Stenographisches Protokoll.

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100. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung
der Republik Österreich.

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Mittwoch, den 29. September 1920.

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Tagesordnung: Bericht des Verfassungsausschusses, betreffend ein Gesetz, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz) (991 der Beilagen).

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Inhalt.

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Personalien.

Abwesenheitsanzeige (Seite 3369).

Niederlegung des Mandates als Mitglied der Nationalversammlung seitens des Abgeordneten Adam Müller-Guttenbrunn (Seite 3369).

Angelobung der an Stelle des zurückgetretenen Abgeordneten Adam Müller-Guttenbrunn einberufenen Abgeordneten Lotte Furegg (Seite 3369).

Mitteilung des Präsidenten, betreffend die Zurückziehung des in der Sitzung vom 11. Mai l. J. mitgeteilten Auslieferungsbegehrens des Landesgerichtes Salzburg gegen den Abgeordneten Josef Witternigg wegen Vergehens gegen die Sicherheit der Ehre (Seite 3369).

Mitteilung des Präsidenten, betreffend das Auslieferungsbegehren des Bezirksgerichtes Josefstadt in Wien gegen den Abgeordneten Ferdinand Skaret wegen Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre ([Seite 3369) — Zuweisung an den Verfassungsausschuss [Seite 3369]).

 

Hochwasserkatastrophe vom September 1920.

Ansprache des Präsidenten aus Anlass der im September laufenden Jahres eingetretenen Hochwasserkatastrophe. (Seite 3369).

 

Zuschriften der Staatskanzlei,

1. betreffend die Mitteilung der argentinischen Gesandtschaft in Wien in Angelegenheit des Gesetzes, betreffend die Einräumung eines Kredites von 5 Millionen argentinischer Piaster, gleich ungefähr 460 Millionen österreichischer Kronen, zum Zwecke der Unterstützung der notleidenden Bevölkerung Wiens durch Ankauf von Lebensmitteln, Kleidern und anderen Artikeln (Seite 3370);

2. betreffend die in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 307 (Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz), erlassenen Vollzugsanweisungen (Seite 3370).


 

Zuschriften der Staatsregierung.

1. Zuschrift des Staatssekretärs für Finanzen, mit welcher der Bericht über die in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni d. J. vollzogenen Kreditoperationen vorgelegt wird (983 der Beilagen [Seite3369] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3370]);

2. Zuschrift des Staatsamtes für Finanzen, betreffend die im Staatsgesetzblatt unter Nr. 274 verlautbarte Vollzugsanweisung vom 20. Juni 1920 wegen der Ausgabe von Banknoten der Oesterreichisch-ungarischen Bank in veränderter Ausstattung ([Seite 3372] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3372]);

3. Zuschrift des Staatsamtes für Finanzen, betreffend die im Staatsgesetzblatt unter Nr. 340 verlautbarte Vollzugs­anweisung vom 18. Juli 1920, mit der das willkürliche Überdrucken und dergleichen mehr der Noten der Oesterreichisch-ungarischen Bank verboten wird ([Seite 3372] - Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3372]);

4. betreffend die Durchführung der Veränderungen im Grundbuche, die durch öffentliche Straßen-, Weg- oder Wasserbauanlagen hervorgerufen werden. (Straßenbauverbücherungsgesetz) (979 der Beilagen [Seite 3372] — Zuweisung an den Justizausschuss (Seite 3375]);

5. betreffend die Rechtsanwalts- und Notarsgehilfen (984 der Beilagen [Seite 3372] — Zuweisung an den Justizausschuss [Seite 3375]);

6. betreffend das Verbot der Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Agentenprovision (986 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Justizausschuss [Seite 3375]);

7. betreffend Änderungen des Gesetzes vom 4. Dezember 1918, St. G. Bl. Nr. 94, über die Ablösung der Zinsgrü­nde (994 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft [Seite 3375]);

8. betreffend die Durchführung der Grenzregelung auf Grund des Staatsvertrages von St. Germain (993 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Justizausschuss [Seite 3375]);

9. womit das Gesetz vom 3. April 1919, St. G. Bl. Nr. 214, über die Kriegsgefangenen- und Zivilinterniertenfür­sorge abgeändert wird (980 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3375]);

10. über die Beitragsleistung des Staates zu dem Aufwande der autonomen Körperschaften für die Bezüge der aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie der Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1920 (981 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite3375]);

11. betreffend die begünstigte Versorgungsbehandlung der Hinterbliebenen nach im Dienste verunglückten Staatsangestellten (Unfallhinterbliebenennovelle) (982 der Beilagen [Seite 3373] —- Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3375]);

12. betreffend Kreditoperationen (989 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3375]);

13. betreffend das zwischen der Republik Österreich und der französischen Republik in Paris am 3. August 1920 geschlossene Übereinkommen über die Regelung, der österreichischen Schulden an französische Staats­angehörige (990 der Beilagen [Seite 3373] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite: 3375]);

14. womit Artikel II des Gesetzes vom 15. Mai 1920, St. G. Bl. Nr. 227, abgeändert wird. (3. Nachtrag: zum Besoldungsübergangsgesetze) (995 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3375]);

15. betreffend Teuerungszulagen für den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, seinen Stellvertreter und die ständigen Referenten dieses Gerichtshofes (3. Verfassungsgerichtshofnovelle) (998 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3375]);

16. über die Verschiebung der Volkszählung (985 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Verfassungsausschuss [Seite 3375]);

17. zur Abänderung und Regelung des Gesetzes vom 24. Marz 1920, St. G. Bl. Nr. 153, über die Arbeitslosen­versicherung (987 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Ausschuss für soziale Verwaltung [Seite 3375]);

18. womit einige Bestimmungen des Invalidenentschädigungsgesetzes vom 25. April 1919, St. G. Bl. Nr. 245) abgeändert und ergänzt werden (988 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Ausschuss für soziale Verwaltung [Seite 3375]);

19. betreffend die Ermächtigung der Regierung zur provisorischen Regelung der Handels, und Verkehrsbeziehungen mit auswärtigen Staaten (996 der Beilagen [Seite 3374] — Zuweisung an den Ausschuss

für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten [Seite 3375])

20. über die Regelung von Ruhegenüssen der in der Zeit vom 1. Jänner bis. 29. Februar 1920 in den Ruhestand versetzten Zivilstaatsbeamten, Staatslehrpersonen, Unterbeamten und Diener und von Versorgungsgenüssen der Hinterbliebenen jener Zivilstaatsbeamten, Staatslehrpersonen, Unterbeamten und Diener, welche in der Zeit vom 1. Jänner bis 29. Februar 1920 in der Aktivität gestorben oder in den Ruhestand versetzt worden sind (999 der Beilagen [Seite 3405] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3405]);

21. über die Ausscheidung der unter das Gesetz vom 25. Jänner 1914, R. G. Bl. Nr. 15 (Dienstpragmatik) fallenden Postbediensteten, beziehungsweise Telegraphen- und Fernsprechbediensteten aus diesem Gesetze (Entpragmatisierungsgesetze) (1016 und 1017 der Beilagen [Seite 3405] — Zuweisung an den Finanz- und Budgetausschuss [Seite 3405]).

Verzeichnis

der in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 1920 von den Staatsämtern auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes erlassenen Vollzugsanweisungen ([Seite 3370] — Zuweisung an die Ausschüsse [Seite 3372]).

Verhandlung.

Bericht des Verfassungsausschusses, betreffend ein Gesetz, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz) (991 der Beilagen — Redner: Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3375]. Vorsitzender im Kabinett Staatssekretär Dr. Mayr [Seite 3383], die Abgeordneten Dr. Danneberg [Seite 3385], Clessin [Seite 3398]).

Ausschüsse.

Zuweisungen:

1. 977 der Beilagen an den Ausschuss für Erziehung. und Unterricht (Seite 3405);

2. 955, 956, 957, 958, 967, 975, 976 und 978 der Beilagen an den Finanz- und Budgetausschuss (Seite 3405);

3. 968 der Beilagen an den Justizausschuss (Seite 3405);

4. 973 der Beilagen an den Verfassungsausschuss (Seite 3405);

5. 1001 und 1003 der Beilagen an den Ausschuss für soziale Verwaltung (Seite 3405);

6. 1002 der Beilagen an den Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft (Seite 3405).

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Verzeichnis

der in der Sitzung eingebrachten Anträge und Anfragen:

Anträge

1. der Abgeordneten Tomschik, Pick und Genossen, betreffend die Abänderung des Arbeiterkammergesetzes (1001 der Beilagen);

2. des Abgeordneten Weber und Genossen auf Erweiterung des Pächterschutzes (1002 der Beilagen);

3. des Abgeordneten Forstner und Genossen, betreffend die Abänderung der Bestimmungen des § 4, Absatz 4, des Gesetzes vom 13. Juli 1920, St. G. Bl. Nr. 326, über die Regelung der Zahntechnik (Zahntechnikergesetz) (1003 der Beilagen);

4. der Abgeordneten Klug, Dr. Gimpl, Fischer, Lieschnegg, Edlinger und Genossen in Notstandsangelegenheit (1004 der Beilagen);

5. der Abgeordneten Hauser, Aigner, Brandl, Födermayr, Frankenberger, Johann Gürtler, Kletzmayr, Pischitz, Traxler, Josef Weiß, Wiesmaier und Genossen in Notstandsangelegenheit (1005 der Beilagen);

6. der Abgeordneten Hafner, Witzany und Genossen, betreffend die Bewilligung dringender ausreichender staatlicher Notstandsaushilfen für die durch das Hochwasser bedrohten Gebiete des Salzkammergutes, sowie die Täler der Enns, Alm und Steyr und das Gebiet der unteren Traun in Oberösterreich (1006 der Beilagen);

7. der Abgeordneten Dr. Dinghofer, Pauly, Clessin, Stöcker, Dr. Straffner und
Genossen, betreffend die Behebung der Hochwasserschäden in Oberösterreich,
 

Niederösterreich, Steiermark, Salzburg und Tirol (1007 der Beilagen);

8. der Abgeordneten Dr. Angerer, Größbauer und Genossen, betreffend eine Notstandsbeihilfe anlässlich der Hochwasserschäden in Kärnten (1008 der Beilagen);

9. der Abgeordneten Stöckler, Eisenhut, Diwald, Parrer, Gruber, Buchinger, Dr. Buresch, Weigl, Dr. Waiß und Genossen in Notstandsangelegenheit (1009 der Beilagen);

10. der Abgeordneten Niedrist, Unterkircher und Genossen in Notstandsangelegenheiten (1010 der Beilagen);

11. der Abgeordneten Paulitsch, Scharfegger und Genossen in Notstandsangelegenheiten (1011 der Beilagen);

12. der Abgeordneten Geisler, Ramek, Huber und Genossen in Notstandsangelegenheiten (1012 der Beilagen);

13. der Abgeordneten Scheibein, Abram und Genossen, betreffend die Bewilligung einer staatlichen Notstandsbeihilfe für die im Bezirke Kitzbühel und Umgebung durch eine Hochwasserkatastrophe geschädigten Besitzer (1013 der Beilagen);

14. der Abgeordneten Witternigg, Ulrich und Genossen, betreffend die Gewährung einer Notstandsbeihilfe für die durch die Hochwasserkatastrophe heimgesuchten Bewohner des Landes Salzburg (1014 der Beilagen);

15. der Abgeordneten Pick, Allina und Genossen auf ein Theatergesetz (1015 der Beilagen).

Anfragen

1. der Abgeordneten Dr. Gimpl, Dr. Gürtler, Unterkircher und Genossen an den Staatssekretär für Heereswesen, betreffend die Handhabung des Wehrgesetzes durch das Staatsamt für Heereswesen (Anhang I, 409/I);

2. des Abgeordneten Dr. Straffner und Genossen an den Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft, betreffend Abgabe von Brennholz aus ärarischen Beständen an Klöster und ähnliche Anstalten in Tirol (Anhang l, 410 I);

3. der Abgeordneten Witternigg, Ulrich und Genossen an den Staatssekretär für Justiz über die Nichtdurchführung der Verhandlung gegen den Kooperator Thomas Pfefferkorn in Mittersill (Anhang I, 411/I);

4. der Abgeordneten Allina, Hölzl und Genossen an die Staatsregierung, betreffend die Sicherung des Dienstverhältnisses der invaliden Staatsangestellten Österreichs (Anhang I, 412/I);

5. des Abgeordneten Spalowsky und Genossen an den Staatssekretär für Verkehrswesen, betreffend den Betrieb der Wiener Stadtbahn (Anhang l, 413/I);

6. der Abgeordneten Dr. Straffner, Dr. Dinghofer Clessin, Dr. Angerer, Kraft, Dr. Ursin und Genossen an den Leiter des Gesamtkabinetts betreffend die Übernahme aus den Nachfolgestaaten vertriebener Staatsangestellten (Anhang I, 414/I);

7. der Abgeordneten Dr. Straffner, Dr. Dinghofer Clessin, Dr. Angerer, Kraft, Dr. Ursin und Genossen an die Gesamtregierung bezüglich Vorlage eines zeitgemäßen Pensionistengesetzes (Anhang I 415/I).

 

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   Zur Verteilung gelangen am 29. September 1920:

die Regierungsvorlagen 979 bis 990, 993 bis 996 und 998 der Beilagen;

die Anfragebeantwortungen 165 bis 176;

der Bericht des Verfassungsausschusses 992 der Beilagen.

 

 

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Beginn der Sitzung: 3 Uhr 25 Minuten nachmittags.

 

Vorsitzende: Präsident Seitz, zweiter Präsident Hauser, dritter Präsident Dr. Dinghofer.

Schriftführer: Forstner, Proft.

Vorsitzender im Kabinett: Staatssekretär Dr. Mayr.

Staatssekretäre: Hanusch für soziale Verwaltung, Breisky für Inneres und Unterricht, Dr. Koller für Justiz, Haueis für Land- und Forstwirtschaft, Heinl für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, Dr. Renner für Äußeres, Dr. Deutsch für Heereswesen, Dr. Pesta für Verkehrswesen, Dr. Ellenbogen.

Unterstaatssekretäre: Glöckel und Miklas im Staatsamte für Inneres und Unterricht, Dr. Resch und Dr. Tandler im Staatsamte für soziale Verwaltung.

Leiter des Staatsamtes für Volksernährung: Sektionschef Dr. Grünberger.

Auf der Bank der Regierungsvertreter: Ministerialrat Dr. Froehlich, Sektionsrat Dr. Mannlicher, Ministerialvizesekretär Dr. Troll, Ministerialvizesekretär Dr. Merkl, Oberfinanzrat Dr. Moser und Professor Dr. Kelsen von der Staatskanzlei.

Präsident: Ich eröffne die Sitzung.

Die Protokolle über die Sitzungen vom 22. und 23. Juli l. J. sind in der Kanzlei zur Einsicht aufgelegen und unbeanstandet geblieben, sie gelten demnach als genehmigt.

Der Herr Abgeordnete Kittinger hat sich krank gemeldet.

Der Abgeordnete für den Wahlkreis Wien Innen-Ost Nr. 1, Adam Müller-Guttenbrunn, hat sein Mandat niedergelegt.

Sein Ersatzmann Frau Lotte Furreg ist zum ersten Mal im Hause erschienen und wird die Angelobung leisten.

Ich ersuche den Schriftführer, die Angelobungsformel zu verlesen, und die Frau Abgeordnete, die Angelobung mit den Worten: „Ich gelobe" zu leisten.

(Schriftführer Forstner verliest die Angelobungsformel. — Die Abgeordnete Lotte Furreg leistet die Angelobung.)

Präsident: Hohes Haus! Im Monat September sind große Gebiete der Republik von einer furchtbaren Hochwasserkatastrophe heimgesucht worden. Viele Nebenflüsse der Donau sind ausgetreten, insbesondere die Enns, die Traun, die Salzach, es sind ganze Ortschaften überflutet worden, die Verkehrswege, die Straßen, die Eisenbahnen verwüstet. Ganze Bahnkörper wurden fortgeschleppt, der Sachschaden ist ein ungeheurer. Viele Familien sind in schreckliche Not und in schreckliches Elend gekommen. Hunderte Millionen sind verwüstet, die Ernte ist auf das schwerste bedroht.

Ich glaube im Namen der ganzen Nationalversammlung zu sprechen, wenn ich sage, dass wir unserem tiefsten Schmerze über dieses namenlose Unglück Ausdruck geben, und wenn ich allen Organen des öffentlichen und privaten Rettungsdienstes, die sich, an den Rettungsarbeiten beteiligt haben, unseren Dank sage. Die Regierung wird gewiss pflichtgemäß alles vorkehren, um die Not, die durch die schweren Schäden heraufbeschworen wurde, einigermaßen zu lindern. Ich danke aber vor allem allen jenen, die sich jetzt schon sowohl an dem Rettungswerke, wie an der Linderung der Not beteiligt haben, ich danke insbesondere den braven Männern der Wehrmacht, die überall dort, wo sie gerufen wurden, pflichtgemäß ihren Dienst bis zur Aufopferung geleistet haben. (Bravo! Bravo).

Das vom Landesgerichte Salzburg gegen den Abgeordneten Josef Witternigg wegen Vergehens, gegen die Sicherheit der Ehre gestellte Auslieferungsbegehren, worüber ich dem hohen Hause in der Sitzung vom 11. Mai d. J. Mitteilung gemacht habe, ist zurückgezogen worden.

Der Verfassungsausschuss wird sich daher mit dieser Angelegenheit nicht mehr zu befassen haben.

Das Bezirksgericht Josefstadt in Wien ersucht um Zustimmung zur strafgerichtlichen Verfolgung des Herrn Abgeordneten Ferdinand Skaret wegen Übertretung gegen die Sicherheit der Ehre.

Diese Zuschrift werde ich dem Verfassungsausschuss zuweisen.

Es ist eine Zuschrift des Staatssekretärs für Finanzen eingelangt, mit welcher der Bericht über die in der Zeit vom 1. April bis 30. Juni d. J. vollzogenen Kreditoperationen (983 der Beilagen) vorgelegt wird.

Dieser Bericht wurde in Druck gelegt und verteilt.

Ich weise diese Vorlage hiemit dem Finanz- und Budgetausschusse zu.

Es ist eine Zuschrift der Staatskanzlei eingelangt, um deren Verlesung ich ersuche.

Schriftführer Forstner (liest):

„Die argentinische Gesandtschaft in Wien hat dem Staatsamt für Äußeres mitgeteilt, dass die argentinische Regierung am 27. August l. J. das Gesetz, betreffend die Einräumung eines Kredites von fünf Millionen argentinischen Piastern, derzeit ungefähr 460 Millionen österreichischen Kronen, zum Zwecke der Unterstützung der notleidenden Bevölkerung Wiens durch Ankauf von Lebensmitteln, Kleidern und anderen Artikeln, angenommen und kundgemacht hat.

Die österreichische Regierung kann nach dem Wortlaute dieses Gesetzes den Wert dieser Artikel zum Selbstkostenpreis ohne irgendwelche weitere Mehrkosten und in der Form und zu der Zeit, die ihr geeignet scheinen wird, zurückzahlen.

Wien, 9. September 1920.

Dr. M. Mayr."

Präsident: Hohes Haus! Ich habe selbstverständlich sofort, wie ich von dem Herrn Gesandten der argentinischen Republik von diesem hochherzigen Akte der Republik Argentinien in die Kenntnis gesetzt wurde, nicht ermangelt, in meiner anderen Eigenschaft den Dank der Republik zum Ausdruck zu bringen.

Diese Zuschrift dient zur Kenntnis.

Mit einer Zuschrift der Staatskanzlei werden die auf Grund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes in der vom 1. Mai bis 31. Juli d. J. erlassenen Vollzugsanweisungen vorgelegt.

Ich ersuche um Verlesung dieser Zuschrift samt dem Verzeichnisse der Vollzugsanweisungen.

Schriftführer Forstner (liest):

„Die Staatskanzlei beehrt sich namens der Staatsregierung die in der Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, R. G. Bl. Nr. 307 (Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz), erlassenen Vollzugsanweisungen in je zwei Exemplaren sowie zwei Verzeichnisse dieser Vollzugsanweisungen in der Anlage zu übermitteln.

Die hiemit vorgelegten Vollzugsanweisungen sind vor ihrer Herausgabe in der üblichen Weise bereits dem Herrn Präsidenten der Nationalversammlung zur Kenntnis gebracht worden.

Wien, 12. September 1920.

Dr. M. Mayr."

„Verzeichnis der erlassenen Vollzugsanweisungen.

Im Bereiche des Staatsamtes für Inneres und Unterricht:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Inneres und Unterricht vom 11. Mai 1920 über die Regelung des Reiseverkehres, St. G. Bl. Nr. 215.

Im Bereiche des Staatsamtes für Finanzen:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Finanzen vom 23. April 1920, betreffend die Erhöhung des Zollaufschlages, St. G. Bl. Nr. 216. ex 1920;

Vollzugsanweisung der Staatsämter für Finanzen, für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und für Land- und Forstwirtschaft vom 23. April 1920, betreffend die Abänderung der Zölle für verschiedene Waren, St. G. Bl. Nr. 217 ex 1920.

Im Bereiche des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 30. April 1920 (ausgegeben am 7. Mai 1920) über Ausnahmsbestimmungen für die im Pariser Unionsvertrag zum Schutze des gewerblichen Eigentums festgesetzten Prioritätsfristen zugunsten der Angehörigen Norwegens, St. G. Bl. Nr. 203;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 3. Mai 1920, womit die Vollzugsanweisung vom 6. Dezember 1919, St. G. Bl. Nr. 551, betreffend die Regelung der Preise für Gas und elektrische Energie bei wesentlich geänderten Gestehungskosten, abgeändert wird, St. G. Bl. Nr. 207;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 15. Mai 1920, betreffend die Regelung des Verbrauches von Zeitungsdruckpapier, St. G. Bl. Nr. 220;

Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten im Einvernehmen mit dem Staatssekretär für Justiz vom 26. Mai 1920, betreffend die Errichtung eines Einigungsamtes für Streitigkeiten aus Lieferungsverträgen in Salzburg, St. G. Bl. Nr. 242;

Vollzugsanweisung der Staatsämter für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und für
Finanzen im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 5. Juli 1920, betreffend Er-

leichterungen bei der Einfuhr von Waren im Postverkehr, St. G. Bl. Nr. 247;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 7. Juni 1920, betreffend die Ergänzung der Liste jener Waren, deren Ausfuhr an die Beibringung einer Bewilligung gebunden ist, St. G. Bl. Nr. 241;

Vollzugsanweisung der Staatsämter für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und für Finanzen vom 23. Juni 1920, betreffend die Versendung von Waren, deren Ein-, Aus- oder Durchfuhr an die Beibringung einer Bewilligung gebunden ist, St. G. Bl. Nr. 284;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 24. Juni 1920, betreffend die Regelung des Verbrauches von Zeitungsdruckpapier, St. G. Bl. Nr. 288;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 10. Juli 1920, mit welcher die Verordnung des Handelsministers vom 6. Mai 1918, R. G. Bl. Nr. 165, betreffend die Regelung des Verkehrs mit Altpapier, außer Kraft gesetzt wird, St. G. Bl. Nr. 297;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 15. Juli 1920, betreffend die Aufhebung der Verwendungsbeschränkungen für bestimmte Metalle und Legierungen, St. G. Bl. Nr. 314.

Im Bereiche des Staatsamtes für Justiz:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 18. Juli 1920 über eine Verlängerung der Geltungsdauer der Bilanzverordnung, St. G. Bl. Nr. 260;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 18. Juli 1920, über, eine Verlängerung der Geltungsdauer der Stundungsvorschriften, St. G. Bl. Nr. 261;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz im Einvernehmen mit den Staatsämtern für Inneres und Unterricht und für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 21. Juni 1920 über eine Verlängerung der Frist des § 20 Urheberrechtsgesetz, St. G. Bl. Nr. 266;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz um Einvernehmen mit den Staatsämtern für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und für Finanzen vom 8. Juli 1920 über den Einfluss der Geldentwertung, auf die Überschuldung, St. G. Bl. Nr. 295;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz im Einvernehmen mit den Staatsämtern für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten für Finanzen und für Volksernährung vom 16. Juli 1920 über den Eigentumsvorbehalt an ausländischen Rohstoffen, St. G. Bl. Nr. 320;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz im Einvernehmen mit den Staatsämtern für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten und für Finanzen vom 28. Juli 1920 über die Hemmung des Fristenlaufes durch den Krieg, St. G. Bl. Nr. 347.

Im Bereiche des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Inneres und Unterricht, dem Staatsamte für Handel und Gewerbe, Industrie- und Bauten, dem Staatsamte für Finanzen und dem Staatsamte für Volksernährung vom 25. Juni 1920, womit die Vollzugsanweisung vom 11. März 1919, St. G. Bl. Nr. 183, betreffend die Regelung des Fleischverkehrs in Wien sowie die Abänderung einiger Bestimmungen der mit Ministerialverordnung vom 30. Juni 1910, R. G. Bl. Nr. 126, erlassenen Marktordnung für den Wiener Zentralviehmarkt in St. Marx ergänzt wird;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit den beteiligten Staats­ämtern vom 8. Juli 1920, betreffend die Außerkraftsetzung der Ministerialverordnungen vom 19. Oktober 1916, R. G. Bl. Nr. 364, betreffend den Schutz des Nussbaumes, und vom 13. Mai 1918, R. G. Bl. Nr. 179, betreffend die Neuregelung des Verkehrs mit Edelkastanienholz und die Festsetzung von Höchstpreisen für solches.

Im Bereiche des Staatsamtes für soziale Verwaltung:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung vom 16. Juni 1920 über die Erhaltung des Arbeiterstandes in gewerblichen Betrieben, St. G. Bl. Nr. 264;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Justiz vom 11. Juni 1920, über den Schutz von Dienstnehmern bei Veräußerung von Betriebsmitteln ins Ausland, St. G. Bl. Nr. 269;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung vom 26. Juni 1920, womit die Vollzugsanweisung vom 13. November 1918, St. G. Bl. Nr. 22, betreffend die Anforderung von Wohnungen durch die Gemeinden, ergänzt wird (Ersatzanforderung), St. G. Bl. Nr. 278;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Verwaltung vom 10. Juli 1920, betreffend die Pensionsversicherung von Angestellten, St. G. Bl. Nr. 324.

Im Bereiche des Staatsamtes für Volksernährung:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Volksernährung vom 28. Mai 1920, betreffend die Aufhebung überholter Ernährungsvorschriften, St. G. Bl. Nr. 262;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Volksernährung vom 3. Juli 1920, betreffend die Regelung der Erzeugung und des Verkehrs mit Zucker und Zuckerrübe sowie von Neben- und Abfallprodukten der Zuckererzeugung, St. G. Bl. Nr. 305;

Vollzugsanweisung des Leiters des Staatsamtes für Volksernährung im Einvernehmen mit den beteiligten Staatssekretären vom 19. Juli 1920 über die Regelung des Verkehrs mit Getreide und Mahlprodukten, St. G. Bl. Nr. 315;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Volksernährung vom 10. Juli 1920, betreffend die Auflösung des Kriegswirtschaftsverbandes der Kartoffelstärkeindustrie, St. G. Bl. Nr. 329;

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Volksernährung im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 19. Juli 1920 über die Regelung des Verkehrs mit Kartoffeln (Kartoffelvollzugsanweisung), St. G. Bl. Nr. 343.

Im Bereiche des Staatsamtes für Verkehrswesen:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Verkehrswesen im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten vom 16. Mai 1920, betreffend die Aufhebung der Einschränkungen im Kraftwagenverkehr, St. G. Bl. Nr. 221.

Im Bereiche des Staatsamtes für Heereswesen:

Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Heereswesen vom 7. Juni 1920, betreffend die Exekution auf Abfertigungen und Übergangsgebühren der ausscheidenden Berufsmilitärpersonen, St. G. Bl. Nr. 276."

Präsident: Ich werde diese Vollzugsanweisungen den betreffenden Fachausschüssen zuweisen.

Es sind Zuschriften des Staatsamtes für Finanzen eingelangt, mit welchen zwei Vollzugsanweisungen, betreffend Verfügungen auf dem Gebiete des Notenbankwesens, vorgelegt werden. Ich ersuche um deren Verlesung.

Schriftführer Forstner (liest):

„Das Staatsamt für Finanzen beehrt sich, anverwahrt die im Staatsgesetzblatt unter Nr. 274 verlautbarte hierortige Vollzugsanweisung vom 20. Juni 1920 wegen der Ausgabe von Banknoten der Oesterreichisch-ungarischen Bank in veränderter Ausstattung gemäß § 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1919, St. G. Bl. Nr. 574, zur Beschlussfassung vorzulegen.

Wien, 6. August 1920.

Für den Staatssekretär:

Patzauer."

„Das Staatsamt für Finanzen beehrt sich beiliegend die im Staatsgesetzblatt unter Nr. 34 verlautbarte hierortige Vollzugsanweisung vom 18. Juli 1920, mit der das willkürliche Über drucken und dergleichen mehr der Noten der Oesterreichisch-ungarischen Bank verboten wird, gemäß § 2 des Gesetzes vom 20. Dezember 1919 St. G. Bl. Nr. 574, zur Beschlussfassung vor zulegen.

Wien, 9. August 1920.

Für den Staatssekretär:

Patzauer."

Präsident: Diese Vollzugsanweisungen wurden dem Finanz- und Budgetausschuss zugewiesen.

Es sind Zuschriften eingelangt, in dem die Einbringung von Vorlagen der Staatsregierung angekündigt wird. Ich ersuche um deren Verlesung.

Schriftführer Forstner (liest):

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 16. Juli 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Durchführung der Veränderungen im Grundbuch, die durch öffentliche Straßen-, Weg- oder Wasserbau anlagen hervorgerufen werden (Straßenbauverbücherungsgesetz) (979 der Beilagen mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 17. Juli,1920.

Dr. Roller."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 31. August 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Rechtsanwalts- und Notarsgehilfen (984 der Beilagen), mit den Ersuchen, zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 1. September 1920.

Dr. Roller".

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 9. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes über das Verbot der Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Agentenprovision (986 der Beilagen) mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 15. September 1920.

Der Staatssekretär für Inneres und Unterricht:

Breisky."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 22. September l. J. erteilten Ermächtigung beehre ich mich, im Einvernehmen mit dem Herrn Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft des Entwurf eines Gesetzes, betreffend Änderungen des Gesetzes vom 4. Dezember 1918, St. G. Bl. Nr. 94, über die Ablösung der Zinsgründe (994 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 25. September 1920.

Dr. Roller."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 22. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Durchführung der Grenzregelung auf Grund des Staatsvertrages von St. Germain (993 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 23. September 1920.

Der Staatssekretär für Inneres und Unterricht:

Breisky."

„In der Anlage beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, womit das Gesetz vom 3. April 1919, St. G. Bl. Nr. 214, über die Kriegsgefangenen- und Zivilinterniertenfürsorge abgeändert wird (980 der Beilagen), samt Begründung zur verfassungsmäßigen Behandlung vorzulegen.

Der Kabinettsrat hat dem Entwurfe in seiner Sitzung vom 9. Juli 1920 zugestimmt und die Einbringung dieses Entwurfes als Vorlage der Staatsregierung genehmigt.

Wien, 2. August 1920.

Der Staatssekretär:

Deutsch."

„Das Staatsamt für Finanzen beehrt sich auf Grund des Kabinettsratsbeschlusses vom 30. Juli 1920 den Entwurf eines Gesetzes über die Beitragsleistung des Staates zu dem Aufwande der autonomen Körperschaften für die Bezüge der aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie der Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1920 (981 der Beilagen) als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterbreiten.

Wien, 3. August 1920.

In dienstlicher Abwesenheit des Staatssekretärs:

Grimm."

„Auf Grund der nur in der Sitzung des Kabinettsrates vom 17. August 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die begünstigte Versorgungsbehandlung der Hinterbliebenen nach im Dienste verunglückten Staatsangestellten (Unfallhinterbliebenennovelle) (982 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 26. August 1920.

Der Staatssekretär für Finanzen:

Reisch."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 15. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes über Kreditoperationen (989 der Beilagen) mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 24. September 1920.

In dienstlicher Abwesenheit des Staatssekretärs:

Grimm."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 22. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, das Übereinkommen zwischen der Republik Österreich und der französischen Republik, geschlossen in Paris am 3. August 1920, über die Regelung der österreichischen Schulden an französische Staatsangehörige (990 der Beilagen) mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der Beschlussfassung durch die Nationalversammlung zu unterziehen.


 

Bemerkt sei, dass mit Frankreich ausdrücklich vereinbart wurde, dass dieses Übereinkommen der Beschlussfassung der beiderseitigen Parlamente unterzogen werden wird.

Zur Vermeidung schwerer Schädigungen der österreichischen Volkswirtschaft müsste das Übereinkommen noch von der gegenwärtigen Nationalversammlung behandelt werden.

Wien, 24. September 1920.

In dienstlicher Abwesenheit des Staatssekretärs für denselben:

Schwarzwald."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 22. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, womit Artikel II des Gesetzes vom 15. Mai 1920, St. G. Bl. Nr. 227, abgeändert wird (3. Nachtrag zum Besoldungsübergangsgesetz) (995 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 25. September 1920.

In dienstlicher Abwesenheit des Staatssekretärs:

Grimm."

„In der Anlage beehrt sich die Staatskanzlei namens der Staatsregierung den Entwurf eines Gesetzes, betreffend Teuerungszulagen für den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, seinen Stellvertreter und die ständigen Referenten dieses Gerichtshofes (3. Verfassungsgerichtshofnovelle) (998 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übermitteln, diese Vorlage der verfassungsmäßigen Behandlung zuzuführen.

Wien, 28. September 1920.

Dr. M. Mayr."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 9. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes über die Verschiebung der Volkszählung (985 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 9. September 1920.

Der Staatssekretär für Inneres und Unterricht:

Breisky."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 15. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes zur Abänderung und Regelung des Gesetzes vom 24. März 1920, St. G. Bl. Nr. 153, über die Arbeitslosenversicherung (987 der Beilagen) mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 17. September 1920.

Hanusch."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 15. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, womit einige Bestimmungen des Invalidenentschädigungsgesetzes vom 25. April 1919, St. G. Bl. Nr. 245, abgeändert und ergänzt werden (988 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 17. September 1920.

Hanusch."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 22. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Ermächtigung der Regierung zur provisorischen Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen mit auswärtigen Staaten (996 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 28. September 1920.

Der Staatssekretär:

Ed. Heinl."

Präsident: Mit Rücksicht auf die Kürze der für unsere Beratungen zur Verfügung stehenden Zeit würde ich vorschlagen, diese Vorlagen sofort den betreffenden Ausschüssen zuzuweisen, kann das jedoch nur tun, wenn von niemandem im Hause ein Widerspruch gegen diesen Vorschlag erhoben wird. "Ich würde dann, gleichfalls im Sinne von Vereinbarungen, die heute im Hauptausschuss getroffen worden sind, einige Initiativ-Anträge, über die noch, falls eine Vereinbarung erzielt wird, in dieser Session berichtet werden soll, gleichfalls, bevor sie in
Druck gelegt sind, den betreffenden Fachausschüssen zuweisen. Wird gegen diesen Vorgang eine Ein-

wendung erhoben? (Nach einer Pause:) Es ist dies nicht der Fall. Dann werde ich in diesem Sinne vorgehen.

Somit weise ich zu:

dem Justizausschusse:

das Straßenbauversicherungsgesetz; das Gesetz, betreffend die Rechtsanwalts- und Notariatsgehilfen;

das Gesetz, betreffend das Verbot der Beteiligung des Versicherungsnehmers an der Agentenprovision;

das Gesetz, über die Durchführung der Grenzregelung nach dem Staatsvertrage von St. Germain;

dem Ausschusse für Land- und Forstwirtschaft:

das Gesetz, betreffend die Ablösung der Zinsgründe;

dem Finanz- und Budgetausschusse:

das Gesetz, betreffend Abänderung des Gesetzes über die Kriegsgefangenen und Zivilinterniertenfürsorge;

das Gesetz, betreffend die Beitragsleistung des Staates zum Volksschulaufwand;

die Unfallhinterbliebenennovelle;

das Gesetz über Kreditoperationen;

das Übereinkommen über die Vorkriegsschulden mit Frankreich;

den dritten Nachtrag zum Besoldungsübergangsgesetz;

das Gesetz über Teuerungszulagen für den Präsidenten, dessen Stellvertreter und die ständigen Referenten des Verfassungsgerichtshofes;

dem Verfassungsausschusse:

das Gesetz über die Verschiebung der Volkszählung;

dem Ausschusse für soziale Verwaltung:

das Gesetz zur Abänderung des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung;

das Gesetz, womit das Invalidenentschädigungsgesetz abgeändert wird;

dem Ausschusse für Handel und Gewerbe, Industrie, und Bauten:

die Regierungsvorlage über ein handelspolitisches Ermächtigungsgesetz:

Nunmehr gelangen wir zur Tagesordnung.

Erster Gegenstand unserer Tagesordnung ist der Bericht des Verfassungsausschusses, betreffend ein Gesetz, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz). Zur Grundlage der Beratungen dient 991 der Beilagen.

Berichterstatter ist der Abgeordnete Professor Seipel. Ich bitte ihn, die Verhandlungen einzuleiten.

Berichterstatter Dr. Seipel: Hohe Nationalversammlung! In einer der ersten Sitzungen des hohen Hauses, am 14. März des Jahres 1919, hatte ich die Ehre, im Namen des Verfassungsausschusses über das Gesetz, betreffend die Volksvertretung, zu berichten. Dieses Gesetz war notwendig geworden, weil ja unsere Nationalversammlung selbst für sich und für ihre Tätigkeit in ihm die entsprechende Grundlage erhalten musste. Unser Verfassungsleben hat sich seitdem auf dem Boden dieses Gesetzes und des damals gleichzeitig angenommenen Gesetzes über die Staatsregierung abgespielt.

Damals schon haben wir hier im Hause gesehen, in welcher Richtung die weitere Entwicklung unserer Verfassung wird statthaben müssen. Wir haben einhellig festgestellt, dass unsere Verfassung für immerwährende Zeiten die demokratische Grundlage festhalten muss. Dies ausdrücklich festzustellen war damals viel weniger in Hinblick auf die Gefahr einer sogenannten „Reaktion" notwendig, als mit Rücksicht darauf, dass die Gefahr drohte, es könnte die demokratische Verfassung durch eine Herrschaft, eine Diktatur einer einzelnen Klasse ersetzt werden. In diesem Punkte, über die demokratische Grundlage unserer Verfassung, war also unter den Parteien dieses hohen Hauses kein Zweifel.

Dagegen zeigten sich damals schon Meinungsverschiedenheiten darüber, ob unser Staat, wenn er einmal definitiv konstituiert würde, als Einheitsstaat oder als Bundesstaat würde aufgebaut werden müssen. Das ist damals in den Erklärungen der drei großen Parteien des Hauses ganz formell zum Ausdruck gekommen. In diesem provisorischen Verfassungsgesetz hat es sich nebenbei auch darum gehandelt, auf Grund der Erfahrungen, die man seit dem Umsturz bis zum 14. März 1919 gemacht hatte, das Verhältnis zwischen der Zentralgewalt im Staate und den Ländern, die sich immer mehr als Gliedstaaten zu fühlen begonnen haben, zu regeln. Zu den Erfahrungen von damals sind aus der Zeit, seitdem wir unser öffentliches Leben im Staate auf Grund dieser provisorischen Verfassungsgesetze geführt haben, noch reichlich andere hinzugekommen. Alle Erfahrungen haben dazu gedrängt, dass wir uns schließlich einhellig dahin entscheiden mussten, von jedem Versuch abzusehen, unseren Staat als Einheitsstaat aufbauen zu wollen, vielmehr ist immer stärker der bundesstaatliche Gedanke zum Durchbruch gekommen.

In den Diskussionen darüber in der Öffentlichkeit und auch im
Unterausschuss und im Verfassungsausschuss ist öfters die Frage erörtert

worden, aus welchem Grunde wir uns eigentlich für den bundesstaatlichen Gedanken entscheiden müssen. Es ist häufig der historische Grund geltend gemacht worden, dass mit dem Wegfall der Dynastie und damit der Pragmatischen Sanktion die Länder eine Selbständigkeit, die sie vor Jahrhunderten bereits gehabt haben, wieder erlangt hätten. Gewiss ist auf solche historische Erwägungen viel zu geben. Für mich aber, meine sehr verehrten Frauen und Herren, sind dennoch die rein historischen Erwägungen nicht das Maßgebende. Ich gebe ganz gern zu, dass es vor allem auf die gegenwärtigen, wirklichen Machtverhältnisse im Staate ankommt. Die Verfassung kann nicht, am allerwenigsten in einer Zeit wie der unsrigen, ein Werk bloß theoretischer Erwägungen sein. Man kann die Verfassung nicht konstruieren, denn man hat keine Mittel, eine solche konstruierte Verfassung jenen aufzuzwingen, die unter ihr leben und sich an sie halten sollen. Man muss mit den Realitäten rechnen. Und nun hat es sich in den abgelaufenen Monaten wahrlich als eine Realität erwiesen, dass unser Staat, das heißt jener von Deutschen bewohnte Überrest des alten großen Staates, der für sich ja niemals eine einheitliche Verfassung, auch nicht im Rahmen des alten großen Staates, hatte, eigentlich jetzt schon ein Bundesstaat ist. Die starken Autonomien der Glieder, nämlich, der Länder, waren schon immer vorhanden gewesen. Sie waren bloße Autonomien gewesen, weil über aller Selbständigkeit der Landesvertretungen das Sanktionsrecht der Krone stand.

Von dem Augenblick an, als dieses beseitigt war, sind die Länder schon mehr oder weniger Gliedstaaten geworden. Wenn ich sage „mehr oder weniger", so hat das den Sinn, dass das eine Land mehr, das andere Land weniger die volle Selbständigkeit für sich in Anspruch genommen hat.

So sind die zwei Grundlagen, die unsere Verfassung nach dem gegenwärtigen Entwurf haben soll, die des demokratischen Staatswesens und die des Bundesstaates, als solche erwiesen, welche nicht nur in der Geschichte jener Länder, die hier zu einem Staate zusammengeschlossen sind, sondern auch in den Wirklichkeiten ihres gegenwärtigen Lebens ihren Grund haben.

Die Grundgedanken waren also gegeben. Es hat sich nur darum gehandelt, dass der Widerstand gegen sie, der sich auf der einen oder anderen Seite bemerkbar machte, schließlich aufgegeben wurde.

Damit, dass ich auf einen Widerstand von der einen oder anderen Seite hinweise, deute ich an, dass auch hier wieder Kompromisse zu schließen waren. Aber ich darf wohl sagen, es ist kein Kompromiss geschloffen worden, welches der Reinheit eines dieser beiden Grundgedanken, sei es des demokratischen, sei es des bundesstaatlichen, Eintrag machte. Eine Verfassung unter solchen Umständen zu schaffen, wie es die unserigen waren, unter Um ständen, die uns zwangen, lange Zeit unsere Aufmerksamkeit vor allem anderen Aufgaben zuzuwenden unter Umständen, die gleichzeitig nebeneinander gehen ließen die mehr theoretischen Arbeiten der Vorbereitung eines Verfassungsgesetzentwurfes und die praktische Erprobung der Grundgedanken dieses noch unfertigen Entwurfes, war eine außerordentlich schwere Aufgabe, die selbstverständlich auch lange Zeit in Anspruch nahm.

Ob es notwendig war, dass eine so lange Zeit unseres Arbeitens in diesem hohen Hause vorüberging, ohne dass dieses Haus selber in die Beratung eines Verfassungsentwurfes eintreten konnte, ob es notwendig war, dass die Beratungen über den Verfassungsentwurf jetzt in der letzten Stunde, wenige Wochen, ja fast wenige Tage vor den Neuwahlen für eine neue Nationalversammlung stattfinden müssen, darauf möchte ich mich heute, meine sehr geehrten Frauen und Herren, schon mit Rücksicht auf den Charakter des Berichterstatters, der mir innewohnt, nicht näher einlassen. Sie alle wissen, dass es in vergangenen Tagen einer der Gründe, und zwar einer der wichtigsten Gründe für Meinungsverschiedenheiten, die es selbst zwischen jenen Parteien in diesem Hause gab, die in einer ersten und zweiten Koalition miteinander verbunden waren, dass man an dem Werke der Verfassungsgebung, wie uns schien, nicht mit jener Energie arbeitete, die wir für unerlässlich hielten, wenn dieses Haus noch in die Lage kommen sollte, nicht nur irgendeine Verfassung zu beschließen, sondern eine solche, durch welche wir wirklich den Boden für den politischen und im Zusammenhang damit auch für den wirtschaftlichen Wiederaufbau unseres Staatswesens legen können.

Nichtsdestoweniger muss, wenn es auch Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben hat, ob genug der Pflicht geschehen ist, heute anerkannt werden, dass während der Vorbereitung des Verfassungsentwurfes viel gearbeitet wurde. Es ist ganz besonders als direkt unrichtig zu erklären, wenn in der Öffentlichkeit so getan wird, als ob die Parteien der Nationalversammlung und ihre einzelnen Mitglieder sich tatsächlich erst in den letzten Wochen mit den Problemen des Verfassungswerkes beschäftigt hätten. Wahr ist es ja, dass der Verfassungsausschuss diesen Gegenstand erst in der letzten Zeit behandeln konnte, dass er erst vor einigen Monaten,
im Sommer, als schon die Neuwahlen für diesen Herbst in Aussicht genommen


 

waren, dazu kam, einen Unterausschuss einzusetzen, und dass nun tatsächlich seitdem Tag für Tag und, fast könnte ich sagen, auch Tag und Nacht gearbeitet wurde, um dieses große Werk zu Ende zu dringen. Tatsache ist es, dass es infolge der schon angedeuteten Verhältnisse, aber auch mit Rücksicht die Schwierigkeit des Werkes notwendig war, dass der Verfassungsausschuss selbst als Antragsteller vor das Haus tritt und nicht in der glücklichen Lage war, wie es sonst die Ausschüsse zu sein pflegen, eine Regierungsvorlage vor sich zu haben, die ihnen zugleich die Gewähr dafür bietet, dass alle diejenigen Kreise, die außerhalb der Nationalversammlung berufen find, ihre Meinung zum Gegenstand abzugeben, wirklich gehört worden sind. Es mussten sich der Unterausschuss des Verfassungsausschusses und dann dieser selbst davon überzeugen, dass wirklich alle Faktoren mitreden konnten, die berufen sind, beim Werk der Verfassungsgebung mitzureden.

Wir haben nun aber die Überzeugung gewonnen, dass weder die Staatskanzlei, noch der Staatssekretär, der eigens im Oktober des vorigen Jahres zur Mitwirkung an der Vorbereitung der Verfassungs- und Verwaltungsreform bestellt worden war, der jetzige Leiter des Kabinetts, bei ihren Vorarbeiten, die ja doch auch grundlegend auch für den Entwurf gewesen sind, den wir heute hier vertreten, es versäumt hätte, die anderen Staatsämter mitanzuhören. Vielmehr ist immer gesucht und auch erreicht worden, dass zu jedem Punkte dieser Verfassung die Staatsämter, die besonders berufen sind, über seine Berechtigung zu urteilen, gehört wurden. Es wurden auch andere Sachverständige gehört. Ich konnte im gedruckten Berichte darauf hinweisen, dass man die hervorragendsten Vertreter des Staatsrechtes an den Universitäten, dass man hervorragende Mitglieder der obersten Gerichtshöfe gefragt hat und dass viele von ihnen nicht die Mühe gescheut haben, die rasch wechselnden Verfassungsentwürfe, mit denen wir uns in den letzten Wochen beschäftigt haben, einer eingehenden Prüfung zu unterziehen.

Auch an der Möglichkeit der öffentlichen Erörterung hat es nicht gefehlt. Wir haben im Unterausschüsse des Verfassungsausschusses darauf Gewicht gelegt, dass nach jeder seiner Sitzungen der Öffentlichkeit im Wege der Presse bekanntgegeben wurde, was da beschlossen wurde. Es hat das auch sein Missliches gehabt; es wurden Beschlüsse, die dann in der nächsten Zeit aus gewichtigen Gründen wieder abgeändert werden mussten, schon der Öffentlichkeit übergeben, es haben vorläufige Entscheidungen zum Teil eine Aufregung hervorgerufen, als ob sie schon definitive wären. Aber das alles nahmen wir mit in den Kauf, nur damit auch die Öffentlichkeit sich mit dieser Arbeit entsprechend beschäftigen konnte.

Es sind ferner auch Deputationen gekommen die verschiedensten Berufsstände, die durch diese oder jene Bestimmung unserer Verfassungsentwürfe sich betroffen fühlten, haben sich gemeldet; es sind die verschiedenen Kategorien der öffentlichen Beamtenschaft erschienen und haben ihre Wünsche, ihre Vorschläge, ihre. Warnungen vorgetragen. Es ist den einzelnen Mitgliedern des Verfassungsausschusses, ebenso diesem selbst, dann der Staatskanzlei eine große Zahl von Zuschriften zugekommen. Ich kann versichern, dass alle diese Zuschriften nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch geprüft und gewürdigt, wurden. Selbstverständlich haben wir das Kunststück nicht zusammengebracht, dass alle diese Wünsche, die uns geäußert wurden, auch hätten Berücksichtigung finden können. Es war das schon deswegen nicht möglich, weil ja, wie leicht zu erwarten ist, die verschiedenen geäußerten Wünsche und Vorschläge oft diametral einander gegenüberstanden.

Die wichtigste Phase der öffentlichen Erörterung unseres Entwurfes für das Bundesverfassungsgesetz bilden nun jene vielen Verhandlungen zwischen den Parteien, die außerhalb des Unterausschusses und außerhalb des Ausschusses geführt worden sind. Hieher gehören auch jene Verhandlungen, die mit den Vertretern der Länder und der Landesregierungen geführt wurden. Es sind eigene Länderkonferenzen, aus der Initiative der Länder selber entstanden, abgehalten worden, eine in Salzburg, eine zweite in Linz; es liegen umfangreiche Protokolle über diese Verhandlungen vor. Im letzten Stadium der Verhandlungen, als der Unterausschuss selbst schon einen Entwurf für den Ausschuss fertigstellen konnte, sind sofort wieder die Vertreter der Parteien in den Ländern gefragt worden und wenn wir jetzt ein Werk zustande gebracht haben, dem, ganz entgegen jenem Entwurfe, der aus dem Unterausschusse hervorging und dem Verfassungsausschusse vorgelegt wurde, nur verhältnismäßig wenige Minderheitsanträge entgegenstehen, so ist das gerade eine Folge dieser ausgiebigen Verhandlungen unter den Parteien und der Verhandlungen mit den Vertretern der Parteien in den Ländern und der Landesregierungen.

Ich habe hier einiges, meine sehr verehrten Frauen und Herren, gesagt, um diesen Verfassungsentwurf zu verteidigen, um ihn besonders vor dem Vorwurf zu bewahren, der ja in der Tat der schlimmste wäre, dass nämlich ein so wichtiges Werk, das für die ganze Zukunft dieses Staatswesens von der größten Bedeutung sein muss, ohne gehörige Vorarbeit, überstürzt, erledigt worden wäre. Wenn ich so den Verfassungsentwurf
verteidige, so muss ich natürlich einige Einschränkungen machen. Ich muss alle, die diese


 

Verteidigung mitanhören, zunächst bitten, zu bedenken, dass ich hier als Referent des Ausschusses spreche und nicht etwa als Vertreter meiner Partei. Die Parteien werden selber Gelegenheit haben, ihr Urteil über den Verfassungsentwurf auszusprechen. Die Vertreter der Parteien, auch meiner Partei, das kann ich jetzt schon ankündigen, werden natürlich manches an diesem Verfassungsentwurf auszusetzen haben, aber nicht so viel, wie ich hoffe, dass sie ihn nicht für wert hielten, zur Grundlage unseres künftigen öffentlichen Lebens gemacht zu werden.

Den zweiten Vorbehalt, den ich machen muss, mache ich auch als Referent des Verfassungsausschusses. Der Verfassungsausschuss selbst, und zwar die Mitglieder aller Parteien, waren sich wohl dessen bewusst, dass unserem Verfassungsentwurf Mängel von nicht geringer Gewichtigkeit anhaften, Mängel, die über den Charakter bloßer Schönheitsfehler hinausgehen. Es ist vor allem ein großer Mangel, dass dieser Entwurf eines Bundes-Verfassungsgesetzes sehr bedeutende Lücken aufweist. So enthält er nichts über die Grund- und Freiheitsrechte der Bürger, die man doch sonst gewohnt ist, als ein selbstverständliches Requisit einer jeden Verfassung anzusehen. Es ist dann eine bedeutsame Lücke in unserem Verfassungsentwurf in Bezug auf die Kompetenzabgrenzung enthalten. In der Frage des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens spricht sich der Entwurf gar nicht über die Kompetenzabgrenzung aus, sondern er weist diese ganze zwischen dem Bunde und den Ländern strittige Materie einem künftigen Bundesverfassungsgesetze, das im Übergangsgesetze zu diesem Gesetze besonders angeführt wird, zu. Wir finden dann drittens eine solche Lücke in Bezug, auf die Regelung der finanziellen Auseinandersetzung zwischen dem Bunde, den Ländern und den Gemeinden. Auch das ist eine Sache, die man ja eigentlich in der Verfassung selbst geregelt sehen möchte.

Wenn ich nun den Grund angeben soll, warum diese Lücken gelassen worden sind, warum wir es uns herausnehmen, vor das hohe Haus mit einem Entwurf zu treten, obwohl er diese Lücken aufweist, so muss ich sagen, dass die Gründe für diese verschiedenen Lücken verschiedene sind. Es muss offen zugestanden werden, dass die Parteien dieses hohen Hauses, die im Unterausschuss vertreten waren, es gar nicht versucht haben, das Kapitel über die Grund- und Freiheilsrechte in Beratung zu ziehen. Sie waren von Anfang an überzeugt-, dass auf diesem Gebiete in der kurzen Zeit, die ihnen für die Arbeit zur Verfügung stand, ein Übereinkommen zwischen den Parteien nicht erzielt, eine mittlere Linie zwischen den einander widerstreitenden Ansichten und Bestrebungen nicht gefunden werden könne. Auf diesem Gebiete handelt es sich ja nicht nur um verschiedene strafrechtliche Auffassungen, nicht nur um Parteiprogramm, sondern hier stehen schon die Weltanschauungen einander gegenüber. Wir gestehen es ein: wir haben uns nicht zugetraut, in dieser kurzen Zeit die mittlere Linie herauszufinden, wir haben deswegen, sobald wir sahen, es sei nicht mehr zu erretten dieses wichtige Kapitel im gegenseitigen Verzicht Parteien, gerade ihre Meinung und diejenige, ihrer Weltanschauung entspricht, durchzusetzen, geschaltet und wir müssen es dem künftigen Nationalrate überlassen, in dieser Hinsicht glücklicher zu sein, als wir es gewesen sind.

Das Kapitel von der Schule, vom Erziehungs- und Volksbildungswesen hängt mit eben erwähnten zusammen, aber doch nicht so, dass dieselben Gründe auch für das Offenhalten dieser maßgebend gewesen wären. Hier im Schulorganisationsgesetz, das als ein künftiges Bundesverfassungsgesetz zu beschließen sein wird, wird es sich wieder nur um die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Bund und den Ländern handeln. Hier die Schwierigkeit in der Kompetenzfrage selber zu legen, und zwar gerade darin, dass sich aus dem stehenden Rechtszustand, der überdies sehr schwierig zu umschreiben und in eine juristisch einwandfreie Formel zu bringen ist, nicht dasjenige ableiten was sich in Konsequenz des Überganges zum System des Bundesstaates daraus ergeben soll, wird noch eine Vorarbeit für dieses zweite Bundesverfassungsgesetz, das noch in Aussicht steht, notwendig sein, und zwar die Vorarbeit, dass zunächst Stellungnahme der einzelnen interessierten Gruppen zu dem gegenwärtigen Rechtszustand vollständig geklärt sein muss. Erst wenn das der Fall sein wird sich auf dem Gebiet, von dem ich, eben wirklich eine Abgrenzung der Kompetenzen lassen. Es wären aber auch hier die Gegensätze so es hat sich, nachdem aus den übrigen Gebieten Kampf zwischen dem Einheitsstaatsgedanken und Bundesstaatsgedanken bereits zugunsten des z genannten ausgetragen war, hier auf diesen P noch einmal der ganze Gegensatz zwischen Zentralismus und Föderalismus konzentriert. Und keine der beiden Seiten bereit war, einer Verfassung zuzustimmen, welche eine auch nur vorläufige Entscheidung zu ihren Ungunsten enthält, mussten wir auch hier zu den Auskunftsmitteln greifen, Lücke offen zu lassen.

Die Lücke, die wir in der Verfassung lassen müssen, und zwar nicht die große, auf Gebiete der Grund- und Freiheitsrechte, sondern gerade die andere, auf dem Gebiete der Kompetenzabgrenzungen —
diese Lücke machte es nun notwendig, dass unsere Verfassung, wenn sie
vom hohen Hause zum Beschlüsse erhoben wird, mit einem zweiten


 

großen Mangel behaftet sein wird. Sie wird nicht sofort in Kraft treten können, wenigstens nicht in ihrer Gänze. Bevor nicht diese ergänzenden Verfassungsgesetze beschlossen sein werden, werden jene Teile der Verfassung, welche von der Kompetenzabgrenzung zwischen dem Bunde und den Ländern handeln, vorläufig außer Kraft bleiben müssen, und man wird versuchen müssen, in den Übergangsbestimmungen den gegenwärtigen Rechtszustand so festzulegen, dass nicht durch einseitige Verfügungen ein Präjudiz für die künftige Austragung dieser prinzipiellen Streitfragen geschaffen werde.

Wir wissen also und auch der Verfassungsausschuss als solcher weiß es, dass unserem Verfassungsentwurfe Mängel anhaften. Nichtsdestoweniger haben wir Gründe genug, das hohe Haus zu bitten, trotz dieser Mängel dem Entwürfe zuzustimmen und wenigstens jenen Teil der Verfassung, der nicht durch die innere Verbindung mit erst zu schaffenden ergänzenden Gesetzen behindert ist, sofort in Kraft treten zu lassen.

Der erste Grund ist der Grund der Pflicht. Die gegenwärtige Nationalversammlung heißt die „Konstituierende". Sie führt diesen Namen, weil sie dazu gewählt wurde, ihre Tätigkeit nicht abzuschließen, bevor sie nicht unserem Staate eine Verfassung gegeben hat, wenigstens eine Verfassung in dem Umkreise, als es ihr eben möglich sein wird. Wir wollen dieser Pflicht gerecht werden.

Es ist aber nicht das allein. Wir wollen nicht nur auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen, die uns vielleicht Vorwürfe machen könnte, wenn wir dieser Pflicht nicht genügten, wir wollen auch nicht nur darauf Rücksicht nehmen, dass es eine Schwierigkeit bedeutete, wenn die neue Nationalversammlung, ohne schon bei der Ausschreibung zur Konstituante bestimmt zu sein, doch wieder die konstituierende sein müsste, sondern es hat auch einen anderen Wert, wenn sich dieses hohe Haus nicht auflöst, ohne dass es die Verfassung beschlossen hat. Es ist seine Kraftprobe für das parlamentarische System in unserem Staate, es ist aber auch eine Probe der Kraft und der Gesundheit unseres Staatswesens überhaupt, wenn es trotz so großer erschwerender Umstände dieses Werk noch zu einem halbwegs glücklichen Ende zu führen versteht. (Rufe: Sehr richtig!) Wir hoffen, dass, wenn das hohe Haus die Verfassung, wie der Verfassungsausschuss sie ihm im Entwurfe vorlegt, zum Beschlusse erhebt, dann auch das Vertrauen zu unserem Staatswesen im Innern und draußen wiederum gehoben werden wird. Dieses Vertrauen, besonders das Vertrauen im Innern, das die einzelnen Teile unseres Bundesstaates gestützt darauf, dass nun eine Urkunde vorliegt, die wenigstens in den notwendigen weitesten Umrissen ihre Rechte festlegt und vor Verletzungen schützt, haben werden, dieses Vertrauen ist ein großer Schatz für uns. Es wird dann auch die Freude am Staatswesen, die in den vergangenen Zeiten vielfach beobachteter und schmerzlich gefühlter Unordnung und Ungewissheit so sehr gelitten hat, wieder wachsen, es wird dann auch die Arbeitslust und der Arbeitsmut auf wirtschaftlichem Gebiete wieder gehoben werden. Und dass es für uns, die wir so viel, ob wir wollen oder nicht, doch auf das Ausland angewiesen sind, eine Bedeutung hat, wenn wir hier eine Kraftprobe ablegen, die uns auch das Vertrauen der auswärtigen Staaten in erhöhtem Maße sichern kann, darüber brauche ich nicht viel zu reden. Es liegt der Beweis dafür als selbstverständlich auf der Hand.

Ich möchte nun, hohes Haus, mir erlauben, noch kurz zu einzelnen Teilen dieses Gesetzentwurfes, die doch auch schon für die Beurteilung des Ganzen eine Bedeutung haben, einiges zu sagen, namentlich um manche Missverständnisse, die bemerkbar geworden sind, zu beseitigen. Die grundlegenden Artikel sind der erste und der zweite. Im zweiten Artikel werden die Länder aufgezählt, die unseren Bundesstaat bilden sollen. Dabei ist ein Unterschied gemacht; alle übrigen Länder werden im zweiten Absätze des Artikels in einer Reihe genannt, dagegen das Burgenland in einem eigenen Absatze. Wenn es hier heißt (liest): „Das Burgenland wird als selbständiges und gleichberechtigtes Land in den Bund aufgenommen, sobald es seinen Willen dazu ausgedrückt hat", so möchte ich ausdrücklich feststellen, dass niemand von denjenigen, die im Verfassungsausschusse diesen Text angenommen haben, damit die Tatsache in Zweifel stellen wollte, dass das Burgenland auf Grund des Friedensvertrages bereits jetzt rechtlich ein Bestandteil unseres Staatswesen ist.

Aber wenn das auch feststeht und unbezweifelt angenommen wird, so ist doch auf anderem Gebieten noch ein Zweifel möglich. Erstens wird die Zugehörigkeit des Burgenlandes zu unserem Bundesstaate nicht in die Erscheinung treten können, solange nicht der rechtlichen Zugehörigkeit auch die faktische gefolgt ist, und dann war es die Meinung, des Verfassungsausschusses, diesem neuen Gliede unseres Bundesstaates im Vorhinein die volle Freiheit zuzusichern, die ihm im Rahmen unseres Bundesstaates eingeräumt werden kann. Wir wissen nicht, ob es im Interesse und nach dem Wunsche des Burgenlandes sein wird, dass es als ein selbständiger Gliedstaat unserem Bundesstaate eingefügt wird, wir haben es daher seiner eigenen Willensentscheidung überlassen, zu bestimmen, ob dies der Fall sein soll oder nicht, und gerade deswegen die besondere Fassung für das Burgenland gewählt.


 

Der folgende Artikel bringt uns durch die Minderheitsanträge, die ihm hinzugefügt worden sind — ein Minderheitsantrag des Abgeordneten Fink und ein Minderheitsantrag des Abgeordneten Dr. Danneberg —, eine der schwierigsten Fragen in Erinnerung, welche für unser Verfassungsleben überhaupt gestellt sind. Vielleicht war gerade die lange Dauer der Zeit, die verging, bevor die Nationalversammlung eine Bundesverfassung beschließen konnte, mit daran schuld, dass sich in manchen Teilen dieses Bundesstaates eine Art Verzweiflung herausgebildet hat, eine Missstimmung von der Bedeutung, dass die Bürger dieser Teile sehr stark den Gedanken erwägen, ob nicht überhaupt der Anschluss an ein anderes Staatswesen als das österreichische, wenigstens von dem Zeitpunkte, in welchem nicht mehr die äußere Klammer des Friedensvertrages von St. Germain sie mit den übrigen Gliedern unseres österreichischen Staatswesens zusammenschmiedet, das Bessere für sie wäre.

Zur Entstehungsgeschichte der beiden Minderheitsanträge muss ich bemerken, dass der zuerst eingebrachte der des Abgeordneten Dr. Danneberg ist, der die Grenzen der Länder fließend erhalten, leicht beweglich machen will. Es ist dann als eine Konsequenz dieses Antrages der Antrag des Abgeordneten Fink gestellt worden, der freilich, nachdem er gestellt war, in verschiedenen Teilen unseres Bundesgebietes solchen Widerhall gefunden hat, dass er aufrecht erhalten werden musste, nachdem die Mehrheit des Unterausschusses und des Ausschusses sich gegen ihn ausgesprochen hatte. Im Namen des Verfassungsausschusses kann ich natürlich nur bitten, den beiden Minderheitsanträgen nicht zuzustimmen. dass wir die Grundlegung unseres Zusammenbleibens und damit einer gedeihlichen politischen Entwicklung für die Zukunft nicht selbst wieder in Frage stellen dürfen versteht sich wohl von selbst.

Zum Artikel 4 wird das Übergangsgesetz, welches dem hohen Hause auch bereits vorliegt und es an einem der nächsten Tage beschäftigen soll, besondere Bestimmungen enthalten.

Der Artikel 6 regelt die Frage der Staatsbürgerschaft vollständig im Sinne des Bundesstaates.

Der Artikel 10, dann die Artikel 11, 12, 13 und 15 sind die schwierigsten Artikel, die meistumstrittenen, jene über die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Bunde und den Ländern, welche auch vorläufig außer Kraft bleiben sollen, wie ich in einem früheren Zusammenhang bereits bemerkt habe. Zu einigen Punkten dieser Kompetenzartikel liegen ebenfalls Minderheitsanträge vor. Sie beschränken sich alle darauf, dass gewünscht wird, gewisse Materien aus dem einen dieser Artikel in den anderen hinüberzuschieben. Hier in diesen Artikeln wird die Kompetenzabgrenzung nach den folgenden Grundsätzen versucht. Wir unterscheiden vier Gattungen Materien, nämlich solche, welche der Kompetenz Bundes nach Gesetzgebung und Vollziehung nur nach Gesetzgebung unterliegen sollen, dann solche für welche es bloß eine grundsätzliche Gesetzgebung also eine Rahmengesetzgebung des Bundes geben soll, und endlich die übrigen, die nicht in diesen Artikeln genannt sind, jene Materien, welche ausschließlich der Kompetenz der Länder überlasten bleiben. Der Artikel 15 ist im Rahmen dieser Kompetenzartikel von besonderer Bedeutung. Er regelt nämlich jene Verhältnisse, in denen zwar die Kompetenz Länder grundsätzlich aufrecht, erhalten wird — entweder die volle oder die Kompetenz innerhalb Rahmengesetzgebung —, in denen aber doch besondere Umstande ein einheitliches Vorgehen notwendig machen.

Zum Artikel 18 liegt wieder ein Minderheitsantrag vor, der sowohl den Unterausschuss den Verfassungsausschuss zu wiederholten Abstimmungen gezwungen hat. Jene Mitglieder des Verfassungsausschusses, die diesen Minderheitsantrag gestellt haben — und ich selbst gehöre zu ihnen betrachten ihn als einen Schönheitsfehler an unserer Verfassung, weil er Deklarationen enthält, die wenn sie nicht gefährlich sein sollen, keine Bedeutung haben, wenn sie aber eine Bedeutung haben sollen, vielleicht, zu gefährlichen Experimenten auf dem Gebiete unseres wirtschaftlichen Lebens führen können.

Das zweite Hauptstück unseres Entwurf handelt von der Gesetzgebung des Bundes. Es redet vom Nationalrat —- so soll künftig die Nationalversammlung heißen —, vom Bundesrat, dann vom Wege der Bundesgesetzgebung, sowie von der Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes. Hier liegt zum Artikel 1 ein Minderheitsantrag der Abgeordneten Dannenberg und Genossen vor. Es handelt sich um die Dauer der Gesetzgebungsperiode des Nationalrates. Die Mehrheit des Verfassungsausschusses steht auf dem Standpunkte, dass es für die ruhige Entwicklung unseres politischen Lebens und dafür, auch größere Aufgabenkreise von einem Gesetzgebungskörper in Angriff genommen werden können, günstiger ist, wenn die Gesetzgebungsdauer nicht allzu kurz bemessen wird.

Von den Artikeln, die vom Bundesrat handeln möchte ich vor allem hinweisen auf den Artikel 3, der in seinem Schlussabsatz—die ausdrückliche Festsetzung enthält, dass die Bestimmungen dieses Artikels nur abgeändert werden können, wenn im Bundesrat abgesehen von der für seine Beschlussfassung überhaupt erforderlichen Stimmenmehrheit die Mehrheit der Vertreter von wenigstens vier Ländern
die Änderungen angenommen hat. Es ist hier also eine besondere Sicherung eines
Verfassungsgesetzes angenommen, die über die sonstigen Sicherungen der


 

Zweidrittelmehrheit und des Quorums bei den Abstimmungen hinausgeht.

Im Abschnitt von der Bundesgesetzgebung, handeln der zweite Absatz des Artikels 42 vom Volksbegehr, die Artikel 44, 45 und 46 von der Volksabstimmung. Es ist dies dasjenige, das wir als äußerste Konsequenz des demokratischen Grundgedankens bei Beratung des provisorischen Verfassungsgesetzes über die Volksvertretung, dessen ich eingangs erwähnte, in Aussicht gestellt haben.

Der Artikel 58 behandelt im Zusammenhang die Frage der Immunität der Mitglieder des Nationalrates. Er ist umso bedeutungsvoller, als die Immunität der Mitglieder der Landtage und des Bundesrates mit Verweisung auf diesen Artikel analog geordnet wird.

Von weiterer Bedeutung ist dann im dritten Hauptstück über die Vollziehung des Bundes der Abschnitt über den Bundespräsidenten. Die Frauen und Herren wissen bereits, dass wir mit diesen Bestimmungen zu einem andern System übergehen, als es bis jetzt zurecht besteht. Es wird nicht mehr der Vorsitzende der Nationalversammlung zugleich gewisse Funktionen eines Staatsoberhauptes haben, sondern ein eigener Bundespräsident zu wählen sein.

Die Artikel vom siebzigsten an beschäftigen sich mit der Bundesregierung. In diesem Abschnitt ist mit einigen durch die Erfahrung gebotenen Ergänzungen dasjenige über die Bestellung der Regierung aufgenommen worden, was jetzt schon geübt wird. Schon in diesem Abschnitte ist auch der Hauptausschuss des künftigen Nationalrates verankert, der ebenso wie bisher auch in Zukunft nicht ein Ausschuss sein wird, der rein der Geschäftsordnung des hohen Hauses seine Existenz und seinen Wirkungskreis verdankt.

Die Zahl der künftigen Bundesämter, die wieder Ministerien heißen werden, wird durch ein besonderes Bundesgesetz bestimmt werden. Ich darf hier aus dem Übergangsgesetz hinzufügen, dass die gegenwärtige Staatsregierung für solange, bis der künftige Nationalrat eine neue Bundesregierung bestellt, sofort als Bundesregierung zu fungieren haben wird. Ich möchte aus dem Zusammenhang der in Betracht kommenden Artikel nicht die Folgerung ziehen, dass der künftige Nationalrat mit der Neuwahl der Regierung warten müsste, bis das hier angekündigte Bundesgesetz über die Zahl der künftigen Bundesministerien und die Verteilung der Wirkungsbereiche unter ihnen geschaffen sein wird. Freilich kann dann die vom künftigen Nationalrat zu bestellende erste Regierung zunächst wieder nur eine provisorische sein, bis dieses Gesetz in Kraft getreten sein wird.

Zu diesem Abschnitt liegt ein Minderheitsantrag der Abgeordneten Clessin und Genossen vor, und zwar zum Artikel 79, in dem die Möglichkeit in Aussicht genommen ist, den Bundesministerien Staatssekretäre — das werden die Funktionäre sein, die in unserem gegenwärtigen System Unterstaatssekretäre genannt werden — beizufügen. Die Mehrheit des Unterausschusses hat mit der Aufnahme dieser Bestimmung keineswegs die Meinung vertreten wollen, dass es unbedingt solche Staatssekretäre in Zukunft geben müsse. Aber sie glaubte, es wäre vorteilhaft, wenn dem künftigen Nationalrat, beziehungsweise seinem Hauptausschuss, auch diese Möglichkeit offen stünde, um vielleicht damit leichter über Schwierigkeiten einer Kabinettsbildung in einem bestimmten Falle hinwegzukommen. Die gemeinsame Ansicht aller Parteien, die im Verfassungsausschusse vertreten sind, ist selbstverständlich, dass bei der Organisation unserer künftigen Verwaltung möglichst gespart werden muss. Es scheint das umso mehr möglich, als ja, wenn einmal auch noch die restlichen Teile dieses Verfassungsentwurfes in Kraft getreten sein werden, eine ganze Reihe von Kompetenzen, in denen jetzt der Instanzenzug bis zu den Bundesämtern geht, den Landesregierungen übertragen wird. Infolgedessen wird dann auch ein Abbau der obersten Bundesämter statthaben können.

Der Artikel 103 bringt nur durch seinen letzten Absatz — er steht nämlich im Zusammenhang mit dem Punkte 14 des Artikels 10 — in Erinnerung, dass ich hiezu noch eine Bemerkung interpretativen Charakters anfügen muss. Es wird nämlich im Punkte 14 des Artikels 10 verfügt, dass in die Kompetenz des Bundes nach Gesetzgebung und Vollziehung die Bundespolizei und Bundesgendarmerie gehört. Im 5. Absatz des Artikels 103 heißt es nun (liest):

„Inwieweit die Landeshauptmänner über die Bundespolizei und die Bundesgendarmerie verfügen, wird durch das im Artikel 121, Absatz 1, bezeichnete Bundesgesetz geregelt", nämlich durch das Bundesverfassungsgesetz über die Organisation der Verwaltung. Ich möchte nun hier ausdrücklich feststellen, dass die Wahl der Worte „Bundespolizei und Bundesgendarmerie" nur deswegen erfolgte, weil wir eben jene Behörden, die jetzt staatliche Behörden hießen, in Zukunft Bundesbehörden werden nennen müssen. In diesem ganzen Verfassungsentwurf wird der Ausdruck „Staat" immer gebraucht, wenn man absichtlich zwischen dem Bund
und den Ländern nicht unterscheiden will, denn sowohl der Bund ist Staat
als jedes Land ist ein Staat, nämlich ein Gliedstaat innerhalb des Oberstaates, des


 

Bundes. Deswegen nennen wir die bisherige staatliche Polizei und staatliche Gendarmerie von nun an Bundespolizei und Bundesgendarmerie. Es ist nicht etwa die Meinung des Verfassungsausschusses gewesen und es wird gewiss auch nicht die Meinung dieses hohen Hauses sein, dass damit etwa eine neue Art von Polizei neben der jetzt bestehenden geschaffen werden sollte oder eine neue Art von Gendarmerie, oder dass außerhalb des Kompetenzkreises des Bundes eine Landespolizei oder Landesgendarmerie solle geschaffen werden können. Wir verstehen unter Bundespolizei die jetzt bestehende staatliche Polizei, die unter der Leitung des Staatsamtes des Innern und näher hin unter der Führung des Polizeipräsidenten von Wien steht. Und die Bundesgendarmerie ist die jetzt bestehende Gendarmerie, die nur aus den angegebenen terminologischen Gründen in Zukunft die Benennung „Bundesgendarmerie" wird führen müssen.

Ein während der Vorberatungen über den Verfassungsentwurf viel umstrittenes Kapitel war jenes, das mit dem Artikel 109 beginnt, nämlich das Kapitel über die Bundeshauptstadt Wien und das Land Niederösterreich. Seit langer Zeit ist in der Öffentlichkeit die Frage erörtert worden, ob nicht die Bundeshauptstadt Wien vom Lande Niederösterreich durchaus getrennt werden soll, das heißt ob nicht zwei neue Länder geschaffen werden sollen, ein Land Wien und ein Land Niederösterreich. Die Meinungen haben in den berufenen Vertretungskörpern beider Gebiete selber gewechselt. Die maßgebende ist schließlich jene geworden, die zwar eine gewisse Sonderstellung der beiden Teile, der Bundeshauptstadt Wien und des übrigen Teiles von Niederösterreich, der von nun an in der Verfassung als Niederösterreich-Land bezeichnet wird, eintreten solle, ohne dass es zu einer vollständigen Lösung der Gemeinsamkeit kommen dürfe. Infolgedessen trägt gerade diese Reihe von Artikeln mehr noch als andere den Charakter des Kompromisses an der Stirne und man kann ihnen natürlich von dem einen oder anderen Standpunkt aus leicht entgegentreten. Ich muss übrigens bitten, bei der Beurteilung dieses Teiles der Verfassung ganz besonders auch das Verfassungsgesetz, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, mit in Betracht zu ziehen, weil dort geregelt wird, inwieweit diese Trennung für den Augenblick wirksam werden soll.

Das folgende Kapitel im Text unseres Verfassungsentwurfes gehört ebenfalls zu den besonders umstrittenen. Es ist das Kapitel über die Gemeinden. In Zukunft wird mit dieser Bezeichnung sowohl die Ortsgemeinde als die über ihr stehende Gebietsgemeinde verstanden werden. Auch dieser Abschnitt gehört in die Reihe jener, die eigentlich nur wirksam werden können, wenn die Neuorganisation der Verwaltung im Bunde und in den Ländern überhaupt geordnet sein wird. Es lässt sich aber doch schon für die Übergangszeit ein Teil dieser Bestrebungen nach Demokratisierung der Bezirksverwaltung durchführen und deswegen enthält das Übergangsgesetz auch hiefür besondere Bestimmungen.

Zum Artikel 120 liegt wieder ein Minderheitsantrag der Abgeordneten Dr. Danneberg und Genossen vor. Die Mehrheit des Ausschusses hat bei Erörterung der Bedingungen für das Wahlrecht in die Vertretungen der Gemeinden eine Bestimmung ausgenommen, nach welcher für die Wahl der Vertretungen der Ortsgemeinden eine gewisse Sesshaftigkeit gefordert werden kann, wogegen sich der Minderheitsantrag des Abgeordneten Dr. Danneberg wendet.

Das fünfte Hauptstück handelt von der Rechnungskontrolle des Bundes. Es erwähnt nur in einem einzigen Artikel auch die Länder, indem es im Artikel 128 den Ländern freistellt, sich der Kontrolleinrichtungen des Bundes, also des Rechnungshofes, zur Kontrolle ihrer eigenen Gebarung zu bedienen.

Das wichtige sechste Hauptstück, betreffend Garantien der Verfassung und Verwaltung, handelt vom Verwaltungsgerichtshof und vom Verfassungsgerichtshof. In dem Abschnitt über den Verwaltungsgerichtshof bitte ich besonders zu beachten d 3. Absatz des Artikels 130, in welchem die Kompetenz des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf Verfügungen und Entscheidungen nach freiem Ermessen entsprechend umschrieben, das heißt ausgeschlossen wird mit Ausnahme des Falles, in welchem eine solche Verfügung oder Entscheidung nach freiem Ermessen nicht, im Sinne des Gesetzes getroffen wurde.

Der Verfassungsgerichtshof wird in Zukunft auch als Verordnungsgerichtshof zu funktionieren haben. Es ist den Gerichtshöfen untersagt, selbst Rechtsungültigkeit einer Verordnung auszusprechen, natürlich umso mehr die eines Gesetzes, sowohl eines Bundesgesetzes als eines Landesgesetzes. Je Gerichtshof muss, wenn im Verlaufe irgendeines Prozeßverfahrens diese Frage auftaucht, die Entscheidung dem Verfassungsgerichtshofe überlassen.

Endlich bitte ich Sie, sehr geehrte Frauen und Herren, noch die wenigen Artikel des siebenten Hauptstückes, Schlußbestimmungen, zu beachten. Artikel 150 enthält einen Katalog jener Gesetze, neben dem Bundesverfassungsgesetz, das das hohe Haus jetzt beschließen soll, weiterhin Verfassungsgesetze sein werden. Es wird daher dieser Art von nun an dafür maßgebend sein, was in unserem Staate
überhaupt den Charakter eines Verfassungsgesetzes haben wird. Dabei darf ich gleich erwähnen,


 

dass außer den hier aufgezählten Gesetzen auch das Übergangsgesetz oder, wie es sich selbst nennt, das Gesetz, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung, durchaus den Charakter eines Verfassungsgesetzes haben wird. Zu dieser Entscheidung ist der Verfassungsausschuss erst in letzter Stunde gekommen. Daher entspricht der vorliegende gedruckte Text nicht mehr der Auffassung des Verfassungsausschusses. Es wird der letzte Satz des Artikels 151 zu streichen sein. Nicht nur einzelne Paragraphen des Übergangsgesetzes, sondern das ganze Gesetz wird den Charakter eines Bundesverfassungsgesetzes haben.

Der Artikel 152 endlich handelt vom Inkrafttreten dieses Gesetzes. Mittelbar, das heißt durch Verweisung auf das Übergangsgesetz wird hier bestimmt, welche Teile des Bundesverfassungsgesetzes erst später in Kraft zu treten haben werden.

Ich glaube, mit diesen Ausführungen mein Referat abschließen zu können, und stelle an das hohe Haus die Bitte, zu beschließen, in die Spezialdebatte über diesen Gegenstand eintreten zu wollen. (Lebhafter anhaltender Beifall und Händeklatschen.)

Präsident: Zum Worte gemeldet hat sich der Herr Vorsitzende im Kabinett, Staatssekretär Dr. Mayr.

Vorsitzender im Kabinett Staatssekretär Dr. Mayr: Hohes Haus! Der in Verhandlung stehende Gesetzentwurf, welcher bestimmt ist, unserer jungen demokratischen Republik neue Verfassungsgrundlagen zu schaffen und ihr schon heute wenigstens die wichtigsten bundesstaatlichen Einrichtungen gibt, beruht in seiner letzten Gestalt — ich darf wohl sagen leider — auf keiner formellen Vorlage der Staatsregierung. Das Gesetz, wie es vorliegt, erscheint vielmehr als das Ergebnis langwieriger Verhandlungen der politischen Parteien des hohen Hauses und ist als solches ein Kompromiss der um Geltung ringenden zentralen Notwendigkeiten des Gesamtstaates und der föderalistischen Rechte der Länder.

Bei der Schaffung dieses Kompromisses, durch welches der Grundstein zum endlichen Beginne des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaues unseres kleinen Staates gelegt wird, verhielt sich aber die Regierung keineswegs untätig. Sie wirkte vielmehr durch den früheren Staatskanzler Dr. Renner, durch ihre besonderen Exponenten im Verfassungsdienst der Staatskanzlei und in der Person des eigenen Staatssekretärs für Verfassung und Verwaltungsreform zumeist führend und leitend an der Schaffung des großen Werkes mit. Von entscheidender Bedeutung für den Fortgang der Arbeiten waren die Koalitionsvereinbarungen der beiden großen Parteien vom 17. Oktober des vorigen Jahres auch dadurch geworden, dass der bundesstaatliche Charakter unserer künftigen Verfassung in diesen Vereinbarungen endgültig festgelegt worden war.

Von diesem Augenblicke an kam erst Leben und Richtung in die tote Materie der bisherigen legislatorischen Versuche und Entwürfe, deren bereits mehrere in der Staatskanzlei vorlagen.

In Anbetracht des sich seit dem großen Zusammenbruche neu entwickelnden politischen und staatsrechtlichen Verhältnisses zwischen Staat und Ländern und der immer stärker fühlbar werdenden Eifersucht, mit welcher unsere Länder ihre durch die bisherigen verfassungsrechtlichen Versuche der Nationalversammlung seit dem Umsturze neu gewonnene Selbständigkeit wahrten, war mir bald klar geworden, dass eine fruchtbare und erfolgreiche Arbeit nur durch einen entsprechenden Interessenausgleich zwischen der zentralen Staatsgewalt und den Ländern geleistet werden könne.

Auch die ganze geschichtliche Entwicklung und die Charakterveranlagung unseres alpenländischen deutschen Volkes, welches nunmehr, aller fremd- . nationalen Fesseln ledig, sich seine dem deutschen Geiste entsprechenden Formen des staatlichen Innenlebens autonom schaffen konnte, verwies auf die notwendige Umgestaltung der altösterreichischen Verfassung zu einer bundesstaatlichen, wofür als nächstes und bestes Muster die staatlichen Einrichtungen des benachbarten größtenteils stammesverwandten Schweizer Volkes dienen konnten.

Diesem Gedankengange entsprach der Arbeitsplan. Zunächst wurden mit aller Sorgfalt die unbedingten Bedürfnisse der zentralen Bundesgewalt festgestellt und daraufhin durch längere Konferenzen mit den maßgebenden Vertretern der Landesregierungen an Ort und Stelle die Forderungen der Länder geprüft.

In ein neues und entscheidendes Stadium trat die Verfassungsfrage aber erst durch die in rascher Aufeinanderfolge am Beginne dieses Jahres in Salzburg und in Linz abgehaltenen Länderkonferenzen, die zwar von den Ländern veranstaltet waren, auf welchen jedoch die Regierung durch den zur Mitwirkung bei der Verfassungsreform bestellten Staatssekretär führend vertreten war. Sie hat in Salzburg und in Linz jene Verfassungsentwürfe als Grundlage der Beratungen vorgelegt, welche in ihrem Aufbau und in ihrem Wesen richtunggebend geblieben sind und denen sich auch der vorliegende Entwurf des Verfassungsausschusses seinem ganzen Grundcharakter nach anschließt.

Man kann daher mit vollem Rechte behaupten, dass die beiden großen Interessenten,
Zentralstaat und Länder, gleichmäßigen Anteil an der Schaffung der neuen
Verfassung beanspruchen können. Sie ist in Wahrheit ein auf der gegen-


 

seitigen Achtung der beiderseitigen Rechte und berechtigten Ansprüche ruhendes Kompromiss dieser Faktoren und darin liegt auch ihr sicherlich gesunder Kern.

Wie jedes Kompromiss erregte und erregt natürlich auch diese Bundesverfassung den mehr oder minder scharfen Widerspruch jener politischen und publizistischen Kreise, welche nur von einem extremen zentralistischen oder föderalistischen Standpunkt aus die verfassungsrechtliche Neugestaltung Österreichs beurteilen. Der tiefere Kenner unseres Volkscharakters und seiner geschichtlichen Entwicklung wird sich darob nicht beirren lassen.

Im Übrigen wäre es ein Irrtum anzunehmen, dass der Übergang vom früheren Zentralstaat zum Bundesstaat ein plötzlicher gewesen wäre. Wenn man näher zusieht, konnte schon der frühere, äußerlich so scharf ausgeprägte Zentralstaat seinen im Grunde genommen doch föderativen Charakter niemals ganz verleugnen. Das gewiss schwierige Problem der Überführung der zentralstaatlichen Formen in bundesstaatliche, und zwar in bundesstaatliche, welche doch wiederum viel zentralstaatliches Wesen in sich bergen, wurde auch dadurch wesentlich erleichtert, dass schon die bisher geltenden Teilverfassungen der neuen österreichischen Republik in ihrer Wesenheit ausgeprägten bundesstaatlichen Charakter zeigen. In Wirklichkeit bedeutet unsere neue Bundesstaatsverfassung nur eine graduelle Erweiterung, nicht eine essentielle Änderung des bisher Bestehenden. Ich verweise insbesondere auf das Verfassungsgesetz vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern.

Nach den gegenwärtigen Verfassungsgesetzen konnte man die Republik nicht mit Unrecht ebenso gut einen zentralisierten Bundesstaat wie einen dezentralisierten Einheitsstaat nennen, in dem insbesondere auch die Verwaltung in den Ländern vom Einflüsse der Zentralgewalt eine weitgehende Unabhängigkeit besaß. Zu einem Bundesstaate nach den geschichtlichen Vorbildern bedurfte, es daher im Wesentlichen nur noch einer schärferen Abgrenzung zwischen den Angelegenheiten der Bundes- und der Landesgesetzgebung und vor allem einer Beteiligung der Länder an der Bundesgesetzgebung in der Form des Bundesrates.

Wenn trotzdem auch in der vorliegenden Verfassung das Muster eines wahren Bundesstaates nicht erreicht werden konnte, so sind daran die sich grundsätzlich vielfach ausschließenden politischen Anschauungen und Tendenzen der Parteien schuld, die immer wieder in jeder entscheidenden Frage zu einem Kompromiss nötigen. Daran mag der theoretische Kritiker von seinem extrem zentralistischen und föderalistischen Gesichtspunkte aus ein bequemes Feld für eine ziemlich unfruchtbare Tätigkeit haben, die Hauptsache ist und bleibt, dass die Verfassung dem Charakter und dem Wesen des Volkes entspricht (Zustimmung) und die Möglichkeit einer gesunden Rechts- und Wirtschaftsentwicklung bietet (Zustimmung.)

Zu beklagen ist, dass unserer Bundesverfassung noch das wichtige Hauptstück einer gesetzgeberische Zusammenfassung der Grundrechte, Freiheiten und Pflichten der Staatsbürger gänzlich fehlt. Die modernen Staatsverfassungen widmen diesem Kapitel durchwegs ein besonderes Hauptstück. So notwendig wie man häufig annimmt, scheint mir aber dieser Teil der Verfassung nicht zu sein. Das Wesen desselben ist wegen dieses Mangels um so wenig alteriert, als das geltende Staatsgrundgesetz vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger so lange einen Ersaß bietet, bis eine befriedigende Vereinbarung der Parteien über eine neue Kodifizierung der Grundrechte vorliegt.

Bedenklicher und ein größerer Mangel sicherlich die Tatsache, dass es bisher nicht gelungen ist, Vereinbarungen zu finden, die es ermöglicht hätten, gleichzeitig mit den wesentlichen Einrichtungen der Bundesverfassung auch die Bestimmungen über die gesamte Verwaltung des Bundes und der Länder die Vorschriften über die Organisation des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens und über die Verteilung der Steuerquellen zwischen dem Bund und den Ländern in Kraft zu setzen.

Die überdiese Gegenstände vorgesehenen Sonderverfassungsgesetze, die erst geschaffen werden müssen, bilden noch einen unerlässlichen Bestandteil der Gesamtverfassung von entscheidender Wichtigkeit.

Die nächste Nationalversammlung und vor die Regierung haben nach dieser Richtung hin eine schwere Arbeit zu leisten. Insbesondere w es der Regierung obliegen, unverzüglich an Ausarbeitung der notwendigen Gesetze für die Verwaltung des Bundes, der Länder und damit überhaupt zur ernstlichen Inangriffnahme des gesamten Komplexes der Verwaltungsreform zu schrei (Beifall), wofür ja bereits bedeutende Vorarbeit auch aus neuester Zeit vorhanden sind.

Hohes Haus! Mit der Verabschiedung dieses Bundesverfassungsgesetzes wird sich die konstituierende Nationalversammlung am Ende ihrer Schaffensperiode nicht bloß ein Ehrendenkmal setzen, sondern auch für den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau einen festen Grund legen. Angesichts fortwährend unsicheren politischen Lage, der schwierigen sozialen Verhältnisse, wie der großen finanziellen und Ernährungsschwierigkeiten, der bezweifelten Lebensfähigkeit dieses Staates bedurfte es keines geringen patriotischen Opfermutes der Nationalversammlung, solch ernste Verfassungsarbeit leisten, die von einem kräftigen Lebenswillen unseres tüchtigen Volkes ein schönes Zeugnis ablegt.


 

Möge das Verfassungswerk durch die neue Nationalversammlung in kürzester Frist endgültig ausgebaut werden. Möge dasselbe kein lebloses Paragraphengerippe bleiben, sondern durch die baldige Vollendung der zahlreichen notwendigen Durchführungsgesetze und der mit dem Ganzen Zusammenhangenden Reformen der Verwaltung ein unseren jetzigen kleinen Verhältnissen angepasstes staatliches Heim werden, unter dessen schützendem Dache unser vielgeprüftes Volk wieder erträglich leben und sein in trüben Tagen bewährtes Selbstvertrauen in die eigene Kraft und damit auch das Vertrauen seiner Freunde wieder zu gewinnen vermag. (Lebhafter anhaltender Beifall und Händeklatschen.)

Präsident Dr. Dinghofer (welcher während vorstehender Rede den Vorsitz übernommen hat): Ich erlaube mir, als Vertreter der Staatskanzlei vorzustellen: Herrn Ministerialrat Dr. Froehlich, Herrn Sektionsrat Dr. Mannlicher, Herrn Ministerialvizesekretär Dr. Troll, Herrn Ministerialvizesekretär Dr. Merkl, Herrn Oberfinanzrat Dr. Moser und Herrn Professor Dr. Kelsen.

Zum Worte ist der Herr Abgeordnete Doktor Danneberg gemeldet; ich erteile ihm das Wort.

Abgeordneter Dr. Danneberg: Hohes Haus! Der Herr Berichterstatter hat im Eingänge seiner Ausführungen, wenn ich ihn recht verstanden habe, gesagt, die Nationalversammlung habe die Aufgabe gehabt, gleich nach den Neuwahlen den demokratischen Charakter des Staates festzulegen, nicht weil er gefährdet gewesen sei durch die Reaktion, sondern weil er gefährdet gewesen sei durch Bestrebungen, welche auf eine Diktatur abgezielt haben. Demgegenüber möchte ich, mir erlauben, daran zu erinnern, dass die Feststellung des demokratischen Charakters des Staates damals vor allem notwendig gewesen ist gegenüber dem ehemaligen Kaiser Karl. Im November des Jahres 1918 war es, da Kaiser Karl erklärt hat, er füge sich im Voraus der Entscheidung des Volkes darüber, was für ein Staat aus Deutschösterreich werden soll. Es war notwendig, dass das Volk entschied, es hat entschieden am 12. November 1918, es hat neuerdings durch die Verfassung entschieden, die im März des Jahres 1919 nach den Neuwahlen zustande gekommen ist, und es ist ganz nützlich, dass es jetzt noch einmal entscheidet, denn der ehemalige Kaiser Karl scheint das vergessen zu haben, was er im November des Jahres 1918 erklärt hat. Wir kennen ja die Bestrebungen, die sich bemerkbar machen, die Dinge wieder einmal nach rückwärts zu wenden. (Sehr richtig!) Das ist zwar, wenn wir es formell betrachten, ein Wortbruch, aber schließlich sind wir ja bei dem Herrn und bei der Familie aus der Geschichte so viele Wortbrüche gewöhnt, dass es auf diesen einen gerade nicht mehr ankommt. (Sehr richtig!) Es ist also ganz nützlich und auch von diesem Gesichtspunkte aus notwendig, dass das Volk noch einmal spricht und entscheidet, und dass so wie am Anfange der Nationalversammlung auch an ihrem Ausgange wieder einmal bekräftigt wird, dass Deutschösterreich eine demokratische Republik ist. (Bravo!) Es ist heute gerade die hundertste Sitzung der Nationalversammlung und der Herr Berichterstatter hat auch davon geredet, es sei doch eigentlich reichlich spät, bis die Nationalversammlung dazu komme, das Werk zu vollbringen, für das sie eigentlich bestimmt und gewählt worden ist.

Es sind im Zuge der Beratungen der Verfassung wiederholt Vorwürfe gegen die sozialdemokratische Partei erhoben worden, dass gerade sie es war, die verhindert hat, dass die Verfassung früher zustande komme, dass gerade sie es war, die die Beratungen über die Verfassung verzögert hat. Die beste Antwort, die man auf diese Frage geben kann, ist der gedruckte Bericht, den uns der Herr Berichterstatter vorgelegt hat; er zählt alles, auf, was an wichtigen Fragen in dem Zeiträume von 1 1/2 Jahren zu erledigen gewesen ist und was notgedrungen vor der Fertigstellung der Verfassung den Vorrang hatte. Der Friedensvertrag hat länger auf sich warten lassen, als man es im Februar und März des vergangenen Jahres gemeint hat; die drängenden Sorgen des Staates in Bezug auf seine Finanzgesetzgebung, in Bezug auf die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, der unerlässliche Ausbau der sozialen Gesetzgebung im Staate haben die Kräfte der Regierung und die Kräfte dieses hohen Hauses in einem überreichen Maße, wie wir alle wissen, in Anspruch genommen und das Werk der Verfassung ist, wie der Herr Berichterstatter in seinem Berichte selber sagt, dennoch dabei nicht zu kurz gekommen. Denn schon im Mai des vergangenen Jahres, ehe der verflossene Staatskanzler Dr. Renner nach St. Germain gefahren ist, hat er den Auftrag zur Ausarbeitung einer Verfassung gegeben; seit jener Zeit, seit fast 1 1/2 Jahren also, hat diese Verfassungsarbeit in Wirklichkeit nicht geruht und ich darf sagen, dass meine Partei an allen Beratungen, die da stattgefunden haben, tätigen Anteil genommen hat. Wir sind auf die Länderkonferenzen gegangen, wenn wir auch diese Konferenzen nicht als den gerade zuständigsten Ort für die Beratung der Verfassung erachtet haben, was wir dort auch ausdrücklich erklärt haben. Die sozialdemokratischen Vertreter aus allen Ländern sind dennoch hingegangen und haben dort mitberaten und wir dürfen wohl sagen, dass wir auch in den letzten anstrengenden Wochen, in denen dieses Werk, soweit es vorliegt,
zu Ende gebracht werden musste, unsern redlichen Anteil an der Arbeit, die da zu leisten


 

war, gehabt haben. Die Verfassungsfrage hat uns also die ganzen 1 1/2 Jahre her beschäftigt. Sie hat uns nicht beschäftigt als eine Frage von müßigen Spintisierereien und als ein rein theoretisches Problem, sondern als eine unmittelbar praktische politische Frage; denn wenn nicht ein Werk zustandekommen sollte, das nichts weiter sein kann als ein Stück Papier ohne irgendeine Bedeutung, dann konnte es ja nur eine Verfassung sein, die den tatsächlichen Machtverhältnissen im Staate Rechnung trägt, die geradezu der Ausdruck dieser Machtverhältnisse ist. Darum hat es sich gehandelt und diesen tatsächlichen Machtverhältnissen im Staate haben wir Rechnung getragen, indem auch wir Sozialdemokraten uns dazu bereit erklärt haben, daran mitzuwirken, dass die Republik Österreich in einen Bundesstaat verwandelt werde. Damit ist keineswegs ausgesprochen — und das möchte ich auch am Ende der Beratungen ausdrücklich wieder sagen —, dass wir an und für sich den Bundesstaat als die geeignetste Staatsform für dieses Land Deutschösterreich erachten. Wir sind keine Anhänger eines Bureaukratenzentralismus und, wenn wir den Einheitsstaat gewollt haben, so haben wir damit nicht einen Bureaukratenzentralismus gemeint, sondern einen Staat, der aufgebaut ist auf dem Prinzip der Selbstverwaltung, in einem viel höherem Maße, als es die Herren der anderen Seite selbst zugestehen wollen, aber einen Staat, der einheitlich organisiert ist. Das schien uns besser und zweckmäßiger für dieses arme und kleine Land und es wäre uns zweckmäßiger erschienen auch im Hinblick darauf, dass wir ja wollen, dass dieses Deutschösterreich dereinst ein Bestandteil der Deutschen Republik werden soll (Zustimmung), denn der Anschluss an Deutschland wird im gegebenen Augenblick formell und technisch leichter sein, wenn ein einheitliches Deutschösterreich sich an Deutschland anschließen kann, als wenn ein Bundesstaat den Weg zu Deutschland suchen muss. Aber schließlich und endlich dürfen wir uns auch ruhig gestehen, dass der Gedanke des Anschlusses an Deutschland so stark ist und so tief in der Bevölkerung wurzelt, dass, wenn der Augenblick gekommen sein wird, in dem diese Bestrebung Erfüllung finden kann, alle partikularistischen Tendenzen weggeschwemmt sein werden aus diesem Staate und dass über dieses partikularistische Spinngewebe hinweg der Anschluss an Deutschland sich dann vollziehen wird. (Zustimmung.) Für heute mussten wir den tatsächlichen Machtverhältnissen Rechnung tragen und wir haben also der Schaffung eines Bundesstaates zugestimmt. Ich will mich dabei nicht in längere Erörterungen darüber einlassen, ob die Länder wirklich für das, was sie verlangt und zum Teil auch bekommen haben, irgendwelche historische Rechtsgründe anführen können. Wenn wir zurückschauen, gar nicht weit in die Geschichte, nur in die Zeit bis zum November des Jahres 1918, sieht jeder dass diese Länder nichts anderes waren als habsburgische Provinzen, als Provinzen, die regiert waren von einem k. k. Staathalter, als Provinzen in denen ein Landtag gearbeitet hat, wenn der Kaiser gerade erlaubt hat, dass er sich versammeln dürfe, ein Landtag, der auseinandergehen muss auf Geheiß des Kaisers, ein Landtag in de geschaltet hat ein Landmarschall, den der Kaiser ernannte hat. Von irgendeiner Selbständigkeit der Länder, von irgendeiner Machtbefugnis der Länder konnte da gar keine Rede sein. Alles was Länder an Macht, an wirklichem Einfluß erhalten haben, das haben sie bekommen in der Revolution das haben sie bekommen im Umsturz, das haben sie bekommen in den letzten zwei Jahren. Das sollt auch die Länder nicht vergessen und es scheint als ob es manchmal, von manchen Kreisen wenigstens, in den Ländern vergessen würde. Heute ist es auf alle Fälle so, dass die Länder ein Machtfaktor im Staate sind, und in der Verfassung, wenn sie nicht ein Stück Papier sein soll, muss man dem Rechnung tragen. Wir Sozialdemokraten haben es getan. Dabei gehen wir allerdings, weil wir uns da nicht auf die Geschichte berufen, nicht von der Meinung aus, dass Grenzen der Länder etwas Unabänderliches und Ewiges sind. (Zustimmung.) Wenn der Staat neu eingerichtet wird, dann soll er zweckmäßig eingerichtet werden und darauf zielt unser Antrag der die Mehrheit im Verfassungsausschuss nicht gefunden hat und den wir als Minderheitsantrag dem hohen Hause unterbreiten. Es ist ein Antrag, der will, dass, wenn ein geschlossener Teil eines Landes, soviel Einwohner zählend, als das klein Land in Deutschösterreich, als Vorarlberg hat, verlangt, eine Abtrennung dieses Landesteiles folgen kann, und zwar so, dass dieser Landes sich entweder einem anderen Lande der deutschösterreichischen Republik anzuschließen vermag dass er ein selbständiges Land dieser Republik werden kann. Dieser Antrag ist nichts ungeheuerliches sondern hat sein Vorbild in der jüngsten Deutschen Verfassung. Die Deutsche Verfassung, die jetzt Kraft ist und die aus dem Vorjahre stammt selbst in dem Artikel 18, dass die Gliederung Reiches in Länder unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung erfolgten soll, und die deutsche Verfassung sieht nun vor, was geschehen soll, wenn ein Teil eines deutschen Landes seine Abtrennung oder Selbstständigkeit haben will. Diesem Vorbild entsprechend haben wir unseren Antrag gestellt, denn es sollen auch die Landesgrenzen gebildet sein nach dem
Willen der Bevölkerung, die in dies Lande wohnt, und man wird nicht gerade sagen,


 

dass unter dem Gesichtspunkte der Verwaltung die Länder, wie wir sie heute haben und wie sie als historische Gebilde ihre Grenze erhalten haben, sehr zweckmäßig eingerichtet sind. Man braucht nur einen Blick auf das Land Salzburg zu werfen und wird zum Beispiel sehen, wie wenig da einzelne Landesteile miteinander Zusammenhangen. Wir sehen es heute an Lienz, das heute nicht einmal eine unmittelbare Verbindung mit dem Land Tirol hat, zu dem es gehört. Die alten Grenzen sind uns nicht etwas Heiliges, und wenn der Staat in Gliedstaaten zerfallen soll, soll jeder Gliedstaat seine Grenzen erhalten unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit — von einem überwiegenden Reichsinteresse spricht auch die Deutsche Verfassung — und soll seine Grenzen erhalten nach dem Willen der Bevölkerung, die in diesem Lande wohnt.

Das, meine Herren, ist etwas ganz anderes, als der Antrag Fink will, und es scheint mir sachlich nicht ganz richtig, wenn der Herr Berichterstatter diese beiden Anträge miteinander in einen zeitlichen und vielleicht auch ursächlichen Zusammenhang gebracht hat. Der Antrag Fink will etwas anderes als unser Antrag. Unser Antrag will, dass die Landesgrenzen innerhalb des Staates gebildet werden nach dem Willen der Bevölkerung, der Antrag Fink konstituiert ein Recht auf Losreißung der Länder von der Republik und vom Staat. Ich enthalte mich jeder Äußerung über diesen Antrag. Es ist wohl noch selten vorgekommen, dass in einem Parlament ein solcher Antrag überhaupt gestellt worden ist (Zustimmung), vielleicht war das überhaupt noch nie in der Geschichte da. (Zustimmung.)

Wir haben, wie ich gesagt habe, den Machtverhältnissen Rechnung getragen, indem wir der Schaffung eines Bundesstaates als sozialdemokratische Partei zugestimmt haben. Wir konnten das aber nur tun unter zwei Bedingungen: Wir konnten es tun nur unter der Bedingung, dass das Prinzip des Bundesstaates in der Verfassung nicht dazu verwendet werden darf, um den Gedanken der Demokratie in einer reaktionären Weise zu verfälschen und wir konnten nur unter der Bedingung zustimmen, dass die Einheit des Wirtschaftsgebietes und, die Einheit der sozialen Gesetzgebung in unserem Staate gewahrt bleiben. In dieser Beziehung standen die Meinungen der Parteien mehr oder weniger schroff gegeneinander und es verlohnt sich wohl, hohes Haus, dass wir, um zu würdigen, was hier als Ergebnis der Beratungen dem hohen Hause vorliegt, zurückgreifen und sehen, was die Parteien da gewollt und verlangt haben.

Es ist kein gleichgültiger Streit, der da seit dem November des Jahres 1918 von den Ländern geführt worden ist, und wir Sozialdemokraten haben den tieferen Sinn dieses Streites immer verstanden. Dieses Schimpfen und Schreien gegen Wien, das wir diese anderthalb Jahre vernommen haben, diese Politik der Länder gegen Wien, die durch Absperrungen und auf alle mögliche andere Weise geführt worden ist, hat ihren tiefen politischen Grund. Sie hat ihren Grund darin, dass halt ein Gegensatz existiert zwischen dem roten Wien und den meist schwarzen Ländern, zwischen der revolutionären Hauptstadt mit ihrem Proletariat und den reaktionären Machthabern der Provinz. Es geschieht nicht das erste Mal in der Geschichte der Neuzeit, dass ein solcher Gegensatz in revolutionären Zeiten aufscheint, und es wäre nicht das erste Mal, dass versucht worden ist, in einer revolutionären Periode eine Hauptstadt zu enthauptstadten. Auch dafür haben wir ja ein Vorbild in der neueren Geschichte von Frankreich. Nur dass eben dieses Vorhaben hier bei uns in Deutschösterreich den Herren missglückt ist. Es hat sich darum gehandelt und das kann man genau verfolgen, wenn man die Verfassungsentwürfe liest, die da im Laufe der anderthalb Jahre produziert worden sind — und es ist das Bestreben gewesen, da man das gleiche Wahlrecht nicht abschaffen kann und da man die Nationalversammlung selbst nicht verfälschen kann, über diese Nationalversammlung ein neues Herrenhaus zu setzen, eine Länderkammer, die nach ganz anderen Grundsätzen zusammengesetzt sein sollte als der Nationalrat selbst und die darum eine Korrektur im reaktionären Sinne gegenüber dem Volkshause hätte sein sollen.

Demgegenüber haben wir Sozialdemokraten das Prinzip des Einkammersystems vertreten und erklärt, wenn dieses Prinzip schon verlassen werden muss, dann darf nur eine Länderkammer zustandekommen, in der die Länder gemäß der Bevölkerungszahl, die in ihnen wohnt, vertreten sind und die keine zu weitgehenden Kompetenzen hat.

Was ist nun auf diesem Gebiete — und das ist das Entscheidende für den demokratischen Charakter des ganzen Staates — von den Herren verlangt worden und was soll jetzt Wirklichkeit werden? Es verlohnt sich wohl, dass wir uns das einmal anschauen. Der Herr Staatssekretär Mayr, hat als Abgeordneter im Mai v. J. der Nationalversammlung einen Verfassungsentwurf vorgelegt. In diesem Verfassungsentwurfe war eine Länderkammer vorgesehen, in der jedes Land durch drei Vertreter, vertreten sein sollte, jedes, ohne Unterschied seiner Größe, ohne Unterschied der Bevölkerungszahl; drei Vertreter von Vorarlberg mit seinen 137.000 oder 140.000 Einwohnern, drei Vertreter von Wien mit 1,800.000 Einwohnern. Auf diese Weise wäre Wien in der Tat enthauptstadtet worden. Von 24 Vertretern in dieser Länderkammer wären drei aus
Wien gewesen und das wäre allerdings ein ganz anderes Haus gewesen als diese
Nationalversammlung, und bei den Kompetenzen, die man dieser Länderkammer


 

geben wollte — darauf werde ich noch zu sprechen kommen — wäre aus diesem Staate etwas ganz anderes geworden, als er nach unserer Meinung und nach unserer Auffassung sein soll. dass damals in dem christlichsozialen Verfassungsentwurf auch vorgesehen war, dass in dieser zweiten Kammer die Räteorganisationen eine Vertretung haben sollen, das möchte ich nur so als eine Pikanterie nebenbei erwähnen. Das war die Zeit, wo Bela Kun in Budapest residiert hat, und da schienen den Herren die Räteorganisationen etwas Modernes zu sein. (Heiterkeit.) Heute haben sich die Dinge wieder geändert und gewendet.

Es ist dann im Februar des heurigen Jahres, der Salzburger Verfassungsentwurf des Herrn Staatssekretärs Dr. Mayr gekommen, der schon ein ganz, ganz klein wenig besser war, aber, wie gesagt, nur ein klein wenig. Dieser Verfassungsentwurf hat eine Länderkammer vorgesehen, die 30 Mitglieder zählen sollte. Jeder Landtag sollte 3 Mitglieder schicken, Oberösterreich und Steiermark 4, Niederösterreich 5 und Wien auch 5. 5 von 30! Der sechste Teil aller Mitglieder dieser Länderkammer sollte aus Wien sein, während Wien drei Zehntel der Bevölkerung des ganzen Reiches umfasst.

Dann kam der Linzer Entwurf vom Monat April d. J. Der ist wieder ein ganz winziges Stück besser geworden oder eigentlich nicht einmal. Jeder Landtag 3 Vertreter, Oberösterreich und Steiermark 4, Niederösterreich 5 und Wien 6. Eine Länderkammer von 31 Mitgliedern, von denen 6 aus Wien sein sollten. Nur 6 aus Wien, das allein drei Zehntel der Bevölkerung dieses ganzen Staates umfasst! Dann kam der Antrag Mayr, der im Juni in der Nationalversammlung eingebracht worden ist; er enthält dasselbe für die Länderkammer, was der Linzer Entwurf enthalten hat.

Der deutschnationale Verfassungsantrag Dinghofer hat gegenüber Wien ähnlich verfahren wollen. Jeder Landtag sollte drei Vertreter schicken; wenn ein Land mehr als 400.000 Einwohner hat, sollte es für je weitere 400.000 Einwohner einen Vertreter mehr entsenden. Reste von der Größe der Einwohner-zahl Vorarlbergs sollten wieder einen Vertreter bekommen. Danach hätte die Länderkammer 34 Mitglieder gehabt, von denen sieben auf Wien entfallen wären, das heißt noch immer nicht einmal 1/5, nicht einmal 2/10, während 3/10 der Bevölkerung von ganz Dentschösterreich in Wien wohnen.

Was, meine Herren, ist nun gegenüber all diesen Entwürfen Wirklichkeit geworden? Wirklichkeit geworden ist ein Entwurf, der dem hohen Hause jetzt vorliegt, wonach der Bundesrat, die Länderkammer, 46 Vertreter zählen soll, von denen zwölf von Wien entsendet werden, das heißt mehr als der vierte Teil der Vertreter der Länderkammer wird wenigstens von der Stadt Wien entsendet und wenn das auch nicht ganz der Bevölkerungsanzahl entspricht, so kommt es ihr doch wenigstens sehr, sehr nahe. Außerdem ist in dem Entwurfe, der dem hohen Hause heute zur Beratung vorliegt, bestimmt, dass in jedem Lande der Landtag verpflichtet sein soll, eines der drei Mandate, die jedes Land haben muss, der zweitstärksten Partei im Lande zu überlassen, auch dann, wenn diese auf Grund des Proporzes allein auf dieses Mandat keinen Anspruch hätte, so dass also den Minderheiten in den Ländern Rechnung getragen und auf diesem Wege erreicht worden ist, dass die Tatsache, dass das kleinste Land gleich drei Vertreter entsendet, entsprechend paralysiert wird.

Der Gemeinderat der Stadt Wien hat in einer Kundgebung vor kurzem verlangt, dass Wien im Bundesrat entsprechend seiner Bevölkerungszahl vertreten sein soll. Der Antrag ist im Wiener Gemeinderat einhellig beschlossen worden; auch die Vertreter der christlichsozialen Partei haben Mann für Mann für diesen Antrag gestimmt.

Leider hat die christlichsoziale Partei hier in diesem hohen Hause, auf das es ja ankommt, nicht dafür gestimmt, dass die Länder, dass also auch die Stadt Wien im Bundesrat entsprechend ihrer Einwohnerzahl oder wenigstens entsprechend der Zahl der Bundesbürger, die in jedem einzelnen Lande wohnen, vertreten sein sollen. Aber das, was zustande gekommen ist, und was in der Gesetzesvorlage steht, sticht immerhin weit ab von all den reaktionären Plänen, die man da in diesen anderthalb Jahren gehabt hat.

Wir verkennen nicht, dass es sich in dem Kampfe um die Mandate für den Bundesrat nicht darum gehandelt hat, ein paar Mandate mehr oder weniger, für den oder jenen zu haben, dass das keine Frage der Mandatsjägerei gewesen ist, sondern es ist eine Machtfrage ersten Ranges gewesen, die da zu entscheiden war, und eine Frage, die von äußerster Wichtigkeit vor allem für die Arbeiterklasse ist. Denn wenn man uns darauf verwiesen hat, dass es schließlich in dem Bundesstaate selbstverständlich wäre, dass jeder Gliedstaat ohne Rücksicht auf seine Größe, ohne Rücksicht auf seine Bevölkerungszahl eine gleich starke Vertretung hat, wenn man uns darauf verwiesen hat, dass das zum Beispiel auch in der Schweiz so ist, wo die Kantone ja auch nicht einander an Einwohnerzahl gleichen, so dürfen wir doch nicht vergessen, dass die Schweizer Verfassung aus ganz anderen geschichtlichen Umständen heraus geworden ist, dass die soziale Struktur der Schweiz eine ganz
andere ist als die unseres Staates. Bei uns ist es so, dass infolge der Siedlungsverhältnisse
der Industrie die Arbeiterklasse zum weitaus überwiegenden Teil auf


 

dem Fleck von Wien zusammenwohnt und dass in allen Ländern dieses Staates mit Ausnahme von Wien die Arbeiterklasse nur eine Minderheit darstellt. Wien den anderen Ländern ohne Rücksicht auf die Einwohnerzahl gleichstellen heißt, die Arbeiterklasse nullifizieren, das heißt die Arbeiter um ihren Einfluß, um ihre Geltung und um ihre politische Macht in diesem Staate bringen wollen. (Sehr richtig!)

Das war der Kampf, um das hat es sich in Wirklichkeit den Herren gehandelt und vielleicht geht bei manchen wenigstens diese bundesstaatliche Idee nur darauf zurück, auf einem Umwege die Arbeiterklasse wieder zu entrechten, um die Rechte zu bringen, die sie sich in den Tagen des Umsturzes geholt hat. (Lebhafter Beifall.) Dieser Plan ist allerdings zuschanden, geworden und das, was wir heute vor uns haben, ist ein Bundesrat, der seiner Zusammensetzung nach — diese Sicherheit können die Arbeiter heute haben — nicht wesentlich abweichen wird von der Zusammensetzung der Nationalversammlung. Es wird also zwischen Bundesrat und Nationalrat in den entscheidenden Fragen kaum eine wesentliche Meinungsverschiedenheit sein können.

Aber es hat sich uns nicht nur darum gehandelt, wie dieser Bundesrat zusammengesetzt sein, sondern auch darum, welche Kompetenzen dieser Bundesrat erlangen soll. Auch da, meine Herren, ist es ganz nützlich, wenn wir auf das zurückblicken, was man gefordert und verlangt hat und auf das, was nun als Beschluss, des Verfassungsausschusses, als Antrag vor dem hohen Hause liegt. Der Verfassungsantrag Mayr aus dem Mai des Jahres 1919 hat beide Häuser, die Nationalversammlung und die Länderkammer, einander gleichgestellt. Es war ein wirkliches Herrenhaus, das dieser Antrag Mayr verlangt hat und nicht einmal der Bundesvoranschlag sollte eine alleinige Angelegenheit der Nationalversammlung sein. Beide Kammern gemeinsam sollten nach dem Anträge der christlichsozialen Partei von damals die Bundesregierung wählen, beide Kammern gemeinsam den Herzog der Bundesarmee, der in dieser Verfassung noch vorgesehen war, und wenn bei einem Gesetze eine Übereinstimmung beider Häuser nicht zu erzielen war, dann sollte dieses Gesetz als abgelehnt gelten. Wenn wir daran denken, dass diese zweite Kammer eine Kammer war, bei der Wien drei Vertreter von 24 hatte, dann können wir uns lebhaft vorstellen, dass diese Länderkammer kein Arbeiterschutzgesetz durchgelassen hätte und dass hier durch einen solchen Plan der Fortschritt der sozialen Gesetzgebung und auch der kulturellen Gesetzgebung begraben gewesen wäre. Auf Beschluss schon einer Kammer, auf Vorschlag des Bundespräsidenten, der dadurch eine besondere Macht erlangt hätte, sollte eine Volksabstimmung stattfinden können.

Im zweiten Antrag Mayr, der ein Jahr später gekommen ist, im Juni des heurigen Jahres, lagen die Dinge schon ein wenig anders. Da konnten wir schon den Vorschlag lesen, dass, wenn das Länderhaus der Nationalversammlung nicht zustimmt, die Nationalversammlung, ein Gesetz zum zweiten Mal beschließen kann und wenn sie das mit einer Zweidrittelmehrheit tut, dann ist es als Gesetz kundzumachen. Das war ein Vorschlag, der für uns noch immer unannehmbar war, weil auch dann noch jedes Arbeiterschutzgesetz Gefahr lief, hier einer Zweidrittelmehrheit zu bedürfen und darum unmöglich zu werden. Aber es war immerhin schon etwas anderes als das, was der Antrag Mayr im Mai 1919 vorgesehen hat. Verfassungsänderungen, Änderungen des Wehrgesetzes und Staatsverträge sollten nur mit Zustimmung der Länderkammer Gesetz werden können, sonst nicht. Wenn keine Übereinstimmung in diesen Fragen zu erzielen war, dann sollte auf Beschluss des Nationalrates oder auch auf Beschluss der Länderkammer eine Volksabstimmung stattfinden müssen.

Der Antrag Dinghofer, der deutschnationale Verfassungsentwurf, der der Nationalversammlung im Juni dieses Jahres überreicht worden ist, hat gar die Bestimmung enthalten, dass Regierungsvorlagen nur mit Zustimmung des Bundesrates eingebracht werden dürfen. Das wäre auch eine Bestimmung gewesen, die für uns ganz unannehmbar ist. Er enthielt weiter die Bestimmung, dass, wenn keine Übereinstimmung zwischen beiden Häusern zu erzielen ist, der Bundespräsident mit Zustimmung des Bundesrates den Nationalrat auflösen kann. Das wäre eine Verfassung gewesen, die die Rechte der Nationalversammlung sehr wesentlich beschränkt hätte.

Und was ist nun Wirklichkeit geworden? Was steht in der Vorlage des Ausschusses? In der Vorlage des Ausschusses steht vor allem, dass diese Nationalversammlung nunmehr auf Grund eines wirklich gleichen Wahlrechtes gewählt werden wird. Jede Wahlkreisgeometrie, wie wir sie heute haben, wird künftig ausgeschaltet sein, denn die Mandate sind gemäß einer Bestimmung der Verfassung auf die einzelnen Wahlkreise entsprechend der Bevölkerungszahl zu verteilen. Ein Privilegium für Vorarlberg, Salzburg und Tirol wie in der heutigen Verfassung wird es also in der Verfassung, die wir jetzt beschließen sollen, nicht mehr geben. Es wird niemand nach dieser Verfassung das Recht haben, den Nationalrat zu vertagen, außer er selbst. Es wird niemand das Recht haben, den Nationalrat aufzulösen, nur er selbst kann das durch ein Gesetz tun, das er beschließt,
und ihm sind die Gesetze vorbehalten, die sich auf den Staatsvoranschlag und auf den


 

Rechnungsabschluss beziehen, ihm sind die Bewilligung und Konvertierung von Bundesanleihen vorbehalten.

In diesen wichtigen Finanzfragen hat er allein zu entscheiden und wird der Bundesrat nichts dareinzureden haben. Und in den Fragen der Gesetzgebung wird es nun so sein, dass, wenn die Nationalversammlung beschlossen, hat, dem Bundesrat nicht mehr als ein Einspruchsrecht zustehen wird, ein Einspruchsrecht, ähnlich dem, das heute die Staatsregierung hat.

Binnen acht Wochen wird sich der Bundesrat zu äußern haben und wenn er sich abweichend geäußert hat, dann wird der Nationalrat noch einmal beschließen, und wenn bei diesem Beschlusse die Hälfte aller Abgeordneten anwesend ist, dann wird dieser Beschluss Gesetz sein und das Gesetz wird kundgemacht werden, auch wenn der Bundesrat diesem Gesetze seine Zustimmung nicht erteilt hat.

Eine Volksabstimmung kann nur stattfinden, wenn sie der Nationalrat verlangt, wenn er es mit Mehrheit beschließt oder wenn es wenigstens die Hälfte seiner Mitglieder verlangt. Nur in den Fragen der Verfassung ist es anders. Bei einer teilweisen Änderung der Verfassung kann ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates die Volksabstimmung verlangen. Gesamtänderungen der Verfassung müssen überhaupt einer Volksabstimmung unterworfen werden.

Das sind wesentlich andere Bestimmungen, meine Herren, als die, die von den Christlichsozialen und der großdeutschen Partei verlangt worden sind. Und wenn wir auch den Bundesrat überhaupt für eine überflüssige Einrichtung halten: da er nicht zu vermeiden war, ist er hier in seiner Kompetenz doch auf ein Minimum beschränkt und wird die Gesetzgebung nicht zu verhindern vermögen.

Er ist auf ein Minimum von Kompetenz beschränkt und seine Zusammensetzung wird nicht wesentlich von der des Nationalrates verschieden sein, so dass also von einer Verfälschung der Demokratie, wie sie in den Verfassungsentwürfen des vorigen Jahres geplant gewesen ist, die Rede nicht mehr sein kann.

Man hat uns Sozialdemokaten mitunter vorgeworfen, dass wir dem Gedanken der Volksabstimmung nicht in einem weiteren Ausmaß haben Rechnung tragen wollen, obwohl gerade die Volksabstimmung etwas demokratisches ist. Demgegenüber möchte ich sagen, dass uns die Volksabstimmung keineswegs als etwas absolut demokratisches und zweckmäßiges erscheint, und zwar deshalb, weil es bei der Kompliziertheit der heutigen Gesetzgebung sehr schwer ist, einfach mit Ja oder Nein zu entscheiden und weil komplizierte Gesetze, wie man sie heute zu machen hat, eben nur in einer beratenden Körperschaft wirklich gemacht und entschieden werden können. Das Volk allerdings soll entscheiden, durch seine gewählten Vertreter entscheiden, und soll diese gewählten Vertreter gut kontrollieren können. Darum verlangen wir Sozialdemokraten eben die zweijährigen Gesetzgebungsperioden. Unser Antrag ist leider in der Minderheit geblieben. Er liegt dem hohen Hause als Minderheitsantrag vor. Das ist die richtige Volksabstimmung, dass das Volk alle zwei Jahre in einem kurzen Zeiträume entscheidet, welche Vertreter es mit der Schaffung der Gesetze betrauen will, die im Staate eben notwendig sind. Das ist ein zweckmäßigerer Vorgang als der, der von anderer Seite vorgeschlagen worden ist. Die Herren haben dieser zweijährigen Volksabstimmung leider nicht Rechnung tragen wollen. Vielleicht überlegen Sie es sich doch, dann würde unsere Verfassung noch demokratischer werden, als sie in dieser Vorlage ist.

Ein anderer Plan, der bestanden hat, ist auch zunichte gemacht worden. Es war der Gedanke, dass diese Republik einen eigenen Präsidenten bekommen soll, der vom ganzen Volke gewählt ist. Auch das schaut sehr demokratisch aus. Wir wissen aber aus der Geschichte, dass diese Volkswahl eines Präsidenten sehr leicht zu zäsaristischen Experimenten benützt werden kann, und namentlich in unserer Zeit wäre das unter Umständen auch nicht ganz ausgeschlossen. Was jetzt zustande gekommen ist, das ist allerdings ein eigener Präsident. Wir haben ihn für überflüssig gehalten. Wir waren der Ansicht, dass die Kompetenz, die man dem Präsidenten geben will — es ist nicht allzuviel und es sind keine wesentlichen Dinge — sehr wohl so wie heute vom Präsidenten der Nationalversammlung besorgt werden könnte.

Die Herren haben es anders gewollt. Es wird einen eigenen Präsidenten geben. Aber keinen vom Volke gewählten, sondern einen wie in Frankreich von beiden Kammern gewählten. Allzu viel wird er nicht zu tun haben und ein allzu interessantes Amt wird es, wie ich glaube, auch nicht sein, ein eigener Bundespräsident zu sein. Vielleicht wird sich jemand finden, der dieses Amt, das die Verfassung da schafft, auch wirklich wird übernehmen wollen. (Heiterkeit.) Eine Bestimmung ist allerdings in dem Verfassungsentwurfe darinnen, die die Herren auf unseren Antrag beschlossen haben, über die sie gelacht haben, die aber vielleicht doch nicht ganz ohne Bedeutung ist. Ein Mitglied eines regierenden oder ehemals regierenden Hauses darf nicht zum Präsidenten der Republik Österreich gewählt werden.

Was nun die Verteilung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern anlangt, so war das die andere große Frage, die die Verfassung zu lösen hatte, und ich habe auch die Art der Kompetenzverteilung
als eine Bedingung dafür genannt, unter der wir der Schaffung eines Bundesstaates haben


 

zustimmen können. Allerdings muss man hier sagen, dass unseren Wünschen nicht voll Rechnung getragen worden ist. Wenn das nicht geschehen ist, so trifft das wohl die Arbeiterklasse, es trifft aber, vor allem die ganze Volkswirtschaft und die, die darüber klagen, dass sich der Wiederaufbau in einer so schleppenden Weise vollzieht, und die Wien und die „Wiener Wirtschaft", wie man immer sagt, dafür verantwortlich machen wollen, die tragen in Wirklichkeit selbst dafür die Verantwortung, wenn sie Bestimmungen in die Verfassung hineingebracht haben, die die Einheit des Wirtschaftsgebietes nicht voll zur Geltung kommen lassen, sondern sie gefährden. Es steht allerdings in der Verfassung, dass Österreich ein einheitliches Wirtschaftsgebiet bildet, dass keinerlei Zwischenzollinien und auch keinerlei sonstige Verkehrsbeschränkungen eingeführt werden dürfen. Das ist sehr wichtig, denn wir wissen ja, dass heute auf diesem Gebiete geradezu eine Anarchie herrscht, dass jedes Land bisher ganz willkürlich Absperrungsmaßnahmen getroffen hat, die ein einheitliches Wirtschaftsgebiet unmöglich erscheinen ließen. Wir haben zugestimmt, dass, da einmal solche Absperrungsmaßnahmen vorhanden sind, hier ein Abbau erfolgen muss, dass man nicht über Nacht ganz plötzlich alle diese Maßnahmen aufheben kann. Es ist im Ausschusse der Beschluss zustande gekommen, dass der 30. Juni des nächsten Jahres der Tag ist, an dem alle diese Maßnahmen eine Ende finden müssen, wenn nicht der Bund ihnen seine Zustimmung erteilt. Den Herren ist dieses Datum zu nahe, sie verlangen, wenn ich nicht irre, den 31. August des Jahres 1922 als den Tag, bis zu welchem diese Absperrungsmaßnahmen Geltung haben sollen. Das ist ein Antrag, dem wir unsere Zustimmung nicht erteilen können. Wir meinen, dass es Zeit ist, dass man wirklich daran geht, dieses einheitliche Wirtschaftsgebiet zu schaffen. (Abgeordneter Dr. Gürtler: Das müssen Sie den Arbeiterräten sagen!) Den Arbeiterräten und Sie den Landesregierungen; denn diese haben ja das entscheidende Wort in dieser Frage zu reden. Die Arbeiterräte handeln da vielfach auch im Zusammenhange und im „Benehmen" mit den Landesregierungen. (Zustimmung.)

In der Verfassung ist allerdings zugestanden worden, dass die Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie sowohl der Gesetzgebung als der Vollziehung nach eine Angelegenheit des Bundes sein sollen. Das ist gewiss eine wesentliche Bestimmung für das Wirtschaftsleben im Staate. Es ist auch zugestanden worden, allerdings nach harten Kämpfen, dass das Ernährungswesen zu einer Bundesangelegenheit werden soll und dem Wunsche des Wiener Gemeinderates, der dort auch einhellig gefasst worden ist, ist damit Rechnung getragen worden.

Aber es sind andere Dinge in der Verfassung enthalten, die minder gut sind. dass die Agrargesetzgebung nahezu völlig den Ländern ausgeliefert wird, das werden die Herren vielleicht selbst noch bedauern. Wir haben ja hier vom Tisch der Regierung aus dem Munde des Herrn Staatssekretärs Stöckler vor gar nicht langer Zeit gehört, wie die Landesregierungen die wenigen Agrargesetze sabotieren, die die Nationalversammlung hat beschließen können, und dass selbst dieses bescheidene Stück Agrarreform, das in den letzten 1 1/2 Jahren zustande gekommen ist, kaum durchgeführt werden konnte, weil die Landesregierungen nicht wollen. Wenn nun die Landtage der entscheidende Faktor in der Agrargesetzgebung werden, dann kann man sich vorstellen, wie das Interesse der Großgrundbesitzer und der Großbauern dominieren wird und was für eine Agrarreform dann eventuell da noch herauskommen kann.

Noch bedenklicher, meine Herren, ist aber, dass Sie den Forderungen nicht der Sozialdemokratie, sondern den Forderungen der Volkswirtschaft in Bezug auf die Kraftwirtschaft nicht voll Rechnung getragen haben. Es scheint uns zum Aufbau des Staates und der Volkswirtschaft unerlässlich, dass die Kraftwirtschaft eine einheitliche sein soll, dass das Elektrizitätswesen und das Wasserrecht in die Kompetenz des Bundes fallen sollen, sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Vollziehung. Gerade hier auf diesem Gebiete, wo in der alten Zeit so vieles versäumt worden ist, wo so vieles nachzuholen ist, ist Einheitlichkeit unerlässlich und unbedingt notwendig. Die Erfahrungen des letzten Jahres haben es uns ja gezeigt, das Bestreben der Länder, auf Grund der bestehenden Gesetze hier die Kompetenzen an sich zu reißen (Abgeordneter Dr. Gürtler: Weil das „Wewa“ nicht will!), hat dazu geführt, dass nichts geschehen ist, hat dazu geführt, dass die Ennswerke zum Beispiel, weil der Herr Professor Gürtler einen Zwischenruf macht, eben noch gar nicht in Angriff genommen werden können (Abgeordneter Dr. Gürtler: Weil das „ Wewa“ es nicht erlaubt!), dass das Land Steiermark seine Hand förmlich auf die Ennswerke hat legen wollen und niemandem anderen gestatten will, die Ennswerke zu bauen, dass es aber selber auch nicht dazu kommt, das Ennswerk zu bauen. Das Land Steiermark hat im vorigen Jahre eine Wasser­rechtsnovelle gemacht, wonach, wenn sich jemand um eine Konzession für ein Wasserwerk in Steiermark bewirbt und das Land Steiermark für eigenes Projekt eine Konzession verlangt, kraft Befehles des Landesrates das Projekt des Landes Steiermark den Vorzug erhalten muss, ohne Rücksicht darauf, ob es technisch oder wirtschaftlich vorteilhafter ist oder nicht. So hat das Land Steiermark für sein Projekt die Konzession für das Enns-


 

werk schon im Juni 1919 erhalten, es ist seitdem mehr als ein Jahr verflossen, aber die Sachverständigen plagen sich noch immer damit und stellen heute fest, welche Mängel dieses Projekt aufweist, das den Vorzug vor anderen Projekten bekommen hat, die technisch und wirtschaftlich besser gewesen wären. Auf länderseparatistische Weise sind ebenso große Fragen im Staate nicht zu lösen, die ja nicht Fragen eines einzelnen Landes, sondern Fragen der Gesamtheit sind, es sei denn, dass die Länder die Absicht haben, was ich aber gar nicht glaube, dass sie etwa diese Wasserkräfte wirklich für sich monopolisieren und der Industrie des Wiener- und des Südbahngebietes in Niederösterreich die Kraftquellen abschneiden wollen. Wenn sie das in Wirklichkeit nicht wollen, dann ist nur ein einheitlicher Ausbau der Wasserkräfte möglich. Die Erfahrung zeigt und wird in Zukunft noch mehr zeigen, dass auch die ungeheuren Gelder für den Ausbau dieser Wasserkräfte zu beschaffen und rationell nur dann zu verwenden sind, wenn diese Wasserwerke nach einem einheitlichen Plane gebaut werden können. Der Gemeinderat der Stadt Wien - hat wieder einhellig — auch die Vertreter der christlichsozialen Partei haben dafür gestimmt — den Beschluss gefasst, die Nationalversammlung aufzufordern, das Wasserrecht und das Elektrizitätswesen ganz in die Kompetenz des Bundes zu geben. Ja, die Herren der christlichsozialen Partei im Wiener Gemeinderat haben sogar der sozialdemokratischen Mehrheit vorgeworfen, dass sie es verabsäumt habe, das schon vorher zu vertreten und den Ländern klar zu machen, dass es ein Lebensinteresse von Wien sei, dass das Wasserrecht und das Elektrizitätswesen einheitlich von Bundes wegen geregelt werden müssen. Die Herren hätten es in der Hand, hier die entsprechende Entscheidung zu fällen.

Wir Sozialdemokraten sind da die einzigen gewesen, die das Interesse der gesamten Volkswirtschaft und das Interesse der Entwicklung Wiens hier wahrgenommen haben, das Interesse der Entwicklung der Stadt Wien, von der heute in den Ländern mitunter die Meinung verbreitet ist, dass sie nur eine Last für diesen Staat sei, ohne die der Staat besser leben könnte, während er in Wirklichkeit ohne dieses Wien überhaupt nicht leben könnte. Kein Land ist imstande, sich aus eigenem zu ernähren, und ohne die Wiener Industrie, ohne die Wiener Steuern, ohne das, was aus Wien kommt an wirtschaftlicher und finanzieller Kraft, kann dieser Staat überhaupt nicht leben. Man sollte meinen, dass die Länder das doch erkennen und dass die christlichsozialen Mehrheiten in den Landtagen und die Landesregierungen doch, wenn sie schon auf uns nicht hören, wenigstens auf die christlichsozialen Wiener Gemeinderäte hören, dass sie, wenn sie schon auf uns nicht hören, doch wenigstens der christlichsozialen Partei in Wien Gehör schenken, die genau dasselbe in dieser Frage sagt wie wir, ja die uns sogar zum Vorwurf macht, dass wir nicht lange genug und nicht energisch genug das Recht von Wien gegenüber den Ländern vertreten haben. Aber leider, die Herren Christlichsozialen aus den Ländern denken anders als die Herren Christlichsozialen in Wien, ja sogar die Herren Christlichsozialen aus Wien in der Nationalversammlung denken anders als die christlichsozialen Gemeinderäte. Kompliziert wird das insbesondere dann, wenn es sich um dieselben Personen handelt (Heiterkeit), das Denken in dem andern Haus und das Denken in diesem Hause hier. Ich weiß nicht, wie die Herren den Konflikt untereinander lösen werden, ich muss nur mit Bedauern feststellen, dass wir hier ein Entgegenkommen nicht gefunden haben und dass das, was da als Kompromiss zustande gekommen und in der Vorlage enthalten ist, eigentlich herzlich wenig ist. Die technischen Fragen sind aus dem Elektrizitätswesen und dem Wasserrecht herausgegriffen und in die Kompetenz des Bundes für Gesetzgebung und Vollziehung gegeben worden. Ob in der Praxis diese Bestimmungen der Kompetenzen bei dieser Teilung überhaupt durchführbar sein werden, das wird sich erst erweisen. Wir lehnen die Verantwortung dafür ab. Für alles, was diese Kompetenzbestimmungen Schädliches enthalten für die Volkswirtschaft, was sie an Hemmnissen enthalten für den Wiederaufbau in diesem Staate, für das alles tragen nicht wir die Verantwortung, sondern tragen Sie die Verantwortung, meine Herren. Das wollen wir heute ganz ausdrücklich feststellen.

Was nun die soziale Gesetzgebung anlangt, steht es allerdings bester. Die Herren waren freilich der Meinung, dass der Arbeiterschutz zwar dem Bunde nicht entzogen werden kann — das haben sie von vornherein zugestanden —, soweit es sich um die Arbeiter der Industrie handelt. Für die Land- und Forstarbeiter waren die Herren anderer Meinung, waren sie sogar der Meinung, dass da auch die Sozialversicherung zu einer Landessache werden soll.

Nun, meine Herren, hätte das, wie jeder Fachmann weiß, wenn ich gar nicht von dem Politischen rede, das darin steckt, sondern rein fachlich spreche, praktisch bedeutet, dass die Land- und Forstarbeiter niemals eine Invalidenversicherung und niemals eine Altersversicherung bekommen könnten, wenn die kleinen Länder solche Kassen für die Invaliden- und Altersversicherung errichten sollen, weil das schon rein technisch und den Versicherungsrisken nach eine völlige Unmöglichkeit ist. Aber auch rein politisch muss
man sagen, dass das ein himmelschreiendes Unrecht gegenüber den Landarbeitern


 

gewesen wäre; denn dass die Landarbeiter in den Landtagen, wo die industrielle Arbeiterschaft nur wenig vertreten ist, weil eben die Industrie in den Ländern draußen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung umfasst, keine Freunde haben, haben sie in den letzten Jahrzehnten genugsam erfahren. Das alte Krankenversicherungsgesetz hat die Krankenversicherung für die Landarbeiter zu einer Landessache gemacht und es hat auch nicht einen der 17 Landtage in dem alten Österreich gegeben, der sich in den letzten 30 Jahren vor dem Umsturz entschlossen hätte, den Land- und Forstarbeitern, eine Krankenversicherung zu geben. (Sehr richtig!) Jetzt ist die Sozialversicherung eine Bundesangelegenheit geworden, das haben wir erreicht und das ist ein Erfolg, dessen sich die Landarbeiter freuen können; denn jetzt ist garantiert, dass sie eine Krankenversicherung bekommen werden, dass sie einbezogen werden können, in das große Werk der Altersversicherung und Invaliditätsversicherung, das von der neuen Nationalversammlung zu schaffen sein wird. Der Verfassungsausschuss hat mit Mehrheit beschlossen, dass auch der gesamte Arbeiterschutz, auch für die Land- und Forstarbeiter, eine Angelegenheit des Bundes sein soll. Es liegt dagegen ein Minoritätsvotum der christlichsozialen Partei vor, die Abstimmung im hohen Hause wird darüber zu entscheiden haben.

Wichtig für die Arbeiterschaft ist, dass es auch in Bezug auf das Gesundheitswesen gelungen ist, wenigstens die sanitäre Aufsicht über die Heil- und Pflegeanstalten im ganzen Staate dem Bunde zu überantworten. Wenn diese Bestimmung richtig gehandhabt werden kann, ist damit im Interesse der Arbeiterschaft, im Interesse der breiten Massen, die gezwungen sind, die Spitäler aufzusuchen, viel erreicht.

Und noch einen anderen Erfolg darf die Arbeiterschaft buchen. Es ist gelungen, in die Kompetenz des Bundes der Gesetzgebung, aber auch der Vollziehung nach das Vereins- und Versammlungsrecht zu bringen. Es wird also als letzte Instanz in diesen Angelegenheiten der Bund entscheiden und es wird nicht irgendeine arbeiterfeindliche Landesregierung die Möglichkeit haben, gegen Arbeiterorganisationen mit irgendwelchen Schikanen vorzugehen, die sehr leicht möglich gewesen wären, wenn das Land als letzte Instanz in den Fragen des Vereins- und Versammlungsrechtes hätte entscheiden können.

Im allgemeinen muss man sagen, dass der Verfassungsentwurf, der dem hohen Hause vorliegt, was die Kompetenzen auf dem Gebiete der Gesetzgebung anlangt, die Kompetenzen der Länder gegenüber dem Bunde nicht wesentlich erweitert. Was er allerdings wesentlich erweitert, ist die Kompetenz der Länder in Bezug auf die Vollziehung. Aber gerade da — und das muss mit allem Nachdruck festgestellt werden, weil es in dem Berichte des Herrn Berichterstatters leider nur wenig zum Ausdruck gekommen ist -— bringt die Verfassung, die nun zustande kommen soll, einen wesentlichen Fortschritt. Denn das, was wir bisher auf dem Gebiete der Verwaltung hatten, war völlige Anarchie, eine Anarchie, die aber angerichtet worden ist nicht von unten her, wie die Herren immer behaupten, sondern von oben her, von den Landesregierungen. Wir hatten bisher unverantwortliche Landesregierungen, sie waren niemanden verantwortlich, nicht einmal dem Landtage, der sie gewählt hat, noch viel weniger der Staatsregierung. Sie waren Organe des Staates in den Ländern, aber zur Verantwortung ziehen konnte sie der Staat nicht, und sie haben daher getan, was sie wollten und das Ende davon war die Anarchie, die wir heute haben.

Dem macht nun allerdings diese Verfassung ein Ende. Sie gibt dem Bunde ein weitgehendes Verordnungsrecht. In allen Dingen, in denen ihm die Gesetzgebung, wenn auch nicht die Vollziehung zusteht, hat er das Recht zu Verordnungen, und er hat ein Inspektionsrecht auch in den Angelegenheiten, die er nur durch ein Rahmengesetz ordnen kann. Es ist den Ländern für die Ausführungsgesetze eine Frist gegeben. Wenn ein Land nicht binnen einer Frist, die mit längstens einem Jahre bemessen werden kann, ein Ausführungsgesetz erlässt, dann geht das Recht zur Erlassung des Ausführungsgesetzes für dieses Land auf den Bund über. Das ist gewiss ein Fortschritt gegenüber dem jetzigen Zustande. Und ein Fortschritt ist es, dass für alle Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches in den Ländern der Landeshauptmann nunmehr dem Landtage verantwortlich ist, verantwortlich im Sinne der Ministerverantwortlichkeit, vor einem Bundesgerichtshof, vor dem Verfassungsgerichtshof. Und neu und wichtig ist, dass er der Bundesregierung — ebenfalls vor dem Verfassungsgerichtshofe — verantwortlich ist für den Wirkungsbereich der mittelbaren Bundesverwaltung. Wir erachten diese Bestimmungen, auf die allerdings auch der Berichterstatter in seinem Berichte mit besonderem Nachdruck hingewiesen hat, als Bestimmungen von außerordentlicher Wichtigkeit, welche die Einheit der Verwaltung in dem neuen Bundesstaat garantieren sollen.

Garantiert soll eine bessere Verwaltung, auch durch die Neueinrichtung der Verwaltungsgerichtsbarkeit werden, die durch diese Verfassung erfolgt. Der Verwaltungsgerichtshof wird eine andere Stellung haben, als er sie bisher in Österreich gehabt hat. Er wird nicht nur Entscheidungen der Behörden kassieren können, sondern er erhält das Recht, auch in der Sache selber zu entscheiden. Vor den Verwaltungsgerichtshof wird nicht nur eine Partei


 

gehen können, die sich durch die Entscheidung einer Behörde verletzt fühlt, sondern auch die Bundesregierung kann zum Verwaltungsgerichtshof gehen, wenn sie die Interessen des Bundes durch eine rechtswidrige Entscheidung oder Verfügung einer Landesbehörde verletzt erachtet.

Diese Bestimmungen im Zusammenhange mit den Bestimmungen über den Verfassungsgerichtshof, der das Recht haben wird, nicht nur Verordnungen einer Landesbehörde auf Antrag der Bundesregierung zu überprüfen, sondern auch die Verfassungswidrigkeit von Landesgesetzen zu überprüfen, diese wichtigen Bestimmungen über die oberste Gerichtsbarkeit sind eine wirkliche Garantie dafür, dass eine Einheitlichkeit in die Verwaltung kommt, wenn sie zur Durchführung gelangen. Herr Professor Gürtler lächelt darüber und dieses Lächeln ist vielleicht vielsagend. Man kann sich mancherlei dabei denken und auch wir Sozialdemokraten denken uns bei allen diesen Bestimmungen mancherlei.

Was nun die Länder selbst anlangt, so schreibt die Verfassung vor, was für die Minderheiten in den Ländern wichtig ist, dass dieselben demokratischen Prinzipien, die für die Wahlen zum Nationalrat gelten, auch in den Ländern Geltung haben müssen. Verfassungsmäßig ist also dasselbe Wahlrecht für die Landtage und für den Nationalrat gewährleistet, es ist verfassungsmäßig gewährleistet, dass man auch in den Ländern nicht durch irgendeine Wahlkreisgeometrie, durch irgendwelche Künste Mandate schieben kann, sondern das auch da entsprechend der Bevölkerungszahl, entsprechend der Zahl der Bundesbürger in den einzelnen Kreisen, die gemacht werden, die Mandate verteilt werden.

Im Zusammenhange damit möchte ich mir erlauben, einige Worte über die große Frage von Wien und Niederösterreich zu sprechen, über die auch schon der Herr Berichterstatter gesprochen hat und die eine vorläufige Lösung in dieser Verfassung findet. Es war ein Verlangen der Länder und auch ein Verlangen von Wien, dass über die Stellung der Bundeshauptstadt Wien, diese Verfassung sich besonders aussprechen soll. Der Zustand war politisch nicht mehr haltbar, dass die Stadt Wien mit 1,8 Millionen Einwohnern zusammen mit dem Lande außerhalb Wiens mit 1,4 Millionen Einwohnern in einem Landtag vertreten sein soll, der entschieden hat über die Angelegenheiten von Wien und entschieden hat über die Angelegenheiten des Landes.

Die Vertreter des Landes haben sich majorisiert gefühlt durch die Vertreter der Stadt Wien und die Stadt Wien hat es bitter empfunden, dass ihr die Selbständigkeit genommen ist und dass sie bei jeder Kleinigkeit, die eines Landesgesetzes bedurft hat, sich einem Landtag unterwerfen musste, in den außer den Vertretern der Stadt Wien auch die Vertreter des flachen Landes gewesen sind. Dem ist nun, unvorgreiflich einer endgültigen Auseinandersetzung zwischen Wien und Niederösterreich, durch die Bestimmungen dieser Verfassung ein Ende gemacht, Wien erhält die rechtliche Stellung eines selbständigen Landes, erhält sein eigenes Abgabenrecht, erhält Autonomie in Bezug auf seine Verfassung. Ein gemeinsamer Landtag wird weiter bestehen mit einer Kompetenz, die die gemeinsame Landesverfassung erst festzustellen haben wird, einer Kompetenz, die bestimmte Dinge, nur taxativ aufzählen kann; alles andere wird Sache des Wiener Gemeinderates sein, der also die Stellung eines Landtages erhalten wird, und für Niederösterreich-Land eine Angelegenheit der Kurie Land, die aus den Landtagsabgeordneten außerhalb Wiens gebildet wird. Das ist politisch ein ungeheurer Fortschritt, denn es macht Wien frei von der Bevormundung des Landes. Es ist aber auch ein Fortschritt in der Verwaltung. Man redet so viel davon, dass die Verwaltung im Staate vereinfacht, verbilligt werden soll. Hier wird die Möglichkeit gegeben sein, das unmittelbar zu tun, denn es wird, wenn die Verfassung in Kraft getreten sein wird, für Wien nicht mehr drei, sondern nur mehr zwei Instanzen geben. Wenn der Instanzenzug bis zum Bundesamt geht, dann wird die Verwaltung von Wien die erste Instanz sein, das Bundesamt die zweite. Dort wo der Instanzenzug beim Lande selbst endet, wird es innerhalb Wiens zwei Instanzen geben, keinesfalls aber drei, ein wesentlicher Fortschritt und eine Verbilligung der Verwaltung, ein Muster für das künftige Verwaltungsgesetz, das rücksichtlich der Neueinrichtung der Verwaltung im ganzen Staate noch zu schaffen sein wird.

Es ist in den Zeitungen der Vorwurf erhoben worden, dass diese Bestimmungen, die da über Wien und Niederösterreich getroffen wurden, ungünstig seien, weil man drei Landesregierungen haben wird. Das ist aber ein Irrtum; es wird für die gemeinsamen Landesangelegenheiten, deren es ja jedenfalls nicht sehr viele geben wird, eine gemeinsame Verwaltungskommission geben, die von Wien und Niederösterreich eingesetzt sein wird, und es, wird die gegenwärtige Landesregierung, wie es im Übergangsgesetz bestimmt ist, die erste Verwaltungskommission sein. Sie wird aber damit nicht eine dritte Landesregierung neben der Landesregierung von Wien und der des flachen Landes Niederösterreich sein, sondern sie wird Verwaltungskommission vielleicht nur 24 Stunden sein, bis eben der Landtag versammelt ist und die Verwaltungskommission wählt, die auf Grund der Verfassung für diese gemeinsamen Angelegenheiten vorgesehen ist.


 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir auch erlauben, einen Vorwurf zurückzuweisen, der in der Presse gegen die sozialdemokratische Mehrheit des Wiener Gemeinderates nach der Richtung hin erhoben wurde, dass sie versucht habe, sich die Diäten der Mitglieder der Stadtregierung nach ihrem Belieben zu sichern. Demgegenüber stelle ich folgendes fest: Das Gesetz über die Bezüge der Volksbeauftragten vom vorigen Jahre enthält die Bestimmung, dass auch die Landesräte und die Mitglieder der Landesregierungen ihre Bezüge vom Staate erhalten. Diese Bestimmung ist sehr bald als eine Sonderbarkeit empfunden worden. Die Länder können sich Landesregierungen einsetzen, so wie sie wollen, ganz nach Belieben. Ein Land wie Vorarlberg mit einigen wenigen Dutzend Beamten in der politischen Verwaltung hat zehn oder ein ganzes Dutzend von Landesräten und Landesregierungs­mitgliedern. Die Länder waren da frei und konnten machen, was sie wollten, der Bund sollte diese politischen Hofräte in den Ländern bezahlen. Die Länder selber — einige wenigstens — haben sich, wie uns bekannt ist, dagegen gewehrt und wollten das gar nicht. Die neue Verfassung schafft es auch ab. Es ist aber dann von einer Seite der Antrag gestellt worden, dass die Bestimmung, dass die Länder die Kosten für die Landesregierungen selber tragen sollen, auch erst dann in Kraft treten soll, bis die Verfassungsbestimmungen über die Kompetenzen in Kraft treten werden. Wir haben dem zugestimmt. Die Geltung dieser Bestimmung ist also aufgeschoben und es hat sich darum gehandelt, dass man nun diese Bestimmung nicht für Wien neu einführt, die in wenigen Monaten, bis die Kompetenzbestimmungen der Verfassung wirksam werden, für alle Länder aufgehoben werden wird. Um das hat es sich gehandelt, nicht um irgendeine Diätenschinderei, wie es da in einer Zeitung gegenüber der Wiener Stadtregierung geheißen hat.

Eine sehr wichtige Frage, die mit dieser Verfassung zusammenhängt, ist die Frage der Verwaltungsreform. Wir Sozialdemokraten haben seit jeher erklärt, dass wir einer Verfassung nicht zustimmen können, wenn nicht zugleich eine Reform der Verwaltung in die Wege geleitet wird. Hier handelt es sich aber nicht nur um technische Verbesserungen der Verwaltung, obwohl auch diese sehr wichtig wären, sondern um einen gewichtigen Schritt nach vorwärts in der Demokratisierung dieses Staates. Die Bundesregierung wird vom Nationalrate gewählt, an der Spitze der Bundesverwaltung stehen gewählte Vertreter, die Landesregierungen werden von den Landtagen gewählt, an der Spitze der Landesverwaltung, in der zweiten Instanz, entscheiden gewählte Vertreter. Nur in der ersten Instanz, in der Bezirkshauptmannschaft, ist bisher alles beim alten geblieben. Der alte Bezirkshauptmann waltet noch immer seines Amtes, ohne dass die Bevölkerung im Bezirke etwas dreinzureden hat. Vor einem halben Jahrhundert sind diese Bezirkshauptmannschaften geschaffen worden und sie mögen damals eine nützliche Einrichtung gewesen sein. Heute ist das wirtschaftliche und soziale Leben in den meisten Bezirken von Deutschösterreich so kompliziert und so mannigfach geworden, dass kein Mensch, und wäre er auch der tüchtigste Staatsbeamte, das alles, was sich da in seinem Bezirke vollzieht, allein über, schauen oder gar allein Entscheidungen treffen kann, die Fachkenntnisse der mannigfachsten Art erfordern. Das, was der Bezirkshauptmann für seine Amtsführung vor allem braucht, ist das Vertrauen der Bevölkerung und das hat der Beamte der Zentralregierung nicht oder nicht immer. Die Bevölkerung will heute mitentscheiden und alle Versuche, die die Herren der christlichsozialen Partei vielfach als ein Hineintragen der Anarchie in die Verwaltung bezeichnet haben, wie die Eingriffe der Arbeiterräte, sind vielfach darauf zurückzuführen, dass eben die Bevölkerung über die Dinge, die in dem Bezirke vorgehen, mitentscheiden und die Dinge nicht allein der Entscheidung eines Beamten überlassen will.

Es hat sich auch praktisch schon längst als unmöglich herausgestellt, dass der Bezirkshauptmann allein amtieren kann. Man hat allerhand Notbehelfe genommen, man hat zum Beispiel Bezirkswirtschaftskommissionen eingesetzt und andere Einrichtungen mehr geschaffen, durch welche Vertreter der Bevölkerung zur Amtsführung im Bezirke herangezogen werde sollen.

Das alles genügt nicht, das alles muss vereinheitlicht werden, es muss, so wie es einen Landtag gibt, der eine Landesregierung wählt, eine Bezirksvertretung geben, die den Mann, der die Bezirksverwaltung zu führen hat, selber wählt und selber bestimmt.

Diese Verfassung nun, die wir hier vor uns haben, verheißt eine Demokratisierung der Verwaltung, sie verheißt eine Verwaltungsreform. Nun könnte man ja gegenüber solchen Verheißungen sehr skeptisch sein. Schon das alte Reichsgemeindegesetz aus den sechziger Jahren hat ähnliches verheißen, auch das Gesetz vom 14. November des Jahres 1918 über die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern hat eine Kreisordnung für Deutschösterreich verheißen. Solcher Verheißungen bestehen schon mannigfache. dass aber die jetzige Verheißung Wirklichkeit werden wird, dafür bürgt die Tatsache, dass die Kompetenzbestimmungen dieser Verfassung nicht eher in Kraft treten können, ehe dieses neue Verwaltungsgesetz nicht geschaffen sein wird.
Die Verfassung selber enthält wenigstens einige Grundsätze für diese Verwaltungsreform.
 Sie enthält den Grundsatz, dass Gebietsgemeinden in allen Ländern


 

geschaffen werden müssen, sie enthält den Grundsatz, dass diese Gebietsgemeinschaften eigene Wirtschaftskörper mit einem eigenen Abgaberecht sein werden. Sie enthält allerdings keine Bestimmung darüber, dass an der Spitze der Bezirksverwaltung ein gewählter Vertreter stehen soll. Darüber wird eben erst das neue Verwaltungsgesetz zu bestimmen haben und es wird von dem Urteil des Volkes am 17. Oktober abhängen, wie dieses neue Verwaltungsgesetz ausschauen wird, dieses Gesetz, das auch in anderer Beziehung sehr wichtig sein und Machtfragen im Staate zu lösen haben wird.

Es ist in der Verfassung, in den Kompetenzbestimmungen festgesetzt, dass Gendarmerie und staatliche Polizei Bundesangelegenheiten sein sollen. Inwieweit den Landesregierungen ein Verfügungsrecht zusteht, wird dieses neue Verwaltungsgesetz bestimmen. Es handelt sich hier um nicht unwichtige Machtfragen im Staate und wir werden, das kann ich gleich jetzt sagen, darauf dringen, so wie wir es schon bei der Beratung der Verfassung getan haben, dass der Bürgermeister von Wien, der die Stellung eines Landeshauptmannes durch diese Verfassung bekommt, über die Wiener staatliche Polizei dasselbe Verfügungsrecht bekommen muss, das jeder Landeshauptmann über die Gendarmerie bekommt. dass die Bundeshauptstadt Wien in irgendeiner Form schlechter und anders behandelt werden könnte als irgendeine Landesregierung sonst im Bunde, das ist völlig ausgeschlossen. (Sehr richtig!)

Es handelt sich aber bei der Verwaltung auch noch um etwas anderes. Es handelt sich darum, dass auch den Städten ein besonderes Recht gewährleistet sein soll. Die städtische Entwicklung in Deutschösterreich ist leider überhaupt gering und, die städtische Entwicklung zu fördern, wäre ein kulturelles und wirtschaftliches Interesse des Staates. Wir wissen, dass die Landtage den Städten in der Regel nicht sehr freundlich gesinnt sind. Das hat seine Ursache darin, dass die Vertretungen der Städte in der Regel politisch anders geartet sind, als die Mehrheiten der Landtage es sind, und wir wissen, dass die Städte selber eine besondere Sicherung verlangen. Sie haben zwar eine gewisse Autonomie durch die Gemeindegesetzgebung und insbesondere die Städte mit eigenem Statut, deren es allerdings nicht sehr viele gibt, sind ja in der Richtung besser gestellt. Es ist aber notwendig, dass eine Gemeinde, von einer gewissen Einwohnerzahl angefangen, den Anspruch darauf hat, eine Stadt mit eigenem Statut, eine Stadt mit Sonderrechten zu werden, die auch einer Landtagsmehrheit gegenüber, die anders gesinnt ist, ihr Recht für sich allein hat und eine gewisse Autonomie besitzt. Der Verfassungsentwurf trägt dem Rechnung, indem er wenigstens den Städten, die mehr als 20.000 Einwohner haben, das Recht gibt, zu verlangen, dass sie Gebietsgemeinden werden, das heißt also, dass sie ungefähr das werden, was jetzt die Städte mit eigenem Statut sind, dass die Bezirksverwaltung eine Angelegenheit dieser Städte selbst wird. Aber noch um etwas anderes handelt es sich. Alle Autonomie der Gemeinde hat keinen Wert, wenn die Frage der Finanzen für sie nicht gelöst ist. Und da waren die Gemeinden bis jetzt völlig auf die Landtage angewiesen. Sie können keine Steuern einheben, sie können ihre Umlagen über ein gewisses Maß nicht erhöhen, ohne dass der Landesrat oder der Landtag zustimmt. Diese Finanzfrage der Gemeinden zu ordnen schien uns außerordentlich wichtig, und dass über sie nicht hinweggegangen werden kann, garantiert nun ebenfalls diese Verfassung. Es wäre nahegelegen, dass, wenn die, finanzielle Auseinandersetzung zwischen Bund und Ländern kommt, die Gemeinden dabei übergangen werden; es wäre nahegelegen, dass Bund und Länder sich auseinandersetzen und die Gemeinden dabei völlig leer ausgehen, weil alles, was der Bund an Steuerquellen und Steuererträgnissen den Ländern überlassen will, diesen eben allein zufällt und für die Gemeinden nichts übrig bleibt. Demgegenüber haben wir den Standpunkt vertreten, dass bei dieser Auseinandersetzung die Gemeinden als die Dritten erscheinen müssen, und es ist nun in der Verfassung festgelegt, dass, wenn diese Auseinandersetzung kommt — und solange das Gesetz darüber nicht geschaffen ist, treten die Kompetenzen dieser Verfassung eben nicht in Wirksamkeit — dass, wenn dieses Gesetz kommt, es auch die Finanzfrage der Gemeinden regeln muss, dass Bundesgesetze bestimmen werden, welche Steuern den Gemeinden überlassen bleiben, welcher Anteil an staatlichen Steuern den Gemeinden zufallen wird und welche Zuschüsse die Gemeinden vom Bund zu erhalten haben. Diese finanzielle Sicherung der Gemeinden, die wir gemäß einem Beschlüsse der Generalversammlung des deutschösterreichischen Städtebundes vertreten haben, garantiert den Gemeinden, dass ihre Selbständigkeit aufrecht erhalten bleibt und dass sie besser gesichert werden, als es nach den bisherigen Bestimmungen der Verfassung möglich war.

Was man aber als den größten Fortschritt bezeichnen muss, das ist der, dass unmittelbar eine Bezirksvertretung geschaffen wird, auch bevor das neue Verwaltungsgesetz für den Bund kommen wird und bevor die neue Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern in Kraft treten wird. Denn innerhalb vier Monate nach dem Inkrafttreten dieser Verfassung, also vier Monaten vom November an gerechnet, wird der Bund nach den Bestimmungen, des Übergangsgesetzes ein provisorisches Verwaltungsgesetz zu schaffen
haben, welches Bezirksvertretungen für die heutigen Bezirkshauptmannschaften vorsieht.


 

und binnen weiteren vier Monaten werden die Länder die Ausführungsgesetze dazu zu schaffen haben, so dass also die Bezirksvertretungen im nächsten Herbst wohl werden gewählt werden können. Damit schreitet die Demokratisierung in diesem Staate ein wesentliches Stück nach vorwärts und eine dringende Forderung, vor allem der Arbeiterklasse in den Ländern draußen, findet damit ihre Erfüllung. Das Selbstbestimmungsrecht der Bezirke ist damit, wenn auch nicht voll gesichert, so doch in einer unmittelbar bevorstehenden Zeit in die Wege geleitet. Das erachten wir als einen der wesentlichsten Fortschritte, den die Verfassung gebracht hat.

Trotz allem, hohen Haus, verhehlen wir Sozialdemokraten uns nicht, dass die Verfassung, die da vor uns liegt und die nun Beschluss werden soll, nur ein Stückwerk ist. Wichtige Fragen haben ihre Lösung nicht finden können. Die Schulfrage vor allem ist nicht gelöst und ist auf ein künftiges Gesetz verwiesen worden. Die Gegensätze waren hier zu groß, als dass ein Übereinkommen hätte gefunden werden können. Das ist sehr beklagenswert, denn man kann wohl sagen, dass eine Verfassung, die diese für das Volk entscheidende Frage nicht löst, eigentlich den Namen einer Verfassung gar nicht verdient. Aber es werden eben auch die Kompetenzbestimmungen für die Länder nicht früher in Kraft treten, bevor nicht dieses neue Schulgesetz geschaffen sein wird, und die nächste Nationalversammlung, die die Aufgabe hat, dieses Schulgesetz und die Verwaltungsgesetze zu beschließen, wird dann auch über die Grund- und Freiheitsrechte zu beschließen haben, über dieses wichtige Kapitel einer Verfassung, das in dem Werke, welches dem hohen Hause zur Beschlussfassung eben vorliegt, ebenfalls fehlt.

Wie diese Verfassungsgesetze, die die nächste Nationalversammlung zu schaffen haben wird, ausschauen werden, das wird wesentlich von der Zusammensetzung abhängen, welche die nächste Nationalversammlung haben wird. Und so dürfen wir sagen, dass am 17. Oktober eine Volksabstimmung stattfinden wird, eine Volksabstimmung über alle diese Gesetze, die zur Verfassung gehören und die noch zu schaffen sein werden, damit die Verfassung ein vollständiges Werk wird, eine Volksabstimmung über die Grund und Freiheitsrechte, eine Volksabstimmung über die Frage der Schulentwicklung, eine Volksabstimmung über die Frage, ob und wie die Verwaltung im Lande demokratisiert werden soll. Das Volk selbst wird am 17. Oktober darüber zu entscheiden haben.

Der Herr Professor Gürtler hat während meiner Ausführungen, als ich von den Garantien für eine einheitliche Verwaltung sprach, einige Male gelächelt. Dieses Lächeln sollte offenbar bedeuten, dass es doch nur ein Stück Papier ist, was hier fertiggestellt wird, es sollte vermutlich bedeuten, dass doch die tatsächlichen Machtverhältnisse entscheiden werden, was die Länder nun mit dieser Verfassung anfangen werden. Demgegenüber möchte ich, meine Herren, sagen, dass wir Sozialdemokraten uns gar keiner Täuschung hingeben. Bei dieser ganzen Verfassungsarbeit haben wir daran gedacht, dass uns der Tadel nicht treffen soll, den Ferdinand Lassalle in seiner berühmten Verfassungsrede einmal ausgesprochen hat, als er sagte: „Die Diener des Fürsten sind keine Schönredner, wie es die Diener des Volkes oft sind, aber es sind praktische Leute, die den Instinkt haben, worauf es ankommt." Worauf es ankommt, meine Herren, das war auch uns Sozialdemokraten in jedem Augenblick bewusst, in dem wir an dieser Verfassung gearbeitet haben. Worauf es ankommt, das ist uns auch in diesem Augenblick bewusst, wo die Verfassung beschlossen wird, und das wird uns auch dann bewusst sein, wenn diese Verfassung in Geltung sein wird. Worauf es ankommt, das sind die tatsächlichen Machtverhältnisse, deren Ausdruck die Verfassung sein muss, wenn sie mehr sein soll, als ein wertloses Stück bedruckten Papieres. Und da, meine Herren, überschätzen wir nicht, aber wir unterschätzen auch nicht, was da geschieht. Wir unterschätzen es nicht, dass alle Parteien in diesem hohen Hause, dass alle Parteien im Staate Deutschösterreich, indem sie die Verfassung beschließen, ein Bekenntnis ablegen für die Republik, dass sie ein Bekenntnis in einem Zeitpunkte ablegen, in dem die Gefahr der Konterrevolution sich um diese kleine und schwache Republik immer drohender zusammenballt. Wir unterschätzen es nicht, dass alle Parteien in diesem Hause ein Bekenntnis für die Republik in einem Zeitpunkte ablegen, in dem wir sehen, wie die Fäden der ausländischen Konterrevolution immer stärker zu politischen Faktoren auch in unserem Lande selber gesponnen werden. Wir unterschätzen es nicht, dass in einem solchen Augenblicke alle ein Bekenntnis für die Republik ablegen, aber wir sind weit davon entfernt, dieses Bekenntnis und diese Abstimmung zu überschätzen.

Wir sind davon weit entfernt, denn wir wissen, dass die Frage, ob diese Verfassung Gültigkeit haben wird, ob die Republik Bestand haben wird, eine solche ist, die in letzter Linie nicht von diesem Stück bedruckten Papier abhängig sein wird, sondern dass das eine Frage ist, die von den tatsächlichen Machtverhältnissen abhängig ist. Eine Wehrmacht, die wirklich treu zur Republik steht, ist eine bessere Garantie für die Republik und für die Verfassung als irgendeine Abstimmung (Zustimmung), und dass die Arbeiterklasse zur Republik stehen
und sie bis zum äußersten verteidigen wird, das dürfen wir sagen und das ist ein Machtfaktor im Lande, der


 

von wesentlicher Bedeutung für den Bestand der Republik, sein wird. Die Arbeiter verteidigen diese Republik, obwohl diese demokratische Republik und diese Verfassung, wie wir alle wissen und wie den Herren auch bekannt ist, keineswegs das letzte und das entscheidende Ziel der Sozialdemokraten ist, denn auch in diesem Staate, auch in dieser demokratischen Republik lebt der Kapitalismus, auch in diesem Staate schaffen die Arbeiter Mehrwert für ihre Ausbeuter, wenn auch als politisch freie und als gleichberechtigte Bürger, aber sie sind auch in diesem Lande wirtschaftlich ausgebeutet. Wenn sie aber die Republik verteidigen, dann verteidigen sie sie als den Boden, auf dem sie ihren Klassenkampf führen können, als den Boden, auf dem sie ihren Kampf gegen den Kapitalismus führen können. Es ist nur eine kleine und eine ganz bescheidene Bestimmung über die wirtschaftliche Demokratie, die in dieser Verfassung im Artikel 18, glaube ich, enthalten ist, die aber auch den Widerwillen der Herren erregt, denn sie haben ja einen Minderheitsantrag eingebracht, dass diese Bestimmung gestrichen werden soll. Die Aufrichtung der wirtschaftlichen Demokratie, die Umwandlung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in eine sozialistische, das ist das letzte und das größte Ziel, das wir haben. Die Demokratie, die demokratische Republik, sie ist uns nur der Boden, auf dem wir den Kampf um unser letztes Ziel führen, und ob dieser kleine Satz aus der Verfassung gestrichen wird oder nicht, das, meine Herren, ist nicht das Entscheidende. Die Machtverhältnisse werden entscheiden, die Machtverhältnisse draußen in der Welt und die Machtverhältnisse im Lande werden entscheiden, ob die politische Demokratie zu einer wirtschaftlichen Demokratie ausgestaltet und ausgebaut werden kann, ob wir zu dem letzten und großen Ziele der Sozialdemokratie und der Arbeiterbewegung gelangen. Die Machtverhältnisse werden entscheiden und darauf vertrauen wir, und wenn die Zeiten reif geworden sind, dann werden wir dazu kommen, dann werden wir vorwärts gehen über die Demokratie zum Sozialismus. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Präsident (welcher während vorstehender Rede den Vorsitz wieder übernommen hat): Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Clessin.

Abgeordneter Clessin: Hohes Haus! Wir haben heute die hundertste Sitzung der Nationalversammlung. Am selben Tage wird auch das Verfassungswerk vorgelegt. Es ist dies selbstverständlich ein Zufall, doch ist es vielleicht ein passender Zufall. Es ist gewiss eine ganz kolossale Leistung, wenn im Verlaufe einer nur eineinhalbjährigen Dauer eine Körperschaft hundert Plenarsitzungen abhält. Ich glaube, es gibt keinen Gemeinderat in Deutschösterreich, der sich rühmen könnte, so viele Plenarsitzungen abgehalten zu haben. Aber zweifellos ist diese Leistung nur eine relative. Auch unsere Verfassung, die ein ziemliches Volumen aufweist, ist in knapp sechs Wochen ausgearbeitet worden. Auch das, meine sehr Verehrten, ist nichts anderes als eine relative Leistung.

Mein sehr verehrter Vorredner Dr. Danneberg hat vieles angeführt, was in der Verfassung enthalten ist. Er hat insbesondere Gelegenheit genommen hervorzuheben, in welchen Belangen es seiner Partei, gelungen ist, Erfolge zu erzielen. Ich als Vertreter der kleinsten Partei im Hause bin leider nicht in der Lage, auf große Erfolge hinweisen zu können die meine Partei in diesem Verfassungswerk errungen hat. Ich will vielmehr zur Abwechslung den Versuch unternehmen, anzuführen, was in dieser Verfassung nicht enthalten ist. Von außerordentlich wichtigen Belangen ist in dieser Verfassung nichts enthalten über die finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern, in dieser Verfassung ist nichts enthalten über das künftige Verwaltungsgesetz; in dieser Verfassung ist vor allem die allerwichtigste Frage jeder Verfassung, die Schulfrage, ausgeschieden und in dieser Verfassung ist endlich nichts enthalten von dem, was man als Grund- und Freiheitsrechte in jeder modernen Verfassung findet. Abgesehen davon ist die Verfassung nur dadurch zustande gekommen, dass auch in vielen anderen Belangen schwächliche Kompromisse geschlossen worden sind.

Ich möchte aus dem Kreise der Kompromisse nur eines hervorheben. Das Elektrizitätswesen war im Artikel 11 fest geregelt. In jener Nachtsitzung, die von Freitag auf Samstag voriger Woche stattgefunden hat, ist das Elektrizitätswesen in einigen meines Erachtens geringfügigen Belangen in den Artikel 10 verwiesen worden, während das ganze übrige Elektrizitätswesen in die Rahmengesetzgebung der Länder übergegangen ist. Wenn man auch noch so sehr auf dem Standpunkte des föderalistischen Aufbaues unseres Staates steht, muss man dennoch zugeben, dass es wichtige Belange gibt, die zweifellos in ihrer Totalität nach einheitlichen Grundsätzen geregelt sein müssen, und zu diesen Belangen gehört auch das Elektrizitätswesen. Wenn es im Artikel 11 verblieben wäre, so wäre dem Nationalrate die Regelung aller Belange zugestanden, während die Vollziehung in den Ländern geblieben wäre. Heute aber besteht die Gefahr, dass diese wenigen technischen Belange, die nunmehr in den Punkt 10 des Artikels 11 verwiesen worden sind, seinerzeit nicht werden als ausreichend befunden werden, um tatsächlich auf wirtschaftlichem Gebiete in der Elektrizitätsversorgung all das leisten zu können, was eine einheitliche Gesetzgebung zustande bringen könnte.


 

Insbesondere glaube ich, dass begreiflicherweise die Textierung des Starkstromwegerechtes zu eng ist, denn dieses Starkstromwegerecht umfasst nicht die Berechtigung, auch jene Einrichtungen treffen zu können, die für die Fortleitung des Stromes von einer Starkstromleitung in einzelne Ortsnetze erforderlich ist, sie umfasst nicht das Recht zur Enteignung des Grundes, für die Errichtung von Transformatorenhäusern und dergleichen. Es ist also entschieden in diesem Belange ein Kompromiss zustande gekommen, welches weder dem Föderalismus entspricht, noch auch dem Zentralismus das einräumt, was sich die Vertreter dieses Gedankens von ihm erwartet haben. Wenn man aber schon auf dem Standpunkt des Föderalismus steht — und auch meine Partei steht, auf diesem Standpunkte - so muss man sagen, dass die Außerachtlassung der Regelung der finanziellen Auseinandersetzung ein derart einschneidendes Moment ist, dass man füglich von dem Entstehen eines Bundesstaates nicht sprechen kann.

Die Länder wünschen aus dem Grunde den Bundesstaat, weil sie den Gedanken der Selbständigkeit jedes Landes vertreten. Solange aber die Steuergesetzgebung zentralistisch ist und zentralistisch bleibt, sind den Ländern nicht jene Mittel an die Hand gegeben, derer sie bedürfen, um auch wirklich in den Besitz wenigstens einer Art von Selbständigkeit zu gelangen. Es wird niemandem einfallen, sich als selbständig zu betrachten, wenn er in finanzieller Beziehung völlig abhängig ist. Wenn das Söhnchen an der Tasche des Vaters hängt, wird es niemals die Behauptung wagen, dass es selbständig ist. Und nun ist, glaube ich, den Ländern mit dieser Verfassung aus dem Grunde nicht gedient, weil die Auseinandersetzung über die Austeilung, des Steuerhoheitsrechtes, also der Einnahmsquellen für die Länder, in dieser Verfassung nicht enthalten ist, sondern weil die Regelung dieser Angelegenheit, ich möchte sagen, ad calendas graecas verschoben ist.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Verwaltungsorganisationsgesetz. Wohl ist es nach unsäglichen mühevollen Beratungen gelungen, eine Kompetenzabgrenzung in den Artikeln 10 bis 13 zustande zu bringen, allein alle diese Dinge sind nur auf dem Papier und werden nur auf dem Papier bleiben, weil es nicht gelungen ist, ein Verwaltungsgesetz zu schaffen, welches es ermöglicht hatte, die Durchführung der Verwaltung nach Maßgabe der Kompetenzen, wie sie sich aus der Verfassung ergeben, auch wirklich in die Tat umzusetzen.

Endlich fehlen in dieser Verfassung die Grund- und Freiheitsrechte. Jede Verfassung ist eigentlich mehr oder weniger die Resultierende aus den Auffassungen jener Zeit, in der sie entstand. Wenn wir die Verhältnisse der Dezemberverfassung aus dem Jahre 1867 nehmen, müssen wir allerdings sagen, dass in damaliger Zeit den großen Massen des Volkes die Erringung der Grund- und Freiheitsrechte als das Wichtigste erschien, denn damals war noch die Zeit des Absolutismus, wo der einzelne Staatsbürger nicht so sehr Staatsbürger, als vielmehr Untertan war. Heute aber, wo alle Parteien ausnahmslos auf dem Standpunkte der demokratischen Republik stehen, ist es selbstverständlich, dass in der Bevölkerung das Verlangen nach Festlegung und Neuabgrenzung der Grund- und Freiheitsrechte nicht in jenem Maße vorhanden ist, wie es in der damaligen Zeit in der Bevölkerung lebendig war. Nachdem auch alle Parteien ihren Wählerkreisen keinen Zweifel darüber gelassen haben, dass es unmöglich sei, im Rahmen der kurzen uns zur Verfügung stehenden Zeit auch die Grund- und Freiheitsrechte in Beratung zu ziehen, so wird die Bevölkerung darüber kein Missbehagen empfinden, dass diese Kapitel ausgesetzt worden ist.

Ganz anders steht es aber mit den übrigen Belangen, insbesondere mit der Schulfrage. Es soll nicht verkannt werden, dass sowohl der Unterausschuss als auch die beiden großen Parteien sich Mühe gegeben haben, diese Frage im Rahmen der Verfassung zu regeln. Allein die großen Parteien suchten vorerst einen Ausweg darin, dass ein Teil der Kompetenzen über die Schule einem künftigen Verwaltungsgesetze vorbehalten sein sollte. Gerade die wichtigsten Belange, die Ernennung der Lehrer, die Regelung der Schulaufsicht, waren zur Verweisung an dieses Verwaltungsgesetz in Aussicht genommen. Als nun die Verhandlungen in der Schulfrage immer weniger und weniger Aussicht hatten, eine Klärung zu finden, wurde zuerst von der sozialdemokratischen Partei die Anregung gegeben, das ganze Schulwesen aus der Verfassung auszuschalten und es einem künftigen Verfassungsgesetz, einem Schulverwaltungsgesetz zu überweisen. Die Großdeutsche Partei hat konsequent den Standpunkt vertreten, dass die Schule etwas derart Wichtiges sei, dass für sie eine Verfassung, in welcher die Schuldfrage nicht geregelt ist, einfach keine Verfassung bedeutet. Schon bei den ersten Beratungen im Verfassungsunterausschusse habe ich als Vertreter meiner Partei die Anregung gegeben, nicht den Versuch zu unternehmen, in der kurzen Zeit, die uns zur Beratung dieser Verfassung naturgemäß zur Verfügung stand, die ganze Verfassung durchzuarbeiten, sondern als Grundlage der Beratung lediglich den sogenannten kleinen Mayr-Entwurf, Nummer 888 der Beilagen, der Beratung zugrunde zu legen. In diesem Entwurf,
den der jetzige Staatssekretär Dr. Mayr Ende Juli dieses Jahres eingebracht hat,
war im Wesentlichen nichts anderes enthalten, als die Feststellung, dass unser Staat


 

eine demokratische Republik sei, ferner die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern, schließlich die notwendigsten Einrichtungen des Staates bezüglich der Gesetzgebung durch die beiden Körperschaften Nationalrat und Bundesrat und endlich Garantien der Verfassung in Bezug auf die Gerichtsbarkeit. Wäre es uns gelungen, dieses kleine Elaborat vollständig zu beraten und insbesondere über die Schulfrage eine Klärung zu erzielen, so wäre zwar nur ein Teil der Verfassung zustande gekommen, aber wenigstens wäre dieser Teil ein ganzer Teil gewesen. Auch die Dezemberverfassung aus dem Jahre 1867 besteht bekanntlich aus einer Reihe einzelner Gesetze. So wäre es auch höchstens ein Schönheitsfehler gewesen, wenn unsere Verfassung, statt äußerlich ein Zusammenhangendes, einheitliches Werk zu sein, sich aus einer Reihe von Teilgesetzen zusammengesetzt hätte. So aber haben wir heute ein äußerlich ziemlich voluminöses Gesetzeswerk vor uns, es kommt mir aber wie eine Nuss vor, in der kein Kern steckt. (Sehr richtig!) Aber nicht etwa eine Nuss mit dünner Schale, sondern wie eine sogenannte Steinnuss, eine Nuss mit furchtbar dicker, holziger Schale, die sehr schwer aufzuknacken ist. Selbst Juristen werden sich vielfach die Köpfe zerbrechen müssen, wenn sie dem Sinn der Verfassung ganz auf den Grund kommen wollen, und wenn es diesen Leuten endlich gelungen sein wird, die Verfassung durchgearbeitet und nach ihrer Meinung wenigstens den Prinzipien nach erfasst zu haben, werden sie finden, dass sie zwar eine große Arbeit hinter sich haben, dass sie aber die Nuss umsonst aufgeknackt haben, denn es fehlt ihr jeder Kern.

Dies wollte ich zur Verfassung im allgemeinen bemerken. Was nun die einzelnen Bestimmungen der Verfassung betrifft, so bin ich, wie ich bereits gesagt habe, nicht in der angenehmen Lage, wie mein sehr verehrter Herr Vorredner, auf viele positive Erfolge Hinweisen zu können. Ich muss mich als Mitglied einer Minoritätspartei lediglich damit begnügen, anzuführen, in welchen Punkten trotz der Bemühungen meiner Partei unser Standpunkt nicht durchgedrungen ist. Ich habe davon abgesehen, in allen diesen Belangen Minoritätsanträge einzubringen, weil es ja für unsere Partei sehr wenig Zweck gehabt hätten viele Minoritätsanträge zu stellen; denn in all den Punkten, wo sich die großen Parteien gefunden haben, war es ja selbstverständlich, dass bei Vorhandensein eines Kompromisses der beiden großen Parteien meine Minoritätspartei von vornherein der Möglichkeit beraubt war, irgendwie etwas durchzusetzen.

Vor allem möchte ich darauf hinweisen, dass die Auffassung meiner Partei von der der anderen Parteien grundverschieden war. Während auch die christlichsoziale Partei noch in ihren früheren Entwürfen auf dem Standpunkte stand, dass der Bundespräsident aus dem Volke zu wählen sei, hat sowohl diese Partei wie auch die sozialdemokratische Partei in den Beratungen des Unterausschusses von vornherein den Standpunkt vertreten, dass der Bundespräsident nicht aus dem gesamten Volke zu entnehmen, sondern dass er durch den Nationalrat und den Bundesrat zu wählen sei. Der Grund, weshalb meine Partei auf dem Standpunkte gestanden ist, dass der Bundespräsident aus dem ganzen Volke zu entnehmen sei, liegt darin, dass der künftige Bundespräsident nach unserer Auffassung keine bloße Dekorationspuppe sein sollte, sondern wirklich ein Mann, der tatsächlich eine bedeutende Macht in seiner Hand besitzen sollte. Diese Macht kann er aber nur dann erhalten, wenn er aus dem Volke selbst gewählt ist. Durch die Bestimmungen unserer Verfassung wird aber meines Erachtens dem demokratischen Prinzip sehr wenig Ausdruck verliehen, denn undemokratisch ist zweifellos jede indirekte Wahl. Nun ist aber eine indirekte Wahl nicht nur vorhanden seitens aller Mitglieder des Nationalrates, die Wahl vonseiten der Mitglieder des Bundesrates kann sogar durch Personen erfolgen, welche möglicherweise überhaupt nicht aus einer Volkswahl hervorgegangen sind; denn bekanntlich ist beim Bundesrat die Bestimmung getroffen, dass dessen Mitglieder aus dem Landtag durch Delegation zu bestellen sind, dass aber die Mitglieder des Bundesrates nicht selbst Landtagsabgeordnete zu sein brauchen. Es kann demnach und es wird demnach auch der Fall eintreten, dass Bundesräte im Bundesrat Sitz und Stimme haben, die nicht einmal durch irgendeine Volkswahl hervorgegangen sind.

Meine sehr Verehrten! Es wird doch niemand behaupten können, dass dieses Prinzip der Wahl des Präsidenten den Grundsätzen der Demokratie irgendwie gerecht wird. Meines Erachtens wäre es nur durchaus demokratisch, wenn das Volk selbst zur Wahl seines Staatsoberhauptes direkt berufen wäre. (Sehr richtig!) Wenn dies aber durch den Wunsch, durch den übereinstimmenden Willen der Mehrheitsparteien ausgeschlossen ist, so drängt sich unwillkürlich die Vermutung auf, ob dadurch nicht die Mehrheitsparteien der Meinung Ausdruck geben, dass sie es sind, welche das Volk für die Demokratie im vollen Sinne noch nicht für reif erachten. Die Großdeutsche Vereinigung hat, wie bereits gesagt, den Standpunkt vertreten und wird auch immer auf dem Standpunkte bleiben, dass die Wahl einzig und allein unmittelbar vom Volke auszugehen habe. Es ist umso merkwürdiger, dass wir in Österreich von diesem demokratischen Prinzipe abweichen, wo bekanntlich auch im Deutschen Reiche die Wahl des Präsidenten durch das Volk und von dem Volke erfolgt.


 

Was die Stellung des Bundesrates betrifft, so hat mein sehr verehrter Herr Vorredner der Großdeutschen Partei den Vorwurf zu machen versucht, dass auch sie in ihrer Verfassung bei den Bestimmungen über den Bundesrat etwas reaktionäre Ansichten gehabt habe. Diesbezüglich möchte ich unseren Standpunkt im Folgenden kennzeichnen: Es ist selbstverständlich, dass bei jeder föderalistischen Verfassung ein Bundesrat vorhanden sein muss, weil der Selbständigkeit der einzelnen Länder einzig durch den Bundesrat erst Ausdruck gegeben wird. Wenn man sich auf den Standpunkt des Föderalismus stellt, wenn man also von der Gleichberechtigung der einzelnen Länder ausgeht, ist es eigentlich auch konsequent diese gleichberechtigten Länder mit gleich viel Stimmen im Bundesrate vertreten zu sehen. Dessen ungeachtet hat aber der Verfassungsentwurf der Großdeutschen Partei vorgesehen, dass für die Länder mit größerer Einwohnerzahl auch eine größere Vertretung im Bundesrate Platz greifen könne. Wir waren aber der Ansicht, dass ein Bundesrat, wie er nach dem Willen der beiden großen Parteien jetzt zustande gekommen ist, eigentlich nichts anderes darstellt als einen Abklatsch des ersten Hauses. Wir stehen auf dem Standpunkte, dass ein Zweikammersystem in dem Sinne, dass ein zweites Haus wesentlich genau dieselbe politische Zusammensetzung wie das erste Haus aufweist, eine absolute Unnotwendigkeit darstellt. (Sehr richtig!)

Der Bundesrat ist wohl vom Standpunkte der Vertretung des Selbständigkeitsgedankens der Länder notwendig, aber einem Bundesrat, der einem zweiten Herrenhause gleichkommt, haben wir nie das Wort gesprochen. (Zustimmung ) Ganz im Gegenteil hat die Großdeutsche Vereinigung schon in den ersten Tagungen der Nationalversammlung dem Gedanken Ausdruck gegeben, dass auch sie ein zweites Haus wünscht, aber nicht ein Haus, welches seiner Zusammensetzung nach dem Nationalrat oder der Nationalversammlung gleich ist, sondern eine Art Wirtschaftsparlament, ein Parlament also, in welchem alle werktätigen Stände ihre Vertretung finden und in welchem alle Gesetze, die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Charakters sind, vorberaten werden. Eine Beratung desselben Gegenstandes durch zwei Häuser, die gleich zusammengesetzt sind, hat keinen Sinn, dagegen ist es unbedingt notwendig, um zum Aufbau unserer Wirtschaftsordnung zu kommen, endlich einmal dem Arbeitsfrieden bei uns zum Durchbruch zu verhelfen. (Sehr richtig!) Unseres Erachtens nach kann der Arbeitsfriede nur dadurch gefördert werden, dass man einen gesetzlichen Zwang ausübt, dass sich sowohl die Unternehmer wie die Arbeiter am gemeinsamen Beratungstisch zusammenfinden und sich darüber klar werden, wie die beiden Ständen gemeinsamen Interessen am wirksamsten zu vertreten sind. Es ist also unbedingt notwendig, Einrichtungen zu treffen, durch welche Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeber, und zwar schon von den kleineren Verbänden angefangen bis hinauf zu den großen Verbänden, sich zu gemeinsamer Arbeit zusammensetzen, um durch gemeinsame Aussprache in allen Fällen zu einer mittleren Linie zu gelangen.

Aus diesem Grunde hat der großdeutsche Verfassungsentwurf die Errichtung von Bezirkswirtschaftskammern, von Landeswirtschaftskammern und schließlich die Einrichtung der Reichswirtschaftskammer als eine Art Wirtschaftsparlament vorgesehen. Wenn auch im großdeutschen Verfassungsentwurf dieser Reichs­wirtschaftskammer nur eine beratende Stimme eingeräumt wird, so ist es doch sonnenklar, dass sich kein Nationalrat über einen Beschluss dieses Reichswirtschaftsrates hätte hinwegsetzen können, wenn die Gesamtzahl der Arbeitnehmerverbände und die gesamte Arbeitgeberschaft bezüglich dieser oder jener Materie ihren einmütigen Willen kundgegeben hätte. Es wäre also, hierin eine Einrichtung gelegen, welche zweifelsohne vom Standpunkte moderner Auffassung unserer Wirtschaftsordnung von großer Bedeutung gewesen wäre.

Dieser Bundesrat, wie er heute konstruiert ist, ist eigentlich eine Einrichtung, die gar keiner von den drei Parteien, glaube ich, vollkommen gerecht wird. Wenn gesagt wurde, dass unser Entwurf deswegen reaktionär erscheint, weil wir die Bestimmung ausgenommen haben, dass Regierungsvorlagen nur mit Zustimmung des Bundesrates eingebracht werden können, so möchte ich darauf verweisen, dass damit keineswegs etwa gesagt ist, dass für den Fall, als der Bundesrat eine Regierungsvorlage verworfen hätte, es unmöglich gewesen wäre, dieselbe im Hause zu behandeln. Denn es wäre dann ja selbstverständlich noch immer der Weg offen geblieben, dass das, was die Regierung als Regierungsvorlage eingebracht hat, dann irgendeine Partei als Antrag ihrer Partei oder eines einzelnen Abgeordneten einbringt. Die Zurückweisung einer Regierungsvorlage durch den Bundesrat hätte nur den Zweck gehabt, die betreffende Materie ihres Charakters als Regierungsvorlage zu entkleiden. (Sehr richtig!) Schließlich sind wir auf dem Standpunkte gestanden, dass der Bundesrat nicht, wie es heute der Fall ist, zwar einem Gesetze seine Zustimmung verweigern kann, sondern dass der Bundespräsident die Berechtigung hat, einem Beschluss des Nationalrates die Zustimmung zu versagen, wenn es der Bundesrat beantragt. Verbleibt der Nationalrat bei seinem Beschlusse, dann allerdings hätte der Bundespräsident das Recht gehabt, die Nationalversammlung aufzulösen. Wiederholt aber die neue Nationalversammlung den früheren Beschluss, so würde er ohne weitere Genehmigung Gesetzeskraft erhalten.


 

Wenn also der Bundespräsident etwa mutwilligerweise einem Gesetzesbeschluss der Nationalversammlung seine Zustimmung verweigert hätte, so würde die Wiederholung des Beschlusses in der nächsten Nationalversammlung den Bundespräsidenten gezwungen haben, sein Amt zurückzulegen. Wenn man also die Einrichtungen des Bundesrates nach dem großdeutschen Verfassungsentwurfe studiert, so sieht man, dass von reaktionären Bestimmungen in diesen Belangen gewiss nicht die Rede sein kann.

Es ist nun in der Verfassung ein Artikel 18 ausgenommen worden, der einerseits dem Gedanken des sozialdemokratischen Verfassungsentwurfes über den Aufbau der wirtschaftlichen Demokratie Rechnung tragen sollte, der aber anderseits auch dem Gedanken der Großdeutschen Vereinigung hinsichtlich dieser Wirtschaftskammern gerecht zu werden versucht hat. Der erste Absatz soll den wesentlichen Inhalt aus dem Entwurf der sozialdemokratischen Partei darstellen, der zweite Absatz den wesentlichen Inhalt aus dem Entwurf der Großdeutschen Partei über die Wirtschaftskammern. Ich muss gestehen, dass die Textierung des Artikels 18 eine Missgeburt darstellt, von der eigentlich nur die Verfasser wissen, wie sie zustande gekommen ist, die aber praktisch keine der beiden Teile befriedigen kann. Aus diesem Grunde hätte ich gar nichts dagegen, wenn das Haus zur Einsicht kommt, dass dieser Artikel 18 weder für die eine noch für die andere Partei etwas Reelles besagt, sondern nur rein deklaratorischen Inhalt hat, der aber ebenfalls nicht verstanden werden kann, wenn nicht die Redakteure der Verfassung darüber näheren Aufschluss geben. Aus allen diesen Gründen kann meines Erachtens der Artikel 18 des Verfassungsentwurfes auch ohne Schaden für die Verfassung gänzlich eliminiert werden.

Der einzige Gegenstand, zu dem ich ein Minoritätsvotum angemeldet habe, sind die Bestimmungen über die Staatssekretäre. Bekanntlich führen die bisherigen Unterstaatssekretäre in der künftigen Verfassung die Bezeichnung Staatssekretäre. In diesem Belange waren die beiden großen Parteien wieder einmal vollständig eines Sinnes und daher war es unmöglich, die Einrichtung der Unterstaatssekretäre zu eliminieren. Meine Partei hat durch verschiedene Redner schon des Öfteren ihren Standpunkt dahin gekennzeichnet, dass wir in den Unterstaatssekretären eigentlich nichts anderes erblicken können, als Staatssekretärkontrollore. Als Begründung für die Beibehaltung dieser Einrichtung wurde von den beiden großen Parteien angeführt, dass diese Einrichtung zur Unterstützung des betreffenden Fachministers notwendig sei. Ferner wurde angeführt, dass diese Einrichtung unter Umständen auch dann notwendig sei, wenn gewisse Schwierigkeiten bei der Kabinettsbildung entstehen. Man könne sich dann vielleicht dadurch, dass man der einen Partei den Staatssekretär und der anderen einen Unterstaatssekretär zubilligt, leichter über die Schwierigkeiten hinwegsetzen, die der Bildung eines Gesamtschlages sonst entgegenstehen. Meine Partei und stehen auf dem Standpunkt, dass wir in der Verfassung bei unserem kleinen Staatswesen die Einrichtung absolut nicht bedürfen. Wenn angeführt wird, dass die Einrichtung von Unterstaatssekretären zur Unterstützung des Ministers notwendig ist, so müsste man, wohl beim Staatsamt für Finanzen eigentlich nicht nur einen, sondern mindestens drei Unterstaatssekretäre haben. Ich finde aber, dass sich noch keine Partei bis jetzt bereit erklärt hat, den Herrn Finanzminister in sein Tätigkeit zu unterstützen. Und wenn es wirklich wahr ist, dass ein sehr stark in Anspruch genommen Minister einer Unterstützung durch Unterstaatssekretäre bedarf, dann wird eines Tages der Zeitpunkt kommen, wo sich die großen Parteien den Vorwurf werden machen müssen, dass der Herr Staatssekretär für Finanzen auf einmal, weil s ihm ihre Unterstützung beharrlich versagt haben, erlahmt sein wird. (Heiterkeit und Rufe: Sehr gut!) Wenn aber die großen Parteien schon das Bedürfnis haben, den Staatssekretären oder Ministern, die sie ernannt haben, fortwährend auf die Finger zu sehen, so ist dagegen, wie gesagt, gar nichts einzuwenden, wenn man eine derartige Institution schafft, aber in ehrenamtlicher Stellung, also ohne Besoldung, und zwar etwa unter dem Titel parlamentarischer Kommissäre.

Wenn die eine oder andere Partei das Bedürfnis hat, in alle Akten Einsicht zu nehmen, die durch die Hand des Ministers gehen, oder wenn sie sonst das Bedürfnis hat, sich fortwährend vom Gange aller Verhandlungen zu überzeugen, so wäre gewiss nichts dagegen einzuwenden, wenn es jeder Partei freigestellt wäre, einen Mann ihres Vertrauens als parlamentarischen Kommissär in das betreffende Amt zu entsenden, damit er diese Funktion ausfülle; ja, ich könnte mich für meine Person sogar mit der Einführung der Unterstaatssekretäre, alias Staatssekretäre einverstanden erklären, wenn man sie in ehrenamtlicher Stellung einführt. Ich glaube, dass in diesem Falle die Einrichtung der Unterstaatssekretäre oder künftigen Staatssekretäre allmählich zum Verschwinden gebracht würden. (Heiterkeit und Zustimmung.)

Einen wichtigen Punkt, in welchem die Großdeutsche Partei ebenfalls nicht durchzudringen vermochte, bildet die Richterernennung. Es war ein Wunsch der Richter, dass wie bisher die Regierung an die Besetzungsvorschläge gebunden bleibt, die die Fachsenate bei den Gerichten erstatten. In dieser Beziehung sind die Auffassungen der beiden großen Parteien sehr weit auseinandergegangen. Im sogenannten Renner-Mayr-Entwurfe ist nicht nur


 

vorgesehen, dass die Regierung an gar keine Besetzungsvorschläge gebunden ist, sondern es war dort vorgesehen, dass die Personalsenate, welche heute zur Gänze aus Richtern bestehen, in Zukunft zur Hälfte aus Politikern hätten bestehen sollen und dies zu dem Zwecke, um angeblich auch die Richterschaft durch die Teilnahme der Politiker bei der Ernennung zu entpolitisieren. (Rufe: Hört! Hört!) Wenn die Rechtsprechung in Österreich bis heute noch klaglos funktioniert, so ist das wohl einzig und allein nur dem Umstand zuzuschreiben, dass die Politik auf die Ernennung der Richter keinen Einfluß gehabt hat. Ich habe deshalb den Antrag gestellt, dass die Regierung bei der Ernennung der Richter an die Besetzungsvorschläge gebunden sei. Dieser mein Antrag wurde aber im Unterausschusse ausdrücklich abgelehnt und in der nächsten Sitzung des Unterausschusses hat dann der Obmann Dr. Bauer sogar verlangt, dass infolge der Ablehnung meines Antrages ausdrücklich festgestellt werde, dass mithin die Ernennung von Richtern außerhalb des Besetzungsvorschlages ausdrücklich zulässig sei.

Nachdem aber diese Textierung noch immer nicht deutlich genug war, hat der Verfassungsunterausschuss, beziehungsweise der Verfassungsausschuss, glaube ich, selbst in einer seiner letzten Sitzungen die Bestimmung ausgenommen: „die Bundesregierung oder der Bundesminister hat Besetzungsvorschläge der durch die Gerichtsverfassung hiezu berufenen Senate einzuholen." Damit ist nach der Willensmeinung der beiden großen Parteien nunmehr klar ausgedrückt, dass lediglich die Verpflichtung besteht, Besetzungsvorschläge einzuholen, dass aber die Regierung an die Besetzungsvorschläge in gar keiner Weise gebunden ist. Im Unterausschuss ist mit ziemlicher Deutlichkeit zum Ausdrucke gekommen, dass die Richter ob dieses ihres Verlangens eigentlich als rückständig bezeichnet und als eine Art Kaste im Staate hingestellt werden. Meine Partei ist der gegenteiligen Auffassung und sie glaubt, dass es im Interesse von uns allen gelegen wäre, darauf zu sehen, dass wenigstens der Richterstand in seiner Unabhängigkeit erhalten bleibt, die es ermöglicht hat, bis heute eine klaglose Rechtsprechung zu erzielen.

Eine neue Bestimmung in der Verfassung ist endlich die des Artikels 24, wonach zum ersten Male alle Organe der Bundes-, der Landes- oder der Gemeindeverwaltung für jeden bei der Ausübung ihrer Tätigkeit irgendjemandem durch vorsätzliche oder grobfahrlässige Rechtsverletzung zugefügten Schaden haftbar sind. Bekanntlich war dieser Grundsatz bereits in der Dezemberverfassung des Jahres 1867 ausgesprochen, jedoch war die Durchführung dieses Grundsatzes besonderen Ausführungsgesetzen vorbehalten. Nun ist bekanntlich nur das sogenannte Syndikatsgesetz erlassen worden, demzufolge die Richter für alle bei Ausübung ihrer Tätigkeit den Parteien zugefügten Schaden haftbar sind, während eine Bestimmung, wonach auch andere Beamte, sowohl Staats- wie Landes- als auch Gemeindebeamte haftbar wären, bisher in unserer Verfassung gefehlt hat.

Nach dem bisherigen Stande des Rechtes war es aber der Partei freigestellt, entweder den Staat oder den betreffenden Richter auf Schadenersatz zu belangen. Nach der Textierung des Verfassungsunterausschusses war es bis zur letzten Sitzung vorgesehen, dass die Haftung der betreffenden Körperschaft, also des Bundes, der Länder und der Gemeinden nur dann und insoweit Platz greifen dürfe, als der Geschädigte von dem betreffenden Organe die Genugtuung nicht zu erlangen vermag. Dadurch wäre eigentlich diese ganze Einführung auf eine optische Täuschung der Bevölkerung abgestellt gewesen, denn in den allerwenigsten Fällen wird es möglich sein, von dem Beschädigter selbst den Schadenersatz zu verlangen. Jedenfalls wäre eine Unsumme von Prozessen notwendig gewesen, um den schuldtragenden Beamten festzustellen; denn bekanntlich ist insbesondere in der politischen Verwaltung der Grundsatz gebräuchlich, dass nicht derjenige das Erkenntnis unterschreibt, der es eigentlich macht, sondern irgendein Vorgesetzter. Aus diesem Grunde hätte erst prozessual festgestellt werden müssen, wer eigentlich der Auftraggeber und der eigentliche geistige Urheber des betreffenden Erkenntnisses ist und damit die Verantwortung trägt, denn dann wäre es erst möglich gewesen, im Prozesswege festzustellen, wer die Haftung für die betreffende Fehlentscheidung zu tragen hat.

Nun, hohes Haus, komme ich auf den wichtigsten Punkt zu sprechen, in dem die Großdeutsche Vereinigung mit ihrer Anschauung nicht durchzudringen vermochte, es ist dies die Schule.

Es ist keineswegs etwa das Verlangen, demonstrativ aufzutreten, welches uns veranlasst, auf unserem Standpunkte zu beharren, dass die Schulfrage bereits in der Verfassung gelöst werde, sondern wir müssen vom nationalen Standpunkt aus unbedingt verlangen, dass die Schulfrage in unserem Staate Österreich nach einheitlichen Grundsätzen geregelt werde, und die einheitliche Regelung des Schulwesens kann, selbstverständlich nur durch die Verstaatlichung der Schule erfolgen. Wenn wir bedenken, dass beispielsweise unser benachbartes Land Bayern nicht etwa nur 6 Millionen Einwohner zählt wie unser kleines Deutschösterreich, sondern, dass es um zirka ein Drittel unsere Einwohnerzahl übertrifft, so müssen wir sagen, dass es dort
niemandem einfällt, die Gesetzgebung in dem einen Bezirk etwa anders zu regeln als in
dem anderen Bezirk. Unser kleines Ländchen Deutschösterreich aber 


 

zerfällt nunmehr auf Grund der Verfassung in neun einzelne Länder und da soll es noch möglich sein, die Schulgesetzgebung in diesen neun Bezirken nach verschiedenen Gesichtspunkten zu regeln. Das ist ein Zustand, der vom nationalen Standpunkt einfach unannehmbar erscheint.

Die Zukunft unseres Volkes liegt zweifellos in unserer Jugend. Wenn die Jugend vernachlässigt wird, wenn der Jugend nicht die Möglichkeit gegeben wird, durch eine viel intensivere Ausbildung, als es bisher möglich war, sich in dem schweren Daseinskämpfe zu behaupten, so haben wir eigentlich dadurch das größte Gut, welches wir noch errettet haben, unsere Jugend und ihre Zukunft, geopfert. Aus diesen Gründen müssen wir unbedingt verlangen, dass die Schulgesetzgebung ausdrücklich in der Verfassung im Sinne der Einheitsschule, das heißt im Sinne der Staatsschuld, geregelt wird. Wenn man in die Verfassung eine Bestimmung ausgenommen hat, wonach die Regelung der Schulgesetzgebung dem Bunde obliegen soll, so muss ich sagen, dass die Schule, wenn diese Bestimmung tatsächlich Gesetzeskraft erlangt, in Zukunft mehr oder weniger zu einem Schacherobjekt herabgewürdigt, wird; denn die christlichsoziale Partei, die grundsätzlich auf der Verländerung der Schule besteht, wird sich selbstverständlich jedes Nachgeben in dieser Frage auch in Zukunft nur teuer durch Kompensation anderer Art abhandeln lassen. Es wäre besser gewesen, etwa nur die Kompetenzen zu regeln, aber einschließlich der Schule, als ein Verfassungswerk zu machen, welches zwar äußerlich einen großen Umfangt hat, wo aber diese allerwichtigste Frage einfach ausgeschaltet worden ist. Nun steht die Sache aber so, dass ein Junktim hergestellt wird zwischen dem Inkrafttreten der verschiedenen Bestimmungen unserer Verfassung und dem Finanzgesetz, dem Verwaltungsgesetz und dem Schulgesetz. Nun kann ja das Finanzgesetz bekanntlich niemals ausgearbeitet werden, wenn nicht bekannt ist, welche Kompetenzen in den Wirkungskreis des Staates und welche Kompetenzen in den Wirkungskreis der Länder fallen. Da die Schulfrage aber sehr lange nicht ausgetragen werden wird, so kann auch niemals das Finanzgesetz vorgelegt werden. Es kommt mir die Sache so vor, wie wenn man einen Kreislauf machen wollte, aus dem es kein Herauskommen, aus dem es kein Ende gibt.

Die Länder werden selbstverständlich darauf dringen, dass die finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Bund und den Ländern geregelt wird. Diese Auseinandersetzung ist aber nicht möglich, weil es nicht feststeht, ob die Schulgesetzgebung in den Wirkungskreis des Staates oder der Länder fällt. Ferner ist auch das Zustandekommen der Verfassungsbestimmungen über die Einteilung der Kompetenzen davon abhängig, dass diese Gesetze zustande kommen. Es ist also nicht nur unsere Verfassung deshalb lückenhaft, weil alle diese Materien, die ich bereits angeführt habe, vielleicht vergeblich, mindestens aber auf unberechenbar lange Zeit ihrer Erledigung harren, sondern es ist diese Verfassung auch noch aus dem Grunde lückenhaft, weil die wesentlichsten Bestimmungen dieser Verfassung nicht in Kraft treten, bevor nicht diese Materien geregelt sind, die aber in absehbarer Zeit, nicht geregelt werden.

Daraus sehen wir also, dass unsere Verfassung nicht nur ein Stückwerk in dem Sinne ist, dass man sich einfach darüber hinweggeholfen hat, Streitpunkte auszutragen, indem man wichtige Belange in ein zukünftiges Gesetz verwies, indem man noch daran gegangen ist, zwischen diesem zukünftigen Gesetze und dem Inkrafttreten der wichtigsten Teile der Verfassung ein Junktim herzu- stellen, sondern selbst das wenige, was die Verfassung enthält, in absehbarer Zeit nicht Gesetzeskraft wird erlangen können. (Sehr richtig!) Ich glaube daher ruhig behaupten zu können, dass die Bevölkerung in diesem Werke, wenn sie es liest und wenn sie endlich darauf kommt, was eigentlich an diesem Werke daran ist, immer mehr zur Einsicht gelangen wird, dass eigentlich die Nationalversammlung zwar ein großes voluminöses Verfassungswerk zu verabschieden versucht hat, dass aber das Ganze nichts anderes bedeutet, als dem Volke systematisch Sand in die Augen zu streuen. (So ist es!) Es war früher ein großes Proemium über die Verfassung gedacht. Dieses Proemium, diese Einleitung, ist weggelassen worden. Ich würde dennoch empfehlen, ein Proemium zu machen, und zwar mit den einfachen Worten: Um Nachsicht wird gebeten! (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

 

Präsident: Ich breche die Verhandlung ab.

Es sind Zuschriften eingelangt, in denen die Einbringung von Regierungsvorlagen der Staatsregierung angekündigt wird. Ich bitte um deren Verlesung.

Schriftführer Forstner (liest):

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 28. September 1920 erteilten Ermächtigung beehre ich mich, den Entwurf eines Gesetzes über die Regelung von Ruhegenüssen der in der Zeit vom 1. Jänner bis 29. Februar 1920 in den Ruhestand versetzten Zivilstaatsbeamten, Staatslehrpersonen,
Unterbeamten und Diener und von Versorgungsgenüssen der Hinterbliebenen jener
Zivilstaatsbeamten, Staatslehrpersonen, Unterbeamten und Diener, welche in


 

der Zeit vom 1. Jänner bis 29. Februar 1920 in der Aktivität gestorben oder in den Ruhestand versetzt worden sind (999 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diesen Entwurf als Vorlage der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 28. September 1920.

In dienstlicher Abwesenheit des Staatssekretärs:

Grimm."

„Auf Grund der mir in der Sitzung des Kabinettsrates vom 29. September d. J. erteilten Ermächtigung beehre ich mich, die Entwürfe der Gesetze über die Ausscheidung der unter das Gesetz vom 25. Jänner 1914, R. G. Bl. Nr. 15 (Dienstpragmatik) fallenden Postbediensteten, beziehungsweise Telegraphen-Fernsprechbediensteten aus diesem Gesetze (Entpragmatisierungsgesetze) (1016 und 1017 der Beilagen), mit dem Ersuchen zu übersenden, diese Entwürfe als Vorlagen der Staatsregierung der verfassungsmäßigen Behandlung zu unterziehen.

Wien, 29. September 1920.

Der Staatssekretär für Verkehrswesen:

Dr. Pesta m. p."

Präsident: Falls von keinem Mitgliede des hohen Hauses eine Einwendung erhoben wird, werde ich auch diese Regierungsvorlagen sofort zuweisen, und zwar dem Finanz- und Budgetausschusse. (Nach einer Pause:) Es wird keine Einwendung erhoben. Diese Vorlagen sind somit zugewiesen.

Ferner werde ich zuweisen:

den Antrag der Abgeordneten Forstner und Genossen, betreffend die Abänderung der Bestimmungen des § 4, Absatz 4, des Zahntechnikergesetzes (1003 der Beilagen), und

den Antrag der Abgeordneten Tomschik, Pick und Genossen, betreffend die Abänderung des Arbeiterkammergesetzes (1001 der Beilagen);

dem Ausschüsse für soziale Verwaltung;

den Antrag der Abgeordneten Weber und Genossen auf Erweiterung des Pächterschutzes (1002 der Beilagen);

dem Ausschuss für Land- und Forstwirtschaft.

Ich werde zuweisen:

dem Ausschusse für Erziehung und Unterricht:

den Antrag der Abgeordneten Dr. Angerer, Dr. Ursin und Genossen, betreffend die Eingliederung der evangelisch-theologischen Fakultät in Wien in die Wiener Universität. (977 der Beilagen.)

dem Finanz- und Budgetausschusse:

den Antrag der Abgeordneten Wiesmaier, Josef Weiß, Pischitz und Genossen, betreffend die Einführung einer staatlichen Automobilsteuer (955 der Beilagen);

den Antrag des Abgeordneten Niedrist und Genossen, betreffend eine Notstandsangelegenheit (956 der Beilagen);

den Antrag der Abgeordneten Rudolf Gruber, Parrer und Genossen, betreffend eine Notstandsangelegenheit (957 der Beilagen);

den Antrag der Abgeordneten Weigl, Höchtl und Genossen in Notstandsangelegenheiten (958 der Beilagen);

den Antrag der Abgeordneten Schoiswohl, Kocher und Genossen, betreffend Gewährung einer staatlichen Notstandsaushilfe für die durch Unwetterschäden betroffenen Gebiete der Obersteiermark (967 der Beilagen);

den Antrag der Abgeordneten Rudolf Gruber, Parrer und Genossen, betreffend die Einleitung einer Notstandsaktion für die Gemeinden Feistritz am Wechsel, Molzegg und Kirchberg am Wechsel des politischen Bezirkes Wiener-Neustadt (975 der Beilagen);

den Antrag der Abgeordneten Dr. Angerer, Egger, Größbauer und Genossen, betreffend die Gewährung einer Notstandsbeihilfe für die durch ein furchtbares Unwetter heimgesuchten Gebirgsbewohner von Schachern und Apriach in der Gemeinde Heiligenblut in Kärnten (976 der Beilagen), und

den Antrag der Abgeordneten Buchinger, Eisenhut, Lieschnegg, Scharfegger, Födermayr, Niedrist, Geisler und Genossen, betreffend Befreiung der Verträge über die Herausgabe von ärarischen Hengsten in die Privatpflege, von der Stempelgebühr (978 der Beilagen).

dem Justizausschusse:

den Antrag der Abgeordneten Fischer, Paulitsch und Genossen, betreffend die Errichtung von Journalistenkammern (968 der Beilagen);

dem Verfassungsausschusse:

den Antrag der Abgeordneten Dr. Schürff und Genossen, betreffend die Vornahme einer Volks-


 

abstimmung über den Anschluss an Deutschland (973 der Beilegen).

Die nächste Sitzung schlage ich vor für morgen, Donnerstag, den 30. September 1920, 12 Uhr mittags, mit folgender Tagesordnung:

1. Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz) (991 der Beilagen).

2. Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung (992 der Beilagen),

Wird gegen Tagesordnung, Tag und Stunde eine Einwendung erhoben? (Nach einer Pause:) Es ist nicht der Fall. So bleibt es bei meinem Vorschlage.

 

Die Sitzung ist geschlossen.

 

Schluss der Sitzung: 7 Uhr 30 Minuten abends.

 

 

 

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