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„#DigitaleCourage“

 

 

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Parlamentarische Enquete des Bundesrates

 

Mittwoch, 16. November 2016

 

(Stenographisches Protokoll)

 


Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 16. November 2016

(XXV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„#DigitaleCourage“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 16. November 2016: 10.03 – 14.54 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete

Präsident des Bundesrates Mario Lindner

II. Informationen zu politischen Strategien

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Muna Duzdar

III. Impulsreferate

Mag. Dr. Paul Sailer-Wlasits, Sprachphilosoph und Politikwissenschafter

Willi Mernyi, Mauthausen Komitee Österreich

Univ.-Prof. Mag. Dr. Lyane Sautner, Johannes Kepler Universität Linz

Elke Rock, Ö3-Moderatorin

IV. Panels

Panel I – Opferschutz und Recht

Direktor Mag. Peter Gridling, Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämp­fung

Mag. Barbara Unterlerchner, MES, Weisser Ring Österreich

Mag. Denise Schiffrer-Barac, Kinder- und Jugendanwältin des Landes Steiermark

Dr. Karin Bruckmüller, Johannes Kepler Universität Linz

Dr. Maria Windhager, Rechtsanwältin für Medien- und Persönlichkeitsschutzrecht

Panel II – Praxis in den Medien

Dr. Maximilian Schubert, LL.M., Internet Service Providers Austria

Mag. Judith Denkmayr, VICE Austria

Mag. Dr. Irmgard Wetzstein, MA, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien

MMag. Dr. Christian Burger, derStandard.at

V. Abschlussreferate „Zivilcourage“

Johannes Baldauf, Amadeu Antonio Stiftung Berlin

Barbara Kaufmann, freie Journalistin und Filmemacherin

Dr. Kai Jonas, Universität Maastricht

VI. Panel

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg)

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien)

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien)

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol)

VII. Offene Diskussion und Schlussworte des Präsidenten

*****

Inhalt

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete ................................ 4

Vorsitzender Präsident Mario Lindner ........................................................................ 4

II. Informationen zu politischen Strategien ................................................................ 6

Bundesminister Dr. Wolfgang Brandstetter ............................................................... 6

Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar ............................................................................ 9

III. Impulsreferate ......................................................................................................... 12

Mag. Dr. Paul Sailer-Wlasits ....................................................................................... 12

Willi Mernyi ................................................................................................................... 15

Univ.-Prof. Mag. Dr. Lyane Sautner ........................................................................... 17

Elke Rock ...................................................................................................................... 19

IV. Panels ....................................................................................................................... 22

Panel I – Opferschutz und Recht ............................................................................... 22

Direktor Mag. Peter Gridling ....................................................................................... 22

Mag. Barbara Unterlerchner, MES ............................................................................. 24

Mag. Denise Schiffrer-Barac ....................................................................................... 27

Dr. Karin Bruckmüller ................................................................................................. 30

Dr. Maria Windhager .................................................................................................... 32

Panel II – Praxis in den Medien .................................................................................. 35

Dr. Maximilian Schubert, LL.M. .................................................................................. 36

Mag. Judith Denkmayr ................................................................................................ 38

Mag. Dr. Irmgard Wetzstein, MA ................................................................................ 41

MMag. Dr. Christian Burger ........................................................................................ 43

V. Abschlussreferate „Zivilcourage“ ......................................................................... 45

Johannes Baldauf ........................................................................................................ 46

Barbara Kaufmann ....................................................................................................... 48

Dr. Kai Jonas ................................................................................................................ 51

VI. Panel ......................................................................................................................... 53

Bundesrat Edgar Mayer .............................................................................................. 53

Bundesrat Reinhard Todt ............................................................................................ 55

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA ......................................................................... 55

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer ............................................................................ 57

VII. Offene Diskussion und Schlussworte des Präsidenten .................................. 59

Abg. Mag. Nikolaus Alm .............................................................................................. 59

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 60

Bundesrat Christoph Längle ...................................................................................... 61

Bundesrat David Stögmüller ...................................................................................... 61

Johanna Tradinik .......................................................................................................... 62

Bundesrätin Inge Posch-Gruska ................................................................................ 63

Mag. Romy Grasgruber-Kerl ...................................................................................... 64

Präsident Mario Lindner .............................................................................................. 65

Geschäftsbehandlung

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 35


 

10.03.20Beginn der Enquete: 10.03 Uhr

Vorsitzende: Präsident des Bundesrates Mario Lindner, Vizepräsident des Bundesra­tes Mag. Ernst Gödl, Vizepräsidentin des Bundesrates Ingrid Winkler.

*****

10.03.23I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete

 


10.03.25

Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, einen wunderschönen guten Morgen und herzlich willkom­men im österreichischen Bundesrat! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum The­ma „#DigitaleCourage“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind. Ich begrüße alle Anwesenden sehr herzlich.

Mein besonderer Gruß gilt Herrn Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter. Ebenfalls ganz herzlich begrüße ich Frau Staatssekretärin Mag. Muna Duzdar. Weiters begrüße ich Herrn Bundesrat Edgar Mayer, den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Reinhard Todt, den Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Herrn Bundesrat Hans-Jörg Jenewein in Vertretung der Fraktionsvorsitzenden der FPÖ, Frau Bundesrätin Mo­nika Mühlwerth, sowie Frau Bundesrätin Mag. Schreyer, die Fraktionsvorsitzende der Grünen.

Es freut mich besonders, die Präsidentin des Salzburger Landtages, Frau Dr. Brigitta Pallauf, sowie die Zweite Präsidentin des steiermärkischen Landtages, Frau Manuela Khom, begrüßen zu dürfen – einen wunderschönen guten Morgen! Weiters darf ich alle Referentinnen und Referenten sehr herzlich begrüßen. Darüber hinaus begrüße ich sehr herzlich alle Mitglieder des Bundesrates, des Nationalrates und der Landtage, die Vertreterinnen und Vertreter der Bundesministerien sowie alle von den jeweiligen Insti­tutionen namhaft gemachten Vertreterinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Ex­perten an der heutigen Enquete teilnehmen. Im Besonderen heiße ich auch die Vertre­terinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen. Ferner begrüße ich alle Zuse­herinnen und Zuseher, die die heutige Enquete auf ORF III beziehungsweise via Live­stream im Internet verfolgen. (Beifall.)

*****

(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch den Vorsitzen­den sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll ver­fasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter „www.parlament.gv.at“ abrufbar sein wird.)

*****

Geschätzter Herr Bundesminister! Geschätzte Frau Staatssekretärin! Meine sehr geehr­ten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angst ist eines unserer stärksten Gefühle. Wir alle kennen sie, wir erleben sie Tag für Tag; das ist ganz normal. Angst ge­hört zum menschlichen Leben einfach dazu. Problematisch wird es aber dann, wenn die Entscheidungen, die wir treffen, die Taten, die wir setzen, von Angst und Verunsicherung bestimmt werden.

Wir alle wissen aus der Geschichte und vor allem aus unserem tagtäglichen Leben, wie schnell aus Angst Wut und aus Wut Gewalt werden kann. Genau das haben wir in den letzten Monaten und Jahren auf schmerzhafte Weise erfahren müssen. Hass im Netz, Cybermobbing, Hasspostings – vor fünf Jahren haben diese Begriffe wohl den we­nigsten von uns überhaupt etwas gesagt. Vor zehn Jahren hatte wohl kaum jemand auch nur eine Idee davon, welche Möglichkeiten und Chancen uns Internet und soziale Me­dien bringen werden und welche Herausforderungen damit auf uns zukommen.

In einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen enttäuscht vom politischen System ab­wenden, in der immer mehr unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger wütend auf das Es­tablishment, auf die da oben sind, in der klassischen Medien immer weniger vertraut wird und Bauchgefühle viel wichtiger sind als Fakten und in der viel zu viele von uns eben Angst spüren – Angst vor der Zukunft, Angst um unseren Lebensstandard, Angst um die Chancen unserer Kinder –, in dieser bewegten Zeit wird aus dieser Verunsiche­rung die Suche nach einem Schuldigen, wird aus dieser Angst Wut, und diese entlädt sich ganz besonders im Internet. Wir alle erleben Tag für Tag, wie schnell im digitalen Raum die Grenzen zerbrechen, die wir uns für ein friedliches Zusammenleben gesetzt haben, wie schnell sich immer mehr Menschen zu Aggressionen und Vereinfachungen hinreißen lassen und welche furchtbaren Folgen das für die Opfer, also für unsere Mit­bürgerinnen und Mitbürger, haben kann.

Dass das Thema Hass im Netz in den letzten Monaten immer mehr ins politische Schein­werferlicht gerutscht ist, dass Regierungsmitglieder, Interessenvertretungen und NGOs es zum Thema machen, dass sich engagierte JournalistInnen lautstark zu Wort melden und auf genau dieses Problem aufmerksam machen, das alles beweist, dass dieses The­ma einfach jede und jeden von uns betrifft. Die meisten hier im Saal sind wahrschein­lich auf Facebook, auf Twitter, auf Instagram aktiv. Die meisten von uns benutzen Whats­App und erleben in unzähligen Gruppen und Chats hautnah mit, wie schnell Gespräche außer Kontrolle geraten und Äußerungen getätigt werden können, die im normalen Le­ben einfach unvorstellbar wären. Und wir wissen, dass Hass im Netz kein abgekapsel­tes Phänomen ist, sondern dass es die Situation widerspiegelt, in der wir uns als Ge­sellschaft befinden.

Wir wissen, dass Hasspostings und Cybermobbing der Spiegel einer Gesellschaft sind, in der Hassverbrechen genauso zunehmen, wie Angst und Verunsicherung um sich grei­fen. Und wenn uns bei all dem eines klar geworden ist, dann das: dass man nicht der Bundeskanzler oder eine Spitzenpolitikerin sein muss, nicht ein prominenter Journalist, eine Künstlerin oder ein Spitzensportler, um zum Opfer von Hate Speech zu werden.

Hasspostings und Shitstorms können jede und jeden von uns treffen: den Jugendlichen, der stolz das Foto von seiner ersten Regenbogenparade postet und als Schwuchtel be­schimpft wird; die Mutter, die auf Facebook berichtet, warum sie in ihrer Freizeit Deutsch­kurse für Flüchtlinge hält, und schon nach ein paar Kommentaren als Volksverräterin bezeichnet wird; den 50-jährigen Hackler, der wegen einer schlechten Auftragslage von einem Tag auf den anderen ohne Job dasteht, auf Unterstützung angewiesen ist und im Netz zum Sozialschmarotzer wird. – Hass im Netz ist kein Problem der Eliten, das ist ei­ne Herausforderung, vor der unsere gesamte Gesellschaft steht, und wir haben die his­torische Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dieses Problem besser heute als morgen gelöst wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Poli­tik im Kampf gegen Hass im Netz eine wichtige Rolle zu spielen hat, aber keinesfalls die einzige. Wir können Plattformen bieten, wir können Mittel zur Verfügung stellen, wir können wie hier und heute Institutionen, Initiativen und Einzelpersonen vernetzen. Ja, wir werden unseren Teil der Verantwortung übernehmen, und das haben wir auch ge­tan – zum Beispiel als dieses Haus vor wenigen Monaten Cybermobbing zum Straftat­bestand gemacht hat –, aber wir wissen vor allem eines: Die Politik kann nicht einfach drei Gesetze ändern, und Hass im Netz gehört der Vergangenheit an. Verbote, Verord­nungen und Richtlinien werden nicht reichen, um diesem Phänomen zu begegnen, da­für brauchen wir die Zivilgesellschaft. Wir brauchen unsere Mitbürgerinnen und Mitbür­ger, und wir müssen sie darin bestärken, sich zu Wort zu melden, selbst gegen Hass und Ausgrenzung vorzugehen.

Genau diesen Weg will der österreichische Bundesrat gehen: mit der heutigen Enquete; mit dem offenen Arbeitsmeeting, zu dem wir schon vor einem Monat 50 MultiplikatorIn­nen und ExpertInnen in dieses Haus eingeladen haben, um gemeinsam den heutigen Tag vorzubereiten; mit dem Lehrlingsparlament, bei dem sich vergangene Woche 100 Lehr­linge aus ganz Österreich mit Fragen der Zivilcourage im Netz beschäftigt und tolle Vor­schläge erarbeitet haben; und mit dem „Grünbuch Digitale Courage“, das in 16 Beiträgen Inputs aus Theorie und Praxis liefert und konkrete Vorschläge und Ideen an die Politik richtet.

Unser Ziel ist nicht weniger, als mit all diesen Schritten den Startschuss für einen ös­terreichweiten Schulterschluss für mehr digitale Courage zu setzen. Wir wissen, dass das kein einfacher Weg ist, aber mit Sicherheit ein Weg, der sich lohnen wird.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ich möch­te mich aus ganzem Herzen dafür bedanken, dass Sie heute hier im Bundesrat oder via Fernsehen und Internet mit dabei sind, dass Sie diesen Weg mit uns gehen. Hass und Gewalt sind ein Problem, vor dem wir alle, jeder Teil, jede Gruppe, jedes Mitglied unserer Gesellschaft, die Augen nicht verschließen dürfen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von uns hier im Saal einfach tatenlos dane­benstehen würde, wenn ein Mitbürger auf offener Straße beschimpft und bedroht wer­den würde. Wir würden handeln, Zivilcourage zeigen, und genau das müssen wir auch im Netz, in den sozialen Medien tun, denn die Opfer von Hasspostings sind eben keine Schwuchteln, keine Volksverräter und keine Sozialschmarotzer; sie sind unsere Mitbür­gerinnen und Mitbürger, und so sollten wir uns auch verhalten. Wir alle haben das Recht, ohne Angst und Gewalt zu leben.

2016 ist das Jahr, in dem wir Hass im Netz zum Thema gemacht haben, in dem wir Auf­merksamkeit und Problembewusstsein geschaffen haben. Sorgen wir gemeinsam, dafür, dass 2017 das Jahr der Lösungen, das Jahr der digitalen Courage wird! – Herzlichen Dank. (Beifall.)

10.15

10.15.07II. Informationen zu politischen Strategien

 


10.15.16

Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Bundes­räte! Ich bin dem Herrn Präsidenten des Bundesrates für das, was er soeben gesagt hat, sehr dankbar; er hat einige wesentliche Dinge vorweggenommen, sodass ich mich etwas kürzer fassen kann. Präsident Lindner hat zu Recht darauf hingewiesen, dass man mit der Angst der Menschen, mit ihrer Verunsicherung nicht spielen darf, und mit Hassgefühlen und ihrer Verbreitung darf man auch kein Geschäft machen.

Ich habe bereits kurz nach meinem Amtsantritt anlässlich eines Gipfels gegen Hass und Hetze gemeint, dass derjenige, der Hass und Gewalt sät, Gefängnis ernten soll, und das ist auch richtig so. Ich bin sehr dankbar dafür, dass diese Thematik hier in geeigne­tem Rahmen wieder aufgegriffen wurde, denn seit diesem Gipfel im Jahr 2014 ist die­ses Thema ja nicht kleiner geworden, im Gegenteil: Das Problem ist eigentlich größer geworden – ein Blick in die aktuelle Medienberichterstattung macht das klar –, aber wir ha­ben reagiert.

Wir haben mit 1. Jänner 2016 den zentralen Tatbestand im Zusammenhang mit Hass­postings, die Verhetzung gemäß § 283 StGB, umfassend novelliert, um internationale Vor­gaben umzusetzen und aufgrund aktueller Ereignisse zutage getretenen Defiziten die­ses Tatbestands zu begegnen – um auch unseren Beitrag dazu zu leisten, dass es, was Hassbotschaften betrifft, entsprechende Grenzen geben muss!

So haben wir im Bereich der geschützten Gruppen klargestellt, dass diese Gruppen posi­tiv oder negativ definiert sein können, weshalb nunmehr, seit 1. Jänner 2016, auch die ge­zielte Hetze gegen Ausländer, Ungläubige, Migranten oder Asylwerber tatbestandsmä­ßig und damit strafbar ist. Wir haben mit der Novellierung der Verhetzung auch eine hö­here Strafdrohung vorgesehen – eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jah­ren –, und zwar dann, wenn die Hetze dazu führt, dass Gewalt gegen eine Person aus­geübt wird.

Dass die Gewalt in Worten schnell zu Gewalt in Taten führen kann, darauf hat Bundes­kanzler Kern erst vor wenigen Wochen in einem beachtenswerten Interview mit der deutschen Zeitung „Die Zeit“ hingewiesen. Er hat auch darauf hingewiesen, dass wir Ös­terreicher diesbezüglich aus der Geschichte gelernt haben, und das ist richtig so. Wir lernen aus historischen Fakten wie dem Fall Borodajkewycz, wir lernen auch aufgrund aktueller Vorfälle, dass Gewaltbotschaften in verbaler Form sehr leicht in gewalttätige Ak­tivitäten umschlagen – daher haben wir reagiert, und wir müssen auch reagieren; die Sta­tistik gibt uns leider recht, da war etwas zu tun.

Die Staatsanwaltschaften nehmen ihre Aufgabe in diesem Bereich in Anbetracht der zu­nehmenden Zahl gewaltverherrlichender Postings im Internet sehr ernst. Die Zahl der Strafanträge wegen Verhetzung hat zugenommen – bis Ende Oktober 2016 gab es 89 Strafanträge, im Jahr 2015 gab es insgesamt 80 Strafanträge –, und die Zahl der Verfahren hat sich von 513 auf 540 erhöht. Was heißt denn das? – Das heißt, dass es im Verhältnis zur Gesamtzahl des Jahres 2015 nur bis Ende Oktober dieses Jahres zu einer Steigerung von 10 Prozent kam, also war es offensichtlich notwendig und richtig, diesen Entwicklungen auch mit strafrechtlichen Verschärfungen entgegenzutreten.

Wenn ich jetzt wahrnehme, dass es Forderungen nach weiteren legistischen Verschär­fungen gibt, so möchte ich nur darauf hinweisen, dass wir natürlich nicht nur mit dem verschärften Tatbestand der Verhetzung vorgehen – dieser ist, wie gesagt, noch nicht einmal ein Jahr in Kraft und hat schon eine entsprechende Wirkung gezeigt –, sondern dass wir auch, worauf der Herr Präsident schon hingewiesen hat, hier im Haus den Tat­bestand Cybermobbing definiert und eine entsprechende Regelung beschlossen haben, und damit waren wir durchaus rechtzeitig dran, denn diese Bestimmung könnte uns auch in dem aktuellen verabscheuungswürdigen Fall eines gewaltverherrlichenden Videos hel­fen.

Nach diesem Tatbestand macht sich strafbar, wer „eine Person für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar an der Ehre verletzt“ oder „Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereiches einer Person ohne deren Zustimmung für eine grö­ßere Zahl von Menschen wahrnehmbar macht“, sofern dies im Wege einer Telekommu­nikation oder eines Computersystems längere Zeit hindurch fortgesetzt geschieht und auf eine die Lebensführung des Opfers unzumutbar beeinträchtigende Weise erfolgt.

Eine „größere Zahl“ ist ab einem Richtwert von zehn Personen anzunehmen, und es ist klar, was vom Begriff des „höchstpersönlichen Lebensbereiches“ umfasst sein soll. Ich denke, auch eine demütigende Darstellung, wie sie uns in den letzten Tagen im Netz er­schreckt hat, kann durchaus diesen Tatbestand erfüllen.

Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2015 wurde darüber hinaus die Definition der ge­fährlichen Drohung ausgeweitet, sodass nunmehr auch Drohungen mit einer Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch entsprechende Aktivitäten im Netz straf­rechtlich erfasst werden können.

Schließlich will ich daran erinnern, dass mit diesem Gesetz auch die Strafdrohung für schwere Körperverletzung auf sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe erhöht wur­de und jene für die absichtliche schwere Körperverletzung auf ein Jahr bis zu zehn Jah­ren angehoben wurde. Selbst unter Berücksichtigung der besonderen Strafdrohung für Jugendliche sind Strafrahmen möglich, die durchaus auch die Verhängung von Untersu­chungshaft und höheren Freiheitsstrafen zulassen.

Das ist gut und richtig so, und das entsprach unserem Grundansatz, die Strafdrohungen gegen die Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter und die Strafdrohungen für Gewalt­delikte in Relation zu reinen Vermögensdelikten entsprechend zu erhöhen und in die­sem Bereich eine Verschärfung vorzunehmen, die, wie die Praxis zeigt, auch tatsäch­lich gut angenommen wurde und die wir auch brauchen. Freilich kann man weiterhin über­legen, ob es nicht noch weitere legistische Regelungen und Verschärfungen braucht. Ich denke, das ist derzeit nicht der Fall. Das Strafrecht ist die schärfste und massivste Waffe, die im Sinne des Ultima-Ratio-Grundsatzes auch sehr sorgfältig eingesetzt wer­den sollte.

Was wir aber brauchen, ist eine europaweite klare Verpflichtung von Betreibern solcher Netzwerke, aber auch von Usern, gewaltverherrlichende und andere grob anstößige, be­leidigende und verletzende Bilder von sich aus zu entfernen oder den Zugang solcher User zu sozialen Netzwerken zu sperren. Das wäre effektiv, rasch und ohne Strafver­folgung durchsetzbar.

Letztlich muss man betonen, dass diesbezüglich auch die Europäische Union gefordert, aber auch aktiv geworden ist. Unsere Justizkommissarin Věra Jourová hat eine Initiati­ve gesetzt. Sie ist in Kontakt mit den global tätigen, profitorientierten Internetunterneh­men, und das macht auch Sinn, denn man kann diesen letztlich auf Augenhöhe wohl nur auf der Ebene der Europäischen Union begegnen. Das geschieht auch, und ich un­terstütze das auch sehr und bin froh darüber, dass es solche Aktivitäten gibt.

Was mein Ressort betrifft, so sind wir bei der interministeriellen Initiative gegen Gewalt und Hass im Netz natürlich auch gerne mit dabei, und ich danke meiner Regierungs­kollegin Muna Duzdar wirklich ausdrücklich dafür, dass sie sich diesbezüglich sehr en­gagiert hat. Wir wollen gemeinsam unbürokratische Melde- und Anzeigemöglichkeiten schaffen, und wir wollen Leitfäden und Informationen zum Umgang mit Hasspostings er­arbeiten.

Ich habe auch Vertreter meines Hauses für das Nationale Komitee zu No Hate Speech nominiert, das zur Umsetzung der No-Hate-Speech-Initiative des Europarates gegrün­det wurde und dem Informations- und Wissensaustausch zwischen den Vertretern der Bundesministerien und den NGOs dient.

Ja, wir müssen der Radikalisierung insbesondere junger Menschen mitten unter uns Ein­halt gebieten und ein klares Signal setzen: Hass und Hetze haben bei uns keinen Platz. Sie stoßen an Grenzen gesamtgesellschaftlicher Toleranz und – wenn es sein muss – selbstverständlich auch an enge rechtliche Grenzen.

Ich möchte aber meine Rede nicht schließen, ohne mein altes Credo zu erwähnen: Prä­vention ist besser als Repression. – Das stimmt natürlich. Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass junge Menschen mitten unter uns sich so weit aufhetzen lassen, dass sie in einen unheiligen Krieg ziehen! Wir müssen auch neue Wege finden, um diesen Herausforderungen zu begegnen und dieses Phänomen im Ansatz zu bekämpfen. Vor allem müssen wir gesamtgesellschaftlich ein Bewusstsein bilden, dass Hass und Het­ze, aus welchen Motiven auch immer, nicht tolerierbar sind.

Die Selbstverpflichtung der sogenannten sozialen beziehungsweise – besser gesagt –neuen Medien in anderen Bereichen, wie etwa der Kinderpornografie, sollte auch auf die­sen Bereich ausgedehnt werden. Es darf keinen Platz und keinen Schutz für Hass und Hetze in unserer Gesellschaft geben! Daher freue ich mich darüber, dass interministe­riell auch weitere Aktivitäten in diesem Zusammenhang geplant sind.

So gesehen, blicke ich erwartungsvoll auf die Ergebnisse der heutigen Enquete. Sie kön­nen sicher sein, dass ich als Justizminister in meinem Verantwortungsbereich die Er­gebnisse dieser Enquete beachten und auch umsetzen werde, um unser Österreich als Hort der friedlichen Auseinandersetzung und des sozialen Friedens zu erhalten. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

10.26


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Bun­desminister.

Ich bitte nun Frau Staatssekretärin Mag. Duzdar um ihr Einleitungsreferat. – Bitte, Frau Staatssekretärin.

 


10.26.43

Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Mag. Muna Duzdar|: Einen wunderschönen gu­ten Morgen! Werte Bundesräte! Sehr geehrter Herr Minister! Ich möchte mich vorab ein­mal auch beim Bundesrat und beim Bundesratspräsidenten dafür bedanken, dass er die­se Initiative ergriffen hat und dass diese Enquete auch zustande gekommen ist, denn dieser Themenblock ist etwas, das uns sicherlich auch in den nächsten Jahren weiter­hin beschäftigen wird.

Vonseiten der Politik haben wir in der Vergangenheit oftmals diese Phänomene und Ent­wicklungen, die es im Netz gibt, viel zu sehr unterschätzt. Heute erkennen wir, dass es nicht einfach darum geht, dass sich Einzelne im Netz entfesseln, sondern darum, dass diese Entwicklungen im Netz tatsächlich große Auswirkungen und auch Einfluss auf un­sere Demokratie haben. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass das auch Aus­wirkungen auf unseren Rechtsstaat hat, denn wir haben natürlich ein Problem, wenn Negativgeschichten und Unwahrheiten tausend Mal verbreitet und zur Wahrheit erho­ben werden und dann für viele Menschen als Wahrheit gelten, hingegen aber das, was außerhalb des Netzes ist, als Lüge bezeichnet wird und starkes Misstrauen gegenüber Journalisten, gegenüber dem Staat und gegenüber konventionellen Medien vorhanden ist, weil damit selbstverständlich auch die Demokratie ausgehöhlt und untergraben wird.

Hassrede und Diskriminierung sind keine gesellschaftlichen Phänomene, die mit dem Netz entstanden sind, nein, das gibt es schon seit jeher. Der Unterschied ist aber, dass durch die Überwindung der technologischen Grenzen durch die Social-Media-Plattfor­men jetzt eine enorme Verbreitung stattfindet und die Entwicklungen massiv beschleu­nigt werden, wie wir sie in diesem Ausmaß bisher nicht gekannt haben.

Das Netz, dessen Ursprungsgedanke zunächst war, dass es damit einen Raum und Ort der Kommunikation und der Freiheit gibt, verkommt immer mehr zu einem Raum und zu einem Ort von Negativgeschichten und auch Hassgeschichten, und das stimmt uns na­türlich sorgenvoll. Auch die Ereignisse im letzten Jahr zeigen uns, was geschieht, wenn populistische Debatten einfach entgleiten können.

Wir haben gesehen, was in Großbritannien im Zusammenhang mit der Brexit-Kampag­ne geschehen ist, die unter anderen im Mord der Abgeordneten Jo Cox gemündet ist, der in Wirklichkeit sinnbildlich dafür war, dass der Hass der Worte – wie es auch der Justizminister gesagt hat – letztlich auch zum Hass in Form von Taten führt. Wir sehen, was geschieht, wenn in komplexen politischen Debatten falsche und simple Antworten gegeben werden und diese auch außer Kontrolle geraten.

Wir wissen heute beispielsweise, dass es in Großbritannien seit der Brexit-Abstimmung vermehrt rassistische Übergriffe auf MigrantInnen gegeben hat und solche gemeldet wer­den, und auch in Deutschland ist es nicht anders. Auch in Deutschland sehen wir, dass der Hass im Netz sehr schnell in konkrete Taten umschwenkt. Wir stellen eine steigen­de Anzahl von Übergriffen auf AsylwerberInnenheime fest.

Wir haben den Ausgang der US-Wahlen beobachten können, und es ist interessant, aus diesem Anlass auch zu verfolgen, welche Rolle soziale Medien dabei gespielt ha­ben und welche Bedeutung diese in diesem Zusammenhang haben. Es gibt Schätzun­gen, wonach ein Viertel der Retweets der Tweets von Donald Trump beispielsweise durch automatische Accounts erzeugt wurde. – Das sind eben genau diese neuen Phänome­ne und Entwicklungen, die wir sehen: Menschen glauben, dass wirkliche Nutzer und wirkliche Personen dahinterstehen, während in Wirklichkeit Computerprogramme und vielleicht auch Teams von Personen dahinterstehen, die das gezielt und bewusst orga­nisieren.

Auch das verabscheuungswürdige Prügelvideo, das ebenfalls schon genannt wurde, das in den letzten Tagen enorme Verbreitung über die Social-Media-Kanäle erfahren hat, zeigt, was geschieht, wenn Gewalt nicht nur verherrlicht wird, sondern soziale Medien auch da­zu genützt werden, solche Inhalte sehr stark zu verbreiten. Ich habe mir dieses Video be­wusst nicht angeschaut, weil ich mir so etwas nicht anschauen möchte. Es haben aber viele, die das negativ kommentiert haben, im Grunde genommen nur dazu beigetragen, dieses Video zu verbreiten, und damit, ohne es zu wollen und zu wünschen, bewirkt, dass die Gewaltverherrlichung verbreitet wird. Daher beispielsweise auch ein Tipp, den wir in dieser gemeinsamen Regierungsinitiative geben: Man soll Postings nicht teilen, wenn man der Aussage nicht zustimmt und nicht dieser Meinung ist, weil man dann näm­lich zur Verbreitung beiträgt.

Es ist erschütternd, welche Gewalt da vorgefallen ist und welche Gewalt in Wirklichkeit auch verbreitet wurde! Ich glaube, das Neue an der ganzen Sache ist, dass es da tat­sächlich zu Körperverletzungen kommt, dass die Jugendlichen das filmen und auch ins Netz stellen. Deshalb ist es natürlich notwendig, dass wir uns damit auseinanderset­zen, warum Jugendliche dazu fähig sind, wie das überhaupt geschehen kann.

Genauso problematisch finde ich es auch, wie sich dieser digitale Lynchmob gebildet hat, der in Wirklichkeit mit Gewaltaufrufen auf diese Gewalt reagiert hat. – Ich sage im­mer: Auf Hass kann man nicht mit Hass antworten, und auf Gewalt kann man nicht mit Gewalt antworten. Daher haben wir uns auch damit auseinanderzusetzen, welche Rol­le die Onlineplattformen einnehmen und wie es möglich ist, dass Facebook erst auf Druck der Staatsanwaltschaft dieses Video gelöscht hat. Im Hinblick darauf werden wir uns selbstverständlich eingehend mit der Regulierung dieser Plattformen auseinander­setzen müssen.

Das sind nur einige wenige traurige Beispiele, die zeigen, dass es notwendig ist, zu handeln. Die Entwicklungen, die wir jetzt online beobachten können und selbst erfah­ren müssen, sind aber natürlich nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Entwicklun­gen. Hass steht nicht abseits von gesellschaftlichen Fragestellungen, und obwohl wir auf Hass im Netz natürlich mit entsprechenden Maßnahmen reagieren müssen, ist klar, dass es damit nicht getan ist. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Islamophobie, Ho­mo- und Transphobie sind Probleme, denen wir uns tagtäglich stellen müssen und de­nen wir auch vehement entgegentreten müssen. Um Hasspostings zu bekämpfen, müs­sen wir aber zuallererst deren Wirkung analysieren und auch verstehen.

Ich sage immer, es gibt für mich im Grunde genommen zwei Phänomene, die sich im Netz abspielen: Einerseits trägt natürlich diese Onlinewelt sehr stark dazu bei, dass es eine Art Entfesselung und Enthemmung gibt, weil viele eben der Meinung sind, man sei unsichtbar und anonym im Netz, all das, was man da schreibe, habe keine Konse­quenzen, das Netz sei ein straffreier Raum. – Das stimmt nicht, aber man sieht natür­lich im Netz die Menschen nicht, und man kann schnell einmal etwas tippen, was si­cherlich auch ein Grund dafür ist, dass diese Entfesselung schneller voranschreitet.

Andererseits gibt es auch das Phänomen, dass Dinge systematisch organisiert werden und versucht wird, das Netz dazu zu nützen, um meinungsbildend zu agieren, indem gezielt Strukturen aufgebaut und gezielt Computerprogramme, sogenannte Meinungs­roboter, eingesetzt werden, um systematisch Bilder und auch Negativgeschichten zu konstruieren. Diese Phänomene sind es, die die Menschen total verängstigen und ver­unsichern. – Ich denke etwa an viele Senioren und Seniorinnen, die sich beispielswei­se früher die Informationen aus Tageszeitungen geholt haben, sich heute jedoch die In­formationen ausschließlich aus dem Netz holen, und wenn man sich täglich drei bis vier Stunden in bestimmten Foren und Blogs bewegt, dann ist man verängstigt und ver­unsichert, dann hat man einfach Angst. Auf diese Weise werden auch normale Bürger im Grunde genommen sehr stark aufgehetzt.

Das muss uns zu denken geben, und dem müssen wir uns auch stellen, denn wenn Menschen so verängstigt werden, dass sie das Gefühl haben, sie können sich nicht mehr in der Öffentlichkeit bewegen, weil ihnen dann sofort etwas passiert, dann spielt man mit Ängsten und schürt diese gezielt und bewusst im Netz. Wenn man sich damit beschäftigt, entdeckt man aber auch diese neuen digitalen Tools, die man einsetzen kann, um damit auch Politik zu machen. Es ist nichts gegen Emotion einzuwenden, aber wenn falsche Geschichten dazu eingesetzt werden, um bewusst und gezielt Empörung auszulösen, dann spielt sich das natürlich auf einer anderen Ebene ab.

Wir sehen, dass wir erkennen und auch klar zum Ausdruck bringen müssen, dass Mei­nungsfreiheit nicht bedeutet, dass man alles schreiben und alles tun und lassen kann, was man will. Falschinformationen und Hetze sind nun einmal nicht Meinungen, die man zum Ausdruck bringt, sondern werden bewusst genützt, um Angst zu schüren und poli­tische Ziele durchzusetzen.

Ein Teil der Debatte muss natürlich auch der Überlegung dienen, wie man im Rahmen von Gesetzen sowie im Rahmen der Arbeit mit den Plattform- und Forumsbetreibern gegen diese Postings vorgehen kann. Es ist wichtig – der Justizminister hat das auch sehr schön dargestellt –, dass wir in Österreich sehr gute gesetzliche und rechtliche Grundlagen haben, dass wir den Verhetzungsparagrafen haben, dass wir den Cyber­mobbing-Straftatbestand haben, der auch verschärft wurde.

Ich denke, der nächste Schritt wird sicherlich sein, dass man sich überlegen muss, wie man auch Onlineplattformen stärker in die Pflicht nehmen kann, denn diese spielen mitt­lerweile eine tragende Rolle bei den politischen Debatten und sind auch von sehr gro­ßer Bedeutung in Wahlkämpfen. Das heißt: Wir werden uns dahin gehend sicherlich auch etwas überlegen. Dass Facebook und Google beispielsweise gestern angekün­digt haben, Falschmeldungsseiten den Geldhahn zuzudrehen, ist ein wichtiger und gu­ter erster Schritt, aber das reicht natürlich nicht aus, sondern man muss sich überle­gen, wie man Plattformen auch stärker in die Verantwortung nimmt.

Das darf aber nicht der einzige Punkt sein. Wir dürfen nicht glauben, dass immer, wenn gewisse Probleme und Phänomene in unserer Gesellschaft auftauchen, das Strafrecht die einzige Antwort darauf und die einzige Lösung dafür ist, denn die Tatsache, dass ein Hassposting gelöscht wird, bedeutet nicht, dass der Hass gelöscht wird. Daher müs­sen wir darüber hinausgehen und eine breite gesellschaftliche Debatte über das füh­ren, was in unserer Gesellschaft geschieht, und das möchte ich gemeinsam mit allen In­teressierten tun.

Viele sind lange Zeit der Meinung gewesen, wir seien im Netz so ohnmächtig, es sei ein Wahnsinn, was da alles passiere, man könne sich dem nicht entgegenstellen und nichts dagegen tun. – An diesem Punkt treten wir auf den Plan und sagen erstens: Auch wir in der Politik erkennen, dass das keine Randerscheinung und keine Kleinig­keit und Lappalie ist, sondern dass das ein ernst zu nehmendes Problem und Phäno­men ist. Und zweitens: Wir können sehr wohl etwas tun.

Wir können gesetzlich, rechtlich etwas tun, wir können aber auch viele dazu befähigen, sich gegen Hass im Netz zu wehren, indem wir ihnen das entsprechende Handwerks­zeug geben. Deshalb sind wir auch mit einem Leitfaden an die Öffentlichkeit gegangen, der gegen Hass im Netz argumentiert. Wir haben auch Freecards mit zehn Tipps pro­duzieren lassen, wie man sich gegen Hass im Netz wehren kann. Wir binden natürlich auch die Zivilgesellschaft mit ein, die sich mit diesem Themenbereich sehr stark be­schäftigt, und wir versuchen auch in Workshops, die Zivilgesellschaft mit der Verwal­tung zusammenzubringen. Außerdem versuchen wir auch, sehr viele Freiwillige zu or­ganisieren, um das Netz wieder zurückzugewinnen und das Netz von Hass zu befreien.

Wir müssen dafür noch mehr tun, und wir müssen aktiv daran arbeiten. Das ist auch der Grund dafür, dass wir die Zivilgesellschaft sehr stark einbinden. Wir müssen selbst online widersprechen und zugleich alle, die digitale Zivilcourage leisten können und wol­len, zusammenholen, um etwas zu erreichen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, im Zuge dieser Enquete alles Gute. Ich denke, dass wir mit der Initiative gegen Hass im Netz einmal die ersten Schritte eingeleitet haben, um zu signalisieren, dass die Bedeutung dieses Phänomens vonseiten der Politik erkannt wurde. Wir möchten Tipps geben, wir möchten aber auch die Gegenrede stärken. Wir möchten auch Informationen über die gesetzliche Lage verbreiten und viele gesellschaftlichen Gruppen vernetzen.

Klar ist für mich aber auch, dass wir den gesellschaftliche Diskurs, der verroht ist, egal, ob online oder offline, nur gemeinsam wieder in sinnvolle Bahnen lenken können. Inso­fern darf ich mich nochmals beim Bundesrat und allen voran bei Herrn Präsidenten Mario Lindner für seine Initiative im Bereich digitale Courage bedanken. Wir müssen da zusammenarbeiten, und ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam eine Initiative in die Wege leiten, diesem Phänomen sehr stark entgegentreten und tatsächlich auch das Netz zurückerobern können. Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

10.41


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.

10.41.32III. Impulsreferate

 


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Nunmehr kommen wir zu den Impulsreferaten der Referentinnen und Referenten.

Ich darf die Referentinnen und Referenten darum ersuchen, die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten, damit danach ausreichend Zeit für eine Diskus­sion zur Verfügung steht.

Ich darf nun den Sprachphilosophen und Politikwissenschafter Mag. Dr. Sailer-Wlasits um seinen Beitrag bitten.

 


10.42.04

Mag. Dr. Paul Sailer-Wlasits (Sprachphilosoph und Politikwissenschafter)|: Sehr geehr­ter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Frau Staatssekretärin! Werte Da­men und Herren Abgeordnete! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn von der Sprache die Rede ist, gibt es wenige Orte, die für einen solchen Dialog besser geeig­net sind als Parlamente. Diese tragen in ihrer Namensherkunft parlamentum und parle­ment bereits ihre Bestimmung: jene der Debatten hinsichtlich des gesellschaftlichen Gan­zen. Diesen folgend möchte ich drei Aspekte zum Ausdruck bringen: das Wesen unse­rer Sprache, die Einbettung des Politischen in diese und die daraus resultierende Ver­antwortung jedes und jeder Einzelnen für seine beziehungsweise ihre je eigene Sprache.

Wenn wir das Wort ergreifen und etwas sprachlich in die Erscheinung bringen, dann versetzt uns dies in die Lage, Erfahrungen mit Sprache zu machen. Wenn wir die Din­ge nicht im Unausgesprochenen belassen, bedeutet das gleichzeitig, dass wir durch die Unmittelbarkeit des Festgestellten berührt oder getroffen werden und daher auch betrof­fen sind. Je nach Stärke des verbalen Treffers, je nach der Gewalt, die einem Wort mit­gegeben ist, reagieren wir, erheben Gegenrede, beziehen Stellung; in keinem Fall bleiben wir teilnahmslos.

Das Diktum Sigmund Freuds darf gerade in seiner Stadt nicht vergessen werden. Ich zitiere: „Aber das Wort war doch ursprünglich ein Zauber, ein magischer Akt, und es hat noch viel von seiner alten Kraft bewahrt.“

Kenntnisse hinsichtlich der Sprache zu besitzen, seien diese sprachwissenschaftliche oder literarische, ist etwas anderes, als Erfahrungen mit Sprache zu machen. Ihre Wir­kung zu erfahren entspricht einem „Er-Fahren“, einem Begleiten. Wir beschreiten, in­dem wir sprechen, einen Weg, der durch unsere Gedanken, Ansichten und Werte in seiner Richtung vorgezeichnet ist. Sprachwege können parallel verlaufen, harmonisch ineinander übergehen. Sie können einander jedoch auch überschneiden und Kreuzungs­punkte bilden. An diesen Kreuzungen kann es zu verbalen Berührungen kommen, zur sanften Tuchfühlung oder aber zum diskursiven Zusammenstoß.

Dieses Aufeinanderprallen – wir nennen es zuweilen Hassrede – ist kein neues Phäno­men, sondern nur ein neues Symptom. Das Phänomen der Hassrede geht bis an den An­fang der menschlichen Sprach- und Kulturgeschichte zurück. Die ältesten Kernbestän­de des Alten Testaments etwa sind nicht nur sprachgewaltig, sondern auch voll von Sprachgewalt. Diese reicht weit über das Metaphorische hinaus. Im antiken Rom gab es blutdürstige Gerichts- und Senatsreden. Die Hasssprache erreichte immer dann neue negative Höhepunkte, wenn sich etwa der Druck auf die Außengrenzen des Imperiums erhöhte. Die verrohte Diktion kehrte ein Jahrtausend später zurück, während der Kreuz­züge mit den sprachlichen Gegensatzpaaren Christ und Ungläubiger und später im Ko­lonialismus mit den antiken Antagonismen Herr und Sklave.

Doch ausgerechnet im 20. Jahrhundert, als der Zivilisationsprozess bereits weit fortge­schritten schien, geriet die Sprache in den brutalen Würgegriff von Totalitarismen. Sie wurde als hassverzerrtes, rassistisch deformiertes Wortgut wieder ausgespien. Das Ap­pellative duldete keine Widerrede. Der komprimierte Tonfall der NS-Diktatur zerschlug die Sprache des Humanen. Der sprachliche Alltag wurde durch Umcodierungen von Wör­tern mit Hasssprache durchsetzt.

Auf solchen sprachlichen Vergiftungen und Verseuchungen, auf solchen toxischen Sprach­resten basiert die Hassrede unserer Tage. Restbestände von ethnisch herabwürdigen­dem Vokabular klingen durch. Es sind dies die verschmutzten und beschädigten Sprach­kerne von damals, wenn Minderheiten diskriminiert oder Mutationen des Worts Über­fremdung wieder aufleben und als rhetorische Waffe verwendet werden. Zwischen Ver­balradikalismus und Hasssprache oszillierend, hat die sprachliche Aufrüstung nicht nur in Europa längst begonnen.

Seit Jahrtausenden bewirkt die Sprache des Hasses einen Zusammenbruch der Sym­metrie bestehender Verhältnisse der Anerkennung. Sprachliche Grenzen werden über­treten, und gleichzeitig dominiert der rhetorische Effekt die Debatte. Der diesjährige US-amerikanische Wahlkampf wird vermutlich als negatives Lehrstück aktiver politischer Selbstbeschädigung sowohl der handelnden Personen als auch der politischen Spra­che in die jüngere Politikgeschichte eingehen. Es ist schwierig, dem Volk sprachliche Mäßigung abzuverlangen, wenn die Vorbilder das „Vor“ aus „Vorbild“ streichen und nur noch am Bild, am Image, und an dessen glatter Oberfläche arbeiten.

Mit verkürzter Sprache kann bekanntlich die Komplexität der Welt zu Phrasen reduziert und damit massentauglich gemacht werden. Nur solange diese Reduktion von Komple­xität erklärenden Charakter besitzt, kann sie gerechtfertigt werden. Der verbale Weg von der Simplifikation zum Vorurteil und vom Angstbild zur Feindbildrhetorik ist zwar ein mehr­stufiger, jedoch ein sehr direkter Sprachweg, der niemals beschritten werden sollte, denn es ist dies ein Weg, auf dem die Sprache des Ressentiments ethnisiert werden kann. Der Zivilisationsprozess der Sprache ist noch nicht an sein Ende gelangt, nur weil er lan­ge Zeit zur Reife hatte.

Dort, wo das Performative beginnt, tatsächlich zur Sprachhandlung zu werden, besteht Verletzungsgefahr durch Sprache. An dieser Stelle bricht auch ein Konkurrenzverhält­nis zwischen der Forderung nach unumschränktem Recht auf freie Meinungsäußerung und dem obersten Gebot des Schutzes der Menschenwürde auf – eine Bruchlinie, die je nach historischer, kultureller und/oder religiöser Herkunft unterschiedlich interpretiert und gewichtet wird. Free Speech und die Würde des Anderen werden sprachlich nie­mals völlig zur Deckung gebracht werden können. Man kann sie einander nur behut­sam annähern, asymptotisch annähern; feine tangentiale Berührungen sind nötig, an­dernfalls kommt es zu spürbaren Kollisionen.

Der Übergang vom Wort zur Tat ist ein qualitativer Sprung. Dieser ist nicht aus einer Ursache herleitbar, sondern entspricht Vorgängen von sich gegenseitig verstärkenden Sprechakten, kumulativen Wirkungen von Sprachhandlungen aus semantischen Auf- und Überladungen und aus daraus ableitbaren Handlungsanweisungen. Ein Prozess von der Sprachgewalt zur Gewalt durch Sprache und von dieser zur gewaltsamen Tathandlung erfolgt nicht mit Notwendigkeit, doch der latente Hass wird gewissermaßen durch die Sprache aufgeweckt, er wird manifest. Sprachentgleisungen schreiten nicht einfach nur unbegrenzt fort, an ihrem Höhepunkt angelangt, bereiten sie eine neue Dimension vor: jene, in der die Tat das Wort überschreiten kann. Der 15. Juli 1927, hier auf dem Platz zwischen dem Parlament und dem Justizpalast, war ein solcher Punkt in der österrei­chischen Geschichte, bei dem der sprichwörtliche Funke dazu ausreichte, dass die Tat das Wort überschritt und 90 Tote, Tausende Verletzte und eine geteilte Republik zurück­blieben.

Kehren wir zum Bild der Sprachwege zurück! Wir stehen heute vor einem langen Sprach­pfad, auf dem die Vorbildwirkung differenzierter Sprache in Angriff genommen werden sollte. Hate Speech, etwa jene in den sozialen Medien, hat den Charakter von großflä­chigen sprachlichen Überschwemmungen.

Einzelmaßnahmen helfen nur punktuell. Man muss sich grundsätzlich ansehen, wie groß das potenzielle Überschwemmungsgebiet ist, welche möglichen Maximalschäden auf den verschiedenen Diskursebenen entstehen können, und einen Gesamtplan erar­beiten, der sämtliche zivilgesellschaftlichen Bereiche und auch Cleavages im Blick be­hält. Hassrede ist nicht monokausal. Die vielgestaltigen Maßnahmen können daher auch nicht unter einen einzigen Begriff gezwängt werden.

Das Konzept der Gegenrede ist ehrenwert, doch es besitzt nicht denselben diskursiven Startvorteil wie die Hassrede, denn diese ist kurz, schneidend und verletzend, die Ge­genrede hingegen lang, erklärend und argumentierend. Gegenrede birgt zudem das Ri­siko, dass die Hassrede implizit zur politischen Kategorie aufgewertet wird und mit de­mokratischer Partizipation verwechselt wird. Stattdessen sollte primär an einer Gegen­haltung gearbeitet werden, denn eine zivilgesellschaftliche Ethik, vermittelt durch Vor­bilder aus Politik, Bildungseinrichtungen und Medien, erzeugt Gegenhaltung und per ef­fectum wirksame Gegenrede.

Die zusätzliche Steuerung mittels strafrechtlicher Sanktionen für sprachliches Fehlver­halten sollte konsequent, jedoch nicht rigoros angelegt sein, damit sich eine demokra­tische Gesellschaft nicht auf den Sprachweg der Selbstzensur begibt, wie dies die so­genannten Mikroaggressionen an den US-amerikanischen Universitäten bereits zeigen.

Jede und jeder Einzelne ist im Sinne des Gesellschaftsvertrags stets dafür verantwort­lich, welchen Gebrauch er von Sprache macht, sobald er seine subjektive Weltwahr­nehmung zum Ausdruck bringt. Die sich bietenden Chancen können ab heute ergriffen werden, denn: plus initii numquam fuit quam nunc – mehr Anfang als jetzt war nie! Vielen Dank. (Beifall.)

10.52


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun den Vorsitzenden des Mauthausen Komitees Österreich, Herrn Willi Mer­nyi, um seinen Beitrag bitten.

 


10.52.20

Willi Mernyi (Mauthausen Komitee Österreich)|: Ich möchte mich zu Beginn bedanken – nicht aus Höflichkeit, sondern aus politischer Überzeugung. Es ist keine Selbstverständ­lichkeit, dass eine Tagung zu diesem Thema mit einer solchen Beteiligung hier an die­sem Ort, übertragen von ORF III, stattfindet. Dafür möchte ich mich bei Ihnen und ganz speziell bei dir, Herr Präsident, recht herzlich bedanken. (Beifall.)

Ich finde, eine der spannendsten Fragen beim großen Thema Zivilcourage ist: Wer kann sich denn eigentlich zivilcouragiert engagieren? Was sind das eigentlich für Menschen, die sich zivilcouragiert engagieren? Zugegeben, für das Verhalten von Menschen im Na­tionalsozialismus erscheint der Begriff Zivilcourage aus heutiger Perspektive wenig pas­send. Ich finde aber, es ist die extremste Form der Zivilcourage gewesen, die ich ken­nengelernt habe, in einem politischen System wie dem des Nationalsozialismus Wider­stand zu leisten, unter dem Einsatz des eigenen Lebens.

Eine sozialwissenschaftliche Studie nach der anderen untersuchte: Was sind das für Menschen? Die meisten Studien untersuchten Werte und Maßstäbe: Was hat es mög­lich gemacht, sich den Zwängen zu widersetzen? Eine der bekanntesten Studien, jene von Manfred Wolfson, ging davon aus, dass eine Orientierung an positiven Vorbildern und eine antiautoritäre Erziehung Voraussetzung für zivilcouragiertes Handeln gewe­sen waren. Er führte rund hundert Interviews mit Frauen und Männern durch, die seine Thesen jedoch widerlegten, denn die Mehrheit der Retterinnen und Retter im National­sozialismus waren gewöhnliche Menschen, die weder über besondere finanzielle Mittel noch über größere Wohnungen noch über bessere Bildung noch über wichtigere Kon­takte als die anderen verfügten. Am Rande sei gesagt: Zwei Drittel der HelferInnen wa­ren Helferinnen.

Die RetterInnen im Nationalsozialismus wurden nicht als solche geboren, sie wurden nicht als solche erzogen, sie waren auch nicht die besseren Menschen. In vielen Fällen entschieden sie sich situationsbedingt. Sie sind über sich hinausgewachsen. Sie zeig­ten zivilen Mut und haben ihn vielfach mit ihrem Leben bezahlt.

Der Feind der Zivilcourage ist nicht der Hass. Im Jahr 1964 wurde Kitty Genovese auf of­fener Straße vor ihrem Wohnhaus im New Yorker Stadtteil Queens überfallen und brutal umgebracht. Ihre Ermordung fand vor 38 – 38! – Zeugen statt. Die „New York Times“ ver­öffentlichte zwei Wochen später auf der Titelseite einen langen Artikel über die Un­menschlichkeit und über die Passivität dieser 38 Menschen. Wie konnte es sein, dass niemand einschritt, obwohl 38 Menschen zusahen? Heute wissen wir, dass gerade der Umstand, dass so viele zugeschaut haben, sie wahrscheinlich das Leben gekostet hat, weil niemand half, weil ja einer näher dran war, einer stärker war, einer vielleicht der Ge­scheitere war. Jeder fand jemanden, der wohl besser geeignet war, zu helfen, als er selbst.

Heute wissen wir, dass dieses Phänomen Non-helping Bystander genannt wird, soziale Hemmung durch die Anwesenheit anderer – oder auch die sozialen Gaffer. Und unsere Frage ist doch: Wie machen wir aus sozialen Gaffern Akteurinnen und Akteure – ob ana­log oder digital?

Wenn man heute einen Erste-Hilfe-Kurs besucht und dort die Frage durchgeht: Was machen Sie eigentlich, wenn Sie einen Herzinfarkt haben?, dann sagt ein guter Erste-Hilfe-Trainer: Sie fragen nicht in die Menge: Kann mir bitte jemand helfen?, sondern Sie schauen eine Person an und sagen zu dieser einen Person: Bitte, helfen Sie mir!

Ich glaube, Politik muss Rahmenbedingungen schaffen, dass sich Menschen im Zu­sammenhang mit Zivilcourage angesprochen fühlen, persönlich angesprochen fühlen. Ich weiß, es ist nicht einfach. Das Mauthausen Komitee Österreich hat in den letzten Jahren Zivilcouragetrainings mit Jugendlichen organisiert und durchgeführt. 50 000 Ju­gendliche waren in den letzten Jahren in Zivilcouragetrainings. Die Fragen sind banal: Wo, glaubt ihr, ist Zivilcourage gefragt? Wo wird man Zivilcourage anwenden? – Was, glauben Sie, ist da die häufigste Antwort von Jugendlichen? Die häufigste Antwort ist: In der Straßenbahn, in der S-Bahn, im Zug gehen zehn auf einen los, und ich kann ja nichts tun!

Eine halbe Stunde später, nach einer ein bisschen intensiveren Auseinandersetzung mit Zivilcourage, sagen die Jugendlichen: Eigentlich bin ich noch nie selbst in einer sol­chen Situation gewesen, aber dass in meinem Betrieb, in meiner Schule, in meiner Ge­meinde, in meinem Verein auf einen losgegangen wird und ich traue mich nichts zu sa­gen, das ist schon öfters passiert. Und die zweite Frage: Wenn ich mich etwas zu sa­gen traue, was soll ich sagen und wie soll ich es sagen? – Das geschieht nicht aus Feigheit, sondern einerseits aus dem berechtigten Bedürfnis nach Schutz, nicht selbst das Opfer zu werden, und andererseits deshalb, weil nie darüber nachgedacht wurde, wie denn Zivilcourage funktionieren kann.

Sie können sich die Erleichterung nicht vorstellen, wenn wir den Jugendlichen sagen: Also wenn wirklich zehn in der U-Bahn auf einen losgehen, hilft es nichts, wenn du hingehst und es dann zwei sind, auf die die zehn losgehen, sondern dann greif zu dei­nem Handy, ruf die Polizei, hilf und schau nicht weg! Sie können sich diese Erleichte­rung der Jugendlichen nicht vorstellen: Ah, bin ich dann eh kein Feigling? – Zivilcourage heißt nicht, den Märtyrer zu spielen, sondern Zivilcourage heißt, hinzuschauen – und ich möchte eben nicht zwischen digitaler und analoger Zivilcourage trennen.

Wir machen diese Zivilcouragetrainings mit Trainerinnen und Trainern, die wir auch auf digitale Zivilcourage hin schulen, weil es eben mehrere Ebenen gibt – aber derselben Zivilcourage. Sie können sich vorstellen, wie viele Anfragen ich auf Facebook bekom­me, was man in dieser oder jener Situation tun soll. Es geht aber meistens nicht um Gewaltsituationen, sondern um Situationen, in denen eben viele Personen auf eine los­gehen und man sich die Frage stellt: Was kann ich tun?

Ich finde diese Frage deswegen so bedeutend und schließe auch mit dieser Frage: Was kann ich selbst tun?, weil ich glaube, dass es Rahmenbedingungen und Unter­stützung braucht, speziell bei jungen Menschen. Wenn ein Land eine zivilcouragierte Gesellschaft hat, dann, aber nur dann, ist digitale Courage möglich. – Vielen Dank. (Bei­fall.)

10.59


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank für Ihr Referat.

Ich erteile nunmehr Frau Univ.-Prof. Mag. Dr. Sautner, Abteilung für Strafrecht und Rechts­psychologie, Johannes Kepler Universität Linz, das Wort. – Bitte.

 


11.00.34

Univ.-Prof. Mag. Dr. Lyane Sautner (Johannes Kepler Universität Linz)|: Sehr geehrter Herr Präsident des Bundesrates! Sehr geehrte Frau Staatssekretärin! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Hass im Internet – ich den­ke, darüber sind wir uns einig – ist ein Phänomen, dem auf breiter Basis zu begegnen ist. Es fordert die Politik, die Justiz, aber auch und besonders die Courage von Internet­usern und -userinnen, Hassbotschaften als solche auf- und anzuzeigen. Das Kriminal­strafrecht bietet dafür eine wichtige Hintergrundfolie. Es zieht die Grenzen zwischen er­laubt und verboten und macht deutlich, welche Interessen für ein friedliches Zusammen­leben der Menschen jedenfalls zu respektieren sind. Es dient damit dem Rechtsgüter­schutz.

Das Kriminalstrafrecht kann aber immer nur Ultima Ratio zum Schutz bestimmter Rechtsgüter vor bestimmten Arten von Angriffen sein. Entsprechend erklärt sich auch der fragmentarische Charakter des Strafrechts: Nicht alles, was rechtswidrig ist oder gar nur als störend empfunden wird, darf strafrechtlich verboten werden. Allerdings un­terliegen die Ansichten darüber, welche Rechtsgüter unbedingt zu schützen sind, dem Wandel der Zeit. Sie werden auch durch die Entwicklung der technischen Rahmenbe­dingungen, der menschlichen Kommunikation und des menschlichen Verhaltens beein­flusst. Die zunehmende Digitalisierung eröffnet dem Einzelnen Handlungsspielräume mit beachtlichem Schädigungspotenzial, die auch zur Verbreitung von Hassbotschaften im Internet genutzt werden können.

Hass im Internet kann sich durch das Posten, Liken und Teilen von Hassbotschaften in sozialen Netzwerken oder das Betreiben entsprechender Webseiten zeigen. Folgende Gesichtspunkte charakterisieren Hassbotschaften im Internet: Soziale Netzwerke er­möglichen es dem Einzelnen, seine Anonymität durch Nutzung eines Fake-Profils zu wahren, und zwar zunächst im Verhältnis zur Internet-Community, gegebenenfalls aber auch beim Versuch einer rechtlichen Inanspruchnahme des Users, denn die Erfahrung zeigt: Soziale Netzwerke schützen die Anonymität ihrer Mitglieder teilweise dadurch, dass sie ihren eigenen Community-Standards Vorrang vor den verbindlichen Normen der österreichischen Rechtsordnung einräumen.

Die Anonymität setzt die Hemmschwelle für Übergriffe herab. Anders als bei traditio­nellen Formen der Kommunikation hat der Täter dadurch kaum etwas zu verlieren, was zu einem Ungleichgewicht gegenüber potenziellen Opfern führt. Dieses Ungleichge­wicht wird durch die Breitenwirkung und Nachhaltigkeit einmal im Internet verbreiteter Botschaften verstärkt: Durch das Posten, Liken und Teilen von Nachrichten kann ein brei­ter Adressatenkreis erreicht werden.

Und: Das Internet vergisst nicht. Es ist also kaum möglich, dort vorhandene Informa­tionen wieder zu beseitigen. All das führt zu einem beachtlichen Schädigungspotenzial durch Hassbotschaften für die davon Betroffenen, davon abgesehen aber auch zu einer Verrohung der Kommunikation. Der zunehmende Hass im Internet ist aber nicht allein der Kommunikationstechnologie geschuldet, vielmehr ist Hass im Internet Ausdruck ei­ner erstarkenden Hasskriminalität, deren Ursachen in Prozessen des gesellschaftlichen Wandels zu suchen sind. Will man Hass im Internet bekämpfen, reicht es nicht, sympto­matisch gegen die Verbreitung von Hassbotschaften vorzugehen, vielmehr ist bei den ge­sellschaftlichen Bedingungen dafür anzusetzen, die den Nährboden dafür bieten, und zwar den verbreiteten Vorurteilen gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen.

Welche Handhabe bietet nun das Strafrecht gegen Hass im Internet? – Das StGB hält eine Reihe von Delikten bereit, die auch die Verbreitung von Hassbotschaften im Inter­net unter bestimmten Voraussetzungen verbieten. Das sind Delikte gegen die Freiheit wie die gefährliche Bedrohung, die beharrliche Verfolgung und die fortgesetzte Beläs­tigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems, Delikte gegen die Ehre wie die üble Nachrede und die Beleidung, Delikte gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung wie die pornografische Darstellung Minderjähriger und Delikte gegen den öffentlichen Frieden wie die Aufforderung zu mit Strafe bedrohten Handlun­gen und Gutheißung solcher Handlungen und die Verhetzung.

Hinzu kommen Tatbestände des Verbotsgesetzes: Während die meisten dieser Tatbe­stände nicht speziell Hass im Internet fokussieren, zielt der durch das Strafrechtsände­rungsgesetz 2015 und landläufig als Cybermobbing bezeichnete Tatbestand des § 107c StGB aber gerade darauf ab. Der Tatbestand ist an jenen der beharrlichen Verfolgung angelehnt. Während es bei jenem Delikt aber unstreitig ist, dass eine Vollendung nur durch ein mehrfaches Tätigwerden erreicht werden kann, soll § 107c StGB nach einer Ansicht schon durch eine einzige Handlung verwirklicht werden können. Die Fortge­setztheit könne sich in solchen Fällen aus dem Unterlassen der Löschung des relevan­ten Inhaltes ergeben. Kriminalpolitisch ist diese Ansicht durchaus überzeugend.

Diese Interpretation vermag angesichts des eindeutigen Wortlauts, der bei § 107a StGB nachgerade umgekehrt verstanden wird, aber nicht zu überzeugen. Sie führt auch zu einem Wertungswiderspruch, wenn eine Unterlassungsstrafbarkeit gar nicht möglich ist, weil der Inhalt faktisch gar nicht mehr aus dem Internet entfernt werden kann. Man den­ke aktuell an das Video einer brutalen Körperverletzung an einem Mädchen, das inner­halb kürzester Zeit mehr als zehntausendfach geteilt wurde.

So ergibt sich, dass das Netz der strafrechtlichen Verbote gegen Hass im Internet weit­gehend engmaschig ist, aber doch einige größere Lücken aufweist. Das gilt besonders dort, wo jemand im Internet für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar einma­lig gegen eine Person eine Hassbotschaft schmähenden Inhalts absetzt, ohne dass der Verhetzungstatbestand erfüllt wäre, weil der Bezug zu den Diskriminierungsmerkmalen einer Gruppe fehlt. Sofern der Täter auch nicht zum Ausdruck bringt, dass der Eintritt ei­nes Übels von ihm abhängen würde, stellen derartige Äußerungen auch keine gefährli­chen Drohungen dar.

Eine Strafbarkeit wegen Aufforderung zu einer mit Strafe bedrohten Handlung ist wie­derum zu verneinen, wenn dadurch in anderen nicht unmittelbar der Entschluss zur Be­gehung von Straftaten erweckt werden soll. Schmähende Äußerungen können den Tat­bestand der Beleidigung durch Beschimpfung erfüllen, doch ist die Beleidigung ein Pri­vatanklagedelikt, was bedeutet, dass das Opfer bei vollem Kostenrisiko die Rolle des An­klägers übernehmen müsste. Will es das nicht, bleibt die mutmaßliche Beleidigung, mit einigen wenigen Ausnahmen, nicht verfolgt. Das präventive Potenzial von Privatankla­gedelikten ist, wie Sie sich denken können, damit sehr überschaubar, weil die Betroffe­nen es nicht auf sich nehmen, in die Rolle des Anklägers zu schlüpfen. Für anonyme im Internet verbreitete Hassbotschaften, bei denen man gar nicht weiß, welche Person wirk­lich dahintersteht, gilt das umso mehr.

Diese Konstellation, die ich skizziert habe, stellt keine Strafbarkeitslücke im eigentli­chen Sinne dar. Die grundsätzliche Entscheidung über die Strafbarkeit der Beleidigung zulasten der Meinungsfreiheit hat der Gesetzgeber bereits getroffen. Empfehlenswert er­scheint aus meiner Sicht aber eine Umgestaltung der Beleidigung in ein Ermächtigungs­delikt, wenn die Beleidigung für eine größere Zahl von Menschen wahrnehmbar und ge­eignet ist, den Verletzten in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder he­rabzusetzen. Eine solche Lösung hätte auch schon ein gewisses Vorbild in einer beste­henden Regelung, § 117 Abs. 3 StGB.

Für sie spricht das große Schädigungspotenzial, das auch einer einzelnen Hassbot­schaft innewohnt, die der Täter gegen ein bestimmtes Opfer absetzt, und das von der Breitenwirkung dieser Botschaft ausgeht. Alternativ dazu könnte man natürlich auch da­ran denken, schon bestehende Vorschläge, die ja im Gesetzgebungsprozess zum Straf­rechtsänderungsgesetz 2015 schon aufgetan wurden, aufzugreifen, den Tatbestand des Cybermobbings so zu gestalten, dass er eindeutig und zweifelsfrei auch einmalige Tat­handlungen erfasst. Ziel sollte es meines Erachtens aber jedenfalls sein, die bestehen­den strafrechtlichen Verbote effektiver zu machen. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.09


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Vielen herzlichen Dank, Frau Universitätspro­fessorin.

Als Nächste gelangt Frau Rock, Moderatorin von Hitradio Ö3, zu Wort. – Bitte.

 


11.09.59

Elke Rock (Ö3-Moderatorin)|: Mein Name ist Elke Rock. Bis vor meiner Hochzeit hieß ich Elke Lichtenegger, und bis zum 22. April 2014 war ich eigentlich auch eine ganz nor­male Facebook-Userin, wie wahrscheinlich viele hier herinnen.

Ich habe alte Schulfreunde wiederentdeckt und zwischendurch auch einmal etwas ge­postet. Da ich im öffentlichen Bereich arbeite, war irgendwann einmal die erste Seite mit 5 000 Freunden voll, und es musste eine öffentliche Seite angelegt werden.

Man kommentiert, man weiß manchmal nicht recht, was man posten soll – da geht es uns allen gleich. Mir ist es bis zum besagten 22. April 2014 auch so gegangen. Der Grund dafür, dass ich heute hier unter all diesen Experten sprechen darf, ist vielleicht auch gleichzeitig der Grund dafür, dass diese Enquete stattfindet und auch stattfinden muss. Ich denke, ich bin heute eingeladen, um Ihnen meine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte aus der Opferperspektive, da ich einfach eine Betroffene war. Ich ha­be am 22. April erlebt, wie ich wider Willen zum Role Model geworden bin und wie aus dem Gute-Laune-Medium Facebook plötzlich eine Flutwelle aus Hass, aus Demütigung, aus unsäglichen Perversionen und aus Morddrohungen wurde.

Ich habe festgestellt, es ist eine Sache, etwas zu posten, das vielleicht politisch unkor­rekt ist, ein Mist ist – dann schimpfen alle auf einen. Es ist aber eine andere Sache, von A bis Z Passagier zu sein, obwohl man proaktiv eigentlich gar nichts gemacht hat, und sich in einer digitalen Hexenjagd wiederzufinden, wie es zum Beispiel bei mir der Fall war. Das geht auf Facebook, das passiert jeden Tag, weil es zu wenige Regeln gibt, weil es kaum Grenzen gibt und vor allem weil es auch keine Konsequenzen, keine tatsächlichen Konsequenzen gibt.

Um zu erahnen, wie einfach die Dinge kippen können, ist es wichtig, dass ich Ihnen meine Geschichte von Anfang an erzähle, denn ich denke, die wenigsten kennen die wahre Geschichte: Ich war, so wie heute auch, bei einem Forum eingeladen – Men­schen und Medien –, das war Ende des Sommers 2013. Dort arbeiten jugendliche Men­schen mit Behinderung und erlernen den Umgang mit Medien. Sie erstellen Videos, und dafür war ich zum Interview eingeladen.

Der Interviewer hat mich nach einem peinlichen Radiomoment gefragt, und mir ist die Begebenheit eingefallen, als die Band Imagine Dragons, die damals noch niemand ge­kannt hat, bei uns zu Gast war. Die haben ihre Instrumente mitgehabt, wollten uns ei­nen Song vorstellen, um den Song dann quasi im Radio zu präsentieren. Man muss sich das so vorstellen, als würden wir alle hier in einem Orchestergraben sitzen und ver­suchen, konzentriert etwas zu lesen. Ich konnte mich während meiner Sendungsvorbe­reitung nicht konzentrieren, bin aufgestanden und habe diese schwere, schalldichte Stu­diotüre einfach zugemacht.

Um die damalige Situation ein bisschen zu illustrieren, habe ich in dem Interview als Ge­genstück zu der heute – international bekannten, erfolgreichen Band Imagine Dragons eine nationale, unbekannte und nicht erfolgreiche Band dargestellt, die uns einen Song vorstellen wollte. Ich hätte auch belgische oder italienische Band sagen können, aber als Österreicherin habe ich – jetzt wissend – den Fehler gemacht, eine österreichische Band zu erwähnen. Ich habe das Ganze ein bisschen überspitzt erzählt und – wie sich später herausgestellt hat – auch denkbar unglücklich formuliert.

Das kann Ihnen übrigens auch passieren, vielleicht ist es Ihnen gestern am Abend pas­siert, am Wirtshausstammtisch. Sie erzählen einfach salopp etwas, und am Nebentisch bekommt jemand sehr große Ohren. – Man filmt mit, man schneidet mit, das alles ist heute überhaupt kein Problem.

Jedenfalls ist mein Video bis zu diesem 22. April bereits ein Dreivierteljahr lang unbe­achtet im Internet auf YouTube gestanden. Dann hat jemand meinen Satz über die un­bekannte österreichische Band, die versucht, uns einen Song zu verkaufen, aus die­sem Video herausgeschnitten, die Frage des Interviewers weggeschnitten und den neu­en Bezugsrahmen gewählt: Das denkt man bei Ö3 über österreichische Musik. Ich ha­be mich am Tag vor dem 22. April noch gewundert, warum am Ostermontagabend so viel Traffic auf meiner Facebook-Seite ist und warum mich immer mehr Menschen, die ich überhaupt nicht kannte, in diesem Video markiert haben. – Egal, 20.15 Uhr, Tatort ist im Fernsehen, Handy abgedreht, schlafen gegangen.

Dienstag, 22. April: Es ist kurz nach 6 Uhr morgens, ich stehe in meiner Küche mit dem Kaffee in der einen und dem Handy in der anderen Hand und sehe Zehntausende Pos­tings, Kommentare, E-Mails, Facebook-Nachrichten auf meiner privaten Seite, auf der Ö3-Seite, auf Twitter und auf YouTube. – Überall gab es eine Flut aus Beschimpfungen, aus Hass, aus Demütigung, aus Perversionen, aus Morddrohungen, einfach uferlos. Da wa­ren Kommentare wie: Fick dich doch, du dreckige Nutte! Vielleicht schupft sie ja wer vor die U-Bahn! Selfiegeiles Tschapperl! Hexenjagd! Du bist PR-geil! Geschichten von dir wur­den ausgegraben und du wirst damit begraben werden!

Da wir im Fernsehen sind, wünscht man sich jetzt wahrscheinlich den Piepton; den ha­be ich mir auf Facebook auch gewünscht, aber den gibt es dort nicht. Ich habe keine Ahnung gehabt, warum mir das zu diesem Zeitpunkt alles passiert ist. Für mich war es ein bisschen so, wie in einem schlingernden Autobus in der letzten Reihe zu sitzen, keine Ahnung zu haben, was vorne passiert, und vor allem mit dem Wissen, nie in die­sen Autobus eingestiegen zu sein.

Gut, es folgten ein Telefonat mit dem Chef um kurz nach 6 Uhr – ich war zumindest noch nicht gefeuert, danke übrigens dafür – und ein Meeting beim Sender. Man muss sich vorstellen, dass beim größten Medium des Landes, beim ORF, vollkommene Pa­ralyse herrschte. Es hat irgendwie niemand gewusst, was wir machen sollen, wie man damit umgeht. Es hat zu diesem Zeitpunkt auch niemand die Dimension abschätzen können, die dieses ganze Ding angenommen hatte.

Fakt ist, wenn jemand will, kann er jeden Einzelnen von uns öffentlich anzünden und hinrichten. Das ist wie im Mittelalter: Man denunziert jemanden, es hauen alle hin, je­der wirft einen Stein, jeder schaut bei der öffentlichen Verbrennung zu, weil es ja alle machen. Da gibt es keine tatsächlichen Konsequenzen, es gibt nicht wirklich Grenzen, die überschritten werden können.

Wie sich später herausgestellt hat, fand an diesem besagten 22. April 2014 ein lange angesetztes Treffen der Vertreter der österreichischen Musik mit dem ORF statt. In die­sem Meeting ging es darum, die Quote der österreichischen Musik im Speziellen auf Ö3 festzulegen, zu erhöhen. Der Boden für diese Verhandlungen war damit also herr­lich aufbereitet. Na gut, was soll man machen? – Es muss ein Entschuldigungsposting her. Was schreibt man, wenn die Meute mal losgelassen wurde und nicht mehr aufzu­halten ist? – Ich kann Ihnen sagen, es ist vollkommen wurscht. Sie können schreiben, was Sie wollen. Sie können „mimimimimi“ reinschreiben.

Es ist alles, als würde man Benzin ins Feuer gießen: Warum hat man der Frau immer noch nicht gekündigt? Meinst du Fut wirklich, dass eine Facebook-Entschuldigung wirk­lich ausreicht, um diese Fehler auszubessern? Nein, das glaube ich nicht! Das pas­siert, wenn man sich zu wichtig nimmt! Wir werden dich trotzdem hassen, und hoffen, dass du bald deinen Job verlierst, Bitch!

Sarah hat mir geschrieben: Du hast wohl mehr unterm Schreibtisch gearbeitet als drauf, orale Fähigkeiten sind bei Ö3 sicher nicht von Nachteil!

Es ging jetzt auch gar nicht mehr um das Thema Musik, sondern es ging darum, mich persönlich fertigzumachen. Das war eine öffentliche Demütigung der Sonderklasse, und alle haben zugeschaut.

Im Rahmen der Flüchtlingsthematik habe ich dann etwas sehr Ähnliches in abge­schwächter Form erlebt: Mein Mann und ich hatten Platz in unserem Haus übrig, um einem syrischen Flüchtling für ein paar Monate eine Unterkunft anzubieten. Da gab es Jakob, der mir geschrieben hat: Hast ihn eh nur aufgenommen, damit er dich fickt und dir deine linke, ausgetrocknete Fotze leckt!

Jetzt aber zurück zum 22. April 2014: Ich habe während meiner Sendung um 14 Uhr ein paar dieser Postings gelesen, und das war dann der Moment, in dem es einem die Füße unter dem Boden wegzieht. Mir sind die Tränen hinuntergeronnen, und ich habe gedacht, ich ersticke unter dieser Flut aus Hass, aus Perversion, aus Drohungen. Ich habe mich nicht mehr getraut, in die U-Bahn einzusteigen, weil ich nicht wusste, ob mich jemand anspuckt oder mich wirklich auf die Gleise schupft. Ich habe dann einfach keine Luft mehr bekommen, habe hyperventiliert, bin während der laufenden Sendung zusammengebrochen und im Krankenwagen wieder zu mir gekommen. Mein Chef ist neben mir gesessen, hat mir die Hand gehalten und hat zu mir gesagt: Elke, nimm dir das nicht so zu Herzen, morgen treiben sie eine andere Sau durchs Dorf. Eh, treiben sie eh, aber das gilt es meiner Meinung nach zu verhindern.

Es kann jeden Einzelnen von uns heute, morgen oder irgendwann erwischen, denn wenn es jemand wirklich will, kann man eine Person zerstören. Das passiert jetzt schon im kleinen Kreis, täglich: Menschen werden bedroht, werden gemobbt, werden gedemü­tigt – vielleicht nicht in diesem öffentlichen Ausmaß, wie bei mir, es ist aber trotzdem un­erträglich für die Betroffenen. Man kann sich wirklich nicht wehren, weil es keine Gren­zen, keine Regeln, keine tatsächlichen Konsequenzen gibt.

Ich hatte das Glück, dass ich ein Netz hatte, das mich aufgegangen hat, allen voran mein Mann, meine Familie, meine Freunde, meine Firma, meine Arbeitgeber. Andere ha­ben das vielleicht nicht. Die trauen sich wahrscheinlich nicht einmal, etwas zu sagen.

Vielleicht besteht eine Möglichkeit darin, dass man schon in der Schule beginnt, dass man Lehrer hat, die Aufklärungsarbeit leisten, die zum Reden anhalten, denn ich kann Ihnen sagen: Reden hilft in einem solchen Fall. Es hilft, wenn man einfach nicht alleine dasteht und vor allem die Möglichkeit hat, sich zu wehren. Zu wissen, wie man sich wehren kann, ist ganz wichtig. Es bedarf also der Aufklärung.

In der Face-to-Face-Kommunikation gibt es gewisse Spielregeln. Da gibt es auch Kon­sequenzen. Dein Gegenüber zeigt Emotionen, vielleicht Weinen, Tränen, Lachen. Viel­leicht riskiere ich eine Watsche. Im Netz habe ich kein Gegenüber. Da hacke ich ein­fach etwas in meine Tastatur. Es kann mir nichts passieren. Mein Gegenüber kann nicht reagieren. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir jetzt an diesem Punkt sind, an dem Spielregeln auch für das Netz definiert werden können. Ich kann nur an alle ap­pellieren, dass noch mehr von dem passiert und andere Menschen in Zukunft vor dem, was mir passiert ist, geschützt werden. Bei mir durfte alles gesagt werden, es gab kei­ne Konsequenzen und niemand hatte etwas zu befürchten.

Ich werde jetzt zu Ö3 fahren. Ich habe um 14 Uhr eine Sendung und hoffe, Sie alle haben Verständnis dafür, dass ich über diesen heutigen Tag kein Posting machen wer­de, weil man nie weiß, wie es ausgeht. – Danke. (Anhaltender, stehend dargebrachter Beifall.)

11.22


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Vielen, vielen herzlichen Dank für Ihren Bei­trag.

Ich bedanke mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die Impulsreferate.

11.22.53IV. Panels

11.22.57Panel I – Opferschutz und Recht

 


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Wir kommen nun zum nächsten Punkt der Ta­gesordnung, den Panels, und hier zunächst zu den Beiträgen der Referentinnen und Re­ferenten zu Panel I, Opferschutz und Recht.

Ich darf die Referentinnen und Referenten wiederum ersuchen, die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Als ersten Redner darf ich Herrn Direktor Mag. Peter Gridling, Bundesamt für Verfas­sungsschutz und Terrorismusbekämpfung, um seinen Beitrag bitten.

 


11.23.49

Direktor Mag. Peter Gridling (Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämp­fung)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sehr ver­ehrte Damen und Herren! Ich möchte mich für die Möglichkeit bedanken, hier bei Ihnen die Arbeit der Sicherheitsbehörden vorzustellen, insbesondere des Verfassungsschut­zes. Sie gestaltet sich in diesem Bereich manchmal auch sehr schwierig, denn Angst und Hass sind Treiber für Kriminalität und Gewalt. Das ist ohne Zweifel so. Worte und Postings sind oft die Vorstufe dazu.

Warum ist diese Frage so bedeutend? – Weil wir eine Gesellschaft haben, die europa­weit im Wandel begriffen ist, und weil sich Werte entsprechend ändern. Die Diskussion in Europa über die weitergehende Integration stockt. Probleme tauchen in immer ra­scherer Zeitfolge auf. Sie bleiben nebeneinander bestehen. Sie sind durch Komplexität und dadurch gekennzeichnet, dass sie mit nationalen Mitteln oft nicht gelöst werden kön­nen.

Nehmen wir nur das letzte Jahr und schauen wir uns an, was die Flüchtlingsbewegun­gen und die Migration im letzten Jahr ausgelöst haben! Sie haben ohne Zweifel Ängste gefördert und sind in unserer Gesellschaft auf sehr viele Vorurteile getroffen. Sie haben zunehmend zu hässlichen Reaktionen geführt, auch in den verschiedenen Foren.

Die zunehmende Diversität unserer Gesellschaft und die Möglichkeit, sich ganz neu auf­zustellen und zu organisieren, fördern auch Konflikte und bilden einen Nährboden für Kon­flikte zwischen Gruppen, die ad hoc entstehen und uns in ihrer Form vielleicht gar kein Begriff sind. Was wir sehen, ist, dass die derzeitigen Entwicklungen eindeutig eine gro­ße Herausforderung für den sozialen Frieden und für den Zusammenhalt in unserer Ge­sellschaft darstellen.

Welche Rolle spielen das Internet und die sogenannten sozialen oder – besser noch –neuen Medien dabei? – Mit dem Internet ist aus Sicht der Sicherheitsbehörden ein neuer Interaktionsraum entstanden, ein sozialer Raum, den wir mit der realen Welt nicht wirk­lich vergleichen können. Dieser Raum bietet auch ein reiches Betätigungsfeld und reich­lich Boden für eine Grauzone zwischen Meinungsfreiheit und Ausdruck des Hasses durch Postings oder explizite Hassreden. Hass im Internet ist als Ausdruck eines gesellschaft­lichen Problems zu werten, das wir tatsächlich haben.

Das Problem im Internet ist auch, dass es kein klassisches Medium ist. Niemand hat die Deutungshoheit über das Internet. Es ist nicht Meinung und Grundlinie einer Redak­tion, vielmehr hat jeder die Möglichkeit, es entsprechend zu benützen. Im Internet kön­nen segmentierte Öffentlichkeiten entstehen, es sind Öffentlichkeiten, in denen man sich nur unter Gleichgesinnten trifft, die wahllos verschiebbar sind. Die Diskussionen verlau­fen dort weitgehend unmoderiert. Es gibt kaum Möglichkeiten, wirklich einzugreifen, ei­ne Diskussion in eine gewisse Richtung zu beeinflussen. Jeder kann falsche Informa­tionen einstellen, bewusst oder unbewusst, und durch das Teilen falscher Informationen diese Gerüchteküche, dieses brodelnde Internet entsprechend befeuern.

Ich möchte hier nicht mit Beispielen aufwarten, denn Frau Rock hat es authentischer und intensiver dargestellt, als es mir mit Beispielen überhaupt gelingen könnte.

Ich denke daher, der Möglichkeit, an dieser Diskussion Millionen teilhaben zu lassen, Dinge aus dem Kontext zu reißen und millionenfach zu verbreiten, müssen wir etwas entgegensetzen.

Die Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden in diesem Bereich sind ein wenig limitiert. Frau Sautner hat dargelegt, dass auch die diesbezüglichen Möglichkeiten des Straf­rechts – und diese bilden in der Regel den Rahmen für das Tätigwerden der Sicher­heitsbehörden – eingeschränkt sind.

Dennoch kann ich Ihnen versichern, dass die Sicherheitsbehörden diese Postings und Reden im Internet konsequent auf Strafrechtsrelevanz untersuchen und überall dort an­zeigen, wo sich dieser Verdacht zeigt.

Der Tatort Internet bekommt in der polizeilichen Arbeit immer größere Bedeutung, und wir versuchen auch, eine Plattform zu bieten, sodass der Bürger weiß, wo er sich mel­den kann. Die Meldestelle für nationalsozialistische Wiederbetätigung, die man über die Homepage des Innenministeriums erreichen kann, ist ein solches Beispiel.

An den Zahlen zeigt sich, dass diese Meldestelle von der Bevölkerung angenommen wird; allein im Vorjahr hatten wir dort über 3 400 Meldungen. Im heurigen Jahr ist die Zahl der Meldungen quantitativ ein wenig rückläufig. Bis dato gingen über 2 000 Mel­dungen ein. Was aber schon Sorge bereitet, ist, dass mehr als die Hälfte der Meldun­gen – über 1 000 Meldungen – wirklich strafrechtsrelevante Sachverhalte betrifft, die Ge­genstand von Anzeigen sind und in der Folge Gegenstand von Verhandlungen sein wer­den.

Wir als Sicherheitsbehörden können diesen Kampf alleine nicht gewinnen, genauso wie ihn die Justiz nicht gewinnen kann. Wir brauchen die Zivilgesellschaft. Wir brau­chen Herrn und Frau Österreicher. Wir brauchen die Menschen, die in diesem Land le­ben, um entsprechend gegen Hass im Netz vorgehen zu können.

Ebenso wichtig ist die Meldestelle für Extremismus, die wir im Dezember 2014 beim Bundesministerium für Familien und Jugend eingerichtet haben, bei der man ebenfalls Sachverhalte melden kann, bei der man sich melden kann, bei der man um Rat fragen kann und einen solchen auch bekommt.

Es ist bewusst breit gehalten worden, auch wenn es sich ursprünglich vor allem um den islamistischen Extremismus gehandelt hat. Wir wollten diese Meldestelle aber of­fen gestalten, sodass dort jede Form von extremistischer Betätigung gemeldet werden kann und man in solchen Fällen um Rat fragen kann. Es ist wichtig, zu verstehen: Hass und Hetze beschränken sich nicht auf einzelne Akteure im Netz. – Nein! Unsere Unter­suchungen und Analysen zeigen, dass alle Altersgruppen vertreten sind. Hasspostings kommen nicht nur bevorzugt von Jugendlichen oder bestimmten Personen, sondern al­le Altersgruppen, alle Bevölkerungsschichten und auch alle Nationalitäten beteiligen sich daran.

Daher ist es für uns ganz wesentlich, dass wir Facebook und Twitter in unsere Ermitt­lungen entsprechend einbeziehen, dass wir aktiv hinschauen, denn in all diesen neuen Medien – auf YouTube beispielsweise –, in die sich jeder einbringen kann, aber auch in den Kommentaren bei etablierten Medien finden sich rassistische, fremdenfeindliche Pos­tings, Hasspostings und Hassreden.

Was muss daher getan werden? – Aus unserer Sicht, meine Damen und Herren, geht es in erster Linie einmal darum, Bewusstsein dafür zu bilden, dass das strafbar ist. Für ein solches Bewusstsein ist nicht nur die Polizei allein verantwortlich. Dazu brauchen wir die Bildungsinstitutionen, sodass der Boden entsprechend aufbereitet und zu einem frühen Zeitpunkt gegengesteuert wird.

Wir brauchen aber auch den Beitrag des Einzelnen, auch wenn dies schwierig ist. Man muss Hasspostings couragiert begegnen und sollte, wie schon von der Frau Staatsse­kretärin gesagt wurde, diese nicht unbedingt teilen und so zu deren Verbreitung bei­tragen. Wir brauchen den Ausbau des Trusted Flaggings, sodass Facebook et cetera auch darauf reagieren und Inhalte vom Netz nehmen. Es wird notwendig sein, wie Herr Bundesminister Brandstetter erwähnt hat, auch in der EU ein entsprechendes Forum zu haben, um den global agierenden Unternehmen entgegenzuwirken, denn wir müs­sen die Betreiber ebenfalls bei ihrer Verantwortlichkeit packen und ihnen klar sagen, dass sie nicht nur Betreiber eines Mediums sind, sondern auch auf die Inhalte zu schau­en haben.

Meine Damen und Herren, die Verfolgung von Hass im Netz ist für die Sicherheitsbe­hörden eine bedeutende Arbeit und wird es auch weiterhin bleiben. Ich kann Ihnen ver­sichern, dass wir das auch mit dem nötigen Nachdruck machen werden. (Beifall.)

11.33


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank, Herr Direktor.

Ich darf nun Frau Mag. Unterlerchner, Fachbereich Opferhilfe und Opferrechte, Weisser Ring Österreich, um ihren Beitrag bitten.

 


11.33.14

Mag. Barbara Unterlerchner, MES (Weisser Ring Österreich)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute schon die sehr eindrückliche und sehr mutige Geschichte einer von Hass im Netz betroffenen Person gehört. Ich möchte bei den Opfern bleiben und Ihnen die Sicht von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Opferhilfeeinrichtungen nä­herbringen, die auch bemerken, dass einen großer Teil der Opfergruppen nunmehr Op­fer von Hass im Netz ausmachen.

Das Spektrum psychischer Gewalthandlungen ist umfangreich und vielschichtig, eben­so die Folgen und Leiden der Betroffenen. Neue Erscheinungsformen psychischer Ge­walt sind sogenannte Hasspostings in sozialen Netzwerken, Foren und Kommentar­spalten. Sie beinhalten Drohungen, Beschimpfungen, herabwürdigende Beleidigungen sowie beharrliches Nachstellen oder unerwünschte Anbahnungen zum Zwecke der se­xuellen Ausbeutung.

Im Schutz der Anonymität, aber auch ganz offen werden Personen auf sozialen Platt­formen persönlich angegriffen, oftmals aufgrund bestimmter Merkmale, wie Geschlecht, religiöse oder ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung, oder aufgrund einer Behinderung. Diskriminierung, Hetze und Ausgrenzung von bestimmen Gruppen finden in sozialen Medien als neuen und beliebten Plattformen für gesellschaftliche Diskurse statt. Jede und jeder kann sich beteiligen, die Kommunikation erfolgt schnell und nie­derschwellig; Folgen und Reichweite bestimmter Äußerungen sind jedoch nicht abschätz­bar.

Häufig treten Beschimpfungen und Drohungen in so konzentrierter Form auf, dass von sogenannten Hassgruppen auszugehen ist, die vielfach mit massiv fremdenfeindlichen, rassistischen und antimuslimischen Inhalten, die vor allem im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung auftreten, vorkommen.

Hate Speech gegen Frauen hat wiederum eine spezielle Dimension. Frauen sind laut ei­ner UN-Studie 27-mal häufiger von schwerer Gewalt im Netz betroffen als Männer. Da­zu gehören degradierende Aussagen und sexuell explizite Beschimpfungen, Androhung oder Befürwortung von sexualisierter Gewalt bis hin zur Veröffentlichung von echten oder digital manipulierten Fotos.

Moderne Begriffe wie Body Shaming oder Silencing, das Erzwingen von Schweigen in öffentlichen Debatten oder zu bestimmten Themen, betreffen vor allem Frauen. Sie er­fahren auf eine andere Art und Weise Kritik als Männer, sie werden aufgrund ihres Aussehens bewertet, wenn sie sich zu politischen oder gewissen anderen Themen äu­ßern. Das betrifft nicht nur Frauen im öffentlichen Leben, sondern auch Mädchen und Frauen, die das Netz ganz alltäglich nutzen und ganz selbstverständlich als ihren digi­talen Lebensraum verstehen.

Die Debatte über Hate Speech, Verhetzung und Mobbing im Netz reißt nicht mehr ab – und das zu Recht. Einerseits sind digitalisierte Kommunikationsformen nicht mehr weg­zudenken und bilden einen eigenen und unbegrenzten Raum der gesellschaftlichen Teil­habe; andererseits führt auch der in sozialen Medien stattfindende politisch-publizisti­sche Verstärkerkreislauf zu einem Zerrbild über das Ausmaß und die Folgen von ak­tuellen sozialen Bedingungen und schafft damit einen Nährboden für Hass und Hetze gegen bestimmte Gruppen wie Flüchtlinge, Migranten und Migrantinnen sowie Frauen.

Hassrede, Hetze und sogenannte Shitstorms gegen Einzelpersonen entgleisen in einer Art und Weise, die diesem Phänomen heute besondere Aufmerksamkeit verschaffen. Auch der Gesetzgeber reagierte mit der Einführung neuer Strafnormen. Wir haben heute schon etwas über Cybermobbing gehört, aber auch Grooming, die Anbahnung von Se­xualkontakten zu Unmündigen, ist ein nunmehr bekannter Begriff, dessen Gefahren viel­fach Eltern und auch Familien beunruhigen.

Hassbotschaften und Cybergewalt haben eine Reihe von spezifischen Charakteristika, die sich von anderen Gewaltformen und Verbrechen unterscheiden. Soziale Netze lie­fern einen bequemen Weg für Hassbotschaften vom Stammtisch in eine allgemein zu­gängliche Öffentlichkeit. Diese Tatsache birgt schwerwiegende Konsequenzen für die Be­troffenen. Die psychischen Folgen reichen von depressiven Episoden, Angstzuständen bis hin zu einer Traumatisierung mit Krankheitswert oder im schlimmsten Fall zum Sui­zid.

Die sozialen Folgen sind unermesslich und können für lange Zeit andauern, denn – wir haben es heute ebenfalls schon gehört – das Internet vergisst nichts. Beschämungen, Rufschädigungen und Abwendung des sozialen Umfelds von der betroffenen Person sind nur einige mögliche Beispiele. Häufig sind Opferhilfeeinrichtungen mit Sorgen und Ängsten der Betroffenen konfrontiert, die nicht wissen, wie sie verunglimpfende und he­rabwürdigende Postings schnell und dauerhaft entfernen können und wie sie Täter und Täterinnen belangen können, die solche Angriffe anonym verursachen.

Die Tatsache, dass gespeicherte Daten im Netz für immer rückverfolgbar sind, führt zu einer zusätzlichen Verunsicherung der Opfer. Soziale Medien wandeln sich heute von Informations- und Kommunikationsplattformen zu Orten mit erhöhtem Viktimisierungs­risiko.

Häufig erfahren die Opfer wenig Verständnis für ihr Leid: Sie hätten sich freiwillig öf­fentlich exponiert und sich dem Hass und den Beschimpfungen selbstverantwortlich aus­gesetzt. Blaming the victim ist das Stichwort. Es gilt als universelles Phänomen im Zu­sammenhang mit Verbrechen und Gewalt, auch in der digitalen Lebenswelt. Die gängige und normale Reaktion von Unbeteiligten oder dem sozialen Nahraum kann bei dem Op­fer eine sekundäre Viktimisierung hervorrufen. Die sekundäre Viktimisierung bezeichnet eine sogenannte zweite Opferwerdung und wird durch diejenigen Personen hervorge­rufen, die mit der von der Straftat betroffenen Person und den Folgen der primären Vik­timisierung befasst sind. Besonders bedeutend sind dabei Instanzen der Sozialkontrol­le wie die Polizei, Strafverfolgungsbehörden, aber auch das soziale Umfeld wie Freun­de, Bekannte und gegebenenfalls auch die Medien, sofern sie von der Straftat berichten.

Erscheinungsformen von sekundärer Viktimisierung stehen oft spiegelbildlich zu den ei­genen Bedürfnissen und Erwartungen eines Opfers. Diese Bedürfnisse sind mensch­liche Anteilnahme, Einfühlsamkeit, Verständnis, Beistand und Solidarität. Dementspre­chend können insbesondere mangelndes Einfühlungsvermögen, bagatellisierende Äu­ßerungen und Mitschuldvorwürfe an die Opfer, Parteiergreifung, Verharmlosung der Hand­lungen der Täter oder Täterinnen oder die soziale Meidung des Opfers das Risiko se­kundärer Viktimisierung erhöhen.

Opfer von Hasspostings und Cybergewalt haben dieselben Bedürfnisse wie Opfer von sonstigen Straftaten und psychischer Gewalt. Sie wollen Anerkennung für das erlittene Unrecht und Respekt. Sie wollen Wiedergutmachung, Schutz vor weiteren Übergriffen, Sicherheit im Umgang mit dem Netz und eine schonende Behandlung ihrer selbst durch Strafverfolgungsbehörden und ihr soziales Umfeld. Was sie vor allem brauchen, ist Information über rechtliche und praktische Möglichkeiten nach der Tat sowie umfas­sende Unterstützung bei der Bewältigung allfälliger Gerichtsverfahren.

Die österreichische Strafprozessordnung enthält eine Reihe von Opferrechten, die die­se Bedürfnisse potenziell erfüllen sollen. Die Opfer von gefährlicher Drohung oder Stal­king – auch wenn die Straftat im Netz stattgefunden hat – können etwa bei einem Straf­prozess unter Bedachtnahme auf ihre persönliche Betroffenheit psychosozial und juris­tisch begleitet werden. Solche Begleitungen werden in Österreich von Opferhilfeeinrich­tungen durchgeführt. Stalkingopfer beziehungsweise Opfer von beharrlicher Verfolgung können darüber hinaus zivilrechtliche Schutzverfügungen erwirken, um weitere Verfol­gungshandlungen zu unterbinden, auch hierbei informieren und unterstützen Opferhilfe­einrichtungen.

Seit der Umsetzung der EU-Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte, die Un­terstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten haben alle Opfer das Recht auf ehestmögliche Beurteilung und Feststellung ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit nach Maßgabe ihres Alters, ihres seelischen und gesundheitlichen Zustands sowie der Art und der konkreten Umstände der Straftat. Bei Feststellung einer solchen besonderen Schutzbedürftigkeit stehen dem Opfer eine Reihe von Schutz- und Schonungsrechten im Strafprozess zu. Bei minderjährigen Opfern ist so oder so von einer besonderen Schutzbedürftigkeit auszugehen, wovon auch minderjährige Opfer von Hasspostings und Cybergewalt profitieren könnten. Dennoch ist diese Maßnahme alleine nicht aus­reichend, um für die Opfer das Problem zu lösen.

Hasspostings bewegen sich oft am Rande oder innerhalb strafrechtlicher Grenzen. Die Aussagen werden aber häufig reproduziert und es wird ihnen zugestimmt. Demzufolge sind für die Opfer oft nicht die einzelnen Postings schädigend, sondern das Konglo­merat von vielen Aussagen und Zustimmungen. Vieles wird mithilfe der Fragestellung: Ist es Meinungsfreiheit oder Hetze?, wegdiskutiert, anstatt das Augenmerk auf die Op­fer gerichtet zu halten. Dass nicht in jedem Fall die strafrechtliche Verfolgung die ad­äquate Reaktion ist, steht außer Frage. Dennoch ist es aus dem Gesichtspunkt des Op­fers unbefriedigend, da der Großteil der Ansprüche, Betreuungsangebote und Opferrech­te an eine strafrechtliche Verfolgung der Täter und Täterinnen geknüpft ist.

Aus Opferschutzgesichtspunkten ist daher die Umsetzung folgender Maßnahmen drin­gend notwendig:

Das Unterstützungsangebot muss ausgebaut werden: Betroffene von Hass im Netz sind Opfer von psychischer Gewalt und brauchen Unterstützung durch erfahrene Opferhilfe­einrichtungen. Das Problemfeld braucht darüber hinaus einen spezialisierten und multi­disziplinären Zugang, der sich aus der Fachexpertise in den Bereichen Social Media und sichere Internetnutzung, Prävention, Rechtsberatung und psychosoziale Betreuung zusammensetzt. Information ist unserer Erfahrung nach das wesentlichste Kriterium, um Opfern die Bewältigung einer erlittenen Straftat zu erleichtern, ihr Ohnmachtsgefühl zu be­seitigen und ihr verlorenes subjektives Sicherheitsgefühl wiederherzustellen.

Allgemeine sowie spezialisierte Opferhilfeeinrichtungen bieten umfassende Leistungen von psychologischer Hilfe über rechtliche Beratung bis hin zu finanzieller Nothilfe an. Dennoch sind sie nicht ausreichend ausgestattet, um flächendeckende Unterstützung anzubieten, und verfügen noch nicht über moderne Tools wie Onlineberatungsmetho­den, um niederschwellige und einfache Hilfe anzubieten.

Die Feststellung der individuellen Schutzbedürftigkeit eines Opfers im Strafverfahren soll­te ausgebaut und auch für Opfer von Hass im Netz angewandt werden. Oft sind es be­sonders vulnerable Opfergruppen, die aufgrund bestimmter Merkmale betroffen sind. Es können Einzelpersonen oder Gruppen betroffen sein, aber man darf nie vergessen, dass sich Hass im Netz auch gegen eine pluralistische Gesellschaft richtet und hart er­kämpfte Wertehaltungen und Grundrechte beeinträchtigt. Betroffene von Hate Speech und Cybergewalt brauchen juristischen Beistand und Betreuung – abseits eines Straf­verfahrens.

In Österreich ermöglicht juristische Prozessbegleitung eine kostenlose und spezialisier­te anwaltliche Vertretung für Personen, die durch vorsätzliche Gewalttaten, Sexualde­likte und Delikte gegen die Freiheit beeinträchtigt worden sind. In den meisten Fällen werden Postings aber nicht strafrechtlich verfolgt. Dennoch gibt es unter den Opfern viel Bedarf nach zivilrechtlichen Schutzmaßnahmen, Schutzverfügungen und Unterlas­sungsklagen. Alle solchen zivilrechtlichen Schritte erfordern juristische Hilfe; eine sol­che sollte den Opfern ähnlich der juristischen Prozessbegleitung kostenlos zur Verfü­gung stehen. Um die Kosten nicht zu sprengen, wäre wiederum auf die persönliche Be­troffenheit und Erforderlichkeit abzustellen.

Prävention und bewusstseinsbildende Maßnahmen sind wichtig. Man sollte eine um­fassende Erhebung durchführen, um das Ausmaß und die Ausformungen von Hass im Netz zu untersuchen, auch aus der Perspektive des Opfers: Was sind die Folgen für die Opfer, was sind deren Bedürfnisse? Bewusstseinsschaffung für Gefahren und Fol­gen von Hass im Netz und Informationskampagnen über Unterstützungsmöglichkeiten müssen dringend große Teile der Bevölkerung erreichen, genauso wie Präventions­maßnahmen durch Bewusstseinsbildung in Form von Trainings und Fortbildungen an Schulen für Jugendliche, Multiplikatoren und Multiplikatorinnen.

Man darf nicht vergessen: Hasspostings sind eine Form von Hasskriminalität – Hate Crime. Die Folgen und Schäden sind enorm. Hate Speech ist längst kein Randphäno­men mehr, es kann jeden von uns treffen, wie wir heute schon sehr eindrücklich gehört haben. – Vielen Dank. (Beifall.)

11.45


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.

Als Nächste gelangt die Kinder- und Jugendanwältin Frau Mag. Schiffrer-Barac zu Wort. – Bitte.

 


11.45.54

Mag. Denise Schiffrer-Barac (Kinder- und Jugendanwältin des Landes Steiermark)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bedanke mich für die Einladung zu dieser Enquete und für die Möglichkeit, Impulse für eine bessere Lebenswelt für die Kinder und Jugendli­chen unseres Landes setzen zu können. Ich möchte hier, auch wenn ich von der Grund­profession Juristin bin, keinen Vortrag über Rechte und gesetzliche Grundlagen halten, denn dafür gibt es sicher hier im Raum und auch sonst in Österreich ganz andere Ka­pazunder als mich. Was ich aber einbringen kann, sind Erfahrungen und Problemstel­lungen, die in der Praxis auffallen.

Kinderrechte sind Menschenrechte, die speziell an die Lebenswelt von Kindern und Ju­gendlichen angepasst und auch entsprechend ausformuliert sind. Kinder und Jugendli­che sind eigenständige Persönlichkeiten und sollten auch in dieser Form respektvoll wahr­genommen werden. In Österreich passierte dies durch die Annahme der UN-Kinder­rechtskonvention im Jahre 1992. Diese Kinderrechte wurden weiterführend 2011 durch ein eigenes BVG im Verfassungsrang verankert. Aus dieser Konvention resultiert auch die verpflichtende Einrichtung der Kinder- und Jugendanwaltschaften in den neun Bundes­ländern.

Neben den sehr bekannten Kinderrechten wie dem Recht auf Leben oder dem Recht auf Gesundheit beinhaltet diese Konvention auch das Recht auf Meinungs- und Infor­mationsfreiheit in den Artikeln 13 und 17. Darin wurde das Recht, dass alle Kinder und Jugendlichen das Recht haben, sich Informationen zu verschaffen, diese weiterzuge­ben und ihre Meinung frei zu äußern, festgeschrieben, jedoch klar mit der Einschrän­kung, dass sehr wohl Normierungen möglich sind, insofern dies für die Achtung der Rechte oder des Rufes anderer oder die Wahrung der öffentlichen Sicherheit notwen­dig ist. Es gibt also sehr wohl auch vonseiten der UN-Kinderrechtskonvention eine Ein­schränkung dieses sehr umfassenden Rechts.

Die Weiterentwicklung der sogenannten sozialen Medien erfolgt mit rasantem Tempo. Für mich ist es aber trotzdem nicht nachvollziehbar, warum es als eine Selbstverständ­lichkeit des alltäglichen Lebens gesehen wird, dass man sich an Gesetze, Regeln und Normen hält, dies aber vielfach im Umgang miteinander in den sozialen Medien nicht zu gelten scheint. Es wird anscheinend vergessen, dass neue Medien nur eine neuere beziehungsweise andere Kommunikationsform als das altbekannte Telefon oder das per­sönliche Treffen sind.

Kinder haben Rechte, Kinder haben aber auch Verantwortung, und Rechte haben be­deutet nicht nur, immer recht zu haben. Es liegt an jedem Einzelnen von uns, die Kin­der und Jugendlichen zu unterstützen, damit sie ihre Rechte wie auch ihre Verantwor­tung adäquat wahrnehmen können. Ein ganz wichtiger Bereich hierbei ist die Aufklä­rungs- und Präventionsarbeit. Vonseiten der Kinder- und Jugendanwaltschaft Steier­mark versuchen wir, dies ganzjährig im Rahmen von Kinderrechteworkshops in Schu­len und anderen Einrichtungen zu gewährleisten und der Thematik darüber hinaus ge­rade jetzt und aktuell im Rahmen der ersten steirischen Kinderrechtewoche unter dem Motto: Deine Rechte mitgestalten, zusätzlich Gewicht zu verleihen.

Erst am Montag haben wir als Auftaktveranstaltung im steirischen Landtag das Kinder­rechte-Musical „Kinder haben Rechte, auch im Netz“ aufgeführt, welches wir auch in der gesamten Steiermark vor möglichst allen Volks- und Mittelschülern aufführen wol­len. Anschließend gab es mit verschiedenen Landes- und Stadträten eine Diskussion zu den unterschiedlichen Kinderrechten. Mir ist dabei aufgefallen, dass sich die Be­wusstseinsbildung hinsichtlich der Rechte von anderen und der Grenzen, die das be­inhaltet, umso eher entwickelt, je früher das Recht auf Partizipation – übrigens auch ein Recht aus der UN-Kinderrechtskonvention – mit Kindern gelebt wird.

Mithilfe dieses Musicals wird den Kindern in einem spielerischen Kontext und anhand von einfachen, aus dem Kinderalltag resultierenden Beispielen vermittelt, dass es das Recht auf das eigene Bild gibt und man nicht einfach Fotos und Videos von anderen anfertigen darf, schon gar nicht in Situationen, die lächerlich, verletzend oder bloßstel­lend sind, und diese dann über Facebook, WhatsApp, Twitter – was auch immer – ver­schicken kann. Gerade den Altersgruppen, die noch kein eigenes Handy besitzen – im Musical nennt der Papa es immer Handtelefon; das ist eigentlich eine sehr gute Über­setzung des Wortes, nur weiß das heutzutage eigentlich niemand mehr –, sollte mit­hilfe von Aufklärung und Partizipation vermittelt werden, dass die Rechte und die per­sönliche Integrität des anderen zu respektieren und auch zu schützen sind.

In der heutigen Zeit ist es vielfach so, dass der technologische Vorsprung, den Kinder und Jugendliche gegenüber Eltern und anderen Bezugspersonen haben, ein eklatanter ist. Daher bedarf es auch dringend der Aufklärungs- und Fortbildungsarbeit im Bereich der Elterngeneration. Nur so können Eltern ihre rechtlichen wie auch sozialen Pflichten in der Erziehung wahrnehmen und ausüben.

Gerade angesichts der derzeitigen Berichterstattung über das Gewaltvideo, das sich über Facebook und andere soziale Medien rasant verbreitet hat – ich habe es mir üb­rigens auch nicht angesehen –, sieht man, wie brennend aktuell dieses Thema ist. Es liegt doch sehr klar am Gesetzgeber, entsprechende Regelungen zu schaffen – einiges ist ja schon passiert –, um Facebook und Co in die Pflicht zu nehmen und dafür zu sor­gen, dass die systematische Verbreitung solcher Inhalte möglichst schnell und umfas­send unterbunden wird.

Auch die Medien müssen in die Pflicht genommen werden. Aus lauter Sensationslust und Lust auf tolle Storys werden mithilfe der Alltagsmedien kollektive Hysterie, soge­nannte Shitstorms – wir haben vorhin das beste Beispiel dazu gehört –, und Hasspos­tings erzeugt oder zumindest gefördert. Mitunter kann man sogar den Eindruck gewin­nen, dass medial wie auch digital Krieg geführt wird und sich die Schauplätze von der realen in die digitale Welt verlagern, denn in der digitalen Welt kann man sich, wie man es von den Computerspielen gewohnt ist, gegenseitig verletzen und töten, ohne dass es Konsequenzen nach sich zieht. Die digitale Courage ist dringend notwendig, aber auch die Setzung von Maßnahmen und Konsequenzen in der realen Welt, damit Be­wusstsein dafür geschaffen wird, dass Regelübertritte in der digitalen Welt sehr wohl Aus­wirkungen und Konsequenzen im realen Leben haben. Das ist unumgänglich. (Vize­präsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Sicher, dieses Problem wird man wahrscheinlich nie völlig vermeiden und eindämmen können, jedoch sollte seitens der Politik und aller anderen in der Öffentlichkeit stehen­den Personen ein klares Vorbild vorgelebt werden. Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene orientieren sich vielfach an solchen Vorbildern. Nicht nur die Firmen, die hinter den digitalen Plattformen stehen, alle Menschen und Institutionen, die in der digi­talen Welt vertreten sind, müssen, insbesondere wenn sie auch die sogenannte Pos­ting-Funktion ermöglichen, dazu verpflichtet werden, sicherzustellen, dass auch entspre­chende technische und personelle Ressourcen vorhanden sind, um zeitnah, klar und elo­quent auf unangemessene Inhalte zu reagieren.

Gerade in den letzten Monaten und Jahren ist sicherlich schon vieles passiert. Wie vor­hin schon mehrfach angesprochen wurde, gibt es diesen sogenannten Cybermobbing-Paragrafen, vonseiten des Gesetzgebers wurde eben in einigen Bereichen nachjustiert. Es ist auch völlig klar, dass es nicht möglich ist, dieses Problem ausschließlich auf ge­setzlicher Ebene zu lösen. Ich würde mir als Kinder- und Jugendanwältin der Steier­mark wünschen, dass noch weit mehr passiert und digitale Courage, Respekt und Ach­tung vor den Mitmenschen auch in der digitalen Welt gelebt werden und dies gesetzlich verbrieft wird.

Wir alle sind Vorbilder für die Kinder und Jugendlichen der heutigen Zeit, und wir soll­ten uns dieser Verantwortung stets bewusst sein. So können wir mit einfachsten Mitteln dazu beitragen, die Lebenswelt unserer Kinder und Jugendlichen, die die Zukunft un­seres Landes darstellen, ein Stück lebenswerter und mit-menschlicher zu machen. – Dan­ke schön. (Beifall.)

11.54


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich danke Ihnen für den Beitrag.

Als Nächste gelangt Frau Dr. Bruckmüller zu Wort. – Bitte.

 


11.54.23

Dr. Karin Bruckmüller (Johannes Kepler Universität Linz)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Im Internet und in – das haben wir schon gehört – den entsprechenden Foren be­finden wir uns in keinem strafrechtsfreien Raum. Zur Ahndung etwaiger Rechtsgutsver­letzungen des Opfers – das wurde gleichfalls bereits erwähnt – stehen die verschie­densten Tatbestände von Beleidigung bis hin zu Körperverletzung zur Verfügung, wo­bei auch ich der Auffassung bin, dass es einer opferfreundlichen Umgestaltung des Be­leidigungsdeliktes – wie es von Frau Professorin Sautner vorgeschlagen wurde – bedarf.

Meines Erachtens sollte aber auch beim konkreten Strafausspruch angesetzt werden. Es sollte stärker berücksichtigt werden, dass eine Tatbegehung durch die Nutzung des Internets eine besondere Qualität aufweist, nämlich durch die Anonymität, die grund­sätzliche Dauerhaftigkeit der Einträge, die noch dazu potenziell weltweit eingesehen werden können, und dadurch, dass die Opfer Internetangriffen jederzeit ausgesetzt sein können, es also keine Rückzugsmöglichkeit gibt.

Eine derartige Tatbegehung ist mit einem höheren Unrechtsgehalt verbunden und kann eben – wie wir auch schon gehört haben – zu einer stärkeren Eingriffsintensität beim je­weiligen Opfer führen. Denkbar und sinnvoll erscheint es mir daher, der Strafbarkeit die­ser Handlungen im Internet durch die Schaffung eines besonderen Erschwerungsgrun­des im Strafgesetzbuch Nachdruck zu verleihen. Dieser könnte etwa derart formuliert wer­den: Wenn der Täter die strafbare Handlung unter Ausnutzung der Breitenwirkung des öf­fentlichen Internets begangen hat und das Opfer dadurch einen besonderen Schaden da­vonträgt. (Präsident Lindner übernimmt wieder den Vorsitz.)

Damit würde der Weg, den der österreichische Gesetzgeber bereits durch die Schaf­fung des Tatbestandes des Cybermobbings in diese richtige Richtung beschritten hat, fortgesetzt. Es ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung, weil damit – wie wir auch schon gehört haben – bereits eine Lücke hinsichtlich der Cyberhass-Kriminalität geschlos­sen wurde. Damit wurde – anders, als dies in den meisten nationalen Rechtsordnun­gen der Fall ist – ein ausdrückliches Zeichen gesetzt, dass im Internet nicht alles mög­lich ist. Zudem verschafft man dadurch den Opfern von Cybermobbing strafprozessua­le Schutzrechte. Die österreichische Regelung wird dafür auch vom Ausland und in in­ternationalen Studien positiv hervorgehoben.

Trotz dieses engmaschigen Strafrechts, mit dem auch sehr geringe Aktivitäten wie et­wa das Drücken des Gefällt-mir-Buttons erfasst werden können, bleiben – und das ha­ben wir auch schon gehört – bestimmte Handlungsweisen von Internet-Usern, die für die Betroffenen aber ebenfalls sehr einschneidend sein können, strafrechtlich außen vor, so etwa die nur einmalig gesetzte Aktion, die dennoch geeignet ist, eine Beein­trächtigung der Lebensführung des Opfers herbeizuführen. Ebenso ist das der Fall, wenn verschiedene User etwas Negatives über eine Person schreiben, das für sich ge­sehen, nämlich das einzelne Statement, gerade noch unter der strafrechtlichen Schwelle angesiedelt ist, aber durch den Hass vieler und die Lawinenartigkeit das Opfer we­sentlich beeinträchtigt. Hatepostings leben von der Beteiligung vieler und entfalten erst dadurch ihre Wirksamkeit. Diesbezüglich wird der Ruf nach weiteren strafrechtlichen Be­stimmungen immer wieder laut. In Österreich oder auch im Ausland wurden ein um­fassendes Antidiskriminierungsdelikt für das Internet und die Schaffung eines allgemei­nen Gefährdungsdeliktes unter der derzeitigen strafrechtlichen Schwelle vorgeschlagen.

Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es weitgefasste Delikte gibt, so etwa in Australien. Dort ist eine Strafbarkeit vorgesehen, wenn der kommunizierte Inhalt von einer ver­nünftigen Person im Einzelfall als beunruhigend, schikanierend oder persönlich angrei­fend empfunden werden würde. In den USA gibt es bundesstaatliche Regelungen, die eine elektronische Einschüchterung oder Belästigung, etwa durch angsteinflößende oder obszöne Meldungen, für eine Strafbarkeit ausreichen lassen. Unabhängig davon, dass die­se Regelungen meines Erachtens zu unbestimmt sind und zudem zu stark in das Grund­recht der Meinungsfreiheit eingreifen, ist zu hinterfragen, was weitere Delikte in diesem Bereich bringen. Ich fürchte, dass weitere Delikte für den Opferschutz nichts bringen, da wir bei der Umsetzung ansetzen müssen.

Eine weitere Kriminalisierung bedeutet nicht, dass es automatisch zu einem Rückgang derartiger Verhaltensweisen und somit gleichzeitig zum Opferschutz kommt. Trotz die­ses engmaschigen Strafrechts wirkt dieses gerade im Internet derzeit kaum kriminal­präventiv. Das Strafrecht, so scheint es jedenfalls, erreicht die Internetuser erst gar nicht. Dies mag daran liegen, dass viele Nutzer sich, wie aus den Studien hervorgeht, aus Langeweile oder weil es die anderen auch machen, an Hasspostings beteiligen und das Internet eben immer noch als rechtsfreier Raum eingeschätzt wird.

Es müsste hierzu erst einmal bei Weitem mehr Strafrechtsbewusstsein geschaffen wer­den, und den Tätern müssten auch mögliche Folgen für potenzielle Opfer eindrücklich gemacht werden. Daher ist zuerst bei der Umsetzung des geltenden Rechts in der Pra­xis anzusetzen. Es bedarf einer effektiveren Strafverfolgung mit einer höheren Aufklä­rungsrate in diesem Bereich, denn eine hohe Aufdeckungsgefahr kann in weiterer Fol­ge potenzielle Täter davon abhalten, weitere Taten zu begehen.

Ich bin erfreut darüber, dass da, wie ich bei meinem Vorredner gehört habe, schon viel gemacht wird; dennoch, glaube ich, kann noch mehr gemacht werden. Es liegt wohl an verschiedenen Faktoren, dass derzeit nicht noch mehr strafrechtlich verfolgt wird. Das Ausfindigmachen von Internettätern ist aufgrund etwa von Datenschutzregelungen und durch die im Internet mögliche Anonymität teilweise schwieriger und viel kostspieliger; oftmals bestehen verstärkt Beweisschwierigkeiten. Zudem ist davon auszugehen, dass Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte in Bezug auf solche Straftaten und insbeson­dere den Opfern gegenüber noch nicht entsprechend sensibilisiert sind.

Was besteht, ist eine Überforderung, nämlich einerseits aus Ressourcengründen, an­dererseits aber auch aufgrund des Noch-nicht-wirklich-umgehen-Könnens mit diesem Phänomen und diesen Opfern. Diese Punkte können letztendlich für das Opfer zu einer unbefriedigenden Einstellung des Verfahrens führen. Helfen könnte da, wenn – wie von Herrn Dr. Haberkamm im Grünbuch gefordert – spezialisierte Polizeiabteilungen sowie Staatsanwälte und -anwältinnen mit derartigen Fällen betraut würden.

Das alleine reicht aber nicht. Auch etwa die entsprechenden IT-Firmen müssen das Bewusstsein hinsichtlich möglicher Strafbarkeit ihren Nutzern gegenüber erhöhen, mit mehr – sehr auffälligen – Hinweisen beziehungsweise Informationen zum Strafrecht: Wenn beispielsweise ein Kommentar geschrieben wird, muss eine entsprechende Information aufpoppen. Darin sollte auch erkennbar sein, ab wann die strafrechtliche Schwelle je­denfalls erreicht ist. Dies kann anhand von integrierten Beispielen vorgenommen werden.

Dieses Vorgehen der Unternehmen kann derzeit rechtlich wohl noch nicht erzwungen werden. Unternehmen haben aber – und dazu wird vielleicht auch meine Nachrednerin sprechen – gewisse Löschungs- und Moderationspflichten. Diese zivilrechtlichen Pflich­ten können auch Auswirkungen auf eine strafrechtliche Haftung haben. Wenn diese Pflicht von den Mitarbeitern nicht erfüllt wird, kann das unter Umständen eine strafbare Unterlassung aufgrund der sogenannten Garantenpflicht des einzelnen Mitarbeiters, aber auch der Manager darstellen. Das wiederum kann, wenn der Verband keine entspre­chenden Schutzvorkehrungen getroffen hat, zu einer Strafbarkeit des Verbands aufgrund des in Österreich bestehenden Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes führen.

Geldbußen und gegebenenfalls ähnliche Sanktionierungsmöglichkeiten können letztend­lich dazu beitragen, dass eine Firma verantwortungsvoller mit ihren Pflichten umgeht. Es bedarf also auch der Bewusstseinsbildung hinsichtlich des Strafrechts den Unter­nehmen gegenüber.

Mein Fazit ist daher: Ich glaube, im Moment bedarf es keines weiteren strafrechtlichen Tatbestands, sondern es bedarf einer effektiveren Umsetzung der bereits bestehenden Rechtslage, da das Strafrecht dort – wir haben es schon gehört – an seine Grenzen kommt, es sind derzeit eher die praktischen bewusstseinsbildenden und Informations­maßnahmen gegenüber dem einzelnen potenziellen Täter, aber auch gegenüber den Unternehmen als Täter. Dadurch, glaube ich, kann wohl effektiver eine präventive Wir­kung und damit Opferschutz erzielt werden. Wir alle hier sind angesprochen, zu dieser Bewusstseinsbildung beizutragen, gemeinsam zu agieren und an einem Strang zu zie­hen. – Danke. (Beifall.)

12.04


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Ich erteile nun Frau Dr. Windhager das Wort. – Bitte.

 


12.05.01

Dr. Maria Windhager (Rechtsanwältin für Medien- und Persönlichkeitsschutzrecht)|: Vie­len Dank für die Einladung! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Her­ren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist jetzt schon sehr viel gesagt worden, und mein Beitrag soll Ihnen ein paar Informationen aus der Praxis liefern.

Ich bin Persönlichkeitsschutzrechtlerin, also spezialisierte Anwältin für Medien- und Per­sönlichkeitsschutzrecht, und ich kenne die Probleme in der Praxis, wenn es um die Rechtsdurchsetzung geht, sehr gut. Ich möchte hier an meine Vorrednerinnen anknüp­fen, nämlich an die Strafrechtsprofessorinnen, die hier schon einiges zu den strafrecht­lichen Aspekten gesagt haben.

Ich möchte nur ganz grundsätzlich einmal sagen, dass ich es sehr begrüße, wenn es da zu legistischen Nachbesserungen kommt. Ich teile nicht die Einschätzung des Herrn Bundesministers, dass da kein Handlungsbedarf besteht, dass wir mit dem bestehen­den Regelwerk auskommen. Ich glaube, wir wissen schon jetzt, dass einige Bestimmun­gen nicht ausreichend funktionieren und dass man sich da etwas überlegen muss.

Lassen Sie mich dazu, in welche Richtung das legistisch geht, ob man da sozusagen die bestehenden Normen noch etwas nachbessert oder anders vorgeht, Folgendes sa­gen: Wir haben hier heute auch die Kritik zum Beispiel am Cybermobbing-Paragrafen gehört. Ganz spannend ist diese Angelegenheit im Zusammenhang mit dem Gewalt­video. Wir werden sehen, ob diese Bestimmung da überhaupt greifen kann. Es gibt jetzt auch eine Sachverhaltsdarstellung dazu und eine Anzeige wegen der Veröffentlichung dieses Gewaltvideos, und wir werden sehen, ob es einen wirksamen Rechtsschutz ge­gen eine solche Veröffentlichung gibt.

Ich glaube, wir alle hier im Saal sind uns einig: So etwas kann man nicht hinnehmen, da muss man sich zur Wehr setzen können. Ich bin wirklich fassungslos, wenn ich den Medien entnehmen muss, dass sich Facebook mit Hinweis auf seine Gemeinschafts­standards da sozusagen abputzt und sagt: Wir müssen das nicht löschen!

Ich meine, das kann es nicht sein! Da ist ein internationales Unternehmen in Österreich tätig. Es hat sich mit der österreichischen Rechtslage auseinanderzusetzen und unsere Gesetze einzuhalten. Das ist für mich ein ganz, ganz wichtiger Punkt, den ich hier de­ponieren möchte. Ich empfinde das als wirklich unerträglichen Missstand. Da darf die Politik nicht zusehen, wir dürfen uns das nicht gefallen lassen! Wenn ein Unternehmen in Österreich tätig ist, dann muss es sich an die österreichischen gesetzlichen Bestim­mungen halten, und zwar an die strafrechtlichen und natürlich auch an die persönlich­keitsschutzrechtlichen Bestimmungen. (Beifall.)

Was den zweiten Punkt, also das Strafrecht betrifft, verweise ich auf meine Vorredne­rinnen. Sie sind da kompetenter und haben, wie ich finde, auch wirklich sehr gut darge­legt, wo diesbezüglich die Problemstellungen sind und wo wir weiterdenken können. Bitte tun wir das! Lassen Sie uns das nicht wieder in die Schublade legen, sondern da­ran weiterarbeiten!

Jetzt zum Persönlichkeitsschutzrecht im eigentlichen Sinn, das ist sozusagen meine Do­mäne: Beim Persönlichkeitsschutzrecht, muss ich sagen, haben wir es mit einer Quer­schnittsmaterie zu tun. Wir haben sehr viele Bestimmungen, die Rechtslage ist nicht so schlecht. Wir können durchaus stolz darauf sein, welche Bestimmungen wir hier in Ös­terreich zur Verfügung haben, aber der Teufel steckt im Detail. Auch da gibt es diverse Nachbesserungsmöglichkeiten, deren Umsetzung wir uns in der Praxis sehr wünschen würden.

Ganz grundsätzlich: Das erste Problem ist, dass die betroffene Person selbst tätig werden muss, das heißt, wir haben es im Persönlichkeitsschutz auch von der straf­rechtlichen Seite her mit Privatanklagedelikten zu tun; wir haben das heute hier schon gehört. Man könnte sich in diesem Bereich durchaus überlegen, im Beleidigungsrecht Ermächtigungsdelikte anzudenken, um den Betroffenen nicht sozusagen diese Last auf­zuerlegen. Sie müssen sich vorstellen: Wenn Sie von solchen Äußerungen betroffen sind, müssen Sie sich an eine spezialisierte Anwaltskanzlei wenden, denn das können auch nur ganz wenige Anwaltskanzleien, das kostet Geld, diese Rechtsverfolgung ist ein enormer Aufwand, und die Leute stehen alleine damit da.

Ich möchte da auch an meine Vorrednerin anknüpfen: Die strafrechtliche Prozessbe­gleitung funktioniert bei den Privatanklagedelikten nicht, da gibt es ein Rechtsschutz­defizit. Wir haben das schon vor einigen Jahren einmal im Rahmen einer Enquete im Parlament im Zusammenhang mit dem Opferschutz diskutiert, und da war eigentlich klar, dass man da nachbessern muss. Das wurde aber nicht gemacht. Das ist auch wieder so ein Projekt, das in der Schublade gelandet ist, obwohl man ganz genau weiß: Da bräuchte es diesen Support, um entweder Ermächtigungsdelikte zu schaffen oder die Opfer dabei zu unterstützen, ihre Rechte durchzusetzen.

Mich macht das ganz wahnsinnig. Ich musste jetzt wirklich weinen, muss ich Ihnen ehr­lich gestehen, als ich den Vortrag von Frau Elke Rock gehört habe, an dem man sieht, was da passiert, und als ich hören musste, dass sie sich überhaupt nicht zur Wehr setzen konnte und eigentlich auch gar nicht gewusst hat, was sie hätte tun können. Mir als Anwältin wäre schon etwas eingefallen, was man da noch hätte machen können, aber natürlich wäre es für sie in dieser Situation eine große Zumutung gewesen, sich dann auch noch darum zu kümmern. Das ist eine ganz große Problematik für die Op­fer, auch wegen der kurzen Fristen.

Sie müssen sich vorstellen, wenn Ihnen so etwas passiert, haben Sie zuerst einmal an­dere Sorgen, als die einzelnen Täter zu verfolgen. Mir tut das weh, denn ich bin mir si­cher, wir hätten einige von diesen Personen ausforschen und verfolgen können, und da wären einfach Gerichtsverfahren fällig gewesen.

Einen Aspekt möchte ich noch ansprechen, der in der Diskussion immer wieder vor­kommt und mir ganz wichtig ist, nämlich die Meinungsäußerungsfreiheit: Wir haben jah­relang im Zusammenhang mit den klassischen Medien für die Meinungsäußerungsfrei­heit gekämpft. Das ist ganz wichtig. Es hat auch in Österreich in der Rechtsprechung dazu enorme Defizite gegeben, und ich glaube, wir haben in Österreich durch diese Diskussion im Zusammenhang mit politischer Kritik eine wirklich gute Judikatur ge­schaffen, aber bei Hasspostings, bei Gewalt- und Hassbotschaften geht es nicht mehr um Meinungsäußerungsfreiheit, das muss in aller Klarheit und Deutlichkeit gesagt wer­den!

Ich weiß aus der Praxis, dass wir da keine Abgrenzungsschwierigkeiten haben. Ich muss mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob etwas gerade noch zulässig ist oder nicht. Hören Sie sich die Meldungen an, die uns Frau Rock hier heute vorgelesen hat, hören Sie sich an, wie sie beschimpft worden ist! Soll das Meinungsäußerungsfreiheit sein? – Nein, sicher nicht!

Meinungsäußerung heißt, dass ich sachlich Kritik üben darf. Natürlich darf ich zuspit­zen, natürlich darf sachliche Kritik auch beleidigen und schockieren und stören, wie es uns Artikel 10 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Men­schenrechte vorgibt, aber es geht nicht darum, substanzlos Personen herabzusetzen, herabzuwürdigen und ihnen Gewalt anzudrohen. Da ist ganz klar eine Grenze über­schritten, und da gibt es in der Praxis wenig Graubereiche. Ich möchte Ihnen wirklich sagen, dass das nicht der Punkt ist – also wenn gesagt wird, das wäre ja Zensur und so weiter, das ist nicht unser Problem.

Ich finde es sehr gut, was Ingrid Brodnig in diesem Zusammenhang immer wieder ge­sagt hat: Sie hat noch nie erlebt, dass jemand, der ein Hassposting abgesetzt hat, sich nachher besser gefühlt hat. Es hat keine befreiende Wirkung, es ist kein wichtiger Bei­trag für unsere Demokratie. Wir fühlen uns dann nicht besser. Es ist nicht konstruktiv, es ist destruktiv. Es führt zu gar nichts. Es führt nur zu Ohnmacht und Angst, und das muss man einfach auch öffentlich stärker kommunizieren. (Beifall.)

Ein Problem in der Praxis, wenn ich einen Fall habe, wenn ich eine betroffene Person vertrete, ist natürlich, dass man den Täter oder die Täterin finden muss. Da ist die Ano­nymität im Netz ein wichtiges Stichwort. Ich kann Ihnen dazu aus meiner Praxis Fol­gendes sagen: Ich habe im vergangenen Jahr circa 50 Fälle – speziell für die Grünen – bearbeitet, und wir haben in fast allen Fällen die Täter ausgeforscht. Das war also gar nicht das erste Problem, das wir hatten.

Man glaubt es nicht: Die Leute glauben, im Netz können sie alles machen, es sei ein rechtsfreier Raum, wir hatten aber wenig Schwierigkeiten, die Identitäten auszuforschen. Da ist es vielleicht ein wichtiger Hinweis für die Praxis: Wir finden die, und zwar mit relativ einfachen Mitteln. Das heißt, Rechtsschutz ist möglich. Also bitte ermutigen: Weh­ren Sie sich! Schalten Sie Kanzleien ein! Wir können etwas tun!

Der zweite Punkt: Was ist, wenn wir die Täter nicht finden, wenn zum Beispiel Fake Accounts verwendet werden und sozusagen kein Impressum da ist? – Da ist es ganz wichtig, dass wir die Möglichkeit bekommen, Userdaten herauszufinden. – Das Licht auf dem Pult leuchtet schon, ich bin jetzt schon etwas unter Stress, das ist mir aber noch ganz wichtig: Wir müssen in die Lage versetzt werden, effizient an die Userdaten heran­zukommen.

Wir haben zum Beispiel Facebook in einem Fall gefragt; auch da putzt sich Facebook ab und sagt, es müsse nichts herausgeben. Auch das ist ein Punkt, wo wir in der Pra­xis versuchen müssen, diese Ansprüche durchzusetzen. Wir haben so ein Verfahren jetzt begonnen, wir führen dieses Verfahren. Es kostet viel Geld, und das ist ein Rie­senproblem: Man möchte sich als Privatperson natürlich nicht unbedingt gern mit Face­book anlegen, weil man in der Kriegskassa sozusagen nicht genug Geld hat, um so ein Verfahren zu führen. Wir müssen weiter in diese Richtung gehen und versuchen, dass wir da effizient die Rechtsansprüche durchsetzen können.

Ganz kurz noch: Ein ganz wichtiger Punkt, der mich bei Facebook besonders stört, be­trifft die Löschung. Wir wissen: Das Wichtigste ist, dass diese schlimmen Sachen, die da publiziert und verbreitet werden, möglichst schnell wieder aus dem Netz herauskom­men und dass ein Riesenproblem darin besteht, dass das ewig abrufbar ist. Deswegen ist die Löschung so wichtig.

Wir haben da auch im zivilrechtlichen Bereich durchaus wirksame Rechtsmittel, möch­te ich Ihnen sagen, auch im Strafprozess gibt es die Beschlagnahme. Das funktioniert in der Praxis super. Wir haben also auch strafprozessuale Mittel, um die Löschung durch­zusetzen. Was macht aber zum Beispiel Facebook? – Besonders interessant: Die lö­schen nicht, die sperren nur!

Das heißt, Sie verfolgen einen Anspruch in Österreich wegen einer Veröffentlichung, von der Sie Kenntnis erlangt haben, und Facebook sperrt den Inhalt nur in Österreich. Von Deutschland aus können Sie das aber nach wie vor anschauen, oder wenn Sie einen anderen Browser verwenden, können Sie sich das sogar in Österreich anschau­en. Das entspricht bitte nicht den Löschungsanforderungen der gesetzlichen Rechts­ordnung! Auch da muss man noch genauer schauen, wie sich die darüber hinwegset­zen können und wie man diese Ansprüche durchsetzen kann. Da muss man natürlich legistische Überlegungen anstellen, wenn man sieht, dass das bestehende Instrumen­tarium nicht funktioniert und die sich einfach nicht an diese Regeln halten.

Zum Abschluss: Wir haben gesehen, es gibt enorme Probleme; wir sehen, was sie an­richten können, was sie mit Personen machen können. Wir müssen tätig werden, das ist, glaube ich, allen hier klar. Ich kann nur den Appell an alle richten: Information, In­formation, Information! Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!

Für die Praxis gilt, wenn Sie selbst im Netz unterwegs sind: sofort sichern, damit Sie im Streitfall einen Beleg für das Gericht haben, auf die Täter reagieren, die Täter abmah­nen, sofort sagen: Du hast da einen Blödsinn geschrieben, lösch das, oder …! – das hilft auch schon –, die Facebook-Meldungsmöglichkeit in Anspruch nehmen, auch wenn diese Meldungen nicht immer befriedigend ablaufen, einfach aktiv werden und sich das nicht gefallen lassen. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.17


Vorsitzender Präsident Mario Lindner|: Herzlichen Dank, Frau Dr. Windhager.

Ich darf mich bei allen fünf Expertinnen und Experten des ersten Panels für ihre Refe­rate noch einmal ganz herzlich bedanken.

Ich unterbreche jetzt die Verhandlungen bis 12.45 Uhr. Im Salon des Bundesrates er­wartet Sie ein kleiner Snack. Ich bitte Sie, pünktlich um 12.45 Uhr wieder in den Saal zu kommen.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Enquete wird um 12.18 Uhr unterbrochen und um 12.48 Uhr wieder aufge­nommen.)

*****

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl (den Vorsitz übernehmend)|: Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf und hoffe, meine Damen und Herren, Sie hatten eine, wenn auch kurze, so doch gute Mittagspause.

12.48.15Panel II – Praxis in den Medien

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Wir gelangen nun zu den Statements zu Panel II – Praxis in den Medien, und ich darf die Referentinnen und Referenten er­suchen, die Redezeit von jeweils 10 Minuten nicht zu überschreiten.

Ich darf nun als ersten Referenten Herrn Dr. Schubert, Generalsekretär des Vereins In­ternet Service Providers Austria, Dachorganisation der Internetwirtschaft, um seinen Bei­trag bitten und mich besonders für sein Erscheinen bedanken, denn zu diesem Punkt hätte eigentlich ein Vertreter von Facebook Stellung nehmen sollen, der aber kurzfristig abgesagt hat. Herr Dr. Schubert war freundlicherweise bereit, an dessen Stelle zu treten, wiewohl wahrscheinlich die thematische Ausrichtung etwas anders oder etwas breiter sein wird. – Bitte.

 


12.49.16

Dr. Maximilian Schubert, LL.M. (Internet Service Providers Austria)|: Sehr geehrter Herr Vizepräsident Mag. Gödl! Werte Mitglieder des Bundesrates! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke im Namen der ISPA für die Einladung zur heutigen Veranstal­tung. Die ISPA ist die Interessenvertretung der Internetwirtschaft in Österreich, und als solche setzen wir uns seit unserer Gründung im Jahre 1997 mit den Chancen ausein­ander, die das Internet bietet, aber natürlich auch mit den Herausforderungen und Pro­blemen, mit denen wir, mit denen Sie alle konfrontiert sind.

Die ISPA ist – neudeutsch gesprochen – eine sogenannte Grass-roots-Organisation. Wir sind aus Protest der Provider darüber, wie die Exekutive mit ihnen umgegangen ist, gegründet worden. Konkret ging es um einen Wiener Provider, um die Speicherung illegaler Inhalte auf dessen Servern durch einen seiner Kunden. Anstatt Kontakt mit dem Provider aufzunehmen und zu sagen, dass sie vorbeikommt, um eine Beweissicherung vorzunehmen, ist die Exekutive sprichwörtlich einmarschiert und hat alles, was nach technischer Gerätschaft ausgesehen hat, abgeschraubt und mitgenommen. Sie kön­nen sich vorstellen, dass das für einen Provider ein riesengroßes Problem ist.

Aus diesem Grund haben sich die Provider zusammengeschlossen, um aufzuzeigen, dass es so nicht gehen kann. Das Resultat war zum einen ein Tag ohne Internet in Ös­terreich, das heißt, das Internet in Österreich wurde am 25. März 1997 aus Protest für drei Stunden deaktiviert; im Endeffekt, kann man sagen, hat es eigentlich den ganzen Tag lang nicht funktioniert. Zum anderen hat als Reaktion darauf ein Dialogprozess begonnen. Vertreter aller Stakeholder haben sich zusammengesetzt, um zu überlegen, was bei der bisher spärlichen Zusammenarbeit gut, was nicht so gut funktioniert und wo Handlungsbedarf besteht.

Handlungsbedarf wurde zum Beispiel im Bereich der Kinderpornografie und der NS-Wiederbetätigung gesehen. Als Reaktion darauf haben die österreichischen Internet Ser­vice Provider eine Meldestelle eingerichtet, nämlich stopline.at., die österreichische Mel­destelle gegen Kinderpornografie und NS-Wiederbetätigung im Internet, und jetzt, 18 Jah­re später, blicken wir auf eine sehr gute Kooperation mit den staatlichen Stellen zurück. Auch international ist diese Meldestelle hervorragend mit ähnlichen Meldestellen ver­netzt. Wir bearbeiten pro Jahr 6 000 Meldungen.

Sie können jetzt sagen: Das klingt schön, aber hat es etwas gebracht? – Die Antwort: Ja, es hat sehr wohl etwas gebracht! Zu der Zeit, als diese Meldestelle gegründet wur­de, kam es durchaus noch vor, dass Kindesmissbrauchsdarstellungen beziehungswei­se Inhalte der NS-Wiederbetätigung auf Servern in Österreich gespeichert wurden. Dies ist nun – nach 18 Jahren Kooperation! – nicht mehr der Fall. Wenn heute in Öster­reich noch so etwas gespeichert wird, dann, möchte ich sagen, ist das ein Ausnahme­fall. Sobald dieser dann gemeldet wird, sind die Inhalte aber innerhalb einer halben bis ei­ner Stunde verschwunden. Wir sollten das aber nicht für selbstverständlich halten. Wenn wir uns zum Beispiel in der EU umblicken, erfahren wir, dass es auch Staaten gibt, in de­nen diese Inhalte durchaus noch gespeichert beziehungsweise sehr oft gemeldet wer­den. Als Beispiel dafür möchte ich nur die Niederlande nennen.

Das heißt, die Provider nehmen ihre gesellschaftspolitische Verantwortung sehr wohl wahr.

Das Internet ist unserer Ansicht nach eine bisher einmalige Erfolgsgeschichte. Es er­möglicht einen Informationsaustausch, wie er bisher nicht gegeben war. Denken wir nur an die Situation, wenn es um den Bildungszugang in entlegenen Regionen geht, den­ken wir an den Kulturaustausch! Ich persönlich komme aus Oberösterreich, und als ich ein Kind war, gab es bei uns Radio Oberösterreich. Ich war top informiert darüber, was bei uns in der Region passiert ist, aber dass es außerhalb von Oberösterreich oder Ös­terreich quasi mehr gibt, das, muss ich sagen, war mir nicht wirklich zugänglich. (Hei­terkeit.) – Nichts gegen Radio Oberösterreich! Also ich denke, dass die Jugendlichen dies­bezüglich heute in einer wesentlich besseren Position sind.

Ein anderes Beispiel: Das Internet bietet die Möglichkeit, seine Kreativität auszuleben. Man kann fast kein so ausgefallenes Hobby haben, als dass man nicht noch andere Menschen findet, die die gleiche Leidenschaft teilen, mit denen man sich zum Beispiel über chinesische Comics oder das Restaurieren von alten Traktoren austauschen kann.

Was wir auch noch sehen, das ist eine Vielzahl von Informationsquellen. Wenn heute irgendwo in der Welt, sagen wir in Ägypten, eine Demonstration stattfindet, dann be­kommt man nicht nur die Bilder der staatlichen Fernsehanstalt, sondern auch eine Rei­he von Handyvideos, Fotos und andere Informationen, die unter Umständen ein ganz anderes Bild als jenes der staatlichen Einrichtungen zeigen. Wir erleben aber genauso wie in der Offlinewelt auch in der Onlinewelt Falschinformationen und Personen, die gezielt oder – ich möchte sagen – aus fahrlässiger Dummheit Hass verbreiten. In die­sem Zusammenhang ist es für mich ganz wichtig, festzuhalten, dass das Internet an sich ein neutrales Medium und der ganz überwiegende Teil der Nutzung des Internets positiv ist, dass es jedoch eine kleine Gruppe von Menschen und auch Institutionen gibt, die das Internet gezielt missbrauchen, und dass wir Internet Service Provider dies ablehnen!

Dadurch, dass dieser Missbrauch im Internet sehr deutlich wird – man sieht ihn –, liegt oft einmal die Idee nahe, zu sagen, das passiere im Internet, daher müssen sich die Internet Service Provider darum kümmern, und darin besteht ein großes Problem. Es sind Probleme der Offlinewelt, die quasi online sichtbar werden, und wenn man jetzt von den Providern erwartet, dass sie die Probleme der Offlinewelt lösen, dann können Sie sich denken, dass dieser Versuch nicht von Erfolg gekrönt sein kann.

In der Sitzung am 19. Oktober hier in diesen Räumlichkeiten wurde das Thema der se­xualisierten Gewalt gegen Frauen im Internet angesprochen. Dazu möchte ich sagen, dass das derzeit ein sehr aktuelles Thema ist, und dies völlig zu Recht, aber – und das ist ganz wichtig – es ist wirklich kein neues Thema. Für diejenigen, die es interessiert: Bereits 1993, das war ein Jahr vor der Erfindung des ersten grafischen Browsers, hat Herr Dibbell den Aufsatz „A Rape in Cyberspace“ geschrieben, in dem es genau darum ging. Es ging darum, was man im Internet machen kann, ob sich die Community posi­tionieren soll, ob Handlungen folgen sollen, ob es Sanktionen geben soll, und der Auf­satz „A Rape in Cyberspace“ war der Startpunkt, als es darum gegangen ist, Commu­nity Standards zu etablieren. Die Foren haben sich selbst Regeln gegeben, es wurde so etwas wie eine Netiquette ausgearbeitet.

Ich möchte sagen, dass das über sehr lange Zeit hervorragend beziehungsweise sehr gut funktioniert hat. Dann allerdings war ein enormer Zuwachs bei den Menschen, die das Internet nutzten, zu erkennen. Vorher war es ein relativ kleiner Kreis, aber die Nut­zerzahlen – ich möchte nicht sagen: explodieren – steigen, was grundsätzlich sehr er­freulich ist. Gleichzeitig ist aber klar, dass die Anzahl der Meldungen über illegale In­halte, die wir bekommen, ebenfalls steigt. Allein YouTube zum Beispiel sieht, dass die Anzahl der gemeldeten Inhalte jedes Jahr um 25 Prozent steigt. Diese Anzahl an Mel­dungen zu bewältigen ist, sage ich, natürlich auch eine Herausforderung für die Pro­vider.

An dieser Stelle möchte ich ganz klar sagen, dass dort, wo Defizite bestehen, die An­strengungen der Provider weiter intensiviert werden müssen. Gleichzeitig möchte ich al­lerdings sagen, die Provider wissen das und arbeiten auch daran; es ist nicht so, dass wir uns dem verschließen würden.

Ein Beispiel für eine mögliche Kooperation ist das bereits heute Vormittag angespro­chene Trusted Flagger Program. Das heißt, es gibt Institutionen oder auch NGOs, die die Möglichkeit bekommen, Meldungen abzugeben. Und worin besteht der Unterschied zur normalen Meldung? – Es gibt zum Beispiel Tausende Menschen, die ein Video von Justin Bieber bei einer Videoplattform melden, nur weil sie ihn einfach nicht mögen. Die­se Videoplattform muss sich alles anschauen und dann entscheiden, ob sie etwas unter­nimmt oder nicht. Von den Meldungen, die abgegeben werden, ist ungefähr ein Drittel, je­de dritte Meldung, zutreffend. Wenn allerdings staatliche Einrichtungen, also diese Trusted Flagger, zum Beispiel Staatsanwälte, aber auch NGOs, melden, dann liegt die Wahr­scheinlichkeit, dass das eine Handlung nach sich zieht, bei über 90 Prozent. Also auch das ist eine wesentliche Erleichterung für die Unternehmen, wenn sie mit Personen oder Institutionen oder NGOs zusammenarbeiten können, die wirklich nur das melden, was nicht nur ärgerlich, sondern auch illegal ist und aus dem Netz verschwinden muss.

Ebenso gibt es die Counter Speech; ich nehme an, die meisten von Ihnen werden da­mit vertraut sein. Dabei geht es darum, dass man sagt, es gibt sachliche, deeskalie­rende, vernünftige Inhalte, die dann von den Unternehmen gezielt gefördert werden, um positive Inhalte zu verbreiten und eine Art Gegenrede darzustellen.

So engagiert sich die Unternehmer allerdings auch betätigen, eines muss uns trotzdem klar sein – das habe ich schon vorhin gesagt –: Nur die Provider allein können das Pro­blem nicht lösen, in diesem Kontext braucht es einen ganzheitlichen Lösungsansatz! Wir freuen uns daher, Initiativen wie zum Beispiel die Kampagne des Nationalen Ko­mitees zu No Hate Speech oder die Initiative gegen Hass im Netz zu unterstützen.

Ebenso wichtig ist Bildung, und das ist mein letzter Punkt: Wenn wir von Bildung spre­chen, denken wir meistens daran, dass in den Schulen oder Kindergärten etwas getan werden muss – was alles stimmt –, aber Bildung fängt bei uns allen an. Wenn man – das wurde vorhin schon angesprochen – das Gegenüber im Internet nicht sieht, dann sieht man auch nicht, wenn man das Gegenüber beleidigt. Wenn sich dann jemand in seinen Rechten verletzt fühlt und meint, man sei ihm zu nahe gekommen, dann schreibt er zurück, und so weiter. In der realen Welt würde man sehen, dass das Kind gegen­über im Sandkasten etwa den Kopf senkt, und sich denken, dass man zu weit gegan­gen ist. Im Internet haben wir das leider nicht, und das führt dazu, dass man dieses Feed­back nicht bekommt – okay, der andere hat die Message verstanden –, dann wird qua­si wiederholt, noch intensiver, aggressiver vorgegangen.

So, denke ich, sollten wir bei Bildung nicht nur an Kindergärten denken, sondern an uns alle und überlegen, wo wir dazu beitragen können, dass die Diskussion sachlicher wird.

Es wurde vorhin angesprochen, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen im Inter­net unklar wären. Unser Verband hat zum Beispiel eine Broschüre erstellt, das sind sechs Seiten, da haben wir das rechtliche Umfeld der Verhetzung, denke ich, sehr schlüssig dargestellt, und so sollte es jeder Nutzerin und jedem Nutzer möglich sein, sich zu in­formieren, was im Internet erlaubt ist und was nicht. – Danke schön. (Beifall.)

13.00


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich erteile nunmehr Frau Mag. Denkmayr, Social-Media-Expertin, Corporate Develop­ment & Corporate Communications, VICE Austria, das Wort. – Bitte, Frau Mag. Denk­mayr.

 


13.00.58

Mag. Judith Denkmayr (VICE Austria)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mit­glieder des Bundesrates! Werte Damen und Herren! Danke, dass ich heute hier als lang­jährige Mitarbeiterin von Medienunternehmen und auch als Beraterin sprechen darf. Die Medienbranche hat sich in den letzten Jahren ja notgedrungen massiv entwickelt, die Di­gitalisierung treibt sie quasi vor sich her. Letztendlich stehen wir ja aufgrund der Digita­lisierung hier.

Das Thema Hasskommentare war eigentlich nur eine logische Konsequenz aus diesem ganzen Komplex der Digitalisierung, der in den letzten Jahren die Medienlandschaft ver­ändert hat. Die Medienlandschaft hat etwas zu lange mit Quick Fixes gearbeitet, ein Begriff, den wir in der Beraterbranche ganz gerne verwenden. Man löscht quasi ein klei­nes Feuer, aber man hat nicht wirklich einen Blick für den Großbrand.

So stehen wir jetzt hier und reden über Medienunternehmen und müssen eigentlich über alle Menschen sprechen, die derzeit im Web publizieren. Das heißt, wir haben eine voll­kommen neue Situation: Wer ist heute ein Medium? – Jeder von uns ist theoretisch ein Medium. Jeder von uns hat die Möglichkeit, mit einem einzelnen Video vier Millionen Ös­terreicher, zehn Millionen Menschen zu erreichen, wie wir diese Woche feststellen durf­ten. Das heißt also: Wenn wir Medienunternehmen in die Verantwortung ziehen oder über Medienunternehmen reden, dann müssen wir theoretisch über alle diese publizierenden Menschen sprechen.

Auf der anderen Seite haben wir die klassischen Medienunternehmen, die zusehends un­ter Druck geraten und deren Verantwortung es ist, auf ihren Plattformen Kommentare auch zu editieren und zu moderieren. Diese klassischen Medienunternehmen haben aber in den letzten Jahren das Problem, dass sie durch diese neuen Stakeholder auch zu einer zunehmenden Dramatisierung ihrer Geschichten, ihrer Inhalte gezwungen wer­den – ob das jetzt verkürzte Botschaften sind, ob sie Infografiken, GIFs, kurze State­ments, Info Snippets, wo früher lange Geschichten waren, abliefern. Das alles führt zu einer Verknappung, Verkürzung, Dramatisierung der Inhalte, aber natürlich auch zu ei­ner Dramatisierung der Meinungsabsonderungen, der Kommentare. Das heißt, das ist ein Problem, das sich gegenseitig bedingt.

Jetzt haben wir die Medienstakeholder, die diversen Menschen, die publizieren, und ei­ne Unmenge an Menschen, die kommentieren. Was wir aber nicht haben, ist eine Dis­kussionskultur. Das heißt, egal, ob vonseiten der Medienunternehmen oder vonseiten der kommentierenden User, es wird wenig diskutiert, es wird wenig auf einen Kompro­miss geachtet. Wenn man in irgendeiner Weise Diskussionen verfolgt, stellt man fest, dass es vor allem darum geht, die eigene Meinung zu vertreten. Wir sind sehr mei­nungsstark, aber sehr diskussionsschwach geworden. Das betrifft auch alle Publizie­renden, das heißt, die klassischen Medienunternehmen, die etablierten Medienunterneh­men, sind mit gemeint. Es gibt eine falsche Meinung und eine richtige Meinung, und ein Kompromiss wird in solchen Diskussionsforen leider sehr wenig gesucht und daher auch noch weniger gefunden.

Wie können wir jetzt damit umgehen? – An der Schnittstelle sitzt eigentlich immer ein sogenannter Community Manager; wir haben ja nachher auch noch einen zu Gast. In den meisten Fällen sind das aber, speziell wenn es um Unternehmensplattformen geht, Menschen, die nicht unbedingt sehr lange im Unternehmen sind, die nicht besonders ausgebildet wurden, die vielleicht weder das ethische noch das rechtliche Wissen ha­ben, um in solchen Situationen adäquat zu reagieren. Das ist derzeit eine große Lücke, die grundsätzlich von Medien, aber auch von Unternehmen in der Personal- und Ressour­cenzurverfügungstellung herrscht. Das heißt, wir haben an diesen sehr neuralgischen Stel­len Menschen sitzen, die nicht über die Kompetenz oder die Fähigkeit verfügen – nicht oder nicht immer oder nicht ausreichend –, diese Kommentare zu moderieren.

Das ist jetzt eigentlich der Praxisbezug zu diesem ganzen Thema. Wir haben so viel über die rechtlichen Rahmenbedingungen, wenn schon etwas passiert ist, gehört, und auch über die gesellschaftlichen Vorbedingungen. In der Praxis scheitert es dann aber oft an dieser ganz klassischen Infrastruktur.

Nach all den Jahren als Beraterin sehe ich eigentlich einen sehr klaren Weg, wie man das Ganze lösen kann. Sehr viel davon ist heute angesprochen worden, aber als Bera­terin sagt man klassisch: Da fehlen uns die Prozesse und die Verantwortlichkeiten.

Das heißt: Wenn ich heutzutage als jemand, der in dieser Branche arbeitet, auf der Su­che nach einem klaren Prozess bin, wie ich bei einem bestimmten Kommentar vor­gehe, scheitere ich als erstes schon einmal an ausreichenden Präzedenzfällen, die mir als Nichtjuristin klarmachen, was ein Hasskommentar, was Verhetzung ist, was wirklich verfolgenswert ist, wo wir agieren müssen. – Das wäre Punkt eins.

Ich weiß auch nicht, an wen ich mich wenden soll. Vielleicht haben Sie das Video, die­ses Gewaltvideo, über das heute schon mehrfach geredet wurde, auch selbst gesehen. Haben Sie die Polizei gerufen? Wenn Sie es um 3 Uhr in der Früh sehen, wo rufen Sie an? Rufen Sie bei der Polizei in Donaustadt an? Oder an wen wenden Sie sich? So einfach ist das gar nicht nachzuvollziehen. Das muss man recherchieren, das kostet Zeit. Wenn wir wollen, dass das läuft, dass wir wissen, an wen wir uns wenden, muss das klarer und übersichtlicher sein. Das heißt, wir brauchen klare Prozesse, wir brau­chen klare Verantwortlichkeiten: Rufe ich bei der Polizeidienststelle Donaustadt an? Wissen die, was zu tun ist? Derzeit gibt es da an verschiedenen Stellen Lücken, die nicht definiert sind. Es gibt keine übergreifende Zusammenarbeit von diversen Organi­sationen.

Sehr oft ist dann die Lösung, die derzeit auch in den Medien sehr präsent ist, den Schwarzen Peter den jeweiligen Plattformen, die uns heutzutage so herausfordern, zu­zuschieben. Das heißt, Facebook, Google, Twitter und wie sie alle heißen werden kriti­siert, weil sie diesen oder jenen Kommentar nicht löschen, weil sie diesen oder jenen Algorithmus so erstellt haben, wie sie ihn erstellt haben.

Diese Unternehmen versuchen aus nachvollziehbaren Gründen, eine relativ neutrale Position einzunehmen. Das ist für sie natürlich auch eine bequeme Position, und na­türlich sollte man sie mehr in die Pflicht nehmen. Meiner Meinung nach sollte man das allerdings nicht so tun, indem man ihnen sagt, was sie zu tun haben, von wegen: Lö­schen Sie das!, oder noch schlimmer, indem man es ihnen selbst überlässt, was sie löschen und was nicht. Stattdessen sollte man vor allem klare Verantwortlichkeiten und Transparenz auch auf dieser Seite einfordern. Derzeit sind Löschprozesse der Plattfor­men nicht transparent.

Derzeit sind aber auch die Prozesse, wenn es darum geht, Strafverfolgung loszutreten, anzukurbeln, nicht transparent beziehungsweise wird das zu wenig kommuniziert. In den letzten Tagen waren wir sehr damit beschäftigt, uns zu überlegen, warum dieses besag­te Video nicht gelöscht wird. Ist da überhaupt schon etwas geschehen? Was geschieht? Warum geht das nicht schneller? Das Ganze ist am Wochenende passiert. Wer weiß, wie diese Prozesse ablaufen, weiß natürlich, dass es Zeit dauert und dass Facebook und auch andere Plattformen vor allem auf strafrechtlichen Input reagieren.

Letztendlich auch da: Wir brauchen eine Zusammenarbeit, und darauf möchte ich ab­schließend auch zu sprechen kommen. Wir brauchen bei Medienunternehmen Prozes­se, wir brauchen bei diversen Plattformen Ansprechpartner, die reagieren. Wir brau­chen wahrscheinlich auch eine zeitliche Ankurbelung, wir brauchen schnellere Prozes­se, wenn es um Hasskommentare und Ähnliches geht. Das muss kurzfristig gesche­hen, da muss sehr schnell etwas geschehen und das muss auch kommuniziert wer­den. Das wäre auf jeden Fall mein Vorschlag zu diesem Thema.

Letztendlich werden wir das Ganze auch nur in den Griff bekommen, wenn in irgend­einer Art und Weise kommuniziert wird, wie diese Abläufe stattfinden. Da kann man auch die diversen Plattformen in die Pflicht nehmen, denn was würden Sie als erstes tun, wenn Sie irgendwo einen Hasskommentar lesen? – Sie googeln wahrscheinlich: Was muss ich tun, wenn ich einen Hasskommentar lese? – Vielen Dank. (Beifall.)

13.09


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Danke für Ihren Beitrag, Frau Mag. Denk­mayr.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Dr. Wetzstein, Senior Lecturer am Institut für Publi­zistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. – Bitte, Frau Dr. Wetzstein.

 


13.10.04

Mag. Dr. Irmgard Wetzstein, MA (Institut für Publizistik- und Kommunikationswissen­schaft, Universität Wien)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wissen, dass bei der Ver­breitung von Hass und Hetze Social-Media-Kanäle bekanntermaßen eine große Rolle spielen. Durch sie wird eine mediale beziehungsweise kommunikative Infrastruktur zur Verfügung gestellt, die eine unkomplizierte Teilhabe an gesellschaftspolitischen Debat­ten und deren Dynamisierung sowie die rasche Verbreitung von verbalen und visuellen Botschaften ermöglicht. Diese Verbreitungsdynamik ist vorerst nichts per se Negatives, kann sie doch positiv genutzt werden, etwa im Zusammenhang mit Spendenaufrufen oder Appellen zu zivilgesellschaftlichem Engagement. Ebenso kann die dynamische In­frastruktur sozialer Medien aber eben auch für die Verbreitung feindbildkonstituierender und gefährlicher Falschmeldungen, von Diffamierungen gegen verwundbare Gruppen in der Gesellschaft oder gar von verbotenen Aufrufen zu Gewalt instrumentalisiert wer­den.

Bekannt ist auch, dass sich solche durch soziale Medien verbreitete und rezipierte Bot­schaften, die gezielt negative und aggressive Stimmung gegen bestimmte Gruppen evo­zieren sollen, in der Haltung, im alltäglichen Handeln und im gesellschaftlichen Zusam­menleben fortschreiben können. Oder, anders gesagt: In mediatisierten Gesellschaften, die dadurch gekennzeichnet sind, dass vor allem sogenannte neue Medien und Me­diennutzung kaum trennbar mit unserem alltäglichen Leben verbunden sind, ist eine Trennung in eine Online- und eine Offlinewelt kaum noch sinnvoll.

Gerade unter diesem Gesichtspunkt ist das Aufgreifen des Problemfelds, das in der ein­schlägigen Literatur im Allgemeinen unter dem Begriff Cyberhate oder Cybercrime be­handelt wird, gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch natürlich prioritär. Forschung und Politik haben das erkannt, und auch auf der journalistischen Agenda findet sich der The­menbereich aktuell des Öfteren wieder, sicher auch, weil Journalisten und Journalistin­nen in jüngerer Vergangenheit selbst Betroffene von Hasspostings – und eben nicht nur Berichterstattende zum Thema – waren. Dadurch rückt die Thematik verstärkt ins öffent­liche Bewusstsein, womit ein erster kleiner, aber wesentlicher Schritt getan ist.

Die großen Fragen, etwa jene des Umgangs mit Hass im Netz, des Schaffens und För­derns eines gesellschaftlichen Klimas für digitale Zivilcourage oder nach Strategien für einen konstruktiven Diskurs in sozialen Medien, sind aber längst nicht geklärt. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, tun sich aus sozial- und kommunikationswissenschaft­licher Sicht eine Vielzahl an Perspektiven beziehungsweise Dimensionen auf, unter de­nen diese Fragestellungen zu betrachten sind.

So muss das Phänomen Hass im Netz sowohl medienzentriert als auch personenzen­triert in den Blick genommen werden. Erstere Perspektive fragt nach der Beschaffen­heit des Medienkanals selbst, wie er Kommunikation ermöglicht und welche präventi­ven oder interventionistischen Strategien, in diesem Fall bezogen auf Hasspostings, dort möglich und sinnvoll sind. Im Zusammenhang mit der kommunikativen Funktion von So­cial-Media-Kanälen hat die Forschung schon einiges geleistet: Wir wissen, dass so­ziale Medien die bekannte allgemeine psychologische Tendenz, Informationen im Sin­ne der Aufrechterhaltung der eigenen Glaubenssätze und Haltungen zu verarbeiten, för­dern können. Mit anderen Worten: Wenn eine Person grundsätzlich Vorbehalte, zum Bei­spiel gegen eine bestimmte Gruppe, hat, wird sie zur Verfügung gestellte Informationen wahrscheinlich so verarbeiten, dass sie sich in ihrer Einstellung bestätigt sieht.

Informationen, die etwa in den Facebook-Timelines von NutzerInnen erscheinen, wer­den dabei nicht nur durch die NutzerInnen selbst vorselektiert, sondern auch durch Platt­formalgorithmen gefiltert. So entstehen sogenannte Filter Bubbles oder Information Bub­bles, die weitgehend voneinander isoliert bleiben und wo Tabubrüche wie das Diffamie­ren bestimmter Gruppen durch das Fehlen direkter Konfrontation mit Andersdenkenden vereinfacht und begünstigt und entsprechende Hemmschwellen möglicherweise abge­baut werden. Die allgemein wahrgenommene Polarisierung in Social-Media-Kanälen – beispielsweise bezogen auf die sogenannte Flüchtlingsdebatte – kann so erklärt wer­den, sowie auch die Ablehnung von etablierten journalistischen Medien in bestimmten digitalen Räumen, während strukturell und dramaturgisch als Nachrichten beziehungs­weise seriöse Information aufgemachte Onlineangebote quasi als Echokammern funk­tionieren und daher oftmals unhinterfragt bleiben, als wahrhaftig eingestuft werden und daher eventuell eher geteilt beziehungsweise verbreitet werden.

Im Kontext einer medienzentrierten Perspektive wären der Umgang mit Hasspostings und das Fördern Digitaler Courage darin zu suchen, auch BetreiberInnen und Anbie­terInnen in die Verantwortung zu nehmen, Kanäle, in denen politische Debatten öffent­lich stattfinden, wie etwa die Kommentarspalten online verfügbarer Zeitungsartikel, nicht unmoderiert zu lassen, dort Regeln und Strukturen des kommunikativen Miteinanders klar und transparent zu machen und NutzerInnen über rechtliche Rahmenbedingungen, über das Melden von Hasspostings bei den entsprechenden BetreiberInnen oder im Fall der Fälle über das Anzeigen bei der Polizei aufzuklären und zu sensibilisieren.

Da eine Trennung von Online- und Offlinesphäre, wie ich eingangs erwähnt habe, schwie­rig ist, sollten Fragen zum Umgang mit Hasspostings und zum Fördern Digitaler Cou­rage jedoch über eine medienzentrierte Perspektive hinausgehen und wesentliche han­delnde Akteure, nämlich Institutionen, Personen und Personengruppen, aber letztlich auch die Gesellschaft als Ganzes einbeziehen. SozialwissenschafterInnen treffen dies­bezüglich gerne die Unterscheidung in eine die Gesellschaft als Ganzes in den Blick nehmende Makroebene, eine auf Institutionen und Organisationen fokussierende Me­soebene und eine individuelle beziehungsweise auf zwischenmenschliche Interaktion achtende Mikroebene. Diese Unterscheidung ist selbstverständlich eine rein analyti­sche, braucht doch beispielsweise das sicher wünschenswerte Fördern einer konstruk­tiven, fairen und sachorientierten Debattenkultur auf gesamtgesellschaftlicher Makroebe­ne möglichst institutionalisierte Strategien und Maßnahmen, die auch das zwischen­menschliche Miteinander auf der Mikroebene berühren.

Um das Fördern Digitaler Courage und letztlich einer konstruktiven, fairen und sach­orientierten Debattenkultur gesellschaftlich zu festigen und zu institutionalisieren, ist es sinnvoll, nach möglichen Beiträgen von Institutionen und Organisationen auf der Meso­ebene zu fragen. Aus der Perspektive professioneller Mediations- und Konfliktmanage­mentarbeit wäre es ratsam, möglichst alle wesentlichen Akteure und Akteurinnen in das Erarbeiten und Umsetzen ganzheitlicher Strategien im Umgang mit Hasspostings und im Fördern Digitaler Courage einzubeziehen. Auf Institutionenebene können das unter an­derem politische beziehungsweise öffentliche Institutionen auf nationaler und europäischer Ebene, NGOs und zivilgesellschaftliche Initiativen, Schulen, Behörden, Forschungsein­richtungen und Medienunternehmen beziehungsweise eben auch Social-Media-Betrei­berInnen sein, denen jeweils unterschiedliche Aufgaben in der Präventionsarbeit oder im Intervenieren bei Cyberhate-Vorkommnissen zukommen können.

Überlegenswert sind sicher erstens: Konzepte für Peer-Education-Programme zu die­sem Thema, die es ja etwa im Bereich der politischen Bildung schon gibt und die ge­meinsam mit Schulen entwickelt und durchgeführt werden könnten – es geht also auch wieder um das Thema Bildung; zweitens: Medien- und Kommunikationskompetenztrai­nings, die unter anderem für die Unterscheidung zwischen faktenbasierter Argumenta­tion beziehungsweise Interpretation im Journalismus auf der einen Seite und als Nach­richten getarnte Propaganda auf der anderen Seite sensibilisieren, den Begriff der Mei­nungsfreiheit klar von Diffamierung und Beleidigung abgrenzen, über rechtliche Rah­menbedingungen und mögliche Konsequenzen aufklären und den Umgang mit Hasspos­tern im eigenen Umfeld thematisieren; drittens: die sicher schwieriger zu institutionali­sierende Sensibilisierungsarbeit in diesen Bereichen auch außerhalb von klassischen Schulsettings; viertens: die weitere Professionalisierung und Bekanntmachung von Hil­festellung für Betroffene; fünftens: die vermehrte Förderung von Forschung und Ent­wicklung im Themenbereich, unter anderem im Hinblick zum Beispiel auf die Entwick­lung und das nachhaltige Betreiben eines bisher nicht vorhandenen automatisierten oder semiautomatisierten Monitorings, das der Verbreitungsdynamik in sozialen Medien ge­recht wird, Hassbotschaften entsprechend rasch entdeckt und insbesondere solche öf­fentlichen Social-Media-Angebote in den Blick nimmt, die an Meinungsvielfalt nicht in­teressiert zu sein scheinen; und schließlich sechstens: das Zurverfügungstellen und pro­fessionelle Begleiten von Offlinebegegnungsräumen, die durch die direkte persönliche Begegnung den Abbau von möglicherweise vorhandenen Vorurteilen fördern können.

Unabhängig davon, ob diese oder andere Maßnahmen gegen Hass im Netz und für Di­gitale Courage letztendlich in eine notwendige Gesamtstrategie einfließen, werden da­für selbstverständlich personelle und finanzielle Ressourcen benötigt, die angesichts der Dringlichkeit der Thematik jedoch gerechtfertigt zu sein scheinen.

Abschließend ist zu sagen, dass Social-Media-Kommunikation zu kontroversen gesell­schaftlichen beziehungsweise gesellschaftspolitischen Themen keinesfalls als reprä­sentativ für die österreichische Bevölkerung einzustufen ist, nicht nur, weil die, die sich möglicherweise laut und wiederholt äußern, nicht unbedingt eine Mehrheit darstellen, sondern auch, weil so mancher Nutzer seine politische Einstellung möglicherweise nicht öffentlich zeigen will oder kann oder soziale Medien für komplexe Debatten als unge­eignet erachtet. Auf dieser Erkenntnis sollte man sich jedoch nicht ausruhen, denn be­denkt man, dass das, was online geschieht, sich möglicherweise offline niederschlägt und umgekehrt, wäre es vermutlich eher angezeigt, Menschen mit anderen Ansichten als jene der vermeintlichen lauten Mehrheit dazu zu ermutigen, soziale Medien als De­battenplattform zu nutzen und so ihren Platz in digitalen Räumen einzufordern. – Vie­len Dank. (Beifall.)

13.19


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Danke für Ihren Beitrag, Frau Dr. Wetz­stein.

Ich erteile nun Herrn MMag. Dr. Burger, Community Manager bei „derStandard.at“, das Wort. – Bitte, Herr Dr. Burger.

 


13.20.00

MMag. Dr. Christian Burger (derStandard.at)|: Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Da­men und Herren! Ich danke dem Bundesrat für die Einladung zu dieser Veranstaltung. Ich werde mich bemühen, Ihnen kurz einen Einblick in die Medienpraxis, in das Commu­nity Management bei „derStandard.at“ zu geben. Ich lege dabei den Fokus auf den Wert konstruktiver Onlinedebatten, denn ich glaube, wenn wir uns darum bemühen, einen Rah­men zu schaffen, in dem konstruktiv diskutiert werden kann, dann ist das auch die Ba­sis für digitale Zivilcourage.

Bei „derStandard.at“ gibt es den Bereich User-generated Content, in dem ich arbeite; und wir haben uns bestimmte Aufgaben zum Ziel gesetzt, die da lauten: Wir wollen das Umfeld bieten, in dem alle, die etwas Relevantes zu sagen haben, gerne partizipieren und mitdiskutieren; da kommt es also darauf an, dass man wirklich gerne mitmachen möchte. Wir verfolgen das Ziel, dass damit Inhalte von und mit unseren Usern gene­riert werden, die qualitätsvoll und mitunter auch unterhaltsam sind. Und wir wollen si­cherstellen, dass es dabei zu einem inhaltlichen Mehrwert kommt.

Wir setzen natürlich zu einem beachtlichen Teil auf die Userkommentare – ich meine da­mit die Kommentare, die es zu unseren Artikeln gibt –; diese sind ein zentrales Ele­ment, das es schon seit 1999 bei „derStandard.at“ gibt. Diese Kommentare sind in den vergangenen Jahren durchaus ein bisschen in Verruf geraten. Einige Medien, wie etwa die „Süddeutsche Zeitung“, „cnn.com“ oder kürzlich erst „npr.org“, also National Public Radio in den USA, haben sich entschlossen, diese abzuschaffen.

Ich halte das für einen falschen Schritt und verweise hier auf Amanda Zamora von „The Texas Tribune“, die das auch für einen falschen Schritt hält, denn wenn wir der Öffent­lichkeit, wenn wir unserem Publikum die Möglichkeit nehmen, zu kommentieren, was wir publizieren, dann verlieren wir eigentlich die Rolle, den öffentlichen Diskurs mitge­stalten zu können, dann nehmen wir uns die Möglichkeit, wirklich wertvolle Beziehun­gen zwischen und mit unseren Usern aufzubauen; und das ist letztlich auch für unsere eigene Zukunft in der Medienbranche nicht gut. Das heißt, wir müssen uns sehr inten­siv darum bemühen, solche Dialoge auf unserer Seite zu haben und die geeigneten Rah­menbedingungen zur Verfügung zu stellen.

Bei „derStandard.at“ besteht User-generated Content zu einem Teil aus den genannten Postings, die es bei uns zu allen Artikeln gibt. Wir haben darüber hinaus in den letzten drei Jahren noch viele weitere Elemente hinzugefügt. Im Wesentlichen geht es auch darum, useraktivierende Inhalte bereitzustellen. Das heißt, wir wollen auch wirklich Dis­kussionsthemen setzen. Es geht nicht bloß um Kommentare zu Artikeln, zu den nach­richtlichen Themen, sondern es geht auch darum, Themen für eine Diskussion anzule­gen. Wir veröffentlichen Userkommentare, Userartikel täglich. Wir veröffentlichen außer­dem auch Userblogs.

Folgendes ist für ein Medium wie „derStandard.at“, glaube ich, besonders wichtig: Wir haben auch die Möglichkeit, redaktionelle Inhalte mit User-generated Content zu ver­quicken; und das tun wir in Liveberichten, Livetickern und Chats. Auch das heutige Er­eignis hier im Bundesrat begleiten wir mit einem Liveticker.

Vielleicht ist es auch noch wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wen wir denn eigentlich mit User-generated Content ansprechen, für wen wir das machen und wer ei­gentlich unser Publikum ist. Ich sage absichtlich „Publikum“, denn es gibt diese be­kannte 1-Prozent-Regel von Jakob Nielsen, die besagt, dass sich üblicherweise nur 1 Pro­zent der Onlinenutzer, der Nutzer einer Onlinecommunity intensiv beteiligt; dann gibt es ungefähr noch 9 Prozent, die sich ein bisschen beteiligen, aber 90 Prozent sind stil­le Mitleser. Das sind also wirklich Rezipienten im Sinne dieses Wortes, sie sind aber für uns, wenn wir Community Management machen, ganz wichtig. Wir stellen also die Möglichkeit des User-generated Contents grundsätzlich für alle bereit, aber wir wollen vor allem, dass auch die Leser etwas davon haben.

Gilt diese 1-Prozent-Regel auch bei „derStandard.at“? – Kurze Antwort: Ja. Wir haben im Monat zwei Millionen Unique User, und wir haben in etwa 25 000 aktive Poster – das sind in etwa 1,3 Prozent. Wir haben übrigens monatlich 765 000 Postings und damit deut­lich mehr als doppelt so viel wie die „New York Times“. Das heißt, natürlich müssen wir auch besonders viel Ressourcen – damit meine ich vor allem menschliche Ressourcen – in das Community Management stecken.

Ich verstehe Community Management vor allem auch als eine Prävention, nämlich Prä­vention, dass es gar nicht erst zu destruktiven Beiträgen, zu Hasspostings kommt, also im Sinne dessen, was auch der Justizminister schon gesagt hat. Community Manage­ment war und ist bei vielen Medien etwas, was ein bisschen unsichtbar passiert – un­sichtbar deshalb, weil es sich sozusagen darauf beschränkt, Beiträge zu löschen be­ziehungsweise solche, die den Richtlinien nicht entsprechen, gar nicht erst online zu stellen. Das ist auch ein wesentlicher Teil, aber ich glaube, noch viel wesentlicher ist der sichtbare Teil des Community Managements – und darum bemühen wir uns.

Wenn ich noch kurz darlegen darf, wie das bei uns funktioniert: Wir haben eine Prä­moderation. Prämoderation heißt, wir kümmern uns um die Beiträge, um die Postings der User, die hereinkommen, noch bevor sie online gehen. Das passiert zu einem gro­ßen Teil durch ein Computerprogramm, das entscheidet, welche Beiträge gleich online gehen können; und dann gibt es einen kleinen Teil, etwa 20 Prozent der Postings, die manuell von Community Managern geprüft werden. Das ist aber noch der unsichtbare Teil.

Der Teil, auf den wir uns in letzter Zeit stark fokussieren, ist die Postmoderation. Das heißt, wir schauen uns an, was tatsächlich schon publiziert worden ist, was auf unserer Seite gerade diskutiert wird und wo es möglicherweise wichtig ist, einzuschreiten. Ein­schreiten kann heißen, dass es entweder regulierend passiert, also wiederum etwas zu löschen, was nicht online sein sollte; das kann auch ein Hinweis darauf, dass sich die Teilnehmer bitte an unsere Spielregeln halten sollen, sein. Aktive Moderation heißt au­ßerdem und vor allem, konstruktive Beiträge zu fördern und dazu aufzurufen, konstruk­tiv zu diskutieren.

Das machen wir einerseits, indem wir uns im Forum selbst zu Wort melden. Wir kön­nen auch unsere eigenen Beiträge, also beispielsweise die Aufforderungen, bestimmte Themen zu diskutieren, im Forum oben anheften, sodass das relativ sichtbar ist. Wir gehen dann aber auch noch weiter: Wir greifen manchmal aus solchen Forendiskus­sionen die interessantesten Beiträge, die durchaus auch kontrovers und widersprüch­lich sein können, heraus und machen daraus eine neue Diskussion. Das nennen wir dann meistens „Mitreden“.

Warum machen wir das alles? – Wir wollen einerseits alle Mitleser ansprechen, deswe­gen machen wir das auf der sichtbaren Ebene und nicht nur auf der unsichtbaren Ebe­ne. Zweitens: Es geht uns darum, konstruktiven Beiträgen und nicht den destruktiven Beiträgen Aufmerksamkeit zu schenken. Ich glaube – das wurde hier auch schon ge­sagt –, es ist sehr wichtig, dass wir damit nicht so sehr eine Gegenrede machen, son­dern dass wir wirklich eine Gegenhaltung positionieren.

Ich sehe, dass das rote Licht leuchtet, deswegen werde ich jetzt rasch zum Schluss kommen. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, den Boden für konstruktive Onlinedebat­ten zu bereiten, denn darauf aufbauend entstehen tragfähige Beziehungen, Beziehun­gen zwischen den Usern, in diesem Fall von unserer Website, unserer Community, aber auch Beziehungen zu uns. Diese Beziehungen zu haben, ist eine Voraussetzung für di­gitale Zivilcourage, und daraus entsteht dann ein Mehrwert, der einerseits demokratie­politisch relevant ist, andererseits für uns, das Medium, aber natürlich auch einen Wett­bewerbsvorteil sichert. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.29


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Danke für Ihren Beitrag, Herr Dr. Burger.

13.29.21V. Abschlussreferate „Zivilcourage“

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Wir kommen nun zu den Abschlussre­feraten zum Thema Zivilcourage. Ich darf die Referentinnen und Referenten wiederum ersuchen, die Zeit von 10 Minuten pro Referat einzuhalten, und Folgendes erklären: Nach 8 Minuten beginnt das Licht am Rednerpult zu blinken, das heißt, dass noch 2 Minuten Zeit sind, um das Referat abzuschließen.

Als erstem Redner erteile ich nun Herrn Baldauf von der Amadeu Antonio Stiftung Ber­lin das Wort. – Herr Baldauf, ich darf Sie um Ihren Beitrag bitten.

 


13.30.04

Johannes Baldauf (Amadeu Antonio Stiftung Berlin)|: Sehr geehrte Damen und Her­ren! Vielen Dank für die Einladung. Mir wird heute die Ehre zuteil, ein Abschlussreferat zum Thema Zivilcourage im Internet zu halten. Wenn ich Ihnen eine Botschaft mitge­ben darf, dann ist es diese: Zivilcourage im Netz kann tatsächlich nur stattfinden, wenn es auch Menschen gibt, die für eine demokratische Kultur aktiv eintreten. Das heißt, Sie müssen dringend Möglichkeiten schaffen, diese Menschen nicht nur zu befähigen, sondern sie auch dauerhaft in ihrem Handeln zu unterstützen und eben auch zu schüt­zen. Wir haben heute schon mehrfach gehört, wie es Menschen ergehen kann, wenn sie im Internet zum Opfer dieser Dinge werden, über die wir heute sprechen.

Ich beschäftige mich beruflich sehr viel mit den Schattenseiten des Internets, ich be­treibe bei der Amadeu Antonio Stiftung sogenanntes Monitoring von Hate Speech, wie man heute sagt. Früher hat man dazu gesagt, es geht um Rechtsextremismus, Antise­mitismus, Rassismus, Sexismus, Verschwörungstheorien und so weiter und so fort. Im Prinzip ist es jedoch immer noch das Gleiche, wir haben es jetzt nur unter diesem Be­griff gebündelt. Das macht eben noch einmal deutlich, worum es bei dieser Sache eigent­lich geht.

Ich mache das jetzt schon viele Jahre. Wenn man sich tagein, tagaus mit diesen Phä­nomenen beschäftigt, dann bekommt man natürlich den Eindruck, dass das Netz ei­gentlich zu großen Teilen aus nichts anderem besteht als aus NS-Propaganda, Holo­caustleugnung, jüdischer Weltverschwörungstheorie und der Abwertung von allem, was irgendwie als anders wahrgenommen wird. Das ist tatsächlich leider auch nichts Neu­es, das ist etwas, was schon sehr, sehr lange so ist. Der Unterschied zu heute ist, dass das früher eher in den Nischen des Netzes stattfand; und heute sehen wir das viel stärker – vielleicht schauen wir mehr hin, vielleicht ist es aber auch tatsächlich sichtbarer geworden, vielleicht ist es auch beides zusammen. Fest steht aber: Die Grenzen des Sagbaren, dessen, was wir sozusagen auch öffentlich wahrnehmen können, haben sich verschoben, und deswegen sind wir heute hier.

Als ich noch Student war, habe ich bei studivz.net gearbeitet. Ich weiß nicht, ob das noch der eine oder andere kennt; studivz.net ist heute nicht mehr so relevant, heute ist es halt Facebook. Die Probleme, die wir damals zu bearbeiten hatten, sind letztendlich genau die gleichen Probleme, die wir heute auch bei Facebook sehen. Ich war damals, als ich dort gearbeitet habe, damit beschäftigt, Meldungen zu bearbeiten, bei denen es um Rechtsextremismus und um Verschwörungstheorien ging. Ich musste mich auch sehr viel um den Nahostkonflikt kümmern. Das war sehr hart. Ich hatte mich davor nie damit beschäftigt und dachte mir: Klingt ganz cool, da kann man einmal arbeiten!, und dann habe ich plötzlich all diese furchtbaren Dinge gesehen, denn alles, was wir viel­leicht nur so ab und zu sehen oder was man dann auch im Community Management schon gebündelter mitbekommt, all diese Dinge landen bei den Menschen, die diese Meldungen bearbeiten.

Vielleicht kennen Sie auch die einen oder anderen Berichte von der sogenannten digi­talen Müllabfuhr, die in den letzten Monaten ab und zu durch die Medien gegeistert sind. Das sind die Leute, die in den großen Zentren – da gibt es global einige, eines ist in Dublin, das andere auf den Philippinen – den Großteil dieser Meldungen bearbeiten, und über diese Leute reden wir eigentlich viel zu wenig. Wir reden auch viel zu wenig darüber, wie gut diese Leute ausgebildet sind, wer sich um diese Leute kümmert, wer sie schützt und so weiter und so fort.

Zurück zu studivz.net: Ich musste mir natürlich diese schlimmen Dinge ansehen, aber ich hatte gleichzeitig die Möglichkeit, diese Phänomene einzudämmen. Ich konnte da­mit umgehen, ich konnte bei Regelverstößen diese Dinge entsprechend sanktionieren; deswegen war ich auch lange der Meinung, dass es eben an den Plattformen – wie da­mals studivz.net oder eben heute Facebook, Twitter, Google et cetera – liegt, Phäno­mene wie Hate Speech einzudämmen.

Ich glaube auch heute noch, dass die Plattformen einen gesellschaftlichen Auftrag ha­ben, für bestimmte Werte eintreten müssen und diese auch durchzusetzen haben, aber – das habe ich durch meine Arbeit gelernt, die ich bei der Amadeu Antonio Stiftung ma­che – es ist eben vor allen Dingen unsere Aufgabe als Gesellschaft, diese Werte nicht nur zu benennen, sondern sie auch zu verteidigen, denn es geht nicht nur um soziale Netzwerke oder das Internet, sondern es geht um alle Räume, eben auch jene außer­halb des Netzes. Dafür brauchen wir natürlich Regeln und auch Gesetze, aber wir soll­ten uns eben auch keine Illusionen machen: Kein Gesetz und keine Klage gegen Face­book, Google und Co wird unser Problem lösen. Wir können damit Rahmenbedingun­gen abstecken – und das ist auch nötig und wichtig –, doch am Ende müssen wir als Bür­gerinnen und Bürger sowie als Nutzerinnen und Nutzer selbst gestalten und aushandeln, welche Werte zählen.

Es geht auch nicht nur um diese Werte selbst, sondern es geht eben auch um die Art, wie wir miteinander reden; wir haben es vorhin schon gehört. Es geht also um die Kul­tur der Debatte, die Kultur des Streitens. Das funktioniert aber nur, wenn wir alle aktiv werden.

Es gibt im Internet natürlich schon lange eine Zivilgesellschaft, aber diese war eben im­mer hauptsächlich damit beschäftigt, sich gegen regulierende Eingriffe des Staates und auch steigende Überwachung zu wehren. Das sind natürlich sehr wichtige Dinge, und die Zivilgesellschaft hat mit ihrem Engagement auch recht; wir dürfen das Netz na­türlich nicht zugrunde regulieren, sondern wir müssen es alle zusammen mitgestalten. Wer tut das im Netz aber eigentlich für demokratische Werte, für Menschenrechte? Ha­ben wir da eine starke Zivilgesellschaft? – Ich muss leider feststellen: nicht wirklich.

Es gibt da tatsächlich nur sehr wenige, und was diesen Leuten dann passiert, was die dann erleben, das durften wir heute Vormittag teilweise schon hören. Das heißt, wenn diese Leute sich entsprechend im Netz engagieren, dann passiert das meistens unter einem erheblichen persönlichen Risiko. Wir kennen viele Fälle, bei denen dann eben persönliche Daten der Leute veröffentlicht wurden. Wenn sie eine Familie hatten, wur­den die Orte, wo die Kinder in den Kindergarten gehen, wo sie in die Schule gehen, im Netz gestreut. Es wurden Bilder von dem Ort, an dem die Leute wohnen, gepostet. Sie wurden eingeschüchtert, sie hatten Angst, sie ziehen sich dann entsprechend zurück. Manche bleiben trotzdem noch am Ball, aber es steht fest, dass diese Leute ab diesem Punkt dann meistens allein sind. Wir danken ihnen vielleicht einmal im Jahr bei einer Veranstaltung für ihr Engagement, aber: Unterstützen wir sie wirklich? – Ich glaube nicht.

Die Amadeu Antonio Stiftung hat das im letzten Sommer auch selbst erfahren. Wir sind ja nun seit einigen Jahren im Bereich Hate Speech im Internet aktiv, wir sind zum Bei­spiel auch Mitglied jener Taskforce, die letztes Jahr vom deutschen Justizminister Hei­ko Maas ins Leben gerufen wurde, einer Taskforce gegen Hate Speech. Wir haben auch dieses Jahr im Frühling eine sogenannte Handlungsempfehlung veröffentlicht. Ich habe heute schon ein paar Mal gehört, man bräuchte so einen Leitfaden, in dem steht, was man eigentlich tun kann, wenn man Hassreden sieht. Wir haben versucht, das zusam­menzufassen: Wenn ich mich direkt damit auseinandersetzen will – wir sind beim Schlag­wort Gegenrede –, was kann ich dann tun, worauf muss ich achten, wie schütze ich mich selbst – zumindest die grundlegenden Sachen –, oder was kann ich tun, wenn ich das an­zeigen will?

Allein diese Handlungsempfehlung und diese Mitgliedschaft in der Taskforce haben da­zu geführt, dass wir tatsächlich selbst Opfer einer kampagnenartigen Welle von Hass wurden, unter der wir immer noch zu leiden haben. Das heißt, wir haben Briefe bekom­men, in denen braunes Pulver und ein Zettel, auf dem draufstand: Milzbrand, du bist tot!, waren, der Eingangsbereich der Stiftung wurde mit Fäkalien beschmiert – solche Din­ge. Das macht es schwierig, aber als Institution ist es natürlich immer noch leichter, da­mit umzugehen, als als Einzelperson.

Wir nennen es Courage, wenn Menschen für die Gleichheit aller eintreten, und tatsäch­lich – nachdem, was ich eben ausgeführt habe, sollte es klar sein – erfordert es sehr viel Mut, einer dieser wenigen Felsen in der Brandung gegen all diese Menschenver­achtung im Netz zu sein. Eigentlich müsste das jedoch nicht so sein, weil wir uns ei­gentlich nur von einer lauten, wütenden Minderheit im Netz dominieren lassen. Würden wir aber alle zusammen im Netz deutlich aktiver sein, streiten und diese Menschen­würde auch tatsächlich leben, dann wären wir eben nicht mehr wenige und dann müss­ten wir es am Ende hoffentlich nicht mehr Courage nennen, sondern könnten es ein­fach als Selbstverständlichkeit ansehen, dass wir für die Gleichheit aller Menschen auch im Netz einstehen.

Es ist natürlich sehr schwierig, unter dem Eindruck all dieser Dinge, die wir heute hö­ren, die wir regelmäßig im Netz sehen oder aus der Presse erfahren, das Netz für ei­nen großartigen Raum zu halten, aber am Ende ist es eben tatsächlich so – und das macht es auch wert, dafür zu streiten! Das Internet ist großartig! Es befähigt uns zu ganz vielen Dingen, es macht unser Leben viel leichter. Es lässt uns klüger werden, es lässt uns mit so vielen anderen Menschen in Verbindung bleiben, wir können wunder­bar lachen – aber wir nehmen uns diesen Raum nicht wirklich, weil wir sagen: Ja gut, da gibt es Hassrede, und dann traue ich mich nicht rein!, oder: Hm, das will ich nicht; ich will nicht, dass mein Kind da reingeht, weil es gefährlich ist! – Aber das stimmt alles gar nicht! Wir müssen es nur einfach alle in großer Masse tun.

Daher – ich komme jetzt auch zum Schluss –: Verfolgen und strafen Sie da konse­quent, wo sogenannte Hassverbrechen stattfinden! Befähigen Sie auch die Apparate, genau dies im Netz zu tun! Stärken Sie die demokratische Zivilgesellschaft im Netz mit Programmen und mit Strukturen! Schauen Sie dabei aber eben nicht nur auf die Ju­gend – unser größtes Problem ist nicht die Jugend, unser größtes Problem im Netz sind aktuell mittelalte weiße Männer!

Und schließlich: Denken Sie das Netz bei allen Bildungsprogrammen mit! Sich im Netz zu bewegen, erfordert eben nicht nur Medien-, sondern auch Informationskompetenz. Wir sehen ja gerade bei dem großen Thema der Fake News, wie relevant das ist. Schau­en Sie auch dabei nicht nur auf die Jugend, denn eine demokratische Gesellschaft funk­tioniert nur, wenn auch alle mitmachen können! – Danke für die Aufmerksamkeit. (Bei­fall.)

13.41


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich erteile nunmehr Frau Kaufmann das Wort. – Bitte.

 


13.41.31

Barbara Kaufmann (freie Journalistin und Filmemacherin)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Danke für die Einladung zur heutigen Enquete. Das Thema ist wichtig und be­schreibt auch ganz gut eine Eigenschaft, die eigentlich jede Journalistin und jeder Jour­nalist haben sollte: Wir alle arbeiten mittlerweile digital, und wir alle sollten das coura­giert tun.

Manchmal ist es aber gar nicht so leicht, Courage zu zeigen, wenn Hass und Wut so geballt auf einen zukommen, in so einer Masse, dass man sich als Einzelne nicht in der Lage fühlt, etwas dagegen zu tun. Das betrifft viele; das betrifft Journalisten und Jour­nalistinnen, das betrifft aber auch Schüler und Schülerinnen, die im Netz von ihren Mit­schülern gemobbt werden.

Wir reden in letzter Zeit endlich mehr über die Betroffenen von Hasspostings, über die Rahmenbedingungen des Hasses im Netz, über Forenmoderation, soziale Netzwerke; aber wir reden noch immer zu wenig über jene, die den Hass verbreiten: über die Hass­poster und Hassposterinnen selbst. Und noch weniger reden wir mit ihnen.

Mein Kollege Florian Klenk hat das letzte Woche in einem Artikel für den „Falter“ getan. Er hat einen Mann besucht, der im Netz vorher angegeben hatte, er würde ihn gerne anzünden. Beim persönlichen Treffen hat er dann gesagt, dass er das natürlich nicht so gemeint hat. Die deutsche Politikerin Renate Künast hat vor einigen Wochen für den „Spiegel“ auch ein paar Hassposter besucht. Die Mehrheit dieser Menschen hat eben­falls so gewirkt, als wäre ihnen gar nicht bewusst, was sie online so von sich geben.

Die Kollegen vom Deutschlandradio haben etwas Spannendes gemacht: Sie haben eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Hass im Netz gemacht, bei der jeder aus dem Publikum sich zu Wort melden konnte; also anonym für die Hörer, aber gut sicht­bar für die Leute vor Ort. Da hat sich ein Mann hingesetzt und ganz stolz von sich er­zählt, er sei so ein Troll, er beschimpfe jeden Tag Menschen im Netz, und das sei für ihn eine Art Sport, ein Wettkampf mit anderen Trollen, bei denen man sich gegenseitig misst: Wer beschimpft stärker? Bei wem packt das Opfer als Erstes ein?

Die Moderatorin hat ihn dann gefragt, wie er seine Opfer finde. Er hat geantwortet: Sie finden mich! Es hänge ganz von seiner Tagesverfassung ab, wo: auf Twitter, auf Face­book, bei einem Artikel, zu dem er ein paar Kommentare schreibe – irgendjemand wür­de sich schon anbieten.

Die anderen Diskussionsteilnehmer waren doch ein bisschen fassungslos über diesen Mann und vor allem die Ruhe, mit der er das erzählt hat, und haben ihn gefragt, ob ihm bewusst sei, was er damit im Leben der Betroffenen anrichte, welches Leid er damit verursache. Da ist ziemlich schnell klar geworden, dass er darüber noch nie nachge­dacht hat, dass ihm das letztlich auch egal ist. Er pickt sich seine Opfer aus dem täg­lichen Angebot heraus und beschimpft sie, aber nicht aus ideologischen Gründen oder weil er eine Mission verfolgt oder einer politischen Partei angehört, sondern nur aus ei­nem einzigen Grund: weil es möglich ist.

Etwas ganz Ähnliches ist mir selbst vor ein paar Wochen passiert. Da gab es auf Face­book eine junge Frau, die mich auf dem Profil eines Kollegen total beschimpft hat. Ich habe sie dann gefragt, ob wir nicht chatten können, nur wir zwei, weil ich einfach wis­sen wollte, mit wem ich es da zu tun habe. Sie hat sich kaum überreden lassen und hat es dann doch getan, und sie hat mir gleich am Anfang gesagt, eigentlich wolle sie mit jemandem wie mir nichts zu tun haben, ich sei einer jener hinterfotzigen Schmierfinken, die von der Regierung bezahlt werden, um politische Gegner in den Dreck zu ziehen.

Ich habe geantwortet, dass bei dem, was ich als freie Journalistin so verdiene, die Fi­nanzen der Regierung momentan nicht sehr gut ausschauen können. Dann hat sie zu­rückgeschrieben: Ja, wenn die Regierung euch alle bezahlen muss, bleibt halt nicht viel für den Einzelnen – Zwinker-Smiley. Dann ist irgendwie das Eis zwischen uns auch gebro­chen gewesen, aber ein gutes Gespräch ist es leider trotzdem nicht geworden; dafür war ihr Misstrauen dann doch zu groß, und vor allem ihre Aggressionen meinem Berufsstand gegenüber.

Es war aber ein interessantes Gespräch, vor allem in einem Aspekt: Auch sie hat, als ich sie gefragt habe, warum sie mich so beschimpft, ganz komisch reagiert: Sie sei eben wütend gewesen, ich solle nicht so empfindlich sein, das sei doch alles nicht so ge­meint. Und sie hat nach unserer Unterhaltung, obwohl es keine gute war, das Posting wieder gelöscht.

Was also – habe ich mir gedacht –, wenn die überwiegende Mehrheit jener, die Hass im Netz absondern, erstens kein Bewusstsein dafür hat, wie öffentlich sie das tut, dass ihnen gar nicht klar ist, dass sie in einem öffentlichen Raum sind, in den jeder kommen kann, den jeder betreten kann?

Zweitens, und das ist noch viel schlimmer: Was, wenn sie das Gefühl haben, etwas völlig Normales zu tun? – Weil es eben in ihrem Umfeld absolut akzeptiert ist, andere online zu beschimpfen; weil sie jeden Tag zum Beispiel auf Social Media, zum Beispiel auf Facebook sehen, dass die schrillen Stimmen voller Hass, die provokanten, die aggres­siven, um einiges mehr an Aufmerksamkeit bekommen als die ruhigen, die zweifelnden, die konstruktiven; weil sie aber auch sehen, und das seit vielen Jahren, dass Hass ge­gen den anderen zum politischen Alltag gehört, auch in Österreich, dass es völlig nor­mal geworden ist, den politischen Gegner untergriffig und persönlich zu diffamieren, falsch wiederzugeben, ihn schlechtzumachen, wo man nur kann, dass Pöbeln, dass Wü­ten und dass Toben in der Politik salonfähig geworden sind, und das nicht nur hier im Hohen Haus, sondern auch auf den Social-Media-Profilen einiger Spitzenpolitiker.

Wir Journalisten müssen dabei achtgeben, nicht die Rolle der Brandverstärker einzu­nehmen. Ein Politiker, der verbal Grenzen überschreitet, ist immer eine Geschichte. Je­mand, der pöbelt, der hasst, der wütet, bekommt oftmals in der Tagesberichterstattung mehr Platz eingeräumt als Sachpolitiker, denn Hass zieht immer: Hass bringt Quote, Hass bringt online Klicks. Politische Hassprediger werden in Talkshows eingeladen, ob­wohl ihre Bewegungen politische Randerscheinungen sind, ihre Thesen werden in Sonn­tagsgeschichten ausgewalzt, sie werden fast auf perverse Art hofiert. Wir Journalisten werden so zu PR-Agenten des Hasses. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn es für viele Menschen absolut in Ordnung ist, online Andersdenkende zu hassen.

Es ist schon legitim, dass Politiker um Wähler werben, und jeder versteht das; aber die Art und Weise, wie sie das tun, sagt etwas darüber aus, welche Verantwortung sie für die Gesellschaft empfinden und welche Art des Zusammenlebens ihnen vorschwebt. Es ist ebenso legitim für Medienvertreter, wirtschaftlich überleben zu wollen; aber die Art und Weise, wie sie das tun, was sie als relevante Meldung präsentieren, sagt etwas darüber aus, wie sie ihr Berufsbild definieren, wie sie zu Anstand, zu Ethik, zu Verant­wortung stehen und damit letztlich dazu beitragen, eine Kultur des Hasses zu legitimie­ren.

Ich bin mir nicht sicher, ob strengere Strafen oder stärkere Vormoderation etwas gegen diesen Hass ausrichten können oder ob wir es nicht längst mit einem viel weitreichen­deren gesellschaftlichen Problem zu tun haben, das wir nur gemeinsam bekämpfen kön­nen: indem wir uns dieser Hasskultur bewusst werden und sie durch eine Gegenkultur bekämpfen; indem wir gerade im Social-Media-Zeitalter sagen: Auch wenn ich die Mei­nung des anderen nicht teile, halte ich sie aus!; indem wir klarmachen: Hass ist kein Kavaliersdelikt, er ist schwach, er ist primitiv, und er vergiftet unser Zusammenleben!; indem wir uns einmischen; indem wir uns unserer Stimme und unserer Stärke bewusst werden, auch als Einzelne; indem wir eingreifen, wenn andere angegriffen werden; in­dem wir aufeinander achtgeben und gegenseitig besser auf uns aufpassen. Es wird sonst keiner tun. – Danke schön. (Beifall.)

13.49


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Kauf­mann.

Ich darf als Nächsten Herrn Professor Dr. Kai Jonas, Sozialpsychologe und Zivilcou­rage-Forscher an der Universität Maastricht, das Wort erteilen. – Bitte, Herr Dr. Jonas.

 


13.49.51

Dr. Kai Jonas (Universität Maastricht)|: Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete und Bundesräte! Herzlichen Dank für diese Einladung. Ich habe vor einigen Jahren in einer Kirche einen Vortrag mit folgendem Titel gehalten: Zivilcourage fällt nicht vom Himmel. – Dieses Motto gilt immer noch, allerdings müsste ich heute eher sagen: Digitale Courage ist nicht vorinstalliert.

Zivilcourage beschreibt ein Hilfeverhalten zugunsten bedrohter Dritter auf der Basis von universellen Menschenrechten. In dem Hilfeverhalten ist ein Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer impliziert, welches durch die eingreifende Person oder die ein­greifenden Personen ausgeglichen werden kann. Bei Gewaltsituationen oder bei ande­ren Übergriffen ist es relativ deutlich, was zu tun ist; wenn es aber um verbale Diskri­minierung geht, um Hassparolen, dann fragen uns die Teilnehmer auch in Zivilcourage­trainings häufig, was dann die beste Form des Eingreifens ist.

Die Lösungen – sie gibt es, zum Beispiel paradoxe Interventionen – sind nicht immer so einfach auf Hassbotschaften im Netz zu übertragen. Die Aktionsmöglichkeiten sind an­dere, die Bedrohungsmomente oft diffuser. Auch müssen die Gesetze und Normen deut­lich sein, in deren Rahmen digitale Courage stattfinden kann.

Wenn Zivilcourage schon schwierig ist, dann ist digitale Courage ungleich schwieriger. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zum einen ist das Phänomen neuer und kom­plexer, wir haben weniger Erfahrung damit. Die Tatindikatoren sind undeutlicher. Es gibt Hassbotschaften, aber auch Hassreaktionen. Es gibt einzelne Täter, aber auch Grup­pen, und es gibt Gruppen, die als solche nicht zu erkennen sind. Aber auch die Deter­minanten von digitaler Courage sind vielschichtiger. Wir operieren häufig unter fal­schen Normvorstellungen und denken, dass das Internet ein nahezu rechtsfreier Raum ist oder Gesetze nicht angewandt werden können. Das Medium ist trotz aller techni­schen Entwicklung immer noch ein kontextarmes, daher gehen die Hintergründe von Bot­schaften häufig verloren. Wir müssen den Unterschied zwischen Anonymität, beispiels­weise der Täter, und Identifizierbarkeit – der Opfer oder der Eingreifer – noch lernen.

Wo stehen wir also mit der digitalen Courage? – Ganz am Anfang! Wir können die Lö­sung des Problems der Hassbotschaften und der Shitstorms nicht nur den Firmen oder den Providern überlassen. Wir können auch nicht versuchen, das Problem allein juris­tisch zu regeln. Diese Regelungen müssen vorhanden sein und – das ist zentral – auch angewandt werden; dazu müssen die Strafverfolgungsbehörden in die Lage gebracht werden und die Firmen kooperieren, darüber haben wir heute schon länger debattiert. Die Bürger müssen allerdings auch die Erfahrung machen, dass die Strafverfolgung mög­lich ist und die gewünschten Ergebnisse bringt.

Ganz wichtig ist aber: Ganz viele Fälle von Hassbotschaften, Hate Speech und Shit­storms erfordern nicht den Gang zum Provider, zur Polizei oder zum Staatsanwalt. Di­gitale Courage ist vielschichtiger, sie findet on- und offline statt und erfordert auch und gerade das Eingreifen von Individuen, ohne dass wir sofort die Institutionen bemühen.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie posten ein Urlaubsbild, das Sie im Kreise der lokalen Bevölkerung aufgenommen haben, und einige Ihrer Freunde setzen lustige, uneindeu­tig fremdenfeindliche Postings darunter, die dann viele Likes bekommen. Was tun Sie dann? Gehen Sie zur Polizei? Zeigen Sie Ihre Freunde an? – Vermutlich nicht. Es er­fordert den zivilcouragierten Mut, einen Absender einer Hassbotschaft, der oder die identifizierbar, vielleicht sogar noch ein Freund oder ein entfernter Bekannter ist, offline darauf anzusprechen, dass man mit diesem Posting nicht einverstanden ist. Auch das ist digitale Courage.

Digitale Courage kann daher auch Medienwechsel beinhalten. Das bedeutet, dass eine Reaktion auf eine Hassbotschaft nicht im selben Medien stattfindet wie die Originalbot­schaft. Der Medienwechsel kann aber auch bedeuten, dass etwas, was offline gesagt oder getan wurde, doch aufgezeichnet wurde und online verbreitet wird. Manipulierte Bil­der gibt es bereits heute. Wir müssen jetzt schon an die nächsten technischen Entwick­lungen denken, beispielsweise gefälschte Audiodateien. Sie diskreditieren vermeintli­che Absender und erfordern ganz eigene Formen der digitalen Courage. Sie sind also mittlerweile in der Lage, wenn Sie meine Stimme aufgenommen hätten, eine komplett andere Rede von mir ins Netz zu stellen, die so klingen würde, als hätte ich sie gehal­ten.

Digitale Courage muss also innerhalb und außerhalb der Onlinemedien stattfinden. Was bedeutet dies? – Denken Sie bitte einmal an Ihre Kinder, wenn Sie welche haben, ge­rade im Teenageralter! Für sie sind soziale Medien ein zentrales Element ihres Sozial­verhaltens, und da geht so einiges schief. Um damit adäquat umzugehen, müssen Kin­der und Jugendliche digitale Courage lernen. Dafür ist es notwendig, dass Sie sich trau­en, in Momenten, in denen Eingreifen online oder offline notwendig ist, dies auch off­line zu vermelden, also zu ihren Eltern, zu Freunden oder zu Lehrkräften zu gehen und zu sagen: Ich habe hier ein Problem!

Aber trauen sie sich, das zuzugeben, dass sie Opfer eines Shitstorms geworden sind? – Nehmen wir einmal an, sie trauen sich das: Wüssten Sie als Eltern, was ein Shitstorm unter Jugendlichen wirklich bedeutet? Was wäre Ihr Ratschlag? – Gehen wir einmal da­von aus, Sie wüssten das: dann, allerdings nur dann, könnten Kinder Ratschläge und Unterstützung bekommen, wie sie auf die Situation reagieren könnten. Leider ist das noch viel zu selten der Fall.

Wir müssen auch darauf achten, dass das nicht nur im Moment passiert, sondern dass diese Zielgruppe in systematischen Medientrainings hierauf vorbereitet wird. Diese Trai­nings gibt es noch nicht in der nötigen Form. Ich würde mich sehr freuen, wenn es ein Ergebnis dieser Enquete ist, dass wir beginnen, effektive Digitale-Courage-Trainings zu entwickeln und sie in Lehrpläne einzubauen beziehungsweise als Handreichung für Eltern und Erziehungsberechtigte zur Verfügung zu stellen; dann können wir mehr digi­tale Courage erwarten, anders wohl nicht.

Zum Zweiten: Die Onlinewelt kann sehr einsam sein, das haben wir heute Morgen sehr deutlich gehört. Wer schon einmal einem Shitstorm ausgesetzt war – ich hatte diesen Sommer zwei – und sich fragte, wo denn die Unterstützer bleiben – denn diese gehen gern in der schweigenden Masse unter und zeigen gerade keine digitale Courage –, die­se Menschen haben offline nicht darüber gesprochen, was mit ihnen online passiert. Hier müssen wir Tabus durchbrechen, bei Kindern und Jugendlichen, aber auch bei uns Erwachsenen selbst.

Wie kann digitale Courage aussehen? – Digitale Courage muss zunächst plattformun­abhängig sein. Es geht um abstrakte Verhaltensprinzipien. Wenn wir heute über Face­book und Instagram reden, dann haben wir Snapchat bereits übersehen; diese Liste lässt sich endlos fortsetzen. Die Menschen wollen ganz konkret wissen, was sie tun können oder müssen: Der noch weiter zu gestaltende Weg zur Polizei oder zum Provider ist vielleicht einer; der Rückzug aus den Medien vielleicht ein anderer, aber nicht gerade digitale Courage. Freunde löschen, Kontaktabbruch – das kann funktionieren, löst aber das Problem nicht und schränkt letztendlich nur unser mediales Wahrnehmungsfeld ein. Counter Speech, Postings melden – das kann man tun, aber dann bitte wohlüberlegt und nicht allein.

Die Psychologie der digitalen Courage ist komplex. Wie auch im Falle der Zivilcourage ist die bessere digitale Courage eine wohlüberlegte: Sie holt sich Verbündete, agiert kon­zertiert und erfordert Erfahrung; und sie weiß auch, wann es besser ist, den Stecker zu ziehen.

Von wem können wir lernen? – Die Psychologie hat in der Zivilcourage-Forschung eine Reihe von Trainings- und Interventionsprinzipien entwickelt, die auch für die digitale Cou­rage relevant sind. Das ist ein Ausgangspunkt, aber wir haben mehr nötig.

Einige Minderheitsgruppen in unserer Gesellschaft sind sehr medienaffin, dort sehr ak­tiv und sichtbar. Ein Beispiel hierfür sind Journalisten oder Aktivisten. Durch ihre Publi­kationstätigkeit, egal, ob in Printmedien, im Fernsehen, auf Blogs oder Vlogs, sind sie Zielscheibe für oder Indikator von Hassbotschaften. Ein anderes Beispiel sind Schwule und Lesben oder Transgender. Sie haben ihre eigenen Onlinecommunitys, sie sind Spie­gel von gesellschaftlichen Entwicklungen. Auch sie können schneller Opfer von Hass­botschaften werden; gleichzeitig sind sie sensibel für die Hassbotschaften anderer und dafür, wie man als Community hierauf reagiert.

Im Falle beider Gruppen müssen wir uns darüber bewusst sein, sensibilisieren und gleich­zeitig auch ihre Medienkompetenz nützen, um sie als innovative Praktiker der digitalen Courage von heute einzusetzen. Best Practice zusammen mit wissenschaftlicher Kom­petenz erzeugt gute digitale Courage. Damit diese blühen kann, müssen wir auch dafür sorgen, dass es für diese Gruppen und alle anderen qualifizierte Ansprechpunkte und Beratungsstellen gibt, an die man sich wenden kann, wenn man wissen will, was man gegen Hassbotschaften und für digitale Courage tun kann. Diese Informationsquellen ha­ben wir noch nicht, oder sie sind zu wenig bekannt.

Die digitale Courage wird nie vorinstalliert sein, und auch die einfache App dafür wird es nie geben, aber wir können die Bürger aufklären, informieren und digitale Courage trainieren. Diese Debatte ist ein erster Schritt. Jetzt müssen greifbare Programme fol­gen, die die bestehende Kompetenz bündeln und breit zur Verfügung stellen. (Vizeprä­sidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Zum Schluss möchte ich Ihnen gratulieren: Österreich ist mit dieser hochrangig ange­siedelten Debatte in Europa ein Innovator. Mir ist kein anderes Land bekannt, das sich dieses Problems so dezidiert annimmt. Ich darf Sie daher ermutigen, den eingeschla­genen Weg weiter zu beschreiten. Lassen Sie uns nicht nur über digitale Courage dis­kutieren, sondern lassen Sie uns digital mutig sein und anderen dabei helfen, diesem Beispiel folgen zu können! – Herzlichen Dank. (Beifall.)

13.59


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Vielen Dank, Herr Dr. Jonas, für Ihren Bei­trag.

13.59.42VI. Panel

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gelangen nunmehr zu den State­ments der Fraktionsvorsitzenden.

Ich darf die Fraktionsvorsitzenden ersuchen, die Zeit von 4 Minuten pro Referat nicht zu überschreiten.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Mayer. – Bitte.

 


14.00.13

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kol­leginnen und liebe Kollegen! Geschätzte Damen und Herren! Ich darf mich eingangs na­mens meiner Fraktion beim Bundesratspräsidenten Lindner für die Initiative bedanken, die sozusagen auch an die Enquete des Bundesrates „Digitaler Wandel und Politik“ an­schließt, um jetzt sozusagen die andere Ebene zu beleuchten: „#DigitaleCourage“. – Herr Präsident, namens meiner Fraktion: vielen Dank!

Die Anzahl rassistischer Hassbotschaften und Hasspostings im Netz hat sich 2015 fast verdoppelt. Wie wir heute von Minister Brandstetter gehört haben, gibt es im Jahr 2016 wieder eine Zunahme von etwa 10 Prozent. Das heißt also, diese Hassbotschaften oder -postings nehmen nach wie vor stark zu, das ist natürlich eine riesige Problematik. Obwohl es für viele Menschen an und für sich ein Anliegen ist, gegen Hetze und gegen Hass im Internet aktiv zu werden, gibt es – wie wir heute schon gehört haben – dage­gen leider kein Erfolgsrezept.

Mich hat auch der Beitrag von Frau Elke Rock sehr beeindruckt. Wie tief wurde diese Frau getroffen, beleidigt, erniedrigt, gedemütigt?! – Selbst heute, nach zweieinhalb Jah­ren, hat sie Mühe und Probleme, mit dieser Geschichte umzugehen. Wir haben das heu­te Früh alle miterleben können. Da muss man unterm Strich schon fragen: Wie stark muss eine Frau sein oder welch starke Persönlichkeit hat diese Frau, um daran nicht zu zerbrechen?

Wie wichtig Zivilcourage ist, haben wir auch an diesem Wochenende wieder zur Kennt­nis nehmen müssen. Ein junges Mädchen wurde verprügelt, schwer verletzt, und da­von kreist ein Video in den sozialen Medien herum. Genau in solchen Fällen ist digitale Courage gefordert, genau da sind wir aufgerufen, zu handeln und nicht einfach wegzu­schauen. Wenn sich Facebook weigert, das – nachdem das 3,5 Millionen User gese­hen haben  vom Netz zu nehmen, und erst, nachdem es 5 Millionen User gesehen ha­ben, auf starken Druck der Staatsanwaltschaft hin reagiert, dann muss man sich schon fragen: Worum geht es eigentlich? – Facebook geht es darum: Only bad news are good news!, und man macht damit natürlich auch Stimmung, auf Facebook ist quasi – unter Anführungszeichen – „immer etwas los“.

Es ist natürlich auch nur ein Scheinerfolg, den man erzielt hat, denn das Video wurde sicher sehr oft geteilt und abgespeichert. Den Facebook-Leuten ist das natürlich voll­kommen egal. Dieses Video wird es im Netz auf Dauer geben, es wird niemals völlig entfernt werden können, weil man einfach zu wenig rasch reagiert hat.

Wichtiger als Bestrafung ist natürlich auch die Sensibilisierung von Jung und Alt. 2016 wurde also – das haben wir heute auch schon gehört – durch Bestreben der Familien- und Jugendministerin Sophie Karmasin ein Nationales Komitee zur Umsetzung der Eu­roparat-Initiative No Hate Speech gegründet. Der Europarat hat damit eine ganz starke Initiative gesetzt. Ich war selbst einmal Mitglied des Europarates, Kollege Schennach ist ja nach wie vor dort und vertritt wie auch Kollege Köck dort den Bundesrat. Also ich den­ke, das ist eine ganz wichtige Initiative, die man unterstützen soll.

Wir sollen natürlich auch aufzeigen, welche Folgen Cybermobbing hat – Stichwort digi­tale Courage. Dass man auch im Internet nicht einfach wegschauen darf, sondern auf­merksam sein muss, haben wir heute auch schon gehört. Die Fälle, in denen sich Men­schen aufgrund von Mobbing im Internet etwas angetan haben oder antun wollen, müs­sen für uns wirklich eine Lehre sein.

Vor wenigen Tagen fand ja das von Präsident Lindner unterstützte Lehrlingsparlament statt. Die sogenannten Heavy User, also unsere junge Generation, zeigten ganz klar auf, welche Möglichkeiten es gibt, was man alles in Angriff nehmen soll. Da geht es na­türlich auch um entsprechende gesetzliche Möglichkeiten. Frau Dr. Maria Windhager hat meiner Meinung nach ganz klar auf den Punkt gebracht, welche Möglichkeiten es gibt; auch Minister Brandstetter hat das heute Vormittag gemacht. Es gibt also Möglichkei­ten, aber man muss sie natürlich auch entsprechend nutzen.

Abschließend sind aus Sicht meiner Fraktion noch zwei Dinge klarzumachen. Erstens: Hinter jedem Account steckt ein Mensch, auch wenn man mit ihm nicht in direktem Kontakt steht. Das hat die Kollegin zuvor auch schon ganz klar dargestellt. Zweitens: Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Bei Hasspostings, Gewalt im Netz, Sexismus, Kinderpornografie und so weiter muss es zu einer strafrechtlichen Verfolgung kommen. Dabei gilt für uns das Nulltoleranzprinzip. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

14.05


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Als Nächster zu Wort gelangt nun der Fraktionsvorsitzende der SPÖ, Herr Bundesrat Todt. – Bitte.

 


14.06.01

Bundesrat Reinhard Todt (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich als Vorsitzender der sozialdemokratischen Bun­desräte zunächst bei unserem Präsidenten Mario Lindner für sein Engagement rund um diese bedeutende Veranstaltung herzlich bedanken.

Dies gilt natürlich auch für alle, die an der Erstellung des „Grünbuchs Digitale Courage“ teilgenommen haben, sowie für jene Expertinnen und Experten, die heute bei dieser En­quete des Bundesrates aufgetreten sind. – Herzlichen Dank an alle. (Beifall.)

Wie bedeutsam dieses Thema ist, zeigt die politische Debatte der letzten Monate, die sich nunmehr darin zuspitzt, dass weltweit darüber diskutiert wird, wie entscheidend die sozialen Netzwerke und die darin getätigten Postings für die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten waren. Eines ist klar: Die sozialen Netzwerke werden die Politik beeinflussen. Klar ist aber auch, dass jede und jeder in diesen sozia­len Netzwerken auch Opfer von Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen bis hin zum Mobbing werden kann. Frau Elke Rock hat uns das heute eindrucksvoll geschildert. Ja, meine Damen und Herren, die Politik und wir als Politiker müssen Fehlentwicklungen auch in den sozialen Netzwerken analysieren und geeignete Maßnahmen zu deren Ver­hinderung setzen.

Wie diese Veranstaltung heute zeigt, kann es keinen monokausalen Lösungsansatz ge­ben. Wir sind in unserem eigenen Aufgabengebiet gefordert, legistische Schärfungen vorzunehmen, um die Entstehung von Hassszenarien im Netz strafrechtlich ahnden zu können, gleichgültig, ob sich dieser Hass gegen eine Person oder gegen ganze Grup­pen richtet. Daneben gilt es, mit den Anbietern von sozialen Netzwerken in Kontakt zu treten und schon frühzeitig im Bereich von Veröffentlichungen von Meinungen im Netz anzusetzen. Rasche Reaktionen bis hin zu Löschungen sind notwendig – obwohl das, wie wir gehört haben, sehr schwierig ist –, um die Verbreitung von Hass zu verhindern.

Darüber hinaus müssen wir aber auch gerade unserer Jugend zeigen, wie sie sich im Netz bei Hassbotschaften verhalten soll, inwieweit es sinnvoll ist, Hassbotschaften zu wi­dersprechen, und wie man dies am geeignetsten tun kann.

Mit der heutigen Veranstaltung ist jedoch der Diskussionsprozess in keiner Weise ab­geschlossen, nunmehr müssen wir aufbauend auf all den Informationen und Expertisen Aktivitäten setzen. Ich bin froh, dass wir im Bundesrat einen Zukunftsausschuss einge­setzt haben, der sich nun vertiefend mit dem Grünbuch und dem Protokoll dieser En­quete befassen soll, wobei ich mir wünsche, dass dieser Prozess im Zukunftsausschuss möglichst transparent aufgesetzt wird, um auch die weitere Partizipation zum Thema digitale Courage zu fördern. – Danke für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.09


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Vielen Dank für den Beitrag.

Als Nächster gelangt Herr Bundesrat Jenewein in Vertretung von Frau Mühlwerth, Frak­tionsvorsitzende der FPÖ, zu Wort. – Bitte.

 


14.10.23

Bundesrat Hans-Jörg Jenewein, MA (FPÖ, Wien)|: Frau Präsidentin! Meine sehr ge­ehrten Damen und Herren! Wenn heute unter dem Titel „#DigitaleCourage“ über Aus­wüchse und Verbalexzesse debattiert wird, dann kann und darf man in diesem Zusam­menhang die Situationsanalyse nicht ohne Hinweis auf die vielfältigen Ursachen be­trachten.

Der Anstieg von sogenannten Hasspostings im Netz ist auch Ausdruck davon, dass Teile der Bevölkerung, Teile unserer Gesellschaft durch die aktuellen Entwicklungen über­fordert sind und sich von den politischen Eliten an den Rand gedrängt und ungehört füh­len. Immer mehr Menschen sehen die Möglichkeit, durch die Teilnahme an digitalen Fo­ren – vorrangig in den heute vielfach besprochenen sozialen Medien – doch an Debat­ten teilzunehmen, und der persönliche Frust, die Wut, die Enttäuschung finden dort viel­fach ein Ventil zur Entladung.

Die Form, die dabei gewählt wird, entspricht oftmals nicht der allgemein üblichen Eti­kette, vielfach werden rote Linien deutlich überschritten. Aufrufe zu Hass, Gewalt oder auch zu Mord vergiften dabei nicht nur die Diskussion, sie vergiften das Klima in die­sem Land. So mancher Teilnehmer hat durch seine Äußerungen auch schon Bekannt­schaft mit den ordentlichen Gerichten in diesem Land gemacht.

Bei oberflächlicher Betrachtung, meine sehr geehrten Damen und Herren, und durch die Berichterstattung einzelner Medien entsteht oftmals der Eindruck, dass diese Ent­wicklung völlig neu und vornehmlich auf der rechten Seite des politischen Spektrums zu finden sei. Eine genauere Betrachtung zeigt jedoch ein durchaus differenziertes Bild.

War vor der Erfindung des Internets beziehungsweise vor der Implementierung der so­genannten sozialen Medien oftmals der Stammtisch jener Ort des Meinungsaustausches, wo vielfach wenig feine Worte gefallen sind, so haben generell die letzten Tage ein­drucksvoll bestätigt, dass Hass und Hetze überall zu finden sind, vor allem dort, wo das eigene Meinungsspektrum, die eigene Überzeugung tangiert werden.

Wenn etwa eine österreichische Tageszeitung am Tag nach der Wahl des neuen US-Präsidenten in einer Schlagzeile den Dritten Weltkrieg ante portas sieht, wenn der Ko­lumnist einer lachsfarbenen Tageszeitung den nächsten US-Präsidenten als „mental instabilen Soziopathen“ bezeichnet und ein ORF-Nachrichtensprecher Donald Trump als Pavian beschimpft, so bereitet diese Hate Speech genau jenen Boden auf, der be­nötigt wird, um auf Facebook einmal so richtig die Sau rauszulassen. Genau da gilt es anzusetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren, denn sonst wird frei nach dem Motto: Wenn die das dürfen, dann darf ich doch auch einmal!, agiert.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass bezüglich verbaler Gewalt liebend gern die Facebook-Seite von H.-C. Strache zitiert wird, um dabei auch jene ste­reotypen Vorurteile bedienen zu können, wonach dieses Phänomen durch die soge­nannten Rechtspopulisten noch gefördert wird. Degoutante Ausreißer, meine sehr ge­ehrten Damen und Herren, auf der linken Seite werden dabei geflissentlich übersehen und augenzwinkernd zur Kenntnis genommen.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass über den Privatsender ServusTV ein tagelanger Shitstorm hereingebrochen ist, weil der Redakteur Michael Fleischhacker ei­nen Sprecher der sogenannten Identitären Bewegung zu einer Diskussionssendung ein­geladen hatte. Als Reaktion darauf verkündete der grüne Nationalratsabgeordnete Pe­ter Pilz per Twitter, dass er jetzt einiges über Mateschitz, den Eigentümer dieses Sen­ders, zusammenstellen lassen werde, um ihn – wörtlich – „vor den Vorhang zu holen“. Die Stimmen, die sich sonst gegen diese Form der Stasimethoden verwahren und die Mei­nungspluralität als eine der wichtigsten Errungenschaften moderner Demokratien ein­mahnen, waren sehr leise, sie waren in diesem Zusammenhang nicht zu hören.

Auch wenn der von der linken Schickeria hofierte Rapper Nazar in seinen Texten sprach­lich nicht immer ganz stimmig reimt: „Es tut mir leid maman, doch ich werd mich nicht ändern, ich bleibe Straße, feier weiterhin den 11. September“, hört man kein Wort des Protestes über diesen Fauxpas, sondern es wird mit der Floskel der Freiheit der Kunst einfach alles vom Tisch gewischt, und so ganz nebenbei werden 2 992 Opfer des 11. Sep­tember verhöhnt. Von seinen sonstigen Texten mit seinen Beischlaffantasien möchte ich gar nicht sprechen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Armin Wolf den Rapper auf Twitter als beeindruckend informierten, klugen und angenehmen Gesprächspartner be­zeichnet. Das sagt vor diesem Hintergrund weit mehr über Armin Wolf als über Nazar und seine Verbalergüsse aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Redezeit geht zu Ende. Das Phäno­men der Hasskommentare, der sogenannten Hate Speech, ist allgegenwärtig, sowohl in den sozialen Medien als auch in den Foren der Tageszeitungen. Bei allem gebote­nen Respekt müssen wir auch immer den Blick in Richtung Meinungsfreiheit offenlas­sen. Nicht jeder Kommentar, der verletzend wirkt, trägt diese Absicht vorsätzlich in sich, nicht jede Stellungnahme, die dem eigenen Weltbild widerspricht, soll Anlass zu Straf­verfolgung geben können.

Die rote Linie ist klar und scharf gesetzlich definiert: Wer zu Mord, Gewalt und Hass auf­ruft, der muss die Härte des Gesetzes spüren. Wer jedoch eine andere Meinung vertritt als jene, die dem momentanen Mainstream entspricht, der muss diese auch äußern dür­fen, ohne Repression und ohne Angst, gegen alle Widerstände und ohne deswegen per­sönlichen oder wirtschaftlichen Schaden zu erleiden. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk­samkeit. (Beifall.)

14.15


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächste zu Wort gelangt die Frak­tionsvorsitzende der Grünen, Frau Bundesrätin Mag. Schreyer. – Bitte.

 


14.15.55

Bundesrätin Mag. Nicole Schreyer (Grüne, Tirol)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde jetzt auf meinen Vorredner nicht eingehen, denn ich habe nur 4 Minuten zur Verfügung. (Heiterkeit.)

Wenn sich das Umfeld ändert und wir dadurch vor neuen Herausforderungen stehen, müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen und Lösungen dafür finden. Hat je­mand vor 30 Jahren eine hetzerische Diffamierungskampagne gegen eine Person ge­startet, musste er schon recht viel kriminelle Energie dafür einsetzen. Es mussten Flug­zettel formuliert, gedruckt, aufgeklebt und verteilt werden. Trotz dieses erheblichen Auf­wands – organisatorisch, aber auch finanziell – war die Reichweite nur sehr gering. Wur­de dann ein Täter oder eine Täterin gefasst, hat es hinsichtlich der strafrechtlichen Ver­folgung kaum Probleme gegeben, da schon so viele Vorhandlungen gesetzt worden wa­ren, dass der Täter oder die Täterin damit schon deutlich gemacht hatte, wie ernst ihm oder ihr die Sache ist.

Jetzt ist die Situation ganz anders. Ein Hassposting ist via Handy innerhalb von Se­kunden abgeschickt, das ist extrem niedrigschwellig. Es geht schnell, ohne Aufwand und ist gratis. Die Reichweite – wir haben heute schon sehr viel darüber gehört –, die An­zahl der damit erreichten Personen geht jedoch rasch in die Tausende und steigt ex­ponentiell an. Ist ein Posting erst einmal veröffentlicht, ist es so gut wie unmöglich, das Posting wieder zu beseitigen, weil das Internet ja nicht vergisst.

Wird der Täter gefasst, ist auch die weitere strafrechtliche Verfolgung sehr komplex – Barbara Kaufmann hat es vorher auch schon angesprochen –, es kommen dann genau diese Aussagen: Mein Hassposting war nicht so gewollt, ich habe mich dazu hinreißen lassen, es war eine besoffene Geschichte, auf keinen Fall wollte ich jemanden beleidi­gen oder herabwürdigen! – Wenn es zu einem Prozess kommt – was schon selten ge­nug der Fall ist –, dann steht am Schluss oft ein Freispruch: im Zweifel für den Ange­klagten oder für die Angeklagte.

Hetze und Hass im Internet sind kein Kavaliersdelikt und dürfen auch nicht zum Ka­valiersdelikt verkommen. So grundlegend sich auch die Täterseite in den letzten Jah­ren vielleicht gewandelt hat, die Opferseite ist immer gleich geblieben. Für das Opfer macht es nämlich überhaupt keinen Unterschied, ob das Hassposting Resultat einer ge­zielten Verächtlichmachung oder einer vermeintlich unüberlegten Kurzschlussreaktion ist.

Es unterscheiden sich auch die Auswirkungen dieser Hass- und Gewalterfahrungen nicht, ganz im Gegenteil: Durch die rapide Verbreitung über das Internet wird das Privat- und Berufsleben von betroffenen Personen teilweise sehr massiv beeinträchtigt, nach­haltig geschädigt und zerstört.

Meine Damen und Herren, wir sind uns natürlich auch darüber einig, dass das Straf­recht nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen kann, aber es braucht sehr viele An­passungen. Es gibt sehr viele alte Straftatbestände, die aus einer Zeit vor dem Internet stammen und an die Probleme, an die Herausforderungen, die durch das Internet ent­stehen, natürlich nicht angepasst sind. Wir stehen jetzt vor der Situation, dass zwar das Strafrecht vor Verhetzung, Beleidigung, übler Nachrede oder gefährlicher Drohung schützt, dass sich aber viele Betroffene von Beleidigungen und Drohungen im Internet den Tä­tern schutzlos ausgeliefert fühlen.

Das liegt zum einen daran – das haben drei oder vier VorrednerInnen heute schon auf­gegriffen –, dass es sich bei einigen Delikten, wie eben Beleidigung oder übler Nach­rede, um Privatanklagedelikte handelt, die nicht von der Staatsanwaltschaft verfolgt wer­den. Man braucht also als Opfer Know-how, man braucht Finanzmittel, um überhaupt da­gegen vorgehen zu können. Im Fall von Elke Rock: Bei so einem Shitstorm müsste man Hunderte Privatanklagen auf eigenes Finanzrisiko tragen. Der Staat hält sich da he­raus. – Ich muss schon wieder etwas auslassen, weil meine Redezeit schon zu Ende geht.

Das Strafrecht kann keine Wunder wirken und soll auch nicht zur Antwort für jedes gesellschaftliche Problem werden. Prävention durch Aufklärung, durch Bewusstseins­bildung ist enorm wichtig, ebenso aber auch die Täterarbeit. In letzter Konsequenz muss aber der Staat die Freiräume seiner BürgerInnen schützen – auch mit dem Strafrecht. Es muss die Aufgabe von Polizei und Justiz sein, solche Vergehen auch von Amts we­gen zu ahnden. Es wird absolut notwendig sein, die strafrechtlichen Bestimmungen an all die grassierenden Gewalt- und Hassphänomene in der digitalen Welt anzupassen. Es muss sichergestellt sein, dass öffentliche Hasspostings, die die Lebensführung der betroffenen Personen unzumutbar beeinträchtigen, strafrechtlich verfolgt werden kön­nen, wenn das Opfer darum ersucht. Insbesondere sollen auch Fälle, in denen Gewalt gegen eine Person gutgeheißen wird oder eine Person massiv sexuell beleidigt wird, von der Staatsanwaltschaft verfolgt werden können.

Es liegt an uns, die Zukunft des Internets aktiv mitzugestalten. Wir dürfen nicht zulas­sen, dass das Internet zu einer virtuellen Bühne wird, auf der Hassbotschafter andere ungestört verbal hinrichten dürfen! Wir müssen da einfach handeln!

Meine Redezeit ist zu Ende, ich ersuche noch um eine halbe Minute: Ich möchte mich gerne ganz kurz bei den Organisatorinnen und Organisatoren, bei allen Vortragenden, vor allem aber bei Elke Rock, die jetzt leider nicht mehr da ist, bedanken.

Es wurde heute ein paar Mal angesprochen, dass es im Internet genau um dieses Ano­nyme geht; man hat kein Gegenüber, man sieht die Reaktion des Opfers des Hasspos­tings nicht! Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Opfer anonym bleiben wollen, aber Respekt vor diesem Mut, den Elke Rock da als Opfer aufbringt. Wir haben ge­sehen, wie schwer es ihr fällt, wie schlimm und wie psychisch belastend es für sie ist, öffentlich zu zeigen, was Hasspostings mit den Opfern machen, aber sie macht es, um den Hasspostern eben ein Gegenüber zu geben und um sich nicht silencen zu lassen, also um sich nicht von Hasspostern zum Schweigen bringen zu lassen. Danke schön. (Beifall.)

14.21

14.21.53VII. Offene Diskussion und Schlussworte des Präsidenten

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gehen nun in die Debatte ein.

Bevor ich der ersten Rednerin oder dem ersten Redner das Wort erteile, weise ich da­rauf hin, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig darum, sich an diese Vorgabe zu halten.

Als Erster zu Wort gemeldet ist Herr Mag. Alm, Nationalratsabgeordneter der NEOS. – Bitte.

 


14.22.53

Abgeordneter Mag. Nikolaus Alm (NEOS)|: Frau Vorsitzende! Es freut mich, dass wir hier in diesem Rahmen zu diesem Thema sprechen können. Ich sitze eigentlich pa­rallel im Ständigen Unterausschuss des Innenausschusses und habe nicht alles ge­hört; ich hoffe, dass sich nichts wiederholt. Was mir bislang in dieser Diskussion gefehlt hat, ist eine Definition und Struktur der Fragestellung. Hass kann vielerlei Formen an­nehmen: Er kann auf der einen Seite Straftatbestand sein, dann ist er ganz klar straf­rechtlich relevant und entweder schwer oder leicht zu verfolgen. Hass kann aber auch genauso gut keine rechtliche Relevanz haben, dann ist das eine Meinung; und die ist dann nicht nur kein Kavaliersdelikt, sondern überhaupt kein Delikt – auch damit müssen wir umgehen können.

Dazwischen gibt es eventuell einen Graubereich. Ich sage ganz bewusst „eventuell ei­nen Graubereich“, denn größtenteils wurde bisher in der Argumentation auf diese Struk­tur keine Rücksicht genommen. Ich bringe zwei Beispiele: Zum einen hat Herr Minister Brandstetter gemeint: „Wer Hass sät, wird Gefängnis ernten.“ So einfach ist es natür­lich nicht. Wenn ich sage: Ich hasse aus tiefstem Herzen Justin Bieber!, dann werde ich dafür hoffentlich nicht Gefängnis ernten. Zum anderen: Wenn Staatssekretärin Duz­dar sagt, dass Meinungsfreiheit nicht bedeutet, zu schreiben, was ich will, dann muss ich ihr sagen: Doch, Meinungsfreiheit bedeutet genau das, nämlich zu schreiben, was ich will, und Meinungsfreiheit kann manchmal verletzend und auch schmerzhaft sein. Das heißt, die Definition dieses Graubereichs darf nicht dazu führen, dass die Meinungs­freiheit über Gebühr eingeschränkt wird.

Ich möchte natürlich unbedingt hinzufügen, dass das kein Freibrief für verletzende, ver­hetzende oder sonstige Äußerungen – die vielleicht auch nur beleidigend sind – sein kann. Also diese Einschränkung muss es geben.

Direktor Gridling vom BVT meinte, dass wir dort aktiv hinschauen müssen, wo straf­rechtlich relevante Tatbestände auftreten. Ich würde mir wünschen, dass genau dieses Hinschauen erfolgt, denn das wäre eigentlich die leichte Übung, die es da zu unterneh­men gilt. Die schwierige Übung ist, das Erlaubte zu kontrollieren, und das sollte nicht dazu führen, dass wir zensieren, das sollte nicht dazu führen, dass wir private Medien dazu anhalten, über Gebühr zu zensieren, und es darf auch nicht dazu führen, dass Zen­sur in soziale Medieninfrastrukturen Einzug hält.

Es ist auch diskutiert worden, ob Fake News nicht auch zum Hass beitragen können. Wenn man beginnt, Fake News zu zensieren, dann ist auch die von uns allen so ge­liebte „Tagespresse“ davon betroffen, denn die verbreitet auch nichts anderes als Fake News.

Sie können das auch nicht über den Medienbegriff von sozialen Medieninfrastrukturen regeln. Sie können nicht einfach Facebook zu einem Medium machen, nur weil Sie dann damit einen leichteren Zugriff auf die Kontrolle der Inhalte haben. Facebook weist na­türlich medienähnliche Elemente auf, ist aber deswegen noch lange kein Medium. Das Medium in diesen sozialen Medieninfrastrukturen sind natürlich die Akteure selbst, und die sind auch in die Pflicht zu nehmen. Die Lösung kann daher nur über die Rechts­durchsetzung gehen, sie kann nicht darin bestehen, die Rechte weiter zu verschärfen. (Beifall.)

14.26


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Professor Schennach, Bundesrat der SPÖ. – Bitte.

 


14.26.16

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien)|: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren, die an dieser heutigen Enquete teilnehmen! Ich richte mich zuerst einmal an Herrn Dr. Jonas: Seit eineinhalb Jahren arbeitet der Bundesrat an Digitalisierung, Internet und Social Web, und als Vorsitzender des Zukunftsausschusses kann ich ga­rantieren: Die Arbeit geht weiter! Sie muss weitergehen!

Nun möchte ich den Begriff, den Barbara Kaufmann hier geprägt hat – die Hasskultur –, ansprechen. Ich bin sozusagen ein Bewohner von Twitter. (Heiterkeit der Bundesrätin Posch-Gruska) – Ja, wir haben heutzutage unterschiedliche Identitäten. Das, was die­se Hasskultur ausmacht, nämlich das Ziel dahinter – und das ist der große Unterschied zu Stammtischen, wo man sich kennt, wo man sich berühren kann –, ist die Zerstörung der Werte, ist die Zerschlagung von Institutionen und die Vernichtung von Menschen.

Seit wir die #DigitaleCourage-Kampagne fahren, habe ich es mir zur Pflicht gemacht, mich einzumischen, und das übe ich mit der AfD, die genau das erfüllt: die Zerstörung der Werte, die Zerschlagung der Institutionen und die Vernichtung von Menschen. Es ist für mich immer wieder unfassbar, mit welchem hasstriefenden Wording, mit welcher Wortwahl da gearbeitet wird. Ich habe ja immer noch geglaubt, so wie Paulo Freire ge­sagt hat, dass Politiker und Politikerinnen auch Pädagogen und Pädagoginnen sein sol­len, aber dass sich Menschen ihre Information ausschließlich auf die Information durch das Web reduzieren, die Medien insgesamt als Lügenpresse abstempeln und keine Bü­cher lesen, zeigt, dass die Zugänge immer enger und kürzer werden.

Das ändert nichts daran, dass wir eine Kompetenz rechtzeitig an unseren Schulen ein­fordern müssen, nämlich die Medienkompetenz, die Internetkompetenz. Diese Aufgabe erfüllt unser Schulsystem derzeit noch nicht.

Als Mitglied des Europarates und als einer, der in den letzten fünf Jahren daran be­teiligt war, möchte ich noch einmal auf die No-Hate-Speech-Kampagne hinweisen, wel­che mittlerweile Hunderttausende junge Menschen unterzeichnet haben. Die Kampag­ne #NoHateNoFear haben wir gestartet, nachdem der Witwer eines der Opfer der Bom­benattentate von Paris gegenüber den Terroristen öffentlich gesagt hat: „Meinen Hass bekommt ihr nicht.“ Mit dieser Kampagne, die wir gemeinsam mit der ONE in FIVE Cam­paign gestartet haben, ist es uns in den letzten Monaten und Jahren, glaube ich, ge­lungen, eine Sensibilisierung auszulösen. Wenn Sie heute auf die No-Hate-Speech-Platt­formen gehen, werden Sie sehen, wie viele junge Menschen sich aus unterschiedlichs­ten Ländern daran beteiligen. Das gibt wieder Hoffnung bei all dem Hass, den wir der­zeit im Netz verspüren.

Man kann nur unterstreichen, was hier gesagt wurde: Hass ist kein Kavaliersdelikt! Un­sere vornehmliche Aufgabe in der Politik ist es, uns einzumischen, deshalb ist die Cou­rage so wichtig, und deshalb werden wir diese Kampagne weiterziehen. – Danke. (Bei­fall.)

14.29


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Längle von den Freiheitlichen. – Bitte.

 


14.30.07

Bundesrat Christoph Längle (FPÖ, Vorarlberg)|: Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrte Da­men und Herren! Geschätzte Anwesende! Wir haben heute bereits sehr viel über digi­tale Courage, Zivilcourage, Ehrenamt und dergleichen gehört. Wir alle kennen Face­book, WhatsApp und Twitter, ebenso gibt es eine Vielzahl von anderen Onlineplattfor­men und Medien. Die Anonymität des Internets bietet viele Möglichkeiten, Stichwort Fake Account.

Selbstverständlich sind Hasspostings, Cybermobbing, Hetzaufrufe und Postings mit kri­minellen Inhalten auf das Schärfste zu verurteilen und abzulehnen. Derartige Dinge sind etwas, was wir bestimmt nicht brauchen. Mittlerweile bieten uns die gesetzlichen Straf­bestimmungen gewisse Möglichkeiten, noch besser ist es aber, wenn vorgebeugt wird. Dies hat auch Herr Justizminister Brandstetter heute Vormittag gesagt.

Jetzt stellt sich die Frage: Wie können wir vorbeugen? Es gab heute schon viele Vor­schläge, und diese möchte ich unterstreichen. Man muss aber auch die Vereine unter­stützen, denn dort lernen die Menschen das Miteinander, wie man miteinander umgeht, man muss Unterrichte und Seminare forcieren, die Ethik beziehungsweise Moralphilo­sophie zum Inhalt haben, und man muss die Kinder und Jugendlichen im ordentlichen Umgang miteinander unterstützen. Ich denke, dass da gerade die Vorbildwirkung von er­wachsenen Menschen besonders wichtig ist.

Gerade aber auch unsere Medien, wie die Zeitungen und das Fernsehen, müssen be­sonders darauf achten, dass ein seriöser Umgang erfolgt und eine insbesondere mora­lisch einwandfreie Sprache und Darstellung verwendet wird. Besonders Wertungen sind sehr unpassend. Ebenso ist aber auch die Politik gefordert. Wenn ich höre, dass Öster­reich mit Mordor, einem schlimmen und bösen Land aus der Herr-der-Ringe-Saga, ver­glichen wird, dann ist das schon sehr bedenklich, denn so etwas bietet nämlich genau den Stoff für Hasspostings und Hetze.

Ich hoffe, dass dieser Tag heute und vor allem die angesprochenen Vorhaben Wirkung zeigen. Es sollte uns allen ein besonderes Bedürfnis sein, dass wir eine bessere Ge­sellschaft bekommen und vor allem das bereits erwähnte Miteinander in den Mittelpunkt stellen sowie forcieren und fördern. Danke. (Beifall.)

14.32


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Bundesrat Stögmüller von den Grünen. – Bitte.

 


14.32.55

Bundesrat David Stögmüller (Grüne, Oberösterreich)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geschätzte Damen und Herren! Ich finde es ganz wichtig, dass wir im Parlament mit Expertinnen und Experten über das Thema digitale Courage sprechen. Es ist für mich nicht hinnehmbar, wenn junge Menschen, wenn Jugendliche auf andere junge Men­schen einschlagen. Wir haben heute von diesem Video gehört, auf dem ein junges Mäd­chen verprügelt wird und dann Blut spuckt. Dass so etwas auf Video festgehalten und millionenfach auf Facebook geteilt und angesehen wird, dass sich das viral verbreitet, geliked und kommentiert wird, das ist einfach nicht hinnehmbar!

Wir müssen nicht nur die Beteiligten in die Mangel nehmen, sondern auch die Plattform­betreiber: Facebook, Snapchat, Blogs, selbsternannte Onlinezeitungen – darunter fällt alles Mögliche. Ich bin mir sicher, dass viele von den Menschen, die dieses Video auf Facebook gesehen haben, die entsprechenden Funktionen verwendet haben, die es auf Facebook gibt, um das Video als unangemessen zu melden. Wenn Facebook sagt, dass sie das nicht gewusst haben, dass sie das nicht gesehen haben, dann ist das falsch.

Für uns Grüne war das auch der ausschlaggebende Grund – vielleicht haben Sie es im „Standard“ oder in einer anderen Zeitung schon gelesen –, dass wir eine Sachverhalts­darstellung gegen Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und gegen Facebook selbst ein­bringen werden. Das ist eigentlich juristisches Neuland und auch ganz neu in Öster­reich, auch für uns Grüne. Ich möchte dazu meinen Nationalratskollegen Dieter Brosz zitieren, der meint, dass das juristisch „sehr spannend“ ist, weil auch das Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden muss. Das ist ein millionenschweres Unternehmen, das mit unseren Daten, die wir jeden Tag dort verbreiten, Gewinne in Millionenhöhe macht; also muss es auch herangezogen und in die Verantwortung genommen werden.

Genauso wenig hinnehmbar wie die jugendliche Gewalt und die virale Verbreitung des Videos ist es für mich jedoch, wenn auf Facebook-Seiten von politischen Vertretern im­mer wieder Lügen, Halbwahrheiten, Verschwörungstheorien und Schreckensmeldungen zur Stimmungsmache gepostet und verbreitet werden. Das ist eine ganz klare Spaltung der Gesellschaft. Das ist ein gezieltes Aufhetzen der Bevölkerung auf den Onlineplatt­formen.

Ich muss jetzt trotzdem noch auf den FPÖ-Redner eingehen: Diese Enquete zur digita­len Courage – Herr Präsident Lindner, Sie können das bestätigen – ist nicht einstimmig von allen politischen Parteien beschlossen worden – und das ist bei einer Enquete zum ersten Mal seit Jahrzehnten so –, sie wurde nicht von allen Parteien mitgetragen. Die FPÖ war nicht bereit, dieses wichtige Thema der digitalen Courage mitzutragen, sie hat nicht mitunterschrieben und mitgestimmt. Das verwundert mich auch nicht, denn die Hass­poster kommen meist aus dem Dunstkreis der FPÖ oder aus deren Facebook-Gruppen und Fanseiten.

Zu Ihrer Information, da hier immer die Seite von H.-C. Strache erwähnt wird: Wer pos­tet denn? Wo stehen diese Informationen mit irgendwelchen Schreckensmeldungen stun­den-, tage- und monatelang? – Ja, das ist die Seite von H.-C. Strache! Der Kollege kann sogenannte Meinungsäußerungen einfach nicht von Hasspostings unterscheiden; Hass­postings sind nämlich ganz anders, die macht die FPÖ. Ich erwähne hier die FPÖ Diers­bach. In dieser Sache wurden 5 300 € an uns überwiesen, wir haben es gespendet, die Menschen freuen sich.

Ich bin froh, dass wir dieses Thema in der Enquete des Bundesrats bearbeiten. Was wir brauchen, das sind Wahrheiten, Fakten im Netz und Menschen, die sich immer wie­der entschlossen gegen die Versuche der Stimmungsmache der Populisten stellen, al­so Zivilcourage zeigen.

Vielen Dank, Herr Bundesratspräsident, für die Möglichkeit der Diskussion hier und heu­te, und ich danke auch allen Expertinnen und Experten, die heute mitwirken! Vielen Dank. (Beifall.)

14.36


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Tradinik von der Bundesjugendvertretung. – Bitte.

 


14.36.53

Johanna Tradinik (Bundesjugendvertretung)|: Ich möchte auch Hallo sagen, mein Na­me ist Johanna Tradinik, Vorsitzende der Bundesjugendvertretung. Wir vertreten fast 3 Millionen junge Menschen im Alter von null bis 30 Jahren. In dieser Gruppe sind ganz viele von denen, die Hass posten, aber noch viel mehr von jenen, die darunter leiden, die selbst Opfer sind, und deswegen ist es für uns ein ganz starkes Thema. Wir haben Anfang Herbst die Kampagne #MeinNetz gestartet. Sie heißt deshalb so, weil das Netz ein normaler Lebensraum für junge Menschen, aber auch für Erwachsene ist und weil es etwas ist, das man mitgestalten kann und auch mitgestalten muss!

Unsere Zielsetzungen bei dieser Kampagne passen extrem gut mit dieser Enquete zur digitalen Courage zusammen, auch mit der Kampagne gegen Hass im Netz, mit dem No Hate Speech Movement. Es geht dabei nämlich darum, dass einerseits junge Men­schen die Möglichkeit bekommen, Teil des Internets zu sein und zu partizipieren und die Regeln mitzugestalten.

Was wir aber auch fordern, ist die Stärkung von Medienkompetenz, weil das ein Schlüs­sel zur Vermeidung von Hass im Netz ist. Es wurde heute schon oft angesprochen: Es braucht Medienkompetenz, und zwar nicht nur für junge Menschen, sondern für die, die junge Menschen unterrichten, und für alle in unserer Gesellschaft. Alle brauchen Medien­kompetenz, um die Medien deuten zu können, um die Wahrheit von der Lüge unterschei­den zu können, aber auch, um zu wissen, wie man aufsteht und wie man etwas tut.

Das dritte Thema unserer Kampagne ist es, gegen Diskriminierung aufzustehen. Wie funktioniert das? Wie funktionieren diese Dynamiken? – Die Hassdynamiken funktionie­ren ähnlich, wie es funktioniert, gegen sie aufzustehen. Heute hat hier eine Rednerin ge­sprochen, deren Rede zu Standing Ovations geführt hat. Wie hat das funktioniert? – Es ist jemand aufgestanden, und die anderen haben sich gedacht: Ja, stimmt, das empfin­de ich auch, da stehe ich auch auf! Wie funktioniert Applaus? Applaus funktioniert auch so. Jemand beginnt zu klatschen, und man denkt sich: Ja, da klatsche ich mit. Genau­so funktioniert auch die digitale Courage. Da braucht es Leute, die sich trauen, aufzu­stehen. Wir müssen so viele Menschen wie möglich ermutigen und empowern, ihnen die Kraft geben, aufzustehen. Dafür ist die Politik da, dafür kann die Politik die Rahmenbe­dingungen schaffen, und das fordern wir als Bundesjugendvertretung. Wir fordern, das Aufstehen zu unterstützen!

Es ist auch ein Appell an alle, an jede einzelne Person, sich da selbst an der Nase zu nehmen und zu sagen: Ich kann die einzelne Person sein, die aufsteht und die etwas tut! Dazu gibt es viele Möglichkeiten, wie etwas zu melden, etwas dagegen zu schreiben, mit Personen zu reden, die Opfer in Schutz zu nehmen. Das kann ganz vieles sein. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass das jeder Einzelne sein kann. Danke für die En­quete! Danke schön. (Beifall.)

14.39


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska von der SPÖ. – Bitte.

 


14.40.19

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland)|: Sehr geehrte Damen und Her­ren! Auch ich habe heute bei dieser Enquete sehr viel gelernt und bin sehr froh, dass ich all das lernen konnte und durfte. Natürlich hat Elke Rock auch mich sehr beein­druckt, denn nicht nur digitale Courage ist wichtig, sondern auch Zivilcourage. Kollegin Schreyer hat schon gesagt, dass es sehr bemerkenswert ist, sich zu trauen, das hier zu sagen, über seinen Schatten zu springen und nicht mehr leise zu sein, sondern das laut zu formulieren.

Ich denke, dass wir im Netz fast die gleiche Situation wie im realen Leben haben. Wir haben heute gehört, Frauen sind 27 Mal häufiger von Gewalt im Netz betroffen als Män­ner, und wir haben heute auch gehört, dass weiße Männer mittleren Alters diejenigen sind, die am meisten Hasspostings ins Netz stellen. Wir haben heute sehr viel über die Jugend gesprochen, und ich bin sehr dafür, viel über die Jugend zu sprechen und den Jugendlichen auch wirklich das Werkzeug zu geben, Medienkompetenz zu lernen, um hier mit anpacken zu können.

Wir haben heute schon gehört, dass unsere Gesetze eigentlich sehr gut sind. Ich glau­be, dass wir nicht nur auf die Gesetzeslage und auf die Medienkompetenz schauen sollten – beides ist wichtig, das möchte ich unterstreichen –, sondern dass es auch not­wendig ist, dass wir zum Beispiel Facebook ganz klar die Aufgabe erteilen, da aktiv zu werden. Kollege Stögmüller hat vorhin gesagt, die Grünen haben eine Klage gegen Face­book eingebracht. Ich glaube auch, dass es Aufgabe des Unternehmens ist, aktiv zu wer­den und diese Hasspostings abzustellen.

In einer der heutigen Redeunterlagen findet sich der Satz: „Wer zu Mord, Gewalt und Hass aufruft, der muss die Härte des Gesetzes spüren. Wer jedoch eine andere Mei­nung vertritt als jene, die dem momentanen Mainstream entspricht, der muss diese auch äußern dürfen“. – Da frage ich mich: Wo bleibt denn der Respekt? Wenn ich meine Mei­nung äußere, muss ich das mit Respekt machen, muss Anerkennung und Wertschät­zung zeigen. Das trifft aber auf kein einziges Hassposting zu, daher sehe ich nicht ein, dass es freie Meinungsäußerung ist, wenn ich jemanden beschimpfe.

Außerdem sehe ich nicht ein, dass von einer Partei – von der FPÖ, wir können sie eh nennen – gesagt wird, dass das eigentlich möglich sein muss, wenn jemand nur seine Meinung äußert. Ich denke: Nein, das muss, das kann nicht möglich sein, wenn kein Re­spekt, keine Wertschätzung und keine Anerkennung da sind, denn das hat sich jeder ver­dient. Und ich würde mich wirklich freuen, wenn wir es, von dieser Enquete ausgehend, zusammenbringen, Unternehmen auch mit zur Verantwortung zu ziehen.

Wir haben heute gehört, wie man beim „Standard“ mit Hasspostings umgeht. Das ist ei­gentlich ein sehr guter Weg. Ich glaube, dass wir nicht nur die Opfer schützen sollten – das ist wichtig –, sondern dass auch die Täter und auch die, die es zulassen, zur Ver­antwortung gezogen werden sollen. – Danke. (Beifall.)

14.43


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Der nächste Diskussionsbeitrag kommt von Frau Mag. Grasgruber von der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen. – Bitte.

 


14.43.48

Mag. Romy Grasgruber-Kerl (IGO – Die Stimme der Gemeinnützigen)|: Sehr geehrte Da­men und Herren! Die IGO – die Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen – ist ein Dachverband von 40 NGOs, also Nichtregierungsorganisationen. Ich möchte mich an dieser Stelle sehr herzlich beim Bundesrat und beim Bundesratspräsidenten Mario Lindner für diese Initiative bedanken – ähnlich wie Willi Mernyi heute Vormittag nicht aus Höflichkeit, sondern tatsächlich aus Überzeugung.

Für uns als NGOs ist dieses Thema aus zwei Perspektiven sehr relevant und interes­sant, einerseits aus der Perspektive der Betroffenen: MitarbeiterInnen von Menschen­rechtsorganisationen, also NGOs, Hilfsorganisationen, insbesondere wenn sie sich für Flüchtlinge einsetzen, werden immer öfter Opfer von Hate Speech. Ich möchte hier nicht aus dem Nähkästchen plaudern, aber Ingrid Brodnig beschreibt das im „Grün­buch Digitale Courage“ ganz anschaulich anhand einer Caritas-Mitarbeiterin, die nicht nur persönlich Opfer wurde, sondern deren Familie – in dem Fall die Kinder – bedroht wurde. Ihr wurde angedroht, dass den Kindern etwas passieren könnte. Das sind tat­sächlich Drohungen, die emotionalen Druck auf NGO-MitarbeiterInnen ausüben, und dem gilt es Einhalt zu gebieten.

Auf der anderen Seite sind NGOs wichtige Multiplikatoren und auch Bündnispartner für ein respektvolles Miteinander und einen respektvollen Umgang. Da möchte ich nur kurz zwei Punkte ansprechen, die für uns besonders relevant sind, und zwar:

Am wichtigsten ist es, informiert zu werden. Auch mir ist das in der Vergangenheit ein­mal passiert: Ich war betroffen und hatte keine Ahnung, was ich tun kann, an welche Stellen ich mich wenden kann und welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Da braucht es verstärkte Informationsarbeit, das wurde heute auch schon öfters gesagt. Ich möch­te das noch einmal unterstreichen.

Für uns ist Information, gut und einfach aufbereitete Information, wie man sich wehren kann, wichtig. Dafür braucht es einen klaren Rechtsrahmen, das ist eine Vorausset­zung dafür. Falls das heute ein erster Schritt ist, um ein Maßnahmenpaket zu schnü­ren, und wenn Vereine als Bündnispartner gesehen werden, dann wird es Ressourcen und finanzielle Unterstützung brauchen. Eines ist klar: Neben dem Kerngeschäft, das NGOs ohnehin haben, braucht es da noch zusätzliche Unterstützung.

Die IGO wird ihren Beitrag als Multiplikatorin gerne leisten, denn eines hat diese En­quete heute sehr deutlich gezeigt: Es ist Handlungsbedarf gegeben, und zwar dringen­der. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

14.46


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Da keine Wortmeldungen mehr vorlie­gen, schließe ich die Debatte und bitte Herrn Präsidenten Lindner um seine Schluss­worte.

 


14.46.54

Präsident Mario Lindner|: Geschätzte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zuallererst möchte ich mich bei all jenen bedanken, die die heutige Enquete überhaupt erst möglich gemacht haben, bei den Mitar­beiterinnen und Mitarbeitern des Parlaments und insbesondere des Bundesrates. – Herz­lichen Dank. (Beifall.)

Ich möchte mich bei allen Mitgliedern unserer Zweiten Kammer, die sich in den letzten Wochen und Monaten über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg intensiv mit diesem The­ma, unserem gemeinsamen Thema, beschäftigt haben und das auch in Zukunft tun wer­den, bedanken. Bei unseren Referentinnen und Referenten möchte ich mich ebenfalls bedanken, nicht nur für die Bereitschaft, ihre Expertise mit uns zu teilen, sondern ganz besonders auch für den Mut, aus ihren persönlichen Erfahrungen zu berichten. (Beifall.)

Ich bedanke mich bei Ihnen allen, die Sie heute mit dabei waren, mitdiskutiert und sich in diesen Prozess eingebracht haben. Ganz besonders bedanken möchte ich mich na­türlich bei Andreas Kovar, Marco Schreuder und Helmuth Bronnenmayer: Ihr seid uns in den Vorbereitungen dieser Enquete und bei der Erstellung des „Grünbuch Digitale Courage“ mit viel Energie und Fachwissen zur Seite gestanden. Auch dafür ein herzli­ches Danke. (Beifall.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der heutige Tag wird und kann nicht mehr als ein Startschuss, ein erster Schritt sein. Wir – jede und jeder von uns – sind heute mit un­seren eigenen Schwerpunkten, unseren eigenen Gedanken, unseren eigenen Geschich­ten rund um den Kampf gegen Hass im Netz hierhergekommen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir alle mit neuen Perspektiven, mit neuen Denkanstößen von dieser Enquete nach Hause gehen, hoffentlich auch mit dem Bewusstsein, dass die Lösung dieses Problems eine Aufgabe ist, vor der wir alle gemeinsam als gesamte Gesellschaft stehen.

Als Erstes müssen wir uns als Politikerinnen und Politiker heute fragen, welche Verant­wortung wir auf diesem Weg übernehmen können. In einigen Statements heute Vormit­tag wurde das Beispiel des Videos angesprochen, das seit einigen Tagen im Internet kursiert und furchtbare Gewalt unter jungen Menschen zeigt. Wir haben heute in bewe­genden Worten gehört, was Shitstorms und Hasspostings im Leben eines Menschen anrichten können. Das sind furchtbare Beispiele für Hass im Netz.

Wir als Politikerinnen und Politiker haben die Aufgabe, die Trennlinie zwischen dem zen­tralen Grundrecht auf Meinungsfreiheit und dem Schutz der Würde und der Rechte je­des Mitglieds unserer Gesellschaft zu ziehen. Als Politiker kann und will ich daher nicht akzeptieren, dass wir das Heft des Handelns aus der Hand geben und privaten Kon­zernen erlauben, darüber zu entscheiden, ob strafrechtlich relevante, verhetzende und he­rabwürdigende Inhalte in sozialen Medien gezeigt werden und dort stehen bleiben dür­fen. Ich bin überzeugt, dass Sie mit mir darin übereinstimmen.

Als Mitglieder in Vereinen und Organisationen, als Menschen, die in ihrer Umgebung Ver­antwortung übernommen haben, als Aktivistinnen und Aktivisten müssen wir uns aber auch fragen, wie wir es schaffen, unsere Mitmenschen in einen Prozess für mehr Zivil­courage einzubinden. Heute Vormittag wurde die Frage gestellt, wie wir aus Bystandern, aus Zuschauerinnen und Zuschauern, engagierte Helferinnen und Helfer machen kön­nen, wie wir ein Bewusstsein dafür schaffen können, dass es eben nicht immer jemand anderen gibt, der bei Hass, bei Gewalt – online genauso wie offline – besser reagieren, besser helfen kann, sondern dass wir eben selbst eingreifen müssen. Ich bin davon über­zeugt, dass wir alle gemeinsam, mit unseren verschiedenen Schwerpunkten und Ar­beitsfeldern, einen solchen Wandel in der Kultur unseres Landes schaffen können.

Zum Abschluss müssen wir uns als Bürgerinnen und Bürger, als Menschen fragen, wie es gelingen kann, die Gefühlslage unserer Gesellschaft zu verändern. Wenn Hass im Netz, wie wir alle wissen, auch und vor allem ein Spiegel der gesellschaftlichen Verhält­nisse, ein Spiegel von Angst und Verunsicherung ist, dann müssen wir diesem Gefühl der Unsicherheit entgegentreten. Wir müssen bewusst aus der politischen Blase heraus­kommen und wieder Vertrauen in die Politik, in die Menschen, in die Medien und Insti­tutionen schaffen und Mitmenschen wieder in den demokratischen Prozess zurückho­len, ihre Meinung und ihre Kritik anerkennen, aber uns nicht der Angst beugen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Unsere ver­storbene Barbara Prammer hat einmal gesagt: „Wir alle haben uns immer wieder daran zu erinnern, dass Mut und Zivilcourage die Wirklichkeit zum Besseren verändern kön­nen.“ – Nehmen wir uns das zu Herzen! Der heutige Tag, mit all seinen Inputs, all sei­nen Ideen und Vorschlägen, muss der Startschuss für einen langen und ernst gemein­ten Prozess sein.

Ich kann Ihnen versprechen, dass der österreichische Bundesrat und das Parlament dieses Thema nicht mit dem heutigen Tag abschließen werden. Wir werden jede ein­zelne Möglichkeit, jede Chance, digitale Courage zu fördern, ergreifen, und ich hoffe, dass Sie diesen Weg gemeinsam mit uns gehen. Wir haben noch viel vor. – Herzlichen Dank und alles Gute! (Beifall.)

14.53


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich danke allen Teilnehmerinnen und Teil­nehmern für das große Interesse an dieser Veranstaltung und für ihre wertvollen Dis­kussionsbeiträge. Ich danke Ihnen allen für Ihr Kommen und wünsche Ihnen noch ei­nen schönen Tag.

Ich darf hiermit die Enquete schließen. – Danke. (Beifall.)

14.53.53Schluss der Enquete: 14.54 Uhr

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