquete diskutiert – und ich halte diese En­quete für sehr wichtig! –, dann sollte man neben dem Standard der Standpunkte doch auch versuchen, eine neue Konzeption zu thematisieren. Und ich glaube, dass jene gesellschaftspolitische Konzeption, von der man sich vorstellt, dass sie ohnehin für alle fast selbstverständlich ist, genau nicht gegeben ist, weil es etwa unterschiedliche Be­dingungen bei den Ausbildungskosten gibt, aber auch unterschiedliche Bedingungen zum Beispiel insofern – und ich halte das ja geradezu für einen Irrsinn –, dass ein Schulabbrecher von einem Gymnasium in vielen Bereichen Schwierigkeiten hat, im Beruf Fuß zu fassen, aber im anderen Bereich, wo er eine Lehre nachholen kann, wiederum erst 18 sein muss, damit er dort einsteigen kann – und dazwischen sitzt er zwei Jahre und wartet! (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl.)

Bitte, ich kenne doch all diese Dinge! Das ist ja ganz gleich, wo. Das ist ja alles lächer­lich, denn normalerweise kann man doch nicht davon ausgehen, dass ein Schulabbre­cher von einer Mittelschule schlechter ausgebildet ist als ein Hauptschüler mit Ab­schluss. Daher brauchen wir auch dazwischen immer Abschlüsse, damit ein Umstieg möglich ist. – Ich halte diese Diskussion für sehr notwendig, denn genau da sind die Schicksale der jungen Menschen stark betroffen. (Vorsitzende Vizepräsidentin Hasel­bach gibt das Glockenzeichen.)

Frau Präsidentin, ich höre schon auf und möchte nur noch sagen: Diese institutionellen Rahmen sollten wir einmal ehrlich diskutieren und sagen, wieso es nicht möglich ist, wo doch alle guten Willens sind und das gleiche Bildungsziel wollen, dass dieses auch tatsächlich zustande kommt. – Danke. (Beifall.)

13.18


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort ge­meldet ist Herr Dr. Ahr. – Bitte.

 


13.18.38

Dr. Raimund Ahr (Österreichischer Städtebund)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Eine starke kurze Stellungnahme seitens des Städtebun­des zu versteckten Kosten, die Schule verursacht – abgesehen von der Schulerhaltung für allgemeinbildende Pflichtschulen.

Es ist der weitere Ausbau der ganztägigen Schulformen vorgesehen, und da gibt es eine gesetzliche Ungereimtheit insofern, als zwar die Schulleiter die Betreuungsleiter und für die pädagogische Arbeit in der ganztägigen Schulform verantwortlich sind – da­für gibt es auch einen Lehrplan –, dass aber für den Freizeitteil in der Regel die Kom­munen oder Länder sorgen müssen.

Da besteht allerdings dann ein Nicht-Weisungszusammenhang zu Nichtlehrerpersonal. Das heißt, der Schulleiter, der für die Ganztagesschule verantwortlich ist, kann dem Nichtlehrerpersonal keinerlei Weisungen hinsichtlich des Lehrplanes und der Schule erteilen. Das ist ein Problem, auf das der Städtebund nochmals aufmerksam machen möchte.

Zur Finanzierung – am Beispiel der Stadt Salzburg –: Der Finanzierungsschlüssel in der ganztägigen Schulform schaut folgendermaßen aus: Stadtgemeinde 50 Prozent, Bund 34 Prozent über die Lernstunden und Eltern 16 Prozent.

Der Nettoabgang – da gibt es Erfahrungswerte aus allen Städten, die im Rahmen eine Erhebung des Städtebundes gewonnen wurden – liegt pro Schüler in der Nachmittags­betreuung bei mindestens 1 000 €. Das ist der reine Nettoabgang. Einige Länder ge­währen da Zuschüsse, nicht jedoch das Bundesland Salzburg.

Nun darf ich kurz überleiten zur Neuen Mittelschule. – In den 25 Fragen zur Neuen Mittelschule ist auch ausgeführt, dass die Neue Mittelschule als Ganztagesschule mög­licherweise in verschränkter Form geführt werden soll. Das bedeutet wiederum eine nicht unbeträchtliche Kostenbelastung für die Kommunen.

Zur Neuen Mittelschule selbst ist festzuhalten – ich fasse mich ganz kurz –, dass die Schulerhalter, die in der Regel nicht nur die Schulbaulasten, sondern auch die Erhal­tungslasten zu tragen haben, in keiner Phase der Findung der Modellregionen oder ‑schulen eingebunden sind.

Es soll die Binnendifferenzierung verstärkt werden. Dazu sind entsprechende Räum­lichkeiten und Ausstattungen erforderlich.

Nur ein Beispiel – wieder aus dem Bundesland Salzburg –: Es wird bereits mit Schul­leitern intensiv über Lehrpläne, Ziele der Schule et cetera verhandelt. Der Schulerhalter wurde aber bis dato in keiner Phase eingebunden.

Zur Sprachförderung als abschließendem Punkt: Wir begrüßen die neue Artikel 15a-Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern zur Sprachförderung und die Maß­nahme, dass da die Mittelzuschüsse erhöht werden.

Dazu ganz kurz zur Erläuterung: Der Bund schießt pro Schüler 80 € zu. Die tat­sächlichen Kosten belaufen sich für einen 40-Stunden-Kurs auf rund 1 200 €, für einen 60-Stunden-Kurs auf rund 1 800 €. Empfohlen werden allerdings vom Ministerium 120 Förderstunden.

Auch da klafft ein große Schere zwischen den Ansprüchen des Bundes und dem, was dann die Kommunen und die Länder gemeinsam auffangen müssen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

13.22


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Als Nächster zu Wort ge­meldet ist Herr Abgeordneter Eisenschenk. – Bitte.

 


13.22

Abgeordneter Mag. Peter Eisenschenk (ÖVP)|: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass in den Debatten der letzten Wochen und auch bei dem von der Reformkommission vorgelegten Paket zum Teil alte erfolgreiche Pädago­gik neu verpackt wurde, mit Aussagen gespickt, die schwer überprüfbar sind.

Unter „alte erfolgreiche Pädagogik“ meine ich unter anderem die Individualisierung, den fächerübergreifenden Unterricht und den Förderunterricht, was, wie ich meine, et­was ganz Entscheidendes ist.

Meiner Meinung nach wird das bereits bestehende Instrument des Förderunterrichts vernachlässigt. Ich meine, dass mit der entsprechenden Dotation aus dem Unterrichts­budget bereits jetzt entsprechende Förderungen greifen würden, und zwar einerseits bei Hochbegabten und andererseits auch bei leistungsschwachen Schülern. Ich würde empfehlen, dieses Instrument in Zukunft stärker zu nützen. – Danke. (Beifall.)

13.23


Vorsitzende Vizepräsidentin Anna Elisabeth Haselbach|: Danke vielmals.

Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. – Wir liegen genau im Zeitplan.

Ich danke allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr großes Interesse, das sie am Thema der heutigen Enquete gezeigt haben. Vielen Dank für die wertvollen Diskus­sionsbeiträge und die vielen Anregungen, von denen ich hoffe, dass sie sinnvoll zu­sammengeführt werden können – im Interesse und zum Besten unseres Landes. Ich danke nochmals ganz herzlich für Ihr Kommen. (Beifall.)

Die Enquete ist geschlossen.

13.24.14Schluss der Enquete: 13.24 Uhr

 

 

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