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„Die Duale Ausbildung in Österreich: Gelungene Ausbildung, Vorbild für Europa und Chance für Frauen“

 

 

 

 

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Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 17. Dezember 2014

 

(Stenographisches Protokoll)


 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 17. Dezember 2014

(XXV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Die Duale Ausbildung in Österreich: Gelungene Ausbildung, Vorbild für Europa und Chance für Frauen“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 17. Dezember 2014: 9.07 – 12.40 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung

Präsidentin des Bundesrates Ana Blatnik

II. Einleitungsreferate

Gabriele Heinisch-Hosek, Bundesministerin für Bildung und Frauen

Dr. Harald Mahrer, Staatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft

III. Keynote

Prof. Dr. Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie an der Universität Bern, Direk­tor der Schweizer Koordinationsstelle für Bildungsforschung, Präsident der Experten­gruppe Berufsbildung der OECD

IV. Panel und Diskussion

Vizepräsidentin des Bundesrates Inge Posch-Gruska

Einleitungsstatements:

Bundesrätin Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich

Dr. Traude Kogoj, Diversity-Beauftragte ÖBB-Holding AG

Edith Kugi-Mazza, Leiterin der Lehrlings- und Jugendschutzabteilung der Arbeiterkam­mer Wien

Dr. Alfred Freundlinger, Wirtschaftskammer Österreich

Mag. Thomas Mayr, MA, Institut für Bildungsforschung und Wirtschaft

Dr. Peter Schlögl, Geschäftsführender Institutsleiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung

Ing. Walter Werner, Direktor Fachberufsschule Villach 1

Mag. Erich Huber, Lehrlingsstellenleiter Wirtschaftskammer Wien

David Gollinger, Bundesschülervertretung

Nadine Stoxreiter, Fachberufsschule Villach 1, „Lehre mit Matura“

David Traun, Fachberufsschule Villach 1, „Lehre mit Matura“

V. Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Vorgangsweise

Präsidentin des Bundesrates Ana Blatnik

*****

Inhalt

I. Eröffnung

Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik ........................................................................... 4

II. Einleitungsreferate

Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek .............................................................. 5

Staatssekretär Dr. Harald Mahrer ................................................................................ 9

III. Keynote

Prof. Dr. Stefan Wolter ................................................................................................ 13

IV. Panel und Diskussion

Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska ........................................................................... 20

Einleitungsstatements:

Bundesrätin Sonja Zwazl ............................................................................................ 20

Dr. Traude Kogoj .......................................................................................................... 22

Edith Kugi-Mazza ......................................................................................................... 24

Dr. Alfred Freundlinger ............................................................................................... 25

Mag. Thomas Mayr, MA .............................................................................................. 26

Dr. Peter Schlögl .......................................................................................................... 28

Ing. Walter Werner ........................................................................................................ 30

Mag. Erich Huber ......................................................................................................... 32

David Gollinger ............................................................................................................. 33

Nadine Stoxreiter ......................................................................................................... 33

David Traun ................................................................................................................... 35

Diskussion:

Bundesrat Gottfried Kneifel ........................................................................................ 36

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz ............................................................................... 37

Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 38

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter ............................................................................. 39

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 40

Bundesrat Günther Köberl ......................................................................................... 41

Judith Roth ................................................................................................................... 42

Anton Mattle ................................................................................................................. 43

Bundesrat Franz Perhab ............................................................................................. 44

Alfred Lehner ................................................................................................................ 45

Bundesrätin Ana Blatnik ............................................................................................. 46

Abg. Rouven Ertlschweiger, MSc .............................................................................. 47

Abg. Ing. Christian Höbart .......................................................................................... 48

Peter Florianschütz ...................................................................................................... 49

Notburga Astleitner ..................................................................................................... 50

HR Dietmar Vollmann .................................................................................................. 52

Dipl.-Päd. Gerlinde Pirc ............................................................................................... 53

Ing. Walter Werner ........................................................................................................ 54

Abg. Brigitte Jank ........................................................................................................ 55

Abg. Mag. Elisabeth Grossmann ............................................................................... 55

V. Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Vorgangsweise

Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik ......................................................................... 56


 

09.06.47Beginn der Enquete: 9.07 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Ana Blatnik, Vizepräsident des Bundesra­tes Mag. Harald Himmer.

09.07.20I. Eröffnung

 


9.07.22

Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Guten Morgen! Eno lepo dobro jutro želim! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Die Duale Ausbildung in Öster­reich: Gelungene Ausbildung, Vorbild für Europa und Chance für Frauen“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind.

Ich begrüße alle Anwesenden sehr herzlich.

Mein besonderer Gruß gilt den Referentinnen und Referenten: Frau Bundesministerin Gabriele Heinisch-Hosek, Herrn Staatssekretär Dr. Harald Mahrer, Professor Dr. Ste­fan Wolter, Professor für Bildungsökonomie an der Universität Bern, Präsident der Ex­pertengruppe „Berufsbildung der OECD“, Leiter der Schweizerischen Koordinations­stelle für Bildungsforschung, Frau Bundesrätin Sonja Zwazl, Präsidentin der Wirt­schaftskammer Niederösterreich, Frau Dr. Traude Kogoj, Diversity-Beauftragte ÖBB-Holding, Frau Edith Kugi-Mazza, Leiterin der Lehrlings- und Jugendschutzabteilung der Arbeiterkammer Wien, Herrn Dr. Alfred Freundlinger, Wirtschaftskammer Österreich, Herrn Mag. Thomas Mayr, Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft, Herrn Dr. Peter Schlögl, Geschäftsführender Institutsleiter des Österreichischen Instituts für Berufsbil­dungsforschung, Herrn Ing. Walter Werner, Direktor der Fachberufsschule Villach 1, Herrn Mag. Erich Huber, Lehrlingsstellenleiter Wien, Herrn David Gollinger, Vertreter der Berufsschüler und Berufsschülerinnen, entsendet durch die Österreichische Bun­desschülervertretung, Frau Nadine Stoxreiter und Herrn David Traun, Vertreter und Vertreterin der Schüler und Schülerinnen der Fachberufsschule Villach 1, Lehre mit Matura.

Weiters begrüße ich besonders den Herrn Ersten Landtagspräsidenten Ing. Reinhart Rohr aus meinem Heimatland Kärnten, sowie die Frau Zweite Landtagspräsidentin Gerda Weichsler-Hauer aus Oberösterreich und Herrn Vizepräsidenten Anton Mattle vom Tiroler Landtag.

Darüber hinaus begrüße ich sehr herzlich alle Mitglieder des Bundesrates, des Natio­nalrates und der Landtage, die Präsidentinnen und Präsidenten, sowie Vertreter der Landesschulräte, die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Bundesministerien sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Ver­treter, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen.

Im Besonderen heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen.

Ferner begrüße ich alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die die heutige Enquete ent­weder hier oder via Livestream verfolgen.

*****

(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Procedere durch die Vorsitzende sowie der Hinweis darauf, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter „www.parlament.gv.at“ abrufbar sein wird.)

*****

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Spoštovane dame in gospodje! Die duale Ausbildung ist eine besondere Errungenschaft der österreichischen Schullandschaft mit sehr vielen positiven Aspekten, aber auch mit sehr großen Herausforderungen. Ei­ne der jüngsten Erfolgsgeschichten ist die Bildungsoffensive „Lehre mit Matura“, und es freut mich ganz besonders, dass eine Schülerin und ein Schüler der Berufsschule 1, an der ich auch unterrichte, die die Lehre mit Matura machen, heute an dieser Enquete teilnehmen. Ich danke euch recht herzlich.

Ein weiteres besonderes Augenmerk der dualen Bildung gilt auch der Implementierung von spezifischen Maßnahmen und Angeboten für jene Personen, die einer Unterstüt­zung besonders bedürfen. Ich glaube, ohne diese Maßnahmen hätten diese jungen Menschen sicherlich weniger beziehungsweise kaum Chance auf eine erfolgreiche In­tegration in der Berufswelt.

Ich möchte auch feststellen – es ist Fakt –, dass sich aus über 200 Berufen die Frauen für drei typische Frauenberufe entscheiden: für Verkäuferin, für Friseurin und für Sekre­tärin. Bitte, ich möchte diese Berufe nicht minderbewerten, aber Fakt ist, dass diese Berufe niedrig entlohnt werden, die Arbeit schlecht bewertet wird, die Arbeitszeit nicht familienfreundlich ist und vor allem auch sehr ungünstige Arbeitsbedingungen vorzufin­den sind. Auch das wird heute Thema dieser Enquete sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es sind viele Themen, die wir heute diskutie­ren werden. Ich glaube, die duale Ausbildung ist ein Erfolgsprojekt, und ich freue mich sehr auf die Referenten und Referentinnen und vor allem auf eine tolle, lebendige Dis­kussion.

9.13

09.13.50II. Einleitungsreferate

 


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Ich darf nun die Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek und danach Herrn Staatssekretär im Bundesmi­nisterium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Dr. Harald Mahrer um ihre Ein­leitungsreferate bitten. – Bitte, Frau Ministerin.

 


9.13.54

Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich in erster Linie für die Initiative zu dieser En­quete. Das Thema ist eines, das mich gerade letzte Woche beim Rat der Bildungsmi­nisterinnen und Bildungsminister in Brüssel wieder begleitet hat. Dort wird sehr, sehr positiv über Österreich gesprochen, weil unser System der dualen Berufsausbildung auch für andere Staaten in Europa ganz einfach Vorbildwirkung hat. Diese ganz wich­tige Steigerungsstufe, die wir gemeinsam beschlossen haben – nämlich unseren jun­gen Menschen bis zum 18. Lebensjahr eine Ausbildungsgarantie anzubieten –, findet in allen anderen Staaten – im Bereich der Bildungsminister und Bildungsministerinnen, aber auch im Bereich der Arbeitsminister und Arbeitsministerinnen – gleichermaßen Anklang.

Gerade letzte Woche war Thema, ob wir Bildungsminister und Bildungsministerinnen wirklich zulassen wollen – wir wollen nicht, sage ich gleich vorweg –, dass die Berufs­ausbildung und die berufsbildenden Schulen – dieser große Zweig, der in Österreich von immerhin 80 Prozent aller jungen Menschen angenommen und begangen wird – quasi aus den Bildungsministerien herausgelöst werden, wie es die Europäische Kom­mission schon beschlossen hat. Wir Bildungsminister und Bildungsministerinnen – ich hatte dort auch die erste Wortmeldung – waren der Auffassung, dass Berufsbildung und Allgemeinbildung in Europa allemal in der Hand der Bildungsministerinnen und Bil­dungsminister vereint gehören – was nicht heißt, dass wir keine guten Formen der Ko­operation und Zusammenarbeit finden.

Warum erzähle ich das zur Einleitung? – Ich möchte damit sagen, dass unser erfolg­reiches Modell auch diskutiert und besprochen wird und wir uns weder verstecken müssen noch sehr nachbessern sollten.

Das, was nachzubessern wäre – es ist auch im Regierungsprogramm verankert –, möchte ich in meinem Einleitungsreferat natürlich anreißen. Insbesondere in meiner Doppelrolle als Bildungs- und Frauenministerin möchte ich den Fokus vor allem darauf legen, wie und wohin sich Mädchen und junge Frauen in diesem – die Frau Präsidentin hat es bereits gesagt – dualen Berufsausbildungssystem bewegen. Hier steht natürlich noch mehr Bewerbung der anderen Bereiche an, und ich darf in diesem Zusammen­hang ankündigen, dass es Mitte Jänner die interaktive Internetplattform „Mädchen und Frauen in die Technik“ geben wird. Die wird dann mit Begleitveranstaltungen gestartet werden, weil es seit Jahren ein vielfach geäußerter Wunsch ist, einmal zu bündeln, was es alles gibt, und zu sagen, wie wir Mädchen und junge Frauen noch mehr moti­vieren können, auch andere Bereiche als die, die von der Frau Präsidentin schon er­wähnt wurden – die Top-Drei unter den Berufen, die von ihnen gewählt werden –, zu betreten.

Beginnen möchte ich, sehr geehrte Damen und Herren, mit einem großen Lob an die vieljährige Partnerschaft mit den Sozialpartnern und Sozialpartnerinnen, die wir im Bereich der dualen Berufsausbildung pflegen. Dass diese multilaterale Partnerschaft guter Kooperationen, guter Voraussetzungen und guter Bedingungen bedarf, das ist klar. Nicht nur die Sozialpartner und -partnerinnen, sondern auch die Bundesländer spielen hier eine große Rolle, weil wir gerade im Bereich der Berufsschulen diese ge­teilte Finanzierungskompetenz haben und seit vielen Jahren schon schauen, dass das gut funktioniert.

Ich verweise auf die Statistik von Eurostat, die Arbeitslosenquote der unter 25-Jähri­gen, denn da zeigt sich, dass wir im Jahr 2013 in Österreich bei unter 10 Prozent gele­gen sind und der Durchschnitt in Europa alarmierend bei über 20 Prozent lag. Das heißt, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass wir eine Insel der Seligen sind, was die Jugendbeschäftigung betrifft. Auch in Bezug auf die Ziele, die sich die Euro­päische Kommission gesteckt hat – auf der einen Seite die Schulabbruchquote zu sen­ken, auf der anderen Seite die EU-2020-Strategie, nämlich die Zahl der Hochschulab­gängerinnen und -abgänger zu steigern –, sind wir sehr, sehr gut unterwegs. Bei den Schulabbrechern – jeder und jede ist einer, ist eine zu viel – liegen wir weit unter dem, was sich die Europäische Union bis 2020 zu erreichen vorgenommen hat – jetzt schon im Jahr 2014 –, und auch bei den Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolven­ten sind wir in Österreich nahe dran, die Vorgabe zu erreichen.

Das ist die eine Kennzahl. Eine andere Kennzahl, die ich nennen möchte, ist die so­genannte Not in Education, Employment or Training, die NEET-Rate. Auch hier sind wir in Österreich an drittbester Stelle mit 7,8 Prozent. Im EU-28-Vergleich sind es 17 Prozent der jungen Menschen, die sich weder in einer schulischen Maßnahme noch in einer Berufsbildungsmaßnahme oder einem Berufsfeld befinden. Auch hier können wir stolz darauf sein, dass sich unsere Maßnahmen zur Ausbildungsgarantie, die sich sozusagen im positiven Sinn in eine Pflicht umwandeln könnte, mittlerweile sehr gut ausgewirkt haben und dass wir junge Menschen einfach nicht mehr auf der Straße, zu Hause oder sonst wo lassen wollen, sondern in einer Form der schulischen oder ande­ren Beschäftigungsmöglichkeit.

2013 wurden zirka 120 000 ausgebildet. Das sind zirka 40 Prozent aller Jugendlichen eines Jahrganges, die sich für einen Lehrberuf entscheiden. Davon sind wiederum zir­ka zwei Drittel junge Männer und ein Drittel junge Frauen.

Natürlich sind das künftig Herausforderungen auch an die Politik und an die Wirtschaft, denn die Geburtenzahlen steigen nicht, im Gegenteil, sie sinken.

Im Bereich der Fachkräfte werden jetzt schon die Fragen diskutiert: Wie können wir ei­nem Mangel vorbeugen? Wie können wir durch „Karriere mit Lehre“, wie einmal ein Slogan lautete, weiterhin in sehr positiver Art und Weise dafür sorgen, dass junge Men­schen auch Lehrberufe ergreifen, weil sie damit alle Möglichkeiten haben? Auch das wurde schon gesagt: Es sind rund 2 500 junge Leute, die die Reifeprüfung, die Matura schon abgeschlossen haben. Die Zahl derer, die sich in diesem Bereich befinden, liegt jenseits der 10 000. Das heißt, es ist ein Viertel schon fertig. Wir wollen natürlich auch weiterhin diese Reifeprüfung anbieten, was natürlich wiederum eine Kraftanstrengung für alle bedeutet: für die, die als Ausbildner, Ausbildnerinnen in den Betrieben mit den jungen Leuten arbeiten, und auch für die jungen Leute selbst, weil neben der berufli­chen Ausbildung auch die Zeit zum Lernen für die Matura, für die Reifeprüfung aufge­bracht werden muss.

Die Top 3 beziehungsweise die Top 6 sind schon erwähnt worden. Die Top 3 bei den jungen Frauen müssen und wollen wir durchbrechen, weil es ja nicht nur darauf an­kommt, in welcher Branche man tätig ist, sondern es kommt ja immer auch darauf an, was man in welcher Branche verdient. Und es sind natürlich die frauenrelevanteren Branchen, die prinzipiell die schlechter bezahlten sind; das soll auch einmal gesagt werden. Gerade auch bei den Top 3 ist es so, dass im letzten Lehrjahr die Friseurin – so toll dieser Beruf ist – über 900 € brutto verdient und der Mann – wahrscheinlich; fast nie die Frau –, der als Maurer im Baugewerbe tätig ist, im letzten Lehrjahr 1 700 € brut­to erhält, also nahezu das Doppelte verdient.

Diese Vergleiche sprechen für sich. Daher ein Appell von mir an die Sozialpartner, bei den Verhandlungen zu den Kollektivverträgen ganz besonders auch auf die typischen Frauenbranchen zu achten, sich quasi auch den Wert von Arbeit anzuschauen, dem ich mich als Frauenministerin im kommenden Jahr sehr widmen möchte und der immer wieder angesprochen wird im Sinne der Frage: Was ist welche Arbeit wert? Das sollten wir uns gemeinsam anschauen, denn auch in Pflegehilfsberufen ist es so, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass hier nicht körperliche Arbeit geleistet wird. Oder auch wenn Lebensmittel über eine Kassa gezogen werden, weiß man, wie viele hun­dert Kilo das pro Tag sind, welche Kraft da zum Einsatz kommt. Diese Art von Tätigkei­ten, die von sehr vielen Frauen ausgeübt werden, sind jedoch seit vielen Jahren bezie­hungsweise Jahrzehnten schlechter bezahlt als Männerberufe.

Diese Mentalität, die auf die frühen fünfziger Jahre zurückgeht, wo sich das etabliert hat, ist zu überdenken – ich möchte das hier auch so klar sagen. Zu überdenken ist gleichermaßen, wie wir eine Neubewertung von Arbeit auch politisch und gemeinsam mit den Sozialpartnern vornehmen könnten.

Persönliche Motive für die Berufswahl hängen oft immer noch vom Elternhaus ab, zum Teil sogar von den Großeltern, die etwas Bestimmtes gemacht haben und ihren Töch­tern, Enkeltöchtern vielleicht den Rat mitgeben wollen: Es wäre einfacher oder leichter, wenn du dieses oder jenes wählst und nicht etwas, wo du schmutzig wirst oder dich körperlich anstrengen musst. – Ich glaube, mit dieser althergebrachten Meinung müs­sen wir aufräumen, und ich habe hier nur einige Beispiele aufgeschrieben, die wir im Bildungsministerium für junge Menschen anbieten.

„Frauen in die Technik“ ist das eine; damit bieten wir SchülerInnen ab der 9. Schulstufe besondere Schwerpunkte an. IBOBB – „Information, Beratung und Orientierung für Bil­dung und Beruf“ – ist ein anderes Maßnahmenkompendium, das wir anbieten, vor al­lem auch für Pädagoginnen und Pädagogen im Bereich der Berufsorientierung. Die verbindliche Übung „Berufsorientierung“ in der 7. und 8. Schulstufe wird sehr gut gelebt in der Neuen Mittelschule, weniger gut gelebt in der AHS-Unterstufe. Das ist hier auch einmal zu sagen. Das kann man wählen, indem man eine verbindliche Übung im Aus­maß einer Wochenstunde verpflichtend macht oder in 32 Stunden kompakt Workshops anbietet. Die einen machen es sehr konsequent und vehement. Mein Appell wäre, dies auch in den AHS-Unterstufen vermehrt zu tun.

Wir sollten uns überlegen, wie wir das allen 10- bis 14-Jährigen – sprich 7., 8. Schul­stufe – näherbringen könnten, denn obwohl es nur 0,7 Prozent der Schüler und Schü­lerinnen aus AHS-Unterstufen sind, aber 5,1 Prozent SchülerInnen der AHS-Oberstu­fen, die quasi aus ihrem eigenen Bereich in eine Berufsschule übertreten, weil sie eine Lehre beginnen und die Schule abgebrochen haben, sind es immerhin 38 Prozent aus dem Bereich der Polytechnischen Schulen beziehungsweise der Hauptschulen und Neuen Mittelschulen – bald nicht mehr Hauptschulen, bald nur mehr Neue Mittelschu­len –, die in eine Berufsschule kommen.

Also was diese Nahtstelle Schule/Beruf betrifft – 9. Schulstufe, oft auch 10. Schulstu­fe –, ein großes Lob an die Polytechnischen Schulen, die hier in berufsvorbereitender Hinsicht wirklich sehr gut agieren.

Wir wollen uns aber überlegen, und das steht auch im Regierungsprogramm, wie man auf der einen Seite die Polytechnischen Schulen entweder aufwerten kann oder um­bauen kann, sodass sie noch mehr Bedeutung bekommen, denn es geht ja nicht nur um die Nahtstelle im Alter von 10 – und ich mache kein Geheimnis aus meiner Mei­nung, dass es zu früh ist, in diesem Alter zu trennen –, sondern es geht auch um die Nahtstelle 14, 15, und natürlich geht es auch um die Nahtstelle 18, 19 – Studienvorbe­reitung oder spätere Berufsvorbereitung oder Vorbereitung auf eine Fachhochschule, was auch immer danach besucht wird. Auch hier gibt es Verbesserungsbedarf, Op­timierungsbedarf bei der Vorbereitung der jungen Menschen auf das, was danach kommt.

Der Blick, der feministische Blick auf diese Ausbildungstafeln – um noch einmal darauf zurückzukommen – zeigt uns, zeigt mir vor allem, dass die Frauenquote sehr hoch ist in Lehrberufen, in denen der Rahmenlehrplan noch nicht die 1 260 Berufsschulstunden umfasst. Es sind dies also leider wieder die typischen Frauenbranchen und -berufe. Genau in diesen Bereichen, beispielsweise Gewerbe, Handel, Tourismus, Einzelhan­del, Restaurantfachmann/-frau, Hotel-/Gastronomiefachmann/-frau, sind es zwischen 1 080 Berufsschulstunden und 1 200 Unterrichtsstunden. Ich würde mir wünschen – das haben wir auch im Regierungsübereinkommen festgeschrieben, dass wir das Ziel haben, in dieser Legislaturperiode daran zu arbeiten –, dass für alle die 1 260 Stunden das Mindestmaß sind, damit alle in den Genuss kommen, genügend Unterrichtsstun­den konsumieren zu können.

Ich möchte auch erwähnen, dass wir über 9 000 junge Menschen haben, die sich in ei­ner überbetrieblichen oder integrativen Ausbildungsmaßnahme befinden; eine ganz wichtige Auffangmaßnahme und Maßnahme, die eine verlängerte berufsbegleitende Zeit ermöglicht, damit auch alle in den Genuss einer Ausbildung kommen können. Wir wollen ja und haben ja das Ziel, demnächst einmal in einer inklusiven Gesellschaft zu leben, und „inklusive Gesellschaft“ heißt für mich nicht nur, behinderte Menschen zu integrieren in unsere Normalgesellschaft, sondern sich in einer inklusiven Gesellschaft beruflich zu bewegen, aber auch darin zu leben heißt ja, dass in der Vielfalt die Stärke liegen soll und dass jeder und jede – egal welche Weltanschauung, Religion, welche sexuelle Orientierung, ob Behinderung oder nicht, ob Mann oder Frau – sich wiederfin­den sollte.

Über 9 000 Lehrlinge, oder 8 Prozent, in einer überbetrieblichen oder integrativen Maß­nahme, das ist auch eine sehr respektable Zahl, und es gilt natürlich, diese hilfreiche Maßnahme weiterhin anzubieten. Ein Danke an dieser Stelle auch an die Wirtschaft, die dann solche jungen Menschen auch übernimmt. Wir wollen ja nicht, dass sie dann in einer Ausbildungsmaßnahme, in einer Werkstätte landen, wo sie nur ein Taschen­geld erhalten; die Behindertenverbände kämpfen ja auch dafür. Das ist eine Debatte, die schon lange geführt wird und die natürlich auch finanzielle Auswirkungen hat, aber da geht es wieder um den Wert von Arbeit: Ist die Arbeit von solchen Menschen we­niger wert als die Arbeit von Menschen, die volle Leistung erbringen können? Auch die­ser Debatte müssen wir uns und werden wir uns weiterhin stellen.

Die Lehre mit Matura haben sowohl ich als auch die Frau Präsidentin schon erwähnt. Die Diskussion über die teilweise Anrechnung der Ausbildung von Absolventinnen und Absolventen aus berufsbildenden Schulen für die Lehre ist wieder aufgenommen wor­den. Das finde ich auch gut. Da muss man nur schauen, wie man das auch gut han­deln kann: Was wird angerechnet? Wie kann das für die Zukunft ausschauen?

Abschließend möchte ich sagen, dass quasi die strukturellen Benachteiligungen von Mädchen und Frauen gemeinsam angegangen werden sollten, indem wir die Debatte über Arbeitsbewertung wieder aufnehmen, die Debatte über die Frage: Warum sind Berufe in Branchen, wo typischerweise sehr viele Frauen arbeiten, schlechter entlohnt als andere Branchen?

Der Gender Pay Gap, die Lohnschere, die sich dann ja ein Berufsleben lang fortsetzt, beruht letztendlich auch auf dieser Tatsache, aber auch auf der Tatsache, dass sich fast die Hälfte aller Frauen in einer Teilzeittätigkeit befinden. Das ist aber heute nicht Thema. Heute geht es um die jungen Leute, die ins Berufsleben einsteigen. Und die­sen Einstieg möglichst gleichwertig und gleichartig zu gestalten, das wäre ein Ziel und sollte ein gemeinsames Ziel sein.

Trotzdem ist sehr anerkennend zu sagen, dass gerade bei der Berufswahl, bei der Be­rufsorientierung – Sonja Zwazl, wir sind da schon sehr lange in Verbindung – diese Ta­lentechecks und diese Möglichkeiten und Mittel jungen Leuten zeitgerecht nahebrin­gen, was sie wählen können, damit Mädchen und junge Frauen sich auch andere Be­reiche bei den über 200 Lehrberufen aussuchen können als die Top 3, die schon er­wähnt wurden. Da gibt es wirklich auch polyvalente, gute Strukturen und Möglichkeiten zur Zusammenarbeit, und dafür möchte ich mich heute an dieser Stelle sehr herzlich bedanken.

Ich glaube, es kann auch nur gemeinsam gelingen, diese Ungleichheiten, die von mir angerissen wurden, sukzessive, Schritt für Schritt zu beseitigen und jungen Menschen, egal, ob sie eine duale Berufsausbildung, eine berufsbildende mittlere oder höhere Schule, eine allgemeinbildende höhere Schule und danach eine fachorientierte Stu­dienrichtung an einer Fachhochschule oder ein Studium an einer der Universitäten wählen, eine gewisse Garantie bis zur Volljährigkeit zu bieten: Sorgen wir dafür, dass du irgendetwas tun kannst und nicht daheim sitzen oder auf der Straße stehen musst. Danach sollen allen, ob sie eine Lehre oder eine Vollzeitschule absolviert haben, alle Möglichkeiten offenstehen.

In diesem Sinn bedanke ich mich noch einmal sehr für die Initiative heute, und ich glau­be, dass wir heute sicher einen großen Schritt weiterkommen werden. – Danke. (Bei­fall.)

9.31


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Danke dir, liebe Frau Bundesministerin, für dein tolles Einleitungsstatement beziehungsweise Einleitungsreferat.

Jetzt bitte ich Sie, lieber Herr Staatssekretär Dr. Mahrer, um Ihr Einleitungsstatement.

 


9.31.55

Staatssekretär im Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Dr. Harald Mahrer|: Frau Präsidentin! Frau Bundesministerin! Geschätzte Mitglieder des Nationalrates und Bundesrates, vor allem des Bundesrates heute! Hohe Vertreter der Landespolitik! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte ein bisschen Zeit auf­holen und meine einleitenden Worte ein bisschen mit dem „Grand Design“, mit der Aus­gangssituation, die wir eigentlich haben, und den Herausforderungen in Zusammen­hang bringen. Es sind heute so viele namhafte Expertinnen und Experten da – ich weiß, dass die Debatte nachher sehr inhaltsgetrieben sein wird und sicher auch sehr stark ins Detail gehen wird.

Ich bedanke mich gleich zu Beginn für die Initiative des Bundesrates, diese Enquete heute zu machen. Ich halte das für eines der bildungspolitisch wichtigsten Themen, um das wir uns in den nächsten Jahren nachhaltig und sehr tiefgehend kümmern müssen, nämlich die Attraktivität der dualen Ausbildung zu erhöhen und deren Weiterentwick­lung voranzutreiben. Warum? – Sie ist der zentrale Ankerpunkt unserer Fachkräfteaus­bildung, und die Fachkräfte sind in der österreichischen Wirtschaft wohl das Rückgrat. Bildungspolitisch gesprochen ist daher der Fokus in diesem Bereich ganz besonders wichtig.

Wenn wir uns jetzt auf einer Metaebene bewegen, stellt sich die Frage: Vor welchen Herausforderungen stehen wir? Die Frau Bundesministerin hat angesprochen – mir geht es auf europäischer Ebene im Wettbewerbsrat genauso wie ihr im Bildungsrat –, dass viele Länder fragen: Wie macht ihr das? Warum ist bei euch die Jugendarbeits­losigkeit so niedrig? – Da ist tatsächlich unser duales Ausbildungssystem ein zentraler Bestandteil.

Ich bin im letzten Frühjahr nach Barcelona gefahren und habe Folgendes erlebt – man­che von Ihnen kennen die Geschichte, ich erzähle sie immer wieder, weil sie so ein­prägsam ist –: Es ist unter der Woche, ich komme dorthin, habe noch zwei, drei Stun­den, bevor der erste Termin anfängt, und gehe einmal die Ramblas hinunter. Es ist En­de Mai, ein sonniger Tag und die Cafés sind voll mit jungen Leuten. Wie ich da so run­terwandere, denke ich mir: Oh Gott, das ist ja ein Feiertag! Die haben das Meeting an einem Feiertag angesetzt! – Es war nämlich so viel los, und das waren wahrnehmbar keine Touristen. Am späten Nachmittag gehe ich zu dem Termin und sage zum spani­schen Kollegen: Das wäre nicht notwendig gewesen, wir hätten auch erst am Donners­tag in der Früh kommen können. Es hätte nicht schon am Mittwoch sein müssen, denn ihr habt ja heute einen Feiertag! Er fragt mich: Wieso? Ich sage: Die Cafés am Hafen unten sind ja voll von jungen Leuten! Daraufhin sagt er: Das sind die Arbeitslosen!

Im Großraum Barcelona haben fast 50 Prozent der bis 30-Jährigen keinen Job. Das muss man sich einmal zu Gemüte führen und das muss man einmal setzen lassen: Je­der zweite junge Mensch – seit Jahren geht das jetzt schon, seit Beginn der Wirt­schaftskrise – hat dort eigentlich eine perspektivlose Situation. Das kann man natürlich jetzt – und das ist erfreulich für uns – nicht mit unserer Situation vergleichen.

Wir haben bei uns knapp unter 10 Prozent – 9,1 Prozent, Statistikwert Ende Oktober –, die zweitniedrigste Jugendarbeitslosigkeit nach Deutschland. Das ist sehr erfreulich. Im europäischen Wettbewerb müssen wir daher unbedingt schauen, dass wir auf keine spanischen oder süditalienischen Verhältnisse zusteuern, sondern dass unsere Situa­tion so bleibt und unser Modell ganz im Gegenteil möglicherweise Leuchtturmcharakter für andere europäische Länder haben kann. Das hat es auch schon: Es kommen ja Delegationen zu unseren Sozialpartnern, und unsere Sozialpartner fahren nach Frank­reich, nach Spanien, nach Portugal und zeigen unser Modell.

Vollkommen skurrilerweise – das ist jetzt der zweite Aspekt – ist die Lehre bei uns in Österreich aber nicht besonders gut beleumundet. Man sagt immer: Na ja, das ist so die Ausbildung für die, die es nicht ganz so schaffen. Wenn wir das einmal ganz ehrlich sagen, macht Ö3 mit dem „Lehrling Hey“ Montagfrüh eine Comedyserie, die der Image­wirkung vielleicht auch nicht gerade zuträglich ist.

Wir müssen schauen: Vor welchen perspektivischen, wirtschaftspolitischen Herausfor­derungen werden wir in den kommenden Jahren stehen? – Ich bringe nur das Beispiel Industrie 4.0. Stellen Sie sich eine große Werkstatt der Österreichischen Bundesbah­nen, wo Loks hineinfahren und serviciert werden, in fünf bis sieben, vielleicht acht Jah­ren, so am Beginn der 2020er-Jahre, vor. Die schlechte Nachricht ist: Es wird nicht so sein, dass dort nach wie vor sehr viele Fachkräfte und Lehrlinge das Service vorneh­men, sondern die Industrie 4.0 macht es möglich, dass sehr viele Bauteile technischer Gerätschaften bis hin zum kleinsten Bauteil vollelektronisch mit Sender ausgestattet sein werden und ihren Abnutzungsgrad einem zentralen System melden werden. Da­durch weiß der Zulieferer, wann der Abnutzungsgrad einen bestimmten Level erreicht hat. Dann wird dieses Teil zur Werkstatt geschickt, und dort muss es nur noch ein Techniker einbauen.

Das heißt: Wartung und Servicierung wird im Bereich Industrie 4.0 ganz anders stattfin­den als heute. Wir wissen – das war das große Thema der letzten Monate im Europäi­schen Rat der Wirtschafts- beziehungsweise Industrieminister –, dass wir da vor einer großen Herausforderung stehen, weil alle unsere Wertschöpfungsketten auf dem Prüf­stand stehen werden, vor allem in der produzierenden Industrie, im produzierenden Ge­werbe.

Wir wissen, dass wir in Österreich bis 2025 rund 20 000 Jobs in diesem Bereich ver­lieren werden, strukturell durch weitere Automatisierung. Das ist nicht abwendbar. Es besteht aber gleichzeitig die Chance, 30 000 bis 35 000 neue Jobs in diesem Bereich zu schaffen. Das sind alles Fachkräftejobs.

Das heißt also für uns: Europäischer Wettbewerb – wir stehen gut da –, nicht so gutes Image, und gleichzeitig gibt es Möglichkeiten, im Fachkräftebereich neue, qualifizierte Jobs zu schaffen. Das heißt, wir müssen die Lehre weiter attraktivieren und auch si­cherlich inhaltlich bereichern. Das sind die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Es geht im Schnitt um 25 000 produzierende Unternehmen mit ungefähr 600 000 Ar­beitskräften, also wir reden jetzt nicht von einem Mikroteil der österreichischen Wirt­schaft, sondern von einem substanziellen Bereich, und der produzierende Teil ist wich­tig. Er ist deswegen wichtig, weil diese Betriebe für eine zentrale Bruttowertschöpfung im Export sorgen.

Manche von Ihnen werden das schon so oft gehört haben, aber manche von Ihnen vielleicht gar nicht, und darum sage ich das – es ist ein ganz, ganz wichtiges Mantra, das man nicht oft genug wiederholen kann –: Wir verdienen als Republik rund 60 Pro­zent unserer gesamten Bruttowertschöpfung auf den internationalen Exportmärkten. Es sind dabei unsere produzierende Industrie und unser produzierendes Gewerbe und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort – vor allem die Facharbeiter und die Fachkräfte –, die diese Produkte herstellen, die wir im internationalen, globalen Wettbewerb unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen, unter hohem Preisdruck, aber wegen des ho­hen Bildungsniveaus und wegen der tollen Fachkräfteausbildung und wegen der tollen Innovationskraft der Produkte verkaufen können.

Das heißt also: Damit wir diese 40 Prozent der nachgelagerten Dienstleistungen bezie­hungsweise nachgelagerten Wertschöpfung in Österreich haben – da gehört auch der Tourismus und so weiter dazu –, müssen wir 60 Prozent ins Ausland verkaufen. Das heißt, die Produkte und die Dienstleistungen müssen super sein, sonst würde die ja niemand auf den Weltmärkten kaufen. Wir brauchen also tolle Leute, die so tolle Pro­dukte innovieren, weiterentwickeln und erzeugen.

Also: Unser Wohlstand hängt immer wieder an einem seidenen Faden. Man kann gar nicht oft genug sagen, wie wichtig es ist, dass wir international erfolgreich sind. Wir haben viele kleine Nischenplayer mit wahnsinnig vielen tollen Leuten. Damit schließt sich der Kreis wieder: Digitalisierung, Industrie 4.0 wird wichtiger. Umso wichtiger ist es – auch politisch und bildungspolitisch –, dass wir im Bereich der Lehre, der dualen Ausbildung Initiativen setzen.

Die Frau Bundesministerin hat im Großen und Ganzen schon die wichtigsten bildungs­politischen Bereiche angesprochen, wo wir Dinge tun. Wir müssen uns fragen: Was wäre unserer Meinung nach noch zu tun? Wo müssen wir einen Schwerpunkt setzen? Wir haben im Rahmen der Bund-Länder-Gruppe vereinbart, mit den Ländern zu spre­chen, und uns im Rahmen der Regierungsklausur in Schladming schon vorgenommen, Dinge zu tun.

Wir müssen natürlich schauen, dass wir nicht immer über Reparaturen im Bereich der 14-Jährigen reden, sondern schauen, dass wir die Probleme schon frühzeitig beheben, und das heißt natürlich, dass wir viel mehr im frühkindlichen Bereich machen, das heißt, dass die Kinder im Idealfall schon eine ganz andere Förderung bekommen, auch ganz anders gefordert werden im Volksschulbereich, damit sie sozusagen, wenn sie in die Sekundarstufe hineingehen, schon ein ganz anderes Ausbildungsniveau haben. Da spielt die Sprache eine wichtige, aber sicher nicht die einzige Rolle.

Wir verlieren nach wie vor im Schnitt jedes Jahr 10 000 mit 14 und haben ungefähr – Sie wissen das ganz genau – 53 000, die eigentlich nur ..., die keine Ausbildung ha­ben. Sagen wir es einfach, wie es ist: Sie haben eigentlich keine Ausbildung. Und wenn man mit Johannes Kopf, einem der Chefs des AMS redet, dann sagt er: Na ja, 50 Prozent unserer Kunden haben nur einen Pflichtschulabschluss.

Also wir sehen, wenn man den Finger in die Wunde legt, wo wir das Problem haben. Dort müssen wir etwas tun, da sind wir gefordert, da haben wir auch gemeinsam ver­einbart, Dinge zu machen – frühkindliche Förderung, Übergang vom Kindergarten in die Volksschule, Sprach- und Leseförderung. Es ist auch die Geschichte mit der Be­rufsorientierung Teil unserer Vereinbarung, also dass wir uns dem im Prinzip stärker widmen werden, und wir haben jetzt eine ganze Reihe – dem kann ich jetzt nicht vor­greifen, weil wir das erst mit den Ländern besprechen müssen – von gemeinsamen gu­ten Ideen, wie wir im Bildungsbereich weiter Optimierungen vornehmen können.

Diese führen natürlich auch dazu, dass sich die Qualität derjenigen, die sich später für eine Fachkräfteausbildung entscheiden – ich sage immer, und zwar in jedem Bereich, dass ich nicht von einer Lehrausbildung rede, sondern von einer Fachkräfteausbildung, denn das sind ja eigentlich Fachkräfte in Ausbildung; das klingt auch viel attraktiver als „Lehrling“, und das Imagethema müssen wir auch angehen –, dass sich also vielleicht das Niveau derjenigen, die dort in diesen Bereich hineingehen, auch weiter hebt.

Wir hören das von der Wirtschaft immer wieder, dass man sagt: Wir machen ja so et­was wie Persönlichkeitsentwicklung in unseren Lehr- und Ausbildungsbetrieben, wir helfen denen zum Teil die Schnürsenkel zuzubinden! – Sie alle kennen diese Beispie­le. Ich denke, je mehr wir das Niveau davor heben, umso mehr verbessern wir auch die Ausgangsvoraussetzungen, dass man dann eine qualifiziertere Lehrausbildung anbie­ten kann.

Da gibt es dieses berühmte Paket, mit dem wir – ich glaube, es sind 17 – neue Lehr­berufe mit Sommer 2015 implementieren, und Mechatronik im Modulsystem ist genau so ein Beispiel, wo wir sagen, wir tun etwas, was für die Industrie 4.0 total wichtig ist. Dafür braucht man aber die Vorqualifikation, dafür braucht man das höhere Niveau, denn sonst ist der Gap zwischen dem, was die Anforderung im Lehrberuf ist, und dem, womit sozusagen der weibliche oder der männliche Lehrling kommt, zu groß.

Wir stehen damit einfach vor der Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen müssen, nämlich dass wir im Bildungsbereich Grundvoraussetzungen schaffen, die in Wirklich­keit das Niveau in Summe erhöhen. Und das führt dann nicht nur zu mehr Chancen­gerechtigkeit für den Einzelnen – die Frau Bundesministerin hat die Teilhabe angespro­chen –, sondern auch zu mehr Teilhabegerechtigkeit an der Gesamtgesellschaft, denn das werden in Zukunft sicher Jobs sein, die besser bezahlt sein werden, weil sie qua­lifiziertere Jobs sind.

Wir müssen daher ein großes Interesse daran haben, dass wir die duale Ausbildung genau in diesen Bereichen weiterentwickeln – mit all den Begleitmaßnahmen. Das be­deutet auch, junge Frauen für diese Bereiche zu begeistern, und zwar nicht nur, weil dort besser bezahlt wird, sondern weil das die Jobs der Zukunft sind. Und gerade im Digitalisierungsbereich, und das wissen wir – im Grafikbereich, im Bereich Webdesign und so weiter –, gibt es immer mehr, die in diesen Bereich gehen, die daran Interesse haben, also warum nicht auch in den Bereich Mechatronik hineingehen? – Es spricht überhaupt nichts dagegen. Wir müssen nur die Ausgangsvoraussetzungen schaffen und diese kommunikative Mindset-Änderung.

Darin liegt der Schlüssel, dass wir in diesem Bereich weiter zu den Vorreitern in Euro­pa gehören und dass man weiter zu uns kommt – es gibt Länder aus dem asiatischen Bereich, es gibt Länder aus dem arabischen Bereich, die zu uns kommen und fragen, ob wir ihnen bei der Implementierung dieses Systems nicht helfen können, da sie auch daran arbeiten, und das müssen wir intensivieren.

Meine Vision wäre, dass das österreichische System der dualen Ausbildung – bestens vorbereitet durch unsere Bildungslandschaft, bestens exekutiert und umgesetzt durch unsere Ausbildungsbetriebe in der Wirtschaft – die Vorreiterrolle in ganz Europa ein­nimmt, denn dann ist es vielleicht auch weltweit ein mustergültiges Beispiel. Und das würde uns nicht nur viel Anerkennung bringen, viel Zuspruch, das Image in Summe he­ben, auch das Image der Fachkräfte heben, sondern das garantiert Wachstum und Wohlstand, weil wir dadurch unsere Wirtschaft in Summe auf einem hohen Niveau hal­ten.

Also ich bleibe dabei: Bestens ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gut für die Betriebe, sind gut für die Exportwirtschaft, sind gut für die nachgelagerten Wert­schöpfungsketten, sind gut für das gesamte Land. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! – Vie­len Dank. (Beifall.)

9.44


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Danke, Herr Staatssekretär! Auch bei Ihnen möchte ich mich recht herzlich bedanken für Ihre wichtigen Gedanken in Ihrem Einlei­tungsstatement.

09.44.52III. Keynote

 


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Nun kommen wir zum Referat unseres Key­note-Speakers, Herrn Professor Dr. Stefan Wolter. – Bitte, Herr Professor Wolter.

 


9.45.18

Prof. Dr. Stefan Wolter (Professor für Bildungsökonomie an der Universität Bern, Prä­sident der Expertengruppe Berufsbildung der OECD)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin des Bundesrates! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Frau Bundesministerin! Herr Staats­sekretär! Sehr geehrte Landtagspräsidentinnen und -präsidenten, Abgeordnete, Bun­desrätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich sehr für die Einladung, hier zu Ihnen zu sprechen. Ich möchte drei kleine Vorbemerkungen machen, wozu ich nicht sprechen werde beziehungsweise wie ich nicht sprechen werde.

Die erste ist: „Chance für Frauen“. Ich muss Ihnen diesbezüglich sagen, es gibt befug­tere Damen und Herren in diesem Saal, die sich dazu äußern können, und ich kann Ihnen aus der Schweiz auch keine Rezepte anbieten. Die Top Drei sind bei uns die Top Vier oder Fünf, aber wir haben seit Jahrzehnten die gleiche Situation. Es ist immer sehr erstaunlich, dass wir neue Berufe schaffen und die neuen Berufe von Tag eins an gleich geschlechtsstereotypisch anfangen, obwohl bei der Planung eigentlich etwas anderes vorgesehen war. Also ich kann Ihnen dazu leider nichts Neues sagen und werde mich auf andere Dinge konzentrieren.

Die zweite Vorbemerkung ist: Ich werde Ihnen nichts über Österreich erzählen – Sie sind besser befugt, sich dazu zu äußern –, aber seien Sie versichert, ich werde Ihnen auch nichts über die Schweiz erzählen, denn das wird Sie weniger interessieren. Ich werde mich deshalb auf eher übergeordnete Fragestellungen beschränken, die für die Berufsbildung und vor allem für die duale Berufsbildung von allgemeinem Interesse sein sollten.

Die dritte Vorbemerkung ist: Üblicherweise praktiziere ich die freie Rede, aber wohl wissend, dass die Worte, die ich hier spreche, ja irgendwann ins Netz gestellt werden, bitte ich Sie um Nachsicht, dass ich mein Referat mehr oder weniger vom Blatt ablesen werde.

Die Berufsbildung ist in den letzten Jahren in Bezug auf die internationale Aufmerk­samkeit – das hat der Herr Staatssekretär ja auch erwähnt – und die Medienpräsenz zu einem heimlichen Star avanciert. Dies freut die Verfechterinnen und Verfechter die­ser Ausbildungsform ebenso wie die Länder, in denen diese Ausbildung zum Rückgrat der nachobligatorischen Ausbildung gehört, und dazu zählen Österreich und auch sei­ne deutschsprachigen Nachbarländer Deutschland und die Schweiz.

Neben dem schönen Gefühl, dass endlich Anerkennung findet, was man schon immer für gut befand und verteidigte, muss man sich allerdings auch fragen, wo denn die ständige und teilweise starke Kritik an der Berufsbildung geblieben ist und weshalb diese auf einmal verstummt oder nicht mehr so hörbar ist. – Meine sehr verehrten Da­men und Herren, seien wir uns doch für einen Moment bewusst, dass es keine zehn Jahre her ist, dass der Kanon der Wissenschaft, die erdrückende Mehrheit der entwi­ckelten Volkswirtschaften dieser Erde, die Medien, die Politik und nicht zuletzt die in­ternationalen Organisationen sich absolut darin einig waren, dass die Berufsbildung und dabei insbesondere die in den deutschsprachigen Ländern gepflegte Form der du­alen und betrieblich basierten Lehrlingsausbildung ein Auslaufmodell sei, welche aus Tradition und anderen wenig überzeugenden Motiven künstlich am Leben erhalten werde.

Pünktlich wie das Weihnachtskind und alljährlich ließ die OECD in Paris verlauten, dass die deutschsprachigen Länder zu viel Berufsbildung und zu wenige Akademike­rinnen und zu wenige Akademiker hätten. Angesichts dieser einhelligen und massiven Ablehnung der Berufsbildung ist es meines Erachtens angebracht, sich kurz noch einmal die Hauptkritikpunkte vor Augen zu führen, um feststellen zu können, ob die Be­wunderung und das so plötzlich erwachte Interesse an der Berufsbildung denn tat­sächlich gerechtfertigt sind. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, wie etwas als Vorbild für Europa gepriesen werden kann, was noch vor so kurzer Zeit als nicht nach­ahmenswerte Bildungsform geringgeschätzt wurde. – Aus zeitlichen Gründen möchte ich auf drei Hauptkritikpunkte eingehen, die jeweils gegen die Berufsbildung vorge­bracht wurden und als Kritikpunkte deshalb latent immer noch im Raum stehen.

Erstens steht da die Beobachtung, dass länger ausgebildete Personen einem kleineren Arbeitslosigkeitsrisiko ausgesetzt sind, mehr verdienen, gesünder sind, länger leben et cetera et cetera – die Vorzüge langer Bildung sind fast unendlich. Da Personen mit einem Hochschulabschluss ja auch eine längere Bildungsdauer aufweisen als solche mit einer berufsbildenden Ausbildung auf der Sekundarstufe II, wurde aus diesen Be­funden messerscharf geschlossen, dass möglichst alle jungen Leute an die Universität sollten und nicht in die Berufsbildung.

Ich möchte gar nicht auf die Problematik eingehen, dass Personen mit längerer Bil­dungskarriere in der Regel auch ohne die verlängerte Bildungszeit eher höhere kogni­tive Fähigkeiten aufweisen als Personen mit kürzerer Bildungszeit, und die Feststel­lung, dass unsere entwickelten Volkswirtschaften immer mehr und somit auch längere Bildungszeiten verlangen, möchte ich auch nicht infrage stellen, diese jedoch mit der Forderung gleichzusetzen, dass es weniger Berufsbildung braucht, basiert auf einer groben Fehleinschätzung und Fehlinterpretation unserer Bildungssysteme. Diese kommt vor allem daher, dass in einer großen Mehrheit jener Länder, in denen noch ir­gendeine Form von dualer Berufsbildung existiert, diese in der Regel zu keinen Bil­dungsabschlüssen führt und somit von höherer und längerer Ausbildung ausschließt.

In unseren Ländern stellt auch die duale Berufsbildung einen Bildungsabschluss dar, der entweder eine höhere Berufsbildung und somit auch einen tertiären Bildungsab­schluss ermöglicht oder verbunden mit einer Lehre mit Matura – in meinem Land „Be­rufsmaturität“ – eine allgemeine Studierberechtigung darstellt und somit zu einem Fach­hochschulstudium oder Universitätsstudium berechtigt. Der genannte Umstand ist in dieser Kritik geflissentlich übersehen worden.

Während man sich also in den meisten Ländern den Weg zu höherer Bildung verbaut, wenn man die Berufsbildung wählt, haben wir diese Durchlässigkeit in den letzten zwei, drei Jahrzehnten nicht nur gepflegt, sondern massiv ausgebaut. Die Frage, die sich in unseren Ländern deshalb stellt, ist nicht: Berufsbildung oder akademische Ausbil­dung?, die Frage, die sich stellt, ist jene, ob Jugendliche in unseren Ländern bei gleich guten Fähigkeiten auch die gleiche Aussicht darauf haben, zu einem tertiären Ab­schluss zu kommen, wenn sie zuerst über die Berufsbildung einsteigen, im Vergleich zu Jugendlichen, die direkt ins Gymnasium eingebogen sind. Für mein Land kann ich diese Frage mit einiger Sicherheit mit Ja beantworten.

Der Umstand, dass andere OECD-Länder über höhere Tertiärquoten verfügen als die Schweiz oder Österreich, hat weniger mit der An- oder Abwesenheit eines Berufsbil­dungswesens zu tun als mit der Definition von Universitäten und tertiären Abschlüssen. Was in gewissen Ländern als Universitätsabschluss gilt, würde in unseren Ländern manchmal nur mit Mühe als Abschluss einer Sekundarstufe II durchgehen. Ich denke, wir tun gut daran, eine Ausdehnung des universitären Sektors nicht durch eine künstli­che Aufblähung dank Herabsetzung von Standards und Umdefinierung von Berufsab­schlüssen zu erkaufen, denn dies – und das zeigt die Erfahrung – ist mit ineffizient lan­gen Bildungszeiten, privater und öffentlicher Verschuldung und am Schluss enttäusch­ten Erwartungen bei Studierenden und Eltern verbunden.

Der zweite Kritikpunkt war inhaltlicher Art und warf der Berufsbildung vor, eine inad­äquate Vorbereitung auf 40 Jahre Erwerbsleben zu sein, dessen einzige Konstante der unvorhersehbare Wandel sei. Warum also einen einzigen Beruf lernen, wenn man später sowieso alle fünf Jahre den Beruf wechseln muss? Allgemeinbildung ist hier die beste Vorbereitung, so war die Meinung.

Meine geschätzten Damen und Herren, auch hinter diesem Kritikpunkt verstecken sich sicherlich einige gerechtfertigte Beobachtungen, aber doch mehrheitlich Fehlüberle­gungen. Aus zeitlichen Gründen kann ich nicht auf alle eingehen, lassen Sie mich eine kleine Auswahl treffen.

Erstens verlässt praktisch niemand das Bildungssystem nur mit Allgemeinbildung. Auch wer ein Universitätsstudium macht – der Soziologie, Chemie, Physik, Germanis­tik –, verbindet damit die Hoffnung, mehr oder weniger gut auf einen Beruf, oder we­nigstens ein Berufsfeld, vorbereitet zu sein. Der Umstand, dass gewisse Studiengänge nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit in die damit verbundenen Berufe führen, hängt nicht damit zusammen, dass diese Studiengänge zu so etwas wie einer allge­meinen Berufsbefähigung führen, sondern damit, dass die Quantität der Studienabgän­gerinnen und -abgänger und die verfügbaren Arbeitsstellen in einem Missverhältnis stehen. Somit müssen die Absolventinnen und Absolventen auf Berufe ausweichen, für die sie besser mit einer anderen Ausbildung vorbereitet worden wären.

Zweitens ist der berufliche Wandel in der Regel – statistisch können wir das aufzei­gen – mehrheitlich eine fast lineare Fortentwicklung in einem einzigen Berufsfeld. Ab­rupte und unfreiwillige Wechsel in ganz neue Berufsfelder kommen vor, sind im Ver­gleich zum Regelfall aber doch eher selten. In der Schweiz wechselt der durchschnitt­liche Arbeitnehmer einmal im Leben radikal das Berufsfeld.

Umgekehrt heißt dies, dass der Durchschnittsarbeitnehmer oder die -arbeitnehmerin 20 Jahre in einem Beruf verbringt, und da ist es sicherlich besser, auf diesen Beruf vor­bereitet zu sein, als zwar von allem etwas, aber dafür nichts Genaues zu wissen. Der englische Begriff „Jack of all trades“, der derzeit in der Wissenschaft zirkuliert, frei übersetzt: „Hansdampf in allen Gassen“, macht vielleicht einen guten Unternehmer, aber er hat einen zweiten, oft verschwiegenen Teil: „Jack of all trades, master of none“. (Heiterkeit.)

Drittens wäre es sicherlich eine Irrmeinung, zu glauben, man könnte sich alleine mit viel und in langen Jahren angeeigneter Allgemeinbildung auf alle Veränderungen in ei­nem vierzigjährigen Erwerbsleben abschließend vorbereiten – lebenslanges Lernen ist die effizientere Weise, mit solchen Veränderungen umzugehen.

Da muss nun aber auch ein kritisches Wort zur Berufsbildung eingeflochten werden: Während bei den Förderern und Befürwortern von Weiterbildung vor vier Jahrzehnten die Hoffnung zum Ausdruck kam, dass Weiterbildung helfen würde, individuelle Unter­schiede bei der formalen Ausbildung auszugleichen, ist in Wirklichkeit das Gegenteil geschehen. Weiterbildung führt eher dazu, dass sich die Unterschiede bei den forma­len Bildungsabschlüssen über das Erwerbsleben noch weiter vergrößern, denn Weiter­bildung scheint nach dem Prinzip zu funktionieren: Wer schon hat, dem wird gegeben.

In der Schweiz – die österreichische Situation kann ich nicht gut genug beurteilen – sind es gerade die Personen mit einem dualen berufsbildenden Abschluss, die sich signifikant häufig weniger an Weiterbildung beteiligen als Personen mit einem Tertiär­abschluss oder auch Personen mit einem Sekundarstufe II-Abschluss allgemeinbilden­der Art.

Inwieweit sich das so erklären lässt, dass für diese Personen keine Weiterbildung not­wendig ist, um ihren Beruf erfolgreich auszuüben, und inwiefern es sich um eine Ver­nachlässigung des Wissensaufbaus und der Wissensadaptierung handelt, ist schwer zu sagen, aber klar ist: Personen, die ihr Wissen über Jahre nicht mehr anpassen, sind einem großen Risiko ausgesetzt, in Situationen des Wandels zwischen Stuhl und Bank zu fallen.

Der dritte große Kritikpunkt an der Berufsbildung war die Verknüpfung der Berufsbil­dung mit dem zweiten Wirtschaftssektor der industriellen Produktion; Herr Staatssekre­tär Dr. Mahrer hat auf diese Verbindung ja auch hingewiesen. Auch noch nach dem Platzen der Dotcom-Blase wurde Berufsbildung mit Old Economy gleichgesetzt, wäh­rend die Zukunft ja der New Economy gehöre.

Bei dieser Kritik wurden in wissenschaftlichen Studien Zusammenhänge zwischen Be­rufsbildung und Innovationsfähigkeit konstruiert, die einen Rückstand in Innovation und Wachstum für jene Länder zeigten, die ein duales Berufsbildungswesen hatten. Es wurde gesagt, dass Länder wie Deutschland und eben auch seine Nachbarstaaten ei­nerseits ihre veraltete Industriestruktur nur deshalb über Wasser halten könnten, weil sie die Jugendlichen weiterhin und gegen jede Vernunft in die Berufsbildung zwingen und ihnen somit auch die erfolgversprechendere akademische und allgemeinbildende Variante willentlich vorenthalten würden – in meinem Land spricht man von Bildungs­rationierung –, andererseits würden sie die Industrie schützen, damit die Arbeitsplätze für so viele zu viel in der Berufsbildung ausgebildete Personen auch angeboten werden könnten.

Nun, meine Damen und Herren, wie schnell sich doch die Zeiten ändern! Uns allen ist noch im Ohr, wie US-Präsident Obama den deutschen Lehrling als Vorbild gelobt hat – dieses Lob hätten wir natürlich gerne auch auf den österreichischen oder den Schwei­zer Lernenden ausgedehnt gesehen.

In diesem Appell ging es aber auch um etwas anderes, nämlich um den Schlachtruf der amerikanischen Regierung „Reshore Manufacturing“. Beim amerikanischen – und nicht nur amerikanischen – Versuch, die Industrie wieder zurück ins Land zu holen, hat sich nun aber der wirkliche Zusammenhang zwischen Berufsbildung und qualitativ hochstehender industrieller Produktion überdeutlich gezeigt. Ohne hochstehende Be­rufsbildung gibt es keine hochstehende Produktion und ohne hochstehende Produktion gibt es auch keine hochstehende Berufsbildung, denn wo sollten denn die jungen Lernenden mit der jüngsten und neuesten Technologie in Kontakt kommen? Gerade Schulen sind ja in der Regel keine „First Mover“, wenn es um neue Technologien geht. (Heiterkeit.)

Deshalb sind Länder, die die Industrie ziehen ließen und die Berufsbildung vernach­lässigt haben, nun vor die praktisch unlösbare Aufgabe gestellt, dass ohne im Land vorhandene Skills die Industrie nicht zur Rückkehr motiviert werden kann und ohne Industrie wiederum keine neue Berufsbildungstradition begründet werden kann. Das einzige Rezept, nie in diese Situation zu geraten, ist, sowohl der industriellen Basis ei­ner Volkswirtschaft als auch der Berufsbildung Sorge zu tragen.

Weiter ist anzufügen, dass die leider teilweise auch in unseren Ländern verbreitete und antiquierte Sichtweise, dass es sich bei der Berufsbildung ausschließlich um das Er­lernen von Handwerk handle, durch die moderne Berufsbildung schon längst widerlegt worden. In meinem Land werden beispielsweise 80 Prozent aller in der Wirtschaft tä­tigen Informatiker über die Berufsbildung ausgebildet und nur 20 Prozent über die Uni­versitäten. Hätten wir die Berufsbildung nicht, dann würde bei uns auch das Gesund­heitswesen stillstehen, welches in anderen Ländern anscheinend nur dank Akademike­rinnen und Akademikern funktioniert. Diese breite, alle Wirtschaftsbereiche und Sekto­ren umfassende Berufsbildung ist übrigens auch der Garant dafür, dass eine sektorielle Wirtschaftskrise nicht auch gleich das ganze Bildungswesen zum Einsturz bringt.

In anderen Staaten – beispielsweise in Irland –, in denen die Berufsbildung exklusiv auf den Bausektor beschränkt blieb, hat die Immobilienkrise nicht nur die Banken in den Ruin getrieben, sondern auch gleich die Berufsbildung zum Verschwinden gebracht. Wenn sich also die Hauptkritikpunkte an der Berufsbildung – insbesondere der Be­rufsbildung des Zuschnitts der deutschsprachigen Länder – im Kern widerlegen lassen, ist es denn auch diese Einsicht, die dazu geführt hat, dass sich auf einmal alle Welt in Besucherdelegationen in unseren Ländern umsieht und selbst die OECD vorwiegend lobende Worte findet.

Lassen Sie mich es vorsichtig formulieren: Gerne wünschte ich mir, dass es die Ein­sicht ist, die das Interesse leitet, aber die Erfahrung ist, dass es nicht so ist! Ohne die Finanz- und Wirtschaftskrise und die damit in vielen Ländern verbundene hohe Ju­gendarbeitslosigkeit wäre niemand in den Nicht-Berufsbildungsländern auf die Idee gekommen, sich bei uns über die Berufsbildung zu informieren. Aber die Jugendar­beitslosigkeit lässt sich selbst mit einer dualen Berufsbildung nicht über Nacht zum Verschwinden bringen, und die übertriebenen Erwartungen riskieren, enttäuscht zu werden.

Ein hoher EU-Beamter fragte mich kürzlich, ob die Berufsbildung denn auch als – ich zitiere – „Quick-Fix“ für die Jugendarbeitslosigkeit tauge. Wenn diese Erwartung, die übertrieben ist, enttäuscht wird, kann es sein, dass sich schon über Nacht diese ent­täuschten Länder wieder anderen Optionen zuwenden. Verstärkt wird diese Gefahr durch den Umstand, dass man in einigen Ländern aus purer Verzweiflung Berufsbil­dungssysteme einführen will oder teilweise schon eingeführt hat, von denen man heute in Österreich, in Deutschland und in der Schweiz nur sagen muss, so etwas würde selbst bei uns nicht funktionieren.

Neben der Jugendarbeitslosigkeit ist es aber voran die fiskalische Krise, die der Be­rufsbildung Aufwind beschert. Wenn die öffentlichen Haushalte kein Geld mehr haben, um teure Allgemeinbildung für alle zu finanzieren, die privaten Haushalte kein Geld mehr haben, sich teure private Hochschulen zu leisten, dann sucht man nach einem Modell, in welchem ein anderer Geldgeber einspringt. Die Berufsbildung dualen Zu­schnitts offeriert hier tatsächlich eine valable Alternative. Sie stellt quasi Public Pri­vate Partnership in ihrer besten Form dar. Nur damit dies auch klappt, muss man Un­ternehmen davon überzeugen, sich zu engagieren, und das ist nicht immer ganz einfach. Tradition hilft. Aber selbst in unseren Ländern mit einer langen Tradition der Be­rufsbildung ergibt sich das betriebliche Engagement nicht einfach von selbst.

Verzeihen Sie mir, wenn ich nochmals auf die Schweiz blicke: In der Schweiz muss in einem Fünfjahreszeitraum jeweils rund ein Fünftel der Lehrbetriebe neu rekrutiert wer­den – eine Dynamik, die häufig unterschätzt wird. Was hier hilft, ist nicht die Tradition der Betriebe, sondern die Masse an schon ausgebildeten Berufsleuten. Sie sind quasi die DNA der Berufsbildung, und sie sorgen dafür, dass sich auch neu gegründete Un­ternehmen in der Berufsbildung engagieren. Fehlen diese Berufsleute, dann sind sie schwer durch behördliche Marketingkampagnen zu ersetzen.

Weiters ist zu bedenken, dass sich die fiskalische Überlegenheit der Berufsbildung ei­gentlich nur bei der betrieblich basierten dualen Ausbildung ergibt und weniger bei der vollschulischen Berufsbildung. Das heißt, Berufsbildung ist nicht einfach gleich Berufs­bildung. Die Verbreitung der dualen betrieblich basierten Ausbildung ist nicht nur in Ös­terreich sehr heterogen, sie ist es auch in der Schweiz, ebenfalls von West nach Ost, allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Schließlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass auf die häufig gestellte Frage – und ich schließe da wieder an das an, was der Herrn Staatssekretär dazu gesagt hat –, ob die Berufsbildung bei uns denn eine Ausbildung mit hohem Ansehen sei oder eben doch nur eine Ausbildung für die Kinder des Nachbarn, ehrlicherweise die Antwort gegeben werden muss, dass die Berufsbildung auch bei uns mit einem mangelnden sozialen Ansehen kämpft.

Während sich in einer jüngsten repräsentativen Umfrage in der Schweiz 80 Prozent der befragten Personen dahin gehend äußerten, dass die Berufsbildung gleich gute, wenn nicht gar bessere Arbeitsmarktperspektiven als die Allgemeinbildung bietet, waren es nur lediglich 20 Prozent, die denselben Vorteil auch beim sozialen Ansehen sahen. Wenn man noch etwas genauer hinschaute, welche Personen denn von einem Vorteil der Berufsbildung auf dem Arbeitsmarkt ausgehen und gleichzeitig einen Nachteil beim sozialen Ansehen sehen, dann fand man in dieser Gruppe vor allem Akademikerinnen und Akademiker sowie Lehrerinnen und Lehrer. Ausländische Besucher von den Vor­teilen der Berufsbildung überzeugen zu wollen, wenn gleichzeitig die Meinungsmacher im eigenen Land daran zweifeln, ist doch etwas vermessen und schwierig! (Beifall.)

Meine geschätzten Damen und Herren, ich komme zu folgender Schlussfolgerung:

Erstens: Die Berufsbildung in unseren deutschsprachigen Ländern hat sich mehrheit­lich positiv in einem sich wandelnden wirtschaftlichen Umfeld anzupassen verstanden und hat deswegen auch gute Chancen, weiterhin eine zukunftsträchtige Ausbildungs­form zu sein. Sie entspricht somit bei Weitem nicht den Zerrbildnern, die im Ausland mehrheitlich und in unseren eigenen Ländern leider auch teilweise noch vorherr­schen.

Zweitens: Der Handlungsbedarf besteht sicherlich noch in Bezug auf die Vorbereitung der Personen aus dualen Ausbildungsgängen auf das lebenslange Lernen und die er­folgreiche Vorbereitung auf einen Beruf. Der Übertritt in den Arbeitsmarkt garantiert noch keinen lebenslangen Berufserfolg.

Drittens: Das überwältigende Interesse in zahllosen Ländern an unserer Berufsbildung entspricht leider nicht einer tieferen Überzeugung, dass die Berufsbildung gut sei, sondern mehrheitlich der puren Not, in der alles ausprobiert wird, selbst wenn man da­von nicht überzeugt ist.

Viertens: Diese Motivation birgt die Gefahr in sich, sich mittelfristig kontraproduktiv auf die Berufsbildung auszuwirken, und zwar dann, wenn diese übertriebenen Erwartun­gen nicht eingelöst werden können und die Berufsbildung in diesen Ländern nur für jene Bevölkerungsschichten dienen soll, die den Zugang zur wirklich guten Allge­meinbildung nicht haben. Diese Gefahr ist umso realer – und da komme ich auf das zu sprechen, was die Frau Bundesministerin erwähnt hat –, als in diesen Ländern die Be­rufsbildung weiterhin außerhalb des Bildungswesens gedacht wird. Klar ist, dass eine duale Berufsbildung nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie arbeitsmarktnahe ist. Aber eine duale Berufsbildung, die außerhalb der Logik und der Anschlussmöglichkei­ten des Bildungssystems steht, ist und bleibt eine zweitklassige Ausbildung.

Diese Gefahr der Enttäuschung wird weiter dadurch genährt, dass es in unseren eige­nen Ländern weder einen gesellschaftlichen Konsens über die Vorzüge der Berufs­bildung gibt, noch wirklich genügend wissenschaftliche Evidenz und auch Kompetenz besteht, diese Vorzüge ausreichend und überzeugend belegen zu können.

Selbstkritisch muss ich deshalb – und ich gehöre zu den überzeugtesten Anhängern der Berufsbildung – mit der Bemerkung schließen: Ja, die duale Berufsbildung ist in Österreich so wie in der Schweiz eine gelungene Ausbildung und ein Vorbild für Europa! Aber bevor wir sie als solche anpreisen können, ist erstens noch Überzeu­gungsarbeit zu Hause zu leisten, und zweitens muss mehr Wissen generiert werden, damit wir auch sicher sind, welche Berufsbildung wir in welchen Situationen als Vor­bild anpreisen dürfen und können.

Ich hoffe, dass diese Enquete ein Anstoß in diese Richtung ist, und bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.10


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Auch Ihnen, Herr Professor, recht herzlichen Dank für Ihre tollen Ausführungen – auch für die Kritikpunkte, denn Kritik ist ja etwas Positives, man muss sie nur als Chance wahrnehmen.

10.10.34IV. Panel und Diskussion

 


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Nunmehr kommen wir zu den Einleitungsstate­ments der Referentinnen und Referenten sowie zur anschließenden Diskussion.

Ich darf die Referentinnen und Referenten ersuchen, die Zeit von 5 Minuten pro Refe­rent/Referentin nicht zu überschreiten, damit ausreichend Zeit für die Diskussion zur Verfügung steht.

Die Moderation dieses Teils der Enquete wird von Frau Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska übernommen. Ich darf dich, Frau Vizepräsidentin, um deine einleitenden Worte bitten.

 


10.10.50

Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde keine langen einleitenden Worte sprechen: Wir haben schließlich so viele Expertinnen und Experten hier, die können das sicherlich besser.

Ich möchte nur einige Zahlen an den Anfang stellen: Mehr als 120 000 junge Men­schen sind in einer Lehrausbildung. Das heißt: Fast die Hälfte eines Jahrganges absol­viert in Österreich eine Lehrausbildung. Ein wichtiger Impuls, den auch Frau Bundesmi­nisterin Heinisch-Hosek angesprochen hat, ist das Jugendcoaching, das bei der Orien­tierung helfen soll.

Auch der Bund bildet über 1 480 Lehrlinge aus – 50 Lehrlinge mehr als im Vorjahr, das bereits ein Rekordjahr für die Lehrlingsausbildung im Bund war. Es werden 60 Lehrbe­rufe im Bund angeboten, und in ganz Österreich haben wir über 200 Möglichkeiten für den Lehrberuf. Das ist als eine große Chance zu sehen.

Wie auch Herr Professor Wolter vorhin erwähnte, ist die Aufteilung der Geschlechter leider nicht immer so, wie wir es bei der Planung eines neuen Lehrberufes vorsehen. Es gibt jedoch Möglichkeiten, hier entgegenzuwirken. Der Herr Staatssekretär hat es angedeutet: Man muss sich diesem Thema intensiver widmen. Auch Vizekanzler und Minister Mitterlehner hat gesagt, dass die Berufsorientierung verstärkt werden soll. Ei­nes seiner Ziele ist es dabei, mehr Mädchen für technische Berufe zu motivieren. Mi­nister Rudi Hundstorfer hat betont, dass jungen Menschen mit einem abgeschlossenen Lehrberuf alle Türen offen stehen – sogar Minister können sie werden, sagte er, auch in Anspielung auf seinen eigenen Werdegang.

10.12

10.12.30

Einleitungsstatements

 


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Als erster Rednerin darf ich der Präsidentin der Wirtschaftskammer Niederösterreich Sonja Zwazl das Wort erteilen. Sie ist eine Kämp­ferin für die Wirtschaft, sie ist langjährige Vorsitzende der Wirtschaftskammerorganisa­tion „Frau in der Wirtschaft“ – nicht nur in Niederösterreich, sondern auch in Öster­reich –, und ihr wird nachgesagt, dass sie aus Fragezeichen Rufzeichen machen kann. – Bitte, Frau Präsidentin.

 


10.12.48

Bundesrätin Sonja Zwazl (ÖVP, Niederösterreich)|: Frau Präsidentin! Frau Vizepräsi­dentin! Danke schön für die netten Worte! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die duale Ausbildung ist für mich die österreichische Antwort auf die EU-weite Jugend­arbeitslosigkeit. Die duale Ausbildung ist ein Erfolgsrezept für unsere Jugend, für unse­re Betriebe, für die Unternehmen und für den Wirtschaftsstandort Österreich. Es ist mir aber wichtig, heute sieben Zukunftspunkte für die Weiterentwicklung und für den Aus­bau der dualen Ausbildung in die Diskussion einzubringen.

Erster Punkt: Österreich braucht eine flächendeckende und begabungsorientierte Berufs- und Bildungsberatung in der 7. Schulstufe.

Unsere Jugend ist sich gar nicht bewusst, welche Talente, welche Fähigkeiten in ihr stecken! Die Jugendlichen sind unsere Rohdiamanten. Es ist wichtig, dass wir sorg­fältig und intensiv die Potenziale unserer Jugend heben. Bitte wenden wir dabei keine Schnellverfahren an: Man sollte in jedem Fall wirklich genau hinschauen, wo die je­weiligen Talente liegen. Besonders wichtig ist mir dabei auch das Einbinden der El­tern – ihnen zu sagen: Schaut her, welche Begabungen und Talente hat euer Kind, in dieser Richtung könnten wir ausbilden!

Und das ist für mich auch die Antwort! Es ist schade, wenn viele Mädchen ihre Talente liegen lassen. Wenn aber die Eltern und ihre Tochter selber wissen, wo ihre Talente, ihr Potenzial steckt, dann wird sie auch in dieser Richtung ihre Ausbildung machen.

Zweiter Punkt: Sehr wichtig ist es, Berufs- und Bildungsorientierung als Pflichtfach an allen Schulen des Landes zu implementieren, vor allem auch an den AHS.

Das ist heute schon angesprochen worden. Es ist wichtig, dass unsere Jugend durch eine passende Ausbildungswahl ihren persönlichen Erfolgsweg findet. Aber dazu wird es auch notwendig sein, dass die wirtschaftsbezogene Ausbildung der Pädagoginnen und Pädagogen vertieft wird, damit sie diesen Jugendlichen wirklich gute Ansprech­partner sind. Wir müssen – das muss uns schon bewusst sein – unsere Jugend durch die immer komplexere Ausbildungs- und Berufswelt führen und begleiten.

Dritter Punkt – ein sehr wichtiger Punkt! –: Die Lehre ist eine hochqualifizierte Aus­bildung, die der Schule jedenfalls gleichwertig ist.

Das haben Sie auch ausgeführt, Herr Professor Wolter, aber das ist leider in der Öf­fentlichkeit noch immer viel zu wenig angekommen. Die Eltern glauben nach wie vor, dass ihre Kinder nur dann Karriere machen, wenn sie Matura machen. Aber tat­sächlich – schauen wir uns doch um! – starten zahlreiche Unternehmerinnen und Un­ternehmer, Manager und Managerinnen ihre Karriere mit einer Lehre. Da ist eine wei­tere Bewusstseinsbildung nötig!

Wir haben mit unseren Sozialpartnern, der Arbeiterkammer Niederösterreich, eine Um­frage gemacht, weil es uns ganz wichtig ist, zu sehen, wie die Lehre wirklich in der Öf­fentlichkeit gesehen wird. Demnach sagen die jungen Leute, die Lehrlinge, zu 98 Pro­zent: Danke, dass ich eine Lehre machen kann, es macht mir sehr viel Freude! 85 Pro­zent der Lehrlinge halten die Ausbildung für eine interessante Arbeit. Ich betone: 85 Pro­zent der Lehrlinge, aber nur 32 Prozent der Eltern!

Bei der Frage, wie es denn mit den Arbeitsplatzaussichten ausschaut, sehen 77 Pro­zent der Lehrlinge gute Arbeitsplatzaussichten, aber nur 33 Prozent der Eltern und vor allem nur 27 Prozent der Lehrer. Darüber muss man schon nachdenken!

Natürlich ist es für einen jungen Menschen auch wichtig, was er verdient. Wir haben uns dabei das Medianeinkommen zwölf Monate nach dem Abschluss angeschaut: Nach einer Pflichtschule sind es 525 €, mit der AHS 1 300 €, mit einem Lehrabschluss 1 900 €! Wenn einer die Uni oder die Fachhochschule macht, dann sind es 2 850 €, aber allerdings erst neun Jahre später, nach dem Abschluss.

Vierter Punkt: Der Wettlauf der Betriebe um Fachkräfte wird immer härter.

Wir brauchen, um erfolgreich zu sein, gute Fachkräfte. Wir haben einerseits einen de­mographischen Rückgang bei den Jugendlichen, und andererseits wird Lehre nicht als höherbildende Ausbildung anerkannt. Das ist uns ganz einfach wichtig, wir müssen mehr Bewusstsein diesbezüglich schaffen.

Fünfter Punkt: Die Lehre ist eine hochqualifizierte Ausbildung, die nicht jede und je­der kann.

Die Anforderungen sind in den letzten Jahren massiv gestiegen, und wir müssen uns jetzt auch überlegen, was wir mit den Jugendlichen machen, die diesen Anforderungen ganz einfach nicht gewachsen sind.

Sechster Punkt: Lehrabschlüsse sollen fachspezifische Unizugänge ermöglichen.

Das ist ganz einfach wichtig. Es ist nicht einzusehen, dass jemand, der einen Mecha­tronik-Lehrabschluss hat, nicht ebenso gut für ein Technikstudium vorbereitet ist wie ein AHS-Maturant.

Siebenter Punkt: Es ist nicht nur wichtig, Lehre und Matura zu ermöglichen – sondern auch die Lehre nach der Matura ist ein guter Zugang!

Auch Maturantinnen und Maturanten sollten sich überlegen, nach ihrer Matura viel­leicht eine Lehre zu machen, weil sie in unsere Betriebe gut hineinwachsen und gern gesehene Fachkräfte sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Die besondere Stärke der Lehre liegt in ihrer hohen Praxisorientierung, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die Lehre in sozialpartnerschaftlicher Verantwortung liegt. In dieser sozialpartnerschaftlichen Ver­antwortung lässt sich auch schneller auf Veränderungen reagieren als mit einem Schulsystem. Jeglicher Versuch, die duale Ausbildung stärker zu verschulen, ist daher, denken wir, der falsche Weg – für uns und in der EU! – Danke schön. (Beifall.)

10.19


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Vielen Dank, Frau Präsidentin.

Ich darf nun die Diversity-Beauftragte der ÖBB-Holding ans Rednerpult bitten. Ihr Beruf und seine Herausforderungen sind einmalig in Österreich: Fast 40 000 Beschäftigte – vom Verschub bis zum Finanzmanagement –, über 22 Lehrberufe, und die ÖBB verfol­gen das Ziel, den Frauenanteil zu erhöhen. – Ich darf Sie bitten, zu uns zu sprechen.

 


10.19.30

Dr. Traude Kogoj (Diversity-Beauftragte ÖBB-Holding AG)|: Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Vertreter und Vertreterinnen aus Politik und Wirtschaft! Ich möchte mich nach den wirklich sehr eindrucksvollen Vor­referaten, die sozusagen ganz global einmal eine Idee davon gegeben haben, was Ju­gendarbeitslosigkeit bedeutet, wie hoch sie ist, was dagegen getan werden kann und wie hoch der Stellenwert der dualen Ausbildung da anzusetzen ist, auf meinen Fokus, den Fokus Österreichische Bundesbahnen als einen der größten Lehrlingsausbildner konzentrieren und hier wiederum auf den Fokus Chancengleich. Es geht darum: Wie bekommen wir mehr junge Frauen, Mädchen in den Betrieb? Wie können wir sie davon überzeugen, bei uns eine Lehre zu machen?

Wir haben gehört, dass rund 120 000 Jugendliche in Österreich eine Lehre machen. Allein die Österreichischen Bundesbahnen bilden 1 780 Jugendliche, junge Frauen und Männer, aus, das sind nahezu 2 Prozent davon. Und mit dieser vergleichsweise hohen Anzahl steigt natürlich auch die Verantwortung, die die ÖBB als Lehrlingsausbildungs­stätte gegenüber den jungen Menschen auf der einen Seite und gleichzeitig auch ge­genüber der Gesellschaft auf der anderen Seite haben.

Wir haben gehört, Stellhebel gegen Jugendarbeitslosigkeit, wir haben gehört, Stellhe­bel für Fachkräfte, wenn es um die duale Ausbildung geht. Ich möchte darauf hinwei­sen, dass 98 Prozent der jungen Mädchen und jungen Burschen, die bei den ÖBB in die Lehre gehen, die Ausbildung erfolgreich abschließen, 60 Prozent davon schließen mit ausgezeichnetem Erfolg respektive mit gutem Erfolg ab.

Was das große Engagement der Österreichischen Bundesbahnen oder des ÖBB-Kon­zerns in Bezug auf die duale Ausbildung auch sehr deutlich zeigt, ist, dass, wann im­mer die Lehrlinge ihre Lehre abgeschlossen haben, sie ganz schnell in der Wirtschaft vermittelt werden können respektive einen Job bekommen, wenn sie von den ÖBB nicht behalten werden können. Wir haben uns auch das Ziel gesetzt, die Behaltequote deutlich zu erhöhen.

Wir haben 22 Lehrberufe, das wurde schon erwähnt, von insgesamt 199, die in Öster­reich anerkannt sind, und einer dieser Lehrberufe ist die Gleisbautechnik. In der Gleis­bautechnik wurden heuer das erste Mal junge Menschen – Frauen und Männer – aus­gebildet, und die werden natürlich alle behalten.

Was Unternehmen in diesem Kontext ganz intensiv leisten, ist auch, dass sie die Fach­kräfte, die Facharbeiter und -arbeiterinnen, die sie benötigen, natürlich auch über die Lehre qualifizieren können und solcherart für guten Nachwuchs und auch eine gute Nachfolgeplanung in einem Unternehmen sorgen können.

Das spezielle Thema ist die Chancengleichheit, also: Wie kommen mehr Mädchen, mehr junge Frauen in die ÖBB hinein? Wie können wir sie begeistern, eine Lehre bei den ÖBB zu machen? – Wir haben vor einem Jahr die Diversity Charta 2020 verab­schiedet. Diese Diversity Charta 2020 besagt, dass bis zum Jahr 2020 der Anteil der weiblichen Lehrlinge auf 20 Prozent steigen soll. Wir haben im Moment einen Frauen­anteil von 16 Prozent. In den ganz, ganz stark technischen Bereichen, also zum Bei­spiel im Bereich Gleisbautechnik, haben wir ein großes Vorbild, „eine“ Vorzeigelehrling gewissermaßen, die den Leuten intern wie auch extern deutlich macht: Es ist schon auch cool, sehr stark in männliche Bereiche hineinzugehen!

Das, was ich damit sagen will, ist: Es ist auch eine Frage der Kommunikation. Es geht auch darum, die Leute vor den Vorhang zu holen, zu sagen: Das ist alles machbar, das ist alles denkbar, mach doch mit!

Ein weiterer Punkt, weil das immer wieder angeführt worden ist: Lehre mit Matura. In den ÖBB machen über 10 Prozent der Auszubildenden eine Lehre mit Matura, wobei der Großteil die AHS-Matura und der geringere Teil die HTL-Matura macht.

Was wir konkret machen? – Wir machen zum Beispiel Kooperationen mit der Techni­schen Universität – ich möchte das nur noch ganz kurz sagen –, weil es uns wichtig ist, ein Stück weit „fluent“ zu bleiben, Wissenstransfer, Erfahrungstransfer zu machen. Lehrlinge der ÖBB gehen mehrere Wochen an die Technische Universität, und Lehr­linge der Technischen Universität kommen in die ÖBB. Das halte ich für ein Erfolgspro­jekt.

Ich halte es für ein Erfolgsprojekt, dass die ÖBB gemeinsam mit dem AMS und dem abz im Rahmen des FiT-Programms junge Frauen, aber auch langzeitarbeitslose Frau­en qualifizieren, also zunächst einmal ansprechen können, positiv ansprechen und in weiterer Folge qualifizieren, damit wir mehr Triebfahrzeugführerinnen haben.

Das halte ich für ein wichtiges Engagement, wo es darum geht, dass Unternehmen nicht warten, bis sich etwas tut, sondern Unternehmer sich auch Gedanken darüber machen, was sie gemeinsam mit ganz wichtigen Institutionen Österreichs auf die Beine stellen können.

Zum Abschluss möchte ich noch zwei Dinge sagen. Wenn Sie Interesse an der Diver­sity Charta haben, dann finden Sie in diesem kleinen Tabernakel-Folder (die Rednerin zeigt einen Folder) Näheres.

Was mir im Rahmen der Lehrlingsausbildung aber auch ganz wichtig ist, ist die Men­schenbildung, und da bin ich wahnsinnig stolz auf den ÖBB-Konzern. Ein Beispiel, das ich in diesem Kontext anführen möchte, ist die ÖBB-Geschichtsarbeit.

Sie werden es mitbekommen haben, die ÖBB haben 2012 ihre Geschichte zwischen 1938 und 1945 aufgearbeitet. Und an dieser Aufarbeitung maßgeblich beteiligt waren und sind immer noch unsere Lehrlinge. Die Lehrlinge waren dabei, als wir kürzlich im Europäischen Parlament waren, die Lehrlinge waren dabei, als wir vor ungefähr einem halben Jahr im Landesmuseum Klagenfurt die Ausstellung gezeigt haben. Sie haben Jugendliche durch die Ausstellung geführt. Ich finde, die Unternehmen haben auch die Aufgabe, einen Blick auf die Person und auf das Menschenbild, das die Jugendlichen haben, zu werfen.

Und weil der Herr Staatssekretär gemeint hat, Industrie 4.0 wäre vielleicht auch eine Gefahr für das produzierende Gewerbe: Hier halte ich es mit einer guten Kombination aus Industrie 4.0 und dem, was Richard Sennett unter Handwerk versteht. Hier ist na­türlich die Politik gefordert. Hier sind wir als Privatpersonen gefordert, als Eltern gefor­dert, und hier ist wohl auch die Wirtschaft gefordert. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.27


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Die nächste Rednerin ist die Leiterin der Lehr­lings- und Jugendschutzabteilung der Arbeiterkammer Wien.

Abgesehen davon, dass Ihr Blog über Arbeit ein sehr, sehr interessanter und guter ist, habe ich auch herausgelesen, dass es für Sie auch wichtig ist, die Drop-out-Rate bei den Lehrlingen zu senken und dass das auch ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist. – Ich bitte Sie um Ihre Ausführungen.

 


10.28.14

Edith Kugi-Mazza (Leiterin der Lehrlings- und Jugendschutzabteilung der Arbeiter­kammer Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir ha­ben heute über die Lehre schon viel gehört, wie toll sie nicht sei, dass, wenn Gruppen aus Europa kommen, ganz stolz vorgeführt wird, was die Lehre zu leisten vermag, niedrige Jugendarbeitslosigkeit und dass wir den Fachkräftenachwuchs gesichert ha­ben.

Ich denke, wir sollten heute auch darüber reden – auch das ist heute schon angespro­chen worden –, dass die Lehre in Österreich nicht unbedingt das beste Image hat und dass viele die Lehre nur als zweiten oder dritten Ausbildungsweg sehen, nämlich dann, wenn eine Schulkarriere an einer berufsbildenden mittleren oder höheren Schule schei­tert. Ich meine, daran müssen wir noch arbeiten.

Wir haben heute gehört, dass es so ist und dass das eigentlich, das hat der Kollege aus der Schweiz gesagt, ungerecht ist und dass die Lehre das nicht verdient hat. Aber ich glaube, wir sollten doch hinschauen und uns fragen, wieso das so ist.

Es wird auch immer wieder davon gesprochen, dass wir bei den World- und EuroSkills viele Preise gewinnen, das ist sehr positiv, aber die Menschen nehmen das offensicht­lich nicht so wahr.

Wenn wir uns die Ergebnisse der Ausbildung in Österreich anschauen, müssen wir lei­der feststellen, dass rund ein Fünftel der Lehrlinge die Lehrabschlussprüfung beim ers­ten Mal nicht schafft, ich möchte das einmal ganz konkret hier sagen, und rund 5 Pro­zent nicht antreten. Wäre das bei anderen Bildungsgängen der Fall, würde wahrschein­lich nach Schuldigen gesucht, würde wahrscheinlich gesagt: Okay, das ist ein Riesen­problem, was sollen wir jetzt tun? – Bei der Lehre ist es leider Gottes so, dass man da offensichtlich nicht nach Gründen sucht.

Wir haben auch das Problem, dass ein Betrieb zum Beispiel, wenn eine Lehrausbil­dung ins Auge gefasst wird, einmal überprüft wird, und diese Ausbildungsberechtigung gilt, egal, was die Betriebe dann tun, für Jahre und Jahrzehnte. Ich glaube, da muss man einfach näher hinschauen.

Es gibt derzeit auch finanzielle Förderungen, zirka 160 Millionen, 170 Millionen im Jahr bekommen die Lehrbetriebe. Das ist auch gut so. Das Problem ist aber möglicherwei­se, dass es für einen Betrieb nicht unbedingt einen Anreiz darstellt, sich besonders um die Qualität zu bemühen, da diese Förderungen nicht an bestimmte zu erreichende Mindeststandards in der Ausbildung gekoppelt sind.

Wir müssen uns natürlich mit den Rahmenbedingungen, mit dem Ausbildungsprozess und auch mit den Erfolgsquoten der Lehrabschlussprüfung beschäftigen. Es ist so, dass in Deutschland schon Anfang der 2000er-Jahre begonnen wurde, sich mit Quali­tätssicherung auseinanderzusetzen. In Österreich beginnen wir jetzt damit. Es ist sehr gut, dass wir mit der Diskussion schon begonnen haben. Wir sollten da aber viel ge­nauer hinschauen und auch schneller weitertun.

Was die Berufsschulzeit betrifft – auch das ist schon angesprochen worden –: Es ist so, dass die schulische Ausbildung sehr unterschiedlich ist. Rund 20 Prozent der Lehr­linge haben derzeit noch 1 080 Stunden Berufsschulzeit, gerechnet auf die drei Jahre. Ziel wäre es, auf die 1 260 Stunden zu kommen. Allerdings ist es so, dass überwie­gend Frauen davon betroffen sind. Also 20 Prozent aller Lehrlinge, aber überwiegend Frauen, sind von der kurzen Berufsschulzeit betroffen.

Die Berufsschulzeit sollte man diskutieren, das ist sehr wichtig, weil eine längere Min­destberufsschulzeit doch eine gewisse Chancengleichheit schafft. Wir haben Betriebe, die sehr unterschiedlich ausbilden. Das heißt, bei einer längeren Berufsschulzeit gibt es die Möglichkeit des Nachholens von Defiziten, es bleibt mehr Zeit für Allgemeinbil­dung. Und man darf nicht vergessen, dass die Berufsschule oft auch der letzte Ort ist, wo die Leute noch berufliche Bildung und Allgemeinbildung erfahren können.

Das heißt, wir brauchen diese 420 Stunden Berufsschulzeit pro Jahr, also 1 260 Stun­den für dreijährige Lehrberufe. Das steht auch im Regierungsprogramm. Die Verwirkli­chung sollten wir rasch angehen.

Es ist auch wichtig, sich gemeinsam für die Qualität der Ausbildung einzusetzen, und zwar, indem man sich den Ausbildungsprozess ein bisschen besser anschaut. Es geht darum, das habe ich schon gesagt, dass finanzielle Förderungen an zu erreichende Mindeststandards in der Ausbildung geknüpft werden sollten.

Am Ende der Lehrzeit schauen wir uns an, wie die Lehrabschlussprüfung ausgeht, was die Leute können, aber das ist schon sehr spät. Ausbildungsdefizite können nicht mehr nachgeholt werden. Es wäre sinnvoll, eine Ausbildungsstandkontrolle während der Ausbildung zu machen.

Wir brauchen gut qualifizierte AusbilderInnen. Das heißt, eine Weiterbildung für Ausbil­derInnen ist wichtig.

Und aus allen Umfragen wissen wir – auch wir machen Umfragen, Frau Präsidentin (Zwischenruf der Bundesrätin Zwazl) –, dass Motivation, respektvoller Umgang, Er­folgserlebnisse, vielfältige Tätigkeiten und Aufgaben und ein positives Lernklima Dinge sind, die eine Ausbildung einfach gut machen. – Danke schön. (Beifall.)

10.33


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Als nächster Redner gelangt Herr Dr. Freund­linger von der Wirtschaftskammer Österreich zu Wort. Auch zu seinen Schwerpunkten zählt die Aufwertung der Lehrlingsausbildung und vor allem, dass die Diskussion zu keinem moralischen Problem wird, wie ich nachgelesen habe. – Bitte sehr.

 


10.33.54

Dr. Alfred Freundlinger (Wirtschaftskammer Österreich)|: Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Bildung ist heute in unseren Ländern Gott sei Dank nicht mehr auf wohlhabende Eliten be­schränkt, aber dass es gleiche Bildungschancen für alle gibt, so weit sind wir noch nicht ganz. Und es ist deshalb und auch aus Tradition so, dass – unter Anführungszei­chen – „höhere“ Bildungsabschlüsse ein enormer Prestigefaktor sind und eine große Portion an Dünkelhaftigkeit mit dem Thema Bildung in verschiedenste Richtungen ver­bunden ist.

Ich möchte quasi als Gegenmedizin eine Lanze für den Wert des Lernens am Arbeits­platz brechen. Ich selbst bin in der Bildungspolitik tätig. Und um es zu veranschauli­chen, möchte ich mich als Beispiel bringen.

Bildungspolitik lernt man in keiner Schule, auch an keiner Universität, jedenfalls nicht in Österreich. Ich betrachte mich als Lehrling in der Bildungspolitik, denn alles, was ich kann und gelernt habe, habe ich im Laufe meiner Tätigkeit am Arbeitsplatz gelernt.

Fragen Sie sich einmal selbst: Was können Sie alles aufgrund Ihrer Tätigkeit und nicht aufgrund Ihrer verschiedenen Vorbildungen?

Vorbildung ist wichtig, gar keine Frage, sonst wären wir gar nicht in der Lage, am Ar­beitsplatz zu lernen, aber das hat ungeheures Potenzial. Und vielleicht sollten wir – das ist an die Forschung gerichtet – das auch im Zusammenhang mit Lifelong Learning be­rücksichtigen, denn auch nachdem ich einen Abschluss erworben habe oder eine an­dere Ausbildungsform absolviert habe, lerne ich am Arbeitsplatz.

Die duale Berufsbildung hat durch die Kombination des Lernens am Arbeitsplatz und die schulische Ergänzung und dadurch, dass sie Teil des Bildungssystems ist, auch hervorragendes pädagogisches Potenzial, wird aber eben gerne zu gering geschätzt, weil sie nicht dem akademischen Bildungsideal entspricht und weil Lehrlingsausbildung auch, obwohl es Fachkräfteausbildung heißt, in der Hierarchie der Qualifikationen am unteren Rand angesiedelt ist. Selbstverständlich kann dual aber grundsätzlich in jeder Bildungshöhe gelernt werden.

Es gibt auch ein gewisses Misstrauen gegenüber Betrieben als Bildungsträger. Die sind ja nicht dafür da, die wollen ja vor allem Profit machen, heißt es.

Und dann haben wir als zweiten Trend, und das ist ganz gravierend, die demographi­sche Entwicklung. Der Rückgang der Lehrlingszahlen ist alarmierend. Es ist von 40 Prozent gesprochen worden. Ich sehe das nicht so gemächlich. Wir verlieren mehr, wir verlieren Anteile in der Lehrlingsausbildung. Ein Grund dafür ist Bewerbermangel.

Eine Folge der demographischen Entwicklung einerseits und dieses Trends zu immer höherer Bildung andererseits ist, dass Betriebe zunehmend Probleme haben, ihre Lehrstellen zu besetzen. Wir haben eine Befragung gemacht. In dieser haben 9 Pro­zent der Betriebe angegeben, dass es unmöglich ist, ihre Lehrstellen zu besetzen. Ins­gesamt haben zwei Drittel gesagt, dass sich die Lehrlingssuche sehr schwierig und im­mer schwieriger gestaltet.

Es bedarf deshalb unbedingt einer Stärkung der dualen Berufsausbildung im Bildungs­system. Es genügt nicht, dass sie dort verankert ist, sie muss auch den gebührenden Platz haben. Und dazu müssen alle Kräfte zusammenarbeiten.

Die Sozialpartnerschaft ist schon gelobt worden, darum werden wir uns weiterhin be­mühen.

Natürlich bedarf es eines Qualitätsmanagements. Daran arbeiten wir auch schon.

Mein Appell an alle ist: Sehen wir uns selbst als Lehrlinge, dann sind wir in der Lage, diesem System gerecht zu werden. (Beifall.)

10.38


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Als nächsten Redner darf ich Herrn Mag. Mayr vom Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft um seinen Beitrag zu „Die duale Aus­bildung – hohe Bedeutung für eine nachhaltige und vor allem soziale Wirtschaftsent­wicklung“ bitten.

 


10.38.23

Mag. Thomas Mayr, MA (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Grunde könnten wir uns zurücklehnen. Auf den ersten Blick scheint es tatsächlich so zu sein, dass die Lehrlingsausbildung in Österreich hervorragend funktioniert. Wir haben insgesamt hohe Abschlussraten im europäischen Vergleich. Wir haben niedrige Abbruchquoten im internationalen Vergleich, was das Bildungssystem generell betrifft. Wir haben eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit im internationalen Vergleich. Wir haben auch – und jetzt komme ich zu den ökonomischen Indikatoren – eine hohe Produkti­vität der Arbeit in Österreich. Wir haben auch, was die Berufseinmündung der Lehrab­solventen betrifft, absolut zufriedenstellende Daten. 93 Prozent der Lehrabsolventen sind auf Fachkraftniveau oder sogar darüber beschäftigt.

Daher ist es, könnte man sagen und kann man auch sagen, kein Wunder, dass wir hier tatsächlich momentan ein internationales Best-Practice-Beispiel abgeben, dass Dele­gationen nach Österreich pilgern und dass wir laufend – mein Institut kann sich sogar kaum noch erwehren – Einladungen bekommen, bei Projekten mitzumachen, auf Kon­ferenzen zu sprechen und unser System zu präsentieren, was natürlich wunderbar ist.

Gerade in einem – unter Anführungszeichen – „PISA-geprügelten“ Österreich ist es na­türlich eine besondere Situation, jetzt auf einmal auf der Seite des Bewunderten zu ste­hen.

Gleichzeitig aber müssen wir anerkennen und sehen, dass die Lehrlingsausbildung auf einem labilen Gleichgewicht basiert. Das ist keine zentrale Angebotssteuerung, die wir hier vornehmen, sondern die Lehrlingsausbildung in Österreich basiert auf Ausbil­dungsentscheidungen, die in Österreich jedes Jahr individuell und tausendfach durch Unternehmen getroffen werden. Und hier sehen wir tatsächlich auf den zweiten Blick, dass die Situation nicht mehr so berauschend ist.

Erstens gibt es einen beträchtlichen Rückgang an Lehrbetrieben, was natürlich sehr stark mit der Wirtschaftskrise und mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel in Verbin­dung steht. Es hat zweitens aber auch damit zu tun, dass es für unsere Unternehmen – mein Vorredner Albert Freundlinger hat es bereits angesprochen – zunehmend schwe­rer ist, geeignete Bewerber für ihre angebotenen Lehrplätze zu bekommen.

In weiterer Folge hat das auch mit einem Imageproblem zu tun, das wir – Staatssekre­tär Mahrer hat es heute Morgen angesprochen  durchaus als skurrile Situation be­zeichnen können. Wir werden international bewundert, im Land selbst hat die Lehr­lingsausbildung jedoch nicht jenes Image, das man vielleicht im Ausland vermuten würde. Vor Kurzem hat ein EU-Beamter zu mir gesagt: Euer Lehrlingssystem ist doch world class, das Weltbeste. Das ist sozusagen der Blick von außen, im Land wird es leider ein wenig anders gesehen.

Ein Problem ist, dass man in Österreich die Lehrlingsausbildung primär als eine Defizit­agenda diskutiert. Wir sehen eher, was nicht funktioniert, und konzentrieren uns da­rauf, graben uns dann in Schützengräben ein und diskutieren über Dinge, die wir als Problem wahrnehmen, ohne aber ein gemeinsames Bild einer Stärkenorientierung, ei­nes Stärkenbewusstseins zu haben.

Meine These ist, dass man genau dieses Stärkenbewusstsein als Ausgangslage neh­men müsste, um das Lehrlingssystem weiterzuentwickeln. Wenn man sich nämlich nur auf dieser Defizitagenda bewegt, dann erschwert das die Systementwicklung, denn es nimmt den Blick auf das tatsächlich Wesentliche und nimmt auch den Blick darauf, wie wir es schaffen können, dieses bestehende labile Gleichgewicht zu erhalten und in die Zukunft zu tragen.

Zwischen der Fundamentalkritik auf der einen Seite – die sehr stark auch von einem prinzipiellen Misstrauen gegenüber Unternehmen gekennzeichnet ist – und den Aussa­gen auf der anderen Seite, die Qualität und Qualitätssicherung einzig und allein mit dem Vorhandensein des betrieblichen Engagements in Verbindung bringen, müssen wir einen Mittelweg finden, der es auf Basis der Stärken des Systems schafft, dieses insgesamt weiterzuentwickeln.

Dazu möchte ich zwei Dinge ansprechen, die mir hier vorschweben.

Zum einen: Da es die politische Entscheidung gegeben hat, den durch das IESG ge­schaffenen Insolvenz-Entgelt-Fonds auch als Ausbildungsfonds zu verwenden, haben wir in Österreich jetzt die Chance, das System durch eine Vielzahl von Projekten insge­samt weiterzuentwickeln und Dinge in die Zukunft zu tragen.

Zum Zweiten: Obwohl durch die Basierung des Lehrlingssystems in unserem Bildungs­system bereits eine gute Ausgangslage vorliegt, müssen wir es schaffen, diese Positio­nierung im Bildungssystem noch stärker voranzutreiben.

Dazu schwebt mir ganz besonders Folgendes vor: Der Nationale Qualifikationsrahmen, der hoffentlich im nächsten Jahr durch ein Gesetz auf Schiene gebracht wird, muss da­zu genützt werden, die Qualifikationsleitern, die Durchlässigkeit aus der Lehrlingsaus­bildung heraus, besser zu kommunizieren und zu signalisieren. Man muss das auch als Anlass dafür nehmen, den weiterführenden Ausbildungen nach der Lehrlingsausbil­dung mehr Sichtbarkeit zu geben.

Das Thema Durchlässigkeit wurde schon besprochen, und wir haben gehört, dass sich die Durchlässigkeit von der Lehrlingsausbildung in die akademische Tertiärbildung in Österreich in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Meine These ist: Man muss diese Durchlässigkeit noch breiter gestalten. Man darf nicht nur darauf achten, dass die Durchlässigkeit insgesamt funktioniert, sondern man muss sich auch die Frage stellen: Wohin soll die Durchlässigkeit gehen? – Eine Richtung, die sehr gut und wichtig ist, ist die akademische Tertiärbildung. Missen möchte ich auch die Berufsreifeprüfung nicht, aber man darf nicht übersehen, dass sich die Durchlässigkeit auch in eine tertiäre Be­rufsbildung ergeben kann.

In Österreich gibt es eine Vielzahl von Ausbildungen: Meisterprüfungen, Befähigungs­prüfungen, Werkmeisterschulen, Bauhandwerkerschulen et cetera. Diese sind aller­dings alle miteinander nicht unter einem gemeinsamen Dach vereint, sie geben eine heterogene Landschaft ab. Es muss uns gelingen, diese Ausbildungen unter ein ge­meinsames Dach zu bringen, um ihnen mehr Attraktivität und mehr Sichtbarkeit zu ge­ben.

In diesem Zusammenhang tut es mir leid, Professor Wolter – wiewohl ich Ihr Referat hervorragend gefunden habe –, dass Sie nicht mehr über die Schweiz gesprochen ha­ben, denn die Schweiz ist in diesem konkreten Fall meiner Meinung nach tatsächlich ein Vorbild. Diese höhere tertiäre Berufsbildung, die in der Schweiz Tertiär B genannt wird – worin die Schweizer ihre Pendants zu unseren Meister-, Befähigungsprüfungen et cetera unter ein gemeinsames Dach gestellt haben –, wird als gleichwertig neben die Universitäten und Fachhochschulen gereiht.

Für mich ist das eine Entwicklungsschiene, die wir angehen sollten und die wir uns als Vision für die nächsten fünf bis zehn Jahre vornehmen sollten: genau diesen Sektor der höheren, der tertiären Berufsbildung als gleichwertige Säule neben die akademi­sche Tertiärbildung zu stellen. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.45


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Nun gelangt der geschäftsführende Institutslei­ter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung zu Wort. Einige Ihrer Schwerpunkte sind Lebenslanges Lernen, die professionellen Beratungsdienste im Bil­dungswesen und das Projekt „Ausbildung am Start – StartAPP“, das im Septem­ber 2014, glaube ich, gestartet wurde: „Erfolgreich Lehrlinge finden und als Fachkräfte binden – wie das geht?“, eines dieser Modelle, die von Ihnen mitgefördert werden.

 


10.46.08

Dr. Peter Schlögl (Geschäftsführender Institutsleiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Den Begriff „Lehrlingsausbildung“ gibt es ja in Österreich nicht, auch den Begriff „duale Ausbildung“ gibt es nicht. Es gibt ein Berufsausbildungs­gesetz mit einer lange zurückreichenden Tradition. Und Systeme mit einer langen Tra­dition – mit einer längeren Tradition als die Universitäten, was einiges heißt – leben manchmal davon, dass die Bilder, mit denen sie beschrieben werden, zu Evidenzen und Tatsachen werden. Dadurch verliert man manchmal den Blick auf die Dinge, wie sie dann down-to-earth tatsächlich laufen.

Ich möchte jetzt nicht von Mythen sprechen, aber es gibt doch bestimmte Beschrei­bungen, die sich in der Sichtweise von jungen Menschen, von Ausbildungsverantwortli­chen, von Eltern, von Lehrkräften und vielen anderen manifestieren. Die Aufgabe der Forschung ist es primär, Evidenzen zu generieren, um das noch einmal aufzubrechen und neu zu verhandeln, aber es gibt schon ein paar Dinge, die diese Traditionen auch im Gesetzlichen oder im Normativen fortschreiben.

Eines ist schon gefallen, das ist der Begriff Lehrling, wo ein bestimmtes Bild festge­schrieben wird, das vielleicht auch nicht zukunftsfähig ist. Oder: Wenn ich mit meinen Studierenden das österreichische Berufsausbildungsgesetz durcharbeite, dann bleiben sie jedes Mal an der Stelle des Gesetzes hängen, wo ein explizites Züchtigungsverbot seitens der Ausbildungsverantwortlichen und deren Haushaltsangehörigen steht. Das sind Dinge, die sichtbar machen, dass wir hier mit Mustern umgehen müssen, die viel­leicht aufgebrochen gehören.

Ich verwende trotzdem den Begriff duale Ausbildung; Sie werden gleich merken, wa­rum. Gibt es denn „die“ duale Ausbildung? – Diese Frage stellt sich mir oft, wenn ich in die bunte Landschaft der Ausbildung schaue. Natürlich, es gibt eine gesetzliche Rege­lung: Es gibt ein Schulorganisationsgesetz, worin die Berufsschule als der zweite, der duale Lernort genannt wird, aber wenn man genauer liest, gibt es massive Unterschie­de in den Regionen und in den Organisationen, es besteht eine hohe Flexibilität in der operativen Umsetzung, und das ist gut so.

Wie sollte es denn anders gelingen, so vielfältige Berufsprofile zu realisieren, wenn hier nicht große Flexibilität gegeben wäre? Die Kehrseite solcher Flexibilität ist natürlich die Frage der Verlässlichkeit oder die Frage von Intransparenz: Worauf kann man sich denn stützen? – Denn wenn die Ausbildung im Betrieb A so ist, dass dort jemand gute und exquisite Erfahrungen machen kann, gibt es dann eine Garantie, dass es im Aus­bildungsbetrieb B auch so ist?

Diese Flexibilität auf der Systemebene hat das System mehrfach nachgewiesen. Ich denke dabei an das Beispiel der integrativen Berufsausbildung, ein wirkliches Vorzei­geprojekt, das im vollschulischen Bereich so noch nicht realisiert wurde. Und ich denke dabei an die Kombination Lehre, Matura, Berufsreifeprüfung, um die Durchlässigkeit zur höheren Bildung zu fördern.

Diese Flexibilität ist aufseiten des Systems gegeben, und auch die verantwortlichen Institutionen und Personen, die das System steuern, arbeiten daran.

Aus Sicht der Individuen ist das aber gleichzeitig mit einer hohen Intransparenz ver­bunden. Es erfordert intensive Beratung, Unterstützung und Begleitung in den Über­gangsprozessen, aber diese Verlässlichkeit muss auch systematisch hergestellt wer­den. Es wurde bereits punktuell angesprochen, dass es eines der Probleme des ös­terreichischen Systems ist, diese Verlässlichkeit sichtbar zu machen und zu klären. In anderen Bildungssystemen löst man das über Qualitätssicherungsverfahren. Das ös­terreichische duale System ist das einzige Bildungssystemelement, das kein systemati­sches Qualitätssicherungsverfahren hat.

Das manifestiert sich dann in Fragen der Durchlässigkeit, wobei die Einzelpersonen vielfach um Anrechnung ringen müssen und sich fragen: Was wird mir angerechnet, wenn ich von der dualen Ausbildung woanders hin wechsle? – Diese Frage gilt auch für die umgekehrte Form. Die Beschreibungsmuster, die Semantiken, die Logiken sind einfach so unterschiedlich, dass hier keine Klarheit besteht.

Ein kurzes Wort noch zum zweiten Lernort, der Berufsschule. Im Hinblick auf höhere Anforderungen für eine dauerhafte Beschäftigungsfähigkeit wurde bereits mehrfach der Bedarf, den Lernort Berufsschule aufzuwerten, angesprochen. Insgesamt die Berufs­schulzeit zu erweitern, das ist schon zweimal erwähnt worden.

Erwähnen möchte ich noch einen Aspekt, der für den pädagogischen Alltag vielleicht von hoher Bedeutung ist: Man sollte sich einmal genau anschauen, welche Lernbelas­tung junge Leute während des Berufsschulbesuchs an Berufsschultagen effektiv ha­ben, wie viele Stunden sie dort verbringen müssen. Neun Stunden Unterricht am Stück oder, wenn es lehrgangsmäßig ist, in einer wirklich intensiven Form, bis zu 45 Wochen­stunden lernen – das würde man sonst niemandem zumuten. Das ist schon eine Be­lastung, die man den Studierenden oder den VollzeitschülerInnen nicht zutraut. Da soll­te man einmal genauer hinschauen und genauer darauf eingehen.

Noch drei Aspekte in Hinblick auf die Genderproblematik: Ja, wir haben hier ein Pro­blem, das durchgängig zu gestalten. Es gibt allerdings auch interessante Befunde. Wenn man sich die TeilnehmerInnen bei der Berufsreifeprüfung anschaut, dort sind überdurchschnittlich viele Frauen vertreten. Ob das jetzt ein kompensatives Element ist oder was auch immer, müsste man erst schauen. – So viel zum ersten Aspekt.

Der zweite Aspekt betrifft die schwierigen Arbeitsmarktsituationen. Wie man weiß, wer­den in schwierigen Arbeitsmarktsituationen eher traditionelle Berufsentscheidungen ge­troffen. Es müssten also die Phasen genützt werden, in denen der Arbeitsmarkt ent­spannt ist, um junge Menschen dazu zu motivieren, nicht traditionelle Entscheidungen zu treffen.

Der dritte Aspekt, der ganz oberflächlich daherkommt, aber einen wichtigen Effekt hat, ist: Wie bezeichnen wir Berufe? Wir wissen aus der Forschung, dass die Bezeich­nung eines Berufes einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Berufswahl hat. Aufgrund der Ergänzungen nach dem Bindestrich  zum Beispiel Fachbereich-Gestaltung oder Fachbereich-Technik – lässt sich relativ gut prognostizieren, ob sich Männer oder Frauen für diesen Beruf interessieren werden.

Wenn man den Blick in Richtung der Berufsbezeichnungen weitet, dann schafft man es vielleicht, die Erfolge der dualen Ausbildung, die unbestritten da sind, mit den korres­pondierenden Schwächen ein bisschen stärker in die Balance zu bekommen. Ich bin gespannt, wie uns das in den nächsten Jahren als Weiterentwicklung eines erfolgrei­chen Modells gelingen wird. Danke schön. (Beifall.)

10.52


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Nun gelangt Herr Ing. Werner, Direktor der Be­rufsschule Villach, zu Wort. Auf der Homepage der Fachberufsschule Villach 1 ist zu lesen: „generalistische Ausbildung“, die „über den ,Tellerrand’ des eigenen Berufsbil­des“ hinausgeht. Weiters heißt es: Offenes Lernen, zum Beispiel in der Logistikklasse – einer Ihrer Schwerpunkte und anscheinend auch eines Ihrer Erfolgsrezepte. – Bitte.

 


10.53.19

Ing. Walter Werner (Direktor Fachberufsschule Villach 1)|: Werte Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren hier im Saal! Wow – kann ich nur sagen! Ich habe mich da­rauf vorbereitet, Ihnen allen zu sagen, was uns fehlt, was wir tun müssen, was ge­macht gehört. Übrig geblieben ist das. (Der Redner hält ein kleines Blatt Papier in die Höhe.) Alle wissen Bescheid, worum es geht. Jeder Einzelne weiß Bescheid, all die Experten – die ich wunderbar in Ihren Ausführungen gefunden habe – wissen Be­scheid. Aber ich bin mir hier trotzdem vorgekommen wie ein Patient, um den die Ärzte herumstehen. Es wissen zwar alle, worum es geht, aber ich bekomme die Medizin nicht. Sie geben sie mir nicht. Niemand will mir das geben, was ich wirklich brauche.

Wenn ich zu gewissen Themen meiner Vorredner Stellung nehmen darf: Kooperation zwischen den Schulen, 4.0, Bildung muss kooperativ sein, dann muss ich fragen: Wenn man das alles weiß, warum unterstützt und fördert man das nicht in einem vehe­menteren Ausmaß, als es derzeit stattfindet?

Ich möchte hier als Beispiel die Berufsorientierung anführen. Ich habe es in meiner vor­bereiteten Rede angeführt: Können Sie sich vorstellen, dass ein Fußballverein – weil wir hier in Wien sind, FK Austria Wien oder SK Rapid Wien – alle 13- bis 14-jähri­gen Kinder zusammenholt und ihnen einen Videofilm und einen Folder über den Au­ßenverteidiger, den Tormann, den Stürmer zeigt und die Kinder daraufhin entscheiden lässt, welche Position sie gerne spielen möchten? Vielleicht zeigt man den Kindern noch einen Film eines seinerzeit jubelnden Hans Krankl. Können Sie sich vorstellen, wofür sich die Jugendlichen entscheiden? – Selbstverständlich für die Position, die ih­nen am meisten gefällt. Aber dieser Klub wäre nie erfolgreich.

Was machen diese Vereine? – Sie fördern diese Jugendlichen von klein auf. Sie unter­stützen sie, sie schauen auf ihre Stärken und ihre Schwächen. In einem Profifußball­verein arbeitet man an der Persönlichkeit der Jugendlichen von Anfang an und unter­stützt sie in dieser Sache, sonst wäre niemand so erfolgreich. Gleich ist es auch in der Lehrerausbildung, um dieses Thema auch einmal anzuschneiden. Hier braucht es Persönlichkeiten, die sich auf die Jugendlichen einlassen, die sie stützen und die sie fördern.

Erlauben Sie mir den Vergleich: In eine Klasse zu gehen, ist manchmal, wie wenn ein Dompteur in die Arena geht. Können Sie sich vorstellen, dass ein Dompteur erfolgreich ist, wenn ich ihm erkläre, dass der Tiger so und so dickes Fell und eine bestimmte Zahnlänge hat, und ihm dann noch etwas über das Institut, den Zirkus, wie der Zirkus funktioniert, wie die finanzielle Gebarung ist und so weiter erzähle? – Dieser Dompteur würde nicht lange überleben, weil man vergessen hat, ihm zu erklären, auf welche Sig­nale er achten muss, und weil man vergessen hat, ihm zu sagen, was denn am Ende herauskommen soll.

Ich war bei den einzelnen Referenten verwundert, dass man zwischen beruflicher Bil­dung/duale Ausbildung und beruflicher Bildung und Universität differenziert. Was ist das Ende jeder Ausbildung? – Das Ende jeder Ausbildung ist die Verfestigung auf dem Arbeitsmarkt, das Ende jeder Ausbildung ist ein gesicherter Job! Egal, ob ich ein Stu­dium, die Fachhochschule, eine duale Ausbildung oder sonst irgendetwas mache, all das ist das Ziel dieser Ausbildung.

Deshalb ist hier zu unterscheiden: Die formellen Voraussetzungen auf Durchlässig­keit – wie es angesprochen wurde –, die gibt es, nur im operativen Geschäft, da fehlen sie uns manchmal. Da gehört wesentlich mehr Engagement und wesentlich mehr Initia­tive hinein. Die duale Ausbildung ist in Österreich ein erfolgreiches System, nur wird es in Zukunft Kooperationen bedürfen, vom Kindergarten, von der Grundschule weg bis zur ersten beruflichen Bildung, damit wir weiterhin erfolgreich sind, damit wir weiterhin diese niedrigen Zahlen der Jugendarbeitslosigkeit, die genannt wurden, halten können. Nur dann, wenn die Jugendlichen in der Lage sind, in der Firma zu bestehen, wird auch die Firma bereit sein, jemanden auszubilden und in diese Personen zu inves­tieren.

Und wenn ich mit Innungen und Betrieben spreche, was mein tägliches Geschäft ist, dann höre ich, dass das genau das ist, was sie vermissen. Die Persönlichkeit, das, was man früher unter „Benehmen“ deklariert hat, diese Dinge vermissen sie zum Groß­teil. Und zum fachlichen Wissen – wie heute bereits angesprochen –: Wir beginnen in der ersten Klasse Berufsschule, beginnen heuer und beenden unsere Ausbildung in vier Jahren, das heißt, wir wissen nicht einmal, was in vier Jahren Stand der Technik ist. So schnell geht dieser Wechsel. Das heißt, wir müssen ihnen Dinge und Kompe­tenzen beibringen, die ihnen bleiben, die sie auch in vier Jahren noch nützen können. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

10.58


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Ein Mann aus der Praxis! Ich danke für Ihre Ausführungen.

Zu Wort gelangt nun der Lehrlingsstellenleiter der Wirtschaftskammer Wien, Herr Mag. Erich Huber. Prestige stärken, auch für Sie ein Schwerpunkt, und die Vorbildrolle in Europa weiterhin ausbauen. – Bitte.

 


10.58.45

Mag. Erich Huber (Lehrlingsstellenleiter Wirtschaftskammer Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte auf zwei Aspekte hinweisen, worin das duale System in Österreich aus meiner Sicht Stärken hat und worin eben diese Vorbildfunktion für Europa auch ge­geben ist.

Es ist schon mehrfach angesprochen worden: Wir haben in den letzten Jahren sehr viel Besuch, sehr viele Delegationen aus dem Ausland, die sich unser System an­schauen, auch bei uns in der Lehrlingsstelle. Die Teilnehmer dieser Delegationen sind immer wieder erstaunt, wenn sie sehen, wie viele Unternehmen sich einmal grundsätz­lich überhaupt bereit erklären, an der Ausbildung mitzuwirken, Verantwortung zu über­nehmen, auf eigene Kosten Lehrlinge auszubilden, was den fachlichen Teil betrifft.

Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist das, was das duale System, die Lehre leistet, in der Ermöglichung des Berufseinstiegs für viele SchulabbrecherInnen.

Zum ersten Aspekt noch einmal: Das, was seitens der Betriebe geleistet wird, kann na­türlich nur dann geleistet werden – und das ist auch schon mehrfach angesprochen worden –, wenn es Jugendliche gibt, die sich für Lehrstellen bewerben, die entspre­chend an den Berufen interessiert sind, die wissen, worum es geht, und wenn es nicht darum geht, dass in den Betrieben Defizite in grundlegenden Kulturtechniken nachge­holt werden müssen, wobei man bei Schulabsolventen eigentlich davon ausgehen kön­nen müsste, dass diese vorliegen.

Ich glaube aber auch, dass es für das duale System in Österreich ein ganz wesentli­cher Faktor ist, dass sich viele Menschen, Tausende von Leuten auf der Ebene der Be­rufsvertretungen und der Interessenvertretungen für dieses System engagieren, denn nur dadurch, dass diese Leute bereit sind, ihr Wissen und ihre Erfahrung einzubringen, ist es möglich, die Berufe auf dem aktuellen Stand zu halten. Diese Personen stehen dann auch für Prüfungen, für Entwicklung von Berufsbildern et cetera und letztlich so­mit auch für Qualitätsmaßnahmen in dem Bereich der Lehre zur Verfügung. Dass dies nicht selbstverständlich ist, möchte ich auch einmal betonen, und das wird auch nur dann weiterhin der Fall sein, wenn diese Personen eine entsprechende Wertschätzung erfahren und man ihren Beitrag anerkennt.

Der zweite Aspekt, der schon mehrfach angesprochen worden ist, ist die Durchlässig­keit: auf der einen Seite Durchlässigkeit nach Ende der Lehrausbildung, aber auf der anderen Seite ist es aufgrund des nicht immer funktionierenden Berufsorientierungs­systems, wie heute schon oft gesagt wurde, ganz wesentlich, dass die Lehre eine Al­ternative ist.

Es gibt viele Leute, viele junge Leute, die in schulischen Ausbildungen sind, für die sie eigentlich nicht wirklich optimal geeignet sind, die dann draufkommen, dass sie besser in einer praktischen Ausbildung aufgehoben sind. Und da ist es die Lehre, die als Sys­tem sehr flexibel ist und die es vielen Leuten ermöglicht, wenn sie aus der schulischen Ausbildung ausscheiden, eine berufliche Ausbildung zu beginnen und diese auch er­folgreich abzuschließen. – Das ist der eine Aspekt.

Es ist, glaube ich, auch schon gesagt worden, dass derzeit ungefähr 35 Prozent der Lehranfänger aus den polytechnischen Schulen kommen. Das heißt, ein überwiegen­der Anteil von Beginnern in der Lehre kommt aus anderen Schulen.

Und was die Durchlässigkeit am Ende der Lehre anlangt: Es ist ganz wichtig, dass auch ohne formale Matura – so wichtig Lehre mit Matura ist – Weiterbildungsmöglich­keiten auf tertiärer Ebene geschaffen und gefördert werden. Als Beispiel kann man die Berufsakademien nennen, ein neues Konzept, das heuer erstmals gestartet wurde und das aus meiner Sicht der richtige Weg ist, um die Lehre auch auf diesem Sektor wei­terzuentwickeln. – Danke schön. (Beifall.)

11.03


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Ich erteile jetzt Herrn Gollinger, dem Vertreter der Berufsschülerinnen und Berufsschüler, entsendet von der österreichischen Bun­desschülervertretung, das Wort. Er ist auch Landesschulsprecher der Berufsschulen, und in welcher Berufsschule er Schulsprecher ist, werden wir jetzt vielleicht erfahren. – Bitte.

 


11.04.05

David Gollinger (Bundesschülervertretung)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Zu­nächst möchte ich mich einmal vorstellen: Ich bin David Gollinger, bin dieses Jahr Bun­desschulsprecher-Stellvertreter und habe somit die Ehre, alle Berufsschüler Öster­reichs zu vertreten, bin Schulsprecher in der Berufsschule Mattersburg, falls das je­manden interessiert, und ich bin ein Fan des dualen Ausbildungssystems. Um dieses System werden wir europaweit beneidet, doch das heißt nicht, dass es in Österreich genug Ansehen genießt und es keine Verbesserungsnotwendigkeiten gibt.

Ich möchte Ihnen jetzt eine zentrale Forderung der Bundesschülervertretung mitteilen, und zwar ist das die Attraktivierung der Lehre durch die Einführung einer Mindestlehr­lingsentschädigung, die vom Staat finanziert werden soll. Das heißt, Betriebe zahlen den Lehrlingen das Gleiche, was sie ihnen auch ohne diese Mindestlehrlingsentschädi­gung zahlen würden, und der Staat gleicht den Differenzbetrag auf die gedachte Min­destlehrlingsentschädigung aus, da es für uns nicht einzusehen ist, warum Lehrlinge so immens hohe Kosten selbst zu tragen haben.

Der zweite Punkt ist das Projekt Erasmus+. Es müssen endlich genügend Informa­tionen an die Lehrlinge ergehen und auch Anreizmodelle für die Betriebe geschaffen werden, damit diese den Lehrlingen den Auslandsaufenthalt erlauben, denn eines ist klar: Wenn unsere zukünftigen Fachkräfte sich europaweit austauschen, kann das doch nur dem Staat helfen. – Danke sehr. (Beifall.)

11.05


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Ich darf nun die Vertreterin und den Vertreter der Schülerinnen und Schüler der Fachberufsschule Villach 1, Frau Nadine Stoxreiter und Herrn David Traun, um ihre Beiträge bitten. Die Lehre mit Matura hat viele Stra­pazen, aber die nehme ich gerne auf mich, ist eine Ihrer Aussagen, Frau Stoxreiter. Ich bin schon sehr gespannt. – Bitte.

 


11.06.00

Nadine Stoxreiter (Fachberufsschule Villach 1, „Lehre mit Matura“)|: Ich darf Sie, sehr geehrte Damen und Herren, zu meinem Eingangsstatement zu Lehre mit Matura recht herzlich begrüßen. Ich und mein Kollege David Traun werden versuchen, Ihnen unsere Erfahrungen mit Lehre mit Matura etwas näherzubringen.

Ich bin 20 Jahre alt, komme aus Villach und lerne seit 1. September 2011 bei Infineon, einem der weltgrößten Chip-Produzenten, Mechatronikerin und Elektrobetriebstechni­kerin. Ich entschied mich für diesen Beruf, weil ich schon von klein auf irgendetwas im technischen Bereich der Elektronik lernen wollte. Bestärkt wurde ich durch meinen Bruder, der ebenso Elektriker lernte. Mein Lehrbetrieb, die Firma Infineon, bot mir die Möglichkeit, in das Modul Lehre mit Matura einzusteigen. Nach einem Gespräch mit der Lehrlingsbeauftragten, die mir mitteilte, was alles auf mich zukommen wird, sollte ich mich für diesen Weg entscheiden, hatte ich ein bisschen Bedenkzeit.

Nach dieser Bedenkzeit war mir eigentlich sofort klar, ich werde in dieses Modul ein­steigen, da mir anschließend an die Lehre immer noch die Möglichkeit eines Studiums offensteht.

Zurzeit befinde ich mich im vierten Lehrjahr und habe bereits die Teilprüfung der Deutsch-Matura erfolgreich absolviert. Die Ausbildung ist bei Infineon so organisiert, dass man die ersten eineinhalb Jahre an der Technischen Akademie in Wolfsberg ver­bringt. Somit begann auch die erste Herausforderung, in die Maturaschule in Wolfsberg im Lavanttal zu gehen und gleichzeitig auch für die Technische Akademie zu lernen. Dies war sehr anstrengend und sehr belastend.

Durch das Setzen von Prioritäten konnte ich diese Hürde meistern. Anschließend wechselte ich in die Fachberufsschule nach Villach, wo ich zurzeit die Berufsschule besuche. Es gibt leider eine organisatorische Überschneidung der Berufsschule mit der Maturaschule, aufgrund dessen muss ich jeden Montag zwischen Maturaschule und Berufsschule hin- und herwechseln. Da sich aber beide Schulen im selben Gebäude befinden, ist dies eine erhebliche Erleichterung für mich.

Meines Erachtens gehört ziemlich viel Organisationstalent und Selbstdisziplin dazu, damit man in beiden Schulen positiv abschließen kann. Ich nehme diese Strapazen wirklich gerne auf mich, da ich anschließend an die vier Jahre zwei Berufe habe und die Matura.

Ein weiterer wirklich großer Vorteil ist meines Erachtens, dass ich in der Ausbildungs­zeit schon Geld verdiene, somit kann ich mir auch schon ein Auto und eine Wohnung leisten. Wenn ich meine Entscheidung Revue passieren lasse, muss ich sagen, ich bin zwar vor der Lehre drei Jahre in die Landwirtschaftliche Fachschule Drauhofen in Möllbrücke gegangen und hätte anschließend an diese Schule einen dreijährigen Auf­baulehrgang zur Matura machen können, der sogar ein Jahr kürzer gewesen wäre, doch ich bin mit meiner Entscheidung wirklich zufrieden, weil ich anschließend zwei Lehrabschlusszeugnisse in der Hand halte.

Insgesamt betrachtet kann man sagen, wer sich für den Weg Lehre mit Matura ent­scheidet, sollte sich dessen bewusst sein, dass das kein Honigschlecken ist, sondern wirklich eine Herausforderung. Ohne Selbstdisziplin kommt man in diesem Modul echt nicht weit, und man muss sich seiner Stärken und Schwächen bewusst sein. Man be­kommt zwar ein Zeugnis, das aber eigentlich nur einen informativen Zweck hat, und die Noten sind nicht ausschlaggebend für das Aufsteigen in das nächste Lehrjahr. Auf­grund dessen sollte man wirklich ziemlich viel Selbstdisziplin beweisen und auch ler­nen. (Vizepräsident Himmer übernimmt den Vorsitz.)

Ich finde diesen Weg wirklich zukunftsorientiert und bin mir sicher, dass er mir in Zu­kunft in meiner Berufswelt mehr Chancen und auch mehr Weiterbildungsmöglichkeiten bietet. Ich will diese natürlich nutzen und strebe auch ein Studium im technischen Be­reich an. Nun übergebe ich das Wort an meinen Kollegen David. (Beifall.)

11.09


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Nächster Redner ist Herr Traun. Er hat sehr viele Erwartungen, ist aber auch bereit, dafür sehr viel zu tun. – Ich bitte um Ihre Aus­führungen.

 


11.10.07

David Traun (Fachberufsschule Villach 1, „Lehre mit Matura“)|: Sehr geehrte Damen und Herren, auch von meiner Seite ein herzliches Grüß Gott! Nach meiner Kollegin Na­dine möchte auch ich noch einige interessante Aspekte zum Thema Lehre mit Matura aus meiner Sicht nennen. Vorerst ein paar Worte über mich selbst: Mein Name ist Da­vid Traun, ich bin 18 Jahre alt und komme aus Heiligenblut am Großglockner.

Ich besuchte die Volksschule in Heiligenblut, die Hauptschule in Winklern und als 9. Schuljahr die Hotelfachschule in Lienz in Osttirol. Diese brach ich aber aufgrund zu weniger Praxiseinheiten ab und entschloss mich, eine Kochlehre im See Restaurant Saag am Wörthersee zu beginnen. Auch mein Vater war Koch und brachte mir schon als Kind viele Fertigkeiten bei.

Koch ist natürlich ein sehr bodenständiger Beruf, für den man eigentlich keine Matura benötigt. Doch aufgrund meiner früheren schulischen Leistungen haben meine Eltern, die von anderen Lehrlingen schon von Lehre mit Matura gehört haben, mich immer wieder darauf hingewiesen und gepusht. Zuerst wollte ich ja nur die klassische Koch­ausbildung absolvieren, aber schlussendlich habe ich mich dann doch für Lehre mit Matura entschlossen. Meine Hoffnungen in Lehre mit Matura waren und sind, dass ich nach positivem Abschluss der Matura die Chance habe, ein Studium zu beginnen und mich erheblich leichter tun werde, einen Beruf zu finden.

Aber was ist eigentlich Lehre mit Matura? – Das ist momentan noch ein Projekt, in dem der Lehrling einmal in der Woche die Schule besucht und den Stoff vorgetragen be­kommt. Bei mir persönlich hätte sich auch noch ein anderes Ausbildungsschema an­geboten, nämlich zweimal pro Jahr zwei Monate Fachberufsschule und gleichzeitig die Maturaausbildung, doch dies wollte mein Lehrherr nicht, denn so hätte ich zu viel Zeit in der Schule verbracht.

Der Ablauf des Lehrgangs Lehre mit Matura sieht vor, dass am Ende des dritten Jah­res die Deutsch-Matura zu absolvieren ist. Im vierten Jahr wird mit den Fächern Mathe­matik, Englisch und dem Fachbereich abgeschlossen. Dass in der dritten Klasse schon ein Maturafach wegfällt, ist natürlich ein gewisser Vorteil, denn so hat man im entschei­denden Jahr eine Sorge weniger. Grundsätzlich bin ich durchaus positiv gestimmt, was den Unterricht in der Schule anbelangt. Wie auch in jeder anderen Schule kommt man aber ohne viel Fleiß und Training nicht voran. Man sollte sich schon dessen bewusst sein, dass das einen enormen Aufwand mit sich bringt. Diesem Aufwand hält nicht je­der Schüler stand, und so kommt es dazu, dass der eine oder andere schlicht und er­greifend aufgibt.

Eine weitere Herausforderung ist, dass parallel zur Maturavorbereitung auch die Fach­berufsschule zu absolvieren ist. Auch auf diese harte Zeit muss sich der Lehrling ein­stellen.

Rückblickend auf meine Erfahrungen kann ich sagen, dass Lehre mit Matura auf jeden Fall ein zukunftsorientiertes Projekt ist, das meiner Meinung nach fix in das österreichi­sche Bildungssystem integriert werden sollte. So hätten die Jugendlichen nach dem 9. Schuljahr eine zusätzliche Auswahlmöglichkeit, wie sie ihr weiteres Leben gestalten wollen.

Ich möchte noch festhalten, dass ich sehr froh und glücklich bin, Lehre mit Matura ge­wählt zu haben, denn wie kann man sonst Geld verdienen, einen Beruf erlernen und nebenbei die Matura absolvieren? Ich kann Lehre mit Matura auf jeden Fall nur wei­terempfehlen und hoffe, dass immer mehr junge Leute diesen Weg der Ausbildung ein­schlagen und die Chance nützen, mehr aus sich zu machen.

Abschließend noch einen herzlichen Dank auch im Namen meiner Kollegin für die Ein­ladung hierher nach Wien in den Bundesrat. Wir hoffen, dass wir Ihnen einige interes­sante Einblicke in den Schulalltag vermitteln konnten, und stehen selbstverständlich für Fragen gerne zur Verfügung. – Danke schön. (Beifall.)

11.13


Vizepräsidentin Inge Posch-Gruska|: Ich danke Nadine und David recht herzlich für die Einblicke in das Leben einer Berufsschülerin beziehungsweise eines Berufsschü­lers; da haben wir sicherlich noch dazulernen können.

Ich möchte diesen Teil der Enquete – zwar nicht typisch für Lehrlingsberufe, aber ich denke, auch für Lehrlinge und für die gesamte Wirtschaft – abschließen mit Worten von Robert Bosch, einem Wirtschaftler, den wir alle kennen, von den Kreissägen angefan­gen bis zu den Bohrmaschinen: „Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“

Ich denke, wenn wir das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den Lehr­lingen so aufbereiten können, dass sie wirklich mit Spaß arbeiten gehen, werden wir al­le etwas davon haben. – Danke schön. (Beifall.)

11.14.20Diskussion

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Wir gehen jetzt in die Diskussion ein, und bevor ich dem ersten Redner das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nach Möglichkeit nicht überschreiten sollten. Ich schalte dann die Lampe ein, und wenn sie blinkt, dann sollte man ungefähr in einer Minute zur Landung ansetzen. Wir machen das nicht ganz so streng, aber das sei ein Hinweis.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Kneifel. – Bitte.

 


11.15.27

Bundesrat Gottfried Kneifel (ÖVP, Oberösterreich)|: Herr Präsident! Meine sehr ge­schätzten Damen und Herren! Es hat schon einen besonderen Symbolwert, dass diese Enquete im Bundesrat der Republik stattfindet, weil dieses Erfolgsmodell der dualen Ausbildung sehr stark auch von den Bundesländern mitgetragen wird. Die Standards, die Lehrinhalte, das Controlling befinden sich in den Händen der Bundesregierung und der zuständigen Bildungsministerin, aber die Berufsschullehrer, die Berufsschulen, die Ausbildung sind weitgehend Angelegenheit der Länder. Ich glaube, das ist auch das Geheimnis dieses Erfolgsmodells: dass der Schulsektor, der Ausbildungssektor sehr stark mit der betrieblich, regional strukturierten Sozialpartnerschaft auf Bundesländer­ebene eng zusammenspielt.

Ich möchte auch bei der heutigen Enquete allen danken, die sich dieser Ausbildung widmen. Wir reden immer von der Aufwertung der Lehre, vom Erhöhen des Ansehens eines Lehrlings oder eines Menschen, der eine Facharbeiterausbildung, eine solide Handwerksausbildung gemacht hat. Ich glaube, wir sollten auch in dieser Enquete die Botschaft aussenden, dass die Republik das schätzt, dass wir das schätzen, dass wir jenen danken, die sich dieser Ausbildung unterziehen, aber auch jenen, die diese Aus­bildung gewährleisten, nämlich den zahlreichen Ausbildungsbetrieben, die eng sozial­partnerschaftlich zusammenarbeiten, um dieses Erfolgsmodell auch immer wieder wei­terzuentwickeln.

Die Weiterentwicklung ist ganz wichtig, denn wir wissen, dass im Alter von 25 Jahren – wenn wir einen Jahrgang durchleuchten – ungefähr 87 Prozent eine sekundäre Ausbil­dung abgeschlossen haben, schulisch, betrieblich oder in der Lehre, aber noch immer ungefähr 13 Prozent übrig bleiben, und da wieder viele mit Migrationshintergrund.

Ich glaube, wir sollten bei einer solchen Enquete auch die Schwachstellen aufzeigen, nicht nur das Erfolgsmodell preisen, sondern auch die Schwachstellen aufzeigen. Hier sind Schwachstellen. Wir dürfen bei der Ausbildung eigentlich niemanden zurücklas­sen. Niemand soll zurückgelassen werden! Das ist verschwendetes Potenzial, wenn wir jemanden zurücklassen. Das können wir uns nicht leisten. Wir brauchen jedes Ta­lent!

Ich gratuliere allen, die sich der Talentefindung und der Talenteberatung unterziehen, denn jeder ist talentiert und jeder hat Stärken. Jeder hat auch Schwächen, aber die Stärken sollten wir herausfiltern und entsprechend herausarbeiten.

Zum Abschluss noch zum Ansehen: Meiner Überzeugung nach ist jemand, der eine solide handwerkliche Ausbildung abgeschlossen hat, gleichzustellen mit einem Matu­ranten, und jeder, der eine Ausbildung zum Meister hat, ist meines Erachtens Magister, das ist gleichzustellen.

Die Botschaft, dass eine wertvolle Ausbildung eine Garantie für ein selbstbestimmtes, selbstverantwortliches Leben als wertvolles Mitglied unserer Gesellschaft ist, sollten wir auch immer wieder aussenden. Das, glaube ich, ist wichtig, dass wir das heute auch von dieser parlamentarischen Stelle aus aussenden. (Beifall.)

11.19


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Ich erteile als Nächster Frau Bun­desrätin Mag. Kurz das Wort. – Bitte.

 


11.19.33

Bundesrätin Mag. Susanne Kurz (SPÖ, Salzburg)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Kol­leginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme aus Salzburg, bin nicht nur seit zehn Jahren hier im Bundesrat und beschäftige mich seit vielen, vielen Jahren mit Bildungsfragen, sondern ich bin in meinem Zivilberuf seit vielen, vielen Jah­ren auch Lehrerin, Professorin an einer HTL.

Und ich bin die Gender- und Diversity-Beauftragte des Landesschulrates Salzburg. Das heißt, ich blicke zurück auf 15 Jahre geschlechtssensible Pädagogik, auf 15 Jahre: mehr Mädchen in die Technik und naturwissenschaftliche Bereiche!, auf nicht ganz so viele Jahre: mehr Burschen in Sozialberufe! – und was damit auch immer verbunden ist.

Ich sehe hier im Raum auch KollegInnen aus den anderen Landesschulräten. Ge­schlechtssensible Pädagogik ist ja in ganz Österreich ein Thema und für mich die Vo­raussetzung für geschlechtssensible Berufsorientierung. Das ist das Thema, das ich heute hier ansprechen möchte. Ich könnte Ihnen natürlich ganz, ganz viele Dinge er­zählen, die wir in den letzten Jahren, ja eigentlich Jahrzehnten so gemacht haben; und ich könnte Ihnen auch erzählen, was wirklich herauskommt, denn man muss ehrlicher­weise auch sagen, viele Projekte hat es schon gegeben und gibt es, und nicht alle zei­gen den erwarteten Erfolg.

Wenn wir uns das Projekt Girls’ Day anschauen – jeder, der sich hier herinnen jemals mit so einem Thema beschäftigt hat, weiß, was es bedeutet, 20 Jahre Girls’ Day –: Was ist wirklich das Resultat dieses Girls’ Day?

Wir in unserer Schule – ich weiß es, weil wir das erheben – haben ein paar Mädchen in der HTL in Hallein durch den Girls’ Day dazugewonnen, weil sie schnuppern kommen, weil sie nochmal und nochmal kommen. Aber das Kommen alleine reicht nicht, es braucht auch das gendersensible Umfeld, und da kann nicht früh genug angesetzt wer­den.

Natürlich muss es diese Feststellung der Möglichkeiten in der siebten Schulstufe ge­ben – und ich bin sehr froh, dieses Modell habe ich schon seit jeher befürwortet; leider haben wir noch immer nicht das gleiche Modell in Salzburg, aber ein ähnliches, wir ar­beiten intensiv daran –, aber in Wirklichkeit ist es zu spät. Dann kann man zwar die Ta­lente feststellen, aber geschlechtssensible Umgangsweisen zu vermitteln, um eben diese Rollenbilder aus den Köpfen zu kriegen, um die Stereotype erst gar nicht entste­hen zu lassen, da muss viel, viel früher angesetzt werden, in Wirklichkeit im Kinder­garten.

Es darf die Spielecke mit den Puppen für die Mädchen und die Eisenbahnen für die Buben nicht mehr geben, und es gibt sie trotzdem noch. Es darf nicht textiles Handar­beiten für Mädchen und technisches für Buben geben. Ich weiß schon, es ist jetzt schon aufgehoben, aber bis sich das in den Köpfen der Lehrerinnen und Lehrer fest­setzt hat und in den Lehrplänen, das dauert schon wieder eine Generation. Und schlussendlich geht es ja immer darum, dass das Individuum, das Mädchen, der Bursch, seine individuellen Möglichkeiten und Fähigkeiten entdeckt. Nicht alle Mäd­chen sollen jetzt in technische Berufe gehen, nicht alle Burschen in soziale, aber we­sentlich mehr. Eine gerechte Berufswelt wird erst entstehen, wenn das wirklich statt­findet.

Bevor dieses Licht ganz heftig leuchtet (die Rednerin deutet auf das rot blinkende Licht am Rednerpult), möchte ich Ihnen noch sagen, dass in Salzburg insgesamt zehn Ins­titutionen an diesem Thema zusammenarbeiten. Ich bin da sozusagen die Vernet­zungsstelle des Landesschulrates, wo wir Jahr für Jahr abgleichen, was wo passiert. Wir haben Vereine, wir haben Institutionen – Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, In­dustriellenvereinigung, genauso wie die Vereine Einstieg-Kompass, Checkpoint Zu­kunft und ähnliche –, die sich alle bemühen, mehr Gerechtigkeit, mehr Möglichkeiten für Mädchen, aber auch für Burschen zu schaffen.

Ich denke, wenn wir alle zusammenarbeiten, dann wird es doch irgendwann einmal möglich sein, mehr Mädchen mehr Chancen in technischen und naturwissenschaftli­chen Berufen zu geben und doch ein paar Kindergärtner, ein paar Volksschullehrer männlichen Geschlechts mehr zu haben. – Danke. (Beifall.)

11.23


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Ich erteile als Nächster Frau Bun­desrätin Mühlwerth, der Fraktionsvorsitzenden der Freiheitlichen, das Wort. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.24.14

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Der Titel dieser heutigen Enquete sollte ursprünglich „Duale Ausbildung (…): Gelungene Bildung (…)“ lauten. „Gelungene Bildung“ fand ich ange­sichts der Zahlen, nämlich dass 25 Prozent aller Schüler nach neun Schuljahren nicht ausreichend lesen und schreiben können, dann doch etwas gewagt; und wir haben uns dann auf den Titel „Duale Ausbildung (…): Gelungene Ausbildung (…)“ geeinigt. Und sie ist ja auch tatsächlich eine gelungene Ausbildung, dagegen kann man ja gar nichts sagen.

Trotzdem haben wir eine Vielzahl von Schülern, die nach neun Schuljahren gar keine Ausbildung anstreben. Insgesamt sind es 7 Prozent, die nicht in eine Berufsausbildung oder sonstige Schulbildung weitergehen. Weil auch mein Kollege Kneifel von der ÖVP schon gesagt hat, wir müssen uns die Schwächen anschauen: Schüler nichtdeutscher Muttersprache beginnen zu fast 13 Prozent keine Ausbildung; davon, wenn man näher schaut, jene mit türkischen Wurzeln zu 17,4 Prozent; im Vergleich dazu serbisch-kroa­tische Schüler nur zu 11 Prozent. Bei Schülern mit deutscher Muttersprache sind es nur 5 Prozent, was eigentlich auch zu viel ist.

All diese Zahlen habe ich aus einer Studie des Instituts für Bildungsforschung: „Lehr­lingsausbildung im Überblick 2013“. Das heißt, ja, da lassen wir Potenzial liegen, und das können wir uns nicht leisten!  Obwohl ich schon meine, dass unser Schulsystem durchlässig ist, nur wird es eben von vielen leider nicht genützt.

Wir haben auch sehr gute Lehrlinge, die nationale, europaweite, internationale Wettbe­werbe gewinnen, also mit Medaillen nach Hause gehen, was zeigt, dass nicht nur die Schule, sondern auch die Betriebe sehr gut ausbilden. Wir haben aber auf der anderen Seite potenzielle Lehrlinge, die gar nicht genommen werden, weil sie die Grundvoraus­setzungen des Lesens, Schreibens und Rechnens nicht genügend beherrschen. Und da muss man meiner Meinung nach auch ansetzen!

Die Grundlage ist die Volksschule, dort müssen die Basiskompetenzen vermittelt wer­den, die Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen erlernt, geübt und trainiert wer­den. Und wir müssen uns auch wieder auf Tugenden besinnen, die da lauten: Pünkt­lichkeit, gutes Benehmen, Verlässlichkeit und auch Disziplin, auch Selbstdisziplin sind gefragt. Leider wird das in den Familien nicht mehr zu 100 Prozent vermittelt. Ich weiß, die Schule bekommt immer mehr Aufgaben, das bedauern wir auch alle und wir wissen auch, wie schwer es da die Lehrer haben, aber dann muss die Schule eben einen Teil dieser Aufgaben auch mitübernehmen – was die Familien nicht aus ihrer Verantwor­tung entlässt. Ich bin aber davon überzeugt, dass das die wichtigsten Grundvorausset­zungen für jede weitere Bildung und Ausbildung sind, auch für die duale. (Beifall.)

11.27


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste gelangt Frau Bundes­rätin Reiter zu Wort. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.27.49

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Herr Präsident! Werte Damen und Herren! Mir geht es ähnlich wie Herrn Ing. Werner. Es wurde so viel Kluges, so viel Wichtiges und Richtiges gesagt und trotzdem geht es mir so wie nach vielen Umwelt­schutzdiskussionen oder Klimaschutzdebatten: Jeder hält es für unglaublich wichtig, richtig und weiß auch, was geschehen müsste, steigt dann aber in den SUV, um nach Hause zu fahren, bucht die nächste Städtereise und den Urlaub in der Dominikani­schen Republik und kauft bei Aldi und Hofer ein.

Übertragen auf unsere heutige Thematik: Drehen wir nur den Radiosender auf, Ö3,
Ö-regional, dort wird mit den Leuten kommuniziert, die auf dem Weg ins Büro sind. Die restliche Arbeitswelt gibt es dort nicht, die kommt nicht vor. Oder: Wer aus unserer, ich sage das so salopp, sozialen Schicht hier, wer von den Stadtbewohnern – auf dem Land ist es noch ein bisschen anders – schickt denn sein Kind freiwillig in die Neue Mit­telschule, ins Polytechnikum und in die Lehre?

Wenn doch, wird man ganz einfühlsam von der Mitwelt getröstet, er, sie könne ja spä­ter noch immer die Matura machen und studieren, also den Eintrittsschein in die Ge­sellschaft lösen. – Und das ist der Punkt.

Das System wird immer selektiver, es wird diese Tür in die Gesellschaft immer enger. Das Endergebnis des Bildungssystems ist immer genauer definiert, man wird abge­schliffen, zurechtgebogen, genormt, und dabei verlieren eben auch viele ihre Ecken und Kanten und damit auch oft ihre wertvollsten Teile. Und ihre eigentlichen Talente sind dann unter einem ziemlichen Haufen verschüttet.

Lebenslanges Lernen ist für viele mit solchen Erfahrungen in den Bildungsinstitutionen kein Angebot, sondern eine massive Drohung.

Ich glaube außerdem, dass dieser Begriff auch sehr zu einer Infantilisierung unserer Gesellschaft beiträgt, denn wann erreicht noch irgendjemand einen Zustand, in dem er erwachsene Entscheidungen fällen kann, ohne vorher gecoacht oder unterrichtet wor­den zu sein?! Und Sprache ist ja etwas Wesentliches: Früher war man nach Abschluss der Lehre „ausgelernt“.

Aber es reduziert sich auch die Zahl derer, die ausbilden, das heißt derjenigen, die ihr Wissen, ihre Fähigkeiten, ihre Erfahrungen weitergeben, denn das kann und darf im Sinn eines Ivan Illich – ich bin eben schon so alt – nicht passieren oder geschieht nur in ganz kleinem Rahmen wie zum Beispiel in Lerncafés der Caritas, die sehr erfolg­reich sind.

Die Auflagen für Betriebe, für diejenigen, die dort ausbilden, werden immer höher, auch die Kontrollen immer strenger. Die Zahl der Unterrichtenden, die selbst vor allem – und oft ausschließlich – Erfahrungen im schulischen Bereich besitzen, also Matura, Stu­dium und so weiter, wird in allen Bereichen, auch in der Lehrlingsausbildung, immer größer. Das ist die eine Seite.

Aber lassen Sie mich noch ganz kurz eine andere Seite beleuchten. Es gibt auch in un­serer Gesellschaft nicht wenig Arbeit, die getan werden muss: alles, was unter Subsis­tenzarbeit fällt. Ich sage immer, die „angeschissene Windel“ wechselt kein Computer, und dieses Problem wird uns Industrie 4.0 nicht lösen. Ein gewisses Maß an Ausbil­dung ist überall notwendig und dienlich, aber Anerkennung, und das drückt sich nun einmal in Geld aus, erfährt diese Arbeit in unserer Gesellschaft schlicht und einfach nicht.

Und diese Arbeit ist in 40-Stunden-Paketen in der Woche in vielen Fällen meiner Mei­nung nach nicht zumutbar, insbesondere wenn die Bezahlung für diese 40 Stunden zum Leben hinten und vorne auch nicht reicht. Das heißt, wie wir tatsächlich die Skla­verei abschaffen, diese Frage ist nicht beantwortet. Das kann nur heißen, Arbeit neu zu definieren und zu diskutieren. Auch das ist nicht wirklich neu. Ich erinnere an die Kon­zepte von „New Work“ von Frithjof Bergmann, die auch schon über 20 Jahre alt sind, und es wird wahrscheinlich dauern, bis das die etablierte Politik erreicht.

Inzwischen, denke ich mir, ist es wichtig, das System möglichst offen zu halten, mög­lichst vielen, und zwar in ihrer Vielfalt, in ihrer Diversity – also dass dieser Begriff so Eingang gefunden hat, finde ich großartig –, Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten. Und für mich ist eine gemeinsame Schule aller bis zum Alter von 14 Jahren ein wirklich not­wendiger und absolut dringender Schritt in diese Richtung.

Auch braucht es ein vielfältiges und durchlässiges Angebot an Ausbildungen, auch an Ausbildenden, die eben in diesem Bereich tätig sind. Und wir müssen uns vor Wertur­teilen hüten, wer denn nun den wichtigsten Beitrag zur Gesellschaft leistet. Matura­zeugnis, PISA-Ergebnis et cetera sind nur eine Facette. Eine Korrelation zu einem ge­lungenen Leben und zu einem wertvollen Beitrag zur Gesellschaft kann nur sehr be­dingt hergestellt werden. – Danke. (Beifall.)

11.33


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Schennach. – Bitte.

 


11.34.02

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien)|: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Enquete! Ein Teil des Titels hat ja etwas mit einem Vorbild für Europa zu tun. Herr Professor Wolter, dieser U-Turn, der sich in Europa vollzogen hat, ist schon interessant, also diese rasante Umkehr in der Sichtweise, die etwa dadurch zum Ausdruck kommt, dass ein Ex-Kommissions­präsident Barroso plötzlich das duale Ausbildungssystem als eine Chance bezeichnet, um aus der Krise herauszukommen. Er hat damals Österreich als Beispiel genannt, er könnte genauso gut Deutschland, die Schweiz oder Luxemburg nennen; das sind die einzigen vier Länder, die dieses System haben.

Wir müssen natürlich schon Folgendes sehen: Die Jugend zahlt seit Jahren den Preis der Krise. Und das Ganze wird verschärft: Wir mit unseren grauen Haaren – also ab 45 plus – in diesem Raum, wir hatten nicht diese Hürden, die heute die Jugend hat. Der Herr Staatssekretär hat von den jungen Menschen, die er in Barcelona gesehen hat, gesprochen. Ich wette, dass die Hälfte davon nicht nur einen Universitätsabschluss hat, sondern manche davon zwei. Die Frage ist: Zählt Bildung überhaupt noch, wenn die Jugend die Krise in Europa zu bezahlen hat?!

Ich war bei einer Diskussion an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki, wo ich auch den Rektor gefragt habe: Sagen Sie einmal, wer von Ihren jungen Leuten hat in den letzten drei Jahren einen Job gefunden? Da hat er gesagt: Fragen Sie mich das ehr­lich? – Kein Einziger und keine Einzige!

Jetzt müssen wir uns schon die Frage stellen, vor welche Herausforderungen uns das stellt. Und natürlich kommt plötzlich die duale Ausbildung als ein tatsächliches Asset, als eine tatsächlich neue Chance ins Spiel. Und da ist – wir haben auch David Gollin­ger gehört –, und meine Kolleginnen und Kollegen wissen das, eines der wichtigsten Dinge, die wir schaffen müssen, die Mobilität. Der Europarat und das Europäische Par­lament und die OECD haben gesagt, wir müssen dieses duale Ausbildungssystem in Europa einheitlich gestalten – so ähnlich, wie es die Universitäten machen. Dann ist Austausch viel leichter möglich.

Aber das duale Ausbildungssystem ist auch eine riesige Baustelle in Österreich, da sollten wir uns wirklich nicht in die Tasche lügen, denn die mittleren und höheren be­rufsbildenden Schulen bilden bereits wesentlich mehr aus. Die modernen Lehrberufe müssen erst noch ankommen, zum Beispiel im Bereich der Sustainable and Green Energies oder der New Technology. Das ist alles ganz, ganz wichtig.

Wenn wir sehen, dass in vielen Sparten nicht einmal 50 Prozent der Lehrlinge einen Abschluss haben, ist das alarmierend. Deshalb brauchen wir da Reformen. Bisher wur­de die Berufsschule immer ein bisschen außerhalb des Reformspektrums gesehen.

Zuletzt noch: Ja, die Durchlässigkeit ist wichtig, und da wundere ich mich immer, dass viele, auch heute schon, vom Status und vom Kampf um den Status reden. Wenn das vorlaufende Bildungssystem statusverhaftet ist und es keine gemeinsame Schule gibt, dann darf man sich nicht wundern, wenn nachher der Status und das Ansehen nicht stimmen. Das eine kann nur mit dem anderen geschehen. – Danke. (Beifall.)

11.38


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster gelangt Herr Bun­desrat Köberl zu Wort. – Bitte.

 


11.38.21

Bundesrat Günther Köberl (ÖVP, Steiermark)|: Geschätzte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Präsident! Meine geschätzten Damen und Herren! Duale Ausbildung, ein erfolgreiches Modell: Ich habe mich deswegen zu Wort gemeldet, weil ich in mei­nem Beruf als Lehrer seit 20 Jahren an einer Polytechnischen Schule in Bad Aussee unterrichten darf und mich das nach 20 Jahren immer noch freut. Ich schicke das voraus, weil es eine schöne Arbeit ist und weil ich Ihnen einige Faktoren für ein Er­folgsmodell, wie es funktionieren kann, auch heute darlegen möchte.

In diesen 20 Jahren hat sich vieles verändert. Und wer glaubt, eine Schule besteht nur aus einem Klassenraum oder aus einem Gebäude, der ist nicht mehr am Puls der Zeit. Schulen sind dann erfolgreich, wenn sie erfolgreiche Unternehmer, wenn sie Experten der Wirtschaftskammer, der Arbeiterkammer hereinholen. Denen wird viel mehr ge­glaubt als vielleicht dem Lehrer, der das seit 10 oder 20 Jahren unterrichtet.

Und wissen Sie, was für mich das Schönste ist? – Wenn Absolventen unserer Schule, die bereits selber einen Betrieb gegründet haben, hereinkommen und ein bisschen von ihrem Lebensweg erzählen. Das fasziniert junge Damen und Herren in diesem Alter zwischen 14 und 16 Jahren am meisten. Man würde heute sagen, das sind Best-Prac­tice-Beispiele.

Das spricht junge Menschen an. Die Aufgabe in meinem Bereich ist die Berufsorien­tierung und Berufsfindung. Wir haben es heute schon gehört: Das darf nicht erst in der 3. und 4. Klasse der Neuen Mittelschule oder in der Polytechnischen Schule beginnen. Das müsste viel früher anfangen.

Wir stellen heute fest, dass rund 50 Prozent der Kinder, die zu uns kommen, einen Be­rufswunsch haben, der vom Elternhaus geprägt ist. Rund 50 Prozent wissen nach ei­genen Angaben noch nicht, was sie werden wollen. Und das ist gut so. Man muss ih­nen die Möglichkeit geben, sich zu orientieren. Sich zu orientieren heißt, in der Praxis zu testen. Und wer noch glaubt, mit zwei bis drei berufspraktischen Tagen im Jahr das Auslangen zu finden, der ist nicht mehr am Puls der Zeit. Unsere Kinder sind mindes­tens einen Tag in der Woche in einem Betrieb draußen, den sie sich aussuchen. Wir trainieren sie für ein Vorstellungsgespräch. Hier erlebt man etwas, und viele stellen fest, sie haben einen Wunsch gehabt, sie haben eine Erfahrung gemacht und dann manchmal eine ganz andere Entscheidung für die Berufsfindung getroffen.

Mir ist immer noch ein junger engagierter Mann in Erinnerung, der einen fixen Lehr­platz als Installateur gehabt und nach der dritten Woche gesagt hat, er möchte einmal etwas anderes ausprobieren. Ich sagte zu ihm: Was möchtest du machen? Er sagte, er traue es sich nicht laut zu sagen, er möchte Koch ausprobieren. Er ist in der nächsten Woche in einem Praxisbetrieb gewesen, und nach drei Wochen ist er glücklich zu mir gekommen und hat gesagt, jetzt weiß er endlich, was er werden will. Er ist heute in einem Schweizer Hotel als Koch tätig. Eine Auszeichnung nicht nur in dieser Hinsicht für die Schweiz, sondern auch ein Beispiel für einen erfolgreichen Weg.

Machen wir die Schulen, vor allem die Polytechnischen Schulen, noch flexibler im Hin­blick auf die Berufsvorbereitung und Berufsorientierung. Wir haben derzeit nur rund die Hälfte der Stunden. Wir haben schon gehört, dass es auch Defizite beim sogenannten Basiswissen gibt. Raus in die Betriebe! Die Betriebe rein in die Schulen! Hier wird es erfolgreiche Arbeit geben. Warum spreche ich von einer erfolgreichen Arbeit? – Weil wir in den letzten 15 Jahren eine Trefferquote von fast 100 Prozent haben. Das heißt, so gut wie alle Schülerinnen und Schüler, die bei uns dieses Jahr absolvieren, haben einen Lehrberuf in der Region gefunden. Ich glaube, das ist eine Freude, und Sie ver­stehen, warum ich mich nach 20 Jahren noch auf diese Aufgabe freue.

Eine Botschaft zum Abschluss: Ich höre immer wieder, dass daran gedacht wird, die Polytechnische Schule auf zwei Jahre zu erweitern. Ich halte nichts davon. Denn wenn es in einem Jahr nicht gelingt, einen Beruf zu finden, dann wird die Schule das auch in zwei Jahren nicht schaffen. Und wir haben immer wieder auch junge Damen und Herren, die nach diesem einen Jahr feststellen: Ich möchte doch noch nicht in die Be­rufswelt übertreten, ich möchte eine weiterführende Schule besuchen. Und auch in die­sem Fall ist dieses eine Jahr nicht umsonst, sondern es hat dazu gedient, den weiteren Lebensweg zu planen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.43


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste gelangt Frau Judith Roth zu Wort. – Bitte.

 


11.43.21

Judith Roth (Vorsitzende der Gewerkschaft der Berufsschullehrer/innen)|: Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir an den Berufsschulen sind mit sinkenden Schülerzahlen konfrontiert, weil immer weniger junge Menschen bereit sind, einen Lehrberuf zu ergreifen und zu diesem Zeitpunkt in die Wirtschaft zu gehen. Mir scheint, der Grund ist nicht nur die demografische Entwicklung, diese natürlich auch, aber es ist auch das Image des Lehrberufs und das Image des Facharbeiters. Und wenn wir sa­gen, das Image gehört gehoben, dann dürfen wir nicht erwarten, dass andere das für uns machen, sondern wir müssen selber dazu beitragen. Wir an den Berufsschulen tun das, indem wir hochqualitative Ausbildung bieten.

Der Herr Staatssekretär hat gesagt: Wir holen junge Menschen an einem Punkt ab und machen aus ihnen hoch qualifizierte Arbeitnehmer oder helfen ihnen, solche zu wer­den. Nur ist sehr unterschiedlich, an welchem Punkt wir die jungen Menschen abholen. An den Berufsschulen sind das junge Menschen mit Defiziten in der integrativen Be­rufsausbildung, aber gleichermaßen gibt es auch Maturanten, die nach der Matura bereit sind, einen Beruf zu erlernen. Also da ist durchaus ein gewisser Unterschied vor­handen.

Am Image arbeiten nicht nur wir, sondern auch die Wirtschaft. Es freut mich immer, wenn mir ein junger Mensch erzählt, er lernt einen Lehrberuf und er ist so stolz auf sei­ne Firma. Es ist etwas Wunderbares, wenn er mir erzählt: Ich arbeite bei der Firma So­wieso, und die ist so toll und so super. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gibt kaum etwas Besseres, um das Image des Lehrberufs zu heben.

Natürlich sind auch die Gesellschaft und die Politik gefordert, am Image mitzuarbeiten. Es gibt ja den Europäischen Qualifikationsrahmen beziehungsweise den Nationalen Qualifikationsrahmen. Hier werden sozusagen Berufsausbildung und akademische Bil­dung miteinander verglichen und einander angenähert. Bisher ist das eher ein theore­tisches Papier. Ich wünsche mir, dass das irgendwann einmal in das Leben übergeht. Es soll einfach in Zukunft so sein, dass ein Meister – um das jetzt einmal auf den Punkt zu bringen – einem Master auf Augenhöhe begegnen kann. Das wünschen wir uns für die Berufsausbildung.

Einen allerletzten Punkt möchte ich noch anführen: Irgendwie empfinde ich es immer ein wenig wie einen Schlag ins Gesicht der dualen Berufsausbildung, wenn ich in den Medien höre: Die Akademikerquote gehört angehoben. In Österreich haben wir zu we­nige Akademiker. Mehr Menschen ins Studium!

Eine Aussage in der letzten Zeit war auch – mit einer starken Wertung dazu –, dass es schlecht sei, wenn Jugendliche keinen höheren Bildungsabschluss haben als ihre El­tern. Wenn der Vater Tischlermeister war, muss er doch stolz darauf sein, wenn seine Tochter zum Beispiel auch Tischlermeisterin ist! Also ich meine, wenn Sie diese Mel­dungen hören, denken Sie an die duale Berufsausbildung, und denken Sie daran: Wir möchten gerne an diesem Punkt weitermachen. – Danke schön. (Beifall.)

11.47


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Anton Mattle. – Bitte, Herr Kollege.

 


11.47.13

Anton Mattle (Vizepräsident des Tiroler Landtages)|: Geschätzte Frau Präsidentin! Ge­schätzter Herr Präsident! Geschätzte Damen und Herren! Ich habe selbst eine Lehre absolviert und bilde heute in meinem kleinen Unternehmen Lehrlinge aus.

Ich wünsche mir im Zusammenhang mit der dualen Ausbildung etwas mehr Selbstbe­wusstsein in Österreich. Und wenn wir immer wieder mit der Akademikerquote gegei­ßelt werden, so ist es eine Frage der Betrachtungsweise. Jedenfalls ist es in der Euro­päischen Union absolut zulässig, die Dinge etwas anders zu definieren. Wenn man die Definition über die tertiären Abschlüsse sieht, so liegt Österreich eigentlich im Spitzen­feld, und wir haben den Wert, der für das Jahr 2020 angepeilt wird, nämlich 40 Pro­zent, mit 36,8 Prozent schon nahezu erreicht. Die bloßen Akademiker mit Uni- bezie­hungsweise Fachhochschulabschluss machen 19,8 Prozent aus. Aber auch die Meis­ter, die Werkmeister und auch jene Menschen, die eine berufsbildende höhere Schule absolviert haben, zählen zu diesem Bereich.

Der Europäische beziehungsweise der Nationale Qualifikationsrahmen ist jetzt mehr­mals angesprochen worden. Darin sehe ich eine ganz große Chance auch für das Image des dualen Ausbildungssystems. Hier wird endlich einmal nicht der Ausbil­dungsweg, sondern die Kompetenz bewertet. Wenn jemand sich einmal die Mühe macht und im Europäischen Qualifikationsrahmen nachliest, so ist es bitte klar defi­niert, dass ein Meister in etwa die Qualifikation eines Bachelors hat. (Beifall. – Bravoruf des Bundesrates Perhab.)

Und es ist auch definiert, dass jemand, der eine Lehrabschlussprüfung hat, in etwa die Qualifikation eines Maturanten hat. Und das tut der Sache gut und kann, wenn wir alle dazu beitragen, durchaus zum höheren Image des dualen Ausbildungssystems bei­tragen.

Ich warne davor zu glauben, dieses System nach österreichischem Vorbild ganz ein­fach in andere Länder kopieren zu können. Das funktioniert nicht, weil es ganz wesent­lich ist, dass es auch mit der Kultur, mit dem Ausbildungssystem und auch mit dem Ar­beitsrecht des jeweiligen Landes zusammenpasst. Ich erlebe als Tiroler Probleme in Südtirol. Es gibt in Italien nur in Südtirol das duale Ausbildungssystem, und hier passen eben Arbeitsrecht und duales Ausbildungssystem nicht zusammen. Man stelle sich vor: Ein Jugendlicher in Südtirol darf nur sieben Stunden auf der Baustelle sein. Ja wie soll denn da einer eine Maurerlehre machen? Muss dann der Polier mit ihm nach sieben Stunden nach Hause fahren? – Diese Dinge funktionieren nicht. Deshalb: Es muss an­gepasst sein und nicht einfach übernommen werden.

Was mir auch noch wichtig ist: Heute ist immer wieder das Thema Durchlässigkeit angesprochen worden. Aber es gibt andere Faktoren, die für das duale Ausbildungs­system mindestens genauso wichtig sind. Es ist ganz besonders wertvoll, dass wir einen großen Teil der Ausbildung in Österreich standardisiert haben. Das gibt eine ge­wisse Sicherheit in der Ausbildung und auch für die Betriebe. Es ist mir wichtig, dass die Spezialisierung eben in einem guten Maß stattfindet. Denn mit einem zu hohen Maß an Spezialisierung erhalten wir junge Menschen, die eben nur einen Beruf und nicht die Vielfalt wählen können.

Das Problem mit der Grundausbildung betrifft nicht nur die duale Ausbildung, sondern die Ausbildung generell. Aber wir spüren es stärker im Bereich des dualen Ausbil­dungssystems: Junge Menschen, die Defizite beim Lesen, Rechnen und Schreiben ha­ben, bleiben dann eher in diesem Bildungssystem, und daran müssen wir alle arbei­ten. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

11.50


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster gelangt Herr Kollege Perhab zu Wort. – Bitte.

 


11.50.56

Bundesrat Franz Perhab (ÖVP, Steiermark)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute sehr viel über theoretische An­sätze und auch gute Konzepte, Vorschläge gehört. Ich darf jetzt einen praktischen Teil einbringen. Ich bin in meinem Brotberuf Gastwirt in dritter Generation, und bis vor fünf Jahren waren wir ein Ausbildungsbetrieb, seit fünf Jahren haben wir keine Lehrlinge mehr. Obwohl ich ständig drei Lehrplätze beim AMS gemeldet habe, bekomme ich kei­ne mehr. Jetzt kann ich mich selbst fragen: Ist mein Betrieb nicht mehr attraktiv? Ist mein Standort nicht attraktiv? Aber immerhin haben wir in der Vergangenheit, in den letzten 20 Jahren, 30 Lehrlinge ausgebildet. Zurzeit ist das signifikant für die Touris­musbranche, aus der ich komme, weil hier die Arbeitsverhältnisse und die Rahmenbe­dingungen natürlich etwas anders gelagert sind als in anderen traditionellen Berufen.

Ich denke, wir haben das Problem, dass die Arbeitszeiten, und das wird auch immer angesprochen, nicht familienfreundlich und saisonal abhängig sind – Spitzen, weniger Spitzen. Das sind die Probleme, die unsere Lehrlinge als Herausforderung sehen. Nicht jeder ist dazu geboren, einen Lehrberuf im Tourismus anzugehen, denn „Dienst­leistung“ kommt von „dienen“, das heißt Gäste bedienen, und das möglichst freundlich, effizient und rasch. Ich denke, dies sind die Probleme unserer Branche, und ich habe als Obmann der steirischen Hotellerie natürlich auch darauf zu reagieren und zu schauen, wie wir diese Probleme in Zukunft angehen. Und wir tun etwas dafür! Wir in­vestieren sehr viel Geld und Hirnschmalz in eine bessere Imagebildung unserer Lehr­berufe. Es wurde heute erwähnt: Wir beschicken alle Weltmeisterschaften, WorldSkills, EuroSkills, den Koch des Jahres, den Restaurantfachmann des Jahres, europaweit, weltweit. Unsere Bürger sind stolz, wenn sie auf Urlaub fahren und in ihrem Hotel im Ausland immer ein Österreicher tätig ist, entweder als Generaldirektor, F&B-Manager oder Küchenchef. Wir Österreicher sind ja dann sehr stolz auf unseren Tourismus, nur schicken wir unsere Kinder nicht mehr in den Tourismus arbeiten, trotz unserer Hotel­fachschulen et cetera. Ich weiß, wovon ich spreche, meine zwei Söhne sind im Tou­rismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was machen wir noch, um hier das Image zu heben? Die Wirtschaftskammer Steiermark initiiert gerade in Graz ein Talent Center, wo wir planen, bis zu 5 000 Pflichtschüler mit ihren Eltern durchzuschleusen, um die Begabungen dieser einzelnen Schülerinnen und Schüler herauszufiltern und sie für die einzelnen Berufe in der Wirtschaft zu begeistern. Wir gehen als Touristiker mit Get a Job in die Schulen, in die erste Klasse der Hauptschule, der Neuen Mittelschule, stel­len unsere Betriebe vor, bieten Praktika. Der Kollege Köberl ist ein Beispiel dafür, er absolviert das in seiner Schule vorbildlich. Trotzdem haben wir nur mehr 12 000 Lehr­linge im Tourismus, wir hatten schon 15 000, und wir sind auf diese zukünftige He­rausforderung nicht nur nicht vorbereitet, sondern wir wissen oft nicht mehr, welche Maßnahmen wir setzen sollen. Oft ist es auch kontraproduktiv, wenn die Arbeiterkam­mer zum Beispiel ihre Aktionen startet und einen Beruf so darstellt, wie er in Wirklich­keit gar nicht ist, und unser Image wieder beschädigt.

Ich bin auch ein klarer Gegner der Berufsschulzeitverlängerung, denn das hätte die Konsequenz, dass zum Beispiel Tourismusbetriebe, die saisonal aufgestellt sind, keine Lehrlinge mehr ausbilden, denn: Drei Monate Berufsschule, fünf Wochen Urlaub, 14 Tage Krankenstand im Durchschnitt – da frage ich mich: Wann ist der Lehrling im Betrieb? – Das kann nicht die Zukunft sein. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.54


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Alfred Lehner, der Direktor der Neuen Mittelschule Markt Allhau im Burgenland. – Bitte, Herr Direktor.

 


11.55.06

Alfred Lehner (Direktor der Neuen Mittelschule Markt Allhau)|: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Ich stehe hier vor Ihnen in zweierlei Rollen, zum einen als Schuldirektor und zum anderen als Vertreter eines Masterlehr­gangs, also zum einen in der lehrenden Position und zum anderen in der lernenden Position. Ich mache nämlich mit meinen 53 Jahren eine berufsbegleitende Ausbildung zum Schulmanager. Das heißt, ich kenne noch immer die Seite, wie man sich als Ler­nender benehmen muss, und weiß auf der anderen Seite, wie man als Lehrender agiert.

Diese Kombination möchte ich Ihnen in meinem Statement kurz näherbringen. Ich leite nämlich eine Bildungsregion im Burgenland und kenne all diese Dinge, die Sie heute hier erzählt haben. Wir versuchen, unsere Jugend auf die Herausforderungen der Be­rufswelt vorzubereiten, obwohl wir nicht einmal wissen, wie die in den nächsten zehn Jahren ausschauen werden.

Mein Leitspruch ist: Wenn ich etwas will, suche ich Wege, und wenn ich etwas nicht will, Gründe. Das heißt, ich bin ein Praktiker. Wir haben im Südburgenland eine Bil­dungsregion geschaffen, die vom Kindergarten bis zur Matura eigentlich alle Bildungs­einrichtungen in einen Kontext führt, das heißt, wir vernetzen uns, wir beraten uns, wir begleiten das Kind mit all seinen Begabungen praktisch vom Kindergarten bis zur Ma­tura.

Das heißt, wir beginnen im Kindergarten mit Dreisprachigkeit, es wird die Nahtstelle geschlossen, indem Volksschullehrer im Kindergarten unterrichten, Mittelschullehrer in der Volksschule unterrichten, Bundeslehrer zu uns an die Mittelschule kommen, die Wirtschaft einbezogen wird, denn eines ist ja von ganz entscheidender Bedeutung: Wenn ich nicht weiß, welche Anforderungen die Wirtschaft an die Schule stellt, dann kann ich diese als Schule auch nicht wiedergeben. Ich denke, das ist der Ansatz, den wir heute noch nicht besprochen haben, nämlich diese Vernetzung aller Institutionen.

Wir müssen in Zukunft probieren, im Sinne unserer Jugend herzeigbare Modelle zu schaffen, die all diese Dinge umfassen: überfachliche Kompetenzen, die heute ange­sprochen wurden, Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, personelle Kompetenzen, Sozialkom­petenzen, Teamkompetenz – eine ganz wichtige Kompetenz in der Arbeitswelt heutzu­tage, gibt es doch fast keinen Beruf mehr, wo ich nicht Teamkompetenz brauche. Und wie schwierig es ist, im Team zu arbeiten, das wissen wir selber. Es geht darum, all diese Kompetenzen, nicht nur die Fachkompetenz, den Heranwachsenden näherzu­bringen.

Wir von diesem Masterlehrgang, der in Klagenfurt stattfindet – das sind Leute von der Schulaufsicht, also Landesschulinspektoren, Pflichtschulinspektoren, Direktoren, Leute von den PHs, aus dem Bereich LehrerInnenbildung und -fortbildung –, haben es uns zur Aufgabe gemacht, so eine Modellregion zu erforschen, zu ergründen, und dann auch vielleicht exemplarisch für andere nachahmenswert zu machen.

Das wollte ich Ihnen heute sagen: dass es auch Leute gibt, die sich all dieser Probleme annehmen und praktische Lösungen umzusetzen versuchen. – Danke für die Aufmerk­samkeit. (Beifall.)

11.58


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Präsidentin Ana Blatnik. – Bitte, Frau Kollegin.

 


11.58.32

Bundesrätin Ana Blatnik (SPÖ, Kärnten)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Spoštovane dame in gospodje! Drage kolegice in kolegi! Ich stehe heute nicht als Politikerin hier, sondern als Berufsschullehrerin – als Berufsschullehrerin, die weiß, worauf es ankommt. Ich unterrichte seit 35 Jahren an der Berufsschule 1 in Villach, und das mit Begeisterung und großer Freude. Ich kann Ihnen auch sagen, warum: weil es nämlich junge Leute gibt, wie unsere drei jungen Menschen hier, die sich herstellen und selbstbewusst, selbstsicher artikulieren, was sie haben wollen. Das ist der eine Aspekt.

Der zweite Aspekt ist aber der – und jetzt spreche ich als Politikerin –, dass ich genau diese Wünsche, diese Anregungen, diese Herausforderung annehmen muss, damit ich diesen jungen Menschen eine Zukunft gewährleisten kann. Und das ist der Aspekt der Politikerin.

Ich wünsche mir Folgendes – und das ist für mich keine Vision: Ich bin so stolz auf euch! Als ich das erste Mal hier gestanden bin, habe ich mein Herz da oben gespürt. Als ich das erste Mal in der Klasse gestanden bin, habe ich nicht unterschreiben kön­nen, so nervös war ich. Dieses euer Selbstbewusstsein, diese eure Selbstsicherheit, das ist wirklich einen separaten, großen Applaus wert. Ich danke euch dafür! (Beifall.)

Es ist für mich keine Utopie, es ist für mich Realität. Und dort, wo die Realität dieser Schule noch nicht Realität ist, da muss sie Realität werden, nämlich eine Schule, die Spaß und Freude macht, eine Schule, wo Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt ste­hen, eine Schule, wo der Lehrer und die Lehrerin als Berater und Beraterin fungieren, weil sie es ja können, wenn man es zulässt: Sie sind selbstsicher, sie sind selbstbe­wusst, sie sind motiviert – nur lassen muss man sie, dass sie das machen! Man muss es auch zulassen, dass Auswendig-Lernen nicht mehr Priorität hat, sondern dass selb­ständiges Erarbeiten das ist, was Zukunft ist. Für mich ist das keine leere Phrase, für mich ist das keine Utopie, für mich ist das eine Verpflichtung!

Ich möchte – so wie du das gesagt hast – nicht nach Ausreden suchen, ich möchte ganz einfach als Lehrerin und als Politikerin Wege suchen, wo das ermöglicht wird! Ich glaube, das ist auch unsere Aufgabe.

David, du hast dich hierher gestellt und gesagt: Ich bin stolz darauf, eine Lehre mit Ma­tura zu machen. – Eine bessere Bestätigung als Stolz hat man heute eigentlich nicht bekommen: stolz darauf, eine Lehre mit Matura zu absolvieren!

Wenn man eine Schule, in der das Lernen Spaß und Freude macht, will, dann muss man alle Rahmenbedingungen ohne Wenn und Aber schaffen, angefangen von der Lehrerausbildung bis hin zur Wissensvermittlung, zur Selbständigkeit, zur Motivation, die unsere Schüler und Schülerinnen brauchen. Das ist eine Verpflichtung für mich, so­wohl als Lehrerin mit Leib und Seele als auch als Politikerin.

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

Danke. Hvala lepa. (Beifall.)

12.02


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster gelangt Herr Abge­ordneter Ertlschweiger vom Team Stronach zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.03.02

Abgeordneter Rouven Ertlschweiger, MSc (STRONACH)|: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Geschätzte Damen und Herren! Heute ist schon sehr viel Gescheites gesagt wor­den. Das ist bei Enqueten immer üblich. Die Frage ist nur, was de facto am Ende des Tages auch wirklich umgesetzt wird, was übrig bleibt. Ich bin da beim Kollegen Walter Werner, er hat mir eigentlich aus dem Herzen gesprochen. – Da ist er: Sie haben das völlig richtig angesprochen! Ich kann das nur unterstreichen.

Meiner Meinung nach hat dieses duale Ausbildungssystem in Österreich sehr große Meriten. Trotzdem muss man auch sagen, dass nicht alles Gold ist, was hier glänzt. Wir haben es heute schon des Öfteren gehört: Ein zentraler Schlüssel für die erfolg­reiche Zukunft Österreichs, was die Wirtschaft betrifft, was die Industrie betrifft, ist die Ausbildung. Wenn wir international, im internationalen Wettbewerb kompetitiv bleiben wollen, dann sind wir mehr denn je auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen!

Dieses Stichwort „Industrie 4.0“, das so sperrig herüberkommt, ist eine Tatsache. Es ist Realität, wir werden damit konfrontiert werden. Was wir heute brauchen, ist: Es reicht nicht mehr, wenn sich ein Mitarbeiter in einer Firma an ein Fließband stellt und einfa­che Tätigkeiten verrichtet. Was wir in Zukunft brauchen werden, sind vernetzt denken­de Mitarbeiter, hoch qualifizierte Mitarbeiter, um längerfristig nicht nur in Österreich, sondern auch in Europa reüssieren zu können.

Ganz zentral ist meiner Auffassung nach auch das Thema: Wann beginnt man mit der Ausbildung? Reicht es in der Neuen Mittelschule? Reicht es in der Volksschule? – Ich sage, wir sollten bereits im Kindergarten unsere Mädchen und Buben darauf sensibili­sieren, vor allem auch auf die technischen Berufe, auf die sogenannten MINT-Berufe: Mathematik, Informatik, Technik und Naturwissenschaften. Nur wenn wir diese Begeis­terung schaffen und ihnen gegenüber auch artikulieren, was man mit diesen Fertigkei­ten alles machen kann, wie man das in Zukunft anwenden kann, dann kann man viel­leicht auch eine gewisse Sensibilisierung, sage ich einmal, wecken, um später einen derartigen Job anzustreben, auch hinsichtlich der Mädchen: dass nicht jede eine Fri­seurlehre in Angriff nimmt, die ja sehr beliebt ist.

Das ist nicht abwertend, sondern ich sage einmal, wir müssen uns hier breiter aufstel­len. Da ist es entscheidend. Wenn wir in Österreich ein Bildungssystem haben – und ich finde es schade, dass die Frau Bundesministerin heute nicht mehr hier ist –, wenn wir also ein Bildungssystem haben, das international zu den teuersten Bildungssys­temen zählt, wir aber trotzdem pro Jahr 20 Prozent aus der Pflichtschule entlassen, die nicht sinnerfassend lesen und schreiben können, dann läuft hier etwas falsch, meine Damen und Herren!

Da müssen wir ansetzen, das kann nicht so sein. Sie müssen sich ja anschauen: Wel­che Jobs sollen diese Menschen, diese jungen Buben und Mädchen, einmal haben? – Sie können nur Hilfsarbeiterkräfte werden, denn ohne Qualifikation, ohne Bildung geht heutzutage nichts mehr.

Deswegen sage ich, hier müssen wir ansetzen in der Bildung: möglichst früh eine Sen­sibilisierung, vor allem vielleicht auch schon auf die technischen Berufe, und uns dies­bezüglich quasi breit aufstellen. Ich glaube, dann können wir das Erfolgssystem des dualen Ausbildungssystems weiterschreiben. Wenn wir uns immer nur zu Enqueten treffen, gescheit reden und am Ende des Tages nichts oder nichts Nachhaltiges he­rauskommt, dann ist es leider vergeudete Liebesmüh und auch vergeudete Zeit. – Dan­ke schön. (Beifall.)

12.06


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster gelangt Herr Abge­ordneter Höbart von den Freiheitlichen zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.06.36

Abgeordneter Ing. Christian Höbart (FPÖ)|: Sehr geehrte Teilnehmer dieser Enquete! Ich möchte hier in die gleiche Kerbe wie mein Kollege vom Team Stronach schlagen: Auch ich finde es schon bedauerlich, dass beide Regierungsvertreter, nämlich die Frau Minister, die für das Bildungssystem verantwortlich zeichnet, aber auch Herr Staats­sekretär Mahrer nicht mehr hier dabei sind, denn das, was wir heute hier erleben, sind ja in der Tat ganz interessante theoretische Vorträge.

Aber ich muss auch ganz offen sagen, was mich persönlich am meisten angesprochen hat, waren die Beiträge aus der Praxis, also zum einen von Ihnen, Herrn Ing. Werner, aber auch von den beiden Berufsschülern, die uns hier voller Stolz und wirklich mit Inbrunst dargestellt haben, wie stolz sie letztendlich auf diese Möglichkeit der Lehre mit Matura sind, sozusagen auf der einen Seite einen Beruf zu erlernen, auf der anderen Seite die Matura zu machen.

Vielleicht eine kleine Korrektur in deine Richtung, lieber David: Es geht, glaube ich, gar nicht darum, einen besseren Beruf nach einem Studium zu erlangen. Du hast einen tol­len Beruf, du erlernst gerade einen tollen Beruf. Ich möchte daran erinnern: Die er­folgreichsten Unternehmer weltweit, aber auch in Österreich, das sind nicht die großen Theoretiker, sondern Menschen, die das Herz an der richtigen Stelle habe, Mut haben, sich sozusagen zu trauen, in ihrem Beruf etwas zu schaffen. Also du hast hier, ihr habt hier letztendlich alle Möglichkeiten, diesen Beruf entsprechend auszubauen, ohne gro­ßen akademischen Hintergrund. Das ist oftmals – das möchte ich an der Stelle schon auch sagen – sogar hinderlich.

Ein zweiter Punkt ist auch ganz wichtig: Talenteförderung, Stärken-Schwächen-Analy­se. Wir müssen auch den Mut haben, hier in unserer Republik Elite zu fördern. Es gibt einfach schon Jugendliche und Kinder, aber auch Erwachsene mit besonderen Stär­ken, und da sollen wir nicht daran zweifeln, diese Stärken besonders hervorzukehren. Ja, wir brauchen den Mut zur Elitebildung! Das darf man hier nicht ideologisch sehen, wo dann oftmals eine Seite dieser Republik sich wieder abwendet und sagt: Um Gottes willen, Elite ist ja etwas ganz Böses! – Nein, ganz im Gegenteil: Es gibt in unserem Land viele, viele Menschen mit besonderen Kenntnissen, und diese Kenntnisse muss man entsprechend herausarbeiten.

Vielleicht noch ganz kurz dazu: Die Frau Präsidentin der Wirtschaftskammer Nieder­österreich Zwazl hat richtigerweise gesagt, eine Komponente als österreichische Ant­wort auf die exorbitant hohe Arbeitslosigkeit in vielen europäischen Ländern ist die du­ale Ausbildung. Das ist richtig – aber nicht nur! Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch ein Plädoyer für die österreichische Wirtschaft abgeben, denn nur dann, wenn wir eine kräftige, wachsende, prosperierende Wirtschaft haben, können wir überhaupt Ar­beitsplätze schaffen. Es nützt mir nichts, wenn die Wirtschaft sozusagen dahinsiecht.

Ich möchte in dem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass gerade – die „Presse“ hat es vor ungefähr eineinhalb Wochen geschrieben – der Jobmotor Mittelstand leider stockt, dass man in dieser Republik über Steuererhöhungen nachdenkt: Wie kann man Unternehmen eventuell sogar belasten? – Das ist der völlig falsche Weg! Die Wirt­schaft gehört entlastet, denn sie leidet letztendlich unter der Steuerlast. Sie leidet unter der Abgabenlast, sie leidet auch unter den Rahmenbedingungen.

Wie gesagt – ich wiederhole mich noch einmal –, nur wenn die Wirtschaft wächst, wenn wir Unternehmer haben, die den Mut haben, Visionen zu generieren, Produkte zu entwickeln, Dienstleistungen zu entwickeln, dann können wir uns überhaupt über sol­che Dinge wie die duale oder vielleicht sogar eine triale Ausbildung in der nahen und fernen Zukunft Gedanken machen.

Abschließend möchte ich noch einmal betonen: Das Image des Lehrberufes muss massiv verbessert werden. Ihr macht – ich habe das eingangs schon erwähnt – eine hervorragende Ausbildung. Seid stolz darauf! Es muss niemand in dieser Republik un­bedingt studieren, um erfolgreich sein zu können. Auch noch einmal von unserer Frak­tion: Danke, dass ihr so eindrucksvoll erwähnt habt, wie euer Weg beschritten wird! (Beifall.)

12.10


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächster gelangt Herr Land­tagsabgeordneter Florianschütz zu Wort. – Bitte, Herr Kollege.

 


12.10.56

Peter Florianschütz (Landtagsabgeordneter, Wiener Landtag)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Her­ren! Vorweg muss man sich dafür bedanken, dass diese Veranstaltung stattfindet, denn sie ist ein wichtiger und, wie ich denke, auch notwendiger Schritt, um sich einmal mit einer Frage auseinanderzusetzen, die gesellschaftlich wenig, und wenn, dann doch sehr oberflächlich diskutiert wird. Lassen Sie mich dazu zwei, drei Gedankengänge – mehr ist ja in dem Rahmen nicht möglich – sagen.

Erstens einmal: Es wird gesagt, die Lehrlingsausbildung ist ein Erfolgsmodell der Re­publik Österreich und im europäischen Rahmen ein Vorbild. Und es wird gesagt, die Lehrlingsausbildung funktioniert nicht gut, sie ist schlecht, sie bringt nicht das, was sie sollte. – Beides ist wahr.

Die Lehrlingsausbildung ist ein Erfolgsmodel aus Sicht einer sozialpolitischen Heran­gehensweise. Sie garantiert im System mit der überbetrieblichen Ausbildung und der Jobgarantie, dass in Österreich Jugendliche unter dem Durchschnitt der Europäischen Union arbeitslos sind. Das ist eine sozialpolitisch wesentliche Errungenschaft, und so kann man sagen, das Lehrlingssystem ist sozialpolitisch höchst erfolgreich.

In der Frage der Dotation der „Ware“ Arbeitskraft, also in der Vermittlung der Kennt­nisse und Fertigkeiten an die jungen Menschen, würde ich mich das in dem Ausmaß so nicht zu sagen trauen, meine Damen und Herren! Ich rufe in Erinnerung, dass wir uns vorgenommen haben, dass wir einen Mindestrahmen von 1 260 Stunden für drei­jährige Lehrberufe umsetzen. Das gibt es noch nicht, das ist ja noch nicht durchge­setzt. Aber wir haben uns vorgenommen, dass wir diese 1 260 Stunden an Ausbildung haben wollen.

Das klingt gut, ist es aber nicht. Das bedeutet nämlich – weil wir heute so viel von Eu­ropa geredet haben –, dass das in den kaufmännischen Berufen 120 Stunden Englisch in drei Jahren sind. Das ist eine Stunde pro Woche. Da ist Steigerungsbedarf gegeben! Ich weiß, dass das nicht einfach ist – weil Sie so lächeln, Herr Magister –, ich weiß, dass das nicht so einfach ist, aber in die Richtung müssen wir schon auch gehen, denn unsere jungen Menschen stehen ja nicht in der luftleeren Welt, sondern sie stehen auf einem internationalen Arbeitsmarkt und in Konkurrenz mit Menschen aus anderen Aus­bildungssystemen.

Das ist schon ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen: dass wir nicht im eigenen Saft braten können, sondern sagen müssen – ich bin als Wiener Landtags­abgeordneter natürlich Wien-lastig, so sehr ich mich jetzt auch darüber freue, in den Bundesrat zurückzukehren –, natürlich stehen die Jugendlichen, die in Wien die duale Berufsausbildung absolvieren, zum Beispiel in Konkurrenz zu Jugendlichen, die in Bra­tislava die Berufsausbildung absolviert haben. Am Ende des Tages müssen die Uns­rigen genauso gut sein wie die aus Bratislava. Das muss unser Ziel sein, weil sie sonst ein Problem haben: Dann haben wir zwar die Jugendarbeitslosigkeit bei den bis 18-, 19-Jährigen verhindert, aber nachher haben wir sie dann schon. Das ist nicht die Lö­sung, die ich mir erhoffe und erträume.

Die zweite Geschichte, über die man diskutieren muss, ist die Frage der Durchlässig­keit. Ganz zum Schluss, und das gebe ich zum Nachdenken mit: Wir haben heute viel über die Lehre mit Matura diskutiert, und ich bin ein Fan des Modells Lehre mit Matura. Es ist auch erfolgreich, aber es ist sperrig, aufwendig und nicht für alle Jugendlichen geeignet, und zwar nicht kognitiv, sondern von der Arbeitszeit her. Im Einzelhandel ha­ben wir damit schon Probleme, so locker ist das dort also nicht.

Dann frage ich mich, meine Damen und Herren, warum im Fachhochschul-Studienge­setz drinsteht, dass der Zugang zu einer Fachhochschule entweder durch die allgemei­ne Hochschulreife oder durch einen qualifizierten Berufsabschluss erfolgen kann, also eine Lehre, und warum es überhaupt keine Angebote gibt, dass Lehrlinge oder Absol­venten berufsbildender mittlerer Schulen ohne Matura direkt in einen Fachhochschul­studiengang einsteigen können, dort abgeholt werden und damit zu einer höheren Aus­bildung gebracht werden. Das wäre nämlich auch eine Herausforderung. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.14


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Harald Himmer|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Landtagsabgeordnete Astleitner. Willkommen zurück am Rednerpult im Bundes­rat!

 


12.15.01

Notburga Astleitner (Landtagsabgeordnete; Oberösterreichischer Landtag)|: Geschätz­ter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, es ist mir wirklich eine Freude, dass ich wieder einmal hier im Hohen Haus reden darf. Ich durfte ja von 2009 bis 2012 Mitglied dieses Hauses sein. Danke, Herr Präsident, für die freundliche Begrüßung! Ich muss sagen, ich kehre wirklich gerne hierher zurück, möchte ganz kurz aber auch ein Statement seitens des Oberösterreichischen Landtages beziehungsweise mein eige­nes abgeben.

Ich bin von Beruf seit zehn Jahren Pflichtschulinspektorin und war früher Lehrerin. Wie Sie sich denken können, liegt mir natürlich auch die Bildung und die Ausbildung sehr, sehr am Herzen. Deswegen möchte ich zunächst einmal dem Bundesrat recht herzlich dazu gratulieren, dass er sich dieses Themas angenommen hat. Das ist nämlich wirk­lich ein Zukunftsthema für unsere Jugendlichen und für das Land insgesamt.

Ich möchte auch allen Referentinnen und Referenten recht herzlich danken – Sie ha­ben uns einen umfassenden Einblick gegeben –, und ein großes: Gratulation! natürlich besonders den jungen Referenten und ein Danke auch von meiner Seite!

Es ist schon viel gesagt worden. Die Frau Ministerin hat gesagt, über den Wert der Ar­beit müssen wir diskutieren. Der Herr Staatssekretär hat die Rolle der Bildungsland­schaft erwähnt. Herr Mag. Mayr betonte das Stärkenbewusstsein, und dass wir darauf noch mehr Wert legen müssen. Das kann ich wirklich alles bestätigen.

Es wurde auch die Rolle der Schule schon beleuchtet; darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen. (In Richtung Bundesrätin Zwazl:) Aber, Frau Präsidentin, du hast auch – früher ist sie immer dort gesessen, jetzt sitzt sie schon da – die Rolle der Eltern erwähnt. Dort möchte ich auch einhaken, weil es meiner Ansicht nach wirklich sehr, sehr wichtig ist, einerseits die Rolle der Eltern nicht außer Acht zu lassen, und auch die Kooperationen und die Netzwerke zu betrachten.

Günther Köberl hat ein paar Best-Practice-Beispiele erwähnt. Ich möchte auch nur zwei nennen, und da meine ich, das wäre auch ein Weg, wo man sagt: Wir reden nicht nur darüber, die Lehre aufzuwerten, sondern wir tun auch etwas! Darum geht es ei­gentlich auch letztendlich. Es ist ja gerade angesprochen worden: Was soll denn he­rauskommen, wenn man sich hier einen oder einen halben Tag lang unterhält? – Ich möchte da zwei Beispiele bringen.

Ein Beispiel ist – das kann ich aus meinem Bezirk sagen – die gute Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft. Es ist, glaube ich, ein sehr, sehr wichtiger Punkt, da auch die Eltern hereinzunehmen. Wir bieten mit den heimischen Betrieben und Fir­men – und da sind, bitte, Firmen dabei wie zum Beispiel die Firma Hödlmayr, die, glau­be ich, allen ein Begriff ist, oder die Firma ENGEL, auch ein großes Unternehmen – eine Berufsorientierungsmesse am Wochenende für Schülerinnen und Schüler an, Letztere werden mit den Eltern eingeladen. Jetzt machen wir das seit zehn Jahren, und wir können uns, ehrlich gesagt, des Ansturms kaum mehr erwehren. Wir laden da natürlich nicht nur die achte Schulstufe, sondern auch frühere Schulstufen ein.

Was auch interessant ist: Am Anfang waren die Wirtschaftsbetriebe ein bisschen zu­rückhaltend. Wie wird es denn? Was könnte denn daraus werden? – Jetzt haben wir wirklich alle Betriebe vor Ort, bis hin – weil wir ja bald auch vor Neujahr stehen – zu den Rauchfangkehrern. Es ist schön, dass die Betriebe bei diesen Tagen schon Gele­genheit haben – aber auch die weiterführenden Schulen –, mit den zukünftigen Lehrlin­gen Kontakt aufzunehmen.

Die Firma ENGEL zum Beispiel – weil ich sie erwähnt habe – setzt auch sehr stark Mädchen ein, die die Firma in ihren Arbeitsverhältnissen hat. Diese begeistern wiede­rum Mädchen, vielleicht dort eine Lehre zu beginnen. Ich glaube, das ist ein Erfolgs­konzept.

Aber als zweites Beispiel möchte ich auch die Firma Siemens in Oberösterreich erwäh­nen. Hier darf ich aus einem Zeitungsartikel vom 3. Dezember 2014 zitieren. Bei der Firma Siemens hat ein Drittel der 105 Lehrlinge Migrationshintergrund. Ich kann nicht mehr den ganzen Artikel lesen, aber das ist wirklich wichtig:

Wie gut sie im Unternehmen integriert sind, zeigt ein bemerkenswertes Beispiel. Lehr­lingsvertrauensmann Benjamin Davidovic ist Serbe, sein Stellvertreter Arsim Mekolli stammt aus dem Kosovo. Ein vorbildhaftes Miteinander, ungetrübt von den politischen Konflikten, die ihre beiden Heimatländer trennen.

Ich glaube, wir müssen Beispiele bringen, wo das gut funktionieren kann, gerade auch mit so vielen Lehrlingen mit Migrationshintergrund. Das ist sehr wichtig. (Präsidentin Blatnik übernimmt wieder den Vorsitz.)

Mir gefällt wirklich diese Firmenphilosophie von Josef Kinast, das ist der Chef der Sie­mens-Niederlassung in Linz, der sagt:

Zahlen ändern sich, aber die Menschen, die wir prägen, bleiben und sind unser Zu­kunftskapital. – Zitatende.

Ich glaube, da kann man nur gratulieren. Das war die oberösterreichische Sicht. – Dan­ke vielmals. (Beifall.)

12.20


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Als Nächster hat sich Herr Vollmann zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.20.40

HR Dietmar Vollmann (Landesschulinspektor, Landesschulrat für Steiermark)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich habe mich jetzt in dem Bewusstsein zu Wort gemeldet, dass ich mich hier in einer gesetzgebenden Körper­schaft befinde. Das heißt, es sitzen hier viele Damen und Herren, die auch etwas ent­scheiden, lenken, steuern können, während ein Großteil der Wortmeldungen heute hier nur Anregungen sein können, in welche Richtung es gehen könnte.

Zum Herrn Direktor Werner möchte ich sagen: Wir sind, glaube ich, alle der Meinung, dass wir zwar bei der Diagnose sehr gut sind, die Verabreichung der Medikamente al­lerdings noch nicht wirklich funktioniert. Da wissen wir noch nicht, wo es hingehen soll.

Ich denke, wir müssen manche Dinge andenken, die momentan vielleicht Tabuthemen sind. Es wird ohne eine Steuerung der Bildungsströme nicht gehen, genügend Perso­nen in die richtige Richtung zu bekommen. Solange wir noch immer Schulbudgets auf­grund der Schülerzahlen vergeben, wird einfach keine Veränderung in diesem Bereich sichtbar sein.

Wir wissen auch, dass Lernprozesse immer von der Beziehungsebene abhängig sind. Das heißt aber auch, dass alle, die zum Beispiel in der dualen Ausbildung daran be­teiligt sind, entsprechend wertschätzend miteinander umgehen müssen. Und einer der Punkte, die wir an den Berufsschulen immer mitbekommen, ist einfach: Welchen Stel­lenwert hat der Lehrling im Lehrbetrieb? Wie wertschätzend wird mit ihm umgegan­gen?

In diesem Zusammenhang darf man sagen: Es geht oft auch darum, dem Lehrling im Betrieb klarzumachen, was der Lernprozess ist, den er durchmacht. Der funktioniert oft im informellen Bereich, weil er in den täglichen Arbeitsprozess miteingebunden ist; und dem Lehrling ist oft nicht bewusst, was er wirklich dabei erlernt. Da geht es also um das Sichtbarmachen dieser Lernprozesse. Ich glaube, da gäbe es noch einiges zu tun.

Zum Image der Lehre möchte ich nur sagen: Man sollte sich einmal überlegen, warum wir in Österreich diesbezüglich ein sehr starkes Ost-West-Gefälle haben. Das Image der Lehre ist nämlich in Westösterreich wesentlich höher als im Osten. Auch dafür muss es Gründe geben, die vielleicht zu hinterfragen sind.

Da sich Herr Bundesrat Perhab, Steirer wie ich, zur Berufsschulzeit geäußert hat, darf ich Sie beruhigen: Die Schulzeiterweiterung wäre nur eine Woche mehr pro Lehrjahr, wir wären nicht gleich bei drei Monaten.

Wir alle, die wir darüber diskutieren – das sage ich jetzt aus pädagogischer Sicht –, muten es derzeit dem Lehrling zu, 45 Pflichtstunden pro Woche an der Berufsschule zu absolvieren.

Viele, die hier herinnen sitzen, haben auch Kinder, die in die Schule gehen; und keiner, denke ich, würde seinem Kind zumuten, 45 Pflichtstunden – die Freigegenstände sind da noch gar nicht mitgerechnet – zu absolvieren. Deswegen denke ich, müssen wir über die Berufsschulzeit doch ernsthaft nachdenken. – Danke schön. (Beifall.)

12.23


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Als Nächste hat sich die Frau Landesschulins­pektorin für Berufsschulen aus dem Bundesland Oberösterreich, Gerlinde Pirc, zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.23.48

Dipl.-Päd. Gerlinde Pirc (Landesschulinspektorin, Landesschulrat für Oberösterreich)|: Geschätzte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme aus einem Bundesland, in dem sich 47 Prozent eines Altersjahrganges für die duale Ausbildung entscheiden. Damit sind wir Spitzenreiter. Das hängt natürlich mit der Wirtschaftsstruk­tur Oberösterreichs zusammen. Ein Erfolgsgarant ist aber auch die gute Zusammen­arbeit zwischen Berufsschule und Wirtschaftsbetrieben, wofür ich auch sehr dankbar bin.

Trotzdem möchte ich jetzt den Finger in eine Wunde legen, und vielleicht können Sie etwas beitragen, um diese Wunde zum Heilen zu bringen. Mein Vorredner hat erwähnt, dass bei manchen Lehrberufsausbildungen Schülerinnen und Schüler 45 Stunden Pflichtgegenstände haben; in Bundesländern, in denen Religion Pflichtgegenstand ist wie Vorarlberg und Tirol, sind es sogar 47 Stunden.

Das bedeutet, dass wir diesen jungen Menschen bestimmte Angebote einfach nicht mehr machen können. Wir können den Schwachen nicht den Förderunterricht anbie­ten, den sie brauchen; wir können den interessierten Lehrlingen nicht Freigegenstände, unverbindliche Übungen anbieten, obwohl uns der Staat entsprechende Dienstposten zur Verfügung stellt.

In Oberösterreich habe ich nämlich die Möglichkeit, laut bestehendem Dienstposten­plan, also ohne dass ich etwas mehr möchte, das diesen Jugendlichen anzubieten. Und wir haben gesehen, wie engagiert sie sind. Einer der Vorredner hat dezidiert auf das Gastgewerbe verwiesen. Da haben wir so interessante Gegenstände wie Kreatives Kochen. Die jungen Leute melden sich in Scharen, und die Lehrpersonen, die Direk­toren müssen sagen: Das wird euch zu viel, das können wir aus pädagogischen Grün­den nicht mehr zulassen.

Ich möchte auch in diesem Zusammenhang die Situation der Mädchen erwähnen. Es heißt ja heute auch „Chance für Frauen“. Wenn man sich genau anschaut, wie viel Un­terricht Schülerinnen in der Berufsschule bekommen, ist Folgendes festzustellen: Mäd­chen haben während der Lehrzeit insgesamt weniger Berufsschulunterricht und in der Woche einen höheren Anteil an Pflichtstunden zu absolvieren.

Das rührt daher, dass besonders viele Mädchen in den Lehrberufen Einzelhandel und Tourismus ausgebildet werden, und in diesen Bereichen ist die Schulsituation so wie sie eben ist. Wir haben auch da in nur drei Jahren Lehrzeit verpflichtend 1 080 Unter­richtsstunden in Pflichtgegenständen, während der normale Durchschnitt in drei Jahren 1 260 ist. Diese Belastungssituation ist für die jungen Leute nicht gut. Vielleicht können Sie daran etwas ändern.

Ich habe auch noch eine zweite Bitte. Wenn der durchschnittliche Berufsschullehrer, er oder sie, in Oberösterreich den ersten Tag unterrichtet, ist er oder sie 37 Jahre alt und hat eine lange Berufspraxis. Wir haben dann berufsbegleitend eine sechssemestrige Ausbildung, die wir anbieten, wo auch wir als Dienstgeber etwas beitragen.

Ich hoffe auch, dass in der Lehrerausbildung neu und im neuen Dienstrecht die Be­dingungen für diese Berufsschulpädagoginnen und -pädagogen so gestaltet werden, dass es uns auch in Zukunft gelingt, erfahrene und tüchtige Menschen aus der Wirt­schaft als Lehrpersonen für unsere jungen Leute zu gewinnen. Ich danke für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall.)

12.27


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Als Nächster hat sich Herr Direktor Ing. Wer­ner zu Wort gemeldet. Ich erteile es ihm.

 


12.27.20

Ing. Walter Werner (Direktor Fachberufsschule Villach 1)|: Verehrte Damen und Her­ren! Ich habe jetzt lange mit mir gerungen, bis ich beschlossen habe, mich noch einmal zu Wort zu melden. Ich bin mit der Schule emotional sehr verbunden, und auch mit dem dualen Berufsbildungssystem, das vom Formellen her wunderbar aufgestellt ist. Was die Stunden und die Belastung betrifft, okay, das sind Sachen, über die man dis­kutieren kann. Was mir aber fehlt, ist: Je höher man kommt, umso weniger läuft die Geschichte.

Ich muss wieder ein Beispiel aus dem Sport nehmen. Jeder Fußballverein hat ein so­genanntes Scouting System. Das heißt, da werden Talentespäher ausgeschickt, die gute Spieler, talentierte Fußballer suchen, und diese Leute holt man dann zu sich. Wa­rum passiert das nicht in einem so wichtigen Ministerium wie dem Bildungsministe­rium? Warum holt man sich nicht diese Expertise von diesen Personen?

Ich bin auch Mitglied dieser Masterlehrgangsgruppe. Wir sind ein total bunt gestreuter Haufen. Da ist eine Expertise vorhanden, wo wir voneinander lernen, wo wir Denkmo­delle entwickeln, die einfach unglaublich sind.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Elternteil, und Sie wissen, in Ihrer Region gibt es nicht ein schultypenspezifisches Förderprogramm, sondern ein schulstufenspezifisches Förderprogramm. Das heißt, egal, wohin die Kinder nach der vierten Schulstufe, nach der Volksschule wechseln, ob männlich oder weiblich, egal, ob sie in die NMS oder in die AHS wechseln, sie bekommen überall in der 5. Schulstufe das gleiche Entwick­lungsprogramm, das gleiche Förderprogramm.

Was bedarf es dazu? – Dazu bedarf es nur der Ressource Einstellung des Schulleiters, Einstellung der Lehrer. Es gibt genügend Ressourcen im schulischen Bereich, die wir ausnutzen können. Ich möchte als Beispiel meine Schule anführen. Wir haben den Ge­genstand Ethik an meiner Schule und wir machen im Gegenstand Ethik Persönlich­keitsentwicklung. Wir gehen mit den Jugendlichen zum Beispiel in der dritten Klasse ins Landesgericht und zeigen ihnen, was es für Folgen hat, wenn man eine Straftat be­geht, wenn man etwas „Dummes“ – unter Anführungszeichen – macht.

Das heißt, wenn Sie uns die Ressource geben, unsere Freiheit, unsere Gedankenfrei­heit zu nutzen, dann ist das auch ein großes Stück, unabhängig von irgendwelchen finanziellen Förder- und Unterstützungsmitteln, die wir brauchen. – Danke schön. (Bei­fall.)

12.30


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Als Nächste hat sich Frau Nationalratsabge­ordnete Jank zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.30.47

Abgeordnete Brigitte Jank (ÖVP)|: Frau Präsidentin! Meine sehr geschätzten Damen und Herren! Ich glaube, es ist heute schon extrem viel Richtiges gesagt worden. Es wurde auch die Frage gestellt: Warum bringen wir diese PS, die wir zum Teil hier ha­ben, nicht auf den Boden?

Ich möchte auf einen Punkt Bezug nehmen, den Herr Wolter erwähnt hat: Ist die Lehre etwas für mein Kind, oder ist sie etwas für das Nachbarskind? Damit möchte ich an­sprechen, dass die Eltern bei der Entscheidung, welche Ausbildung für das Kind richtig ist, viel mehr Verantwortung übernehmen müssen. Denn viele Eltern, vor allem die „Bildungsbürger-Eltern“, meinen, dass eine duale Ausbildung nicht das Richtige für ihr Kind wäre, weil sie den Weg für spätere Entwicklungen verbauen würde.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Vor allem bei den ganz jungen Menschen, die quasi am Beginn stehen, ihre Matura gemacht oder eine Lehre begonnen haben, sehen wir das in den Arbeitslosenzahlen. Bundesländer, die einen sehr hohen Anteil an Maturan­tinnen und Maturanten aufweisen, haben nämlich eine höhere Arbeitslosigkeit als jene Bundesländer, die einen ganz hohen Anteil an Menschen mit der dualen Ausbildung haben. Einen eindeutigeren Beweis dafür, was für die zukünftige Entwicklung eines Kindes besser ist, kann es wohl nicht geben.

Es gibt aber auch einen zweiten Aspekt, ich stelle das unter das Schlagwort Autono­mie: Ich bin Bildungssprecherin der Österreichischen Volkspartei hier im Hause, und ich trete sehr stark dafür ein, dass man den Schulen insgesamt mehr Freiheit gibt; denn nur dort, wo Schulleiter, Lehrerinnen und Lehrer, die ja wissen, was richtig ist, die Schule gestalten können, wird sich unser System auch entwickeln können.

Alle internationalen Studien sagen uns: Wir können an Strukturen so viel ändern, wie wir wollen – das wirkt nicht; es wirkt nur das, was in der Schule passiert. Und dort gibt es fähige Menschen, nur muss man sie eben entsprechend walten lassen.

Gut am System der Lehre ist, dass die Politik außen vor gelassen wird. Hier gestalten die Sozialpartner dort, nämlich die Unternehmervertreter mit den Arbeitnehmervertre­tern, und sie gestalten ein gutes Programm für unsere Jugendlichen. Stärken wir es weiter! (Beifall.)

12.33


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Als Nächste hat sich Frau Nationalratsabge­ordnete Mag. Grossmann zu Wort gemeldet. – Bitte.

 


12.33.44

Abgeordnete Mag. Elisabeth Grossmann (SPÖ)|: Frau Präsidentin! Werte Teilneh­merinnen und Teilnehmer an dieser wichtigen Enquete! Ich freue mich ganz außeror­dentlich, dass heute die duale Ausbildung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ge­rückt wurde, weil sonst in der öffentlichen Wahrnehmung das berufsbildende Schulwe­sen, generell aber das duale Ausbildungswesen leider sehr oft ein Schattendasein führt, und das völlig unberechtigterweise.

Es ist heute sehr viel gesagt worden. Sehr viele berechtigte, lobende Worte sind ge­funden worden: Die Lehrlinge sind die Fachkräfte der Zukunft, das Rückgrat unserer Wirtschaft, ist gesagt worden, aber wohl auch der Gesellschaft, meine ich. Es geht nicht nur um eine gute Fachausbildung, sondern es geht vor allem um Persönlichkeits­entwicklung.

Da möchte ich den Lehrenden in den Berufsschulen ganz besonders dafür danken, dass sie sich in diesem Ausmaß, oft weit über ihre berufliche Verpflichtung hinaus en­gagieren, um den jungen Menschen das richtige Maß an Persönlichkeitsentwicklung, an Persönlichkeitsbildung mitzugeben, damit sie sich im Leben besser zurechtfinden. Auch das gehört betont: Gerade beim berufsbildenden Schulwesen geht es um mehr als um reine Berufsausbildung.

Es sind der Politik heute sehr viele Impulse mitgegeben worden, und das alles soll nicht versiegen. Es sind so viele wertvolle Anregungen gekommen, und die möchte ich als Bildungssprecherin der SPÖ gerne aufgreifen. Wir haben einen Unterausschuss des Unterrichtsausschusses eingerichtet.

Es sind einige Nationalratskolleginnen und -kollegen hier, und wir werden dann viel­leicht auch den Themenkatalog, den wir uns vorgenommen haben, erweitern und ge­nau diese Impulse in einer eigenen Sitzung des Unterausschusses bearbeiten – wenn Sie einverstanden sind, dass wir uns die Verbesserungsvorschläge ganz genau anse­hen und nach Möglichkeit auch in die Realität umsetzen.

Denn darum geht es ja. Es soll nicht nur theoretisch diskutiert werden, sondern diese Botschaften sollen auch in der Realität ankommen, dann hat diese Veranstaltung einen noch größeren Sinn gehabt; und das wollen wir eben gemeinsam erreichen, nämlich das Beste für die uns anvertrauten jungen Menschen.

In diesem Sinn, vielen Dank für die Initiative zu dieser Enquete, Frau Präsidentin, und noch einmal danke dafür, dass Sie uns heute so viel mitgegeben haben. Alles Gute für unsere gemeinsame Zukunft, für die Zukunft unserer Jugend. – Danke schön. (Beifall.)

12.36


Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Wünscht noch jemand das Wort? Vielleicht eine zusätzliche Stellungnahme der Refe­renten oder Referentinnen? – Das ist nicht der Fall.

Die Debatte ist geschlossen.

12.36.10V. Zusammenfassung der Ergebnisse und weitere Vorgangsweise

 


12.36.20

Vorsitzende Präsidentin Ana Blatnik|: Erlauben Sie mir, zusammenfassend einige Gedanken hier kundzutun. Ich möchte einen Satz aufgreifen. Es ist sehr viel Geschei­tes gesagt worden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt heißt es: Ran an die Arbeit! Nachhaltigkeit ist gefordert. Denn es geht um die jungen Menschen, die eine wirklich gute, positive, bildungsorientierte Zukunft haben möchten. Unsere Verantwortung ist es, sie dabei zu unterstützen und dies zu ermöglichen.

Ich möchte mich auch bei dir recht herzlich bedanken, liebe Sonja Zwazl. Sie ist unsere Präsidentin, die ab 1. Jänner 2015 die Präsidentschaft des Bundesrates übernehmen wird, die auch dieses Thema zu ihrem Schwerpunkt gemacht hat, nämlich dass wir uns hinsichtlich dieser Nachhaltigkeit noch mehr bewusst werden, was zu tun ist.

Ich möchte mich bei allen Referenten und Referentinnen, Diskutanten und Diskutantin­nen recht herzlich bedanken. Erlauben Sie mir aber auch, mich noch einmal bei der Jugend zu bedanken. Ihr wart einfach „vom Feinsten“, würde ich es in der Klasse for­mulieren, und so formuliere ich es jetzt auch als Präsidentin.

Ich möchte mich bei dir bedanken, lieber Herr Mag. Kiesenhofer, bei Claudia Peska, die für ihren Klub die Arbeit gemacht hat, bei dir, lieber Kurt Schober, bei Karla Stoiber, bei allen, die mich unterstützt haben, bei unserem Fotografen, bei der Tontechnik, denn das sind die Menschen, die im Hintergrund arbeiten und die vergisst man sehr gerne.

Bedanken möchte ich mich auch bei dir, Frau Vizepräsidentin Posch-Gruska, für die tolle Moderation, beim Herrn Vizepräsidenten Himmer für die Vorsitzführung, bei allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen für das wirklich große Interesse und vor allem den Wunsch, etwas zu verändern, den ihr alle gezeigt habt.

Ich möchte mit einem Zitat enden. Danke, liebe Inge (in Richtung Vizepräsidentin Posch-Gruska), sie hat es mir vermittelt. Ich werde es ein bisschen verkürzen: „Man muss sich (…) um die Menschen kümmern, denn auf Gutes reagieren sie immer mit erhöh­tem Einsatz.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um Bildung – und ich bitte um euren Einsatz!

(Die Rednerin setzt ihre Ausführungen in slowenischer Sprache fort.)

*****

Danke. Hvala lepa. (Beifall.)

12.40

*****

Die Enquete ist geschlossen.

12.40.40Schluss der Enquete: 12.40 Uhr

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