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„Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“

 

 

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Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 5. April 2017

 

(Stenographisches Protokoll)

 


 

Parlamentarische Enquete des Bundesrates

Mittwoch, 5. April 2017

(XXV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 5. April 2017: 10.01 – 15.05 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete

Präsidentin des Bundesrates Sonja Ledl-Rossmann

II. Politische Impulsreferate

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc

Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Tilg (Landesrat für Gesundheit, Heimgesetz, Universitäts­an­ge­le­­genheiten, Tirol)

III. Impulsreferate zu „Herausforderungen im Bereich der Pflege“

Dr. Michael Landau (Präsident der Caritas Österreich)

Volksanwalt Dr. Günther Kräuter

Dr. Tobias Thomas (Forschungsvorstand von EcoAustria)

Ursula Frohner (Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflege­verbandes)

IV. Impulsreferate zu „Praxis der Pflege“

Gerald Möderl, MBA (Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger)

Mag. Walter Marschitz (Geschäftsführer von „Sozialwirtschaft Österreich“)

Mag. Bernadette Feuerstein (Obfrau von „Selbstbestimmt Leben Österreich“, SLIÖ)

Uli Makomaski (pflegende Angehörige)

V. Abschlussrunde

*****

Inhalt

I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete ................................ 5

Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann ........................................................ 5

II. Politische Impulsreferate .......................................................................................... 6

Bundesminister Alois Stöger, diplômé ....................................................................... 6

Bundesminister Dr. Johann Georg Schelling ............................................................ 9

Bundesministerin Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc ................................................. 12

Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Tilg ......................................................................................... 15

Diskussion:

Bundesrätin Renate Anderl ........................................................................................ 19

Hilde Kössler, MMSc ................................................................................................... 20

Markus Mattersberger, MMSc MBA ..................................................................... ..... 20

Abg. August Wöginger ................................................................................................ 22

Gisela Peutlberger-Naderer ........................................................................................ 23

III. Impulsreferate zu „Herausforderungen im Bereich der Pflege“ .................... 24

Dr. Michael Landau ...................................................................................................... 24

Volksanwalt Dr. Günther Kräuter ............................................................................... 27

Dr. Tobias Thomas ....................................................................................................... 30

Ursula Frohner ............................................................................................................. 32

Diskussion:

Martina Rüscher, MBA MSc ....................................................................................... 35

Abg. Anneliese Kitzmüller .......................................................................................... 36

Abg. Mag. Judith Schwentner .................................................................................... 37

Bundesrat Ferdinand Tiefnig ...................................................................................... 38

Dr. Regina Baumgartl .................................................................................................. 38

Mag. Gabriele Jaksch .................................................................................................. 39

Mag. Monika Wild, MAS MSc ...................................................................................... 40

Birgit Meinhard-Schiebel ............................................................................................ 41

Mag. Leena Pelttari, MSc ............................................................................................. 42

Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich .......................................................................................... 42

Bibiána Kudziová ......................................................................................................... 43

Mag. Monika Weißensteiner ........................................................................................ 44

Willibald Steinkellner ................................................................................................... 45

IV. Impulsreferate zu „Praxis der Pflege“ ................................................................ 47

Gerald Möderl, MBA .................................................................................................... 47

Mag. Walter Marschitz ................................................................................................. 49

Mag. Bernadette Feuerstein ........................................................................................ 52

Uli Makomaski .............................................................................................................. 55

Diskussion:

Abg. Ulrike Königsberger-Ludwig ............................................................................. 58

Professor Walter Scheed ............................................................................................ 59

Mag. Daniela Gutschi ................................................................................................... 60

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch ................................................................................. 62

Sonja Thalinger, MSc ................................................................................................... 62

Elisabeth Anselm ......................................................................................................... 64

Dr. Christine Ecker, MBA MAS .................................................................................. 65

V. Abschlussrunde ....................................................................................................... 66

Bundesrat Edgar Mayer .............................................................................................. 66

Bundesrätin Inge Posch-Gruska ................................................................................ 67

Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 68

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter ............................................................................. 69

Geschäftsbehandlung

Unterbrechung der Sitzung .......................................................................................... 47

 

 

 


 

10.01.14Beginn der Enquete: 10.01 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin des Bundesrates Sonja Ledl-Rossmann, Vizepräsident des Bundesrates Ernst Gödl, Vizepräsidentin des Bundesrates Ingrid Winkler.

*****

10.01.16I. Eröffnung und Darstellung der Zielsetzungen der Enquete

 


10.01.18

Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die Enquete des Bundesrates zum Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ und danke Ihnen, dass Sie der Einladung so zahlreich gefolgt sind. Ich darf alle Anwesenden sehr herzlich begrüßen.

Mein besonderer Gruß gilt den Referentinnen und den Referenten dieser Enquete, im Speziellen Herrn Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé, Herrn Bundesminister für Finanzen Dr. Hans Jörg Schelling, Frau Bun­desministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner und Herrn Landesrat Dr. Bernhard Tilg. Herzlich willkommen! (Beifall.)

Ebenfalls ein besonderer Gruß den weiteren Referentinnen und Referenten: Herrn Präsidenten der Caritas Österreich Dr. Michael Landau, Herrn Volksanwalt Dr. Günther Kräuter, Herrn Dr. Tobias Thomas, Forschungsvorstand von EcoAustria, Frau Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, Herrn Gerald Möderl, MBA, Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger, Herrn Mag. Walter Marschitz, Geschäftsführer von „Sozialwirtschaft Österreich“, Frau Mag. Bernadette Feuerstein, Obfrau von „Selbstbestimmt Leben Österreich“, und Frau Uli Makomaski, pflegende Angehörige. Herzlich willkommen! (Beifall.) 

Weiters begrüße ich den Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Edgar Mayer, den Fraktionsvorsitzenden der SPÖ, Herrn Reinhardt Todt, die Fraktionsvorsitzende der FPÖ, Frau Monika Mühlwerth, sowie die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Frau Mag. Nicole Schreyer. (Beifall.)

Es freut mich besonders, die Präsidentin des Salzburger Landtages, Frau Dr. Brigitta Pallauf, begrüßen zu dürfen. (Beifall.)

Darüber hinaus begrüße ich sehr herzlich alle Mitglieder des Bundesrates, des Natio­nal­rates und der Landtage, die Vertreterinnen und Vertreter der jeweiligen Bundes­minis­te­rien sowie alle von den jeweiligen Institutionen namhaft gemachten Vertre­terinnen und Vertreter, die als Expertinnen und Experten an der heutigen Enquete teilnehmen. (Beifall.)

Im Besonderen heiße ich auch die Vertreterinnen und Vertreter der Medien herzlich willkommen. Es freut mich sehr, auch alle Zuseherinnen und Zuseher, die die heutige Enquete auf ORF III beziehungsweise via Live-Stream im Internet verfolgen, herzlich begrüßen zu dürfen. (Beifall.)

*****

(Es folgen technische Mitteilungen in Bezug auf das Prozedere durch die Vorsitzende sowie der Hinweis, dass über diese Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst wird, das nach einiger Zeit im Internet unter www.parlament.gv.at abrufbar sein wird.)

*****

Ich freue mich, nun meine Eröffnungsworte an Sie richten zu dürfen:

„Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ – das ist nicht nur das Motto der heutigen Enquete, sondern das Motto meiner Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2017. Mir war es von Anfang an wichtig, das Thema Pflege in den Mittelpunkt zu stellen; ein Thema, das mir persönlich sehr am Herzen liegt, aber von dem ich auch überzeugt bin, dass es eines der wichtigsten Themen der Zukunft sein wird.

Pflege betrifft sehr viele Menschen, aber leider wird sie oft als selbstverständlich an­gesehen und führt in der Gesellschaft oft ein Schattendasein. Genau das haben sich die Betroffenen nicht verdient. Genau deshalb will ich das Thema Pflege nicht nur in den Fokus rücken, sondern auch Wege für die Zukunft der Pflege einschlagen. Des­wegen freue ich mich sehr, dass die heutige Enquete, die auf einem Allparteienantrag des österreichischen Bundesrates basiert, stattfindet.

Und es freut mich vor allem, dass Sie alle heute gekommen sind: die Referentinnen und Referenten, all jene, die an der Enquete teilnehmen, denn Sie spiegeln die inhaltliche und fachliche Breite wider, die das Thema mit sich bringt. Genau das hat meiner Meinung nach bei dieser Diskussion wirklich einen sehr hohen Stellenwert.

Es ist das eine Diskussion, die wir hoffentlich offen führen, denn es braucht meiner Ansicht nach die ehrliche und umfassende Auseinandersetzung mit dem, was das Thema Pflege mit sich bringt. Es geht um Medizinisches, um Pflegerisches, um Finan­zielles, um Psychologisches, um Weltanschauliches, es geht vor allem um eines: um Zwischenmenschliches. Daher soll sich die heutige Enquete auch den einzelnen Bereichen widmen, aber ohne, dass wir den Blick auf das Ganze vergessen.

Es geht um die Menschen in unserem Land, die unsere Unterstützung brauchen. Politik und Gesellschaft müssen daher stets deutlich machen, auch in Taten, dass diese Menschen in ihrer herausfordernden Situation nicht allein gelassen werden. Daher hoffe ich, dass die heutige Enquete auch die Basis für ein überparteiliches Arbeitsprogramm für die Zukunft der Pflege sein wird. Das kann nur funktionieren, wenn es einen gemeinsamen Schulterschluss gibt – einen Schulterschluss aller Kräfte zu einem Thema, das sich in besonderem Maße ein Maximum an Sachpolitik und ein Minimum an Parteipolitik verdient hat.

Genau diesen Weg will ich als Präsidentin des Bundesrates – nicht nur während meiner Vorsitzzeit, sondern auch über das erste Halbjahr 2017 hinaus – gehen, und ich hoffe, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen.

In diesem Sinne – da auch ich bestrebt bin, meine Redezeit einzuhalten, denn heute ist es wichtig, dass Sie alle zu Wort kommen – darf ich mich jetzt schon für Ihre Beiträge, für Ihre Expertise und vor allem für Ihre Verantwortung, dass Sie an der heutigen Enquete teilnehmen, bedanken. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.09

10.09.21II. Politische Impulsreferate

 


10.09.52

Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz Alois Stöger, diplômé|: Frau Präsidentin! Liebe Mitglieder der Bundesregierung! Herr Landesrat Dr. Tilg! Ich heiße Sie herzlich willkommen. Der Dank gilt der Frau Präsidentin des Bundesrates für diese Initiative und für diese Enquete.

Die Enquete richtet die Aufmerksamkeit auf das Thema Pflege; das ist in zweierlei Hinsicht gut: erstens, weil das Pflegesystem wirkt und wir stolz darauf sein können, und zweitens, weil wir uns nicht ausruhen dürfen, sondern wir müssen das System ständig weiterentwickeln und auch in der Zukunft für pflegebedürftige Personen und ihre Angehörigen da sein.

Sehen wir uns ein bisschen im Rückblick an, wie sich unser Pflegesystem entwickelt hat: Den Grundstein bildet eine Artikel-15a-Vereinbarung aus dem Jahr 1993. Damals hat man sich erstmals darauf geeinigt, dass Menschen, unabhängig von der Ursache ihrer Pflegebedürftigkeit, bei gleichen Voraussetzungen auch die gleichen Leistungen bekommen. Seither haben Menschen einen Rechtsanspruch auf Pflegegeld und damit bei Pflegebedürftigkeit eine Sicherung im Alter. Das ist ein sozialpolitischer Meilenstein, der uns in der Welt als Benchmark auszeichnet.

Mit einem Volumen von rund 2,5 Milliarden € jährlich ist das Pflegegeld die größte und stärkste Säule des Pflegesystems. Über 450 000 Menschen – das sind 5 Prozent der Bevölkerung – haben einen Anspruch auf Pflegegeld. Das ist wieder weltweit einmalig!

Pflegegeld ermöglicht auch eine Stärkung der Würde des Menschen. Die Stärkung der Würde der Menschen ist sehr wichtig, das bedeutet: Pflegebedürftige können ihre Betreuungsform frei wählen, auch dann, wenn sie von Angehörigen gepflegt werden, können sie diese dafür entlohnen. Man kommt dadurch vom hilfsbedürftigen Bittsteller weg.

Wir haben im Jahr 2011 eine Pflegegeldreform durchgeführt, wobei wir ein Muster­beispiel für eine Verwaltungsreform zustande gebracht haben. Von 303 Entschei­dungsträgern sind wir auf mittlerweile fünf gekommen, das bedeutet, dass wir da auch sehr viele Beiträge geleistet haben, um das System zu vereinfachen.

Die zweite große Entwicklung in der Pflege war die Einführung des Pflegefonds, wobei der Bund die Bundesländer unterstützt, um Pflege zu stärken. Die Mittel des Pfle­gefonds sind 2011 aus der Bankenabgabe finanziert worden beziehungsweise damit argumentiert worden, und wir haben den Pflegefonds auch dazu genützt, zum Wohle der zu pflegenden Personen und ihrer Angehörigen Qualitätssicherungselemente und Leistungsverbesserungen sowie Mindestversorgungsgrade einzuführen.

Wir haben – ein Danke auch dem Herrn Finanzminister dafür; ich glaube, das war wichtig – bei den Finanzausgleichsverhandlungen die Laufzeit des Pflegefonds bis 2021 verlängert. Auch das ist für diese Bundesregierung ein wichtiges Thema. Wir haben ihn nicht nur verlängert, sondern er wird ab 2018 auch jährlich erhöht, aber das wird der Herr Finanzminister genauer ausführen.

Das bedeutet, dass der Pflegefonds seit seiner Einführung mit 3,25 Milliarden € dotiert wurde und wir in den Jahren 2017 bis 2021 über 250 Millionen € mehr aus dem Pflegefonds ausschütten als im Jahr 2016.

Sehen wir uns an, wer die Menschen hinter der Pflege sind! Es geht um Optimie­rungspotenzial für Finanzierungsformen, es geht insbesondere aber auch um die pflegenden und betreuenden Angehörigen als tragende Säule des Systems. Das ist hervorzuheben: Es sind die betreuenden Angehörigen, die hier ihre Tätigkeit erbringen. Zu zwei Dritteln sind das Frauen – das muss man auch sehen –, viele geben ihre Arbeit auf, um sich um die Angehörigen zu kümmern. Daher ist es wichtig, dass wir auch für diese Gruppe die Unterstützungsangebote ausbauen und stetig weiterent­wickeln.

Wir haben die kostenlose Kranken- und Pensionsversicherung für diese Personen­gruppe geschaffen, wir haben Zuwendungen zu den Kosten der Ersatzpflege ermög­licht. Es geht auch darum, sich einmal eine Auszeit nehmen zu können. Wir haben es im Zusammenhang mit dem Pflegekarenzgeld ermöglicht, dass die Pflege ohne Dop­pelbelastung organisiert werden kann und diese Personen auch länger im Beruf bleiben. Wir fördern die 24-Stunden-Betreuung, das ermöglicht einen Verbleib in der Familie.

Was sind die Herausforderungen? – Die Herausforderungen sind Demenz-, Hospiz- und Palliativversorgung. Da hat die Bundesregierung mit der Demenzstrategie und mit dem Hospiz- und Palliativforum erste Schritte gesetzt.

Wie schaut die Stabilität des Pflegesystems aus? – Wir haben im Jahr 1993 1,26 Pro­zent des BIPs für Pflege aufgewendet, wir sind jetzt bei 1,35 Prozent des BIPs; das ist eine Steigerung um ein Zehntelprozent der gesamten volkswirtschaftlichen Leistung. Das macht deutlich, dass wir gar keinen Pflegenotstand haben, sondern es wird deutlich, dass wir hier einen großen Beitrag leisten.

Es geht darum, dass wir im Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit auch über Ge­rechtigkeit reden sollten. – Jetzt bin ich bei dem Punkt, bei dem es um Gerechtigkeit geht. Bundeskanzler Christian Kern hat im Plan A sehr deutlich darauf hingewiesen – das ist auch Teil des Programms der Bundesregierung –, dass manche Menschen quasi eine hundertprozentige Erbschaftssteuer zu tragen haben, nämlich dann, wenn jemand pflegebedürftig wird, nimmt der Staat ihnen das gesamte Erbe weg. Die zu Pflegenden verlieren ihr gesamtes Hab und Gut. Diesbezüglich braucht es auch eine andere Diskussion.

Wir sollten uns auch mit folgender Frage auseinandersetzen: Schaffen wir eine jähr­liche Erhöhung des Pflegegeldes? – Es ist notwendig, den Menschen Hilfe zu ermöglichen, ein selbstbestimmtes Leben und ein bedürfnisorientiertes Leben zu füh­ren. Wenn man bedenkt, dass das Pflegegeld Menschen ein längeres Leben zu Hause ermöglicht, so stellt sich die Frage, inwiefern das Pflegegeld nach 24 Jahren mit einem Wertverlust von rund 25 Prozent noch die gesetzlich vorgesehene Funktion erfüllt. Das heißt, es ist wichtig, dass wir zu einer jährlichen Erhöhung des Pflegegeldes kommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zum Abschluss: Der Sozialstaat in Österreich hat eine Verpflichtung und einen Anspruch an sich. Da gilt es, für Pflegebedürftige und Angehörige ein umfassendes – ich sage es ganz bewusst –, solidarisch finanziertes System zur Verfügung zu stellen, denn das ist das, was den Pflegenden und uns auch die Sicherheit gibt, dass wir dann, wenn wir einmal Pflege brauchen, auf ein System zurückgreifen können, das uns auch nützt.

Ich möchte diese Enquete nützen, mich bei allen Menschen, die in der Pflege arbeiten, die mit Pflege beruflich oder familiär zu tun haben, zu bedanken. Sie leisten da ganz besondere Arbeit und sind eine der Benchmarks Österreichs in der Welt. Sie zeigen nämlich, dass wir eine solidarische Gesellschaft sind, dass wir auch auf die älteren, auf die pflegebedürften Menschen achten und dass wir einen Sozialstaat haben, der das System insgesamt trägt. Wir sollten diese Enquete auch dazu nützen, dieses System weiterzuentwickeln und die gesellschaftliche Erkenntnis zu stärken, dass nur ein solidarisches System den Menschen letztendlich Sicherheit gibt. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

10.19


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für die Ausführungen, Herr Bundesminister.

Ich bitte nun Herrn Bundesminister Dr. Schelling um sein Einleitungsreferat. – Bitte, Herr Bundesminister.

 


10.20.14

Bundesminister für Finanzen Dr. Johann Georg Schelling|: Frau Präsidentin! Auch von mir ein herzliches Dankeschön für die Ausrichtung dieser Enquete! Die Pflege ist, denke ich, ein Thema, mit dem wir uns in der Zukunft aus verschiedensten Gründen etwas intensiver, möglichst auch ideologiefrei, auseinandersetzen sollten. Am Ende des Tages muss ein System auch finanzierbar bleiben.

Wenn wir uns die demografische Entwicklung anschauen, dann wissen wir, dass die Frage nicht lautet, mit wie viel Prozent des BIPs wir agieren. Man stelle sich einmal vor, das BIP sinkt. Was ist dann? – Diese Situation hatten wir ja schon. Das heißt, wir müssen die Mittel in cash zur Verfügung stellen können. Cash bedeutet, dass alle, die in der Pflege tätig sind – bei denen ich mich gleich zu Beginn herzlich bedanke! –, und auch die zu Pflegenden entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt bekommen. Daher denke ich, dass es wichtig ist, dass wir uns die Zukunftsorientierung anschauen: Wie kann man das System langfristig bei der zu erwartenden Entwicklung gut erhalten und weiterentwickeln?

Im Rahmen des Finanzausgleichs haben wir die Laufzeit des Pflegefonds verlängert. Wir haben im Rahmen des Finanzausgleichs auch die Steigerungsraten im Pflege­fonds relativ hoch angesetzt. Wir gehen davon aus, dass wir da bis 2021 kein wirk­liches Problem bekommen. Darüber hinausgehend muss man aber diese Diskussion führen. Ich meine, es ist gut, dass man die Diskussion rechtzeitig führt und nicht dann, wenn es brennt. – Das ist ein Punkt, der ganz entscheidend ist: Wie kommen wir hier voran?

Der zweite Punkt, der in Österreich natürlich immer eine Rolle spielt, ist die Frage der Kompetenzen. Diese sind ja in Österreich bekanntlich immer ein Problem. Allein die Tatsache, dass man Artikel-15a-Vereinbarungen braucht, deutet ja auf dieses Kompe­tenz­problem hin. Wir haben auch im Rahmen des Finanzausgleichs sehr klar fest­ge­stellt, dass es gerade in diesen Bereichen immer wieder Schnittstellen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden gibt und dass man manche Dinge neu definieren muss.

Neu definieren muss man die Frage: Was ist Betreuung und was ist Pflege? – Das sind zwei unterschiedliche Zugänge, die man einmal offen diskutieren muss. Es ist ja vielen Menschen wichtig, dass sie zu Hause betreut werden können – sie brauchen Betreu­ung, sind aber noch keine wirklichen Pflegefälle. Auch diese Frage muss diskutiert werden. Daher haben wir uns dazu entschieden, den Finanzausgleich so zu gestalten, dass die Verpflichtung des Bundes weiterhin aufrechtbleibt.

Natürlich wollen wir im System mehr Transparenz. Wir wollen einen Abbau der Büro­kratie, das ist schon kurz angesprochen worden. Wir haben die Themenbereiche Palliativ- und Hospizversorgung insofern gelöst, als die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern und der Sozialversicherung übereingekommen ist, dass wir eine Drittel­finanzierung sicherstellen. Ich glaube, dass das auch ein wichtiges Signal ist. Ich erinnere daran, dass das, als ich Präsident des Hauptverbandes der Sozialver­siche­rungsträger war, immer ein Thema auf der Tagesordnung war, es aber nie möglich war, das Problem zu lösen. Jetzt haben wir es gelöst. Vielleicht war es auch hilfreich, dass der Standort gewechselt worden ist und dadurch mit Wissen von beiden Seiten diese Position bezogen werden konnte. Ich danke auch den Ländern dafür, dass sie bereit sind, diesen Finanzierungsanteil zu übernehmen.

Des Weiteren ist es so, dass wir uns natürlich sehr genau angeschaut haben, wie die demografische Entwicklung sein wird. Wir sind immer noch in einer Phase, in der die Menschen älter werden. Es wird zwar klarerweise irgendwann ein Limit geben, was immer die Wissenschaft heute sagt, mag vielleicht so nicht eintreten. Ein Ansteigen des Alters ist noch immer vorhanden, und zwar jährlich. Es ist daher einfach logisch, davon auszugehen, dass durch die Altersprozesse und auch durch die Krankheits­bilder, die weitestgehend erst im Alter entstehen, der Betroffenenkreis der zu Pflegen­den einfach größer wird, und damit steht auch die Frage der Finanzierbarkeit klar im Raum.

Ein Punkt, der mir wichtig ist, um ihn nicht aus den Augen zu verlieren, ist, dass wir – das gilt übrigens auch im gesamten Bereich der Krankenversicherungen – eine deut­lich bessere Vernetzung zwischen stationärem und ambulantem Angebot brauchen. Wir planen derzeit ja ziemlich getrennt, und das ist übrigens auch bei der Gesund­heitsversorgung so. Für das eine ist die Sozialversicherung zuständig, für das andere sind die Länder zuständig. Ich glaube, wir müssen den Sprung wagen, zu fragen: Wie bündeln wir die Angebotsstruktur, damit sie für die Menschen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sie brauchen, auch nutzbar ist?

Ich glaube, von der Prognose her sagen zu können, dass der stationäre Bereich durch die Entwicklung des Alterungsprozesses und durch Krankheitsbilder, bei denen eine häusliche Pflege nur noch ganz schwer möglich ist, zunehmen wird. Daher müssen wir darauf vorbereitet sein, ob diese Thesen valide sind oder ob wir den anderen Weg gehen. Das kann man aber nur entscheiden, wenn man beides gemeinsam plant, sonst wird es eben nicht funktionieren.

Wir haben veränderte Situationen im Bereich der Familien, es gibt viele alleinstehende Personen. Das heißt, wir brauchen da völlig kreative Ansätze. In den skandinavischen Ländern gibt es bereits Modelle, WGs aus älteren Menschen und Studenten und Studentinnen zu gründen. Ich halte das für einen durchaus kreativen Zugang. Es wird nur ein Teil des Problems damit lösbar sein. Ich denke, wenn man 100 Prozent des Problems lösen will, dann braucht man eine Summe von kreativen Ansätzen innerhalb des Systems.

Die Entwicklung der Schweregrade wird eher etwas ansteigen. Möglicherweise sind Krankheitsbilder, die wir heute kennen und die von einem hohen Schweregrad betrof­fen sind, in Zukunft heilbar. Die Vorhersage der Medizin ist aber, dass dann andere Krankheitsbilder entstehen, die wiederum nicht heilbar sind. Wir dürfen also nicht darauf spekulieren und sagen: Irgendwann sterben wir alle wahnsinnig gesund. Es wird – im Gegenteil! – diese Krankheitsbilder geben, möglicherweise zwar in veränder­ter Form, weil auch der medizinische Fortschritt eine Rolle spielt, aber es wird sie geben.

Die möglichen Varianten für die Pflege von Angehörigen oder generell für Menschen in Betreuung und Pflege sind sehr breit gefächert. Ich denke, wir sollten diese Breite akzeptieren und auch in dieser Breite diskutieren. Das Spektrum reicht vom Pflege­heim über ambulante Betreuung bis hin zu Betreutem Wohnen und neuen Formen der Pflege. Das scheint mir sehr wichtig zu sein, weil es unterschiedliche Lebens­situ­atio­nen gibt, und wir sollten für die Menschen auch die Möglichkeit schaffen, sich zu entscheiden, in welchem System sie betreut werden wollen. Daher sollte man die Möglichkeiten der Betreuung nicht einengen, sondern eher kreativ öffnen.

Wenn man sich die europäische Situation anschaut, so zeigt sich, es gibt ganz unter­schiedliche Modelle, wie das geregelt ist. Das Spektrum geht von steuerfinanziert bis zu Pflichtversicherung, von Versicherungspflicht bis zu Mischsystemen. Es ist also ziemlich unterschiedlich strukturiert. In Wirklichkeit haben aber natürlich alle dasselbe Problem.

Ich möchte zur Erweiterung auf noch ein Problem bei der Frage der Perspektive hinweisen, nämlich auf die Vernetzungsproblematik und die Schnittstellenproblematik zwischen Pflege und Krankheit. Viele zu pflegende Menschen müssen schlussendlich auch stationär im Krankenhaus betreut werden. Aufgrund dieser Schnittstelle haben sich natürlich viele Länder dazu entschlossen, Krankheit und Pflege gemeinsam zu betrachten – auch in der Finanzierung. In Österreich hat man auch diskutiert, ob man das über die Krankenversicherung steuern sollte. Das Problem dabei sind die Lohn­nebenkostendiskussionen, die wir haben, die dort entsprechend angesetzt werden.

Wir haben während meiner Zeit im Hauptverband der Sozialversicherungsträger einmal eine Studie durchgeführt, die die Kosten im Krankenversicherungsbereich, die unmit­telbar aus der Pflege kommen, weil einfach jemand für eine bestimmte Zeit im Kran­ken­haus unterzubringen ist, aufzeigt. Man hat diese Kosten damals auf circa 300 Mil­lionen € geschätzt. Das ist ein beträchtlicher Betrag. Aus diesem Grund bitte ich, bei dieser Enquete auch zu berücksichtigen, dass es in Anbetracht der demografischen Entwicklung, der älter werdenden Bevölkerung, zwischen Krankheit und Pflege auch eine Nahtstelle und nicht nur eine Schnittstelle geben muss.

In Hinblick darauf, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt, würde ich vorschlagen, im Rahmen einer solchen Enquete die Varianten möglichst breit und offen zu diskutieren. Niemand wird jetzt genau sagen können, was am Schluss die Lösung ist. Ich glaube, ich habe schon ein kleines Spektrum aufgezeigt.

Ich möchte noch einmal darauf zurückkommen: Die Breite geht von Steuern über Versicherungen bis hin zu dem, was wir Versicherungspflicht nennen. Der Unterschied zwischen Pflichtversicherung und Versicherungspflicht wird immer schwer verstanden: Die Pflichtversicherung im Bereich Gesundheit ist klar, wir haben eine gesetzlich normierte Pflichtversicherung, die genaue Zuordnungen hat, Leistungen dahinter und so weiter. Wenn Sie ein Auto in Betrieb nehmen, müssen Sie auch zwingend eine Pflicht erfüllen, aber Sie können sich eine Versicherung aussuchen, mit der Sie Ihre Haftpflicht abdecken.

Diese Bandbreite ist also gegeben, wenn man sich den europäischen Rahmen anschaut. Es kann auch Mischsysteme geben. Man sollte in einer solchen Enquete immer wieder zum Ausdruck bringen, dass wir den Versuch unternehmen, kreative Lösungen zu entwickeln, die langfristig halten, und nicht eindimensional sagen: Das ist der einzig mögliche Weg! Ich denke, die Herausforderungen sind enorm, und deshalb brauchen wir auch diese Kreativität.

Warum sind diese Enquete und die daraus resultierenden Diskussionen, die sich ja hinziehen werden, so wichtig? – Wir werden ja nicht heute zu einem endgültigen Resultat kommen, es wird einen weiteren Diskussionsprozess benötigen, der hoffent­lich durch diese Enquete auch in breitem Rahmen stattfinden wird. Wir brauchen die Entscheidungen für die Finanzierung im Bereich Pflege in etwa ab dem Jahr 2020, weil wir bis 2021 den Pflegefonds sichergestellt haben.

Es ist auch ein österreichisches Spezifikum, dass wir in vielen Bereichen diese Mischsysteme haben. Beispiel Krankenversicherung: Da haben wir den Sozialver­sicherungsbeitrag, sprich Krankenversicherungsbeitrag, und einen sehr, sehr hohen Bundesanteil aus Steuermitteln in der Krankenanstaltenfinanzierung. Bei den Kran­kenanstalten fallen pro Jahr etwa 11 Milliarden € an Kosten an, davon werden etwa 5,5 Millionen € aus Steuern und in etwa – sehr vereinfacht gerechnet – 4,5 Milliarden € aus den Sozialversicherungen finanziert. Auch darüber brauchen wir eine offene Diskussion: Machen solche Mischsysteme Sinn? Was sind die Auswirkungen dieser Mischsysteme?

Daher ist mein Appell an diese Enquete, dass wir uns möglichst offen und in aller Breite die Modelle anschauen, dass wir den Weg beschreiten und sagen: Seien wir so offen, evaluieren wir einmal alle Modelle und schauen wir, was für die Zukunft das Beste sein könnte! Es geht ja nicht darum, ob wir in der Vergangenheit gut waren, sondern es geht um die Frage, ob wir die Zukunft sichern können.

In der Diskussion ist auch zu überprüfen, durch welches Modell welcher Effekt entstehen würde, durch welche Modelle welche Einnahmenstruktur entstehen würde. Daran sieht man sehr deutlich, dass wir vermutlich etwas kreativer an die Sache herangehen werden müssen.

Wenn wir dieses Pflegethema ernst nehmen, wird es auch darum gehen, sich auch die Prognosen sehr genau anzuschauen, auch die Prognosen der Gesundheitsverläufe, und dann zu entscheiden: Wo muss was geschehen? Das ist die eigentliche Heraus­forderung, also nicht eindimensional zu denken und zu sagen: Hier ist das Problem, da ist die Lösung. Es gibt viele Lösungen für das Problem, und ich glaube, wir sollten so offen sein, diese anzudenken, die Modelle zu untersuchen, die Berechnungsbasen herzustellen und dann darüber zu diskutieren, was ein Folgemodell nach dem Finanz­ausgleich 2021 sein könnte, wenn der Pflegefonds nicht mehr existiert oder in einer anderen Form wieder aufbereitet wird. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

10.32


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Herr Minister, für die Ausführungen.

Ich darf nun Frau Bundesministerin Dr. Rendi-Wagner das Wort erteilen. – Bitte, Frau Ministerin.

 


10.33.08

Bundesministerin für Gesundheit und Frauen Dr. Pamela Rendi-Wagner, MSc|: Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat, sehr geehrte Bundes­rätinnen und Bundesräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin zwar erst seit vier Wochen – heute sind es genau vier Wochen – im Amt, aber eines ist mir auch schon klar: Es gibt kaum eine politische Zielsetzung, die so eine breite Unterstützung hat wie das Thema der heutigen Enquete. Das ist eingangs die wirklich gute Nachricht des Tages.

Es freut mich umso mehr, dass diese Enquete zu diesem wichtigen Thema von Ihnen ins Leben gerufen wurde, weil sie vor allem verdeutlicht, dass wir dieses Thema nur gemeinsam, nur in einer gemeinsamen Anstrengung, vorantreiben können, bearbeiten können, und dass wir dieses gemeinsame Ziel, das diese Enquete in den Mittelpunkt stellt, erreichen können. Allein die Zahl der heutigen Teilnehmer in diesem Saal – vor allem die Teilnehmer aus den verschiedensten Bereichen, seien es NGO-Träger der verschiedensten Pflegeinstitutionen oder Berufsvertretungen – zeigt mir, dass wir auch mit einer breiten Unterstützung zu rechnen haben und dass Sie alle dazu bereit sind, gemeinsam mit uns diesen Weg zu gehen, um dieses Ziel gemeinsam zu erreichen.

Ich möchte kurz auf mein Ressort und meine Zuständigkeit eingehen: Was konnten wir beitragen und was werden wir auch in Zukunft in diesem Bereich beitragen können, um uns so auszustatten, dass wir dieses Ziel erreichen können? – Wie Sie wissen, haben wir im Sommer 2016 im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen eine wichtige Reform auf den Weg gebracht. Das war die Pflegereform im Rahmen einer Novelle des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes. 

Das war deswegen eine ganz wichtige Reform, weil sie erstens unter langer und intensiver Einbindung von Expertinnen und Experten verhandelt wurde, mit Vertre­terinnen und Vertretern der verschiedensten Berufsgruppen, vor allem natürlich mit Menschen aus dem Pflegebereich und den betroffenen Stakeholdern und Institu­tio­nen. – Das war das eine.

Es musste auch die eine oder andere härtere Verhandlung geführt werden, aber das ist so, wenn man sich auf etwas Gemeinsames einigen muss, wo es verschiedene Inter­essenlagen oder Zugänge gibt. Man hat natürlich nicht gezögert, diese Verhandlungen zu führen. Ich denke, das Ergebnis ist wirklich ein sichtbares und brauchbares für die Zukunft der Pflege in diesem Land.

Was war das Ziel dieser harten Verhandlungen und dieser Reform? – Das wesentliche Ziel war, die Qualität der Ausbildung in der Pflege signifikant zu verbessern, und zwar so zu verbessern, dass alle damit gut leben können. Sie sollen dadurch so mit Werkzeugen ausgestattet werden, dass sie zukunftsfit sind. Mit einer Steigerung der Qualität ist meist auch eine Attraktivierung des Berufsbildes verbunden. Ich glaube, das ist ganz wesentlich, wir müssen die Attraktivierung des Berufsstandes in den Mittelpunkt stellen. Das haben wir bei dieser Reform getan und meines Erachtens auch erreicht.

Mit dieser Novelle, mit dieser Reform ist es uns meines Erachtens auch gelungen, dem schon jetzt bestehenden und zukünftig sicher noch breiter werdenden Spektrum an Pflege gerecht zu werden. Das Versorgungsspektrum, das es zu betrachten gibt, ist ja viel vielfältiger geworden, als es in der Vergangenheit war, mit dem ambulanten und stationären Bereich, dem häuslichen Bereich und vielem mehr. Es ist ganz wichtig, dass wir mit dieser Reform aus meiner Sicht wichtige Grundvoraussetzungen geschaf­fen und wichtige Schritte gesetzt haben, damit wir die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam meistern können.

Ganz kurz zu den Inhalten dieser Novelle: Im Wesentlichen wurde eine Dreiteilung der Pflegeberufe geschaffen. Wie viele von Ihnen wissen, gibt es den gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege und zusätzlich zwei Assistenzberufe in diesem Bereich. In der Vergangenheit hatten wir nur eine Zweiteilung, jetzt haben wir mit dieser Ausbildungsreform eine Dreiteilung geschaffen. Wir denken, dass diese Drei­teilung notwendig war, weil wir eben dieses breite Spektrum an unterschiedlichen Pflegesettings haben. Durch die Reform haben wir viel flexiblere Möglichkeiten des Einsatzes dieser drei unterschiedlichen Pflegeberufe in den verschiedenen Settings.

Eines möchte ich, wenn es um Settings geht, nicht unerwähnt lassen: Im Bereich der Gesundheitspolitik sind wir gerade in Umsetzung der Primärversorgung Neu. Die Pflege wird eine ganz wichtige Säule im Rahmen der Primärversorgung sein, natürlich gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen. Die Pflege ist aber aus meiner Sicht eine der wesentlichen und tragenden Säulen der Primärversorgung Neu, die wir in den nächsten Jahren gemeinsam mit den Ländern und der Sozialversicherung österreich­weit umsetzen werden.

Ein wesentliches Plus, das diese Reform auch mit sich bringt, ist die Durchlässigkeit, die jetzt gegeben ist – Durchlässigkeit insofern, als es leichter möglich ist, sich Teile der Ausbildung, wenn man mit der Pflegeassistenz beginnt, für die Pflegefach­assis­tenzausbildung und den gehobenen Dienst anrechnen zu lassen. Das heißt, es ist viel leichter möglich, innerhalb des Berufsstandes aufzusteigen. Ich denke, auch diese Flexibilisierung ist ein wesentliches Pro, eine Weiterentwicklung im Bereich der Ausbildung und hinsichtlich der Zukunftsfitness des Berufsstandes.

Wie Sie wissen, ist ein wesentlicher Teil der Reform auch, dass wir umgesetzt haben, dass ab dem Jahr 2024 der gehobene Dienst ausschließlich an Fachhochschulen ausgebildet wird; Stichwort: Akademisierung der Pflege. Aus meinem Blickwinkel ist das ein ganz, ganz wichtiger Schritt, der da gesetzt worden ist. Diese Akademisierung heißt auch Professionalisierung und heißt natürlich auch größere Wertschätzung, Sichtbarkeit und Bedeutung der Pflege in unserer Gesellschaft, und ich glaube, das ist auch ein sehr wichtiger Teil, den wir in diesem Zusammenhang, wenn es um die Bedeutung der Pflege in diesem Land geht, ansprechen müssen.

Aber es ist mir auch wichtig, dass ich heute nicht nur als Gesundheitsministerin, sondern auch als Frauenministerin zu Ihnen spreche, denn auch als Frauenministerin sehe ich deutliche Vorteile, die diese Ausbildungsreform für die Frauen, die in der Pflege tätig sind, mit sich bringt. Wie Sie wissen, ist die Pflege eher weiblich geprägt; zumindest wenn man die Köpfe zählt, ist das so. Je höher man – und das ist im Berufsstand der Pflege nicht anders als in anderen Berufen – in der Hierarchieebene allerdings hinaufgeht, desto höher ist der Anteil an Männern. Welch Überraschung?! Wir sehen das in fast oder, ich glaube, in fast allen Gesundheitsberufen, auch in dem wirklich sehr weiblich geprägten Pflegeberuf.

Genau dieses Plus, nämlich die Durchgängigkeit der Ausbildung, die wir im Jahr 2016 geschaffen haben, ermöglicht es Frauen vermehrt, innerhalb ihres Berufsstandes leichter aufzusteigen, sich leichter weiterzuentwickeln. Darauf bin ich wirklich stolz, dass wir für die Zukunft diese leichteren Aufstiegsmöglichkeiten vor allem für die vielen Frauen, die hier sehr oft in der Assistenz beginnen, geschaffen haben. Das ist aus meiner Sicht ein wichtiger richtiger Schritt auch betreffend Empowerment der Frauen, die im Bereich der Pflege zuständig sind, und für mich als Frauenministerin ein ganz wesentlicher Punkt, was das betrifft. (Beifall.)

Das heißt nicht, dass wir die Männer in der Pflege nicht genauso schätzen, das soll also keine Bewertung sein, aber es ist so, dass wir Frauen ganz wesentliche Unter­stützung gebraucht haben, die in der Vergangenheit nicht da war, dass Aufstiegs­chancen nicht gegeben waren.

Ein wesentlicher Punkt ist auch zentral für mich: dass wir heute und in Zukunft noch mehr darauf achten – die Zukunftsfitness ist davon abhängig –, dass wir alle fähig sind, im Teamwork zu arbeiten, fähig, Interprofessionalität und Interdisziplinarität zwischen den einzelnen Gesundheitsberufen, aber auch in anderen Disziplinen im täglichen Berufsalltag an den Tag zu legen. Das wird auch ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Bewältigung der zukünftigen Aufgaben sein.

Stichwort Primärversorgung Neu: Ohne Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen – Pflege, Ärzte und viele andere Gesundheits­berufe, die natürlich mit an Bord sind – wird es nicht gehen. Die Bereitschaft ist da, das nehme ich in bilateralen Gesprächen immer wahr, und ich setze darauf, dass wir das künftig auch strukturell und im System werden umsetzen, und zwar erfolgreich um­setzen können.

Sie wissen – vieles wurde von meinen Vorrednern dazu auch schon gesagt –, Gesund­heits- und Krankenpflegeberufe bilden die größte Berufsgruppe innerhalb des Gesund­heits­versorgungssystems und sind meiner Meinung nach eine der wichtigsten Säulen unseres Gesundheitsversorgungssystems. Diese Anerkennung gebührt ihnen auf jeden Fall. Ich glaube, auch die Schritte, die wir im Bereich der Ausbildung zur Aufwer­tung und Attraktivierung dieses Berufsstandes gesetzt haben, tragen dem wesentlich Rechnung. Die Angehörigen dieses Berufsstandes leisten alle jeden Tag hervorra­gende Arbeit an Patientinnen und Patienten, die nicht nur körperlich sehr anstrengend ist, sondern natürlich auch psychisch eine große Herausforderung für jeden einzelnen Tätigen im Bereich der Pflege darstellt, was eine gute Ausbildung erfordert.

Auch zum Thema demografische Entwicklung wurde schon viel gesagt. Es besteht kein Zweifel, wir haben einen stetigen Zuwachs bei der absoluten Lebenserwartung. Wir freuen uns immer wieder über diese Statistiken, aber eine nicht so erfreuliche Nachricht ist, dass sich die gesunde Lebenserwartung, das heißt, die Zeit, die wir ohne Krankheit im Leben verbringen, nicht gleichsam entwickelt. Wenn die absolute Lebenserwartung steigt, die andere aber nicht gleichermaßen steigt, so heißt das, dass wir auch immer mehr Jahre in Pflegebedürftigkeit und Krankheit verbringen. Genau das ist die Schere, die da aufgeht und die es aus finanzieller Natur zu bewältigen gilt. Das ist das, was gerade angesprochen worden ist.

Ich darf ganz kurz darauf eingehen, was Minister Schelling gesagt hat, nämlich auf die Prognose, die er daraus schließt: dass wir die Pflege vermehrt im stationären Bereich ansiedeln werden. Das sehe ich nicht ganz so, denn ich möchte einen Aspekt auch nicht ganz außer Acht lassen: den Aspekt der Prävention und Gesundheitsförderung. Auch da kommt der Pflege und dem Pflegeberuf in Zukunft, glaube ich, eine wesent­liche beziehungsweise mehr Bedeutung zu. Wenn wir Gesundheitsförderung und Prävention, und zwar nicht nur bei gesunden, sondern auch bei kranken Men­schen, gezielt einsetzen, dann wird es uns gelingen, dass wir Menschen länger in Selb­ständigkeit halten und sie davor bewahren, in den stationären Bereich wechseln zu müssen.

Ich glaube, es muss unser Ziel sein, dass wir eine veränderte Demografie oder ein verändertes Krankheitsspektrum nicht gleich mit mehr stationärem Bereich verbinden. Da gibt es viele Schrauben, an denen es zu drehen gilt, und eine davon heißt gezielte Prävention und Gesundheitsförderung, und die gilt es, auch im Pflegebereich – aber nicht nur dort, das ist eine multiprofessionelle Aufgabe – anzusiedeln.

Nach all dem Gesagten möchte ich mich abschließend noch einmal dafür bedanken, dass Sie, Frau Präsidentin Ledl-Rossmann, dieses wichtige Thema zum Anlass für die Abhaltung dieser Enquete genommen haben, dass Sie es zum Schwerpunkt Ihrer Präsidentschaft gemacht haben. Ich meine, es gibt im Bereich der Versorgung momen­tan sicher kein spannenderes und dringlicheres Thema, das es zu bearbeiten, zu diskutieren und gemeinsam voranzutreiben gilt. Ich denke, gemeinsam und vereint kann es uns gelingen, in Zukunft noch vieles voranzutreiben. – Vielen Dank. (Beifall.)

10.46


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Frau Bundesminis­terin, für Ihre Ausführungen.

Nächster Referent: Herr Landesrat Dr. Tilg. – Bitte.

 


10.46.59

Dipl.-Ing. Dr. Bernhard Tilg (Landesrat für Gesundheit, Heimgesetz, Universitäts­angelegenheiten, Tirol)|: Geschätzte Frau Bundesratspräsidentin! Geschätzte Frau Minis­terin! Geschätzte Herren Minister! Geschätzte Damen und Herren! Zunächst sage ich herzlichen Dank dafür, dass ich als Ländervertreter hier ein Kurzreferat zum Thema Pflege halten darf. Ich möchte mich zuerst einmal bei allen in der Pflege Beschäftigten in Österreich, bei allen Angehörigen, bei allen Selbsthilfeorganisationen für das, was sie tagtäglich tun, sehr herzlich bedanken. Pflege – und auch ein Danke dafür, dass sich der Bundesrat im Rahmen dieser Enquete mit diesem Thema beschäftigt – ist ein sehr wichtiges Thema für viele Familien in Österreich und wird es irgendwann für jede Familie in Österreich sein. Es ist daher schön, zu sehen, dass diesem Thema auch in der Gesellschaft eine wichtige Rolle zuerkannt wird, was, wie ich denke, diese Enquete heute auch bekräftigt.

Ich darf in meinem Bundesland für Pflege, Gesundheit, Wissenschaft und Forschung tätig sein und möchte meine Schilderungen vielleicht auch aus dieser integrativen Sicht heraus darstellen.

Zur demografischen Entwicklung ist ja von meinen Vorrednern schon einiges erwähnt worden. Ich denke, zusätzlich zu dieser demografischen Entwicklung zu erwähnen ist die gesellschaftliche Entwicklung. Berücksichtigt man, dass aktuell bereits rund 500 000 der 1,5 Millionen Personen in Österreich über 65 Jahre oft bedingt durch Tren­nung oder Tod des Partners allein in einem Privathaushalt leben, ist zu sagen, mit dem Zuwachs dieser Altersgruppe wird eine Zunahme der Einpersonenhaushalte in Österreich evident, und diese Entwicklung ist bereits heute erkennbar. Die Zahl der Einpersonen- beziehungsweise Singlehaushalte ist von circa 780 000 im Jahr 1986 auf rund 1,5 Millionen im Jahr 2016 angestiegen. Der Anteil der Alleinlebenden an der Bevölkerung in Privathaushalten erhöhte sich in diesem Zeitraum von 10 Prozent auf 17 Prozent. Das bedeutet, dass die Zahl der von Angehörigen gepflegten Personen in Zukunft niedriger werden wird, weshalb Pflegeleistungen vermehrt auch von externen Personen werden erbracht werden müssen.

In ländlichen Randgebieten findet bereits heute eine Absiedelung von Personen im Erwerbsalter statt. Sogar in bekannten, auch Tiroler Tourismusregionen kann dies be­ob­achtet werden, und auch in anderen Regionen im Alpenraum, beispielsweise in der Lombardei oder in der Schweiz, kann diese Entwicklung festgestellt werden. Es wird deshalb ein Bündel an Maßnahmen im Bereich Bildung, Wirtschaft, Gesundheit und Pflege brauchen, um diesem Trend energisch entgegenzutreten.

Mit einer höheren Lebenserwartung treten unabdingbar vermehrt chronische Erkran­kungen auf, begleitet von einem Anstieg der Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit im hohen Alter. Diese Entwicklung ist vor allem am signifikanten Anstieg der demenz­erkrankten Personen sichtbar. Laut Schätzungen beträgt der Anteil dieser Personen­gruppe derzeit etwa 1,45 Prozent der Gesamtbevölkerung in Österreich.

Diese neuen Herausforderungen für die Pflegelandschaft lassen sich nur im Zusam­menwirken unterschiedlicher Maßnahmen bewältigen. Die Umsetzung von soge­nannten integrierten Versorgungskonzepten im Bereich Gesundheit und Pflege ist unabdingbar.

Durch das Pflegefondsgesetz werden die Länder seit dem Jahr 2011 dazu verpflichtet, Pläne für die Sicherung, den Aufbau und den Ausbau der Pflegemaßnahmen zu erstellen. Um einerseits dem Wunsch der pflegebedürftigen Personen Rechnung zu tragen, so lange wie möglich zu Hause bleiben zu können, andererseits das Pflege­system durch Entlastung der stationären Pflege finanzierbar zu halten, ist die nicht­stationäre Versorgung vorrangig auszubauen. Die Planungsstrategie „ambulant vor stationär“ wurde beispielsweise in unserem Bundesland Tirol durch den Strukturplan Pflege 2012–2022 umgesetzt. Auch durch die Novellierung des Pflegefondsgesetzes wird diese Zielsetzung zum Einsatz der Pflegefondsmittel vorangetrieben.

Die Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung wird im ländlichen Raum durch die zunehmende Überalterung als Folge des demografischen und gesellschaftlichen Wan­dels insbesondere in Randlagen zu einer Aufgabe für die nächsten Jahrzehnte. Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung in Gemeinden wird immer schwieriger. Die Verschränkung der ärztlichen Versorgung mit jener der Therapeuten und mit dem Pflegebereich im extramuralen Bereich gewinnt deshalb besonders an Bedeutung. Die geplanten Primärversorgungseinheiten werden deshalb bereits in naher Zukunft eine wesentliche Bedeutung in Bezug auf Versorgungsangebote bekommen müssen. Der Ausbau des Angebotes an mobilen Pflegeleistungen sowie die 24-Stunden-Betreuung werden ebenso voranzutreiben sein. Vor allem die Kurzzeitpflege und die Tagespflege stellen neben der mobilen Pflege bedeutende Möglichkeiten für die Entlastung der pflegenden Angehörigen dar. Sie sollen daher in den nächsten Jahren vermehrt aus­gebaut werden.

Vor allem für Personen mit geringem oder nur fallweise auftretendem Pflege- und Betreuungsbedarf stellt das Versorgungsangebot des Betreuten Wohnens eine wohn­ortnahe Möglichkeit dar, frühzeitig Pflege und Betreuung in Anspruch zu nehmen, ohne an Selbständigkeit zu verlieren. Wenn ausreichend adäquate Alternativangebote zur Verfügung stehen, kann bei beginnender Hilfs- und Pflegebedürftigkeit der vollstatio­näre Aufenthalt in einem Pflegeheim oftmals vermieden werden. Sowohl aus der Sicht des Pflege- und Betreuungsbedürftigen als auch aus der Sicht der öffentlichen Hand stellt beispielsweise Betreutes Wohnen ein einfach zu realisierendes und finanziell leistbares Leistungsangebot dar.

Die 24-Stunden-Betreuung bildet aktuell eine sehr wichtige Säule zur Unterstützung von pflege- und betreuungsbedürftigen Personen. Aufgrund der Vielzahl von Anbietern und Vermittlungsorganisationen ist es für Betroffene und deren Angehörige aber häufig sehr schwierig, eine geeignete Betreuungsperson zu finden und auszuwählen. Als Hilfestellung bei der Auswahl oder zur Information der Betroffenen sollten deshalb zentrale Anlaufstellen in jedem Bezirk installiert werden.

Darüber hinaus bestehen enorme Qualitätsunterschiede bei den Personen­betreuerIn­nen und Vermittlungsorganisationen. Mit der Verordnung über Standes- und Aus­übungs­regeln für Leistungen der Personenbetreuung wurde bereits ein Schritt in die richtige Richtung gemacht. Es erfordert jedoch weitere begleitende, qualitätssichernde Maßnahmen für die 24-Stunden-Betreuung, um auch eine bessere Zusammenarbeit mit mobilen Pflege- und Betreuungsorganisationen zu ermöglichen.

Die Vernetzung der Gesundheits- und Pflegeversorgungsangebote stellt neben der Weiterentwicklung der systemischen Neuausrichtung des Pflegeangebotes in den nächsten Jahren einen wichtigen Faktor für die Verbesserung der Pflegeversorgungs- und der Gesundheitsversorgungslandschaft dar.

Der Ausbau der abgestuften palliativen Hospizversorgung für Erwachsene und für Kinder und Jugendliche wurde dankenswerterweise über zusätzliche Mittel des Bundes, der Länder und der Sozialversicherungen für die nächsten fünf Jahre unterstützt.

Die für Österreich entwickelte Demenzstrategie „Gut leben mit Demenz“ bildet einen Rahmen von Wirkungszielen, deren Erreichen die Lebenssituation von Menschen mit Demenz verbessern wird. Die Länder nehmen die Umsetzung der aus der Demenz­strategie abgeleiteten Wirkungsziele bereits in Angriff. Der Umsetzungsprozess wird uns noch in den nächsten Jahren begleiten und auch weitreichende Anstrengungen der Länder erfordern.

Die Behandlung von chronischen Erkrankungen erfordert zielgerichtetes und abge­stimmtes Vorgehen. Nicht nur durch ein optimales Ineinandergreifen von Maßnahmen und das gute Zusammenwirken von Medizin und Pflege können Patienten bestmöglich versorgt werden, Chronic-Disease-Management-Programme liefern den Leitfaden, der mit professionell eingerichteten Behandlungspfaden, wie dem des Behandlungspfades Schlaganfall, umgesetzt wird. Sie bilden wichtige Pfeiler für eine zukunftsweisende Pflege.

Die schrittweise Umsetzung und Etablierung von Primärversorgungseinheiten wird künftig die stationäre Gesundheits- und Pflegeversorgung wesentlich entlasten und den Auswirkungen der Pensionierungswelle von AllgemeinmedizinerInnen entgegen­wirken. Für dieses Konzept bedarf es jedoch einer verbindlichen Zusammenarbeit der medizinischen Berufe mit anderen Akteuren wie etwa den Gesundheits- und Sozial­sprengeln und den Pflegeberufen und Therapeuten.

Auch der Einsatz neuer Technologie wie die in Österreich in Umsetzung befindliche Elektronische Gesundheitsakte zur Unterstützung von Pflegebedürftigen, Pflegeper­sonal und Angehörigen zu Hause sowie die Kooperation der Gesundheits- und Pflege­einrichtungen werden einen Fokus für die Arbeit der kommenden Jahre bilden. Insbesondere die technische Verschneidung des Gesundheits- und Pflegebereichs wird nicht nur die Arbeit wesentlich erleichtern, sondern vor allem die Patienten­sicher­heit wegweisend erhöhen.

Im Entlassungsmanagement liegt ein entscheidender Schnittpunkt zwischen Medizin und Pflege. Ein genaues und umfangreiches Case and Care Management hilft daher nicht nur, einen nahtlosen Übergang von der medizinischen Versorgung hin in den pflegerischen Bereich zu sichern, sondern sorgt auch für eine bedeutende Entlastung der Angehörigen und der zu pflegenden Personen. Besonders da lassen sich durch Maßnahmen große Wirkungen erzielen.

Nahezu 75 Prozent aller pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen, die soge­nannten PflegegeldbezieherInnen, werden zu Hause gepflegt und betreut. Die Pflege- und Betreuungsarbeit wird dabei zum Großteil von nahen Angehörigen erbracht, wobei diese in rund 50 Prozent der Fälle durch professionelle Pflege- und Betreuungsdienste unterstützt werden. Dieses große Engagement der Angehörigen ist die wichtigste Säule in der regionalen Versorgung pflege- und betreuungsbedürftiger Personen. Ohne diese Leistung der Angehörigen wäre eine flächendeckende Basisversorgung in der Pflege und Betreuung nicht möglich. Der Unterstützung der pflegenden Angehörigen ist daher entsprechendes Augenmerk zu widmen. Mittel dazu wären beispielsweise entsprechende Schulungsangebote, Hilfsmittel und Hilfsdienste, Förderung von Erfah­rungsaustausch, Tagespflege- und Kurzzeitpflegeangebote oder andere tagesstruk­tu­rie­rende Maßnahmen, sozialversicherungsrechtliche Absicherung bis hin zur finan­ziellen Unterstützung.

Das Pflegegeld wurde im Jahr 1993 eingeführt und seither nur in zeitlich großen Abständen geringfügig angepasst. Das Pflegegeld im Jahr 2017 deckt einen wesentlich geringeren Teil der Pflegekosten ab, als dass noch das Pflegegeld im Jahr 1993 tat. Diese Differenzen müssen die betroffenen Menschen sowie die Länder und Gemein­den abdecken. Eine laufende Anpassung des Pflegegeldes an die tatsächliche Kos­tensteigerung in der Pflege wäre daher notwendig und würde auch einen Beitrag dazu leisten, dass die Pflege zu Hause noch besser in Anspruch genommen würde.

Zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen müssen vermehrt sehr ortsnahe niederschwellige Angebote, welche ohne Anmeldung und kostenlos genützt werden können, bereitgestellt werden. Diese Einrichtungen fördern einerseits die Mobilität und die sozialen Kontakte der pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen und bieten andererseits die Möglichkeit, dass pflegende Angehörige auch bei kurzfristiger Notwen­digkeit eine Unterstützung finden. Sinnvoll wäre, wenn diese Einrichtungen auch Beratungen und Hilfestellungen bei Fragen im sozialen und Angebotsbereich anbieten könnten.

Viele, die Hauptpflegeperson entlastende Tätigkeiten wie zum Beispiel Besuchs- und Begleitdienste oder soziale Betreuung können vielfach nicht durch professionelle Pflege- und Betreuungsdienste erbracht oder von der öffentlichen Hand finanziert werden. Ehrenamtliche Tätigkeiten sind daher auch in der häuslichen Pflege ein we­sent­licher Pfeiler zur Absicherung der Pflege- und Betreuungsleistung der Angehö­rigen. Eine Stärkung des Ehrenamtes in diesem Bereich ist daher dringend geboten. Sie kann durch Unterstützung und Förderung von Aktivitäten, welche den Aufbau von ehrenamtlichen Strukturen zum Ziel haben, durch Förderung von Selbsthilfegruppen, aber auch durch wertschätzende Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. – Danke für Ihre Auf­merk­samkeit. (Beifall.)

10.59


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Herr Landesrat, für Ihre Ausführungen.

11.00.00Diskussion

 


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Wir gehen nun in die Diskussion ein. Bevor ich der ersten Rednerin das Wort erteile, weise ich darauf hin, dass die Rede­beiträge die Dauer von 3 bis 4 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig darum, diese Vorgabe einzuhalten.

Bitte geben Sie Ihren Diskussionsbeitrag vom Rednerpult unter Nennung Ihres Na­mens und Ihrer Institution ab.

Zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Anderl. – Bitte.

 


11.00.21

Bundesrätin Renate Anderl (SPÖ, Wien)|: Mein Name ist Renate Anderl, ich bin Bun­desrätin und Vizepräsidentin des ÖGB. Vorweg ein herzliches Danke an unsere Präsidentin für diese Enquete. Das Thema ist nicht nur ein sehr wichtiges, es ist vor allem auch eine Herausforderung für die Zukunft. Es wurde erwähnt, dass Pflege zu zwei Drittel von Frauen übernommen wird. Ich möchte erwähnen, dass, wenn wir an die 24-Stunden-Pflege denken, diese überwiegend – ich glaube, man kann fast sagen zu 100 Prozent – von Frauen übernommen wird.

Die demografische Entwicklung sagt uns, dass wir immer älter werden. Im letzten Impulsreferat ist angesprochen worden, dass es eine sehr hohe Leistung der Ange­hörigen, die pflegen, gibt. Ich frage mich nur, wie die Zukunft gestaltet ist: Wir wissen, dass es sehr häufig nicht mehr möglich ist, dass Kinder und Schwiegerkinder – vor allem Töchter und Schwiegertöchter – Angehörige pflegen können, weil sie selbst einer Berufstätigkeit nachgehen und es immer schwieriger wird, diese Berufstätigkeit aufzu­geben und auf dieses Einkommen, das viele Familien dringend brauchen, zu ver­zichten.

Von Bundesminister Stöger wurde angesprochen, dass es sich die Menschen verdient haben, in Würde alt zu werden. Ich glaube, das ist etwas, das wir auch wollen – dass alle Menschen in Würde alt werden können –, und ja, das ist richtig, es ist eine Herausforderung.

Im Impulsreferat von Bundesminister Schelling sind Versicherungspflicht und Pflicht­versicherung kurz angesprochen worden. Ich wollte dazu nur anmerken, dass es meiner Meinung nach der falsche Weg wäre, Pflege über Versicherungspflicht finanzieren zu wollen oder das überhaupt zu diskutieren. Ich denke, es könnte dann so ausgehen, dass sich Private die Rosinen herauspicken. Die Gefahr ist doch relativ groß, dass diese Versicherung oder diese Art der Pflege nur mehr für junge und gesunde Menschen möglich ist, die sich die Versicherung leisten können.

Für mich ist es eindeutig Aufgabe eines Sozialstaates, die Pflege von älteren Men­schen zu übernehmen; das heißt, wir müssen ganz einfach, wenn wir über Finan­zierung sprechen, die Frage nach der Verteilung der Vermögen in unserem Land stellen – das ist eine sehr wesentliche Frage. Meiner Meinung nach müssten auch alle Regressansprüche aus der Pflege gestrichen werden; es darf nicht immer vom Geld abhängig sein, ob jemand in Würde alt werden oder in Würde gepflegt werden kann.

Ja, Pflege ist weiblich, das wurde von unserer Frauen- und Gesundheitsministerin bereits angesprochen. Manches Mal würde ich mir mehr Männer in dieser Berufs­gruppe wünschen: Wenn beide Geschlechter in einer Berufsgruppe vertreten sind, dann hat diese einen höheren Stellenwert. Wir wissen natürlich aus unseren Erfah­rungen, dass gerade in dieser Berufsgruppe vor allem Frauen wirklich tolle Arbeit leisten. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei all jenen, die diese Arbeit leisten, herzlichst bedanken. Es ist unbedingt notwendig, dass wir gerade im Bereich der Pflege dafür sorgen, mehr finanzielle, aber auch vor allem personelle Ressourcen zu haben. – Danke. (Beifall.)

11.04


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Frau Bundesrätin, auch für die exakte Einhaltung Ihrer Redezeit.

Als Nächste gelangt Frau Hilde Kössler zu Wort. – Bitte.

 


11.04.33

Hilde Kössler, MMSc (Österreichische Palliativgesellschaft)|: Mein Name ist Hilde Kössler, ich komme von der Österreichischen Palliativgesellschaft. In erster Linie stehe ich als Pflegerin und Leiterin eines Mobilen Palliativdienstes vor Ihnen.

Frau Minister, Sie haben die Gesundheits- und Krankenpflegegesetz-Novelle ange­sprochen, die tatsächlich Voraussetzungen geschaffen hat, die große Chancen bieten, vor allem auch für uns in der Hospiz- und Palliativbetreuung und -pflege. Sie birgt aber auch große Gefahren, und zwar dann, wenn sie dazu gebraucht wird, kurzsichtige und billige Lösungen zu erreichen.

80 Prozent von Ihnen werden – zum Glück für Sie – keine spezialisierte Hospiz- und Palliativbetreuung brauchen. Die ist in diesem Gesetz sehr gut weggekommen, das muss ich sagen. Wir haben riesengroße Chancen, sehr gute Umsetzungen zu finden. 80 Prozent von Ihnen werden keine spezialisierte Betreuung brauchen und trotzdem einfühlsam und fachlich korrekt auf ihrem letzten Lebensweg begleitet werden müssen.

In diesem unsäglichen Wirrwarr an Zuständigkeiten, Kompetenzen und Bürokratie­strukturen, die uns täglich entgegenstehen, verschwinden Unsummen. Dadurch, dass nicht reformiert, sondern gestaltet wird – sinnvoll und ohne Tabus, wie Sie gesagt haben –, können kreative Lösungen gesucht werden. Wenn diese Unsummen gehoben werden, werden Sie staunen, wie viele Gelder übrigbleiben, die Sie für die Pflege unserer schwächsten Mitglieder der Gesellschaft einsetzen können und mit denen Sie, bei allem Respekt, auch Wertschätzung den Pflegenden gegenüber – nicht nur im seelischen, sondern auch im finanziellen Sinn – ausdrücken können. Dazu gehören Fortbildungen, die Sie bitte den Pflegenden im Laufe ihres Berufslebens zukommen lassen, damit diese auch eine berufliche Befriedigung finden können und sich in ihren Spezialgebieten weiterbilden können. – Danke schön. (Beifall.)

11.07


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächster gelangt Herr Markus Mattersberger zu Wort. – Bitte.

 


11.07.23

Markus Mattersberger, MMSc MBA (Präsident des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs)|: Meine verehrten Damen und Herren! Mein Name ist Markus Mattersberger, ich bin Präsident des Bundesverbandes der Alten- und Pflegeheime Österreichs und heute auch in zweiter Funktion, als Mitglied des Aktionsnetzwerkes „Alt sein und gut leben 2050“, hier.

Liebe Frau Präsidentin! Herzlichen Dank, dass du dieses so wichtige Thema aufge­griffen hast. Das Thema „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“ ist her­vor­ragend gewählt.

In Anbetracht steigender Anforderungen und Erwartungshaltungen an die Mitarbeiterin­nen und Mitarbeiter in den Pflegeeinrichtungen müssen wir uns die Frage stellen, ob die Zukunft der Pflege wirklich schaffbar ist. Wir merken, dass Patienten und Patien­tinnen immer früher aus den Kliniken entlassen werden und somit auch mit anderen Krankheits- und Zustandsbildern zu uns in die Pflegeheime kommen. Wir in Österreich weisen im internationalen Vergleich einen sehr, sehr geringen Institutionalisie­rungs­grad auf. Das bedeutet, dass von vornherein nur jene älteren Menschen zu uns in die Pflegeheime kommen, die ohnehin sehr hohen Pflegebedarf haben.

Da stellt sich tatsächlich die Frage, wie das schaffbar ist. Die Best-Practice-Beispiele anderer europäischer Länder zeichnen sich im Vergleich durch multiprofessionelle Teams und eine höhere Personalpräsenz aus. Da müssen wir uns die Frage stellen, wie wir das hinbekommen wollen.

Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz trägt natürlich das Seine dazu bei, dass höher qualifiziert wird. Das ist gut, das ist wichtig. Es darf nur nicht ins Gegenteil umschlagen, dass man sagt, okay, die sind höher qualifiziert, also braucht man – und diese Überlegungen gibt es – nicht mehr einen so hohen Anteil an diplomierten Kräften, man spart ein bisschen etwas ein. Man spart ein, indem man die Tarife senkt. Als Folge hat man in den Einrichtungen nicht mehr die Möglichkeit, hoch qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen.

Zur Sichtbarkeit von Pflege: Leider werden Leistungen in der Pflege und in der Betreuung erst dann tatsächlich sichtbar, wenn irgendwo eine Situation eskaliert. Ich will das jetzt gar nicht auf Verfehlungen einzelner Personen kleinreden. Wir müssen darauf schauen, welche systemischen Schwächen es gibt, und erkennen, wo genau man hinschauen muss, um so etwas zu verhindern.

Da sind wir beim dritten Punkt, dem der Kosten. Wenn wir über Pflegeeinrichtungen sprechen, sprechen wir entweder über eine Krise oder wir sprechen über Kosten. Da geht es darum, tatsächlich über Möglichkeiten der Finanzierung von guten und hoch qualifizierten Lösungen nachzudenken und nicht über Billiglösungen. Ich denke jetzt konkret: Es gibt die Überlegung, dass uns ein Bauträger irgendetwas hinstellt, wo ältere Menschen hineinkommen und von 24-Stunden-Betreuern betreut werden. Das ist eine Überforderung dieser Mitarbeiter, und es wird auch nicht dem gerecht, was ältere Menschen tatsächlich brauchen. Man sollte sehr genau hinschauen, um sehen zu können, was es braucht. Das haben sich die älteren Menschen verdient, das haben sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdient und schließlich wir als Gesell­schaft.

Generell fehlt uns als Verband eine Zukunftsvision zu diesem ganzen Thema. Das war für uns auch ein Grund, gemeinsam mit Kooperationspartnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik ein neues Aktionsnetzwerk zu gründen, „Alt sein und gut leben“.

Ich darf noch eine Zahl aus der demografischen Entwicklung hinzuziehen: Momentan leben in Österreich circa 433 000 Menschen, die über 80 Jahre alt sind. Im Jahr 2030 – das ist, wollen wir die Entwicklung vorantreiben, übermorgen – rechnen wir mit 692 000, und im Jahr 2050 – bis dorthin ist es ein sehr langer Zeitraum – mit 1,25 Mil­lionen, und das ist gewaltig. Ich möchte niemandem zu nahe treten – wenn ich so in das Publikum schaue –, aber wir alle werden wahrscheinlich unter diesen 1,25 Mil­lionen im Jahr 2050 sein. (Heiterkeit. – Bundesminister Stöger: Wenn wir es erle­ben!) – Wenn wir es erleben.

Da macht es einfach Sinn, dass wir uns heute schon Gedanken darüber machen, wie denn diese Strukturen der Zukunft ausschauen sollen. Nochmals: Das haben sich die älteren Menschen verdient, und wir haben es uns auch verdient. Wir sollten heute anfangen, an den Strukturen zu bauen; für die jetzige ältere Generation, aber eben auch für die zukünftigen älteren Generationen. Wir sind im Jahr 2050 nicht nur Betei­ligte, sondern tatsächlich auch unmittelbar Betroffene. Nicht zuletzt deshalb sollten wir mit gutem Beispiel für die jüngere Generation vorangehen, wie man wertschätzend mit der älteren Generation, mit älteren Menschen umgeht. (Vorsitzende Präsidentin Ledl-Rossmann gibt das Glockenzeichen.) – Das war es. (Heiterkeit.)

Wir möchten gestalten und nicht gestaltet werden. Nochmals Danke für die Initiative. – Danke schön. (Beifall.)

11.11


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Abgeordneter Wöginger. – Bitte.

 


11.12.03

Abgeordneter August Wöginger (ÖVP)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich schließe mich dem Dank an die Frau Bundesratspräsidentin an, dass sie diese Enquete ins Leben gerufen hat. Du hast als Schwerpunkt deiner Präsidentschaft das Thema Pflege gesetzt, wofür ich dir sehr danke, liebe Sonja.

Ich schließe mich auch den Redebeiträgen an, in denen gesagt wurde, wir haben ein sehr gutes Pflegesystem in Österreich. Ich glaube, das sollte man betonen, wenn man Österreich mit seinen Nachbarländern vergleicht. Was die Pflegegeldbezieher anbe­langt, über die Strukturreformen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, bis hin zum neuen Berufsbild haben wir, glaube ich, das System auf gute Beine gestellt. Was fehlt, ist meiner Meinung nach die Nachhaltigkeit im System.

Ich glaube, es ist der richtige Zeitpunkt, sich die Frage zu stellen, was zu tun ist und welche Maßnahmen einzuleiten sind, wenn wir – was von meinem Vorredner ange­sprochen wurde – wahrscheinlich in den 2030er-Jahren einer speziellen Konfrontation gegenüberstehen, weil ein Großteil der Babyboomergeneration, die in den nächsten zehn Jahren in Pension gehen wird, dann wahrscheinlich pflegebedürftig oder betreuungsbedürftig sein wird. Das ist meiner Meinung nach der wichtigste Ansatz.

Was mir fehlt, und was noch nicht angesprochen wurde, ist das Zusammenspiel in der Pflege. Daher ist auch der Bundesrat die richtige Einrichtung, um dieses Thema anzusprechen, weil eine Gesamtschau zwischen Bund, Ländern und Gemeinden oder Gemeindeverbänden – dort passiert letzten Endes die Pflege – gemacht werden muss. Darum geht es, und das kommt bei den Menschen auch an. Da ich immer noch Gemeinderat sein darf, weiß ich, dass man dieses Zusammenspiel insgesamt sehen muss. Mir fehlt der Ansatz, die Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang zu holen, auch was die betreuten Wohnformen anbelangt. Die Bundesländer sind da durchaus kreativ, aber es gelingt nur sehr wenigen, eine Gesamtdarstellung für die gesamte Republik zur Verfügung zu stellen.

Landesrat Tilg hat dankenswerterweise die Ehrenamtlichen angesprochen. Den Ein­satz der Ehrenamtlichen in diesem Bereich – beginnend von der Nachbarschaftshilfe, über Betreuungstätigkeiten, bis hin zu Essen auf Rädern – sollte man nicht vernach­lässigen, weil das auch ganz stark damit zusammenhängt, wie lange Menschen in den eigenen vier Wänden bleiben können. Meiner Meinung nach ist unser wichtigstes An­liegen in der Politik, den Menschen zu ermöglichen, so lange wie möglich zu Hause betreut und auch gepflegt zu werden, und dazu ist die 24-Stunden-Betreuung eine wichtige Unterstützung.

Überfordern wir uns bei diesen Themen nicht gegenseitig, indem eine wichtige Ein­richtung – die es gibt und die auch gut angenommen wird – womöglich so dargestellt wird, dass sie für die Bevölkerung nicht mehr annehmbar ist. In zweiter Hinsicht sehe ich die mobile Betreuung, die mobile Pflege als ein wesentliches Standbein, genauso wie den stationären Bereich. Dort werden wir gefordert sein, auch was die Finan­zierung anbelangt. Ich danke dem Herrn Finanzminister, dass der Pflegefonds letzten Endes für vier weitere Jahre verlängert wurde, aber das löst nicht die nachhaltige Problematik, was die Finanzierung anbelangt.

Ich bin ganz stark dafür – ich habe das auch in den letzten Jahren betont –, dass wir eine möglichst ideologiefreie und eine breite Diskussion hierzu führen. Es gibt viele Modelle und viele Möglichkeiten, wie man weiter gestalten kann. Nur eines müssen wir wissen, wir brauchen mittelfristig mehr Mittel. Jetzt sind wir bei gut 400 Millionen € im Jahr 2021. – Wir werden mehr finanzielle Mittel für diesen Bereich brauchen.

Ich unterstütze eine Valorisierung des Pflegegeldes, ich als Rot-Kreuz-Betriebsrat unter­stütze, dass das Personal ordentlich ausgestattet und auch entlohnt wird, aber dann müssen wir auch darüber reden, wie wir das finanzieren. Es ist mir ein wesent­liches Anliegen, darüber eine breite Diskussion zu starten und das Pflegesystem auf gesunde Beine zu stellen.

Ich schließe damit, dass wir ein ausgezeichnetes Pflegesystem haben, aber die Aufgabe der Politik, unsere Aufgabe ist es, die Nachhaltigkeit im System zu verankern. (Beifall.)

11.16


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank.

Bevor Frau Peutlberger-Naderer zu Wort gelangt, darf ich um Verständnis dafür bitten, dass wir den zweiten Referentenblock dazwischenschieben, weil Herr Präsident Dr. Landau noch ins Ausland muss und zeitlich etwas eingeschränkt ist.

Ich freue mich über so viele Wortmeldungen und die rege Teilnahme an der Dis­kussion, und es werden jene, die noch zu Wort gemeldet sind, die Ersten nach Block 2 sein. – Bitte, Frau Peutlberger-Naderer.

 


11.16.53

Gisela Peutlberger-Naderer (Abgeordnete des Oberösterreichischen Landtags, SPÖ)|: Mein Name ist Gisela Peutlberger-Naderer, ich bin die Vorsitzende des Sozialaus­schus­ses im Oberösterreichischen Landtag und bekannt für kurze Redebeiträge. (Heiterkeit.)

Ich halte mich in meinem Redebeitrag an die Zukunftsorientierung: Wenn wir davon sprechen, dass nach 2021 eine andere Finanzierungsgrundlage für den Pflegefonds notwendig sein wird, wenn wir davon sprechen, dass, wenn ich über 80 bin, die Notwendigkeit nach noch mehr Pflege gegeben sein wird, so stellen sich die Fragen, wie das System dann ausgeweitet, und vor allem, wie es finanziert wird. Mir fehlt in der breiten Diskussion das Wort Finanztransaktionssteuer, es fehlen mir auch die tech­nischen Hilfestellungen, die möglich und notwendig sind.

Wir als geübte Staatsbürger sind Versicherungssysteme gewohnt, man muss aber auch hinschauen, ob die Menschen ein hohes Einkommen haben werden, sodass man sich Pflege auch wirklich individuell leisten kann. Ich glaube, dass es notwendig ist, ein solidarisch finanziertes System zu haben. Der Sozialstaat hat seine Verpflichtung, das ist klar. Ich rede erstens dem Grundeinkommen das Wort und zweitens der Finanz­trans­aktionssteuer. Reden wir auch über die technischen Hilfestellungen, die zukünftig möglich sein werden! – Danke schön. (Beifall.)

11.18


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Damit schließe ich die erste Diskussionsrunde. Ich darf mich bei den Herren Ministern Dr. Schelling und Stöger, bei Frau Ministerin Dr. Rendi-Wagner und bei Herrn Lan­desrat Dr. Tilg bedanken.

Ich ersuche die Referentinnen und Referenten des zweiten Blocks darum, am Podium Platz zu nehmen.

11.20.03III. Impulsreferate zu „Herausforderungen im Bereich der Pflege“

 


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Wir kommen nunmehr zum zweiten Themenblock: Impulsreferate zu „Herausforderungen im Bereich der Pflege“.

Ich darf wieder die Referentinnen und Referenten darum ersuchen, die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Ich darf als ersten Referenten den Präsidenten der Caritas Österreich Dr. Michael Landau um seinen Beitrag ersuchen. – Bitte.

 


11.20.16

Dr. Michael Landau (Präsident der Caritas Österreich)|: Frau Präsidentin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Verehrte Damen und Herren! In weni­ger als zehn Jahren wird unser Land weltweit zu jenen Staaten mit der ältesten Bevölkerung gehören, und jedes zweite Neugeborene wird, soweit man das aus heutiger Sicht sagen kann, seinen 100. Geburtstag erleben. Das ist zuallererst erfreu­lich – aber es stellt uns auch vor große Aufgaben!

5 Prozent der österreichischen Bevölkerung sind heute bereits älter als 80 Jahre, und im Jahr 2050 werden es mit 11,5 Prozent mehr als doppelt so viele sein – rund eine Million Menschen! Der Betreuungs- und Pflegebedarf wird also weiter steigen, aber – und das ist die gute Nachricht! – eine an der Würde Maß nehmende Pflege ist auch in Zukunft schaffbar und leistbar, wenn wir das wollen. Den Beweis liefern etwa die skandinavischen Länder, die mit Entschiedenheit in ein großes, gutes und öffent­liches Pflegesystem investieren und damit auch qualifizierte Arbeitsplätze schaffen.

An welchen Hebeln muss man also ansetzen, um unser Pflegesystem in eine gute Zukunft zu führen? – Ja, ich weiß, es wird in diesem Bereich bereits viel gemacht, und ich sehe die Anstrengungen, die an vielen Orten und an diversen Verhandlungstischen, vor allem aber auch in der Praxis, unternommen werden, und bin dankbar dafür. Aber in einigen zentralen Feldern sind wir als Land und als Gesellschaft insgesamt in besonderer Weise gefordert. Die Pflege ist ein solcher Bereich, und da braucht es nach meiner festen Überzeugung einige entscheidende Schritte und auch eine gemeinsame Anstrengung, für die ich gerne werben möchte.

Fünf Punkte greife ich heraus und möchte sie Ihnen aus der Praxis heraus ans Herz legen – im Wissen, dass vieles andere noch zu benennen wäre.

Erstens: Pflege- und Betreuungsdienste und -einrichtungen werden derzeit über die Sozialhilfe finanziert. Diese Form der Finanzierung kommt aus einer Zeit, in welcher Pflegebedürftigkeit aufgrund der geringeren Lebenserwartung ein kleines Risiko war, und wenn, dann war dieser Lebensabschnitt ausgesprochen kurz. Das hat sich verän­dert: Das Risiko der längeren Pflegebedürftigkeit trifft jetzt weite Teile der Bevölkerung. Wir müssen daher – und das halte ich für ganz wichtig – raus aus der Sozialhilfelogik, die Betroffene unverhältnismäßig hoch belastet und Nichtbetroffene verschont, und stattdessen hinein in eine Form solidarischer Finanzierung.

Das heißt ganz konkret: Betroffene sollen nicht zu Sozialhilfeempfängerinnen und Sozial­hilfeempfängern gemacht werden, wenn sie etwa in ein Senioren- oder in ein Pflegehaus einziehen. Heute ist das der Fall: Sie müssen heute zuerst Ihr gesamtes Hab und Gut verwerten, bevor Ihnen seitens der öffentlichen Hand geholfen wird. Das kommt – das ist vorhin schon angesprochen worden – einer 100-prozentigen Erb­schafts­teuer gleich. Ich bin überzeugt davon, eine neue und vor allem solidarische Finanzierungslogik wäre fairer, klüger und hoch an der Zeit. Da kann man durchaus differenziert darüber nachdenken. Wir als Caritas sind Armutsexperten, nicht Steuer­experten, aber die Richtung halte ich für wichtig, nämlich eine Finanzierungslogik, die nicht nur von Finanzausgleichsverhandlungen abhängt, aber auch nicht von der privaten Geschicklichkeit, etwa Vermögen rechtzeitig zu verschenken.

Zweitens: Ich bin sehr froh darüber, dass der Pflegefonds bis ins Jahr 2021 verlängert wurde und auch die Mittel – auch wenn aus unserer Sicht eher bescheiden, aber immerhin – aufgestockt worden sind. Nutzen wir die Zeit, diesen Pflegefonds zu einem starken Instrument der Steuerung, Finanzierung und Qualitätssicherung von Betreuung und Pflege in Österreich weiterzuentwickeln! Unser Ziel muss es sein, die öster­reichweit neun verschiedenen Pflege- und Betreuungssysteme zu harmonisieren. Keine Bürgerin und kein Bürger des Landes versteht es, warum die Systeme und Hürden zwischen den Systemen derart unterschiedlich sind. Neun Bundesländer – das bedeutet neun unterschiedliche Unterstützungsleistungen, neun unterschiedliche Kostenbeiträge und neun unterschiedliche Qualitätsvorgaben!

Wenn eine Tochter beispielsweise ihre pflegebedürftig gewordene Mutter zu sich holen will und beide vorher in unterschiedlichen Bundesländern ihre Meldeadressen hatten, dann geht das nicht ohne einen enormen bürokratischen Aufwand. Vergleichbare Leistungen in vergleichbarer Verfügbarkeit zu vergleichbaren Kosten für die Nutzerin­nen und Nutzer in allen Bundesländern anzubieten: Das ist aus unserer Sicht unver­zichtbar! Und ich denke, bis 2021 muss das auch schaffbar sein. Bis dahin muss diese Harmonisierung der Qualitätsversorgungs- und Finanzierungstandards vom Bodensee bis zum Neusiedler See erreichbar sein.

Drittens: Rund 80 Prozent der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen werden von ihren Angehörigen betreut und gepflegt. Diese Angehörigen sind der größte Pflegedienst Österreichs, und diese Angehörigen brauchen für sich und für diese herausfordernde Arbeit das Gefühl, trotz Pflegearbeit auch ein eigenes Leben führen zu können. Die Caritas betreibt daher – wie auch andere Träger – in einer Reihe von Bundesländern eigene Fachstellen für pflegende Angehörige. Der Großteil dieser Arbeit muss im Hinblick auf die Betroffenen leider immer noch ohne Unterstützung seitens der öffentlichen Hand bewerkstelligt werden.

Aus unserer Sicht wäre es daher sehr wichtig, den pflegenden Angehörigen einen Rechtsanspruch auf öffentlich geförderte, leistbare und verfügbare Fachberatungs-, Entlastungs- und Unterstützungsleistungen einzuräumen. Auch da gibt es gute Beispiele im Hinblick auf das Ziel, dass Menschen möglichst lange in der vertrauten Umgebung, in den eigenen vier Wänden beziehungsweise auch möglichst selbst­bestimmt leben können, und ich glaube, da gibt es viel Konsens in der Richtung. Ich denke da etwa an die mobile Betreuung und Pflege in Wien oder an ein spannendes Pilotprojekt der mobilen geriatrischen Mobilisation in Kärnten oder an ein Caritas-Projekt in Oberösterreich, bei welchem künstlich beatmete Patientinnen und Patienten wieder zu mehr Selbstbestimmtheit hingeführt werden sollen.

Da gibt es viele, viele Beispiele – in allen Bundesländern! –, allein der Austausch darüber wäre schon ungeheuer lohnend.

Viertens: Würde im Alter verlangt neben optimaler Pflege auch eine gute und motivie­rende Alltagsgestaltung, welche die vorhandenen Fähigkeiten der auf Pflege ange­wiesenen Menschen miteinbezieht. Die Berufsgruppe, die dafür gezielt ausgebildet wird, sind die SozialbetreuerInnen im Fachbereich Altenarbeit – eine Ausbildung, deren Regelbasis eine Artikel-15a-Vereinbarung ist. Um diesen Ausbildungstypus an neue Herausforderungen anzupassen, sind derzeit in Österreich – und ich bitte Sie, aufmerksam zuzuhören – die Bundesregierung, neun Landesregierungen, zehn Gesetz­gebungsprozesse und zehn Verwaltungsprozesse notwendig. Das ist nicht sinnvoll.

Meine Damen und Herren! Diese wichtige Ausbildung gehört, wie ohnehin in der Koalitionsvereinbarung beabsichtigt, endlich bundesstaatlich geregelt. Auch das müsste schaffbar sein – insbesondere durch den Versuch intensiverer Zusam­menarbeit, die man sich hie und da als Staatsbürger wünscht!

Zu guter Letzt lassen Sie mich – fünftens – noch zwei spezielle Zielgruppen heraus­greifen, für die wir entschieden mehr tun müssen. Da geht es um demenziell erkrankte Menschen und um Menschen, die in der letzten Lebensphase sind, also um das Thema Hospiz- und Palliativversorgung.

Die österreichweit entwickelte Demenzstrategie bietet einen hervorragenden Orien­tierungsrahmen zur Entwicklung von Maßnahmen, und uns ist die zügige Umsetzung dieser Demenzstrategie ein großes Anliegen. Als Caritas tragen wir schon jetzt in allen Bundesländern mit Aktivitäten zur Umsetzung dieser Strategie bei; auch andere Träger tun das. Für Beratungs-, Unterstützungs- und Entlastungsdienste fehlen aber nach wie vor über weite Strecken die Mittel. Da wird es auch darum gehen, ganz neue Wege zu suchen und gewohnte Pfade zu verlassen.

Was heißt es etwa, eine demenzsensible Gemeinde zu sein oder ein Krankenhaus so zu strukturieren, dass an Demenz erkrankte Menschen dort nicht auch noch ihren letzten Rest an Selbständigkeit verlieren? – All diesen Fragen sollten wir uns beherzt stellen, und bin ich dankbar für eine Reihe beispielhafter Initiativen, wenn ich etwa an die Vernetzungstreffen der Initiative „Gut leben mit Demenz in Klosterneuburg“ in Niederösterreich denke oder auch an Wohngemeinschaften für demenzkranke Men­schen.

Abschließend zum Thema Hospiz: Die Hospiz- und Palliativversorgung von Menschen am Ende ihres Lebens ist eine Haltungs-, Kompetenz- und Kulturfrage. Das Parlament hat dafür mit der Enquete-Kommission eine großartige Vorleistung erbracht. Vielen Dank! Jene 51 Punkte, die als Ergebnis dieser Enquete-Kommission einstimmig be­schlossen worden sind, sind ein hervorragender Wegweiser und ein konkreter Fahr­plan, um die hospizliche, pflegerische und palliative Versorgung, Betreuung, aber auch soziale Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase im besten Sinne auf- und auszubauen.

Einige Bundesländer – da denke ich speziell an Tirol und Vorarlberg – sehen sehr ambitionierte und engagierte Programme vor, über die ich nähere Informationen erhalten habe, und dafür bin ich sehr dankbar.

Die abgestufte Hospiz- und Palliativversorgung ist ganz klar eine Aufgabe der öffent­lichen Hand. Sie soll und darf auch nicht wesentlich über Spenden finanziert werden müssen. Wer käme auch auf die Idee, etwa für den Gips für ein gebrochenes Bein Spenden zu sammeln? Sogar für die Begleitung von chronisch sehr schwer kranken Kindern in der letzten Lebensphase ist das jedoch derzeit Realität. Das mobile Kinder­hospiz und Kinderpalliativteam MOMO beispielsweise hängt von Spenden ab, und zwar vollständig.

Daher müssen wir die Angebote von Hospiz und Palliative Care – auch jene, die der­zeit über Spenden finanziert werden – in eine Regelfinanzierung überführen. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt. Das ist trotz der zusätzlich beschlossenen Mittel derzeit nicht vorgesehen. Im Gegenteil: Eine Regelfinanzierung gehört in die Ziel­steuerungskommission der Gesundheitsreform, von Bund und Ländern verhandelt und etwa auch im Bereich ASVG etabliert.

Ich bitte Sie – gerade auch in Bezug auf den letzten Punkt – um Ihre Unterstützung und Zusammenarbeit, denn es ist klar, dass alle angesprochenen Herausforderungen nur gemeinsam bewältigt werden können.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube an den positiven Gestaltungswillen der Politik und daran, dass die am jeweils konkreten Menschen und seinem Umfeld orientierte Pflege und Begleitung möglich sind. Klar ist: Die Aufgaben, vor denen wir als Gesellschaft stehen – ich habe es schon vorhin ausgeführt –, sind groß. Sie werden jedoch nicht kleiner, wenn sie auf die lange Bank geschoben werden. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Noch eine persönliche Bemerkung, quasi außerhalb des Protokolls: Es tut mir auf­richtig leid, nicht bis zum Ende der Enquete bleiben zu können, weil ich nach Deutschland zu einem Treffen der Länder Deutschland, Österreich, Schweiz und Luxemburg, das im Rahmen der Caritas stattfindet und schon lange vereinbart ist, muss. Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von mir stehen hier für Fragen zur Verfügung. Die Ergebnisse der Beratungen werden mich sicher erreichen, wie sie auch Österreich, so hoffe ich, in diesem wichtigen Feld, das viele Menschen bewegt, weiter­bringen werden.

In diesem Sinn danke ich auch Ihnen, Frau Präsidentin, nochmals sehr herzlich für Ihre Initiative zu dieser Parlamentarischen Enquete. – Vielen herzlichen Dank. (Beifall.)

11.31


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Ausführungen.

Ich darf nun Herrn Volksanwalt Dr. Kräuter um seinen Beitrag bitten.

 


11.31.40

Volksanwalt Dr. Günther Kräuter|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herausforderung Pflege: Welchen Beitrag kann die Volksanwaltschaft da leisten? Worauf gründet sich unsere Expertise, insbesondere zu Pflegeheimen und Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen?

Bekanntlich besuchen seit dem Jahr 2012 Expertenkommissionen der Volksanwalt­schaft Einrichtungen – Kommissionen mit Ärztinnen und Ärzten, Juristen, Pflege­fachleuten, Psychiaterinnen und Psychiatern –, und zwar unangemeldet. Unsere Ex­per­ten haben Einblick in Dokumentationen, Krankengeschichten, können vertrau­liche Gespräche mit Patientinnen und Patienten und Bewohnern führen. Diese Kom­petenz der Volksanwaltschaft gründet sich auf ein Mandat der Vereinten Nationen und heißt bei uns Nationaler Präventionsmechanismus. Das Ziel ist, vorbeugend Men­schen­rechtsverletzungen, Verletzungen der Menschenwürde in Einrichtungen zu vermeiden.

Mittlerweile haben wir 800 Besuche absolviert, und zwar allein in Pflegeeinrichtungen, und Sie können sich vorstellen, dass wir großes Fachwissen angesammelt haben, auch einen guten Einblick haben und unsere Expertise dementsprechend umfangreich ist. In vielen Einrichtungen ist vieles in Ordnung, meine Damen und Herren, aber es gibt auch Defizite, Mängel und Missstände. (Vizepräsidentin Winkler übernimmt den Vorsitz.)

Diese Enquete bietet eine willkommene Gelegenheit, mich bei unseren Kommissions­mitgliedern, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Volksanwaltschaft herzlich zu bedanken, aber auch beim Menschenrechtsbeirat, der uns beratend begleitet. Wir arbeiten auch eng mit der Patientenanwaltschaft, der Bewohnervertretung, vielen NGOs und der Zivilgesellschaft zusammen.

Eines sieht man gleich sehr deutlich in den Protokollen: Das Pflegepersonal leistet in den allermeisten Fällen hervorragende Arbeit – mit viel Einsatz, Bemühen und Empathie! Das reicht oft bis an die Grenzen der eigenen Belastbarkeit. Diese Leistung wird aber schlecht bezahlt und bleibt oft unbedankt. Das wird oft vergessen. Ich meine, auch Pflegepersonal hat ein Recht auf einen fairen Lohn und auf einen zumutbaren Arbeitsplatz. Ich bin da einer Meinung mit der Gesundheitsministerin: Wir haben viel erreicht, was die Entwicklung der Ausbildung betrifft, bei der Wertschätzung des Pflegeberufs ist aber sicher noch sehr viel zu tun. Das ist eine wichtige Botschaft, eine wichtige Feststellung seitens der Volksanwaltschaft.

Jetzt habe ich eine bestimmte Herausforderung zu meistern: Einerseits möchte ich die Errungenschaften würdigen, andererseits aber auch Missstände aufzeigen. Die Volksanwaltschaft ist eine Kontrollinstitution, und um präventiv Missstände zu vermeiden, ist es auch notwendig, so denke ich, Lebensrealitäten klar anzusprechen, nicht die Augen zu verschließen. Nach meinem Gefühl gibt es bei dieser Enquete bisher ein bisschen zu viel Harmonie und auch zu viel Lob und Selbstlob.

Können wir darüber hinwegsehen, meine Damen und Herren, dass in vielen Ein­richtungen schon um 16 Uhr das Abendessen stattfindet, dass hochbetagte Menschen dann oft mit Medikamenten sediert werden, und das ohne medizinische Notwendigkeit, aus Personalmangel? Ist es akzeptabel, dass in manchen Einrichtungen beim Essen gleich alle Bewohnerinnen und Bewohner einen Latz bekommen, obwohl ihn viele gar nicht brauchen? Und dass in Einrichtungen wöchentliche Dusch- und Badetage vorgesehen sind, die dann, wenn diese auf einen Feiertag fallen, einfach ausfallen?

Die Gründe, die dahinterstehen, sind Personalkosten und Personaleinsparungen. Viele Einrichtungen sind privatwirtschaftlich geführt, und die Investoren warten natürlich auf die Rendite.

Ist es menschenrechtlich vertretbar, dass es zu krassen Fehlplatzierungen im System kommt? – So wurde beispielsweise eine junge 26-jährige Frau mit einer Beeinträch­tigung mit einer hochbetagten 103-jährigen Schlaganfallpatientin in einem Zimmer untergebracht. Oder: In der Jugend- und Kinderpsychiatrie werden bei der Pflege Kin­der und Jugendliche zwangsweise in der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht. Oder: Es gibt ein Bundesland, in dem 700 Menschen mit psychischer Beeinträchtigung in sogenannten Zentren für psychosoziale Rehabilitation untergebracht werden und eigentlich keine adäquate Betreuung haben. Oder: In einem anderen Bundesland werden hochbetagte demenzkranke Menschen per Mietvertrag vom Sachwalter in privater „Pflege“ – unter Anführungszeichen – untergebracht, wo Unzulänglichkeiten, Defizite und fehlende Dokumentation zutage getreten sind. Dieses Land hat gemeint: Na ja, diese Einrichtungen haben wir nicht genehmigt, daher können wir sie auch nicht kontrollieren!

Ziel der Volksanwaltschaft ist es nicht, Einrichtungen anzuprangern – ich habe auch keine Bundesländer namentlich genannt –, sondern Ziel der Volksanwaltschaft ist es, Verantwortung einzufordern. Das ist auch unsere verfassungsrechtliche Aufgabe.

Viele Probleme können gelöst werden. Die Einsicht, was diese Zentren für psycho­soziale Rehabilitation betrifft, ist inzwischen gereift, und es ist auch in dem anderen Bundesland mit dem angesprochenen Kontrolldefizit daran gedacht, eine Strukturver­bes­serung durchzuführen. Gemeinsames Ziel muss es ja sein, dass es zu solchen Missständen erst gar nicht kommen kann.

Wir von der Volksanwaltschaft haben Empfehlungen ausgearbeitet, und Sie alle, meine Damen und Herren, bekommen dann diese Broschüre (in die Höhe haltend), in der wir unsere Erkenntnisse der letzten Jahre im Zusammenhang mit der Pflege zusam­men­gefasst haben. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Broschüre, ein wichtiger Almanach, der zeigt, wo es Defizite gibt und wie Menschen zu schützen sind.

Wir fordern bundeseinheitliche Regelungen, und das entspricht ganz den Intentionen des Finanzministers. Wir haben nämlich einen ausgeprägten, oft sehr bürokratischen Föderalismus – ich möchte ihn manchmal fast Kantönligeist nennen –, und es kann vorkommen, dass in verschiedenen Bundesländern ein paar hundert Meter voneinan­der entfernt Heime mit verschiedenen Strukturen, verschiedenen Qualitätsnormen, verschiedenen Tarifen und verschiedenen Kosten geführt werden.

Zweite Botschaft von der Volksanwaltschaft: Bitte alle Anstrengungen zu unternehmen, dass wir hier einmal einheitliche Strukturen zusammenbringen!

Der Sozialminister ist nicht ganz unberechtigt stolz darauf, dass 456 000 Menschen in Österreich Pflegegeld empfangen. Ich denke, weniger stolz können wir alle darauf sein, dass das Pflegegeld seit 1993 nur fünf Mal angepasst worden ist. Aber ich habe schon die Botschaft vernommen – sowohl vom Bund als auch von Ländern –, dass da eine jährliche Valorisierung notwendig wäre. Und ich habe auch Zweifel daran, ob es wirklich ökonomisch ist, die Bedingungen für die Pflegestufe 1 und die Pflegestufe 2 zu verschärfen, was leider geschehen ist. Ich denke, das ist nicht gerade die geeignete Methode, wie man Menschen länger zu Hause halten kann und länger entsprechend mobil unterstützt.

80 000 Menschen sind in Pflegeheimen untergebracht, 20 000 in Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigungen; daran sieht man schon, dass auch in höheren Pflegestufen ein ganz großer Teil der Pflegebedürftigen daheim von der Familie ge­pflegt wird. Dass es Defizite gibt, was die Unterstützung von pflegenden Ange­hörigen betrifft, ist auch schon deutlich geworden und ist auch eine wichtige Botschaft, die von dieser Enquete ausgeht.

Ein bestimmter Teil der Pflegebedürftigen hat auch eine 24-Stunden-Betreuung – weit­gehend ungeschützt. Da bin ich sehr beim Herrn Landesrat, da brauchen wir eine effektive Kontrolle. Es gibt erste Ansätze, so hat zum Beispiel die Sozialversicherung der Bauern dazu ein Modell entwickelt, aber wenn man von einem kreativen Öffnen der Pflegesysteme spricht, wie es der Herr Finanzminister getan hat, dann sollte einem eines klar sein: Da brauchen wir auch kreative Modelle der Qualitätssicherung! Und da sind folgende Fragen zu klären: Was ist mit den Kosten? Wie schaut es mit den Tarifen aus? Wer schaut eigentlich den vielen in- und ausländischen Anbietern auf die Finger? Ich denke, da braucht es ein klares politisches Konzept. – Das ist auch ein sehr wichtiger Punkt.

Meine Damen und Herren, zum Schluss kommend: Es sind gewaltige Herausforde­rungen, da sind wir uns ohnehin alle einig. Es gibt immer mehr hochbetagte Menschen, leider auch immer mehr Demenzerkrankungen. Wir haben auch in großem Ausmaß mit traumatisierten Kriegsflüchtlingen zu tun – die WHO schätzt, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen auf der Flucht Menschen mit Beeinträchtigungen sind.

Die Qualität der Betreuung, der Inklusion, der Selbstbestimmung ist ja letztendlich ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, und da wollen wir uns ja alle als Verantwortliche und als Träger einer humanitären Gesellschaft wiedererkennen.

Zusammenfassend darf ich sagen, dass nicht das Pflegepersonal das Ziel der Kritik der Volksanwaltschaft ist, sondern es geht um Strukturverbesserungen. Ich ersuche eindringlich darum, dass wir alle bei der wichtigen Zielsetzung von einheitlichen Qualitätsstandards, die wir in Österreich brauchen, mitwirken, und bei der 24-Stunden-Betreuung sollten wir Überlegungen anstellen, wie man auch hier präventiv die Menschenrechte und die Menschenwürde schützen kann.

Ich möchte abschließend noch einmal diese Broschüre (neuerlich in die Höhe haltend) bewerben und die Fernsehzuseherinnen und -zuseher darauf hinweisen, dass die Broschüre auch auf unserer Homepage www.volksanwaltschaft.gv.at nachzulesen ist.

Ich wünsche uns allen viel Erfolg mit dieser Enquete. Danke, Frau Präsidentin. (Beifall.)

11.41


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Herr Dr. Kräuter, danke für Ihre Ausfüh­rungen.

Ich ersuche nunmehr Herrn Dr. Tobias Thomas, Forschungsvorstand von EcoAustria, um seinen Beitrag. – Bitte.

 


11.41.32

Dr. Tobias Thomas (Forschungsvorstand von EcoAustria)|: Sehr geehrte Frau Bun­desratspräsidentin! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Sehr geehrter Herr Vizepräsi­dent! Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, Nationalräte! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Pflege ist in der Tat ein wichtiges Zukunftsthema, und ich danke Ihnen daher sehr für die Möglichkeit, heute einige Punkte aus Sicht eines Ökonomen ansprechen zu dürfen.

Mir ist es wichtig zu erwähnen, dass eine rein fiskalische Betrachtung des Themas Pflege natürlich viel zu kurz greift, zu sehr berührt uns alle als Kinder und Enkelkinder von Pflegebedürftigen oder als künftige Pflegebedürftige dieses Thema, allerdings wird es ohne eine fiskalische und ökonomische Betrachtung, meine Damen und Herren, auch nicht gelingen, die Pflege nachhaltig zu gestalten und zukunftsfit zu machen.

Reformen werden häufig erst angestoßen, wenn eine Krise schon voll im Gange ist. Im Pflegebereich gibt es in Österreich derzeit dezidiert keine Krise, und ich wünsche eine solche Krise weder Österreich noch den Bundesländern noch insbesondere den Pflegebedürftigen und ihren Familien. Zu einer Krise muss es allerdings auch nicht kommen, man muss nicht bis dahin warten. Erneuerungen und Reformen können auch dann zustande kommen, wenn man offen nach den besten Lösungen sucht und dabei auch von gelungenen Beispielen lernt, sei es aus dem internationalen Ausland oder von eben bereits angesprochenen Lösungen, kreativen Lösungen möglicherweise in den Bundesländern, im Föderalismus.

Die heutige Enquete ist daher sicher ein guter Weg, sich bereits heute, frühzeitig Gedanken zu machen und in einem offenen Diskussionsprozess nach guten Lösungen zu suchen.

Meine Damen und Herren, in Österreich ist der Anteil der informellen Pflege, also Pflege durch Ehepartner, Angehörige, Familie, Freunde et cetera, recht hoch, sie macht laut Studien etwa 70 bis 80 Prozent der gesamten Pflege aus. Angehörige spielen also eine ganz wichtige Rolle bei dem Thema und sind auch ein Grund für die relativ geringen Kosten in den öffentlichen Ausgaben für die Pflege in Österreich. Aus dieser Sicht war es daher schon ein sinnvoller Schritt, Pflegekarenz und Pflegeteilzeit einzuführen, allerdings muss es – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – gesellschaftlich möglich sein, Unterstützung anzunehmen. Falsch verstandenes Heldentum oder gar Scham sind fehl am Platze.

Um dem Thema Pflege gerecht zu werden, ist ein offener gesellschaftlicher Diskurs nötig. Was bei der Kinderbetreuung im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in weiten Teilen bereits gelungen ist, steht uns im Bereich der Pflege in weiten Teilen noch bevor.

Im Hinblick auf die Finanzierung besteht bei der Pflege in Österreich derzeit kein Grund für Katastrophismus oder Schwarzmalerei, sie ist leistbar. Aber: Bleibt sie es auch? Im internationalen Vergleich steht Österreich in Sachen öffentliche Ausgaben für die Pflege recht gut da, hierzulande werden derzeit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Pflege ausgegeben, womit Österreich knapp unter dem EU-Schnitt liegt. Die relativ geringen Kosten sind aber nicht in Stein gemeißelt. Nach Berechnungen von EcoAustria werden bei Beibehaltung der aktuellen Pflegestrukturen, also den Anteilen zwischen formeller und informeller Pflege sowie stationärer und ambulanter Pflege, die Ausgaben bis zum Jahr 2060 auf 2,9 Prozent des BIPs steigen. Das ist bereits mehr als eine Verdoppelung. Ob es dabei bleibt, ist jedoch eine offene Frage, denn die Treiber der Kostenentwicklung im Pflegebereich sind insbesondere – wie bereits angesprochen  der demografische Wandel sowie auch mögliche Lohnsteigerungen im Pflegebereich.

Ich meine einen konkreten Punkt: Im Bereich der 24-Stunden-Pflege stammen heuer 80 Prozent der Pflegekräfte aus Rumänien und der Slowakei. Seit dem Jahr 2005 haben sich die Löhne in diesen Ländern aber mehr als verdoppelt. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen und sich auch der Anteil der formellen Pflege und der stationären Pflege dem EU-Schnitt annähern, würden sich die Ausgaben für die Pflege bis zum Jahr 2060 nicht nur verdoppeln, sie würden sich mehr als verdreifachen  und das ist heute noch nicht ausreichend angesprochen worden.

Der demografische Wandel trifft Österreich bei der Pflege doppelt, es gibt sozusagen eine doppelte Kostenfalle. Der eine Punkt ist bereits angesprochen worden: Zum einen führt die gestiegene Lebenserwartung zu mehr Älteren und Gott sei Dank auch zu mehr gesunder Lebenszeit, das ist eine erfreuliche und positive Nachricht, allerdings steigt auch – das ist auch schon angesprochen worden – die Zahl der Pflegebe­dürftigen, und die Pflegeausgaben steigen in den letzten Lebensjahren sehr massiv an.

Ein weiterer Punkt ist aber noch nicht angesprochen worden: In Österreich ist ja der Anteil der informellen Pflege, wie eben ausgeführt, unter anderem auch durch die Kinder, sehr hoch, und Kinder bekommen wir nach wie vor sehr wenige. Die Fertilitätsrate ist niedrig und liegt in Österreich mit 1,5 Kindern pro Frau deutlich unter dem EU-Schnitt. Weniger Kinder bedeuten aber wiederum weniger informelle Pflege, und das wird die Kosten weiter ansteigen lassen.

Die langfristig steigenden Kosten in der Pflege, sei es durch Demografie, sei es durch Lohnsteigerungen, werden es notwendig machen, über die langfristige Finanzierung der Pflege erneut nachzudenken. Dabei können auch Versicherungslösungen eine Rolle spielen, denn die Abgabenquote in Österreich ist bereits heute mit über 40 Prozent sehr hoch.

In Österreich gibt es im EU-Vergleich bei den Pflegebedürftigen eine starke Präferenz für die Pflege zu Hause. Hinzu kommt, dass laut Pflegevorsorgebericht die stationäre Betreuung rund siebenmal teurer ist als die mobile Betreuung, somit trägt die häusliche Pflege zu einer deutlichen Kostendämpfung bei. Das Prinzip des Pflegefondsgesetzes „ambulant vor stationär“ hat also aus dieser Perspektive durchaus Berechtigung. Allerdings ist der Vorrang im Gesetz derzeit noch zu vage formuliert und könnte präzisiert werden. Die Verteilung der Pflegefondsmittel nach der Bevölkerungszahl missachtet hingegen die unterschiedliche Altersstruktur der Bundesländer und ist daher nicht sachgerecht. Hier wären Anpassungen, zum Beispiel eine Verteilung nach der Zahl der Pflegebedürftigen, durchaus sinnvoll.

Meine Damen und Herren! Die Suche nach den besten Lösungen und Voneinander-Lernen sind wichtige Zugänge zur Erkenntnis, gerade im Föderalismus. Die Voraus­setzung dafür ist Transparenz. EcoAustria hat in seinem Bundesländer-Benchmarking auf Basis der Pflegedienstleistungsstatistik 2015 berechnet, dass die Kostenunter­schiede zwischen den Bundesländern enorm sind. Dass ein durchschnittlicher Pflegefall in der stationären Pflege in einem Bundesland mit knapp 13 000 € pro Jahr zu Buche schlägt, in einem anderen jedoch mit 37 000 € pro Jahr, ist trotz aller Struk­turunterschiede schwer nachvollziehbar.

Um wirklich voneinander lernen zu können, muss man allerdings neben den Kosten auch die Qualität im Blickfeld behalten. Vor einer möglichen Diskussion um einheitliche Qualitätsstandards muss zuallererst eine einheitliche Indikatorik für die Messung der Qualität entwickelt und verbindlich eingesetzt werden, und zwar sowohl im häuslichen als auch im stationären Bereich. Ohne Transparenz in Sachen Kosten und Qualität kann ein Wettbewerb um die besten Lösungen oder ein Voneinander-Lernen, wenn man so will, nicht sinnvoll stattfinden.

Meine Damen und Herren! Das Thema Pflege ist unsere Zukunft. Wenn es uns gelingt, eine gesellschaftliche Diskussion zu diesem Thema offen zu führen, dann bin ich mir sicher, dass wir die besten Lösungen finden werden und uns auch zukünftig um das Thema Pflege keine Sorgen werden machen müssen. Handlungsbedarf besteht aber nach wie vor. Im Sinne des Voneinander-Lernens ist es notwendig, Transparenz im Hinblick auf die Pflegequalität wie auch im Hinblick auf die Kostenunterschiede zu schaffen, hierfür ist eine einheitliche Messmethodik der Pflegequalität notwendig. Auf dieser Basis könnte dann auch mittelfristig die Planung besser erfolgen.

Es sind aber auch eine realistische Einschätzung der langfristigen Kostenentwicklung im Pflegebereich  eben auch mit den doppelten Effekten der Demografie und auch zukünftigen Lohnentwicklungen  wie auch eine gemeinsame Strategie mit den Bun­desländern zur langfristigen Finanzierung der Pflege notwendig; dabei können auch Versicherungslösungen eine Rolle spielen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

11.50


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich danke Herrn Dr. Thomas für seinen Beitrag.

Als Nächste gelangt Frau Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesund­heits- und Krankenpflegeverbandes, zu Wort. – Bitte, Frau Präsidentin.

 


11.50.36

Ursula Frohner (Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflege­verbandes)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Landesrat! Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin! Im Namen des Öster­reichi­schen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes bedanke ich mich für die ehren­volle Einladung, im Rahmen dieser Enquete über einige Aspekte zu dem umfangreichen Gebiet der Herausforderungen im Bereich der Pflege sprechen zu dürfen. Als Abrun­dung dieses zweiten Blocks möchte ich den Fokus auf die Themen Nutzung der Fachkompetenz, Ausbildung und Rahmenbedingungen legen.

Ich kann die von den Vorrednern und Vorrednerinnen genannten Aspekte betreffend Qualität, Transparenz und einheitliche Strukturen unterstreichen und bedanke mich auch sehr für die kritischen Anmerkungen seitens der Volksanwaltschaft. Sie zeigen der Gesundheits- und Krankenpflege, wo dringend Handlungsbedarf besteht.

Ich möchte einmal mehr Zahlen nennen, die uns die Brisanz der Thematik verdeut­lichen, denn unmittelbare Auswirkungen haben die Themen dieser Enquete auf jene 5,25 Prozent der österreichischen Bevölkerung, die Pflegegeld beziehen. 16 Prozent davon werden stationär versorgt, in etwa 29 Prozent durch Mobile Pflegedienste, und die verbleibenden 54 Prozent werden von Angehörigen, übrigens jeden Lebensalters, gepflegt, und diese brauchen jedenfalls auch kompetente Unterstützung bei ihrer Betreuungsleistung, bei ihrer Pflegeleistung im häuslichen Bereich.

Das Handlungsfeld der Gesundheits- und Krankenpflege erstreckt sich bundesweit auf rund 265 Akutspitäler, auf den ambulanten Sektor und auf den Bereich der Re­habilitation und der Prävention. Man kann diese Bereiche der Gesundheits- und Krankenpflege nicht oft genug hervorheben, hat doch Gesundheits- und Krankenpflege mit einem Anteil von rund 65 Prozent innerhalb der gesetzlich geregelten Gesund­heitsberufe den größten Anteil. Laut Statistik Austria werden im Jahr 2040 bereits 27,2 Prozent der österreichischen Bevölkerung über 65 Jahre alt sein, das heißt, es werden einerseits sicher mehr Menschen pflegebedürftig sein, aber – und das möchte ich auch anhand dieser Zahlen unterstreichen – es werden weniger Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im System tätig sein. Daher ist aus unserer Sicht gerade jetzt der richtige Zeitpunkt – wir haben das heute schon mehrfach gehört –, kreative Ansätze zu entwickeln und diese nachhaltig zu gestalten. Die Gesundheits- und Krankenpflege steht bereits jetzt auf der Liste der Mangelberufe, und nach aktuellen Berechnungen werden im Jahr 2030 etwa 30 000 ausgebildete Pflegepersonen fehlen.

Es geht einerseits genau um diese gute Ausbildung und darum, inwieweit diese gut ausgebildeten Pflegepersonen auf Augenhöhe in den Versorgungssystemen verortet sind – denn in Bezug auf Augenhöhe gibt es noch gewaltig Luft nach oben –, anderer­seits geht es aber auch darum, wie man für diese Personen entsprechende Rahmen­bedingungen schaffen kann beziehungsweise welche man entwickeln muss, damit diese ihre Kompetenzen in allen Versorgungssettings einbringen können.

Schaffbar wird die große Aufgabe, wenn das System handlungskompetente Pflege­personen zur Verfügung hat. Ein wichtiger Schritt in Richtung Handlungskompetenz – das wurde heute Vormittag schon angesprochen – ist die im Jahr 2016 vonstatten­gegangene und vom Nationalrat verabschiedete Ausbildungsreform im Bereich des Berufsgesetzes, des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes, das einige richtige Dinge auf den Weg gebracht hat. Das sind unter anderem die Überführung der Ausbildung für den gehobenen Dienst in den Hochschulbereich, die Zusammenführung der Ausbildung für die allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege mit jener für die Psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege und jener für die Pflege von Kindern und Jugendlichen sowie die Einführung der Dreiteilung der Pflegeberufe – die Frau Bundesminister hat es angesprochen – mit der zweijährigen Ausbildung zur Pflege­fachassistenz, die künftig auch, also frühestens ab dem Jahr 2019, dem System zur Verfügung stehen wird.

Diese durchgängigen Bildungskarrieren erhöhen die Attraktivität, damit dieser Gesund­heitsberuf auch ergriffen wird, denn derzeit stellen wir schon fest, dass Gesundheits- und Krankenpflegepersonen zwar die Ausbildung absolvieren, dann aber in andere Berufe abwandern. Einerseits ist das deshalb, weil die Handlungsfelder und Rahmen­bedingungen wenig attraktiv sind, und andererseits deshalb, weil die Basis, die Rahmen­bedingungen für andere Möglichkeiten, ihre Kompetenz, ihr Wissen, ihr Können den Versorgungssystemen zur Verfügung zu stellen, derzeit nicht vorhanden sind. Ich komme gleich darauf, was ich damit konkret meine.

Die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Pflege ist über diesen erlauchten Kreis an Expertinnen und Experten hinaus, wenn man nicht unmittelbar davon betroffen ist, wenig konkret. Pflegeleistungen werden vorwiegend als Kostenfaktor diskutiert – es kostet auch, das ist schon richtig, aber Pflege ist ein enormer Leistungsfaktor im Ge­sundheits- und Sozialsystem. Dass die Versorgungsleistung durch die Familie immer weniger zur Verfügung steht, das haben wir heute mehrfach gehört. Die Versorgungs­systeme müssen aber niedrigschwellig gestaltet sein, diese Forderung meiner Vorred­nerin­nen und Vorredner kann ich sehr klar unterstreichen. Aber alle Gesundheitsberufe müssen die gleichen Rahmenbedingungen haben.

Es ist daher unverzichtbar, dass künftig auch selbständig tätige Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im System ihre Leistungen nicht nur anbieten, sondern auch abrechnen können, und das ist momentan de facto nicht der Fall. Reformen auf diesem Sektor sind dringend in Angriff zu nehmen, denn auch Gesundheits- und Kranken­pflege ist laut Berufsgesetz ein freier Beruf.

Damit die Handlungsfelder und die Kompetenzen der Gesundheits- und Krankenpflege auch gut genutzt werden, wurde im Jahr 2012 ein wichtiger Schritt gesetzt. Seit dem Jahr 2012 wird nämlich die Kompetenz der Gesundheits- und Krankenpflegepersonen im Rahmen der Antragstellung zum Pflegegeld genutzt, und zwar werden für eine bestimmte, klar definierte Gruppe von AntragstellerInnen bei Erhöhungsanträgen zum Pflegegeld von ihnen Gutachten erstellt. Das heißt, zum positiven Wohle aller Betroffenen wird hier ihre Kompetenz zur Verfügung gestellt.

Es wurde heute schon angesprochen, dass ein wichtiger Versorgungsansatzpunkt Refor­men bei der Primärversorgung sind. Auch hier gilt es, die enorme Fachkom­petenz der Gesundheits- und Krankenpflege nicht nur in pflegerischer Hinsicht zu nutzen, sondern auch in dieser Hinsicht, dass die Gesundheits- und Krankenpflege­personen auch enorme Leistungen in der medizinischen Routineversorgung überneh­men, im Spitalssetting tun sie dies ja bereits. Sie können das jedenfalls auch im niedergelassenen Bereich, und da braucht es ganz dringend Strukturen, flankierend zu den Hausärzten, zu den Allgemeinmedizinern. Hier stehen wir ganz am Anfang, und hier ist von „auf Augenhöhe“ noch keine Rede.

Der Bedarf an diesen Leistungen ist gegeben – wir haben es heute mehrfach gehört –, und die Tendenz ist steigend, da die Menschen doch zunehmend an chronischen Erkran­kungen leiden. Diese Menschen brauchen nicht nur pflegerische Leistungen, sie brauchen nicht nur Betreuungsleistung, sie brauchen auch die Übernahme medizi­nischer Routinetätigkeit und die Leistungen medizinischer Routinetätigkeit wie bei­spielsweise die Verabreichung von Injektionen, Blutabnahmen, Infusionen und vieles mehr – auch im häuslichen Bereich, das muss nicht im teuren stationären Sektor passieren. Dies ist insbesondere für jene Menschen von Bedeutung, die besondere Bedürfnisse haben, die an Demenz leiden, für die es ganz wichtig ist, möglichst lange und gut betreut in ihrer häuslichen Umgebung bleiben zu können.

Es sind gemeinsame Anstrengungen notwendig, und die Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe ist ganz wichtig, aber auch die Zusammenarbeit mit den Sozial­betreuungsberufen.

Wenn ich jetzt noch einmal konkret auf die Primärversorgung zu sprechen kommen darf, so ist die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen ÄrztInnen und der Ge­sund­heits- und Krankenpflege derzeit, wenn sie freiberuflich ist, aber auch, wenn sie ihre medizinischen Routineleistungen anbieten möchte, nicht möglich. Stationäre und ambulante Versorgungsangebote sind überproportional hierarchisch und medizinlastig. Zu „ambulant vor stationär“, dahin haben wir noch eine gute Strecke des Weges zu absolvieren, damit eine gute Versorgung stattfinden kann. Die Versorgung im statio­nären Sektor ist teuer.

Leistbare Pflegeangebote gestalten Veränderungsprozesse mit der Einbindung aller Beteiligten und zielen nicht allein auf kurzfristige ökonomische Effekte, die meistens auf Kosten der Betroffenen erzielt werden. Es ist evident, dass Komplikationen wie Infektionen, Pneumonien, respiratorisches Versagen eine Wiedereinweisung ins Akut­krankenhaus erforderlich machen, und es besteht auch ein unmittelbarer Zusam­menhang zwischen der Qualifikation der Gesundheits- und Krankenpflege und der Entstehung dieser Komplikationen. Dieser Effekt wurde heute noch nicht ange­sprochen. Diese Komplikationen verursachen nicht nur enorme Kosten, sondern auch enormes menschliches Leid.

Pflegerische Leistungserbringung braucht daher entsprechende Ausbildung, Kompe­tenz und Rahmenbedingungen. Daher danke für diese Initiative, Frau Präsidentin. Wenn wir entsprechende Ausbildung, Kompetenz und Rahmenbedingungen haben, dann wird Pflege schaffbar, sichtbar und leistbar. (Beifall.)

12.02


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Vielen Dank, Frau Präsident.

12.02.22Diskussion

 


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Wir gehen nun in die Diskussion ein.

Bevor ich der ersten Rednerin das Wort erteile, weise ich wieder darauf hin, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 bis 4 Minuten nicht überschreiten sollen, und ersuche gleichzeitig darum, diese Vorgabe einzuhalten.

Bitte geben Sie Ihren Beitrag vom Rednerpult aus unter vorheriger Nennung Ihres Namens und Ihrer Institution ab.

Als Erste zu Wort gemeldet ist Frau Martina Rüscher, Vorarlberger Landtag. – Bitte.

 


12.03.04

Martina Rüscher, MBA MSc (Abgeordnete des Vorarlberger Landtags, ÖVP)|: Werte Präsidentin! Werte Referentinnen und Referenten! Werte Anwesende! Werte Zu­sehe­rinnen und Zuseher! Ich darf vorab meine Kolleginnen und Kollegen des Vorarl­berger Landtags entschuldigen. Es hätte weit mehr Interessierte gegeben, aber wir haben heute eine Landtagssitzung, und daher war nur ich abkömmlich, aber ich freue mich umso mehr, hier sein zu dürfen.

Wir haben heute bereits einige sehr spannende Beiträge gehört. Ich möchte aufgreifen, dass die wohnortnahe „Ambulant-vor-stationär“-Pflege bereits jetzt als Mangelberuf zu kennzeichnen ist. Das neue GuKG hat viele wesentliche Schritte geschafft, aber eines hat es nicht geschafft: Es hat die Lücke zwischen den 15- und 17-Jährigen nicht geschlossen. Es gibt sehr viele junge Menschen, die motiviert sind, ein hohes Sozial­kapital mitbringen und diesen Beruf gerne ergreifen möchten, die aber mit 15 Jahren, nach der Absolvierung ihrer Pflichtschuljahre, vor der Frage stehen, wie es weitergeht. Sie müssen derzeit zwei Jahre warten, bevor sie in diesem Bereich starten können. Sehr viele, gerade die Motivierten, suchen sich in dieser Zeit natürlich eine andere Ausbildung, und sie gehen uns verloren.

Daher haben wir in Vorarlberg ein sehr starkes und großes Interesse an der Pflege­lehre. Das mag vielleicht auch an unserer Herkunft liegen, denn über 50 Prozent der Jugendlichen in Vorarlberg absolvieren eine Lehre. Wir haben sehr viele qualitätsvolle Berufe, die sowohl über den Weg der Lehre als auch über den Weg der Schule erreicht werden können – parallel – und mit denselben Abschlüssen enden. Natürlich bedeutet die Lehre eine etwas längere Ausbildungsdauer. Wir arbeiten derzeit an einem Modell der betriebsgebundenen Ausbildung. Vor allem für den niedergelassenen Bereich der Langzeitpflege ist das sehr wesentlich, denn die Menschen, die jetzt ihre Ausbildung absolvieren, bleiben aufgrund der Rahmenbedingungen sehr oft im Akutbereich, aber wir brauchen sie auch im niedergelassenen Bereich, in der Langzeitpflege.

Mit einer Pflegelehre hätten wir die Chance, dass junge Menschen auch die Häuser besser kennenlernen, dass sie in diesen Jahren kompetent begleitet werden. Wir plä­dieren sehr dafür, dass man mit 15 Jahren in einem Betrieb beginnen kann, in vier Jahren diese Ausbildung absolviert – natürlich im selben Ausmaß die Schule, aber diese in geblockter Form –, und nach vier Jahren, also zur selben Zeit wie für jemanden, der mit 17 Jahren die Schule beginnt, endet dann die Ausbildung.

Ich würde Sie sehr bitten, an diesen Vorschlag mit einer etwas größeren Offenheit heranzugehen. Wenn es nicht im Rahmen der Lehre erfolgt, dann starten wir jetzt mit diesem Modell einer betriebsgebundenen Ausbildung. Ich halte das für einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Zukunft.

Jetzt bleibt mir nur noch, ganz kurz einige Punkte anzusprechen, insbesondere den neuen Regionalen Strukturplan Gesundheit – das richtet sich an die Referentinnen und Referenten aus der Politik. Wir haben es jetzt in Vorarlberg als erstem Bundesland geschafft, den Gesundheitsbereich und den Pflegebereich gemeinsam zu planen, gemeinsam im RSG festzuhalten. Dieser wurde am Montag präsentiert, und ich halte das für ganz wesentlich.

Was die Angehörigenpflege betrifft, möchte ich auch als Landesleiterin der Frauen­bewegung darauf hinweisen, dass wir für diesen Bereich ein Pensionssplitting, und zwar ein automatisches, dringend bräuchten, denn gerade Frauen dürfen nicht darauf verzichten müssen.

Bei der 24-Stunden-Betreuung – es ist ja keine Pflege, sondern eine Betreuung – ist uns die Qualitätssicherung ein großes Anliegen. Wir müssen danach trachten, uns noch stärker mit den dezentralen Mobilen Hilfsdiensten, Gesundheits- und Kranken­pflegevereinen und den niedergelassenen Ärzten zu vernetzen, damit diese Qualitäts­sicherung sicher erfolgen kann.

Zur Primärversorgung, die heute schon so oft gelobt wurde, möchte ich nur ein Wort sagen: Bitte vergessen Sie nicht die vielen ländlichen Gebiete, in denen eine Haus­arztversorgung mit einer sehr guten Vernetzung aller Mobilen Dienste, aller Gesund­heits- und Krankenpflegevereine hervorragend funktioniert! Wir haben mit den Wohn­gemeinschaften et cetera neue Wohnformen, die wir gerade starten. Da wäre eine zentrale Primärversorgung wirklich ein Bruch im System. Machen wir bitte die Augen auf! Setzen wir sie dort ein, wo es sie braucht! Wenn die dezentralen Strukturen aber funktionieren, dann stärken wir bitte diese, zum Beispiel auch mit einem Angestell­tenverhältnis für Ärzte im niedergelassenen Bereich! – Danke. (Beifall.)

12.07


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Kitzmüller. – Bitte.

 


12.08.01

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Danke vielmals für diese Enquete, die heute stattfindet. Wenn ich die zwei bisherigen Refe­rats­runden betrachte, dann stelle ich fest, dass sie sehr gegensätzlich waren. Zuerst haben die Politiker, die Minister, gesagt, dass alles in Ordnung, alles super ist und es nichts zu tun gibt. Dann haben wir den Präsidenten der Caritas, den Herrn Volksanwalt und die beiden anderen Diskussionsteilnehmer gehört, Fachexperten, die sagen, dass es gar nicht so rosig ausschaut, wie von der Politik immer wieder gesagt wird.

Wir haben natürlich das Problem, dass die Kompetenzen nicht in einer Hand liegen. Wir haben verschiedene Zugänge zur Pflege und verschiedene Pflegebegriffe. Es gibt verschiedene Auszahlungsarten der Pflegegeldbeiträge, es gibt, was ein großes Problem ist, einen erschwerten Zugang zu den Pflegestufen 1 und 2. Es wurde keine Valorisierung des Pflegegeldes vorgenommen. Das Pflegegeld hat seit seiner Einfüh­rung im Jahre 1993 inzwischen ungefähr 35 bis 40 Prozent an Wert verloren.

Der Glaube des Herrn Caritas-Präsidenten, dass sich da jetzt etwas tut, ist ja sehr schön; es ist schön, wenn er daran glaubt. In diesem Fall glaube ich nicht daran. Es ist wirklich an der Zeit, dass die Politik, die Regierungsparteien endlich etwas tun, denn diese Zustände hatten wir immer schon. Es wird schon lange gesagt, dass wir valori­sie­ren müssen, aber es geschieht nichts. Es wird ja nicht nur im Pflegebereich nicht valorisiert, es wird ja auch, wie Sie alle wissen, im Familienbereich nicht valorisiert, und all dies fällt uns jetzt natürlich auf den Kopf, sei es in der Pflege oder in anderen Bereichen.

Herr Minister Schelling hat gemeint, man könnte Wohngemeinschaften gründen, in denen Studenten die Älteren pflegen und betreuen. Das hört sich ja alles schön und gut an, aber dann ist auch der Wohnbau gefordert. Viele Familien würden ihre Angehörigen gerne selbst pflegen und betreuen, wenn es sich finanziell ausginge, die Wohnung umzubauen, um das zu ermöglichen.

Meine Damen und Herren! Sie sehen, es ist wahnsinnig viel zu tun, und ich hoffe, dass einmal mehr als nur Worte folgen werden und dass ich nicht, wenn ich diese Dis­kussionen im Parlament wieder höre, denken muss: Und täglich grüßt das Murmeltier. (Beifall.)

12.10


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Mag. Schwentner. – Bitte.

 


12.11.02

Abgeordnete Mag. Judith Schwentner (Grüne)|: Auch meinerseits einen schönen Tag! Ich möchte mich auch ganz herzlich dafür bedanken, dass der Bundesrat dieses Thema aufgegriffen hat, nicht nur deswegen, weil es jetzt hier in aller Breite diskutiert wird, sondern weil wir wissen, dass es eigentlich eines der wichtigsten Themen ist, die uns aufgrund der demografischen Entwicklung bevorstehen, und ein Thema, mit dem wir uns hier in diesem Haus viel, viel mehr beschäftigen müssten.

Ich bin Abgeordnete des Nationalrates, Sozialsprecherin und damit auch Mitglied des Sozialausschusses. Ich finde, dass dieses Thema auch im Sozialausschuss eigentlich nur marginal vertreten ist und dass wir es sehr viel öfter in den Fokus rücken müssten.

Am Vormittag wurden einige Themen angesprochen, die alle zeigen, dass wir noch nicht genau wissen, auf welches Ziel wir uns geeinigt haben. Wenn wir uns auf das Ziel einigen, dass alle Menschen in Österreich im Alter gleich gut gepflegt und gleich gut versorgt sein sollten, dann klingt das vielleicht auf den ersten Blick banal. Wenn wir aber all die Themen genauer betrachten, die am Vormittag vonseiten der Minister und Ministerinnen und in der Folge auch in tiefer gehenden Statements aufgeworfen worden sind, jene Dinge, bei denen es nicht so gut funktioniert, dann sehen wir, dass wir in allen Bereichen, in denen es um die Finanzierbarkeit geht, in denen es um den Pflegefonds geht, aber auch um die 24-Stunden-Betreuung und um die Unaus­gewogenheit zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, nämlich der Arbeit von Frauen, noch ganz weit weg davon sind, dafür gesorgt zu haben, dass es wirklich allen Menschen in Österreich in der Versorgung und der Pflege im Alter gleich gut geht.

Ich möchte zwei Bereiche hervorheben. Der eine ist mir ein besonderes Anliegen, weil er meiner Ansicht nach heute noch nicht entsprechend thematisiert worden ist: Das ist die 24-Stunden-Betreuung. Sie wurde immer wieder angesprochen, und sie wurde in letzter Zeit heftig diskutiert, aber leider nur aus einem Grund, nämlich als es darum ging, jenen, die hier wertvolle Arbeit leisten, die Familienbeihilfe wegzunehmen. Ich finde, wir sollten mehr darauf schauen, was in diesem Bereich geleistet wird und welche Unzulänglichkeiten es in diesem Bereich gibt, beginnend mit der Schein­selbständigkeit bis hin zu der Tatsache, dass es immer mehr Menschen gibt, die auf dieses System zurückgreifen. Meiner Meinung nach ist es aber nicht das System, mit dem wir gewährleisten, dass alle Menschen in Österreich gleich gut gepflegt werden.

Ich möchte auch ein bisschen mit dem Tabu brechen – weil wir das hier diskutieren, ich bin dann gleich fertig –, dass es immer das Beste ist, bis zum Schluss zu Hause gepflegt zu werden. Ich möchte einmal ganz offen darüber diskutieren, ob das wirklich das Beste ist, welche Pflege- und Betreuungsformen wir dazwischen brauchen und ob wir uns nicht, bitte, endlich einmal von diesem Dogma lösen können. – Danke. (Beifall.)

12.14


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Nächster Redner ist Herr Bundesrat Tiefnig. – Bitte.

 


12.14.18

Bundesrat Ferdinand Tiefnig (ÖVP, Oberösterreich)|: Geschätzte Mitglieder des Podiums! Liebe Teilnehmer der Enquete! Herzliche Gratulation auch meinerseits für dieses Anliegen! Wir sehen, wie breit die Pflege aufgestellt ist: Es beginnt bei der Jugend und reicht bis hin zum Pensionisten, bis zum Senioren, der im Pflegeheim oder auch zu Hause gepflegt wird. Ich möchte auch jenen 75 Prozent der Österreicher, die die Pflege zu Hause leisten, ein Dankeschön aussprechen. Das gilt besonders auch für die Landwirtschaft, in der 98 Prozent der Pflege zu Hause geleistet wird – das ist ein hervorragender Bereich.

Es wird aber in Zukunft auch Möglichkeiten geben müssen, wie wir Arbeit zu den Menschen nach Hause bringen können, damit sie die Pflegeleistung von zu Hause erbringen können, weil sie auch den Arbeitsplatz zu Hause haben.

In Zukunft wird es ein Thema sein, wie sich die Primärversorgung aufstellen wird, und da bin ich sicherlich aufseiten der Primärversorgung. Der Arzt muss heute ein Manager sein, der die Alten- und Sozialfachbetreuerin, die diplomierte Betreuerin bis hin zur 24-Stunden-Betreuerin entsprechend anweisen und feststellen kann, ob diese Leistungen vor Ort den Menschen dienen oder ob sie vielleicht schon eine andere Leistung benötigen, also zu Hause nicht mehr gepflegt werden können, sondern vielleicht doch in ein Heim eingewiesen werden müssen.

Daher ist es wichtig, dass die Primärversorgung in Zukunft so aufgestellt wird, dass sie in die Flächen hinausgeht. Das muss nicht mithilfe eines Ärztezentrums sein, sondern die Ärzte können sich mit dem Pflegepersonal, mit den Physiotherapeuten vernetzen, um eine entsprechende Vorsorge bei den älteren Menschen zu leisten, damit diese länger mobil bleiben.

Ich kann nur gratulieren und Danke sagen. Es ist wichtig zu agieren – was die Politik ja heute mit dieser Enquete macht – und nicht nur zu reagieren, wie wir es schon oft gesehen haben, denn jetzt sind wir einen Schritt voraus und können dieses Problem daher in Zukunft auch dementsprechend lösen. – Danke schön. (Beifall.)

12.16


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Als Nächste zu Wort gelangt Frau Dr. Regina Baumgartl vom Dachverband der Behindertenverbände. – Bitte.

 


12.16.31

Dr. Regina Baumgartl (Dachverband der Behindertenverbände Österreich)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Regina Baumgartl. Ich bin Generalsekre­tärin des KOBV Österreich und vertrete heute diesen und auch die ÖAR , den Dachverband der Behindertenverbände Österreichs.

Pflege muss leistbar sein und auch leistbar bleiben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Ich möchte aber grundsätzlich darauf hinweisen, dass Pflege heute schon oft nicht mehr leistbar ist. Mehrfach angesprochen wurde, auch im Referat von Herrn Volks­anwalt Kräuter, dass die Pflegegelder sehr lange nicht valorisiert worden sind. Insge­samt wurden sie fünfmal valorisiert, zuletzt im vergangenen Jahr mit 2 Prozent. Das war schön, aber viel zu wenig. Die maßgeblichste Valorisierung aller Pflegegeldstufen der letzten Jahre hat im Jahr 2009 stattgefunden; also das liegt auch schon viel zu lange zurück.

Was mir daher besonders wichtig ist, ist, dass wir die jährliche Valorisierung möglichst rasch im Gesetz umsetzen können. Was mich besonders gefreut hat – und da kann ich den Beitrag der FPÖ-Abgeordneten nicht ganz nachvollziehen –, ist, dass insbeson­dere von Herrn Sozialminister Stöger heute unter dem Titel Gerechtigkeit die Äußerung getan wurde, dass es wichtig sei, zu einer jährlichen Erhöhung des Pflegegeldes zu kommen. Das hat er gesagt, und dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Und ich möchte betonen, dass es sehr wichtig ist, das möglichst rasch weiterzuverfolgen. Ich gebe somit der Hoffnung Ausdruck, dass wir im nächsten Jahr bereits eine jährliche Valorisierung im Bundespflegegeldgesetz verankert haben werden.

Was die Finanzierung betrifft, so ist auch das ein sehr wesentlicher Punkt. Wir fordern bereits seit vielen Jahren, nachhaltige Maßnahmen zur langfristigen Finanzierung des Pflegegeldsystems zu schaffen. Was ist da geschehen? – Leider viel zu wenig. Es wurde gespart, zweimal: Im Jahr 2011 und im Jahr 2015 waren die Pflegebedürftigen der Pflegegeldstufen 1 und 2 mit einem Sparpaket, oder, besser gesagt, mit zwei Spar­paketen, belastet. In beiden Jahren wurden die Zugangskriterien zu den Pflegegeld­stufen 1 und 2 verschärft, was Pflegebedürftige weiter in ihrer Existenzsicherung bedroht hat. Das verstehen wir nicht unter einer Maßnahme, die zur langfristigen Sicherung des Systems beiträgt. Wir fordern daher, dass es möglichst rasch weitere Gespräche darüber gibt, wie man zu einer langfristigen und nachhaltigen Finanzierung des Systems kommen kann.

Herr Bundesminister Stöger hat angesprochen, wie unter anderem auch der Herr Finanz­minister, dass es auch ein solidarisch finanziertes System geben könnte. Grund­sätzlich halten wir das auch für eine gangbare Alternative, und Gespräche in diese Richtung sollten weitergeführt werden. – Besten Dank. (Beifall.)

12.19


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Zu Wort gemeldet ist nun Frau Mag. Gabriele Jaksch von MTD-Austria.

 


12.20.05

Mag. Gabriele Jaksch (MTD-Austria)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Herzlichen Dank für dieses Engagement für die Pflege in Form einer Enquete. Als Präsidentin des Dachverbandes von sieben gesetzlich geregelten Gesundheitsberufen vor allem im therapeutischen und diagnostischen Bereich – das sind die ErgotherapeutInnen, Physio­therapeutInnen, DiätologInnen, OrthoptistInnen, LogopädInnen, Biomedizini­schen AnalytikerInnen und die RadiologietechnologInnen – darf ich die drittgrößte Berufsgruppe im Gesundheitswesen in Österreich vertreten.

Wenn wir die Versorgung aller Österreicherinnen und Österreicher wirklich gewähr­leisten wollen, dann braucht es auf alle Fälle Veränderung und ein Umdenken. Es wurde heute Gott sei Dank schon sehr, sehr häufig von multiprofessionellen Teams gesprochen; das heißt, nicht nur Gesundheits- und Sozialberufe, sondern auch viele andere Berufe sind gefragt, um dieses System aufrechterhalten zu können.

Blickt man auf die letzten Jahre zurück, so hat man sich mit der Ärzteausbildung beschäftigt, man hat sehr viel Zeit mit der Pflegenovelle verbracht, die jetzt, den Ausführungen von Präsidentin Frohner zufolge, gelungen ist; aber ob sie ganz optimal gelungen ist, ist natürlich infrage zu stellen.

Wir müssen einen Blick über den Tellerrand werfen – viele, viele andere Länder leben das schon vor –, um die Thematik auch mit einer Rollenverteilung anzugehen. Die Gesundheitsberufe und auch die Sozialberufe leben in anderen Ländern – und das schon seit vielen Jahrzehnten – die Rollen vor allem im extramuralen Bereich anders, und das betrifft die Pflegeberufe genauso wie die therapeutischen Berufe.

Wenn ich die Berufsbilder, die ich vertrete und die seit 1992 bestehen, betrachte, dann klafft die Lücke zwischen der Ausbildungsverordnung und dem, was jetzt gelebt wird und was gemacht werden darf, schon sehr, sehr weit auseinander. Das heißt, die Auseinandersetzung mit den Berufsbildern der MTD-Berufe ist längst überfällig, und wir werden schon seit Jahren vom Bundesministerium für Gesundheit mit der Aussage vertröstet: Es wird dann bald angegangen.

Es gibt noch immer Leistungen dieser gehobenen medizinisch-technischen Dienste, die extramural nicht bezahlt werden. Jeder Mensch, jede Familie muss, wenn sie eine Diätologin mobil nach Hause kommen lässt, das leider selber berappen. Es braucht eben mehr mobile Personen, auch im MTD-Bereich.

Es gibt sehr, sehr gute Ansätze, wenn man das Thema Primärversorgung betrachtet – das natürlich noch lange nicht gut in die Gänge gekommen ist –, oder auch das Thema Rahmengesundheitsziele, das wirklich ministerienübergreifend abgehandelt wird.

Ich denke, wir müssen alle zusammenhalten und zusammenhelfen, und wir müssen uns endlich trauen, auch von anderen Ländern Modelle, die aufzeigen, wie diese mit den Gesundheitsberufen, schon über viele Jahre im Gesetz verankert, umgehen, über­nehmen. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

12.22


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich darf nun Frau Mag. Monika Wild um ihren Redebeitrag bitten.

 


12.22.55

Mag. Monika Wild, MAS MSc (Österreichisches Rotes Kreuz)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Monika Wild, und ich komme vom Österreichischen Roten Kreuz. Das Österreichische Rote Kreuz bietet eine breite Palette an Dienstleistungen im Bereich der Pflege und Betreuung an. Ich möchte jetzt aber kurz auf die Heraus­forderungen im Bereich der mobilen Pflege und Betreuung eingehen.

Diesbezüglich hat sich der Druck in den letzten Jahren zunehmend verstärkt. Bedingt durch die Ökonomisierung in der Pflege werden die Zeitvorgaben für die Pflege immer knapper, und dazu kommen immer mehr Anforderungen, wie zum Beispiel in den Bereichen Arbeitskleidung oder Hygienevorschriften. Das bedingt natürlich, dass wir eigentlich für die zwischenmenschliche Beziehung – wie Sie es auch zu Beginn erwähnt haben –, für diese Beziehungsarbeit kaum Ressourcen haben. Es ist eigent­lich mehr ein Abhaken von Tätigkeiten, die Betreuung und die Pflege sind mit diesen sehr knappen Zeitvorgaben sehr tätigkeitsorientiert. Es ist notwendig, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, bedarfsorientiert zu handeln und keine Stechuhr­pflege zu betreiben.

Ein anderer Aspekt ist, dass im neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz erst­mals Spezialisierungen genannt wurden, die auch für den Bereich der Langzeitpflege relevant sind, wie zum Beispiel die psychogeriatrische Pflege oder Wundmanagement und Stomaversorgung. Dahin gehend wäre es uns ein großes Anliegen, gemeinsam mit den Vertretern der Länder und der Ministerien zu diskutieren und zu schauen, wie diese Spezialisierungen in die Praxis umgesetzt werden können, damit diese Qualitäts­entwicklung und Weiterentwicklung auch im Bereich der Langzeitpflege vonstatten­gehen kann. – Danke. (Beifall.)

12.24


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich darf nun Frau Birgit Meinhard-Schiebel um ihren Redebeitrag bitten.

 


12.25.04

Birgit Meinhard-Schiebel (Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hochverehrte Mitglieder des Podiums! Liebe Men­schen, die hier im Saal sind! Mein Name ist Birgit Meinhard-Schiebel, ich bin seit 2010 ehrenamtlich Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger und Zugehöriger. Ich betone immer das Wort zugehörig, denn nicht alle Menschen sind direkt miteinander verwandt, übernehmen aber trotzdem Pflege und Betreuung von anderen Menschen in ihrem Umfeld.

Ich danke Ihnen sehr für die interessanten Beiträge, die wir schon gehört haben, natürlich auch für die Beiträge, die aus dem Publikum gekommen sind; aber dahinter, hinter allem, was wir da diskutieren, stehen Hunderttausende Schicksale – Schicksale von Menschen, die es immer noch als Tabu empfinden, mit ihren Problemen, mit ihren Anliegen, mit ihrer Hilflosigkeit an die Öffentlichkeit zu gehen, die aus den unterschied­lichsten Gründen nicht in der Lage sind, sich Hilfe zu organisieren.

Ich denke, es ist eine gesellschaftliche Herausforderung für uns alle, diesen Menschen auf jedem Weg, der möglich ist, das zukommen zu lassen, was sie wirklich brauchen. Dabei geht es um viel mehr als nur um strukturelle Ansätze. Dabei geht es sehr oft darum, genau hinzuschauen und zu sehen, was diese Menschen wirklich belastet und was sie unter Umständen tragen können, aber auch müssen.

Es sind nicht nur Menschen, die alt werden, die gepflegt werden, sondern es sind Tausende Eltern von Kindern, die schwer krank sind. Es sind Tausende Kinder, und zwar buchstäblich Kinder, die ihre Eltern pflegen, betreuen, unterstützen. Niemand kennt sie, und niemand von ihnen geht damit an die Öffentlichkeit, außer in ganz kurzen Beiträgen, wie Sie sie vielleicht vor zwei Tagen in der Sendung „Thema“ gesehen haben, in denen aber trotzdem das Interview damit begonnen hat, dass es ja ganz schwierig ist, an das Pflegegeld zu kommen. Damit macht man Menschen Angst, anstatt genau das Gegenteil zu machen, denn es ist in Wirklichkeit sehr einfach. Da braucht es also sehr viel Aufklärung, Zusammenarbeit mit den Medien, mit den Interessenvertretungen, natürlich auch mit der Politik.

Es gibt sinnvolle und sehr wichtige Unterstützungsangebote, aber wir müssen auch selbst, als Menschen, die wir hier sitzen, daran denken, dass wir auch etwas tun müs­sen, damit wir nicht eines Tages in die Situation geraten und sagen müssen: Um Gottes Willen, was ist denn jetzt passiert, und was soll ich denn jetzt tun?

Sie wissen, es gibt eine Patientenverfügung. Sie wissen, es gibt eine Vorsorge­vollmacht. Ich stelle sehr provokant die Frage: Wer von Ihnen hat denn eine solche? – Diese Frage stelle ich immer wieder, und ich weiß, dass immer nur ganz wenige Menschen aufzeigen und sagen: Ich habe so etwas. – Das ist eine wichtige Voraus­setzung, um im Fall des Falles nicht völlig hilflos dazustehen und zu wissen, was der Reihe nach an Unterstützung zumindest möglich ist.

Mir ist es ganz wichtig, dass ich meinen Standardsatz: Damit habe ich nicht gerechnet!, den ich immer wieder ins Spiel bringe, eines Tages in den Standardsatz ändern kann: Ich weiß, wo ich Hilfe bekomme, und ich weiß, dass ich unterstützt werde.

Würde es nicht das Bundesministerium für Soziales und die KollegInnen dort geben, die mich wirklich perfekt unterstützen, und das Österreichische Rote Kreuz, das uns die Möglichkeit gibt, das überhaupt zu tun, dann hätte ich wenig Hoffnung, dass ich diesen Satz eines Tages ändern kann. Ich gebe die Hoffnung aber niemals auf, und ich hoffe, Sie auch nicht. – Danke. (Beifall.)

12.28


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Zu Wort gelangt nun Frau Mag. Leena Pelttari. – Bitte.

 


12.29.04

Mag. Leena Pelttari, MSc (Hospiz- und Palliativforum)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Leena Pelttari, ich bin die Geschäftsführerin des Dach­ver­bandes Hospiz Österreich. Heute vertrete ich das Hospiz- und Palliativforum in dieser Enquete.

Die 18 Millionen € jährlich, die in den Finanzausgleichsverhandlungen für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in ganz Österreich für die nächsten fünf Jahre beschlossen wurden, sind sehr willkommen. Die Pflege und Betreuung schwer kranker und sterbender Menschen in ganz Österreich wird damit gefördert. Uns freut es sehr, dass diese Förderung alle Altersgruppen umfasst, da auch schwer kranke Kinder und Jugendliche mit ihren Familien ganz besondere Unterstützung benötigen.

Das ist ein guter Anfang, aber noch nicht die dringend benötigte Regelfinanzierung – nämlich jene Regelfinanzierung, wie sie im aktuellen Regierungsprogramm steht und auch im Parlament einstimmig als eines der Ergebnisse der parlamentarischen Enquete-Kommission „Würde am Ende des Lebens“ beschlossen worden ist. Mit einer Regelfinanzierung können die Einrichtungen und Dienste dauerhaft gesichert werden. Derzeit sind noch viele Hospiz- und Palliativversorgungsangebote, insbesondere für Kinder und Jugendliche, auf Spenden angewiesen.

Die Erarbeitung einer öffentlichen Regelfinanzierung ist eine der Hauptaufgaben des Hospiz- und Palliativforums, das 2016 von der Regierung eingesetzt wurde. Äußerst wichtig ist dabei, dass die Pflegenden flexibel auf die individuellen Bedürfnisse der schwer kranken und sterbenden Menschen eingehen können. Abrechnung im Minu­tentakt ist menschenunwürdig. Die Betroffenen haben oft keine Stimme mehr, es braucht eine schützende Kontrolle. Deshalb ist eine Finanzierung auf der Basis von Einzelleistungen ungeeignet und eine Pauschalfinanzierung notwendig, wie viele Beispiele aus der Praxis bereits belegen.

Hospiz- und Palliativeinrichtungen für Kinder und für Erwachsene brauchen ein Gesamtbudget zur Abdeckung ihrer Personal- und Sachkosten und können damit bestmögliche Betreuung flexibel und kostenschonend anbieten. – Vielen Dank. (Beifall.)

12.31


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Herr Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich gelangt nun zu Wort. – Bitte.

 


12.32.10

Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich (Europäische Kommission)|: Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Frau Vizepräsidentin! Verehrte Damen und Herren Bundesräte und Abgeord­nete! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch die Europäische Kommission beschäftigt sich mit den großen Herausforderungen der sozialen Sicherungssysteme, weil wir wissen – wir haben das in der Vergangenheit gesehen –, wenn so etwas aus dem Ruder läuft, dann kann das leicht über Ländergrenzen hinwegschwappen.

Wir tun dies gemeinsam mit der Republik Österreich, auch gemeinsam mit dem Euro­päischen Parlament. Wir sehen in Österreich unter anderem in den Bereichen Gesundheitspolitik, Bildungspolitik und Steuerpolitik Herausforderungen. Darauf gehe ich jetzt nicht ein, ich gehe auf den Bereich Pflege ein.

Auch dort sehen wir noch Hausaufgaben, die zu machen sind. Ich erwähne ein Doku­ment, in dem wir das genau darlegen, nämlich den sogenannten Länderbericht, den wir im Europäischen Semester erstellen. Das Europäische Semester ist eigentlich dieses Bindeglied, mit welchem man sich mit Strukturreformen für alle europäischen Länder beschäftigt. Dort sagen wir zur Pflege Folgendes:

Wir sehen auf der einen Seite, dass die Lebenserwartung steigt – ich glaube, darüber besteht hier Konsens –, wir sehen auch, dass die Lebenserwartung in Österreich leicht über dem EU-Durchschnitt liegt, es aber auf der anderen Seite eine drastische Diskrepanz bei den gesunden Lebensjahren gibt. Die Österreicher sind vier Jahre in ihrem Leben weniger gesund als der EU-Durchschnitt. Das sind OECD-Zahlen, die auch von der österreichischen Bundesregierung, die diesen Bericht vorher zur Prüfung bekommen hat, nicht kritisiert worden sind.

Das bedeutet natürlich, dass, wenn in Österreich die Frauen nur 57,8 und die Männer nur 57,6 gesunde Lebensjahre haben und dann die Probleme langsam anfangen, auch die Herausforderungen in die Pflege größer werden.

Wir sehen, dass die Langzeitpflegekosten in Österreich im europäischen Vergleich gegenwärtig gleich hoch sind. Wir sehen aber auch, dass bis zum Jahr 2060 – da ver­weise ich auf den sogenannten Ageing Report – der Anteil am BIP in Österreich viel stärker steigt, und zwar auf 2,7 Prozent des BIPs im Jahr 2060, gegenüber einem EU-Durchschnitt von 2,5 Prozent; dort überholt Österreich die EU.

Deswegen ist es wichtig, sich heute im Rahmen dieser Enquete damit zu beschäftigen. Wichtig ist auch Prävention, die Frage – um es ganz kurz zu machen –: Was kann man tun? Wichtig ist aber auch, dass vieles, was gegenwärtig in Spitälern passiert, vielleicht intelligenter gemacht werden kann. Der Spitalssektor ist in Österreich ein sehr teurer, und er ist teilweise für die Pflege nicht unbedingt immer geeignet. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.35


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Ich darf nun Frau Bibiána Kudziová um ihren Redebeitrag bitten.

 


12.35.30

Bibiána Kudziová (Ombudsstelle Personenbetreuung Wien)|: Sehr geehrte Frau Vize­präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Bibiána Kudziová, ich bin selbständige Seniorenbetreuerin in Österreich, und ich stamme aus der Slowakei.

Es freut mich aus verschiedenen Gründen, dass ich auch zu dieser Enquete zu diesem Thema eingeladen wurde. Der Bereich Personenbetreuung wurde im Jahr 2007 in Österreich legalisiert, entstanden ist er aber lange vorher. Durch wen? – Durch die Pflegebedürftigen und deren Angehörige, diese haben sich diese Dienstleistung an ihre Bedürfnisse angepasst.

Nach den aktuellen Zahlen gibt es in Österreich derzeit 20 000 Pflegegeldbezieher, die zu Hause von selbständigen Personenbetreuern rund um die Uhr betreut werden. Es gibt mittlerweile circa 60 000 selbständige Personenbetreuer in Österreich, die ihre schwere Arbeit leisten.

Wir sind keine Konkurrenz für die mobile Pflege, für die Heimhilfe, für die stationäre Pflege und für die Heime, wir sind die erste Stufe für pflegende Angehörige und Betreu­ungsbedürftige, die noch zu Hause bleiben und zu Hause betreut werden kön­nen.

Das Problem liegt nur bei den Finanzen. Von diesen 60 000 Personenbetreuern in ganz Österreich sind 1,7 Prozent Österreicher. Warum? – Die Frage ist: Wer arbeitet für 30 € pro Tag 24 Stunden? Deswegen ist es wichtig, dass dieses Thema besprochen wird. Es ist nicht nur eine finanzielle Unterstützung für die Heime und für die statio­nären Einrichtungen notwendig, sondern auch für die Pflegebedürftigen und die pflegenden Angehörigen zu Hause, damit diese Betreuung zu Hause leistbar ist, und auch für die Betreuer, die von zu Hause, aus den EU-Ländern, aus den Nachbar­ländern für zwei Wochen, für einen Monat, für drei Monate hierher kommen und die Arbeit erledigen.

Ich bin Berufsgruppensprecherin der Wirtschaftskammer Wien für die Berufsgruppe Selbständige Personenbetreuer. Wir haben letztes Jahr Standes- und Ausübungs­regeln für das Gewerbe Organisation von Personenbetreuung ausgearbeitet. Wir haben das Gewerbe getrennt, das heißt, es gibt nicht nur die Personenbetreuung, son­dern auch die Organisation von Personenbetreuung. Damit wollten wir zum Beispiel größere Kontrolle und Transparenz erreichen. Das ist uns wichtig.

Zweitens: Dieses Gewerbe ist ein freies Gewerbe. Das heißt, es benötigt keine Ausbildung wie die, über die wir hier reden. Es ist eine Betreuung, keine Pflege, trotzdem haben wir mit der Wirtschaftskammer Wien und der Wirtschaftskammer Nieder­österreich letztes Jahr die „Akademie für Personenbetreuung“ gegründet, die in den Heimatländern der Betreuer Seminare anbietet. Dort wird der Umgang mit Demenz­kranken geschult, es gibt auch eine spezielle Kinästhetik-Fortbildung. Die Betreuer werden auch in unternehmerischen Dingen gebildet, wie etwa, wie sie als Unternehmer auftreten sollen, wie sie sich verhalten sollen. Deswegen finde ich es schade, dass jetzt angestrebt wird, diesen Beruf, der eigentlich seit zehn Jahren legal funktioniert, unter irgendeinen Dachverband oder irgendeine Organisation zu stecken, und dass dann alles wieder neu finanziert werden muss.

Mir ist wichtig, dass die pflegenden Angehörigen die Möglichkeit haben, sich die geeig­nete Betreuerin selbst auszusuchen, statt eine Betreuerin zugeteilt zu bekommen.

Zum Thema Familienbeihilfe: Ich will keine Familienbeihilfe, um meinen Lohn zu erhöhen. Ich will, dass meine Arbeit geschätzt und richtig bezahlt wird. Ich will die Familienbeihilfe dafür verwenden, um meinen Kindern zu Hause die Schule und die Ausbildung und die Extrabetreuung für die Zeit, in der ich in Österreich bin, zu finanzieren. – Danke. (Beifall.)

12.39


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Zu Wort gemeldet ist Frau Mag. Monika Weißensteiner. – Bitte.

 


12.40.17

Mag. Monika Weißensteiner (Bundesarbeitskammer)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Monika Weißensteiner, ich komme von der Arbeiterkammer. Ich möchte mich auch für die heutige Veranstaltung bedanken, insbesondere für das gewählte Motto, das besagt, dass Pflege schaffbar und leistbar ist. Das ist sie nämlich auch aus unserer Sicht.

Es ist heute schon sehr viel gesagt worden, wozu es einiges anzumerken gäbe. Im Hinblick auf die Redezeit möchte ich drei wesentliche Punkte herausgreifen.

Es wurde zuvor schon von Ökonomen bestätigt, dass wir in Österreich mit den Aus­gaben für Pflege derzeit unter dem EU-Schnitt liegen und dass auch keine Kostenkrise herannaht. Und wenn ich wie vorhin von einem Vertreter der EU-Kommission bestätigt bekomme, dass im Jahr 2060 als Ausgaben – vielleicht knapp über dem EU-Durch­schnitt – 2,7 Prozent des BIPs zu erwarten sind, dann denke ich, dass sich das ein so reiches Land wie Österreich durchaus leisten kann. Wenn wir als Gesellschaft uns das für die pflegebedürftigen Menschen in Österreich und die Angehörigen, die ebenfalls betroffen sind, leisten wollen, dann können wir das auch.

Da möchte ich gleich bei einem anderen Punkt anschließen, bei dem wir in Österreich unter dem EU-Durchschnitt liegen: Das sind nämlich Steuern auf Vermögen. Aus unserer Sicht ist Pflege weiter als solidarisches Risiko aus Steuermitteln zu finan­zieren, und bei Vermögensteuern oder neu gedachten Erbschafts- und Schenkungs­steuern gäbe es diesbezüglich doch einiges, bei dem man ansetzen könnte.

Der letzte Punkt: Ich denke, wir sollten das Thema Pflege nicht immer als Kostenfaktor diskutieren. In Pflege und Betreuung zu investieren lohnt sich nämlich durchaus. Wenn man qualitätsgesicherte und gut bezahlte Beschäftigung im Pflege- und Betreuungs­bereich schafft, dann gibt es umgekehrt wieder Rückflüsse: Die Beschäftigten zahlen nämlich Sozialversicherungsbeiträge, die Beschäftigten zahlen Steuern, und die Ange­hö­rigen, die die Betreuungsarbeit bisher kostenlos geleistet haben, werden in die Lage versetzt, auch wieder erwerbstätig zu sein oder ihre Teilzeiterwerbstätigkeit aufzu­stocken. – Danke schön. (Beifall.)

12.42


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: In Anbetracht der vorgeschrittenen Zeit wird meines Erachtens vor der Mittagspause nur mehr ein Redebeitrag möglich sein. Wir haben aber noch eine lange Liste, und ich bedanke mich recht herzlich für die rege Diskussion und hoffe, dass wir nach der Mittagspause, wenn wir auch sehr viele spannende Debattenbeiträge vom Podium aus zu hören bekommen, diese rege Teil­nahme ebenso verspüren dürfen.

Zu Wort gemeldet ist jetzt Herr Willibald Steinkellner. – Bitte.

 


12.43.33

Willibald Steinkellner (Österreichischer Gewerkschaftsbund)|: Sehr geehrte Damen und Herren auf dem Podium! Sehr geehrte TeilnehmerInnen dieser Enquete! Ich könnte jetzt den kürzesten Redebeitrag des Tages bringen, indem ich sage: Herr Caritas-Präsident Landau, Sie haben in allen Punkten recht! – Das wäre zu kurz gegriffen, darum möchte ich ein paar Punkte hervorheben, die insbesondere im Jahr 2012 erarbeitet wurden.

Die Reformarbeitsgruppe Pflege hat damals zu vier wesentlichen Punkten, nämlich der Weiterentwicklung der Pflege- und Betreuungsangebote, der Verbesserungen für die Situation von pflegenden Angehörigen, zum Personal in Pflege- und Betreuungs­berufen und zur Finanzierung des Pflegesektors, Maßnahmen erarbeitet. Es waren 35 Maßnahmen, die damals von dieser Reformarbeitsgruppe erarbeitet wurden. Diese Reformarbeitsgruppe war ja prominent besetzt; vom Neusiedler See bis zum Bodensee, von allen Ländern, von NGOs, von allen Organisationen, die da mitgear­beitet haben, sind diese Maßnahmen dann festgeschrieben worden. Und wenn ich mir den Katalog mit diesen 35 Maßnahmen anschaue, dann denke ich: Ups, da fehlen aber viele Punkte, über die nicht mehr diskutiert wurde oder zu denen nichts mehr weitergegangen ist. – Ich möchte nur zwei oder drei davon herausgreifen.

Beim Punkt Personal hat mir damals schon – das wurde zwischenzeitlich immer wieder diskutiert, und ich möchte das heute auch ansprechen – die Personalbedarfs­berech­nung gefehlt. Es gibt sehr unterschiedliche von den Bundesländern festgeschriebene Pflegeschlüssel, es gibt in manchen gar keine Pflegeschlüssel, und in den Kranken­anstalten gibt es wohl Berechnungen für Personalbedarf, aber es gibt keinen bundes­einheitlichen Berechnungsmodus.

Ich denke, dass wir diesen dringend brauchen, weil wir alle wissen, dass die Kollegin­nen und Kollegen, die in den Pflegeberufen arbeiten, immer überlastet sind – aufgrund der schweren Tätigkeit, der psychisch und physisch schweren Tätigkeit, aber auch aufgrund des Personalmangels, der immer wieder auftritt und bei dem Löcher einfach damit gestopft werden, dass Kolleginnen und Kollegen dann Mehrstunden und Über­stunden leisten müssen und erschöpft aus dem Dienst gehen. Studien beweisen, dass die Pflegepersonen überlastet sind, bis zu 25 Prozent von ihnen emotionale Erschöp­fungen haben. Ich glaube, das ist ein wichtiger Punkt, der hier angesprochen werden soll, dass man endlich damit beginnen muss, auch darüber ernsthaft zu diskutieren und die Kolleginnen und Kollegen zu entlasten.

Im Rahmen der Vorträge habe ich das Wort Pflegelehre gehört: Es wird auch eine Pflegelehre nichts ändern, wenn die Arbeitsbedingungen in den Pflegeberufen nicht besser werden, um die Beschäftigten in den Pflegeberufen zu halten beziehungsweise Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, in diese Pflegeberufe einzusteigen, sie zu erlernen und sie auszuüben.

Zur Finanzierung wurde schon viel gesagt. Für uns als Gewerkschaft – ich komme von der ÖGB/ARGE-Fachgruppenvereinigung für Gesundheits- und Sozialberufe, in dieser Eigenschaft stehe ich heute hier – ist völlig klar, und auch damals, 2012, bestand bei der Finanzierung Konsens darüber, dass es um steuerfinanzierte Pflege geht. Da steht nichts von Pflegeversicherung, es geht immer um steuerfinanzierte Pflege. Meine Vorrednerin hat angesprochen, dass es ja doch einige Möglichkeiten gibt, bei der Steuerfinanzierung noch Geld dafür aufzuwenden.

Ein Letztes betrifft die 24-Stunden-Betreuung. Es ist für uns als Gewerkschaft schon immer ein sehr seltsames Produkt gewesen, diese Scheinselbständigkeit zu legalisie­ren. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Es ist eine Schande für Österreich, dass rumä­nische Kolleginnen und Kollegen um 35 oder 40 € pro Tag diese Leistungen erbringen und 24 Stunden am Tag bereitstehen müssen. Das geht über drei, vier Wochen, solange sie hier sind; je weiter entfernt die KollegInnen wohnortmäßig sind, umso länger bleiben sie hier, um nicht die ständigen Reisen nach Hause und wieder hierher auf sich nehmen zu müssen. Ich möchte niemandem zumuten, vier, fünf Wochen lang täglich 24 Stunden, rund um die Uhr, parat zu sein. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

12.48


Vorsitzende Vizepräsidentin Ingrid Winkler|: Damit beenden wir jetzt die zweite Dis­kussionsrunde.

Ich darf noch einmal meiner Bitte und meiner Hoffnung Ausdruck verleihen, dass es am Nachmittag in dieser tollen Besetzung und mit diesem Engagement weitergeht.

Ich unterbreche jetzt die Verhandlungen bis 13.15 Uhr und bitte Sie, pünktlich in den Saal zurückzukommen.

In Lokal V, das ist nebenan, erwartet Sie eine kleine Stärkung.

Die Sitzung ist unterbrochen.

*****

(Die Enquete wird um 12.49 Uhr unterbrochen und um 13.19 Uhr wieder aufge­nom­men.)

*****

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl| (den Vorsitz übernehmend): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme die unterbrochene Sitzung wieder auf.

13.19.59IV. Impulsreferate zu „Praxis der Pflege“

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Wir kommen zum dritten Block und damit zum Thema „Praxis der Pflege“.

Wir beginnen zunächst wieder mit den Impulsreferaten; daran anschließend folgt wie zuvor die Diskussion.

Ich darf wiederum die Referentinnen und Referenten, die ich hier am Podium recht herz­lich begrüßen darf, darum ersuchen, die Zeit von 10 Minuten pro Statement nicht zu überschreiten.

Als Ersten ersuche ich Herrn Gerald Möderl, Diplomierter Gesundheits- und Kranken­pfleger, um seinen Beitrag. – Bitte.

 


13.20.40

Gerald Möderl, MBA (Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger)|: Sehr geehrtes Präsidium! Sehr geehrte Bundesräte und Bundesrätinnen! Sehr geehrte Damen! Sehr geehrte Herren! Ich möchte mich recht herzlich für die Einladung zu diesem wichtigen Thema bedanken und ein paar Worte aus meiner beruflichen Erfahrung der letzten 30 Jahre in den verschiedensten Bereichen der Gesundheits- und Krankenpflege an Sie richten. Meine Tätigkeit beschränkt sich nicht nur auf die Langzeitpflege und Krankenpflege im mobilen Bereich, sondern umfasst auch die Lehre der Gesundheits- und Krankenpflege.

Die Erfahrungen, die ich in den letzten 30 Jahren gemacht habe, möchte ich Ihnen in drei Schwerpunkten näherbringen: die Sicht des Pflegeberufes in der Gesellschaft, die Anforderungen an den Pflegeberuf und im Pflegealltag und Perspektiven für die Zukunft.

Einerseits wird der Pflegeberuf in der Gesellschaft hoch geachtet, die im Pflegeberuf Tätigen dafür bewundert, dass sie solche Tätigkeiten übernehmen, andererseits wer­den die erforderlichen Kompetenzen deutlich unterschätzt, ja teilweise wird es in den Medien so dargestellt, als könne diesen Beruf jeder ausüben, jeder, der sich gerne sozial engagieren möchte.

Es werden der ständig steigende Bedarf an Pflegekräften und der sichere Arbeitsplatz als positiv bewertet, ohne daran zu denken, welche Anforderungen an den Pflegeberuf gestellt werden und welche Kompetenzen für dessen Ausübung vonnöten sind, sodass oft erst im Berufsalltag festgestellt wird, dass man den Herausforderungen nicht ge­wachsen ist. Das zeigen auch Statistiken über steigende Arbeitslosenzahlen im Sozialbereich und sehr häufige Krankenstände.

Die Medien spielen in der Darstellung des Krankenpflegeberufes eine wesentliche Rolle: Realitätsfern, klischeehaft oder in Sensationsberichten wird der Pflegealltag in den Medien oft dargestellt. Schreckensbilder, ethische Fragestellungen und Fehler-Prozesse werden bevorzugt in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt.

Durch dieses Image, welches der Gesellschaft vermittelt wird, liegt das Aufgabenfeld der Pflege für den Großteil der Bevölkerung im Unklaren. Pflegerische Tätigkeit erscheint bekannt, bleibt aber trotzdem unergründlich, da die Gesellschaft mit Pflegebedürftigkeit nicht konfrontiert werden mag. Somit werden spezifisches Fachwissen und Experten­tum mit Pflege nicht zwangsläufig verbunden. Aufgrund des Wandels der Zeit und des Fortschritts ist ein angepasstes Image aber von grundlegender Bedeutung. Durch die Einsparungen im Gesundheitswesen wurden die Pflege und mit ihr die größte Berufsgruppe eher ins Licht des Kostenverursachers gerückt, und durch Kürzungen im Pflegebereich kommt es zur Not der Gepflegten.

Wir brauchen daher Politik und Medien, um das Image dieses Berufs zu steigern, um auch das Interesse zu wecken, diesen Beruf zu wählen. Dies sehe ich als essenziell, um den Anforderungen des demografischen Wandels gewachsen zu sein.

Zum Pflegealltag selbst: Seit Menschengedenken gibt es Pflege und damit auch die Behandlung und Begleitung von Menschen. Verändert hat sich nicht der Auftrag der Sorge für diese Menschen, sondern die Art und Weise, wie Gesellschaft und Politik sowie der Einzelne auf die Anforderungen der Zeit antworten. Wir stehen heute in einem gewaltigen Spannungsfeld zwischen Vision und Wirklichkeit, zwischen den Anforderungen einer am Menschen orientierten Pflege und wirtschaftlichem Interesse, zwischen berufspolitischer Selbstverständlichkeit und zunehmender Bürokratisierung des Pflegealltags.

Pflegepersonen sind im Pflegealltag vielen Belastungen ausgesetzt. Es ist schwer, gesetzliche Bestimmungen, die Tätigkeitsbereiche, den Pflegeprozess und die Berufs­pflichten in den Berufsalltag zu integrieren. Die Qualität der Pflege wird überprüft und bewertet und sollte trotz des bestehenden Zeitdrucks sehr hoch sein. Die Zeit ist straff eingeteilt aufgrund der Notwendigkeit der Erledigung der Grundpflege an sich, der Dokumentation, Organisation, der Planung und der Verwaltung von Diagnostik und Therapie. Der Pflegealltag zeigt das Bild von Routinearbeit, da der Zeitdruck kaum Ausbrüche zulässt. Elemente, die der Menschlichkeit entsprechen, bleiben leider zu oft auf der Strecke. Ganzheitlichkeit wird zwar gepredigt und angestrebt, jedoch bleiben Faktoren wie Einfühlungsvermögen, Verständnis für und Austausch über aktuelle Gefühle der Klienten sowie ihr Anspruch auf Privatsphäre ungeachtet. Pflegende empfinden dies auf Dauer als psychisch belastend.

Im Pflegealltag kann es immer wieder zu Situationen kommen, in denen der Umgang mit Patienten besonders aufwendig ist, dann sind für die Bewältigung solcher Schwierigkeiten nicht genügend Ressourcen gegeben, und die Qualität der Betreuung leidet. Dadurch entstehen Situationen, die dadurch, dass dafür in der Personalberech­nung keine zusätzliche Zeit eingeplant ist, gefördert werden. Verstärkt wird diese Prob­lematik durch, wie heute schon mehrmals erwähnt, unterschiedliche Personalberech­nungsschlüssel und unterschiedliche Vorschreibung von eingesetzten Berufsgruppen in den Bundesländern.

Die Pflegekraft kann die Arbeit nicht einfach beiseitelegen, da sie mit Ethik und Moral verbunden ist. Dadurch kann eine emotionale Überforderung entstehen. Pflegekräfte müssen über Empathie und Distanzierungsfähigkeit verfügen, egal, ob die Compliance des Patienten gegeben ist, und trotzdem unterliegt die Arbeit auch Vorgaben in Form einer vorgeschriebenen Zeit. Weitere Arbeitsbelastungen, denen die Pflegenden aus­gesetzt sind, sind regelmäßige Mehrarbeit bei geringer Zeit, sodass sie länger als geplant arbeiten, und die körperlichen Belastungen, die oft über die Grenzen der Pflegenden gehen.

Es ist erkennbar, dass diese zwischenmenschliche Basis, die zur Ausübung des Beru­fes wünschenswert ist, durch wachsenden Arbeitsaufwand manchmal ein schwer zu erfüllender Anspruch ist. Dazu kommen noch der Selbstschutz vor Konfrontationen mit Gefühlen wie Angst, Trauer, Kummer und das mangelnde Wissen, was richtiges und gefühlvolles Reagieren bedeutet. Berufliche Erfahrungen und die dabei gewon­nenen Erkenntnisse begünstigen die richtige Einschätzung einer Situation, in der Wahrneh­men und herzhaft Reagieren notwendig ist.

Dieser helfende Beruf ist mit vielen Begriffen des Ausgebranntseins gekennzeichnet. Der institutionelle Druck, die hohe Fremdbestimmung in der Pflege können zu Erschöp­fung führen. Dadurch werden nicht nur die physischen Kräfte reduziert, auch die Moti­vation zur Berufsausübung nimmt ab. Erst wenn Akzeptanz, Anerkennung und Respekt gegeben sind, können sich Belastungen der Pflegekräfte minimieren.

Daher meine persönlichen und auch durch Literatur untermauerten Forderungen, wie wir sie heute schon mehrmals gehört haben, Forderungen auch der Politik, Forderun­gen auch von anderen Rednern und Vortragenden:

Es ist dringend notwendig, die Professionalisierung der Krankenpflege voranzutreiben. Die Pflege braucht wissenschaftlich geschulte Frauen und Männer, um der Lehre und Forschung gerecht zu werden, denn ohne diese gibt es keine Berufseigenständigkeit. Es braucht die Qualitätssicherung und die Qualitätsförderung im konkreten Pflegeall­tag, österreichweit einheitliche Standards, die allen in Österreich lebenden Menschen Zugang zu gleichen Pflege- und Betreuungsleistungen ermöglichen, die permanente Aus- und Weiterbildung der Pflegenden auf allen Führungsebenen, bessere und längere Begleitung der praktischen Ausübung für Auszubildende. Es gilt Sorge zu tragen, dass diese Schwerpunkte nicht auseinanderdriften, sondern nebeneinander die Zukunft der Pflege ermöglichen. Es gilt PflegeexpertInnen auszubilden, die wie Verbin­dungsstellen zwischen Theorie und Praxis wirken können. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.29


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Ich darf weiters Herrn Mag. Walter Marschitz, Geschäftsführer von „Sozialwirtschaft Österreich“, um seinen Beitrag bitten. – Bitte.

 


13.29.37

Mag. Walter Marschitz (Geschäftsführer von „Sozialwirtschaft Österreich“)|: Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ORF-Stiftungsrat freue ich mich, dass ORF III diese wichtige Initiative überträgt, daher auch: Liebe Zuseherinnen und Zuseher vor den Bildschirmen!

Ich versuche, zehn Thesen in 10 Minuten unterzubringen, was natürlich weder voll­ständig noch umfassend sein kann.

Erstens: Die Ruhe trügt, die Zeitbombe tickt. – Wir haben in den letzten Jahren eher mode­rate Steigerungen im Bereich des Pflegezuwachses verzeichnet. Dabei ist es so, dass die Pflegebedürftigkeit extrem stark mit dem Alter korreliert: Mit 80 Jahren beträgt die Wahrscheinlichkeit, pflegebedürftig zu sein, 20 Prozent, mit 85 Jahren 50 Prozent, mit 90 Jahren 80 Prozent. Das heißt, man kann sich relativ gut ausrechnen, wie die Entwicklung stattfinden wird und wie eng das mit der demografischen Entwicklung zusammenhängt. Es sind derzeit sehr geburtenschwache Jahrgänge der 1930er-Jahre im Hauptpflegealter, und es kommt nun eine demografische Besonderheit zum Tragen, nämlich dass die Zahl der Geburten des Jahrganges 1939 um 47 Prozent höher war als des Jahrganges 1938, eine Entwicklung, die sich auch noch in den nächsten zwei Jahren fortgesetzt hat – und in den nächsten Jahren rücken diese Jahrgänge in das Hauptpflegealter vor. Das heißt, die Zahl der Pflegebedürftigen wird deutlich stärker steigen, als das bei einer normalen, kontinuierlichen Entwicklung der Fall gewesen wäre.

Zweitens: Die mittel- und langfristigen Perspektiven unterscheiden sich. – In der De­batte wird oft beides zusammengeworfen. Wir werden zwei verschiedene Phasen haben. Wir haben auf jeden Fall jetzt einmal eine Phase, in der die Zahl der Pflege­bedürftigen steigen wird – aufgrund der demografischen Entwicklung –, aber diese Pfle­ge­bedürftigen werden noch relativ viele Kinder haben, denn das sind jene Pflege­bedürftigen, die die Babyboomer geboren haben. Das heißt, es wird in dieser ersten Phase viel mehr Pflegebedürftige geben, aber auch noch eine hohe Zahl an Nach­kommen.

Richtig grimmig wird es dann sozusagen, wenn die Babyboomer selbst in die Pflege­bedürftigkeit kommen – das wird um das Jahr 2050/2055 der Fall sein –, die dann wiederum deutlich weniger Kinder haben. Das heißt, man muss, wenn man über Pflegeszenarien redet, immer in diesen verschiedenen Perspektiven, auch zeitlichen Perspektiven denken.

Drittens: Für Pflege und Betreuung wird mehr Geld notwendig sein. – Ich habe mit Freude vernommen, dass das auch der Finanzminister so sieht. Es ist leider wahr, was auch die Gesundheitsministerin gesagt hat: Es gibt keine Evidenzen dafür, dass die durchschnittliche Pflegebedürftigkeit weniger wird, sondern das Gegenteil ist der Fall, die Menschen leben länger und sind auch länger pflegebedürftig. Und in Wirklichkeit ist es so, dass die Pflegebedürftigkeit noch stärker steigt als die Hochaltrigkeit. Damit ist allein aus demografischen Gründen klar, dass es mehr an Pflege brauchen wird, abge­sehen von den anderen gesellschaftlichen Phänomenen wie Mobilität und Ähnliches.

Es gibt Effizienzreserven im System. Diese liegen sozusagen auch in der zum Teil überbordenden Bürokratie, die auch unsere Systeme erfasst hat. Und weil der Herr Volksanwalt vorhin nicht allzu große Harmonie moniert hat, muss ich sagen, dass OPCAT bei den Pflegeorganisationen auch nicht nur Freude auslöst, und zwar durch­aus auch wegen der Art der Durchführung.

Viertens: Das Pflegegeldsystem gehört nach 25 Jahren Bestand evaluiert. – Wir haben es 1993 eingeführt, es sind damals bestimmte Annahmen getroffen worden, es sind bestimmte Stufen, gewisse Höhen und auch gewisse Einstufungsvoraussetzungen – Stichwort Einstufungsverordnung – festgelegt worden. Ich glaube, dass das Pflege­geldsystem nach diesen 25 Jahren evaluiert gehört, auf seine Wirkung überprüft gehört und unter Umständen nachjustiert werden muss.

Und dann gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten. Es ist schon erwähnt worden, das Pflegegeld ist in den letzten Jahren schleichend entwertet worden: um 25 Prozent. Das war aber keine wirklich bewusste politische Entscheidung, sondern das war eben dadurch bedingt, dass nicht immer Wahlen anstehen, im Hinblick auf die sich so eine Erhöhung gut macht. Und damit hat man natürlich eine Verschiebung vom Geldsystem ins Sachleistungssystem durchgeführt und gleichzeitig auch noch einen stillen Finanzausgleich.

Ich glaube, man muss sich entscheiden: Entweder man sagt, man will das Pflege­geldsystem als Geldleistungssystem erhalten – dann muss man es regelmäßig valo­risieren und den Wert aufrechterhalten. Oder man sagt, man will eher stärker vom Geld­system in ein Sachleistungssystem wechseln – aber auch dann gehört ein Pfad definiert und das strategisch ausgerichtet; dann müssen die Betroffenen wissen, dass sie damit rechnen können.

Fünftens: Alternative Finanzierungsformen gehören vorurteilsfrei geprüft. – Es wird – auch das ist schon gesagt worden – mehr Geld brauchen. Ich glaube, man muss das ganze Bouquet diskutieren. Ich glaube auch, dass man über die Frage einer Pflege­versicherung diskutieren muss, wobei ich persönlich eher glaube, dass das nur im Wege eines Umlageverfahrens möglich ist, weil das Risiko so hoch ist. Das durch­schnittliche Lebensrisiko, pflegebedürftig zu werden, liegt nach deutschen Unter­suchun­gen für Frauen bei 75 Prozent – das wird ungefähr gleich groß sein wie die Wahrscheinlichkeit für junge Frauen, Mutter zu werden; so eine hohe Zahl ist das! –, für Männer liegt es knapp unter 60 Prozent, weil diese eben schon vorher ausscheiden (Heiterkeit) – wiederum eine klare Korrelation mit dem Alter.

Wobei, wenn man über ein Versicherungssystem redet, dies aus meiner Sicht noch nicht zwingend heißt, dass man das analog zu anderen Versicherungssystemen gestaltet. Es muss dabei aus meiner Sicht also nicht zwingend eine Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Logik zum Tragen kommen, weil ja die Pflegebedürftigkeit ungefähr erst 20 Jahre nach Pensionsantritt schlagend wird. Es ist meiner Meinung nach auch eine Bindung an die Arbeitseinkommen nicht zwingend. Man kann natürlich auch darüber nachdenken, ob man die mit dem Alter steigende Wahrscheinlichkeit der Pflegebe­dürftig­keit auch in Beitragssätze einpreist.

Sechstens: Wir müssen pflegende Angehörige bei der Stange halten. – Dazu wird noch etwas gesagt werden. Auch da ist es mir wichtig, ein bisschen auf eine Differenzierung hinzuweisen, nämlich: Es gibt zwei große Typen von pflegenden Angehörigen. Der erste Typus sind die Lebenspartner, Geschwister und auch Eltern für ihre Kinder. Die werden, glaube ich, auch in Zukunft eine hohe Motivation haben, selbst zu pflegen, und da sind auch gewisse andere Aspekte wie beispielsweise die Mobilität nicht so entscheidend. Da muss man vor allem Unterstützungsmaßnahmen setzen.

Die große sozusagen Risikogruppe ist natürlich die – hier beträgt der Anteil ebenfalls ungefähr 50 Prozent –, die intergenerationell pflegt, also vor allem die Kinder, Schwie­gerkinder oder Enkelkinder. Da muss man natürlich Bemühungen setzen und ver­suchen, diese nicht durch die Entwicklung – längere Berufstätigkeit, Mobilität und Ähnliches – zu verlieren. Es ist heute schon gesagt worden, ungefähr 50 Prozent der Menschen werden ausschließlich durch Angehörige betreut; aber auch andere Pflege­settings bedürfen der Mithilfe von Angehörigen, daher ist das ganz entscheidend.

Siebentens: Es soll keinen Gegensatz zwischen den Pflegesettings, sondern ein vernünftiges Ineinandergreifen derselben geben. – Früher war die Frage, ob stationär oder mobil, in gewissem Sinne eine ideologische Frage. In Wirklichkeit ist es aber so, dass das eher als Kontinuum zu sehen ist. Das heißt, es geht um die richtige Betreuung für die richtige Lebenssituation. Die meisten Menschen wollen zu Hause alt werden, daher ist es natürlich sinnvoll, dort anzusetzen und zuerst mit der Unter­stützung von Angehörigen, dann mit mobiler Pflege, dann mit 24-Stunden-Betreuung zu operieren. Es gibt aber Fälle, die sowohl aus medizinischen oder pflegerischen Gründen als auch aufgrund anderer Indikationen dann tatsächlich nur in stationärer Form ordentlich betreut werden können.

Ich wäre auch ein bisschen vorsichtig mit Zahlen wie jener, dass das Verhältnis der Kosten 1 : 7 beträgt, weil da die durchschnittlichen Ausgaben für mobile Betreuung und für stationäre Betreuung verglichen werden – und natürlich erfolgt mobile Betreuung in der Regel bei leichteren Pflegefällen.

Achtens: Die 24-Stunden-Betreuung wird in der Pflegedebatte sowohl überschätzt als auch unterbewertet. – Ungefähr jeder 15. Pflegebedürftige wird in Form einer 24-Stun­den-Betreuung betreut – in der öffentlichen Debatte jedoch entsteht vielfach der Eindruck, das sei das Hauptsetting. Auf der anderen Seite muss man natürlich sagen, dass die 24-Stunden-Betreuung uns vor einem echten Pflegenotstand bewahrt hat. Wir bräuchten ansonsten mindestens ungefähr 10 000 Heimplätze mehr, die wir eben nicht haben.

Auch da muss man überlegen: Einerseits hat man auch die Förderung für die 24-Stunden-Betreuung in den letzten zehn Jahren nicht valorisiert, andererseits müsste man überlegen, ob man die 24-Stunden-Betreuung aus sozialen Gründen nicht als Heimersatz in manchen Fällen stärker fördert. Da gibt es derzeit schon eine Schranke.

Neuntens: Wir brauchen neue Konzepte für die stationäre Langzeitbetreuung. – Wir haben das Problem, dass wir in den letzten Jahren die Hemmschwelle für die Auf­nahme in Pflegeheime mit immer höheren Pflegestufen sukzessive nach oben gesetzt haben. Das macht natürlich auch etwas mit den Pflegeheimen, das heißt, es sind sehr viel schwerer zu betreuende Personen dort, und damit wird die Schwellenangst, ins Heim zu gehen, noch höher. Wir müssen in irgendeiner geeigneten Form mit neuen Konzepten dagegen stoßen.

Zehntens und letztens: Es hängt nicht zuletzt von der Politik ab, ob die Heraus­for­derungen zu Problemen werden. – Gewisse Bereiche der Pflege sind schwer zu steuern, etwa der demografische Mehrbedarf. Auf der anderen Seite sind aber gerade jetzt auch wieder politische Entscheidungen zu treffen, von denen es abhängt, ob wir in den nächsten Jahren eine gute Pflegeversorgung haben werden oder nicht, beispiels­weise die Entscheidungen, die jetzt im Anschluss an die GuKG-Novelle zu treffen sind, wie etwa die Frage, ob die Länder – der Bundesrat zeigt es besonders eindringlich – die notwendigen Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, damit wir auch in Zukunft genügend Pflegepersonal haben.

Es braucht aus meiner Sicht eine gründliche Analyse, es braucht einen Plan, es braucht die konkrete Umsetzung der Maßnahmen, und nicht zuletzt braucht es auch in diesem Feld eine bessere Abstimmung der vielen Systempartner. – Danke. (Beifall.)

13.41


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Ich darf nunmehr Frau Mag. Bernadette Feuerstein von „Selbstbestimmt Leben Öster­reich“ das Wort erteilen. – Bitte.

 


13.42.17

Mag. Bernadette Feuerstein (Obfrau von „Selbstbestimmt Leben Österreich“, SLIÖ)|: Einen schönen Nachmittag allen Anwesenden! Vielen Dank für die Möglichkeit, hier zu sprechen! Vielen Dank, Frau Präsidentin, für die Einladung. Wir haben heute schon sehr viel über die Pflege gehört, über die Pflege in Institutionen, die politische Lage, die finanzielle Lage, wie es denen geht, die Pflege leisten. Ich möchte einmal versuchen, kurz darzustellen, wie es denen geht, die gepflegt werden und welche anderen Möglichkeiten es noch gibt.

Wenn man an Pflege denkt, denken die meisten zuerst an ältere Menschen, an alte Men­schen. Tatsächlich gibt es aber auch viele jüngere Menschen – auch wenn ich nicht mehr so jung bin; ich habe viele jüngere KollegInnen –, die gleichfalls Pflege brauchen. Wir haben aber ein anderes Modell entwickelt, das ich Ihnen kurz vorstellen möchte, die persönliche Assistenz. Wie lebt es sich mit persönlicher Assistenz? – Mein Alltag schaut eigentlich so aus wie der Alltag vieler anderer berufstätiger Frauen in meinem Alter. Ich bin berufstätig, ich habe eine Tochter, ich führe meinen Haushalt, ich habe kulturelle Interessen, einen großen Freundeskreis.

Wie kann ich das alles aber trotz und mit meiner nicht unwesentlichen Behinderung bewältigen? Ich kann das alles nur mit der Unterstützung meiner persönlichen Assis­tentInnen schaffen. Die persönlichen AssistentInnen sind ein Team von von mir ein­gewiesenen jüngeren Männern und Frauen, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen kommen, die von mir eingeschult und durch mich sozusagen zu den ExpertInnen werden, die ich brauche.

Als ich selbst noch Studentin war und von meinen Eltern sehr unterstützt wurde, war der Alltag für meine Angehörigen, die mich unterstützt und gepflegt haben, natürlich noch sehr viel aufwendiger. In der Zwischenzeit haben sich die politischen Rahmen­bedingungen und die Bürgerrechte zum Glück geändert.

Seit 2010 gibt es auch gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention eine Verpflichtung, die besagt, dass auch für Menschen mit Behinderungen ein gleichberechtigtes, selbstbestimmtes Leben in der Gemeinde möglich sein muss. Diese Art von Gleichbe­rechtigung und die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben, und zwar trotz der Pflege, die ich brauche, ist für mich nur mit persönlicher Assistenz möglich. Es bedarf natürlich einer sehr guten Organisation, und ich bin tatsächlich 365 Tage im Jahr, 24 Stunden pro Tag auf die Anwesenheit von ExpertInnen, die für mich spezialisiert ausgebildet wurden und für mich spezialisiert arbeiten können, angewiesen.

Dass es überhaupt möglich ist, dass das von Laien und nicht nur von ausgebildetem Pflegepersonal gemacht werden kann, verdanken wir dem heute schon öfter zitierten Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, wozu es eine Novelle gab, dass mit der entsprechenden Anleitung auch nichtmedizinisches Fachpersonal diese notwendigen Handlungen vornehmen darf. In meinem Fall ist es zum Beispiel auch die Versorgung mit der Beatmung, die Pflege meines Tracheostomas und so weiter. Trotzdem lebe ich mit meiner Tochter, mit meiner Familie in einer eigenen Wohnung, kann im Sozial­ministerium beim Konsumentenschutz meiner Arbeit nachgehen, bin in der Behin­dertenbewegung engagiert, kann auf Urlaub fahren.

Natürlich habe ich auch die Unterstützung der Familie, ich habe auch die Unterstüt­zung von FreundInnen, in der Arbeit die Unterstützung von KollegInnen, nur wäre eine Versorgung oder eine Unterstützung nur durch diese Menschen einfach eine zu große Belastung und man könnte sie nicht erwarten und verlangen. Ich kann also nur mit der Unterstützung der persönlichen Assistenz meine Rolle in der Gesellschaft ausfüllen und meinen Beitrag in der Gesellschaft leisten, so wie ich es mache.

Was uns als Betroffenen sehr wichtig ist, ist eine Umkehr. Wir haben sehr viel von der Pflege gehört, und sie ist natürlich ein großer Bereich. Es ist uns trotzdem ein Anliegen, vom medizinischen Modell der Behinderung abzukommen. Es ist natürlich existenziell unerlässlich, gut gepflegt und versorgt zu sein, aber ich will trotzdem meinen Alltag nicht von den medizinischen Notwendigkeiten bestimmen lassen. Es macht einen großen Teil aus, das ist ganz einfach so, und man muss es auch akzep­tieren, aber es sollte nicht die medizinische Versorgung im Vordergrund stehen, sondern ich mit meinen Fähigkeiten, mit meinen Wünschen, Bedürfnissen, Problemen, Träumen, wie es bei allen Menschen so ist.

Wir haben heute auch schon sehr viel von den demografischen Entwicklungen gehört. Natürlich sind diese wichtig, aber es ist auch Tatsache, dass immer mehr ältere Menschen nicht in Heime gehen wollen, dass auch ältere Menschen immer länger – so lange es eben möglich ist – in ihrer vertrauten Umgebung bleiben wollen. Das betrifft jetzt nicht nur Berufstätige, sondern auch ältere Menschen, die in ihrem sozialen Umfeld bleiben wollen, die in ihrer Wohnung bleiben wollen, die eine andere Art der Unterstützung brauchen, als sie in der klassischen Pflege geleistet wird.

Wie gesagt, auch bei mir ist natürlich die Pflege ein Teil meines Alltags. Ich brauche Hilfe beim Transfer: Das geht wirklich vom Aufstehen in der Früh – mit dem Hebelift aus dem Bett in den Rollstuhl, ins Bad – bis zur Begleitung ins Büro. Ich habe auch Assistenz am Arbeitsplatz, wo die AssistentInnen einerseits für meine Pflege zuständig sind und mich gleichzeitig aber auch bei meiner Arbeit unterstützen und mir zum Beispiel Texte tippen, die ich ihnen diktiere.

Diese umfassende Möglichkeit der Assistenz, bei der jetzt nicht ganz so streng getrennt wird, wo die Pflege, wo die Assistenz beginnt, was man darf und was man nicht darf, ist in den klassischen Pflegeinstitutionen sicherlich schwierig. Für den Alltag der betroffenen Menschen ist es aber einfach wichtig, dass die Möglichkeit existiert, eine umfassende Unterstützung zu leisten und zu bieten, damit der Alltag funktionieren kann.

Es gab ja auch entsprechende Novellen dazu, dass zum Beispiel in den Behinderten­werkstätten oder in Wohngemeinschaften die Behindertenpädagogen auch solche Tätigkeiten durchführen können, damit der normale Alltag und der Alltagsrhythmus nicht unterbrochen werden. Es ist darüber hinaus für die Schulen eine Novelle in Begutachtung, dass auch LehrerInnen auf freiwilliger Basis und wenn sie entsprechend eingeschult werden, pflegerische Tätigkeiten bei Kindern, die es brauchen, durchführen können, damit einfach auch für diese Kinder eine Integration in den Regelschulbetrieb möglich ist, damit sie nicht immer wieder herausgenommen werden und extra Personal notwendig ist. Da gibt es also noch ganz viele Möglichkeiten.

Es wurde heute auch schon mehrmals angesprochen: Ich glaube, wir brauchen wirklich viel Offenheit, viel Fantasie, denn es gibt einfach so viele Möglichkeiten und so viele Bedürfnisse, wie es Menschen und unterschiedliche Lebenswege gibt.

Für uns ist das Modell der persönlichen Assistenz lebensnotwendig. Ich könnte mir nur sehr schwer vorstellen, all das, was mein Leben bedeutet, aufgeben zu müssen, und es gäbe für mich ohne die persönliche Assistenz tatsächlich keine andere Möglichkeit als eine stationäre Betreuung.

Österreich ist in diesem Bereich noch ein Entwicklungsland. Die skandinavischen Län­der wurden heute schon angesprochen und als lobendes Beispiel für die Pflege darge­stellt. Wir wissen aus Skandinavien, dass dort persönliche AssistentInnen in einem sehr hohen Ausmaß ausgebildet werden und das ein anerkannter Beruf ist. Österreich ist da noch sehr säumig, obwohl auch in der Behindertenrechtskonvention von der persönlichen Assistenz die Rede ist.

Die Assistenz ist nur in wenigen Bundesländern wirklich möglich, es ist streng genom­men in keinem Bundesland in Österreich wirklich bedarfsgerecht. Ganz schwierig wird es im ländlichen Bereich, wo sich diese Idee noch gar nicht durchgesetzt hat. Wir haben hier auch wieder die neun unterschiedlichen Bundesländer mit neun unter­schiedlichen Regelungen, wo die Betroffenen in jedem Bundesland alleine für ihr selbstbestimmtes Leben kämpfen müssen. Die einheitlichen Regelungen fehlen, obwohl es in anderen Bereichen, zum Beispiel bei der persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz, eine Möglichkeit gegeben hat.

Wir wissen – und Sie alle sind, denke ich, Expertinnen und Experten –: Es wird für den Arbeitsmarkt prognostiziert, dass der Schwerpunkt der künftigen Arbeit im Dienstleis­tungsbereich liegen wird. Unserer Meinung nach ist der Ausbau der persönlichen Assistenz auch eine weitere Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, und zwar nicht nur für die persönlichen AssistentInnen, die bei mir beschäftigt sind, es bekommen auch Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen, und die pflegenden Angehörigen, seien es jetzt Partner oder Kinder, bekommen auch die Möglichkeit, ihren gewünschten Beruf auszuüben.

Die Zahl der AssistentInnen ist mit den großen Bemühungen in den letzten 15 Jahren von ein paar Hundert Personen auf ein paar Tausend gestiegen. Die persönliche Assistenz ist ein Erfolgsmodell. Mit einem bundesweiten Ausbau könnten weitere Tau­sende Arbeitsplätze geschaffen werden.

Mein Blick in die Zukunft, mein Appell für die Zukunft: Wenn wir persönliche Assistenz als komplexes Gesamtmodell betrachten und einen flächendeckenden Ausbau weiter­denken, dann könnte das eine sehr wirksame Maßnahme für eine qualitätsgesicherte Pflege mit dem individuellen Unterstützungsbedarf für viele Menschen, die ein selbst­bestimmtes Leben und Arbeiten anstreben, sein. – Danke schön. (Beifall.)

13.57


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Ich danke für Ihren Beitrag.

Als Nächste gelangt Frau Uli Makomaski, eine pflegende Angehörige, zu Wort. – Bitte.

 


13.58.06

Uli Makomaski (pflegende Angehörige)|: Ich erspare mir die Begrüßung und die Dan­kesreden.

Mein Mann, Baujahr 1940, hat wahrscheinlich schon von Jugend an eine bipolare affek­tive Störung gehabt. Um aus den depressiven Phasen herauszukommen, hat er getrunken, zu viel getrunken. 1983 war er auf Entzug, aber die bipolare Störung wurde auch da nicht erkannt. Erst in den Neunzigerjahren hat er dann Lithium verschrieben bekommen, was aber nicht sehr wirkungsvoll war. Im Jahr 2006 war es dann endlich so weit, dass er nach neueren medizinischen Erkenntnissen behandelt worden ist. Wann bei meinem Mann Alzheimer dazugekommen ist, ist nicht mehr feststellbar, seit 2012 gibt es aber die Diagnose und eine entsprechende Behandlung, soweit man da noch behandeln kann. In der Folge kamen noch Inkontinenz und zum Schluss Parkinson dazu.

Als pflegende Angehörige wird man nicht geboren, man wächst langsam, unmerklich langsam, hinein. Vor zehn Jahren hätte ich jedem, der mir sagt, dass ich einmal meinen Mann pflegen würde, gesagt: Nicht bei mir! Scheidung von Tisch und Bett! Auszug! Hinter mir die Sintflut! – Man wächst eben langsam hinein, hier eine Kleinig­keit, dort eine Verpflichtung, die man übernimmt. Eines der ersten Dinge war dann die Kontrolle über die Finanzen meines Mannes. Jeder, der weiß, was bipolare Störung bedeutet, weiß, wovon ich rede.

Mit der Diagnose Alzheimer wurde mir auch klar, dass ich meinen Gatten als Mann und als Partner verloren habe. Andererseits hatte ich mit dieser Diagnose endlich eine Erklärung für viele Reaktionen und Aktionen, für die ich mich eine Zeit lang in Grund und Boden geschämt habe. Unser Umgang miteinander war damals eher freund­schaftlich ruppig. Meinen Mann habe ich immer mit dem Vornamen angeredet. Sukzes­sive hat sich meine Anrede auf – nicht sehr geistreich – Schatzi geändert.

Der Umgang zwischen uns beiden hat sich total verändert, ist inniger geworden. Wir sind uns eigentlich näher gewesen als die Jahre vorher. Langsam wächst man in die Verantwortung für den Partner. Die Zuneigung wird wie bei Kindern zärtlicher. Mir ist bei diesen Menschen auch generell aufgefallen, dass sie empfindsamer werden.

Ich habe in der Zwischenzeit sehr viel dazugelernt und mache fast täglich neue Erfahrungen, die ich eigentlich nicht missen möchte, aber meine Gesundheit hat ein bisschen Tribut zahlen müssen. Ich habe zugenommen, dafür Diabetes Typ 2 bekom­men. Mein Kurzzeitgedächtnis lässt mich hin und wieder im Stich. Mein Kopf hat zu wackeln angefangen, und ich habe sogar etwas mit Placido Domingo gemeinsam: Auch er verdankt sein Leben der Koloskopie. Trotzdem bin ich stark und voll Zuver­sicht. Ich erfahre viel Verständnis und Unterstützung von meinem Freundeskreis, der sich seit der Krankheit meines Mannes eigentlich kaum verringert hat. Ich bin bestrebt, meinen Mann, sofern ich es körperlich und seelisch schaffe, mithilfe sozialer Dienste in seinem gewohnten Umfeld zu behalten, ihn bis zum Schluss zu begleiten und ihm zur Seite zu stehen.

Seit 2012 wird die morgendliche Körperpflege von Heimhilfen und seit heuer aufgrund des sich verschlechternden Zustandes von mobiler Hauskrankenpflege vorgenommen. Derzeit hat mein Mann Pflegestufe 4. Ich habe um Erhöhung angesucht.

Unter der Woche verbringt mein Mann seine Zeit in einem auf Demenz spezialisierten Tageszentrum des Fonds Soziales Wien. Das ist eine Einrichtung, die ich nicht genug loben kann. Die Förderung und Betreuung, die er dort erhält, könnte ich ihm zu Hause nie und nimmer bieten – diese intensive Pflege und Betreuung, die Erinnerungsarbeit, die geleistet wird, die Aktivierung mittels Musik, Bewegung, Tanz, Spiel, Ergotherapie und so weiter. Das Personal ist von der Chefin bis hinunter zur Putzfrau, habe ich den Eindruck – ich habe aber dort noch nie eine Putzfrau gesehen –, in Validation geschult. 

Es gibt dort auch eine Angehörigengruppe. Der Erfahrungs- und Informationsaus­tausch, das Sich-Ausreden-Können, über die Probleme und Erfahrungen zu sprechen, gibt uns allen Kraft.

Unsere Angehörigen passen mit ihren Problemen nicht wirklich in unser Sozial- und Gesundheitssystem; es ist auf Menschen mit Demenz nicht eingestellt. Bei Aufent­halten meines Mannes in einem Akutkrankenhaus musste ich immer wieder feststellen, dass Ärzte, Personal, auch wenn sie bemüht waren und Empathie zeigten, für solche Situationen nicht geschult, nicht eingerichtet waren, sondern eher überfordert – sie waren richtiggehend patschert. Ich habe zum Beispiel festgestellt, dass meinem Mann immer wieder keine Inkontinenzeinlagen gegeben worden sind – die Erfolge waren vorauszusehen. Einmal ist es passiert, dass er sein Bett vollgemacht hat. Er hat ge­merkt, was ihm passiert ist – das ist ja das Arge an der Geschichte. Er wollte mit unge­eigneten Mitteln das Malheur wegputzen. Da bin ich gerade dann dazugekom­men. Den Rest überlasse ich Ihrer Fantasie.

Derzeit wird viel hinsichtlich Palliativmedizin geforscht und getan, aber im Fall von Demenzerkrankungen gibt es eine Vorlaufzeit von circa 15 Jahren, in denen sich das jeweilige Befinden unserer Angehörigen großteils nach dem Krankheitsverlauf richtet. Für diese Zeit bräuchte es eine eigene Ausbildung für das Akutpersonal. Das muss sich unbedingt ändern. Es gibt da zum Beispiel die bereits erwähnte Validations­methode nach Naomi Feil, die das Rote Kreuz anbietet. In Bad Ischl, zum Beispiel, gibt es die MAS Alzheimerhilfe, die ihre eigenen Methoden entwickelt hat. Dieser Verein bietet zusätzlich die Möglichkeit von Urlauben für an Alzheimer und an Demenz Erkrankte zusammen mit ihren pflegenden Partnern an. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft hat zum Beispiel einen Informationsbogen mit wichtigen Informationen entworfen, welchen die betreuenden Angehörigen bei Aufnahme im Krankenhaus dem Betreuungspersonal zur Verfügung stellen können.

Es gibt auch eine Initiative „Demenzfreundliches Krankenhaus“. Ich habe gesehen, Informationsbögen wurden hinten im Saal aufgelegt. Wen es interessiert, der kann die Information, glaube ich, mitnehmen.

Wir, die betreuenden Angehörigen, versuchen, mit unseren Angehörigen den Weg bis zum Ende zu gehen, sie immer wieder dort abzuholen, wo sie sich gerade auf ihrem Weg in ihre eigene, uns unbekannte Welt befinden. Wir nehmen circa 15 Jahre unseres Lebens sehr viel Mühe auf uns. Wir geben unser eigenes Leben auf, bezahlen es oft mit der eigenen Gesundheit, opfern unsere Lebenszeit und unsere materiellen Ressourcen – nicht nur für unsere Angehörigen, sondern auch für die Gesundheits- und Krankenressorts, für die Allgemeinheit, die sich dadurch auf unserem Rücken viel Geld erspart.

Oft geht das bis zum physischen und mentalen Zusammenbruch. Immer wieder gibt es Meldungen über Kurzschlusshandlungen. Als Gegenleistung dürfen wir uns als Bittsteller um Dinge bemühen, die uns eigentlich zustehen sollten. Jede Stunde, die wir uns frei nehmen wollen, müssen wir in irgendeiner Form honorieren. Es gibt zwar Nachbarschaftshilfe und Freunde, die hin und wieder einspringen, aber das kann man nicht überbeanspruchen. Da ist immer wieder Logistik gefragt, wer wie wann und auch wo bereit ist, zur Verfügung zu stehen. Seitens der sozialen Dienste gibt es zwar Besuchsdienste, die natürlich auch zu bezahlen sind, aber die enden um 20 Uhr – Theatervorstellungen fangen üblicherweise um 19.30 Uhr an. Der Fonds Soziales Wien bietet in bestimmten Tageszentren am Wochenende auch Betreuung, die um 22 Uhr endet – eine Theatervorstellung endet um 22 Uhr.

Trotzdem: Der FSW, der Fonds Soziales Wien, ist generell sehr bemüht zu helfen. Er bietet die Möglichkeit einer Urlaubspflege bis zu fünf Wochen pro Jahr. Ich versuche, sie ein bis zwei Wochen im Jahr in Anspruch zu nehmen, um ohne meinen Mann Urlaub zu machen. Bei diesen Gelegenheiten tut es mir immer wieder leid, dass mein Mann das Tageszentrum in dieser Zeit nicht besuchen kann, da der FSW nicht zwei Institutionen auf einmal fördert. Besorgt aber wie ich bin, hätte ich es schon gern, wenn er während meiner Abwesenheit auf seine Förderung nicht verzichten müsste.

Um es kurz zu machen: Da ich von finanziellen Aufwänden gesprochen habe, will ich kurz schildern, was wir alles tun mussten, um ihm die Möglichkeit zu bieten, in der Wohnung bleiben zu können. Wir mussten eine Badewannentür einbauen für 2 400 €, einen Treppenlift für, abzüglich Subvention, 7 000 €, eine Brems- und Schiebehilfe für den Rollstuhl um 3 800 €, eine Waschmaschine – da wird man sagen, das wird man nicht unbedingt brauchen, bis dato konnte ich jedoch alle 14 Tage die im Haus befind­liche Waschmaschine benützen, jetzt muss ich täglich ein bis zwei Mal waschen – zum Preis von circa 500 €. Wir haben einen Garten, dort musste ich aus Sicherheits­gründen um 1 300 € ein weiteres Geländer einbauen lassen. – Damit sind wir schon auf 15 000 €, wobei da noch kein Luxus dabei ist. Schließlich mussten wir ein neues Auto kaufen – das kostete weitere 15 000 € –, denn im alten hatte der Rollstuhl keinen Platz und öffentliche Verkehrsmittel kann mein Mann nicht mehr in Anspruch nehmen.

Vom FSW erhalte ich monatlich eine Abrechnung über die getätigten Aufwendungen – das sind die morgendliche Betreuung durch die Caritas und das Tageszentrum – in Höhe von circa 2 000 €; die Höhe des Pflegegeldes bei Pflegestufe 4 beträgt 667,60 €. Ich jammere nicht, aber bitte ziehen Sie doch diese Beträge in Betracht und Ihre eige­nen Schlussfolgerungen! – Der Weg in die Altersarmut ist bei vielen bereits vorgezeich­net.

Werner Vogt hat vor zehn Jahren – ich habe damals einmal ein Seminar über Pflege im Alter mitgemacht – gesagt:

Die getäuschten Studenten gehen pfeifend auf die Straße, die getäuschten pflegebe­dürftigen Frauen und Männer sind in ihrer Altersschwäche gefangen. Ihnen wurde mehr Geld für bessere Pflege versprochen. Die Verteilung des Pflegegeldes ist jedoch rigider geworden.

Die gut 400 000 pflegenden Angehörigen, die Pflege- und Betreuungskräfte – fast alle weiblich – murren. Sie flüchten, wie seit Jahren, in ein politisch verursachtes Selbst­mitleid.

Ich versichere Ihnen, ich versinke nicht in Selbstmitleid. Ich bin nicht bereit, zu murren und zu jammern, ich bin bereit, mich für die Rechte sowohl unserer Pflegebedürftigen als auch für die Rechte von uns Angehörigen zu engagieren. Als ehemalige Betriebs­rätin denke ich aber auch an das Pflegepersonal – da gäbe es ja einiges zu verbes­sern –, aber das ist ja heute eine andere Baustelle. – Danke. (Beifall.)

14.12


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Frau Makomaski, ich danke sehr herz­lich für Ihren Beitrag.

14.13.07Diskussion

 


Vorsitzender Vizepräsident Mag. Ernst Gödl|: Wir gehen nun in die Diskussion ein.

Ich darf an dieser Stelle nochmals darauf hinweisen, dass die Redebeiträge die Dauer von 3 bis 4 Minuten nicht überschreiten sollen. Ich ersuche gleichzeitig darum, diese Vorgabe einzuhalten.

Wir beginnen noch mit der Liste der Meldungen zu Block 2. Es sind vor der Pause dazu vier Rednerinnen und Redner nicht zu Wort gekommen. Ich darf nun mit dieser Liste fortsetzen und als Erste Frau Abgeordnete Königsberger-Ludwig aufrufen. – Bitte.

 


14.13.48

Abgeordnete Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich zuallererst bei allen Expertinnen und Experten bedanken, die heute diese Enquete – ich möchte das so sagen – wirklich bereichern, weil ich überzeugt davon bin, dass es Pflicht und Aufgabe der Politik ist, zuzuhören und diese vielen Experten- und Expertinnenmeinungen in unsere Lösungen einfließen zu lassen. Ich glaube, das ist auch der Sinn einer Enquete: zuzuhören und diese Meinungen mitzunehmen. – Ein herzliches Dankeschön!

Was ich heute mitnehme ist, dass wir ein System haben, das im Großen und Ganzen ein gutes und im europäischen Vergleich doch eines ist, das man – unter Anführungs­zeichen – „herzeigen“ kann. Auf der anderen Seite nehme ich aber auch mit, dass wir die Zeit bis 2021 – wie ich das heute öfters gehört habe – wirklich intensiv nützen sollen, um an jenen Schrauben zu drehen, die verbesserungswürdig sind.

Auch da nehme ich einige Punkte mit: die Finanzierbarkeit, das Kompetenzwirrwarr, das Zusammenspielen aller Systempartner, die ausreichende Zahl an MitarbeiterInnen, die Planung der MitarbeiterInnen in Zukunft, die Arbeitsbedingungen der MitarbeiterIn­nen. Das sind nur ein paar Denkanstöße, die ich heute von dieser Enquete mitnehmen werde.

Ich möchte ganz kurz auch auf den Beitrag von Frau Frohner eingehen, weil er mich sehr beeindruckt hat, weil sie – das habe ich zumindest so gehört – vor allem den Men­schen, die Patientin, den Patienten, in den Mittelpunkt gestellt hat. Sie hat verdeutlicht, dass eigentlich der Mensch als Ganzes gesehen und die Multi-Zusammenarbeit, die interdisziplinäre Zusammenarbeit, rund um den Menschen aufgebaut werden soll, sodass die- oder derjenige genau jene Leistungen bekommen kann, die sie oder er im Moment braucht.

Ich glaube, das ist der absolut richtige Ansatz. Ich denke, so kann man viele Geldmittel dort einsetzen, wo sie hingehören. Es würden Mittel freigesetzt, sodass man die Pflege auch in Zukunft finanzieren kann. Primärzentren können dazu einen Teil leisten, ich glaube jedoch auch, dass man ein ordentliches Case and Care Management aufbauen soll, um diese Leistungen bei der Patientin, bei dem Patienten richtig ankommen zu lassen. Auf diese Weise kann man die Pflege auch in Zukunft finanzieren, was ja eine der größten Herausforderungen ist.

Ich möchte diesbezüglich anmerken: Ich würde auch dort ansetzen, nämlich die Pflege aus der Sozialhilfe herauszubringen und vor allem auch in Zukunft eine solidarische Pflegefinanzierung umzusetzen, wie immer sie dann ausschaut. Ich denke, da muss man ganz genau hinschauen.

Der zweite Punkt, den ich ganz besonders mitnehme, ist das Kompetenzwirrwarr. Das ist in der Behindertenpolitik – ich bin Behindertensprecherin – ohnedies ein Thema, das uns in unserem Alltag fast alltäglich beschäftigt, insofern man einfach wirklich die Kompetenzen dort zuteilt, wo sie am besten aufgehoben sind: Bund, Länder, Gemein­den. Damit würde man Mittel freisetzen und die Leistungen bedarfs- und bedürfnis­gerecht dem Patienten, der Patientin, dem Menschen, zukommen lassen. Man könnte vor allem auch bundesweit gleiche Leistungen anbieten, sei es in der Pflege, aber auch, wie Frau Mag. Feuerstein angesprochen hat, in der persönlichen Assistenz. Das wäre ein Thema für eine größere Enquete oder für eine Besprechung, denn man muss auch genau hinschauen, wie behinderte Menschen in ihrer Selbstbestimmung behindert werden, da es überall andere Lösungen gibt. Das ist ein Thema, bei dem man ganz genau hinschauen muss.

Der dritte Punkt, den ich mitnehme, ist jener der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man muss auch da hinschauen in dem Sinne, das man den Beruf der Pflegeassistentin, des Pflegefachassistenten aufwertet, zum Beispiel, indem man vielleicht wirklich eine Imagekampagne macht und nicht nur bei unseren Sonntagsreden davon spricht. Letztlich sollte die Wertigkeit dieser Leistung auch tatsächlich monetär belohnt werden. Das muss man ganz ehrlich sagen, denn es ist ein sehr wichtiger Beruf, der die Menschen, die in diesem Beruf arbeiten, in ihrer Ganzheit fordert.

Daher, denke ich, ist es wirklich notwendig, gut hinzuschauen und speziell in diesem Bereich weitere Anstrengungen zu unternehmen, wobei ich auch glaube, das GuKG ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, um den Pflegefachberuf ein Stückchen aufzuwerten. (Präsidentin Ledl-Rossmann übernimmt den Vorsitz.)

Ich hätte noch viel zu sagen, aber die Redezeit läuft ab. Abschließend möchte ich für mich einfach festhalten, dass ich davon überzeugt bin, dass sich das System um den zu pflegenden Menschen zu kümmern hat und wir gefordert sind, die Rahmen­bedingungen zu schaffen, sodass die Leistungen beim Menschen ankommen, dort, wo sie hingehören. – Danke. (Beifall.)

14.18


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächster zu Wort gemeldet ist Herr Professor Walter Scheed, Vertreter des Öster­reichischen Seniorenrates. – Bitte.

 


14.18.43

Professor Walter Scheed (Österreichischer Seniorenrat)|: Da mein Name schon ge­nannt wurde, brauche ich ihn nicht zu wiederholen. Ich bin hier für den Österreichi­schen Seniorenrat. Es sind schon sehr viele Dinge gesagt worden, und es ist müßig, sie zu wiederholen. Aber es gibt einen Eckpunkt, an dem sich, glaube ich, doch die Diskussion weiterentwickeln wird müssen, nämlich in der Frage der Finanzierung, wobei man dabei unserer Meinung nach unterscheiden muss: Was finanziert man? – Das Pflegegeld, die Sachleistung oder beides, was auch möglich ist?

Wenn man allerdings das Pflegegeld als eine Leistung herausgreift, dann muss man wiederum unterscheiden: Wie finanziert man das? – Mit Beiträgen, als Versiche­rungsleistung oder als solidarische Leistung der Gesellschaft an sich? – Bei Beiträgen und bei Versicherungsleistungen – aber bitte, das sage ich jetzt nicht als Vertreter des Seniorenrates, denn da hat es noch keine abschließende Meinung dazu gegeben, sondern als meine persönliche Meinung – muss man vorsichtig sein.

Ich nenne zwei Beispiele: Ein junger Mensch, der seinen Pflichtbeitrag geleistet hat, hat einen Autounfall und ist pflegebedürftig. Selbstverständlich sagen wir: Er hat Anspruch auf Pflegegeld. Ein anderer hat möglicherweise auch einen Unfall, der aber selbst verschuldet ist. Gestehen wir ihm die Leistung dann auch zu?

Die dritte Problematik, die in der ganzen Sache steckt, ist: Wie hoch ist die Leistung? Soll derjenige, der lange eingezahlt hat, mehr bekommen als derjenige, der nur kurz eingezahlt hat? Soll diese Person weniger bekommen? Machen wir eine Pro-rata-temporis-Regelung? Bei Pflichtbeiträgen kommt noch die EU ins Spiel: Was machen wir, wenn ein in Österreich beschäftigter Ungar diesen Autounfall hat? Sagen wir: Du bist nur ganz kurz in Österreich gewesen, daher bekommst du kein volles Pflegegeld!?

Das sind Probleme, die wir eigentlich lösen oder bedenken müssten – wir haben ja momentan eine Debatte mit Leistungen ins Ausland –, ich würde daher davor warnen, so salopp zu sagen, mit einer Pflegeversicherung sei die ganze Sache erledigt. Tat­sächlich – das ist aber meine persönliche Einstellung dazu – geht es nur über eine Solidarleistung, die eben von jenen, die – jetzt sage ich ganz bewusst über Erbschaft – mehr beitragen können, finanziert wird und auf diese Art und Weise der gesell­schaft­liche Ausgleich geschaffen wird. – Das ist das eine Thema.

Das zweite Thema ist die Gegenüberstellung der Pflege zu Hause und der Pflege in einem Heim. Beides hat etwas für sich. Bei der Heimpflege – das wissen wir aus der Vergangenheit – ist es so, dass man sich aus ökonomischen Gründen eher darauf konzentriert hat, zumindest bei den von der öffentlichen Hand finanzierten Heimen, zu größeren Einheiten überzugehen. Das geht von Heimen mit über 100 Pflegeplätzen bis über 300 Pflegeplätze oder noch mehr. Aus ökonomischen Gründen ist das durchaus verständlich, aber: Ist das wirklich das, was wir wollen?

Wir haben ja gehört, dass wir eher die Pflege zu Hause fördern. Wenn wir das fördern wollen, muss es trotzdem den Übergang zum Heim geben.

Die Vision ist: Kleinere Heime, die geöffnet sind, wo zum Beispiel das „Essen auf Rädern“ auf „Räder zum Essen“ umgekehrt wird. Das heißt, Pflegebedürftige kommen vorübergehend ins Heim, um die Gegebenheiten kennenzulernen, und wenn es später notwendig ist, entscheiden sie sich dafür: Jetzt möchte ich ständig bleiben. Das war’s. (Beifall.)

14.23


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Mag. Daniela Gutschi, Landtagsabgeordnete aus Salzburg. – Bitte.

 


14.23.56

Mag. Daniela Gutschi (Abgeordnete des Salzburger Landtags, ÖVP)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Ich freue mich, dass ich heute bei dieser hochkarätigen Enquete zum Thema Pflege dabei sein darf. Das ist ein sehr spannender Tag.

Ich freue mich auch, dass so viele ExpertInnen bereit sind, hier ihre Einschätzungen darzustellen, gerade die letzte Runde war besonders berührend. Das, was ich aus allen Beiträgen für mich mitnehmen kann, ist das Thema der Selbstbestimmtheit.

Ich bin Klubobfrau des ÖVP-Landtagsklubs in Salzburg und auch Sozialsprecherin. Wir diskutieren natürlich in vielen Facetten über die Frage: Was ist das Richtige im Bereich der Pflege? Ich bin überzeugt davon – und das haben wir ja in den letzten Beiträgen auch gehört –, dass sich die Menschen wünschen, so lange wie möglich zu Hause zu leben. Nicht nur aus volkswirtschaftlichen Gründen, sondern genau aus diesem Aspekt, müssen wir das weiter verfolgen.

Als Politiker sollten wir immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen und überlegen, was die einzelnen Menschen brauchen, da kann man nicht alles über einen Kamm scheren. Deswegen ist es meiner Meinung nach auch so schwierig, über eine Harmo­nisierung über das gesamte Bundesgebiet zu sprechen, denn, obwohl wir nur ein relativ kleiner Staat sind, gibt es in den einzelnen Bundesländern ganz, ganz unter­schiedliche Rahmenbedingungen. Das ist einfach so.

Wie wir gerade gehört haben, sind diese großen Pflegeheime offenbar hier in Wien gang und gäbe, so etwas haben wir in Salzburg einfach nicht. Dafür darf ich Ihnen erzählen, dass wir im Lungau – einem Bezirk, in dem wir eine sehr starke Abwan­derung von jungen Menschen erleben müssen – im kommenden Herbst eine Volks­schule in ein Tagesbetreuungszentrum für Seniorinnen und Senioren umwandeln wer­den, weil es die demografische Entwicklung so verlangt.

Ich glaube, wir müssen da immer sehr genau hinschauen: Was braucht es in den einzelnen Regionen? Was braucht es, dass die Menschen so betreut werden können, wie sie sich das wünschen? Das hat überhaupt nichts mit einem Kantönligeist zu tun, sondern das ist einfach die Realität, der wir uns stellen müssen.

Also „ambulant vor stationär“: Ja, davon bin ich absolut überzeugt, aber die Rahmen­bedingungen müssen passen. Gerade die Schilderungen von Frau Makomaski darü­ber, wie es pflegenden Angehörigen geht, zeigt, was wir brauchen, damit diese Unter­stützung vorhanden ist. Sie haben erzählt, dass das Tageszentrum für Ihren Mann besonders wichtig ist, ich nehme an, dass es auch für Sie eine Entlastung ist. Deshalb ist es notwendig, flächendeckend im ganzen Land entsprechende Tagesbe­treu­ungs­zentren einzurichten. Entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten bis hin zur sozialen Absicherung von pflegenden Angehörigen: Das muss unser Ziel sein.

Ich bin auch dafür, dass das Pflegegeld laufend erhöht und angepasst wird. Natürlich ist das Pflegegeld dafür da, dass es selbstbestimmte Menschen, die es beziehen, für die Bereiche einsetzen können, von denen sie glauben, dass es für sie die richtigen sind. Daher bin ich auch davon überzeugt, dass das Pflegegeld der richtige Weg ist und wir nicht zu Sachleistungen übergehen sollten. Alles in allem finde ich, dass das der richtige Weg ist.

Ich möchte noch etwas zum Thema Aufsichtsbehörden und zur Qualitätssicherung in den stationären Einrichtungen sagen. Ich bin absolut davon überzeugt, dass es richtig und wichtig ist, genau zu verfolgen, was in diesen Einrichtungen passiert. Eine meiner Vorrednerinnen, Monika Wild, hat es schon gesagt: Wir sind überreguliert. Wir haben Gesetze geschaffen, die gar nicht mehr zu umzusetzen sind, das ist im mobilen Bereich ebenso wie im stationären Bereich.

Mir wurde erzählt, dass in einem Seniorenwohnheim die Kommission der Volksan­walt­schaft, die OPCAT, und die Bewohnervertretung gleichzeitig eine Einschau durch­führten und im Endeffekt dabei auch noch zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Das kann es nicht sein!

Wir brauchen eine Harmonisierung, wir brauchen auch eine Abstimmung und die überbordenden Regulierungen sollten wir auf das notwendige Maß beschränken. Danke schön. (Beifall.)

14.28


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächster zu Wort gelangt Herr Bundesrat Ing. Rösch. – Bitte.

 


14.28.36

Bundesrat Ing. Bernhard Rösch (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin Bundesrat und Arbeitnehmervertreter der Freiheitlichen. „Die Zukunft der Pflege: Schaffbar, sichtbar, leistbar“: Das ist eine sehr wichtige gesellschaftliche Diskussion, die wir heute führen.

Wenn man den Kritikern und Berichterstattern zugehört hat, kommt die Diskussion einer Evaluierung des Bedarfs, der Leistung und der Qualität gleich. Wir wissen, dass wir alle älter werden, wir wissen, dass damit mehr Krankheiten auf uns zukommen werden. Wir kennen das System der Leistungen, die zum Großteil privat, in der 24-Stunden-Pflege solidarisch über den Staat organisiert sind.

Wie wir heute gehört haben, soll es eine Evaluierung der Qualität der Ausbildung, der Berufung und des Arbeitnehmerschutzes, der mir zum Beispiel auch sehr wichtig ist, geben: Wie geht es denen, die pflegen?

Nur wenn es ihnen gut geht, wenn sie nicht überfordert sind, können wir sicher sein, dass es auch denen, die gepflegt werden, gut geht. Wenn Pflegekräfte abschalten können und den Stress nicht mit nach Hause nehmen, können sie am nächsten Tag wieder die erforderliche Leistung bringen, denn Pflege ist ganz einfach eine psychische und physische Belastung. Die sehe ich oft auch bei Müttern, die mehrere Kinder betreuen, denn Mutter zu sein ist nicht immer – wie man oft sagt – das Einfachste auf der Welt, auch da kommt man oft in Bedrängnis, das wird nur von der Gesellschaft oft unterschätzt.

Dann wird natürlich, wie wir heute gehört haben, auch die Bezahlung ein Thema sein: Es muss einfach sein, dass wir Menschen, die solch eine wertvolle Arbeit leisten, auch ordentlich bezahlen. Bei der Finanzierung halte ich es anders, ich sehe es ganz ein­fach so, dass wir heute und hier, nach der Evaluierung und nach den Gesprächen bestimmen, was wir wollen. Das setzen wir fest und dann werden wir prüfen, wie wir das finanzieren können.

Natürlich wird es Umverteilungen geben und man wird einen Wertekatalog machen müssen: Was ist uns wichtiger, was ist uns nicht so wichtig, um es mit dem, was wir an Steuern und so weiter einnehmen, zu bezahlen? Es wird zu Verschiebungen kommen, denn wir wissen ganz genau, das Thema, das wir heute hier gewählt haben, betrifft uns alle.

Jugendliche betrifft es insofern, dass sie dafür eintreten müssen, dass es uns gut geht, dass wir die Pensionen und die notwendige Pflege bekommen, die wir uns erhoffen. Dieser Solidarpakt mit der Jugend ist ja keine Einbahnstraße. Wir werden dafür Vorleistungen treffen müssen.

Ich möchte positiv zusammenfassen, was ich heute gehört habe: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wir werden das garantiert unterstützen. (Beifall.)

14.32


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Sonja Thalinger vom Dachverband Hospiz Österreich. – Bitte.

 


14.32.42

Sonja Thalinger, MSc (Dachverband Hospiz Österreich)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Name ist Sonja Thalinger, ich darf als Mitglied des Dachverbandes Hospiz Österreich zu Ihnen sprechen und möchte meinen Blick auf das Statement „ambulant vor stationär“ aus der Praxis der Hospiz- und Palliativbetreuung richten.

1988 lag der Prozentsatz der Menschen, die zu Hause gestorben sind, bei 27 Prozent, 2014 lag er bei 27,4 Prozent. Wir sehen, da hat sich nicht sehr viel getan. Warum ist das so? Was glauben wir, aus unserer Praxis heraus, dass Menschen brauchen, damit wir sie zu Hause als Schwerkranke und beim Sterben gut begleiten können? – Die Erfahrungen der Hospiz- und Palliativbewegung zeigen uns, dass die Grundlage immer eine gute Zusammenarbeit aller Betroffenen ist: der Patienten, der An- und Zuge­hörigen, der Pflegenden, der Grundversorgung, der Hausärzte und auch der multipro­fessionellen Teams.

Wir würden uns einerseits ein bisschen mehr Flexibilität und Freiraum für die Basis­versorger aus der Grundversorgung wünschen. Es braucht zum Beispiel die Möglich­keit von bezahlten Leistungen nach Absprachen zwischen Hausarzt, Angehörigen und Patienten, Mitarbeitern der spezialisierten Versorgung und der Grundversorgung. Nur wenn sich alle sehr gut kennen und sehr gut miteinander kooperieren, dann kann die Betreuung von schwer kranken und sterbenden Menschen zu Hause gut gelingen.

Zum Beispiel braucht es klare und vereinbarte Kommunikationsstrukturen untereinan­der und auch die Möglichkeit, gut vorausschauend planen zu können. Mit dem  VSD Vorsorgedialog® haben wir ein gutes Instrument, dass sich in den Pflegeheimen gerade in Umsetzung befindet. Erst vor wenigen Tagen hat sich der Beirat von Hospiz und Palliative Care im Dachverband gewünscht, dass wir den VSD Vorsorgedialog® auch für den mobilen Bereich adaptieren.

Die Angehörigen und Vertrauenspersonen brauchen nach unserer Erfahrung nicht nur Informationen – Sie haben das angesprochen –, sondern auch Beratung und Unter­stützung, denn ohne ihre Leistungen wird es zum Beispiel in der Nacht nicht gehen, um im Sinne der Patienten handeln zu können und auch an Sicherheit zu gewinnen.

Wir wünschen uns einerseits mehr an Basiswissen in Hospiz und Palliative Care bei den Betreuenden in der Grundversorgung – da gibt es auch schon erste gute Schritte – und andererseits braucht es auch in den Trägerorganisationen klare Strukturen, um Hospiz und Palliative Care nachhaltig zu verankern. Außerdem sollte eine Erhöhung der Betreuungszeiten bei schwer kranken und sterbenden Menschen auch sehr kurzfristig möglich sein, denn wir wissen, dass sich das Sterben nicht an einen Plan hält. Eine Abrechnung, die rein nach Leistung funktioniert, ist in dieser Zeit sehr schwie­rig. Es passiert nicht im 15-, 30- oder 45-Minutentakt, das kann nicht patien­ten­gerecht, nicht bedürfnisorientiert sein. Im Sterbeprozess macht eine derartige Abrech­nung eine gute Begleitung und Pflege zu Hause unmöglich.

All diese Aspekte sprechen aus unserer Sicht sehr für kleinräumige Strukturen, das Grätzel sei angesprochen. Nur wenn sich alle Betreuenden wirklich gut untereinander kennen und miteinander optimal kooperieren können, kann der Prozess funktionieren, und dafür wünschen wir uns diese Strukturen.

Wir glauben, dass es uns menschlich und ethisch gesehen in Österreich wesentlich weiterbringen würde, wenn wir diese kleinräumigen Strukturen schaffen und stärken. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung, damit Hospiz und Palliative Care gut gelebt werden können. – Danke. (Beifall.)

14.36


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächste zu Wort gelangt Frau Elisabeth Anselm vom Hilfswerk Österreich. – Bitte.

 


14.36.49

Elisabeth Anselm (Geschäftsführerin des Hilfswerks Österreich)|: Grüß Gott! Auch ich freue mich, dass ich hier kurz das Wort ergreifen darf, und zwar für das Hilfswerk Österreich.

Das Hilfswerk Österreich ist einer der führenden gemeinnützigen Träger im Bereich der Pflege. Unsere Palette umfasst sehr vieles von dem, was heute schon besprochen wurde, es beginnt bei Mobilen Diensten, geht über Betreutes Wohnen, stationäre Ein­rich­tungen bis hin zur 24-Stunden-Betreuung.

Was uns aus unserer Praxis als Träger völlig klar ist: Die eine Herausforderung wird natürlich die Finanzierung sein – sie ist heute sehr zu Recht schon mehrfach ange­sprochen worden –, aber das Personal wird eine mindestens ebenso große Heraus­forderung werden. Wir haben derzeit beim AMS 1 060 freie Stellen nur im Bereich der Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger, der Pflegehelferinnen und der Heim­hilfen gemeldet, das sind 400 freie Stellen für DGKPs, 527 Stellen für Pflegehelfe­rin­nen und 133 für Heimhilfen. Sie können sich vorstellen, was das auch für Träger, die da ihr Bestes versuchen, heißt. Das ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft, wir müssen mehr Menschen dafür begeistern können, in diese Berufe zu gehen.

Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz wurde 2016 reformiert, das war ein rich­tiger und guter erster Schritt, aber dabei dürfen wir nicht stehenbleiben, das wurde heute schon sehr zu Recht erwähnt. Walter Marschitz hat es schon angesprochen: Die Ausbildung und die Zurverfügungstellung der Ausbildungsplätze werden große Themen sein, da werden die Länder sehr gefordert sein.

Bund und Länder werden auch sehr stark gefordert sein, um für faire Rahmenbedin­gungen und eine entsprechende Bezahlung zu sorgen. In diesem Bereich gibt es ganz viele Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden und manchmal ein bisschen zu wenig Handlung. Wir würden uns manches Mal wünschen, in einen echten, faireren Dialog treten zu können. Das wäre uns wirklich wichtig.

Was uns bei der Reform des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes übrigens fast passiert wäre – nämlich nicht so sehr uns als denjenigen, denen die Langzeitpflege wichtig ist, sondern insgesamt in der Diskussion – ist, dass der Fokus ganz stark auf dem Gesundheitsbereich, auf dem Akutstationären, auf den Spitälern war. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Aspekt und ganz berechtigt, aber wir alle, denen die Lang­zeitpflege wichtig ist, mussten uns ziemlich anstrengen, damit die Erfordernisse der Langzeitpflege gesehen und mitgedacht werden. Bei allen Reformen und bei allen Vorhaben, die im Umfeld der Pflegeorganisation, der Pflegegestaltung, der Ausbildung, der Finanzierung stattfinden, darf es uns in Zukunft nicht mehr passieren, dass uns erst im letzten Moment auffällt, dass wir den Fokus auch auf dieses Schlüsselthema der Zukunft legen müssen.

Übrigens sollte uns das auch bei der heute schon erwähnten Primärversorgung nicht passieren, und ich glaube, wir laufen auch dabei ein bisschen Gefahr, dass uns das passiert.

Abschließend möchte ich noch auf einen Redebeitrag vom Vormittag Bezug nehmen. Eine Kollegin aus dem Bereich der 24-Stunden-Betreuung hat erwähnt, sie möchte die Familienbeihilfe nicht als Lohnbestandteil sehen müssen, weil der Lohn sonst nicht stimmt. – Ich muss ehrlich sagen, das sehe ich ein bisschen ähnlich, denn da vermi­schen wir auch Systeme.

Das ist sowieso sehr beliebt in der Politik, nämlich dass man, wenn man in einem Bereich an die Grenzen stößt, das aus einem anderen Bereich herauslöst; und wenn man es dann verändern will, geht das nicht, denn wenn man an einem Rädchen zieht, fallen gleich die nächsten Rädchen im Getriebe um. Das halte ich auch für prob­lematisch. Man müsste sich ehrlich und genau anschauen, was das tatsächlich be­deutet.

Was uns ganz sicher nicht hilft, sind unüberlegte Vorschläge, die in die Arena der Diskussion geworfen werden, egal, zu welchem Thema. Auch erst vor Kurzem ist ärgerlicherweise so ein unüberlegter Vorschlag zum Thema 24-Stunden-Betreuung gemacht worden. Er wurde heute schon einmal erwähnt: Eine bundesweite Genos­senschaft wird uns in diesem Bereich nicht weiterbringen. Das könnte ich Ihnen bei Gelegenheit auch noch näher explizieren, ich möchte das jedenfalls gesagt haben.

Es ist immer schwierig, wenn solche Vorschläge in die Runde geworfen werden, ohne dass über die Konsequenzen nachgedacht wird. Also da möchte ich sehr um Augenmaß und um ein angemessenes Zugehen auf die Fragen bitten. Da gibt es viele Fragen, viele Herausforderungen, aber von unüberlegten Vorschlägen zu Settings, von Vorschlägen, die eine Last aufnehmen, die gefährden, möchte ich dringend abraten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.41


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Dr. Christine Ecker vom Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs.

 


14.41.15

Dr. Christine Ecker, MBA MAS (Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs)|: Grüß Gott! Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren! Wir haben heute mehrfach gehört, dass wir eines der besten Pflegesysteme haben, die es gibt. Das glaube ich auch, aber jedes System braucht Vordenker, Mitdenker, Nachdenker und Querdenker. Ich möchte Sie jetzt einladen, einmal kurz querzudenken, was wir mit Pflege eigentlich machen – wir alle.

Da will ich mit der Wortwahl beginnen. So höre ich immer wieder, dass Leute ins Pflegeheim eingewiesen werden. Es ist sehr schlimm, wenn wir tagtäglich solche Ausdrücke verwenden; oder wenn man sagt: Ich würde meine Mutter niemals ins Pflegeheim abschieben. – Bitte bedenken Sie, was Sie der Pflege selber, also den Pflegeberufen, antun, wenn Sie so etwas zulassen oder wenn Sie es selber sagen. Bedenken Sie aber auch, was Sie Leuten antun, die wirklich in der Langzeitpflege versorgt werden müssen!

Es gibt heute eigentlich fast nichts mehr zu sagen. Es ist ganz, ganz viel über Pflege gesprochen worden, und es wurden die meisten Themen auch angesprochen. Wir sagen immer: Man muss!, Sie sollen! – es geht immer um den anderen.

Fangen wir doch an, wir selber als Gesellschaft – ich lade jeden 50-Jährigen jetzt bereits dazu ein –, darüber nachzudenken, wie wir denn alt werden wollen! Das ist etwas ganz, ganz Wichtiges. Dann überlegt man sich, wie wir auch hinsichtlich der Wortwahl mit den Pflegeberufen, mit den Pflegenden, aber auch mit den zu Pflegen­den umgehen.

Was ich heute noch erwähnen möchte: In den letzten 20 Jahren wird immer wieder die Forderung nach dem Lehrberuf in der Pflege gestellt. Meine Damen und Herren, der Lehrberuf in der Pflege würde bedeuten, dass 15-jährige Jugendliche in den Pfle­geberuf müssen, obwohl sie nicht vorbereitet sind auf den kompetenten Umgang mit Schwerkranken, mit Leid, mit einer schweren Krankheit. Ich bitte, davon abzusehen, solche Forderungen zu stellen. Es gibt derzeit in der Europäischen Union kein Land, in dem es den Pflegeberuf als Lehrberuf gibt.

Die Frau Gesundheitsministerin hat heute gesagt, dass der Pflegeberuf als Teil des Gesundheitssystems für die Menschen da sein soll. Ich bitte Sie alle, den Pflegeberuf als diesen gemeinsamen Teil im Gesundheits- und Sozialwesen zu sehen. Wir selber werden in Zukunft daran gemessen werden, wie wir heute mit diesem Thema umge­hen, wie wir unseren jungen Menschen zeigen, was alt sein in unserer Gesellschaft bedeutet. Wir werden uns selber den Weg dorthin bereiten. Wir tun jetzt nämlich nichts anderes, als uns auf unsere eigene Zukunft in 20 bis 30 Jahren vorzubereiten. – Danke schön. (Beifall.)

14.45


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag.

14.45.15V. Abschlussrunde

 


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Wir sind nun bei der Abschluss­runde der Enquete angelangt, wozu ich je einer Vertreterin/einem Vertreter pro Fraktion das Wort erteile. Ausgemacht sind von vornherein immer 5 Minuten pro Frak­tion. Vielleicht schaffen wir es im kollegialen Zusammenhalt, dass bis 15 Uhr, solange live übertragen wird, noch alle Fraktionen zu Wort kommen.

Ich darf nun dem Fraktionsvorsitzenden der ÖVP, Herrn Bundesrat Mayer, um seinen Beitrag bitten.

 


14.45.46

Bundesrat Edgar Mayer (ÖVP, Vorarlberg)|: Auch von mir noch einmal ein herzliches Grüß Gott! Danke, Frau Präsidentin, für den dezenten Hinweis. Danke schön im Namen meiner Fraktion – und ich denke, die anderen Fraktionen sehen das ähnlich – für das Zusammenstellen, das Organisieren dieser Enquete. Es ist ein ganz wichtiges Thema, ein Zukunftsthema, so wie die Digitalisierung. Man kann das nicht vergleichen, aber der Bundesrat hat sich mit diesem wichtige Thema Digitalisierung befasst und befasst sich jetzt auch mit diesem wichtigen Thema Pflege, an dem es intensiv zu arbeiten gilt.

Wie wir schon gehört haben, sind Pflege und Betreuung die großen Herausforde­rungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte, und es liegt auf der Hand, dass die best­möglichste Versorgung von pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen zu den ganz großen Zukunftsthemen zählen.

Wir haben heute im Zusammenhang mit dem Thema Pflege auch schon den Begriff Mangelberuf gehört – das hat mich erschüttert –, und wir haben gehört, dass wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten 30 000 zusätzliche Pflegekräfte benötigen.

Frau Kollegin, da Sie vorhin dieses Schreckensszenario Pflegelehre angesprochen haben, muss ich das schon ein bisschen relativieren. Die Vorarlberger haben einstim­mig beschlossen, dass man das als Pilotversuch implementieren soll. Es ist nach diesem Schweizer Modell nicht angedacht, dass 15- bis 17-Jährige mit Schwerst­kranken und Sterbenden in Kontakt kommen, sondern es ist ein leichtes Ansetzen mit Betreuungssituationen, erst mit 17 Jahren kommt zusätzlich die Krankenpflegeschule dazu, und danach sollen die jungen Menschen eben im Pflegeberuf stehen, damit das auch ein richtiges, entsprechendes Berufsbild hat. Man muss dieses Schweizer Modell also relativieren, das die Vorarlberger als Vorbild genommen haben.

Die Vorarlberger haben ja einiges im Pflegebereich schon eingebracht, das Sie, Frau Mag. Feuerstein, kritisiert haben – berechtigt natürlich. Das gibt es in Vorarlberg in hohem Maße. Vorarlberg hat auch einmal das Pflegegeld erfunden, das muss man hier auch anmerken. Das wurde dann 1993 vom Bund übernommen und hat heute noch seine Gültigkeit. Wir sind aber aufgefordert, an diesem Pflegegeld mit entsprechenden Valorisierungen zu arbeiten.

Wir haben ja vorhin das Referat des Herrn Volksanwalts und auch jenes des Herrn Präsidenten Landau gehört. Kollege Kräuter hat die verkrusteten Strukturen in den Ländern angesprochen und auch die vielen unterschiedlichen Zugänge zu Pflege und Betreuung. Das gilt es sicher in einigen Bereichen zu adaptieren. Ich würde diesen Föderalismus aber nicht von vornherein sterben lassen, sondern es im Sinne eines modernen Föderalismus anpacken und zusammen mit den Ländern und Gemeinden an diesem Thema arbeiten, um, wie es im Jugendbereich einmal beim Jugendschutz­gesetz möglich war, auch da gemeinsame Lösungen zu finden.

Wir haben schon öfter gehört, dass die Situation im Bereich Pflege und Betreuung gut ist. Sie ist nicht sehr gut, aber sie ist gut, und wir können uns da ganz intensiv einsetzen und daran arbeiten. Das bedeutet auch, dass wir aufgerufen sind, die Pflegefinanzierung als wichtiges Ziel zu sehen. Die Pflegefinanzierung wird ja 2021 auslaufen. Die fünf Jahre sind gesichert, aber was ist danach? Da müssen wir nach­haltige Lösungen schaffen. Ob das eine Pflegeversicherung oder der Pflegefonds ist, ist mir – unter Anführungszeichen – „nicht so wichtig“, aber es muss finanziert sein. Ich sage Ihnen das auch als Obmann einer Betreuungseinrichtung, nämlich des Mobilen Hilfsdienstes in Feldkirch – in Vorarlberg sind ja die ganzen Betreuungs­ein­richtungen auf Vereinsbasis geregelt –, in dessen Rahmen wir wöchentlich viele Hun­dert Menschen betreuen, 400 Menschen mit 140 BetreuerInnen. Es ist ein wichtiger Teil, dass wir auch diese Pflege sichern, dass wir den Menschen die Möglich­keit geben, im eigenen Bereich zu bleiben – in Vorarlberg sind es ja über 80 Prozent –, und dass wir hier auch vorsorgen, damit die Menschen das auch entsprechend finanzieren können, damit ihnen ein Leben zu Hause ermöglicht wird.

Das ist auch ein Problem: Wenn wir es nicht schaffen, dieses wichtige Thema auch ohne ideologische Zwänge zu diskutieren und nachhaltigere Reformen gemeinsam auf den Weg zu bringen, dann gefährden wir dieses funktionierende System. Wie Frau Makomaski und Frau Feuerstein angesprochen haben: Hier geht es nicht um ideologische Zwänge und Ideen verschiedener Couleurs, hier geht es um Menschen, und das gilt es in den Vordergrund zu stellen.

Wir fordern deshalb, dass wir dazu eine parlamentarische Kommission oder einen Kon­vent einrichten – mit Vertretern von Bund, Ländern und Gemeinden sowie Stakehol­dern, da sollen auch die Volksanwaltschaft sowie alle Pflegebereiche miteingebunden werden – und dass wir das dann nicht nur evaluieren, sondern gemeinsam zukunfts­trächtige nachhaltige Lösungen erarbeiten. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

14.50


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für die Ausführungen.

Als Nächste zu Wort gemeldet ist Frau Bundesrätin Posch-Gruska. – Bitte.

 


14.51.03

Bundesrätin Inge Posch-Gruska (SPÖ, Burgenland)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen! Werte Kollegen! Ich werde versuchen, den Überzug von meinem Vorredner miteinzubauen, indem ich weniger rede. Ich möchte ganz kurz darauf hin­weisen – ich glaube, Herr Volksanwalt Kräuter hat es gesagt –: Die Qualität der Be­treu­ung ist das Spiegelbild unserer Gesellschaft. Ich glaube, das sollte unser Grundsatz sein, den wir leben sollen, und zwar, wie Kollegin Königsberger-Ludwig gesagt hat, nicht nur, wenn die Sonntagsreden der Politikerinnen und Politiker gehalten werden, sondern wirklich.

Ich glaube, dass wir, wenn es um Pflege geht, beim Präventivbereich anfangen sollten. Das ist heute noch nicht so wirklich zu Tage getreten, aber ich glaube, dass dieser Präventivbereich ein ganz wichtiger ist. Wir haben bei uns im Burgenland die Aktion Gesundes Dorf. Im Rahmen dieser Aktion wird für die Menschen sehr viel getan, und da geht es nicht nur um die körperliche Pflege, sondern auch darum, dass sie hinaus­gehen können, dass sie etwas machen können. Das heißt, das Zusammenkommen, das Miteinander-Reden ist ein sehr wichtiger Teil.

Weiters haben wir im Burgenland das Sozialprojekt NachbarschaftsHILFE PLUS. Dabei können junge Leute etwas geben, das behindere Menschen, ältere Menschen brauchen und sehr gut verwerten können. Ich denke, dass dieser Ansatz schon ein sehr wichtiger sein könnte.

Die speziellen Angebote sind heute schon erwähnt worden. Es wurde auch immer wieder erwähnt, dass kreativ gedacht werden muss, und die Kollegin vom Arbeiter-Samariter-Bund hat nachdenken, umdenken, vordenken, mitdenken und querdenken angesprochen. Ich glaube, dass das sehr, sehr gut und wichtig ist.

Soweit ich weiß, Frau Präsidentin, wollen wir uns auch Pflegeeinrichtungen anschau­en, die anders sind als unsere: Wohngemeinschaften, in denen jüngere Menschen ältere Menschen betreuen und dafür auch etwas bekommen. Ich finde, dass das ein sehr, sehr guter Ansatz ist und dass wir hier ganz sicher gute Bedingungen bieten.

Zur 24-Stunden-Betreuung nur ganz kurz: Auch ich möchte nicht, dass die Familien­beihilfe ein Teil des Lohnes ist. Ich möchte aber nicht, dass Menschen, die bei uns um viel zu wenig Geld arbeiten, deren Lohn nicht angepasst ist, dann noch eine Leistung, nämlich die Familienbeihilfe, gekürzt wird. Das wäre sehr unfair und auch falsch.

Weiters glaube ich, dass es notwendig ist, eine Infodrehscheibe zu schaffen, und zwar nicht nur auf Gemeinde-, sondern auch auf Bezirksebene. Gerade in den ländlichen Bereichen ist es wichtig und notwendig, dass diese Case-Manager da sind, damit Menschen, die diese Informationen brauchen, diese auch bekommen können. Ich bin Bürgermeisterin in einer sehr kleinen Gemeinde. Immer wieder kommen die Leute und fragen: Inge, was soll ich jetzt machen? – Das heißt, diese Informationen sind nicht weitergegangen.

Insgesamt ein herzliches Dankeschön für die tolle Enquete und für alle Redebeiträge. Ich wünsche mir, dass wir wirklich auf Experten- und Expertinnenebene hier weiter­arbeiten können und vieles, das hier besprochen wurde, auch in die Tat umsetzen können. – Danke schön. (Beifall.)

14.54


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank, Frau Bundesrätin.

Als Nächste gelangt Frau Bundesrätin Mühlwerth, Fraktionsvorsitzende der FPÖ, zu Wort. – Bitte.

 


14.54.19

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch namens meiner Fraktion herzlichen Dank für die Enquete, die wirklich nicht nur interessant – das sagt jeder über jede Enquete –, sondern für mich auch sehr lehrreich war.

Alle Beiträge waren lehrreich, jene von den Experten hier am Podium genauso wie jene von den Experten aus dem Publikum – und ich meine immer Damen und Herren gleichermaßen –, die Experten des Alltags sind, die uns hier ihre Vorschläge gebracht haben, die uns einerseits gesagt haben, was durchaus auch gut läuft. Es gibt kein System, das nicht auch Gutes hat. Auch wenn die Opposition die Regierung immer kritisieren wird, wissen wir natürlich, dass es da auch Gutes gibt. Sie haben uns aber auch gezeigt, wo dringender Verbesserungsbedarf ist, wo echte Mängel bestehen.

Wir sind uns alle einig darüber, dass die Würde des Menschen unteilbar ist, dass es um die Menschen, die gepflegt werden, geht, dass es um Angehörige von zu Pflegen­den geht und natürlich auch um die Pflegepersonen, die das als Profession ausüben. Der Teufel steckt immer im Detail. Wenn es dann ans Eingemachte geht, gibt es nämlich immer große Differenzen in der Herangehensweise.

Ich habe heute schon einige Forderungen gehört. Zu jener betreffend die Valorisierung des Pflegegeldes sage ich jetzt schon: Die Valorisierung des Pflegegeldes fordert die FPÖ seit zehn Jahren mit Hunderten von Anträgen im Parlament, aber es freut mich, besser spät als nie, wenn das von der Regierung aufgegriffen wird.

Es ist heute schon mehrmals betont worden, dass man über dieses Thema ideologie­frei diskutieren muss. Dazu sage ich: Ja, das mache ich gerne ideologiefrei, vielleicht auch frei von jeder Standesvertretung, die dann immer wieder ihr eigenes Süppchen kocht. Greifen wir all das auf, was heute hier gesagt worden ist!

Da sind natürlich die Regierungsparteien besonders gefordert. Ich empfehle allen, das Stenographische Protokoll von heute noch zu lesen und diese Vorschläge aufzugrei­fen. In welchem Gremium auch immer es dann diskutiert wird – in einem Konvent, in einer Arbeitsgruppe, in einem Ausschuss oder innerhalb der Regierung mit Experten, soll mir alles recht sein –, am Ende des Tages muss jedenfalls etwas herauskommen, das allen Menschen hilft: den Personen, die gepflegt werden müssen, denen, die diese Pflege übernehmen, sei es privat oder als Beruf; die wollen am Ende Ergebnisse sehen.

Diese heutige Enquete wird nur dann wirklich von Erfolg gekrönt sein, wenn wir am Ende sagen können: Das und das sind die Ergebnisse, die daraus entstanden sind, dass Sie uns Ihre Meinung und Ihre Erfahrungen mitgeteilt haben. – Vielen Dank. (Beifall.)

14.57


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für den Beitrag.

Ich darf nun Frau Bundesrätin Dr. Reiter von den Grünen um ihren Beitrag bitten.

 


14.57.35

Bundesrätin Dr. Heidelinde Reiter (Grüne, Salzburg)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Dank für diese Enquete, natürlich auch von unserer Seite. Sie war sehr inter­essant, sehr lehrreich. Eigentlich wollte ich noch meine Erfahrungen als Gemeinde­politikerin in den letzten Jahrzehnten einbringen; denn ich glaube, was da an Aufbau in diesem Pflegesystem gelungen ist, ist etwas, worauf wir auch stolz sein könnten und das man, denke ich, bei aller Kritik, die ja natürlich da ist, nicht vergessen sollte. Die Umstände, Zustände und Möglichkeiten heute sind ganz andere als vor 30 Jahren oder auch noch vor 20 Jahren.

Ich habe auch Erfahrungen als pflegende Angehörige, aber das lasse ich jetzt beiseite. Klar geworden ist natürlich, dass an Schrauben gedreht werden muss, um dieses System weiterzuentwickeln, zu verbessern und nachhaltig zu gestalten, nur ist das eine äußerst schwierige Aufgabe. Wenn wir uns allein vorstellen, wie das Gesundheits­system finanziert ist und wie da die Finanzströme laufen, wenn wir uns den Rechnungshofbericht oder die Untersuchungen der OECD anschauen, dann wünsche ich viel Vergnügen beim Finden dieser Schrauben!

Da muss ich schon sagen, dass für mich als Politikerin die letzten Finanzausgleichs­verhandlungen hier eine große Enttäuschung waren. Ich habe nämlich nach wie vor die Vision, dass es einen Topf gibt, in den hineingezahlt wird, ob jetzt als Steuer- oder Versicherungszahlungen, und aus diesem einen Topf kommt alles, was im Bereich Gesundheit zu finanzieren ist, und kann dort so auch gesteuert werden, und zwar zu gleichen Bedingungen für den Vorarlberger, den Burgenländer und den Wiener, denn nur so sind Steuerungen auch möglich.

Was aber tatsächlich passiert ist, ist, dass das ganze System noch einmal komplizier­ter und schwieriger geworden ist. Ich glaube, da könnte auch eine wichtige Rolle des Bundesrates liegen, hier wirklich einzugreifen, zu steuern und zu Lösungen zu kom­men.

Der Umbruch, in dem sich unsere Gesellschaft befindet, ist ja ein unglaublicher. Wir haben vor Jahren begonnen, die Subsistenzarbeit zu professionalisieren. Die Arbeit, die eigentlich zu 80, 90 Prozent von Frauen geleistet wird, die grundlegend notwendig ist, um unser Leben zu erhalten, die kostenlos geleistet wurde, wurde nach und nach in unseren Gesellschaften professionalisiert, mit all den Problemen, die es mit sich bringt, Kinderbetreuung und Ähnliches zu bewerten, die Subsistenzarbeit dann auch zu bezahlen. Das betrifft natürlich auch diesen ganzen Pflege- und Versorgungsbereich, von dem wir heute gesprochen haben. Das ist eine ungeheure Aufgabe, die sicher noch lange nicht vollendet ist.

Ich habe in den letzten Tagen eine Tagung zu Robotik und künstlicher Intelligenz be­sucht. Auf die Änderungen, die sich aus diesen Entwicklungen ergeben, möchte ich auch hinschauen – nicht, weil die Japaner einen Roboter in Seehundform entwickelt haben, den sie Demenzkranken dann in die Hand geben, sondern weil das unsere Arbeitswelt grundlegend verändern wird. Das wird das Hineinfüllen in diesen Topf, um die Gesundheit zu finanzieren, grundlegend verändern. Es wird natürlich auch die Bewertung der Arbeit, die wir haben oder die noch geleistet wird, grundlegend verän­dern, denn die Jobs, die wir verlieren, sind Maschinenjobs. Es ist eigentlich eine Miss­achtung der Menschen, dass sie einen Job machen, den auch eine Maschine erledigen könnte. Es sollte uns darum nicht so leid sein, aber diesen Umbruch gilt es zu nutzen, um uns für Aufgaben des Sich-Kümmerns, des Sich-Sorgens freizuschaufeln, sei es für Kinder, sei es für andere Menschen, die dieser Hilfe bedürfen. Das wird zu einer ganz neuen Bewertung von Aufgaben, von Jobs und von Arbeit führen; es wird uns die Arbeit nicht ausgehen.

Mein Appell ist, mit Mut und Zuversicht diesen Umbau der Gesellschaft anzunehmen und auch voranzutreiben und mitzugestalten, damit die Gesellschaft menschlicher wird und unsere Arbeit auch in dieser Gesellschaft so geleistet werden kann, dass man eben nicht gerade in Pflegeberufen Burn-out hat, an Erschöpfung leidet, dass die Men­schen unter diesen Anforderungen leiden, dass das sozusagen kein Mangelberuf wird, sondern natürlich ein Beruf ist, der entsprechend wertgeschätzt wird und auch von der Gesellschaft geleistet werden kann. Ich glaube, wir können das, wenn wir mit viel Vertrauen und gemeinsam an diese großen Aufgaben herangehen.

Diese Enquete hat sicher einen wichtigen Beitrag geleistet, deshalb noch einmal vielen Dank dafür. (Beifall.)

15.03


Vorsitzende Präsidentin Sonja Ledl-Rossmann|: Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau Bundesrätin.

Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Ich schließe die Debatte.

Ich darf mich zuerst auch bei allen Referentinnen und Referenten, die uns ihre Ex­pertise mitgegeben haben, von ganzem Herzen bedanken, ich denke, im Namen von uns allen in besonderem Maße auch bei Frau Bernadette Feuerstein und Frau Uli Makomaski für die wirklich sehr persönlichen Worte. Ich glaube, wir sehen es alle so, dass es nicht selbstverständlich ist, vor so einer großen Gruppe von Menschen so persönliche Geschichten zu erzählen; dafür noch einmal vielen Dank. (Beifall.)

Ich bedanke mich auch bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, bei allen, die sich so engagiert in dieses Thema eingebracht haben, und auch bei jenen, die jetzt hoffentlich Verständnis hatten, dass sie aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr zu Wort gekommen sind. Ich bin aber überzeugt davon und hoffe sehr, dass wir noch oft die Gelegenheit haben werden, über das Thema Pflege zu reden. Alle, die mich besser kennen, wissen, dass das bei mir keine Sonntagsreden sind, sondern dass ich das aus ganzem Herzen vertrete und meine ganze Kraft dafür einsetzen werde, um diesen Weg weiterzugehen, etwas bei diesem Thema zu bewegen. Am leichtesten – und das habe ich schon zu Beginn gesagt – geht das, wenn wir es gemeinsam machen. Darauf hoffe ich sehr!

Danke noch einmal für das Beitragen zum Gelingen dieser Enquete und zu einem guten Weg für die Zukunft der Pflege! – Vielen Dank.

Ich wünsche Ihnen noch einen guten Nachhauseweg. (Beifall.)

Die Enquete ist geschlossen.

15.05.30Schluss der Enquete: 15.05 Uhr

 

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