Stenographisches Protokoll.

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101. Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung
der Republik Österreich.

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Donnerstag, den 30. September 1920. __________________________________________________________________________________

Tagesordnung: 1. Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz) (991 der Beilagen). — 2. Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung (992 der Beilagen).

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Inhalt.

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Personalien.

Abwesenheitsanzeige (Seite 3409).

Mitteilung des Präsidenten, betreffend das Auslieferungsbegehren des Bezirksgerichtes Pottenstein gegen den Abgeordneten Felix Stika wegen Übertretung der Einmengung in eine Amtshandlung ([Seite 3409] — Zuweisung an den Verfassungsausschuss [Seite 3409]).

Verhandlungen.

Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundesverfassungsgesetz) (991 der Beilagen — Fortsetzung der Generaldebatte — Redner: die Abgeordneten Kunschak [Seite 3409], Dr. Schönbauer [Seite 3414], Leuthner [Seite 3417], Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3427] — Abstimmung — Spezialdebatte zum I. Hauptstück — Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3428 und 3444], die Abgeordneten Dr. Schneider [Seite 3428], Dr. Angerer [Seite 3430], Dr. Schoepfer [Seite 3437], Stocker [Seite 3438], Dr. Wagner [Seite 3442], Hollersbacher [Seite 3443] — II. Hauptstück — Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3448], Abgeordneter Dr. Straffner [Seite 3448] — III. und IV. Hauptstück — Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3451], Abgeordneter Stöckler [Seite 3451] — V., VI. und VII. Hauptstück — Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3454] — Annahme des Gesetzes in zweiter Lesung [Seite 3455]).

Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung (992 der Beilagen — Redner: Berichterstatter Dr. Seipel [Seite 3455 und 3458], Abgeordneter Dr. Angerer [Seite 3457] — Annahme des Gesetzes in zweiter Lesung [Seite 3460]).


 

Tagesordnung.

Antrag des Abgeordneten Dr. Mataja auf Ergänzung der Tagesordnung der 102. Sitzung durch den Bericht des Verfassungsausschusses über die Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Skaret ([Seite 3462] — Redner: Abgeordneter Dr. Bauer [Seite 3462]).

 

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Verzeichnis

der in der Sitzung eingebrachten Anträge und Anfragen:

 

Antrag

des Abgeordneten Dr. Schoepfer und Genossen in Notstandsangelegenheiten (1033 der Beilagen).

Anfragen

1. des Abgeordneten Dr. Ramek und Genossen an den Unterstaatssekretär für Kultus, betreffend die Gewährung von Zuwendungen an die katholischen Geistlichen (Anhang I, 416/I);

2. der Abgeordneten Gruber und Genossen an den Staatssekretär für Finanzen, betreffend die Gleichstellung der in Westungarn ansässigen Weinproduzenten mit den in Österreich ansässigen (Anhang I, 417/I).

 

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      Zur Verteilung gelangen am 30. September 1920:

die Regierungsvorlagen 999 und 1016 der Beilagen;

die Anfragebeantwortungen 177 und 1017;

der Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung 997 und 1000 der Beilagen;

die Anträge 1001, 1002 und 1003 der Beilagen.

 

 

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Beginn der Sitzung: 12 Uhr 20 Minuten mittags.

 

Vorsitzende: Präsident Seitz, zweiter Präsident Hauser, dritter Präsident Dr. Dinghofer.

Schriftführer: Schönsteiner, Dr. Angerer.

Vorsitzender im Kabinett: Staatssekretär Dr. Mayr.

Staatssekretäre: Hanusch für soziale Verwaltung, Breisky für Inneres und Unterricht, Dr. Koller für Justiz, Haueis für Land- und Forstwirtschaft, Heinl für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, Dr. Renner für Äußeres, Dr. Deutsch für Heereswesen, Dr. Pesta für Verkehrswesen, Dr. Ellenbogen.

Unterstaatssekretäre: Glöckel und Miklas im Staatsamte für Inneres und Unterricht, Dr. Resch und Dr. Tandler im Staatsamte für soziale Verwaltung.

Leiter des Staatsamtes für Volksernährung: Sektionschef Dr. Grünberger.

Auf der Bank der Regierungsvertreter: Ministerialrat Dr. Froehlich, Sektionsrat Dr. Mannlicher, Ministerialvizesekretär Dr. Troll, Ministerialvizesekretär Dr. Merkl, Oberfinanzrat Dr. Moser und Professor Dr. Kelsen von der Staatskanzlei.

Präsident: Ich eröffne die Sitzung. Das Protokoll über die Sitzung vom 29. September liegt in der Kanzlei zur Einsicht auf.

Der Herr Abgeordnete Dvorak hat sein Fernbleiben von der heutigen Sitzung entschuldigt.

Das Bezirksgericht Pottenstein ersucht um Zustimmung zur strafgerichtlichen Verfolgung des Herrn Abgeordneten Felix Stika wegen Übertretung der Einmengung in eine Amtshandlung.

Ich werde diese Zuschrift dem Verfassungsausschusse zuweisen.

Wir gelangen zur Tagesordnung. Der erste Gegenstand der Tagesordnung ist der Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, womit die Republik Österreich als Bundesstaat eingerichtet wird (Bundes-Verfassungsgesetz) (991 der Beilagen).

Wir setzen die Generaldebatte fort. Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Kunschak.

Abgeordneter Kunschak: Hohes Haus! In letzter Stunde kommt die Konstituierende Nationalversammlung noch in die Lage, die Verfassung zu beschließen. Es ist diese letzte Stunde für die Nationalversammlung von allergrößter Bedeutung deswegen, weil sie von dem traurigen Schicksal bedroht war, in Schande unterzugehen. Die Konstituierende Nationalversammlung, ohne Erfüllung ihrer Aufgabe, die in der Schaffung der Verfassung besteht, würde gebrandmarkt und geschändet in der Geschichte des österreichischen Parlamentarismus aufscheinen. Es ist daher erfreulich, dass es gelungen ist, die Parteien des Hauses zu jenen Anträgen zu vereinigen, die uns heute hier vorliegen und die Möglichkeit bieten sollen, die österreichische Republik als einen Bundesstaat einzurichten.

Als einen Bundesstaat! Es wurde gestern gesagt, dass diese Bestimmung der Verfassung keine glückliche und für die österreichischen Verhältnisse weder erwünscht noch zuträglich sei. Es wurde von dem Redner der sozialdemokratischen Partei die Bemerkung gemacht, dass seine Partei nicht aus Anerkennung des Bundesstaates für die Bestimmungen der Verfassung ihre Stimmen abgebe, sondern ihre Abstimmung lediglich die Resultante ist aus den Machtverhältnissen, die gegenwärtig bestehen. Wir Christlichsoziale unterscheiden uns in der Auffassung über diesen Gegenstand der Verfassung sehr wesentlich von den Sozialdemokraten. Wir machen nicht mit unserer Abstimmung aus der Not eine Tugend, wir beugen uns nicht den momentanen politischen Machtverhältnissen, sondern folgen der Überzeugung, dass die Gestaltung Österreichs zu einem Bundesstaate nicht den momentanen politischen Machtverhältnissen, sondern der natürlichen Lage und Entwicklung der Verhältnisse in diesem Österreich entspringe. Die Länder, die sich jetzt zum Bundesstaat vereinigen, sind in der Tat das Primäre. Ehe der Staat war, waren diese Länder. (So ist es!) Es hieße, mit blödem Auge die Geschichte studieren oder der Geschichte Gewalt antun, wenn man behaupten wolle, dass den Ländern jede historische Individualität mangle. Die Länder sind historische Individualitäten, und diesen Gewalt antun zu wollen, diese zu verleugnen oder gar zu unterdrücken, würde bedeuten, dem Staate, noch bevor er gebildet ist, schon den Nekrolog zu schreiben. (Sehr richtig!) Die Kraft der Republik Österreich wird so stark sein als die


 

politische und wirtschaftliche Gesundheit der einzelnen Gliedstaaten, der einzelnen Länder. Das wirtschaftliche Leben in diesem Staate wird seine Befruchtung nur in geringem Umfange, sicherlich nicht ursprünglich, von der Zentralregierung erfahren, das wird dem Impuls der Länder Vorbehalten bleiben. Es wird nur die Aufgabe der bundesstaatlichen Organe sein, diesem Impuls zu folgen, ihn zu fördern, ihn in geregelte Bahnen zu lenken, damit er im Einklang der Kräfte für den Staat dadurch gleichzeitig auch für das gesamte Volk die Voraus­setzungen einer gesunden und dauerhaften Entwicklung schaffe. Wir stimmen also aus der innersten Über­zeugung, dass durch die bundesstaatliche Einrichtung der Republik Österreich der politische und wirtschaftliche Bestand, die politische und wirtschaftliche Entwicklung gesichert und gefördert wird, für den Bundesstaat.

Wenn bemerkt wird, dass der Bundesstaat für dieses kleine Österreich mit seinen sechs Millionen Einwohnern sich nicht eigne, so ist wohl auch diese Einwendung durch die Erfahrungen des Lebens hinlänglich widerlegt. Man braucht nur auf die kleine Schweiz verweisen, auf die Entwicklung, die sie bis heute gefunden und die ihr eine internationale politische Stellung von Rang und Ansehen vermittelt hat, die sie befähigte, während des Krieges, aber insbesondere nach dem Umsturze, besonders uns Österreichern die tatkräftigste Hilfe zu bringen und man wird zugeben müssen, dass der Bundesstaat für die politische Bedeutung und für die volkswirtschaftliche Entwicklung kleiner Völker oder Völkergemeinschaften nicht nur nicht unzulässig, sondern im hohen Grade förderlich ist.

Man mag mit Vertretern der Schweiz reden, welcher politischer Anschauung, welcher Nationalität oder Konfession immer sie angehören mögen, sie werden übereinstimmend immer zu der Äußerung gelangen und sie aussprechen, dass die Schweiz, mit ihren ganz eigenartigen Verhältnissen hinsichtlich ihrer nationalen und konfessionellen Schichtung, ihren Bestand und ihre Entwicklung nur finden konnte, weil sie ein Bundesstaat ist und weil in der Schweiz mit heiliger Scheu die Rechte jedes einzelnen Gliedstaates, jedes einzelnen, auch des kleinsten Kantons beachtet und gewahrt werden. Das, was in der Schweiz möglich ist, könnte und müsste bei uns möglich sein, weil bei uns die volkswirtschaftliche, aber auch die nationale Struktur des Staates eine wesentlich günstigere ist und die konfessionellen Unterschiede in der Bevölkerung keine so tiefgehenden sind wie in der Schweiz.

Wenn weiters behauptet wird, dass es nicht möglich und nicht rätlich sei, in Österreich den Bundesstaat aufzurichten wegen der Kleinheit der Länder, die in Betracht kommen, so möchte ich mir nur erlauben festzustellen, dass sich gerade hierin der Herr Vertreter der sozialdemokratischen Partei einer schweren Inkonsequenz schuldig gemacht hat. Wenn die Länder in ihrer heutigen Gestaltung zu klein sind, um den Bundesstaat zu rechtfertigen und zu begründen, wie soll denn dann der Bundesstaat bestehen können, wenn etwa das Minoritätsvotum der sozialdemokratischen Partei angenommen würde? Sie argumentieren, dass die bisherigen Länder schon zu klein sind, um richtige politische und wirtschaftliche Verwaltungsgebiete abgeben zu können, verlangen aber in einem Atem, dass die Nationalversammlung zustimme, dass Fragmente aus diesen kleinen Ländern heraus, wenn sie einen einfachen Beschluss fassen, sich wieder zu selbständigen Ländern konstituieren können. Sie gehen so weit, dass nach Ihren Anträgen es möglich wäre, dass im Rahmen der Stadt Wien neue Länder entstehen könnten. Es könnte etwa der XVI. Bezirk, durch einen Beschluss als selbständiges Land sich konstituieren. Das gleiche könnte etwa auch die Leopoldstadt tun und es könnte passieren, dass wir es in Österreich noch erleben, dass die Republik Zion errichtet wird. (Heiterkeit und Zwischenrufe. - Abgeordneter Eldersch: Die Leopoldstadt ist größer als Vorarlberg!) Ich weiß, dass die Leopoldstadt größer ist als Vorarlberg (Abgeordneter Leuthner: In dem Antrag steht, dass die Gemeinden dieses Recht haben, und Rudolfsheim und Ottakring sind doch keine Gemeinden!) Sie entschuldigen schon, Sie sagen, es sind nur die Gemeinden da ins Auge gefasst, und die Gemeinde Wien bildet heute ein einheitliches Gebiet. Nach dem Inkrafttreten der neuen Verfassung wird die Gemeinde Wien ein neues Land sein (Abgeordneter Leuthner: Und zugleich eine Gemeinde!), und wenn die Verfassungspläne, welche im Schoße der Mehrheit des Wiener Gemeinderates gehegt werden, die Erweiterung der Kompetenz der Bezirke, nicht nur der wirtschaftlichen und der Kompetenz im selbständigen Wirkungskreis, sondern die Erweiterung der Kompetenz der Bezirke auch zur politischen Behörde erster Instanz, Wirklichkeit werden, dann wird die Gemeinde Wien eigentlich nicht mehr den Charakter einer einheitlichen Gemeinde haben, sondern den Charakter einer Gebietsgemeinde annehmen, und Sie werden es sicherlich auch nicht aufhalten können, dass die weitere Entwicklung zu dem drängen würde oder führen könnte, was ich gesagt habe. Sie muss natürlich nicht dazu führen, aber sie kann dazu führen. Und wenn wir von Wien absehen und nun auf Ihre Argumentation eingehen, so besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass im Rahmen des Landes Niederösterreich ein neues Land gebildet wird, dessen Grenzen nicht in meiner Phantasie geboren, sondern von Ihnen schon aufgezeigt worden sind; das Industrieland, als welches Sie sich das Wiener-Neustädter Becken denken, eventuell noch in Verbindung mit dem obersteirischen Industriebezirk.

Auf jeden Fall fassen Sie ins Auge, dass zu den in der Verfassung bestimmten Ländern durch Entschluss, durch Volksabstimmungen neue Länder noch hinzukommen können, das heißt, dass die kleinen Länder in noch kleinere Länder zerlegt werden können. Ich konstatiere nochmals, dass es eine schwere Inkonsequenz ist, zu behaupten, dass die Länder zu klein sind, um einen Bundesstaat bilden zu können, und anderseits die Möglichkeit in der Verfassung zu verlangen, dass aus diesen Ländern Fragmente herausgeschnitten werden können, um zu neuen Ländern zusammengelegt zu werden. (Abgeordneter Schiegl: Nur natürliche Grenzen!) Wenn Sie das Industrieland nehmen, das Wiener-Neustädter Becken und Obersteier, so gibt es da gar keine natürlichen Grenzen, weil das Wechsel- und Semmeringgebiet dazwischenliegt. Die natürliche Grenze ist hier sehr unnatürlich.

Es ist ein Zweites in der Verfassung von grundlegender Bedeutung: das Bekenntnis zur Republik. Es ist zwar von dem Vorredner der sozialdemokratischen Partei dieses Bekenntnis mit einer ziemlich gleichgültigen Geste beurteilt worden. In der feierlichen Stunde, in der dieses Bekenntnis abgelegt werden sollte, hat er es für notwendig befunden, festzustellen, dass dieses Bekenntnis nicht zu hoch zu bewerten sei, denn dieses stehe schließlich nur auf dem Papier. Geschmacksache! Er hat aber dann ausgeführt, was für ihn die Sicherung der Republik ist: eine feste Wehrmacht. Ich glaube, ich höre da Stimmen aus längst vergangenen Zeiten. (Lebhafte Zustimmung,) Das war so der Grundgedanke der Politik der alten Monarchien. Sie suchte ihren Schutz und ihre Stärke nicht in dem Willen und in der Liebe der Völker, sondern in der Stärke der Armeen, in der Anzahl und Leistungsfähigkeit der Gewehre und Bajonette. Dass die neue Republik in dem Augenblicke, in dem sie als Bundesstaat geschaffen wird, in dem Augenblick, wo ihre höchste Körperschaft, die Nationalversammlung, ihr die Verfassung gibt, schon so diskreditiert werden soll, dass man feststellt, man erblicke ihren Schutz nur in den Bajonetten einer Wehrmacht, dagegen erlaube ich mir mit aller Entschiedenheit Verwahrung einzulegen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.) Wenn Sie heute wirklich der Meinung sind, dass Sie sich auf die Bestimmung der Verfassung nicht verlassen können, dass Sie sich nur verlassen können auf die Wehrmacht, so ist das ein schweres Misstrauen in die Massen der Bevölkerung, zu gleicher Zeit aber auch eine Diskreditierung der Republik; denn Sie stellen fest, dass die Republik nicht verankert ist in der Liebe und dem Vertrauen ihres Volkes, dass sie nur sicher ist unter dem Schutz der Bajonette. (Sehr richtig!) Ob die Bajonette wirklich ein ausreichender Schutz sind, darüber sollte man nach den Erlebnissen der letzten Jahre nicht mehr reden müssen. Es hat sich gezeigt, dass die Bajonette nicht der Schutz sind, den man in ihnen erblickt hat. Der Militarismus, die Herrschaft der Bajonette war noch nirgends in der Welt so organisiert, so ausgebaut, so diszipliniert wie in Deutschland und trotzdem ist alles, was auf dieser wohlorganisierten und disziplinierten Militärmacht aufgebaut war, in einem Augenblick, schier über Nacht, zusammengestürzt. Ich glaube, nach solchen Erlebnissen sollte man in einem so denkwürdigen und feierlichen Augenblick nicht die Zukunft der Republik von den Bajonetten abhängig machen, schon gar nicht, verehrte Frauen und Herren, wenn die Bajonette sich in den Händen einer Organisation befinden, wie es diese Wehrmacht ist. Diese Wehrmacht hat den Beweis noch gar nicht erbracht, dass sie die Wehrmacht der Republik ist. Viel eher hat sie den Beweis erbracht, dass sie die organisierten Pinkertons der sozialdemokratischen Partei darstellt. (Zustimmung.) Aus dieser Wehrmacht muss ja erst eine republikanische Wehrmacht, eine republikanische Garde gemacht werden. Ob das gelingen wird, weiß ich nicht. Sicherlich wird es Aufgabe aller Parteien in diesem Hause und außerhalb desselben sein, mitzuwirken, dass die Wehrmacht der Republik wirklich zu einem brauchbaren und verlässlichen Instrument der Republik ausgestaltet werde. (Bravo!)

In der Verfassung begrüßen wir auch, dass durch dieselbe die Volksabstimmung eingeführt wird. Wir halten dafür, dass die Volksabstimmung das höchste Recht des Volkes ist, wertvoller noch als Wahlrecht. Wir halten dafür, dass die Volksabstimmung auch ein überaus wertvolles und in einer Republik unentbehrliches, in einer demokratischen Republik nicht zu missendes Korrektiv ist gegenüber den Beschlüssen der vom Volke gewählten Körperschaften. Und wenn es nicht eine Phrase sein sollte, was in dem ursprünglichen Entwurf der Verfassung gestanden hat, und wenn es nicht symptomatisch sein soll, dass man dieses Wort im endgültigen Entwurf gestrichen hat, dass alle Macht vom Volke ausgeht und alle Macht vom Volke ausgeübt wird, dann, verehrte Frauen und Herren, muss die Volksabstimmung als die wertvollste Errungenschaft der Bundesverfassung bezeichnet und anerkannt werden. (Bravo!) Leider Gottes ist, bevor noch die Nationalversammlung ihre Zustimmung zu der Institution der Volksabstimmung gegeben hat, diese schon verhöhnt und lächerlich gemacht worden. Man hat behauptet, dass Volksabstimmungen nicht geeignet sind, ein richtiges Urteil abzugeben, das heißt, der Masse unserer Bevölkerung zuzumuten, dass sie nur
die Fähigkeit besitzt, Steuern zu zahlen und Abgeordnete zu wählen, im Übrigen aber unter
der Kuratel und Vormundschaft der Abgeordneten zu bleiben habe.

(Zustimmung und Heiterkeit.) Ich habe von der Intelligenz unseres Volkes eine höhere Meinung und glaube, dass Volksabstimmungen, entsprechend vorbereitet und bei entsprechender Klarheit der zur Abstimmung gestellten Fragen, ein richtiges und zutreffendes Urteil ergeben werden. Vielleicht wird dieses Urteil nicht allen Kreisen genehm sein. Aber die Volksabstimmung ist eben nicht dazu da, die Meinung einer Partei, sondern die Überzeugung und den Willen eines ganzen Volkes zum Ausdruck zu bringen. (Bravo!) Wenn von dem Herrn Vertreter der sozialdemokratischen Partei gesagt wurde, dass die Volksabstimmung nicht die absolute Demokratie ist, so gebe ich ihm hierin recht. Es gibt aber überhaupt keine absolute Demokratie. Die absolute Demokratie ist bis heute überall, wo es eine solche gibt, reine Theorie geblieben. In der Praxis gibt es keine absolute Demokratie, sondern nur eine relative und wir können unternehmen was wir wollen, wir werden immer dazu kommen, dass letzten Endes ein gewisses Maß von Autokratie durch die Organe der Demokratie ausgeübt wird. Und das ist auch schließlich gar kein Unglück. Im Gegenteil, ich halte das nicht nur für zulässig, sondern insbesondere dann, wenn diese Autokratie von demokratischen Organen ausgeübt wird, die über die entsprechende Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit verfügen, können sich für die Sache der Demokratie und des öffentlichen Dienstes nur gute Wirkungen ergeben. Hätten wir auch in unserer Republik an allen leitenden Stellen Männer mit der entsprechenden Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit, wir würden ihre auch heute schon ausgeübten autokratischen Handlungen leichter ertragen. (Zustimmung.)

Verehrte Frauen und Herren! Wir sind eine demokratische Republik und Sie werden zugeben, dass zum Beispiel die Verwaltung des Staatsamtes des Äußern nicht nach demokratischen, sondern ausgesprochen autokratischen Grundsätzen erfolgt. (Zustimmung.) Beim Staatsamt des Äußern hat die Demokratie die Tafel vorgefunden: „Eintritt verboten!" (Heiterkeit und Zustimmung.) Da drinnen regiert der Staatssekretär des Äußern und fühlt sich höchstens in seinem demokratischen Gewissen veranlasst, dem Ausschusse für Äußeres einen kurzen Bericht zu erstatten; meist findet er sich aber auch hiezu nicht veranlasst, sondern trifft die wichtigsten und in unser Volksleben und die Zukunft des Volkes tief einschneidenden Entscheidungen unter eigener persönlicher Verantwortung. (Abgeordneter Dr. Otto Bauer: Beantragen Sie doch ein Misstrauensvotum! Dann sind Sie das los, wenn Sie die Mehrheit haben! Das wäre die Konsequenz!) Herr Dr. Bauer! Wenn das jetzt in diesem Augenblicke nicht ein Witz wäre, würde ich auf Ihre Anregung eingehen. (Abgeordneter Dr. Otto Bauer: Tun Sie es!) Aber in diesem Augenblicke, wo wir am Ende der Tätigkeit der Nationalversammlung stehen, wo die Nationalversammlung abzutreten hat, um dem Volke das Wort zu geben, wäre es eine Anmaßung, solche Handlungen vorzunehmen. Wir überlassen den Herrn Dr. Renner und seine Amtsführung dem Urteile des Volkes bei den Wahlen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen. — Abgeordneter Dr. Otto Bauer: Der Horthy ist halt mit dem Renner unzufrieden!) Herr Dr. Bauer, ich habe von Ihrem Intellekt eine zu hohe Meinung, als, dass ich auf so abgeschmackte Wählerversammlungswitze noch eingehen würde. (Heiterkeit und Zustimmung. — Zwischenrufe des Abgeordneten Weber.) Herr Weber, es wird für Sie wohltätiger sein, wenn Sie sich meine Rede notieren, um dann wieder eine entsprechende Verleumdungsflugschrift gegen die christlichsoziale Partei herauszugeben. (Beifall.)

Es ist von Herrn Dr. Danneberg gesagt worden, er erblicke die Gewährleistung der Demokratie nicht in der Volksabstimmung, sondern in den kurzen Wahlperioden. Man kann sich auch darüber mit den Sozialdemokraten auseinandersetzen. Es kann ja eine kurze Wahlperiode eine Gewähr für die Demokratie sein. Das würde aber dazu führen, dass wir eigentlich nicht alle zwei Jahre, sondern alle Jahre wählen, denn die Verhältnisse in einer so lebendigen Zeit, wie es die unserige ist, ändern sich so rasch, dass innerhalb Jahresfrist es notwendig sein kann, das Volk gegenüber seinen gewählten Vertretern wieder zum Worte kommen zu lassen. Es hat Herr Dr. Danneberg es aber auch für gut befunden — ich glaube in diesem Zusammenhange —, den Christlichsozialen den Vorwurf zu machen, dass sie hier in diesem Saale anders gestaltet sind und anders drüben im Sitzungssaale des Rathauses; er meinte, dass das nicht nur auf die Vertreter zutreffe, die im Gemeinderate sitzen, und auf jene, die hier sitzen, sondern sogar auf solche, welche in einer Person hüben und drüben tätig sind. Ein solches Exemplar ist nur in einer Auflage vorhanden und steht jetzt in meiner Person vor Ihnen. (Heiterkeit.)

Verehrte Frauen und Herren! Wenn Herr Dr. Danneberg wirklich meint, dass die Demokratie in einer kurzen Wahlperiode verankert ist, und wenn er wirklich glaubt, mit Recht und Zwiespältigkeit in unseren Handlungen vorwerfen zu können, dann richte ich an ihn eine Frage: Der Wiener Gemeinderat erfährt durch diese neue Verfassung eine ganz gewaltige Erweiterung seiner Kompetenzen; der Wiener Gemeinderat erlangt das Gesetzgebungsrecht, er wird Landtag, der Wiener Stadtsenat erlangt Vollzugsrecht, er wird Landesregierung, der Bürgermeister von Wien erlangt Vollzugsrecht, er wird Landeshauptmann. Glaubt Herr Dr. Danneberg nicht, dass in einem Augenblicke, in dem so grundlegende Veränderungen in den Rechten und Pflichten

des Gemeinderates der Stadt Wien eintreten, es geboten ist, der Bevölkerung von Wien Gelegenheit zu geben, für diesen neuen, ungeheuer erweiterten Wirkungskreis neue Männer und Frauen zu bestimmen? (Lachen und Zustimmung.) Rein aus diesem sachlichen Grunde heraus, glaube ich, müsste er diese Frage mit Ja beantworten. Aber ich will diesen sachlichen Grund nicht an die Spitze stellen, ich bleibe dabei, die Demokratie wird durch eine kurze Wahlperiode gewährleistet. Wir haben nun im Wiener Gemeinderat unter Berufung auf die Veränderungen im Wirkungskreise der Gemeinde verlangt, dass Neuwahlen des Gemeinderates vorgenommen werden, und der Herr Finanzreferent der Stadt Wien, Herr Stadtrat Breitner, hat erklärt: Es fällt uns nicht ein, auch nur einen Tag vor Ablauf unserer Mandate von unserem Platze zu weichen! (Heiterkeit.) Das heißt also, die Herren sitzen jetzt zwei Jahre beieinander, sie sind auf fünf Jahre gewählt und wollen noch drei Jahre trotz aller grundstürzenden Veränderungen im Wirkungskreis der Gemeinde Wien nicht von ihren Posten weichen. (Hört!) Wenn also Herr Dr. Danneberg, der auch Gemeinderat der Stadt Wien ist und im Klub der sozialdemokratischen Partei gewiss eine hervorragende Rolle spielt und auf dessen Entscheidungen hervorragenden Einfluss nimmt, der Meinung ist, dass die Demokratie nicht in der Volksabstimmung verankert ist, wohl aber durch eine Wahlperiode gewährleistet wird, die nicht länger als zwei Jahre sein darf, dann bitte ich ihn, wenn er nicht hier in diesem Saale und in der ganzen Öffentlichkeit als ein Spiegelfechter erscheinen will, dass er in der nächsten Sitzung des Gemeinderates, das ist am kommenden Freitag, den Antrag stelle, der Gemeinderat wird aufgelöst und im Namen der Demokratie der Wiener Bevölkerung Gelegenheit gegeben, den Gemeinderat neu zu wählen. (Lebhafter Beifall.)

Was wir an dieser Verfassung bemängeln, das ist bereits vom Herrn Referenten, ebenso auch vom Herrn Staatssekretär ausgesprochen worden. Wir bedauern es, dass diese Verfassung keine Entscheidung bringt in den Fragen der Grund- und Freiheitsrechte und bedauern es, dass sie keine Entscheidung bringt in den Fragen des Schul- und Erziehungswesens. Wir glaubten und glauben heute noch, dass es dringlich ist, in diesen Fragen ebenso Ordnung zu schaffen, wie es in den übrigen Fragen geschehen ist. Namentlich auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens hat sich ein Zustand der Rechtsunsicherheit herausgebildet, der für das Schulwesen auf die Dauer unerträglich ist. Es ist erforderlich, wenn die Schule nicht zugrunde gehen soll, dass hier klare Bestimmungen geschaffen werden, in dem einen oder in dem anderen Sinn. Denn zweifellos, den Zustand von heute, diesen Zustand der Unsicherheit und, wenn Sie wollen, diesen Zustand der inneren Moral- und Charakterlosigkeit auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens, diesen Zustand erträgt man nicht. Diese ewigen Widersprüche zwischen Gesetz und Vollzug, diese ewigen Widersprüche zwischen Theorie und Praxis, diese fortgesetzten Neuerungen, die nirgends verankert sind, die auch dann in das Gegenteil ausschlagen, wenn sie gut sind, eben deswegen, weil sie nirgends verankert sind, dies alles muss sein Ende finden. Es wird Aufgabe der neuen Nationalversammlung sein, hier mit allem Pflichteifer und mit aller Gewissenhaftigkeit sofort die Wege zu suchen, die zu einer Ordnung der Dinge führen. In dem Übergangsgesetz sind Bestimmungen ausgenommen, wonach die alten Schulgesetze bis zur Schaffung des neuen Schulgesetzes Geltung haben werden, dass weder durch die Nationalversammlung noch durch die einzelnen Landtage Veränderungen an dem bisherigen Zustand vorgenommen werden können.

Ich begrüße diese Bestimmung des Übergangsgesetzes, ich muss aber dringendst bitten, dass auch die Schulverwaltung mit den gegebenen Tatsachen rechne und nicht versuche, unbekümmert um die Staatsgesetze und unbekümmert um die Landesgesetze durch Vollzugsanweisungen oder, was noch schlimmer ist, durch direkte Einflussnahme auf die einzelnen Schulorgane den gegebenen Zustand zu verändern. Es soll bis zur Regelung der Frage jetzt wirklich ein sogenannter Gottesfriede bestehen, nicht im Interesse unserer Partei, nicht, im Interesse der einen oder der anderen Partei, sondern im Interesse der Schule und vor allem andern im Interesse der Kinder (Sehr richtig!), die sich heute schon nebst den Lehrpersonen in den Schulen wie verwaist, ja vielfach als verrückt vorkommen. Hoffen wir, dass es der neuen Nationalversammlung gelingt, möglichst bald auf dem Gebiete der Schule die entsprechenden staatsgrundgesetzlichen Verfügungen zu treffen.

Wir werden, wenn die Nationalversammlung entschieden hat, unsere neue Verfassung haben. Verehrte Frauen und Herren! So wertvoll diese Verfassung ist, so fehlt doch, um sie wirksam zu machen, noch eines. Es ist nicht nur der Staat ohne Verfassung und aus der Verfassung gekommen, sondern, leider Gottes, auch die Menschen sind nicht mehr in der richtigen sittlichen und staatsbürgerlichen Verfassung. Möge es nach dem Abflauen des Wahlsturmes, nach dem Abflauen der Verwilderung des öffentlichen Lebens, die dieser Wahlkampf hervorgebracht hat, dem Zusammenwirken aller Parteien gelingen, in den großen Volksmassen wieder die richtige Geistes- und staatsbürgerliche Verfassung herzustellen, die darin ihren Ausdruck findet,
dass jeder Bürger dieser Republik nicht nur die Überzeugung hat, sondern auch die Pflicht
empfindet, dass die Verfassungsgesetze nicht gegeben worden

sind, um mit akademischen Leistungen zu brillieren, sondern um das Leben der Staatsbürger zu gewährleisten. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Präsident Dr. Dinghofer (der während der vorstehenden Rede den Vorsitz übernommen hat): Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Dr. Schönbauer.

Abgeordneter Dr. Schönbauer: Hohe Nationalversammlung! Die ausführlichen Darlegungen meines Kameraden Clessin machen es mir möglich, mich kurz zu fassen. Gerade seine Ausführungen haben bewiesen, dass die Parteien der Großdeutschen Vereinigung während der ganzen Arbeit an dem Verfassungswerk unablässig bemüht waren, das Werk vorwärts zu bringen, über Hindernisse hinwegzuhelfen und bestehende Schwierigkeiten zu beseitigen. Aber gerade diese Mitarbeit, diese emsige und uneigennützige Mitarbeit, bei der die Parteipolitik ganz in den Hintergrund trat, macht es uns auch möglich, ein offenes Wort über die ganze Verfassung zu sagen.

Und da muss ich nun ganz offen ketzerisch sprechen und erklären: Ich leugne es, dass die vorliegende Verfassung ein dauerndes Werk, eine große, befreiende Tat, das „große Werk“ darstellt oder auch nur darstellen kann, das uns Ruhe und Ordnung in unserem unglücklichen Staatswesen bringen könnte. Ich leugne es gegenüber dem Herrn Berichterstatter, dass die Schaffung dieser Verfassung ein Zeichen der Gesundheit und Kraft ist. Ich leugne es, dass diese Verfassung auch nur Jahrzehnte bestehen könnte. Ich sehe sie als eine Notverfassung, als eine Übergangsverfassung an, die gezimmert werden musste, weil nichts anderes übrig blieb, und ich möchte ihr den Titel geben: Gesetz, womit die altösterreichischen Länder vorübergehend als Bundesstaat eingerichtet werden. Dabei verkenne ich durchaus nicht den großen Fleiß und den guten Willen aller beteiligten Faktoren. Aber der gute Wille kann nicht darüber hinweghelfen, dass wir heute ganz ruhig und objektiv feststellen müssen: es wird eine große Enttäuschung eintreten, wenn man auf diese Verfassung allzu große Hoffnungen setzt. Sie können nicht in Erfüllung gehen aus allgemeinen Gründen und aus besonderen Gründen, die in den Verhältnissen unseres Staates liegen. Aus allgemeinen Gründen nicht, weil sich der ganze formale politische Parlamentarismus nach meiner Überzeugung in einer schweren Krise befindet, weil der formale politische Parlamentarismus, wie er sich bis jetzt entwickelt hat, zwar die politische Revolution gemeistert hat, aber nicht mehr die heraufdrängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme meistern kann. Ihnen gegenüber steht er ohnmächtig da. Man kann es in allen Staaten Europas beobachten, dass eine tiefe Unzufriedenheit über den heutigen politischen Parlamentarismus im Volke besteht. Nicht nur bei uns, bei uns aber ganz besonders, macht sich das im Schimpfen auf das Parlament, in dem Vorwerfen aller möglichen Untugenden, insbesondere der Diätenjägerei, der Mandatsucht und dergleichen gegenüber den Abgeordneten bemerkbar. Dies ist im Grunde genommen nicht gerecht. Aber wir tragen zum Teil selbst die Schuld daran, weil nach unserer Verfassung noch immer dieses politische Parlament das einzige Staatsorgan überhaupt ist, das nicht nur die rechtlichen, sondern auch die wirtschaftlichen und kulturellen Bedingungen des öffentlichen Lebens dauernd regeln soll. Der politische Parlamentarismus versagt heute noch nicht gegenüber den politischen Problemen, dass es immer noch möglich war, in kurzer Zeit und gut sich den politischen Machtverhältnissen anzupassen. Aber vollständig versagt er und muss er versagen gegenüber den Problemen der öffentlichen Wirtschaftsverwaltung. Der Parlamentarismus bietet in dieser Beziehung nur die sogenannte politische Kontrolle. Die politische Kontrolle reichte aus in normalen Zeiten, in Zeiten der ruhigen wirtschaftlichen Entwicklung, wo die ganze öffentliche und wirtschaftliche Verwaltung beamtenmäßig vollzogen werden konnte, das heißt nach einem genau bestimmten Dienstrecht vollzogen werden konnte. Heute aber, nach diesem grundlegenden wirtschaftlichen Umstürze, soll die öffentliche Wirtschaftsverwaltung schöpferisch tätig sein und demgegenüber reicht nun die politische Kontrolle unseres heutigen Parlamentarismus in keiner Weise aus und muss daher zur Unzufriedenheit der Bevölkerung führen.

Wir sehen, dass die Finanzwirtschaft in fast allen Staaten, besonders in jenen, die als Besiegte gelten, versagt, dass es unmöglich ist, das wachsende Defizit mit immer neuen Steuern, durch fortwährendes Anziehen der Steuerschraube auch nur einigermaßen zu decken. Wir sehen, dass die Sozialisierungsversuche kläglich gescheitert sind, weil man hier eine Gemeinwirtschaft mit privatkapitalistischen Mitteln betreiben will. Wir sehen, dass andere Versuche, wie die Zwangswirtschaft mit Hilfe der Zentralen, vollständig versagt haben, weil hier wiederum von einem Zentrum aus nach politischen Methoden die Leitung erfolgen soll, die den wirtschaftlichen Verhältnissen durchaus nicht gerecht werden kann.

Wir sehen aber zugleich überall ein Tasten, ein Suchen nach neuen wirtschaftlichen Vertretungskörpern, nach neuen Gesichtspunkten der Leitung der öffentlichen Wirtschaft. Hieher gehört die Forderung nach einer Berufskammer als Wirtschaftskammer. Ich erinnere daran, dass ich im Namen der
Großdeutschen Vereinigung vor fünfviertel Jahren in der ersten Sitzung des Verfassungsausschusses
eine solche Berufskammer als Wirtschaftskammer, und zwar

föderalistisch geführt, gefordert habe, und dass Kamerad Angerer in der ersten Beratung der vorläufigen Verfassung diese Forderung wiederholt hat.

Sie tritt uns jetzt genau so in den anderen Staaten, zum Beispiel in Italien, entgegen. Hieher gehört ferner auch jene Bewegung, die sich nach Dr. Rudolf Steiner nennt und die eine Dreiteilung des Gesamtorganismus verlangt.

Hieher gehört schließlich die Rätebewegung in ihren verschiedensten Formen. Die politische Rätebewegung hat sicherlich versagt; aber die wirtschaftliche Rätebewegung wird vielleicht zu neuen Formen wirtschaftlicher Vertretung führen. Gerade in dieser Beziehung setze ich die größten Hoffnungen auf Deutschland, und zwar auf das Deutschland, das heute geknechtet darniederliegt. Die Not macht erfinderisch und gerade aus dieser Not des Volkes heraus, glaube ich, wird in Deutschland eine neue Wirtschaftsordnung entstehen auf den Grundlagen des alten deutschen Genossenschaftsrechtes, der wirtschaftlichen Selbstverwaltung und anderseits dem Staate gegenüber auf der allgemeinen Wehr- und Arbeitspflicht. Ich hoffe, dass gerade Deutschland imstande sein wird, im Ringen der Geister in diesen schweren Übergangszeiten, in diesen Jahren der Katastrophe eine neue Wirtschaftsordnung zu finden, die den großen Gegensatz zwischen Besitzenden und Besitzlosen, zwischen den sogenannten Gebildeten und Ungebildeten und zwischen den Besitzlosen und dem Staate wenn nicht aufheben, so doch bedeutend abschwächen wird. Von allen diesen Problemen finden wir in dem vorliegenden Gesetze nur einen schwachen Niederschlag in dem vieldeutigen Artikel 18.

Dass uns aber die vorliegende Verfassung nicht die Erlösung aus der wirtschaftlichen Not dieses Staates bringen kann, dafür sind aber nicht nur diese allgemeinen Gründe, das Versagen des politischen Parlamentarismus, sondern in erster Linie die besonderen Gründe maßgebend, die die Verhältnisse in diesem Staatswesen mit sich bringen. Wir dürfen uns doch nicht der Hoffnung hingeben, dass die künftigen Anordnungen der Wiener Regierung in den Ländern gerne und genau befolgt werden, weil es Anordnungen einer Bundesregierung sind. Man wird genauso über unliebsame Anordnungen schimpfen und wird sagen, sie kommen von der Wiener Regierung. Das ist begreiflich, weil wir alle mitsammen durch den Friedensvertrag von St. Germain in einen Kerker gesperrt worden sind und weil es im menschlichen Leben begreiflich ist, wenn man im Unglück nach einer Ursache sucht und sie immer im Nächstliegenden findet.

Ich will aber nicht behaupten, dass unser heutiges Verfassungswerk überhaupt unnötig oder schlecht wäre. Ich will nur vor Optimismus warnen und betonen, dass diese Verfassung gar nicht die große befreiende Tat sein kann, denn sie ist eine formale Tat, und an formalen Gesetzen und formalen Anordnungen hat es uns nicht gefehlt. In dieser Beziehung hat die Nationalversammlung fleißig gearbeitet. Zufriedenheit kann aber in absehbarer Zeit in diesem Staatswesen gar nicht aufkommen, so lange der Staat und die Regierung den Staatsbürgern nicht die entsprechende Produktions- und Arbeitsmöglichkeit und die entsprechende Ernährung bieten kann. In politischer Beziehung halte ich aber das jetzt zustande gekommene Verfassungsgesetz für unbedingt notwendig, und zwar gerade als Bundesverfassungsgesetz. Ich befinde mich dabei im Gegensatz zum sozialdemokratischen Sprecher Dr. Danneberg, der erklärt hat, es wäre viel natürlicher gewesen, einen Einheitsstaat aus diesem kleinen Staate zu machen, schon mit Rücksicht auf den Anschluss an Deutschland. Einen Einheitsstaat aus diesem unglücklichen Wirtschaftsgebilde zu machen, ist aber derzeit unmöglich, weil der ganze Zweck dieser Verfassung, die ja eine Notverfassung ist, nur der sein kann, über die nächste Zeit hinwegzukommen, damit in diesem Staatswesen wenigstens halbwegs Ordnung herrsche, damit wir für Großdeutschland noch retten, was in diesem Staate überhaupt zu retten ist. Von diesem Gesichtspunkte aus, wäre ein Einheitsstaat unmöglich gewesen.

Wenn Herr Dr. Danneberg der Großdeutschen Vereinigung auch vorgeworfen hat, dass sie die politischen Rechte von Wien nicht genügend wahren wollte, so ist dieser Vorwurf ganz unberechtigt. Denn wenn heute alle Landbewohner und die Länder ein politisches Übergewicht von Wien ablehnen, so liegt das in den Verhältnissen. Wir können ja nichts dafür, dass in diesem neuen Staatswesen jeder dritte Staatsbürger ein Wiener ist, jeder zweite Staatsbürger dem Wiener Industriegebiet angehört. Das ist eine Folge der unglücklichen Zusammensetzung, und weil mir mit dieser rechnen mussten, deshalb war es nur natürlich, von einem Einheitsstaate für die Übergangsjahre abzusehen, und zu dem einzigen politischen Auskunftsmittel für die nächsten Jahre zu greifen: das war die bundesstaatliche Verfassung, die jetzt gegeben werden soll.

Dass man aber — wie der Herr Berichterstatter — erklären kann, es liege in der Schaffung dieser Verfassung eine Probe der Kraft und Gesundheit, das leugne ich ganz entschieden. Der Vergleich mit der Schweiz hält durchaus nicht stand, denn die Schweiz hat sich in den letzten Jahrhunderten ganz anders entwickelt. Die Schweiz wurde nicht plötzlich und unvermittelt aus einem großen einheitlichen Wirtschaftsgebiete von 50 Millionen Einwohnern herausgerissen. Daher sind alle Vergleiche mit der Schweiz durchaus unzutreffend. Wenn wir eine neue Schweiz schaffen wollen, dann muss die ganze Produktion, muss die Schichtung der Bevöl-

kerung nach ihrer Berufstätigkeit eine völlig andere werden, das heißt aber, zu einer neuen Schweiz können wir nur kommen, wenn Hunderttausende unterdessen in den nächsten Jahren sterben und auswandern. Daher ist das Wort von einer neuen Schweiz, glaube ich, durchaus nur ein Schlagwort, und zwar ein gefährliches, weil es bei unserer Bevölkerung so leicht den Glauben erwecken kann, unser Staat könne in seiner heutigen Verfassung, in seiner heutigen wirtschaftlichen Gestaltung, mit seiner heutigen Einwohnerzahl dauernd selbständig bestehen.

Geschichtlich betrachtet stellt die neue Verfassung im Großen und Ganzen ein Zurückgehen auf die Zeit vor 1526 dar. Unsere heutige Verfassung erinnert sehr stark an die Generallandtage und an die Ausschusslandtage unter Friedrich III. und Maximilian I. Unsere künftigen Bundes- und Landesgesetze erinnern stark an die allgemeinen und besonderen Landtagsabschiede und Landtagslibellen vor 1526.

Wir wollen also unsere neue Verfassung lieber nicht als ein großes Werk preisen; sie ist eben nur ein Notbau, ein Flickwerk, zu dem uns die Not gezwungen hat. Noch eine Frage müssen wir uns vorlegen. Wie wird sich unsere neue Verfassung in die Verfassung von Großdeutschland einfügen, wenn es einmal zur Einverleibung unseres Gebietes kommt? Ist diese Verfassung passend, macht die vorliegende Verfassung einen leichten Übergang in eine großdeutsche Verfassung möglich? Da muss ich leider mit „Nein" antworten. Die bundesstaatliche Verfassung, in der Deutschösterreich als ein Bundesstaat eingerichtet wird, ist zwar heute vorläufig politisch notwendig, aber eine leichte verfassungsmäßige Eingliederung in ein Großdeutschland wird sie nicht ermöglichen. Denn wenn Deutschösterreich ein Bundestaat ist und die einzelnen Länder seine Gliedstaaten und anderseits dieser Bundesstaat selbst wieder in einem großdeutschen Bundesstaate ein Gliedstaat sein müsste, so hätten wir damit ein ganz unmögliches staatsrechtliches Gebilde, einen Bundesstaat zum Quadrat erhoben. Anderseits wäre aber auch sein Gegensatz für den Anschluss, für die Einverleibung in Großdeutschland ungünstig, wenn nämlich die bundesstaatliche Verfassung für unser Gebiet überhaupt wegfiele und jedes Land als Gliedstaat angeschlossen würde. Die Folge davon könnte nur die sein, dass die einzelnen Länder politisch vollkommen einflusslos wären, und dies würde außerdem aber auch der ganzen geographischen, geschichtlichen, wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Entwicklung nicht entsprechen. Außerdem wäre es durchaus nicht begrüßenswert, wenn durch den Hinzutritt von neuen Ländern nun neun neue deutsche „Vaterländer" geschaffen würden, wenn wir in die Zeiten der Kleinstaaterei zurückfielen. Die Lösung wird, glaube ich, einstens in der Mitte liegen, wie sie Wirtschaft und Geschichte uns lehrt; denn die Geschichte dieser Länder vor 1526 hat eine deutliche Teilung in Ländergruppen gezeigt. Wir hatten damals zu unterscheiden einerseits die fünf sogenannten niederösterreichischen Länder, unter denen man Österreich ob und unter der Enns, die Mark Steier, Kärnten und Krain verstand, und anderseits die sogenannten vorderösterreichischen Länder, unter denen man Tirol und die Vorlande begriff. Diese niederösterreichischen Länder waren lange in zwei Teile geschieden, einerseits in das alte Ostarichi und anderseits in das alte Karantanien, das man später auch gewöhnlich Innerösterreich nannte. Es ist nun bemerkenswert, dass der erste Verfassungsentwurf, der für das Reichsdeutschland ausgearbeitet wurde und der auch Deutschösterreich einbeziehen sollte, der Entwurf, der von Dr. Preuß auf eine ähnliche staatliche Ordnung hinauslief. Selbstverständlich ist aber in den letzten Jahrhunderten die Stellung von Wien anders geworden und Dr. Preuß hat damals, im März 1919, daher auch in seinem Entwurfe Wien als reichsunmittelbare zweite Hauptstadt vorgesehen.

Nun werden manche von Ihnen sagen: Worüber sich der den Kopf zerbricht, ist unglaublich! Heute, bei der Beratung der österreichischen Verfassung denkt er an die großdeutsche Verfassung, während doch der Zeitpunkt der Einverleibung dieser altösterreichischen deutschen Lande in das Deutsche Reich noch ganz unsicher ist, während noch mächtige Kräfte im Inland und im Auslande tätig sind, um diese Einverleibung für immer zu vereiteln! Aber ich sage dem gegenüber: Die Hoffnung auf diese zukünftige großdeutsche Verfassung war es, die uns zur fleißigen und unverdrossenen Mitarbeit an diesem Verfassungswecke bewogen hat, das wir nur als Notbau anerkennen können. Wir sind überzeugt und hoffen, dass das gesamte Ausland allmählich erkennen wird, dass es ein Verbrechen ist, die sechs Millionen Deutschösterreicher in den Kerker von Saint-Germain gesperrt zu haben, bloß aus dem Grunde, weil sie Deutsche sind und nicht mit ihren Stammesbrüdern zusammenkommen sollen, weil Frankreich die Vermehrung deutscher Macht nicht zulassen will. Wir glauben, dass die ganze Menschheit die Notwendigkeit des Anschlusses erkennen wird, wenn einst die Friedhöfe nicht mehr ausreichen, die Massengräber dieser Bevölkerung zu fassen. Wir hoffen, dass sich bald die Zeiten erfüllen werden, wo unser Leidenskelch bis zur Neige geleert ist. Das allein hat uns bei der Schaffung dieser Verfassung, bei der Mitarbeit an ihr geleitet.

Es wäre aber politische Sünde, wenn wir dem Auslande gegenüber den Glauben erzeugen wollten,
als ob wir diese Verfassung als etwas Dauerndes, den Staat Österreich als dauerndes

selbständiges Staatsgebilde auffassen würden. Wir müssen vielmehr auch heute wieder vor aller Welt aus tiefster Überzeugung bekennen: Dieser Staat ist in seiner heutigen Gestalt, in seiner heutigen Wirtschaftsform, mit seiner heutigen Einwohnerzahl unmöglich, er kann nicht dauernd als selbständiges Gebilde bestehen. Immer lauter und lauter wird auch in Zukunft der Ruf ertönen: „Volk will zu Volk!" und unser Grundsatz kann nur bleiben: „Ein Volk, ein Staat!“ (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Präsident Dr. Dinghofer: Zum Worte ist ferner gemeldet der Herr Abgeordnete Leuthner.

Abgeordneter Leuthner: Hohes Haus! Sie werden mich schon entschuldigen müssen, wenn ich zu Beginn meiner Rede mich mit einer etwas mühseligen und nicht sehr unterhaltlichen Aufgabe befassen werde, die mir aber durch die Rede des Herrn Abgeordneten Kunschak auferlegt worden ist. Ich habe das Gefühl gehabt, der Herr Abgeordnete Kunschak war heute nicht so ganz in der Verfassung und wenn man die Rede an dem Gegenstände misst, muss man eigentlich sagen, dass er recht wenig Zusammenhang mit der Sache hatte und sich wesentlich damit begnügte, einige Parteischlager, die ihm aus verschiedenen Versammlungen übrig geblieben sind, uns hier vorzulegen, einige Schlager eigener Mache, darunter auch einen Schlager, den ihm die „Reichspost“ heute geliefert hat. Mit dem Inhalte der Verfassung hat er sich ja — das werden selbst die Herren Christlichsozialen zugeben — so gut wie gar nicht beschäftigt. Daran mag die Verfassung schuld sein, daran mag auch Herr Abgeordneter Kunschak schuld sein oder vielleicht auch der Umstand, dass der Abgeordnete Kunschak und die Verfassung — wie die Sitzungen des Unterausschusses für die Verfassung dargetan haben — sehr wenig miteinander in Verbindung getreten sind. Mir bleibt indes nichts anderes übrig, als mich doch mit der Rede des Abgeordneten Kunschak trotz ihrer geringen Bedeutung zu befassen, weil sie eine ganze Reihe von — na, sagen wir, Missverständnissen enthält. Man könnte auch sagen: Umstellungen, wenn man das Wort Entstellungen vermeiden wollte.

Der Herr Abgeordnete Kunschak scheint es für einen sehr guten Witz zu halten oder wenigstens für eine witzige Antithese, dass er dem Abgeordneten Danneberg vorwarf, er hätte nicht das rechte Verständnis für die Bedeutung des Bekenntnisses zur Republik, die in dem heutigen Beschlüsse der Nationalversammlung liegen wird. Ich glaube, wenn man die Worte des Herrn Abgeordneten Danneberg richtig liest oder aufmerksam angehört hat, hat man etwas anderes als deren Inhalt vernommen. Er hat gemeint, dass es an sich ganz nützlich sei, dass dieses Bekenntnis geschieht, namentlich in den jetzigen Zeiten, aber dass damit allein selbstverständlich die Republik noch nicht eine genügende Bürgschaft ihres Bestandes gewinne. Ich stehe auf einem etwas anderen Standpunkt als der Abgeordnete Danneberg. Ich freue mich diebisch auf den Augenblick, wo dieses Haus das Bekenntnis zur Republik ablegt. Denn da wird eine ganze Reihe von Leuten dabei sein, die „Ja!“ sagen müssen, wo ihr ganzes Herz und ihre ganze Seele „Nein!“ schreit (Heiterkeit), die es gar nicht erwarten können, dass der Karl doch endlich wieder herkommen möge und die jetzt ihr monarchistisches Antlitz in streng republikanisch-römische Falten zwängen müssen. (Lebhafte Heiterkeit.) Und da die Schadenfreude die reinste Freude ist, die ein Mensch genießen kann, so wird diese Abstimmung für mich eine Quelle reinsten Genusses sein und ich werde es nicht unterlassen, die ganze Zeit, wo es sich um dieses Bekenntnis zur Republik handeln wird, meine Blicke nach dieser Seite des Hauses zu wenden, um das Vergnügen ganz in völliger Anschauung und in beglückender Gegenwart des Ereignisses zu genießen. (Lebhafte Heiterkeit.)

Wenn aber der Herr Abgeordnete Kunschak jetzt, weiterhin mit dem Witz, mit dem heute die „Reichspost“ krebsen geht, auch uns hier zu beglücken unternahm, so möchte ich ihn doch darauf aufmerksam machen, dass er sich in einem ganz anderen Falle befindet als der Redakteur der „Reichspost“. Wenn der Redakteur der „Reichspost“ Worte auslässt, Sätze verkehrt und verdreht und dann aus dem Verkehrten und Verdrehten seine ihm passenden Schlüsse zieht, kann ihm natürlich niemand etwas entgegenhalten, denn er ist an seinem Schreibtisch allein. Wenn es aber der Herr Kunschak ebenso macht, ist das ein sehr bedenkliches Unternehmen. Und er hat es ganz kräftig so gemacht. Er hat nämlich behauptet, der Abgeordnete Danneberg wolle sich nur auf die Wehrmacht stützen. Von „nur“ war aber nicht die Rede. Und von diesem „nur“ nun ging dann die ganze Schlussfolgerung des Herrn Kunschak aus. Ja, was meint denn der Herr Abgeordnete Kunschak? Auf eine Wehrmacht, die ernsthaft republikanisch gesinnt ist, sich zu berufen, das ist das gute Recht einer Partei, die dafür Sorge getragen hat, — Sorge getragen hat im schärfsten Kampfe gegen Sie, meine Herren, — dass diese Wehrmacht nicht etwas aus dem Volke Herausgehobenes, von dem Volke als fremd Losgelöstes, sondern als ein Teil dieses Volkes gestaltet wird. Unsere Wehrmacht hat alle staatsbürgerlichen Rechte, die jeder andere Staatsbürger auch genießt, und ist durchaus ein Teil des Volkes. Sich auf sie zu berufen haben wir,
die ihr diese volkstümliche Gestalt verliehen haben, allerdings das Recht. Allein es hat sich der Herr

Abgeordnete Danneberg nicht nur auf die Wehrmacht berufen, sondern er hat sich vor allem auf den Willen der Arbeiterschaft berufen. Wenn sonach der Herr Abgeordnete Kunschak behauptet, Danneberg habe die Wehrmacht der Masse der Bevölkerung gegenüberstellt, — ja die Masse der Bevölkerung ist doch die arbeitende Bevölkerung, auf die sich Danneberg berufen hat! Man sieht also: Entstellungen im Stile der „Reichspost“ lassen sich doch nur dann mit Glück durchführen, wenn man sie am Schreibtisch in Szene setzt, ungestört von denen, die die Tatsachen wissen und sie entgegenzuhalten vermögen.

Der Herr Abgeordnete Kunschak möchte wissen, wo denn eigentlich die Berechtigung zu einem Misstrauen vorliege, darauf sage ich ihm: Jawohl, wir haben ein ganz gewaltiges Misstrauen gegen recht beträchtliche Teile des Volkes von Deutschösterreich. Vor allem haben wir Misstrauen gegen alle diejenigen, die in blinder und tauber Anhänglichkeit an die Führer der christlichsozialen Partei angeschlossen sind, wir übertragen auf sie mit Recht das Misstrauen, das wir vor allem gegen die Führer der christlichsozialen Partei nähren, gegen Kunschak in allererster Linie, vor dem und vor seiner Politik ich ebenso wie alle anderen, die es ernst und ehrlich mit einer demokratischen Republik meinen, ernste Besorgnisse hege; wenigstens kann man sagen dass die Gefährlichkeit des Herrn Kunschak und seiner nächsten Anhänger, dieser eigentlichen antirepublikanischen Gruppe innerhalb der christlichsozialen Partei, nur begrenzt ist durch die Schranken ihrer Macht, sicherlich aber nicht durch ihre Gesinnung und sicherlich nicht durch irgendeine moralische Schranke. (Zustimmung.)

Es war ja auch in der Rede des Herrn Abgeordneten Danneberg nicht zu überhören, dass er ausdrücklich auf die Zeit, in der wir leben und auf die Gefahr hinwies, die sich im Auslande an unserer Grenze zusammenballt. Dass der Herr Abgeordnete Kunschak diese Stelle dennoch überhört hat, ist vielleicht weniger Absicht, als der Umstand, dass das, was uns und allen republikanisch Gesinnten als Gefahr erscheint, die drohenden Erscheinungen an der ungarisch-österreichischen. Grenze, für ihn nicht Gefahr, sondern Erlösung, Wunsch und Hoffnung bedeutet (Lebhafte Rufe: Sehr richtig), so dass sich natürlich für ihn das Missverständnis gewissermaßen aus den Grundelementen seines Denkens und Empfindens logisch ergab.

Noch ein Wort gestatten Sie mir über den Herrn Kunschak und über das, was er uns über die Wehrmacht zu sagen so gütig war. Er meinte, es sei das gar keine republikanische Wehrmacht, es seien das organisierte Pinkertons der Sozialdemokraten. Ich bin überzeugt, dass Herr Kunschak in Hietzing oder in Meidling, in einem christlichsozialen Versammlungslokal — wahrscheinlich in mehreren christlichsozialen Versammlungslokalen — mit diesem Schlager erfolgreich Staat gemacht hat, aber im Parlament will sich nicht alles schicken, was draußen im Wahlkampfe sich fruchtbar verwenden lässt. Zu dem Begriffe der Pinkertons würde gehören, dass wir die Wehrmacht irgendwie, irgendwann zu unseren besonderen Parteiinteressen benutzt, sie für unsere Parteiinteressen zu Gewalttaten verwendet hätten. Dafür wird der Herr Abgeordnete Kunschak auch nicht ein Beispiel anführen (Zustimmung.), und ich sage ihm, was ihm an der Wehrmacht fehlt, das ist, dass die Wehrmacht, so wie wir sie gestaltet haben, nicht mehr das ist, was sie früher war, nämlich Pinkertons im Dienste der bürgerlichen Kreise, im Dienste des Kapitalismus. (Lebhafte Zustimmung.) Das vermisst Herr Kunschak an der jetzigen Wehrmacht, das ist die Unvollkommenheit der jetzigen Wehrmacht im Sinne der Christlichsozialen, und für mich besteht kein Zweifel, wenn die Herren Christlichsozialen jemals zur Macht gelangen und etwa ihren Heeresfachmann, den Herrn Dr. Mataja zum Bundesminister für das Heerwesen machen, diese Umwandlung unserer Wehrmacht in Pinkertons im Dienste der christlichsozialen Partei und des christlichen, und nicht bloß des christlichen Kapitalismus mit allen Mitteln betrieben werden wird.

Nun kommt das zweite Kapitel, das Kapitel über die Volksabstimmung. Da hat der Herr Abgeordnete Kunschak die Sache so gedreht, als ob der Herr Abgeordnete Dr. Danneberg die Volksabstimmung verhöhnt hätte. Nun hat Dr. Danneberg gar nichts anderes behauptet, als das, was Herr Kunschak verschweigen musste, um den Vorwurf überhaupt erheben zu können; er hat gesagt, dass über komplizierte Gesetze, wie sie unter den heutigen wirtschaftlichen und politischen Zuständen die Regel bilden, eine bloße Entscheidung mit Ja und mit Nein nicht genüge. Das wird natürlich jeder Mensch bestätigen, der unser politisches und wirtschaftliches Leben von heute kennt und jeder wird deshalb auch bestätigen, dass die Anwendung der Volksabstimmung bei der Gestaltung unserer Gesetze an diesem Umstande eine sehr bedeutende Schranke findet. Es gibt nicht einen Politiker und kaum einen Staatsrechtslehrer, der in diesem Punkte einer anderen Meinung wäre. Für den Herrn Abgeordneten Kunschak hat es sich indes bei der ganzen Sache um etwas ganz anderes gehandelt; für ihn wars das Mittel, auf dem Umwege über eine Theorie von absoluter Demokratie und Autokratie, die von demokratischen Behörden ausgeübt werden, zu einer weiteren persönlichen Tücke und Bosheit zu gelangen.

Aber noch ein Wort über die Autokratie der demokratischen Organe! Dass er sich ihrer so sehr


 

erfreut, dass er mit einer förmlichen Begeisterung von ihnen gesprochen hat, hat in uns die Erinnerung an Zeiten wachgerufen, wo es wirklich in Österreich eine solche, und zwar brutal an das Zarentum erinnernde Autokratie der demokratischen Organe gab, das heißt nicht demokratischer, aber wenigstens in demokratischer Form gewählter Organe, das waren die Zeiten, wo Herr Kunschak und seine Parteigenossen in Wien und Niederösterreich herrschten und Niederösterreich das Paschalik der Herren Kunschak und Genossen war. Aus diesen Zeiten her kennen wir die Praxis der Autokratie der demokratischen Organe und haben deshalb seiner Theorie, die er hier vorgebracht hat, das richtige, auf die Erfahrung gestützte Verständnis entgegengebracht. Aber für Herrn Kunschak hat es sich natürlich nicht darum gehandelt, sondern er wollte, wie ich schon sagte, einen Angriff nach der anderen Richtung schleudern. Er begann nämlich davon zu reden — so schuf er sich den Übergang —, dass die Autokratie der demokratischen Organe nur dann etwas Gutes sei, wenn diese demokratischen Organe auch fachlich und sachlich ihrer Aufgabe gewachsen seien. Wie er diese Bosheit abschoss, dachte ich mir: Was meinte er da, es wird doch nicht um des Henkers willen die innere Zersetzung in der christlichsozialen Partei schon so weit gediehen sein, dass sie sich auch schon auf das Verhältnis des Klubs zu den gegenwärtigen Mitgliedern der Regierung erstreckt. Kunschak wird doch nicht um Gotteswillen den Herrn Heinl oder den Herrn Haueis meinen oder gar den derzeitigen hoch verehrten Leiter unseres Kabinetts, den Herrn Professor Dr. Mayr? Aber so ganz unmöglich wäre das auch nicht gewesen, dass er diese drei Herren gemeint hätte, denn es hat sich gezeigt, dass zum Beispiel die abgehenden Mitglieder des früheren Kabinetts in ihrer Partei mit dem, was sie geleistet und getan haben, keinen richtigen Anklang gefunden zu haben scheinen. So hat sich der Herr Zerdik, wenn ich nicht irre, auf Grund seiner früheren Tätigkeit selbständig machen müssen, weil er in der Partei keinen Raum mehr findet. Ebenso hat man Herrn Dr. Waiß, wenn ich richtig gelesen habe, auf die nicht eben aussichtsreiche sechste Stelle seiner Liste gesetzt, einen Mann, von dem erzählt wird, dass er ein großartiger Bauernagitator ist, worauf die Christlichsozialen namentlich in Zeiten der Wahl viel mehr Wert legen, als etwa auf Fachkenntnisse in militärischen Angelegenheiten. Und ob alle Christlichsozialen an Herrn Stöckler eine ungemischte Freude haben (Heiterkeit), das scheint mir nach den Veröffentlichungen, die in der letzten Zeit zu lesen waren, gleichfalls zweifelhaft. Ich war also wirklich einige Zeit der beängstigenden Meinung, es würde da plötzlich christlichsoziale Parteiwäsche gewaschen werden, als der Herr Abgeordnete Kunschak uns aus diesen bangen Zweifeln angenehm erlöste, indem er den Namen Renner nannte.

Nun selbstverständlich, eine Partei, die über so großartige Begabungen, über so viel Fachwissen in ihren Reihen, über so viele anerkannte, europäische geachtete Namen verfügt, dass sie als ihren Besten und Ersten den Professor Mayr uns an die Spitze des Staates hat präsentieren müssen (Heiterkeit), die hat volles Recht, den Herrn Abgeordneten Renner als einen ungeeigneten Staatssekretär hinzustellen. Und auch darüber, warum der Herr Abgeordnete Renner den Christlichsozialen als ungeeignet erscheint, will ich mich in gar keinen Streit mit Herrn Kunschak einlassen. Ich finde es vielmehr ganz begreiflich, dass dem Herrn Abgeordneten Kunschak die Außenpolitik des Herrn Dr. Renner nicht behagt, den um ihm zu behagen, müsste sie keine deutschösterreichische Politik mehr, sondern eine ungarische Politik sein. (Zustimmung.) Ich bitte, ganz ernst gesprochen, ohne alle Aufregung. Versuchen Sie und lesen Sie doch einmal alle Kritiken — nicht eine, sondern alle Kritiken —, die in sämtlichen christlichsozialen Blättern gegen die Politik Renners, namentlich seitdem es diese berühmte kleine Entente gibt, laut wurden, ob eine einzige dieser Kritiken anders als vom ungarischen Standpunkt aus geschrieben ist! Ich bitte, legen Sie mir den Artikel vor, den die „Reichspost" als Kritik an Renners auswärtiger Politik veröffentlicht hat und der eine andere Richtung hätte als eine gut ungarisch-patriotische? Dass der Herr Dr. Renner diesen weitgehenden ungarisch-patriotischen Ansprüchen der „Reichspost" und des Herrn Kunschak nicht entspricht, ist allerdings eine Tatsache, die ich bestätigen muss.

Dagegen muss ich es bestreiten, dass die Formen, in denen Dr. Renner sein Amt verwaltet hat, undemokratisch seien. Wer Mitglied des Ausschusses für Äußeres ist, der wird im Gegenteil zugestehen müssen, dass Herr Dr. Renner in sehr eingehender, sehr einlässlicher Weise die Vertreter und Vertrauensmänner der Nationalversammlung über seine Taten, Unternehmungen, Pläne unterrichtet, mit einer Ausführlichkeit, mit einer Einlässlichkeit, mit einer Darlegung der Einzelheiten, auch der der Öffentlichkeit verborgenen und verborgen bleiben müssenden Einzelheiten, die sicherlich eine Neuheit darstellt in der Führung auswärtiger Politik. Ja, ich gestehe Ihnen ganz ehrlich, dass ich bei manchen solchen Darlegungen meines Freundes Renner ein wenig ängstlich war, dass mir das Gruseln über den Rücken lief, wenn ich mir dachte, diese so tief in die inneren Vorgänge der Politik reichenden Darlegungen und Eröffnungen würden da vielleicht vor Ohren laut, deren zugehörige Sprechapparate möglicherweise nicht gut verschlossen sind (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Na, na, das ist

stark!) und dass mir manchmal übel zumute war, wenn mein Freund Renner mit solcher Ausführlichkeit, mit solcher Einlässlichkeit, mit einer solchen Offenheit über Dinge sprach, die einstweilen doch noch nur Gegenstand der Erkenntnis Weniger sein dürfen.

Präsident Dr. Dinghofer (unterbrechend): Ich möchte bitten, zum Gegenstände, zur Verfassung, zurückzukehren. (Zahlreiche Zwischenrufe.)

Abgeordneter Leuthner: (fortsetzend):

Wenn der Herr Abgeordnete Kunschak eine Rede hält, die gar keinen Zusammenhang mit der Verfassung hat, auf die ich aber notwendigerweise antworten muss, weil sie die schärfsten Angriffe auf meine Parteigenossen enthielt, so fällt die Schuld an der Abirrung vom Gegenstände ausschließlich auf Herrn Kunschak. Denn es ist schlechthin unmöglich, dass der Herr Abgeordnete Kunschak eine solche Rede hält, ohne dabei die entsprechende Zurechtweisung zu erfahren, dass die Antwort darauf verwehrt sein sollte.

Um also wieder zum Herrn Kunschak und zu seiner Bemängelung unserer auswärtigen Politik zurückzukehren, will ich ihm sagen, dass es natürlich außerordentlich schwer ist, die reinen und ernsten Formen der Demokratie dort zur Geltung zu bringen, wo in einem Staate die Ehrlichkeit der Gesinnung, die Ehrlichkeit und Uneingeschränktheit des Bekenntnisses zum eigenen Volk und zum eigenen Staate fehlt, die anderwärts ohne irgendwelche Schutzmaßnahmen jeden Abgeordneten von vornherein zum Treuhänder der Angelegenheiten seines Vaterlandes macht. Das mangelt uns hier und das ist die eigentliche Schranke der Demokratie, in der Politik überhaupt und in der äußeren Politik im ganz besonderen Maße.

Und nun sei mir noch gestattet, auf eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten Kunschak zurückzukommen, die sich auf die Wiener Gemeinde bezieht. Aber nicht, dass ich mich etwa in eine sachliche Auseinandersetzung begeben möchte. Gott behüte mich davor! Ich möchte bloß dem Herrn Kunschak seine Scherze auch mit einem Scherze beantworten. Er hat nämlich gemeint: Wir werden Euch in der Nationalversammlung die kurzen Legislaturperioden nicht bewilligen, dafür aber sollt Ihr sie im Gemeinderat bewilligen. (Widerspruch.) Das wäre der kurze Inhalt des langen Geredes.

Nun, darauf ist zu erwidern, dass sich in diesem Punkte der Herr Abgeordnete Kunschak als ein echter und rechter Klerikaler erwiesen hat, ja, dass er gezeigt hat, wie man, auch ohne die Weihen empfangen und die Gelübde abgelegt zu haben, ja sogar ohne Mitglied der Redaktion der „Reichspost“ zu sein, ein rechter und waschechter Jesuit sein kann. (Heiterkeit. — Abgeordneter Kunschak: Das ist keine Schande! — Heiterkeit und Zwischenrufe.) Nun also, er behauptet sogar, dass er sich das zur Ehre anrechnet. Es war aber immer die Art der Jesuiten, ihrem Gegner zu sagen: Wo wir in der Minorität sind, verlangen wir für uns die Freiheit auf Grund Eurer Grundsätze, und wo wir in der Majorität sind, verweigern wir Euch die Freiheit auf Grund unserer Grundsätze. Nach diesem Prinzip ist der Herr Abgeordnete Kunschak auch bei der Behandlung dieser Frage vorgegangen und rechnet sich das selbst zur Ehre an. (Zwischenrufe.)

Aber lassen wir nun den Herrn Kunschak, mit dem wir uns schon lange genug gelangweilt haben (Lebhafte Heiterkeit) und gehen wir zur Sache selbst über. (Zwischenrufe.) Ich muss aber doch noch einmal auf den Herrn Kunschak zurückkommen. (Lebhafte Zwischenrufe.) Schauen Sie, regen Sie sich doch nicht auf. (Abgeordneter Dr. Mataja: Ich habe gehört, dass Sie von mir gesprochen haben! Es wäre für mich sehr interessant, das zu erfahren, Sie sollen im Zusammenhang mit dem Ausschuss für Äußeres von mir gesprochen haben. — Abgeordneter Alois Bauer: Von Ihnen war nicht die Rede! — Lebhafte Zwischenrufe. — Lärm.)

Präsident Dr. Dinghofer (wiederholt das Glockenzeichen gebend): Herr Abgeordneter Mataja, Sie haben nicht das Wort. (Zwischenrufe des Abgeordneten Forstner.) Herr Abgeordneter Forstner, Sie haben auch nicht das Wort. (Lärm.)

Abgeordneter Leuthner (fortsetzend): Ich kann mich nicht erinnern, irgendwie den Namen des Herrn Abgeordneten Mataja genannt zu haben, außer in dem Zusammenhänge, dass ich gemeint habe, die Christlichsozialen würden, wenn sie etwa zur Herrschaft kommen sollten, den Herrn Abgeordneten Mataja zum Staatssekretär für das Heerwesen machen und er wird dann die Wehrmacht zu Pinkertons im Dienste der Christlichsozialen umwandeln. (Zwischenrufe.) Nur damit Sie sich beruhigen, habe ich Ihnen diese Aufklärung gegeben, sonst könnte ich mich ja nicht mehr verständlich machen, denn sie sind gewohnt, bei solchen Gelegenheiten einen fürchterlichen Lärm zu schlagen.

Nun hat der Herr Abgeordnete Kunschak in seinen Schlussworten, um doch irgendwie auf die Verfassung zu reden zu kommen, sein Leid darüber ausgesprochen, dass die Grundrechte in der Verfassung nicht zur Erledigung gelangen, und in ähnlicher Weise, allerdings noch weniger gefühlvoll, hat
der Herr Abgeordnete Seipel geklagt: Sonst bildeten die Grundrechte ein Requisit der Ver-

fassungen und wir haben leider nun eine Verfassung ohne Grundrechte.

Der Herr Mayr als Vorsitzender des Kabinetts hat dagegen etwas offener und redlicher gesprochen. Er hat gemeint, es verschlage nicht viel, wenn man die Grundrechte nicht in die Verfassung aufgenommen habe. Das sei mehr so etwas Dekoratives und überhaupt habe man ja die alten Staatsgrundgesetze und könne sich bei ihnen beruhigen. Nun, mich hat diese Äußerung des Herrn Staatssekretärs nicht eben überrascht. Ich weiß, dass weder er noch seine Parteigenossen einen lebhaften Drang danach verspüren, unser Vereins-, unser Versammlungs-, unser Pressrecht verfassungsmäßig zu befestigen oder aber eine verfassungsmäßige Grundlage für das Arbeiterrecht zu schaffen oder aber gar das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in einem modernen, in einem menschlichen, in einem vernünftigen Sinne zu regeln. All das liegt den Herren Christlichsozialen sicherlich fern und bildet für sie keine drängende Frage. Ich muss aber den Herren Christlichsozialen gegenüber betonen, dass für die Arbeiterschaft diese Frage eine drängende Frage ist und bleibt und dass diesem großen Teile der Bevölkerung Deutschösterreichs eine Verfassung ohne Regelung der Grundrechte tatsächlich als ein bloßes Trümmerwerk erscheint. Es ist nicht so, als ob es sich da bloß um etwas Dekoratives handelte, obwohl es nicht gleichgültig ist, dass eine Verfassung so ganz auf ihren idealen Teil, so ganz darauf verzichtet, Ausdruck des kulturellen, des moralischen, des geistigen Denkens und Empfindens einer Zeit zu sein, dass sie sich ganz und gar darauf beschränkt, wie es unsere Verfassung tut, die Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ländern und dem Staate in irgendeine Form des Ausgleichs zu bringen.

Aber es handelt sich bei den Grund- und Freiheitsrechten auch um rein praktische Fragen und in dem gegenwärtigen Zustand um schwere praktische Mängel. Wir haben allerdings — darin hat der Professor Mayr recht — Staatsgrundgesetze, aber diese, wenn sie auch von der Versammlungs- und Vereinsfreiheit reden, haben 50 Jahre hindurch nicht gehindert, dass die Versammlungs-, Vereins- und Pressfreiheit in dem alten Österreich ein völlig unbekanntes Ding war. Erst die Revolution hat kommen, erst die Republik hat ausgebaut werden müssen, um die Schranken, die der Vereins-, Versammlungs- und der Pressfreiheit gesetzt waren, zu beseitigen. Alle diese Schranken sind aber im Wesentlichen doch nur durch die Tat beseitigt worden und die Freiheit ist nicht genügend durch das Gesetz verankert. Man kann sich schon, wenn man etwas Phantasie und namentlich eine genauere Kenntnis der Christlichsozialen hat, einen Zeitpunkt und einen Zustand vorstellen, dass irgendwo dort hinten in Tirol oder Vorarlberg irgendwelche Hinterwäldler es wieder unternehmen könnten, eine Versammlung mit einer Aufsichtsperson zu beglücken oder einem Vereine aufzunötigen, dass er seine Versammlungen anzeigt. Ja, es ist gar nicht undenkbar, dass irgend so ein Rintelen oder wie die Herrschaften alle heißen, sich in einer schwachen oder starken Stunde sogar des § 23 erinnern könnte. Darum ist es nicht nur eine Frage der Ehre und eine Frage der Etikette, sondern es ist eine ganz praktische Frage, dass wir eine moderne Gestaltung unserer Grundrechte gewinnen, dass verfassungsmäßig durch genauere und schärfere Abgrenzung, als dies in den Staatsgrundgesetzen der Vergangenheit der Fall war, Versammlungs-, Vereins- und Pressrecht verbürgt und gewährleistet werden.

Was ich in bezug auf Vereins-, Versammlungs- und Pressrecht gesagt habe, das gilt im doppelten Maße von der Schule. Sie haben gesehen, dass es selbst in der die Schule berührenden Kompetenzfrage zu einer Einigung nicht kommen konnte, dass der Wille der Christlichsozialen, der auf Verländerung gerichtet ist, gegen unseren Willen, der die staatliche Gesetzgebung und Verwaltung des Schulwesens fordert, sich gestellt hat. Ich möchte aber dabei doch nicht unerwähnt lassen, dass, wenn die Christlichsozialen die Verländerung der Schule anstreben, sie selbst gar wohl wissen, dass sie hiemit nicht nur das Interesse der Schule an ihrem Lebenspunkte treffen, sondern dass sie den Lehrern sogar in ihren eigenen Reihen damit nicht angenehm sind. Denn, man mag hundertmal ein Christlichsozialer sein, wenn man ein Lehrer ist kann man es nicht aus der Erinnerung bannen, welche Schindluder die Länder mit der Schule getrieben haben (lebhafter Widerspruch) und weiß es wohl abzuwägen, in welch guter Hut Unterrichtswesen und Volksunterricht bei den christlichsozialen Ländergewaltigen sind. Es unterliegt kaum einem Zweifel: die gesamte Lehrerschaft ohne Ausnahme der Partei sieht eine andere als eine staatliche Regelung unseres Schulwesens als eine Gefahr für sich an.

Im Verhältnis zu der Schule tritt bei den Christlichsozialen der reine Klerikalismus zum Vorschein, man kann sagen, im Verhältnis zur Schule hat die christlichsoziale Partei überhaupt keinen eigenen Willen. Sie tritt nicht auf als Verkörperung einer Meinung, die in bestimmten Volksschichten verbreitet ist, sondern sie ist ganz und gar abhängig von den Anschauungen, die ihre priesterlichen Anhänger hegen, und damit von Anschauungen, die ihnen von Rom vorgeschrieben sind. (Widerspruch.) Das macht die Christlichsozialen in der Schulfrage überhaupt nicht verhandlungsfähig, weil sie ja da kaum eigenen Willens sind, sondern die Form und
der Inhalt ihres Willens ihnen von außen her auferlegt ist. Und es ist
daher selbstverständlich, dass wir in dieser Nationalversammlung, in der wir mit

nahezu gleicher Zahl einander gegenüberstehen, in der Schulfrage zu keinem Ergebnis gelangen konnten und gelangen können. Allerdings haben es doch klerikale Parteien gelegentlich fertig gebracht, eine Form der Regelung zu finden, die rein äußeren Anschein nach den in Rom geltenden Vorstellungen genügt, dem Inhalte nach aber sich modernen staatlichen Bedürfnissen nähert. Wir kennen ja die Lösung, die die deutsche Verfassung mit Zustimmung der Klerikalen gefunden hat. Diese Fassung lautet dahin, dass wohl der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Schulen gelten soll, dass aber davon ausgenommen sein sollen die bekenntnisfreien Schulen und das die Erteilung des religiösen Unterrichtes der Willenserklärung der Lehrer, die Teilnahme an religiösen Unterrichtsfächern und an kirchlichen Feiern und Übungen der Willenserklärung derjenigen überlassen bleiben soll, die über die religiöse Erziehung des Kindes zu bestimmen haben. Sie sehen, mit Zustimmung der klerikalen Partei hat sich in Deutschland eine Lösung finden lassen, die scheinbar den Religionsunterricht für die Schule statuiert, in Wirklichkeit aber ihn beseitigt in allen weltlichen Schulen und ihn auch sonst unwirksam macht in den Fällen, wo die Eltern den Religionsunterricht für ihre Kinder nicht wünschen.

Die Herren Christlichsozialen in Deutschösterreich haben sich allerdings eine andere Lösung zurechtgemacht. Sie wünschen, dass der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach in Volks- und Mittelschulen sei und verfassungsmäßig begründet werde. Wir können darauf erwidern, dass in dieser Form natürlich — und dies ist ein neuer Beweis dafür, dass ein Ausgleich zwischen uns gerade in diesen Fragen schlechthin unmöglich war — die Aufstellung des Religionsunterrichtes als ordentlicher Lehrgegenstand für uns Sozialdemokraten eine ganz unmögliche Sache ist. Wir können zugeben und geben ohne weiteres zu, dass jede Religionsgenossenschaft ihren Religionsunterricht sich selbst besorge, und es bleibt den Eltern unbenommen, innerhalb dieser Religionsgenossenschaft die religiösen Bedürfnisse ihrer Kinder befriedigen zu lassen. Das ist eine Angelegenheit zwischen den Eltern und den Religionsgemeinschaften. Allein es ist ein Widerspruch zu all dem, was moderne Auffassung von der Schule heißt, wenn man die Religion als Unterrichtsgegenstand in der Schule selbst aufstellt. Denn damit entstehen Unmöglichkeiten, moralische und unterrichtstechnische Unmöglichkeiten. Es kann selbstverständlich die Religion und der Unterricht der Religion in keinerlei Weise anders erteilt werden, als es den religiösen Vorstellungen der betreffenden Religionsgemeinschaft entspricht. Und so kann keiner die katholische Religionslehre und keiner wohl auch die jüdische lehren, ohne eine ganze Reihe von Wundererzählungen, die sehr viel Glaubenskraft erfordern, den Kindern zum Besten zu geben. Darin soll niemand eine Hemmung erfahren, das soll jede Religionsgemeinschaft in dem vollen Ausmaß ihrer Bedürfnisse und Wünsche tun. In der Schule selbst entsteht jedoch ein ganz unerträglicher Zustand, wenn innerhalb des Rahmens ein und desselben Lehrplanes nun etwa die Geschichte vom verschluckten Jonas erzählt wird, und zwar als eine historische Tatsache — so muss sie erzählt werden, weil die Katholiken doch an die mechanische Inspiration, an den Gottesursprung jedes Wortes der Bibel glauben — und dann in der nächsten Stunde Naturgeschichte, wie wir sie heute, dreitausend Jahre später, auffassen, vorgetragen wird.

Dadurch entsteht ein Widerspruch, über den wir erwachsene Leute hinwegsehen können, der aber für das Kind natürlich eine ganz ernstliche moralische Gefahr bedeutet, der es zu Fragen veranlasst, auf die eine Antwort nicht zu geben ist, für die sich eine Lösung nur in der Form der Heuchelei finden lässt. Und was sich auf der Unterstufe keimhaft entwickelt, tritt uns in ausgeprägter Form entgegen, wenn Religion auch in den Oberklassen der Bürgerschule oder in der Mittelschule Lehrgegenstand bleibt, wie es die Christlichsozialen wünschen. Es wird wohl auch kein Christlichsozialer leugnen können, dass ein sehr großer Teil der Mittelschüler und auch kein geringer Teil der Bürgerschüler innerlich vom katholischen Glauben abgefallen ist, ob zwar er äußerlich aus zwingenden Gründen ihm angehören muss. Wenn ich nun dieses Kind oder diesen heranwachsenden Menschen nötige, 150 Jahre nach Kant den kosmologischen und ontologischen und physikoteleologischen Gottesbeweis auswendig zu lernen, während in ihm schon Anschauungen keimen, die aus der modernen Naturerkenntnis, aus der modernen philosophischen Auffassung hervorgehen, zwinge ich ihn zu einer Heuchelei. Ein Gefühl inneren Elends, ein Gefühl des äußersten Gewissenszwanges muss ihn ergreifen, muss ihn unglücklich machen, muss ihn niederdrücken. Dazu können Menschen, die es ernsthaft meinen mit der modernen Gestaltung der Schule, nie die Hand geben.

Es ist eigentlich kaum begreiflich, warum die Christlichsozialen so sehr darauf bestehen, dass der Religionsunterricht ein ordentlicher Lehrgegenstand sein soll, da es doch im Widerspruch zu ihren eigenen Auffassungen von Religion stehen müsste, denn ein erzwungenes und ein erheucheltes Bekenntnis zur Religion müsste doch vor allem denen ein Gräuel sein, die religiös sind oder sich wenigstens für religiös halten lassen möchten.

Aber die Sache steigt aus dem Ernsthaften ins Komische, wenn man sich vorstellt ... (Abgeordneter
Dr. Aigner: Wenn Sie es behandeln, dann steigt es ins Komische!) Sie werden später

auch noch lachen! .. wenn man in Betracht zieht, was die Herren Christlichsozialen von den Hochschulen wünschen. Da hat der Herr Dr. Mayr, der doch sonst gar nicht so aussieht, einen guten Witz gemacht. Er sagt nämlich (liest): „Die wissenschaftliche Heranbildung der Kandidaten des geistlichen Standes wird von den betreffenden Religionsgemeinschaften geregelt und geleitet. Die theologischen Fakultäten an den Hochschulen bleiben erhalten.“ Nun denn, der ganze Umfang und der Inhalt dessen, was an der theologischen Fakultät gelehrt wird, ist vollständig den Bestimmungen der päpstlichen Kurie und des bischöflichen Ordinariates anheimgegeben. Wir wissen ja alle, sehr geehrte Herren, dass durch den Modernisteneid jeder katholische Geistliche, auch wenn er Professor ist, sich hat dazu nötigen lassen müssen, völlig auf die Freiheit, auf das, was man freie Forschung nennt, zu verzichten. Wir wissen aus der Encyclica pascendi ... (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Jessas, ist der gescheit! Ich bewundere Sie!) Dazu haben Sie allen Grund. Wirklich allen Grund! Aus der Encyclica pascendi und aus dem zweiten Syllabus wissen wir, dass alle diejenigen Gebiete, die innerhalb der Theologie als Gebiete der modernen Wissenschaft angesprochen werden können, also Entwicklungsgeschichte der Religion ... (Zwischenrufe.)

Präsident Dr. Dinghofer: Ich bitte, keine Zwiegespräche zu führen.

Abgeordneter Leuthner: ... vergleichende Religionsgeschichte und dergleichen von dem Papst als etwas nicht Existentes und des Existierens nicht würdiges hingestellt worden sind, so dass im Kern und Stern der theologischen Wissenschaft eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit von einem katholischen Theologen überhaupt unmöglich ist. Sie ist nur denkbar an der Peripherie, etwa auf einem rein linguistischen Gebiete. Und das soll der Staat nun trotzdem bezahlen. Obwohl er nicht den geringsten Einfluss auf die Art dieses wissenschaftlichen Betriebes hat, soll er dafür mit seinem Gelde aufkommen? Eine solche Lösung der Frage mögen die Christlichsozialen, die in dem Staat ein Werkzeug der römischen Kirche sehen, wünschen, niemals aber wir. Auch hier ist ein Punkt, wo eine Ausgleichung zwischen uns und Ihnen nie möglich sein wird, und einer der Gründe, warum die Grundrechte nicht mit erledigt werden konnten innerhalb der Verfassung ... (Abgeordneter Schönsteiner: Solange wir hier etwas zu reden haben, darf es eben nicht anders sein!) Solange Sie hier zu reden haben — das unterliegt gar keinem Zweifel — wird irgendein Fortschritt auf dem Gebiete der Schule nicht möglich sein. (Rufe: Oho! — Beifall.) Und weil Sie mich so herausgefordert haben, möchte ich Ihnen hierauf folgendes erwidern: Sehen Sie, wenn ich mir die Leute ansehe von dem Schlage, wie Sie es sind, so könnte es mich fast reizen, innerlich der äußersten Verländerung der Schule zuzustimmen. Wien bekommt jetzt die Rechte eines Landes und wenn wir die äußerste Verländerung der Schule erreichen können, vielleicht könnten wir auf einem Gebiete Deutschösterreichs eine ernsthafte Schulreform durchführen und eine moderne Schule ausbauen. Darin bin ich mit Ihnen — zum ersten Mal vielleicht — vollkommen einer Meinung: so lange Sie hier mitherrschen, so lange bleiben alle Bemühungen einer Schulreform vollständig vergeblich. (Abgeordneter Schönsteiner: Die Schule zu entchristlichen!)

Man kann das an der Geschichte der Bestrebungen meines Freundes Glöckel ganz genau darstellen. (Abgeordneter Luttenberger: Wir wollen keine jüdische Schulreform! — Gegenrufe.) Schon der Herr Abgeordnete Kunschak hat die Schulreform des Herrn Glöckel zum Gegenstande einer angeblich der Verfassung gewidmeten Rede gemacht. Ich habe aber diesen Teil seiner Rede unbeachtet gelassen, weil er sich in lauter allgemeinen Redensarten bewegt und man deutlich herausfühlt, dass Herr Kunschak selbst nicht weiß, was er spricht; folglich war auch ich nicht verpflichtet, zu wissen, was er redet. (Heiterkeit.) Aber aus dem, was hier an Zwischenrufen mir entgegentönt, in Verbindung mit dem, was Herr Kunschak etwas nebelhaft vorbrachte (Lachen), lässt sich doch vielleicht ein Sinn herauslesen. Der eine hat gesagt, sie wollen keine jüdische Schulreform, der andere hat einen anderen Ausdruck gebraucht, den ich nicht gehört habe; es wird kein Unglück sein. (Heiterkeit.) Es ist darauf folgendes zu erwidern: Wenn Herr Kunschak hier diese Vorwürfe gegen Glöckel vorbrachte, dann hätte er — er war Mitglied des Unterrichtsausschusses, allerdings eine rara avis, ein selten dorthin fliegender Vogel, aber immerhin er war Mitglied des Unterrichtsausschusses und er hätte dieses Pathos (Lachen), dass er hier zwei Tage vor Schluss des Parlamentes entwickelte, im Unterrichtsausschusse entwickeln können. Wir haben aber im Unterrichtsausschusse jedes Mal erlebt, dass, kaum dass mein Freund Glöckel seinen Bericht über die Tätigkeit der vorangegangenen Monate erstattet hatte, allgemeine Begeisterung auch auf Ihren Bänken (Rufe: Oho!), wenn nicht Begeisterung, aber doch eine sehr weitgehende Zustimmung sich kundgab. (Zwischenruf des Abgeordneten Dr. Wagner.) Schauen Sie, Herr Dr. Wagner, ich war in diesem Jahre in sechs Ausschüssen mittätig — ich habe nirgends eine solch herzenseinige Stimmung getroffen wie im Unterrichtsausschusse und habe nirgends so wenig Opposition
und so wenig Heftigkeit der Opposition erlebt wie im Unterrichtsausschusse.
Wenn also diese Glöckelsche Reform wirklich so bedenklich und so

volksgefährlich wäre, dann haben Sie es, meine Damen und Herren, einfach versäumt, an der entscheidenden Stelle gegen diese Volksschädlichkeit aufzutreten und haben den Fehler der Unterlassung begangen. Sie hätten dort ganz anders auftreten müssen. Man hat im Unterrichtsausschuss niemals den Eindruck gewonnen, dass Sie in der Schulreform des Herrn Glöckel etwas sehen, was schlechthin verderblich ist — im Gegenteil, Sie haben es an Lobsprüchen für diese Reform niemals mangeln lassen, an Lobsprüchen, die sogar von dieser Stelle aus von Mitgliedern des Unterrichtsausschusses laut wurden und, wenn ich nicht irre, von Herrn Dr. Wagner selbst. (Abgeordneter Dr. Wagner: Aber bedingt! Ich habe gesagt: Wenn!) Zwischen bedingtem Lob und jener allgemeinen Verurteilung, wie sie heute der Herr Abgeordnete Kunschak ausgesprochen hat, ist doch ein ganz gewaltiger Unterschied, ein Unterschied aber und ein Gegensatz, der sich sehr leicht auflöst.

Wenn nämlich Herr Kunschak hier oben steht und so im allgemeinen von einer Schulreform redet, von der sonst nicht die Rede ist, da ist es leicht, sie in wenigen Worten als eine Gefahr hinzustellen, als etwas, was sogar die Sittlichkeit des Volkes in seinen Tiefen gefährdet, denn er hat Ausdrücke gebraucht wie: Moral- und Charakterlosigkeit, Widerspruch zwischen Gesetz und Vollzug, Neuerungen, die nirgends verankert sind usw., also die kräftigsten Ausdrücke und die kräftigsten Vorwürfe, die sich denken lassen. Warum hat er diese Ausdrücke, diese Vorwürfe nicht im Unterrichtsausschusse vorgebracht? Weil er sich nicht traut. (Widerspruch.) Jawohl, weil er dort an der Hand der Tatsachen hätte feststellen müssen, wo ein Widerspruch zwischen Gesetz und Vollzug zum Aufscheinen kommt und worin sich die Moral- und Charakterlosigkeit — dieses Wort ist gefallen — der Glöckelschen Schulverwaltung offenbart. Im Unterrichtsausschusse hätte er diese Äußerungen, die er hier beweislos in das Haus geschleudert hat, beweisen müssen, und da er das nicht kann, hat er wohl den Mut, es hier zu tun, im Unterrichtsausschusse hat er aber geschwiegen, wenn er dort überhaupt erschienen ist. (Beifall.) Nun aber ist die Sache die, dass in dem einen Punkte die Herren zweifellos recht haben: auch das Reformwerk Glöckels hat an den Christlichsozialen eine furchtbare, eine beinahe übermächtige Hemmung; man kann ganz deutlich verfolgen, dass es sich nur so weit vorwärts bewegt als es sich dabei um die pädagogischen Formen handelt, dass es aber seine schärfste Hemmung überall dort erfährt, wo es um die Inhalte geht. Diese Tatsache wollen wir in aller Ruhe feststellen, um damit zugleich festgestellt zu haben, dass eine moderne Regelung der Unterrichtsfragen mit den Christlichsozialen sicherlich unmöglich war und wir also nicht die Schuld daran tragen, wenn dieser Teil der Verfassung unbebaut blieb, sondern dass die Schuld einzig und allein auf Seiten der Christlichsozialen liegt. (Ruf: Das halten wir aus!) Bitte.

Geht man auf das Gebiet des Verhältnisses von Staat und Kirche über, so liegen die Dinge nicht anders, ja man kann sagen, unsere interkonfessionellen Gesetze haben niemals eine wirkliche Gleichberechtigung der Religionen in Deutschösterreich zur Tatsache erhoben. Die Tatsache des alten Österreich war die Vorherrschaft des Katholizismus, war der Katholizismus, wenn auch nicht als gesetzlich anerkannte, so tatsächlich als Staatsreligion, und dieses Verhältnis hat seinen sehr deutlichen Ausdruck darin gehabt, dass man bis in die letzten Jahre der Monarchie gesetzlosen Zwang an allen Konfessionslosen ausübte, an ihren Kindern in der Schule, einen gesetzlosen Zwang, der so brutale Formen annahm, dass man zweifeln könnte, ob in in diesem alten Staate, ob in der Monarchie — nicht etwa Gleichberechtigung, sondern ob hier überhaupt das Prinzip der Duldung galt. Nun ist aber das Verhältnis, das heute zwischen Kirche und Staat besteht, noch dadurch verschärft, dass sich, eigentlich ein gewisses Chaos, eine gewisse Regellosigkeit eingestellt hat. Denn früher war zum Beispiel die Bestellung der Bischöfe geregelt durch eine gesetzlich festgelegte Teilnahme der Staatsgewalt. Wir haben darauf verzichtet, soweit unser Einfluss in der Republik reicht, dass der Staat bei der Ernennung und Bestellung von Bischöfen mittut. Es ist uns ja ziemlich gleichgültig, ob die Bischofsstühle von Leuten besetzt sind, die zwar fromme Katholiken, aber in der Begrenzung ihrer Weltanschauung doch ernste und überzeugte Leute sind, oder ob sie besetzt sind von Leuten einer ausgeprägt parteiagitatorischen Richtung wie dem Herrn Piffl. Im Gegenteil, vom Parteistandpunkte können wir sogar Leute von der Art des Herrn Piffl vorziehen und müssen es den frommen Katholiken überlassen, wie sie sich damit auseinandersetzen wollen, dass sich nicht nur die Geistlichen, sondern sogar schon ein Erzbischof und ein Kardinal dazu hergibt, Versammlungen, die sonst vielleicht nicht den genügenden Besuch hätten, als Katholikentage aufzuputzen und so Gottesdienst und Weihrauch und Predigt zu einer animierenden Einleitung einer Agitationsversammlung zu degradieren. (Beifall.) Uns kann das ganz gleichgültig bleiben, einem frommen Katholiken aber mag es vielleicht scheinen, als ob der Händler und Wechsler, die aus dem Vorhof des Tempels vertrieben worden sind, jetzt mit dem Geschrei ihres politischen Schachers innen im Tempel das Allerheiligste umdrängen. (Beifall.)

Trotzdem aber, wie gesagt, Kardinale vom Schlage des Herrn Piffl für uns nur angenehme


 

Erscheinungen sind, weil sie im Sinne Nietzsches Abkürzer der Erfahrung sind, die das Volk darüber belehren, wie sehr für die Klerikalen alles Religiöse nur äußerlicher Aufputz für rein politische Machtbestrebungen ist, so kann doch der Zustand, wie er heute gilt, nur als ein demütigender für den Staat angesehen werden: dass die Kirche wohl von jeder Beaufsichtigung und von jeder Beeinflussung durch den Staat frei bleibt, dass sie aber gleichzeitig den Staat zu pflichtmäßigen Leistungen zu veranlassen imstande ist, dass die Kirche sich jeden Eingriff fernhalten kann, wie es ganz recht ist, dass sie sich aber vorbehält, aus den Mitteln der Gemeinschaft bezahlt zu werden. Dieser Zustand, der heute besteht, ist der Zustand den die Christlichsozialen für alle Zukunft verfassungsmäßig zu begründen wünschen. Sie wünschen — was auch wir wünschen — dass der Staat nicht den geringsten Einfluss haben soll auf die innere Gestaltung, auf das innere Leben der religiösen Gemeinschaft. Sie wünschen aber nicht wie wir, dass diese Unabhängigkeit und Freiheit der verschiedenen Religionsgemeinschaften sich auf das Vereinsgesetz gründe. (Lachen.) Lachen Sie nicht. Sie sind auf diesem Gebiete ganz fremd und das Lachen kann gegen Sie ausschlagen. (Erneutes Lachen.) Die Begründung dieser vollständigen Unabhängigkeit der Kirche und Religionsgemeinschaften gegenüber dem Staate auf dem Vereinsrecht ist die Losung, wie wir sie anstreben. Es soll natürlich der Kirche, der katholischen, der protestantischen Kirche, es soll den Juden freistehen, wen immer zu ihrem Vorstand zu wählen, wen immer als Funktionär des Kultus aufzustellen; aber das soll eine Angelegenheit sein, die sie in ebensolcher Ferne und Unabhängigkeit vom Staate und ebenso wenig ausgestattet mit Vorrechten innerhalb des Staates ausüben wie jeder andere Verein. Wenn umgekehrt die Christlichsozialen für die Kirche und für alle Religionsgemeinschaften einen öffentlich-rechtlichen Charakter beanspruchen, so sage ich, dass hiefür nicht der geringste Grund vorhanden ist und dass ich mir durchaus gar keinen Grund vorstellen kann, warum, wenn irgendeine Religionsgemeinschaft Steuern auferlegt, der Staat seine Hand dazu bieten soll, die Steuern einzutreiben und das verhasste Amt des Büttels für diese Religionsgemeinschaft zu übernehmen. Wenn die Religionsgemeinschaft in die Anhänglichkeit ihrer Gläubigen irgendein Vertrauen setzen würde, so würden sie doch wie jeder andere Verein und jede andere Gewerkschaft annehmen können, dass sie ihre Steuern ohne äußeren Zwang hereinbringen kann. (Zustimmung. — Zwischenrufe.) Aber die Herren von der christlichsozialen Partei haben sich eine ganz besonders feine Lösung erdacht. Auch in Deutschland ist es, weil ja auch dort die Verfassung nur ein Kompromiss zwischen den Klerikalen und den Sozialdemokraten darstellt, zu einer befriedigenden Lösung der Frage des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nicht gekommen. Immerhin ist in der Frage der Bezahlung der geistlichen Funktionäre und der Tragung der Kosten des Kultus doch eine Lösung gefunden worden, die sich, so sehr ich sie verwerfe, wenigstens ernst nehmen lässt. Es ist dort dem Lande und dem Reiche überantwortet, diese Lösung selbst durch ihre eigene Gesetzes- und Rechtsgewalt zu finden. Der Herr Mayr, das Oberhaupt dieses Kabinetts, hat sich aber ein schlaueres Mittel ausgedacht. Die auf Gesetzen, Verträgen und Rechtstiteln ruhenden Leistungen des Staates an die Kirche und an die anderen Religionsgemeinschaften sollen erst dann aufhören, wenn die betreffenden Religionsgemeinschaften selbst darauf verzichten. Man kann sich vorstellen, dass wir alle zusammen längst nicht mehr leben werden, bevor der katholische Klerus auf die Leistungen des deutschösterreichischen Staates freiwillig verzichten wird, umso mehr, als er sie sich ja im vorigen Jahr eigens hat erhöhen lassen. Es ist aber ganz unvorstellbar, aus welchen Gründen die Allgemeinheit diese Leistungen weiter tragen soll und es ist erst recht unvorstellbar, wie es die christlichsoziale Partei wagen kann, in ihre Vorschläge etwas hineinzubringen, das aus den Motiven des Konkordats herstammt. Ein Gebiet des staatlichen Lebens soll nicht aus der Gewalt des Staates heraus oder meinetwegen der Einzelstaaten, aus denen dieser Staat nach Ihrer Meinung besteht, geregelt werden, sondern nur dann geregelt werden, wenn die katholische Kirche und ihre Vertreter die Zustimmung dazu erteilen. Dieser Grundgedanke des Konkordats wird zwar nicht für das Ganze des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat festgehalten, aber wenigstens für den Teil der Rechte der Kirche, die Ihnen offenbar die wertvollsten sind, nämlich die finanziellen. (Sehr gut!) Dass es also auch in diesem Punkte zu einer Einigung nicht kommen konnte, dass auch in diesem Punkte unsere Tätigkeit selbstverständlich von Unfruchtbarkeit geschlagen gewesen wäre, hätte man sie auch nur versucht, ist ganz klar. Hier eine Einigung zwischen einander so entgegengesetzten Auffassungen herzustellen, wäre vollständig undenkbar.

Die Katholiken haben ja innerhalb dieses Staates genügend Gelegenheit gehabt, auf Grund des Gesetzes vom Jahre 1874 ihre Pfarrgemeinden auszubauen. Bis zur Stunde haben sie es vermieden, das Gesetz zur Erfüllung zu bringen, und zwar aus zwei Gründen: Der eine Grund ist der, dass nach der strengsten Lehre der Kirche die Pfarrgemeinde ja nur eine passive Bedeutung hat, sie nicht eine Körperschaft, sie nicht etwas
Organisches, sie nicht handlungsfähig ist, sie nicht einmal Subjekt des Vermögens der
Pfarrgemeinde sein kann, also so, dass von vorneherein das Bestreben

innerhalb der katholischen Kirchenwelt, die Laien vollständig von jedem mitbestimmenden Einfluss innerhalb der Kirche fernzuhalten und alle Macht nur der lehrenden Kirche zu bewahren, deutlich erkennbar wird. Das ist der eine Grund, der sich gegen die Ausgestaltung der Pfarrgemeinden geltend gemacht hat. Der andere Grund ist der, dass wie gesagt, in dem Augenblick, wo die Pfarrgemeinden geschaffen worden wären, die katholische Kirche in Österreich gezwungen gewesen wäre, Steuern bei ihren Leuten zu erheben und dann, dann meinen wahrscheinlich die Herren Klerikalen, hätten irgendwelche Gefahren daraus entstehen können. Ich verstehe nicht, warum die Herren in diesem Punkte so ängstlich sind. Wenn man alle Tage erzählt, dass die Religion das Ursprüngliche im Menschenleben ist, dass sie das Stärkste ist, dass sie etwas so Starkes und Ursprüngliches ist, dass man eine Ahnung der katholischen Religion sogar in den Glaubensformen wilder Völker antreffe, und wenn auf der anderen Seite gesagt wird, dass dieses gewaltige religiöse Empfinden im Volke so mächtig walle, dass es sich sogar zu Angriffen gegen uns erheben werde, wenn man mit dieser Gewalt des religiösen Empfindens droht, dann darf man nicht so kleinmutig sein, dass man diesen gewaltigen, allumfassenden und alles überwindenden Empfinden nicht zutraut Vereinsbeiträge zu zahlen, die jeder andere Verein einzuheben imstande ist. Solange aber eine Partei da ist, die den Gesichtspunkt vertritt, dass die katholische Kirche ihre Pfarrgemeinden nicht ausgestalten soll, so lange ist eine Lösung der Frage im modernen Sinne nicht möglich. Es gibt katholische Parteien, die der Lösung im modernen Sinne zugestimmt haben. In Genf ist die Frage des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat genauso gelöst worden, wie es die Sozialdemokraten hier wünschen, und in Basel haben die Katholiken sogar durch freie Wahl sich für diese Lösung entschieden; denn dort stand es den Religionsgemeinschaften zur Wahl, entweder öffentlich-rechtliche Körperschaften zu werden in dem Falle, als sie die Bedingungen annahmen, die der Staat auferlegte, nämlich ihre innere Verfassung auf demokratische Weise zu gestalten, oder aber, wenn sie ihre Verfassung nicht in demokratischer Form ausbauen wollten, sich auf Grund des allgemeinen Vereinsrechtes als Verein zu konstituieren. Bevor nun die Katholiken ihrer Verfassung eine demokratische Form gegeben hätten, haben sie es vorgezogen, sie auf und des Vereinsrechtes zu konstituieren. Haben sie dies aus freiem Willen getan, so kann es doch keine solche Unmöglichkeit sein und kann es nicht so sehr im Widerspruch zu den Grundsätzen der katholischen Kirche stehen, wenn man fordert, dass die Lösung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat darin gipfle, dass die Religionsgemeinschaften sich auf Grund des Vereinsrechtes konstituieren.

Gestatten Sie mir, zum Schlusse noch eine Frage zu berühren, wo vielleicht die Gegensätze zwischen uns und Ihnen am schärfsten hervortreten und wo am deutlichsten kund wird, dass alle Schuld dafür, dass dieses wichtigste Kapitel der Verfassungsgesetze nicht zur Tatsache wurde und nicht ausgebaut werden konnte, ausschließlich bei Ihnen liegt. Sie haben in allen Ihren Entwürfen jede Regelung des Eherechtes von vornherein ausgeschlossen. Sie haben eine Regelung des Eherechtes nicht einmal angerührt. Nun ist es undenkbar, dass unsere alte Ehegesetzgebung bleibt und es wäre auch undenkbar, dass eine die Grundrechte des Volkes gestaltende Verfassung ausgebaut würde, die die Fortdauer des jetzigen Eherechtes duldet. Das katholische Eherecht, das hier durch Staatszwang zur Alleinherrschaft gekommen ist, hat allerdings in seinen volksschädigenden Folgen durch die Praxis, die ihr der sozialdemokratische Landeshauptmann von Niederösterreich entgegensetzt, eine gewisse Schranke bekommen und der Hass und das Geschrei über die sogenannten „Sever-Ehen" in der christlichsozialen Partei ist sehr groß.

Aber nichtsdestoweniger können wir uns bei dem Zustande nicht gedulden, dass der Zufall irgendeiner Parteimehrheit in der Landesversammlung von Niederösterreich und der Zufall eines mutigen und kraftvollen Leiters der Landesverwaltung von Niederösterreich den von dem alten Eherechte Bedrängten eine gewisse Zuflucht verleiht. Das, was in allen Staaten Europas und auch in den katholischen Recht und Gesetz ist, muss auch hier Recht und Gesetz werden. Die moderne Regelung des Ehegesetzes ist eine der unaufschiebbarsten und notwendigsten Maßnahmen, die wir anzustreben haben. Wir werden uns dabei durchaus nicht durch die Agitation der Christlichsozialen abschrecken lassen, mag sie auch von ihrem außer dem Hause stehenden Oberanführer Piffl geleitet werden, mag auch der Herr Kardinal Piffl in seinen Reden höchst geschmackvoll den Kampf für die obligatorische Zivilehe als „Dirnenkultus“ hinstellen (Hört! Hört!), so werden wir uns dadurch keineswegs von dem Streben zurückscheuchen lassen, das einen Rechtszustand zum Ziele hat, wie er in allen modernen Staaten heute besteht. Wir werden uns aber erlauben, gegen die Form, wie in der christlichsozialen Partei für den Fortbestand des alten katholischen Eherechtes agitiert und gegen eine Reform des Eherechtes demagogisch vorgegangen wird, ganz ernsthaft Einspruch zu erheben. Es ist an sich ganz gleichgültig,
welche Ausdrücke die Herren gebrauchen, und wenn der Kardinal Piffl so gut erzogen ist,
dass er in seinen pastoralen agitatorischen Ergiessungen Worte wie „Dirnen-

kultus“ bevorzugt, so ist das seine Sache und Sache seiner Kinderstube. Aber unsere Sache ist, die Rückwirkung einer solchen Form der Agitation abzuwehren. Es unterliegt gar keinem Zweifel, dass der Kardinal bei seinen Reden unter den Zuhörern Männer und namentlich Frauen hat, die das Wort vom „Dirnenkultus“ ernsthaft nehmen und die nun mit dem Glauben nach Hause gehen, dass dort, wo Frauen in vom Staate erzwungenem Konkubinate leben, oder gar, wo Frauen die moderne, die staatliche, die Zivilehe geschlossen haben, sie als Dirnen zu achten sind. Wir wissen ja, wie der Kampf, den die Christlichsozialen gegen das moderne Eherecht führen, die Folgen der Verhetzung, die Folgen des Hasses, die Folgen des inneren Zerwürfnisses bis in die Häuser, bis in die Familien trägt.

Es ist an sich unbegreiflich, dass ein Kardinal derartige Ausdrücke gebrauchen kann, unfassbar, wenn man nicht mit gewissen Lehren der modernen Psychologie etwa annehmen wollte, dass Menschen, die in der Ausübung ihrer Triebe durch äußerlichen Zwang gehemmt sind, dann eine Umwandlung ihres psychischen Wesens erfahren, wodurch alles, auch Bereiche ihres Denkens, die weit weg vom sexuellen Gebiete liegen, erotisch gefärbt werden. Wenn das beim Herrn Kardinal Piffl nicht der Fall wäre, könnte es ihm auch nicht einfallen, die staatliche Zivilehe mit Dirnenkultus gleichzusetzen, denn im Falle diese damit gleichzusetzen wäre, müsste ja ganz Europa und namentlich auch das ganze katholische Europa ein einziges zusammenhängendes großes Bordell sein. (Sehr gut!) Da dem so ist, müssen wir zur Abwehr solcher Ausdrücke sagen, dass wir entschlossen sind, sie nach ihrem ganzen Werte zu charakterisieren. Es entspricht nicht unserer Art, diesen Ton anzuschlagen, aber wenn man die moderne Zivilehe als Dirnenkultus bezeichnet, so ließe sich doch mit mindestens ebenso viel Recht sagen, dass das katholische Ehegesetz, weil dadurch so viele gezwungen werden, außerhalb der Ehe zu leben, außerhalb der Ehe die Befriedigung ihrer unstillbaren Triebe zu suchen, viel mehr selbst eine Quelle von Unsittlichkeit und ein Anreiz sogar zur Prostitution ist. Ich möchte diese Ausdrucksform vermeiden, aber sie entspräche durchaus der des Herrn Kardinals und wäre auf seinem Niveau.

Im allgemeinen möchte ich bitten, dass der Herr Kardinal reden soll, was er will, aber er soll Ausdrücke vermeiden, die geeignet sind, den Hass und die Erbitterung, den Kampfgeist bis in die intimsten und innersten Kreise des Lebens zu tragen. In dieser Form den Kampf gegen die Zivilehe zu gestalten, das ist wohl kaum jemals einem Kirchenfürsten geraten, das entspricht sonst der Art des ordinärsten Parteikampfes.

Und nun gestatten Sie mir zu schließen Aus meinen Ausführungen werden Sie klar entnommen haben, was die Gründe waren, dass wir zu einer verfassungsmäßigen Festlegung der Grundrechte nicht gelangen konnten. Diese Grunde liegen ausschließlich in dem Widerstande, den die christlichsoziale Partei jeder modernen Gestaltung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat und zwischen Kirche und Schule entgegensetzt, sie liegen in der Gleichgültigkeit, die die christlichsoziale Partei gegenüber einer verfassungsmäßigen Befestigung des Vereins-, Versammlungs- und Presserechtes hat, und sie liegen in der ausgesprochenen Feindseligkeit der Christlichsozialen gegenüber einer verfassungsmäßigen Festlegung der sozialen Rechte des Arbeiters, der Rechte auf seine Koalitionsfreiheit, auf den Besitz derjenigen sozialpolitischen Gesetze, die die Gesetzgebung der letzten anderthalb Jahre geschaffen hat und die ein wesentliches, ja das wertvollste Gut für ihn darstellen, namentlich das Betriebsrätegesetz; diese Gleichgültigkeit gegen das Schicksal des Arbeiters und diese Gleichgültigkeit dafür, die Errungenschaften des Arbeiterrechtes verfassungsmäßig zu befestigen, sind ein weiterer Grund dafür, dass die Grundrechte nicht innerhalb der Verfassung gestaltet und geborgen werden konnten. (Beifall und Händeklatschen.)

Präsident (welcher während vorstehender Ausführungen den Vorsitz wieder übernommen hat): Die Debatte ist geschlossen. Ich erteile dem Herrn Berichterstatter das Schlusswort.

Berichterstatter Dr. Seipel: Hohes Haus! Wenn ich heute nicht Berichterstatter wäre, würde ich eine sehr lange Rede über zwei Lieblingsthemen halten, über den Militarismus und über die Demokratie. Da ich aber Berichterstatter bin, will wenigstens ich das gute Beispiel geben und bei der Sache bleiben, nämlich bei der Verfassung. (Bravo!) Es gäbe zwar besonderen Anlass für unsereinen, auf die langen Ausführungen des Herrn Abgeordneten Leuthner zu erwidern; aber ich glaube, es erfordert einerseits der Ernst dieser Verhandlung, dass wir uns nicht länger mit ihm beschäftigen, und anderseits werden wir noch viel Gelegenheit haben, wenn wir über das Kapitel der Grund und Freiheitsrechte im neuen Hause sprechen, uns über jene Themen zu unterhalten, welche der Herr Abgeordnete Leuthner, der es wahrscheinlich überhört hat, dass dieses Kapitel einstweilen aus der Verfassung ausgeschaltet wurde, angeschnitten hat.

Im Übrigen brauche ich nur festzustellen, dass keiner der Redner in der Generaldebatte sich gegen das Eingehen in die Spezialdebatte ausgesprochen hat, und ich bitte daher das hohe Haus nochmals, das Eingehen in die Spezialdebatte zu beschließen.

Präsident: Ich bitte, die Plätze einzunehmen, ich werde über das Eingehen in die Spezialdebatte abstimmen lassen.

Ich mache darauf aufmerksam, dass gemäß § 7 der Geschäftsordnung, da es sich um ein Verfassungsgesetz handelt, die Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Hauses notwendig ist, und dass das Eingehen in die Spezialdebatte mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden muss.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, die für das Eingehen in die Spezialdebatte auf Grund des vorliegenden Gesetzentwurfes sind, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.)

Ich konstatiere, dass bei Anwesenheit der erforderlichen Anzahl von Mitgliedern mit Zweidrittelmehrheit das Eingehen in die Spezialdebatte beschlossen wurde.

Ich werde die Spezialdebatte in folgenden Abschnitten vornehmen: 1. Hauptstück, 2. Hauptstück, 3. und 4. Hauptstück und dann das 5., 6. und 7. Hauptstück mit Titel und Eingang, also in vier Abschnitten.

Wird gegen meinen Vorschlag eine Einwendung erhoben? (Niemand meldet sich.) Es ist nicht der Fall, es bleibt also dabei.

Wir kommen nunmehr zur Spezialdebatte über das erste Hauptstück. Das Wort hat der Herr Berichterstatter.

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich möchte mir eingangs der Spezialdebatte im allgemeinen — und das gilt für alle vier Teile der Spezialdebatte — die Erlaubnis erbitten, gleich eine Reihe von Druckfehlerkorrekturen oder stilistischen Änderungen, die bei mehrmaliger Überprüfung des Gesetzestextes anzubringen sich als notwendig erwiesen hat, in Vorschlag bringen zu dürfen. Ein Teil dieser Druckfehler ist in einem gedruckten Verzeichnis dem Berichte beigelegt worden, die übrigen, auf die wir erst später aufmerksam geworden sind, werde ich mir erlauben, bei den einzelnen Artikeln namhaft zu machen. Sonst habe ich jetzt in diesem Punkte der Verhandlungen zum ersten Hauptstück nichts zu bemerken, da ich auf die etwas mehr umstrittenen Artikel und insbesondere auf die dazu gestellten Minderheitsanträge bereits in der Generaldebatte eingegangen bin.

Präsident: Zum Worte ist Herr Abgeordneter Dr. Schneider gemeldet; ich erteile ihm das Wort.

Abgeordneter Dr. Schneider: Hohes Haus! Wenn ich in diesem Zeitpunkt der Verhandlungen über das Gesetz, betreffend die Verfassung, das Wort ergreifen muss, so geschieht dies aus folgenden Gründen: Der § 2 des Gesetzes führt in indikativer Form die Länder auf, die den neuen Bundesstaat bilden sollen. In dieser Aufzählung nimmt aber der Paragraph keinerlei Rücksicht auf die Sonderstellung, welche das von mir vertretene Land seit dem Bestände der österreichischen Republik eingenommen hat.

Der zweite Grund, warum ich das Wort ergreifen muss, liegt darin, dass der Minoritätsantrag meines Kollegen und Landsmannes, des Altvizekanzlers Fink, voraussichtlich abgelehnt werden wird. Dieser Minoritätsantrag des Kollegen Fink hätte unseren speziellen Wünschen gewissermaßen Rechnung tragen können, umso mehr als er nicht nur im Interesse Vorarlbergs, sondern im gemeinsamen Interesse der verschiedensten Länder des neuen Bundesstaates gestellt worden war.

Der dritte Grund, der mich schließlich veranlasst, heute zu sprechen, ist der, dass es dem Landtag von Vorarlberg und auch dem Volke Vorarlbergs nicht möglich ist vor dem Inkrafttreten der Verfassung zu ihr Stellung zu nehmen.

Ich will nun in aller Kürze die Stellung kennzeichnen, welche unser Land in der ganzen Frage eingenommen hat. Da muss ich zunächst auf einen Beschluss der Provisorischen Landesversammlung Vorarlbergs vom 3. November 1918 zurückgreifen. Bis zu diesem Tage waren Tirol und Vorarlberg in gewissen Belangen miteinander verbunden, insbesondere durch eine gemeinsame Regierung. In den ersten Tagen des November wurde von allen Parteien des Landes über freie Vereinbarung eine provisorische Landesversammlung gebildet, welche dann am 3. November 1918, und ich möchte hier besonders betonen: unter Zustimmung aller Parteien und einhellig folgenden Beschluss gefasst hat (liest):

„Die Vorarlberger Landesversammlung erklärt sich als die gesetzgebende Körperschaft für das Land Vorarlberg. Ihre Mitglieder wurden von den politischen Parteien entsendet und vertreten das Land an Stelle des früheren Landtages, bis eine aus Neuwahlen hervorgehende Vertretung gestellt ist. Die Vorarlberger Landesversammlung führt durch einen aus ihrer Mitte gewählten Landesrat die Verwaltung des Landes. Wie in anderen Kronländern wurde die Führung der politischen und autonomen Verwaltung in einer Hand vereinigt. Damit hat sich das Land Vorarlberg jene Selbständigkeit gegeben, die es schon lange einmütig erstrebte. Vorarlberg bildet von nun an nicht mehr ein gemeinsames Verwaltungsgebiet mit Tirol, sondern erklärt sich auf Grund des Selbständigkeitsrechtes als eigenes, selbständiges Land im Rahmen des österreichischen Staates.“


 

Am 15. März 1919 sah sich der Landtag zur Klarstellung verschiedener auftauchender Fragen, welche die Selbständigkeit des Landes und die Freiheit des Anschlusses an ein anderes Staatswesen bezweckten, genötigt, eine neue Erklärung abzugeben, welche folgenden Inhalt hat — und dabei betone ich wieder, dass sie von allen Parteien des Landes und einhellig gefasst worden ist — (liest):

„Die Erklärung vom 3. November 1918, in welcher sich das Land Vorarlberg im Rahmen von Deutschösterreich selbständig erklärt, trägt provisorischen Charakter wie die Landesversammlung selbst.

Der neu zu wählende Landtag entscheidet über den definitiven Anschluss des Landes an ein größeres Staatswesen. Fällt der Landtag die Entscheidung an ein anderes Staatswesen als an Deutschösterreich oder ist die provisorische Landesversammlung schon zur Entscheidung genötigt, so muss der Beschluss der Volksabstimmung unterbreitet werden.

Die Landesversammlung wählt aus ihrer Mitte einen fünfgliedrigen Verhandlungsausschuss, der durch Fühlungnahme mit den Regierungen in Deutschösterreich und in der Schweiz und in Deutschland die Bedingungen zu erfahren trachtet, unter welchen sich das Land Vorarlberg anschließen könnte. Die Erhebungen haben insbesonders in politischer, kultureller und finanzwirtschaftlicher Richtung zu erfolgen.“

Ich möchte betonen, dass ein paar Tage vorher, am 12. März in der Provisorischen Nationalversammlung Österreichs mein Kollege Jutz eine Erklärung des Inhaltes abgegeben hat, dass die Erklärung der Provisorischen Landesversammlung vom 3. November 1918, wonach sich das Land in den Rahmen Deutschösterreichs fügte, provisorischen Charakter trage, wie die Landesversammlung selbst. Das Volk wolle durch einen selbstgewählten Landtag oder durch eine allgemeine Volksabstimmung über den endgültigen Anschluss entscheiden und lehne eine bindende Entscheidung durch die Nationalversammlung mit Übergehung der Länder ab.

In der Folgezeit, am 11. Mai 1919, ist eine amtliche Volksabstimmung über dieselbe Frage durchgeführt worden; das Volk von Vorarlberg hat sich mit einer überwiegenden, ausschlaggebenden Majorität dahin entschieden, dass Verhandlungen mit der Schweiz eingeleitet und dass die Staatsregierung Österreichs verhalten werden sollte, das Bestreben Vorarlbergs in diesem Sinne zu fördern, weil Österreich als der legitime Vertreter des Landes angesehen werden sollte. Die Entsendung des Landeshauptmannes Dr. Ender nach St. Germain wurde von dem Vorarlberger Volke dahin aufgefasst, dass sich die Friedensdelegation mit dieser Frage beschäftigen wolle. Es ist nicht dazu gekommen; immerhin ist aber — und zwar durch verschiedene andere Bewegungen — erreicht worden, dass es im Unterausschusse der Friedensdelegation der ehemals feindlichen Mächte zu einer einstimmigen Beschlussfassung in der Vorarlberger Frage gekommen ist, dass auch der Oberste Rat sich mit dieser Frage befasst hat, der sich allerdings für eine Vertagung der Angelegenheit ausgesprochen hat. Ich möchte das besonders betonen, weil von sehr kompetenter Stelle in Vorarlberg in Versammlungen erklärt wurde, dass es keine Vorarlberger Frage gegeben habe und gebe.

Die Beschlüsse des definitiven ersten Landtages von Vorarlberg vom 5. Dezember 1919 geben neuerdings ein ganz deutliches Bild davon, von welchem Bestreben das Volk in Vorarlberg beseelt ist. Der Landtag hat damals mit Mehrheit beschlossen (liest): „Der Landesrat wird beauftragt, bei der österreichischen Staatsregierung die Anerkennung unseres Selbstbestimmungsrechtes zu verlangen und dieselbe aufzufordern, unser diesbezügliches Begehren beim Obersten Rate und dann beim Völkerbunde anhängig zu machen.“ Es ist jedoch aus den Erfahrungen, welche das Land gemacht hat, der Eindruck und die Überzeugung entstanden, dass unter Umständen die österreichische Regierung dieses Verlangen des Landes um Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes nicht rasch genug vorwärts leiten werde. Daher wurde der Landesrat in derselben Sitzung ermächtigt, das Begehren im Notfalle selbst vorzubringen, und ich habe gestern einer hiesigen Zeitung die Nachricht entnommen, dass ein Memorandum, welches auf Grund eines anderen Beschlusses des Landesrates ausgearbeitet worden ist, vor dem Abschluss stehe und dem Völkerbunde überreicht werden solle, um diese Frage einer Lösung zuzuführen.

„Das Anerbieten der Staatsregierung, dem Völkerbunde einen Antrag auf Zulassung von Verhandlungen Vorarlbergs mit der Schweiz über unseren Anschluss an dieselbe zu unterbreiten, wird angenommen, jedoch wird dringend ersucht, diesen Antrag schon jetzt beim Obersten Rate zu stellen und nicht auf unbestimmte Zeit zu verschieben." Die Staatsregierung hatte nämlich dem Lande über dringende Vorstellungen das Angebot gemacht, beim Völkerbunde diese Frage zur Lösung zu bringen. Allerdings ist auch in dieser Beziehung bis zur Stunde nichts Vollständiges geschehen. Dass aber die Bevölkerung Vorarlbergs die Frage unbedingt zu einer Lösung zu bringen bestrebt ist, geht aus drei Anträgen hervor, welche der Landtag angenommen hat und welche dem Landesrate ganz bestimmte Aufträge geben (liest):

„Der Landesrat wird beauftragt, alle ihm nötig erscheinenden Vorkehrungen für den Fall zu


 

treffen, dass das Land Vorarlberg infolge Auflösung Österreichs gezwungen sein wird, selbständig zu handeln.

Der Landesrat wird beauftragt, alle ihm nötig erscheinenden Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass unser Land in die Lage kommen sollte, von seinem Selbstbestimmungsrechte Gebrauch zu machen“ — also die Auflösung Österreichs nicht vorausgesetzt — und weiters: „Der Landesrat hat“ — zur Durchführung dieser beiden letztgenannten Aufträge — „dafür zu sorgen, dass die Stimmlisten in den Gemeinden beständig evident gehalten werden, um eine Volksbefragung in kurzen Fristen jederzeit zu ermöglichen.“

Ich habe damit in aller Kürze jene Dokumente vorgelegt, welche seit dem 3. November 1918 in der Frage des Selbstbestimmungsrechtes Vorarlbergs vom Landtage beschlossen wurden. Ich versage es mir, in dieser Stunde in aller Weite und Breite auszuführen, aus welchen Gründen das Vorarlberger Volk von dem definitiven Anschlusse des Landes an Österreich in dieser Stunde nichts wissen will. Ich will aber festlegen, dass ich mit meinen früheren Ausführungen dokumentarisch den Inhalt des staatlichen Provisoriums niedergelegt haben will, in dem sich Vorarlberg zu Österreich befindet. Ich will festlegen, dass das Land Vorarlberg sich aus Gründen des Zwanges, insbesondere aus Gründen des Diktatfriedens von St. Germain in den Rahmen Österreichs gefügt hat. Dass das Ganze ein Provisorium ist, das ist die tiefste und festeste Überzeugung unseres Volkes. Unser Volk steht ganz unbeugsam auf dem Standpunkte und hält den Willen unter allen Umständen aufrecht, dass es selbständig sei, dass ihm die Freiheit gewahrt sein müsste, sich im gegebenen Zeitpunkte zu entschließen, das Land allenfalls auch an einen anderen Staat anzuschließen. Diesen unbeugsamen Willen und diesen Standpunkt unseres Volkes zu vertreten, ist in der gegenwärtigen Stunde unsere Aufgabe, und ich möchte dies tun, indem ich in meinem Namen und im Namen der Abgeordneten Fink und Jutz folgende Erklärung zu Protokoll gebe (liest):

„Die von allen Parteien der provisorischen Landesversammlung von Vorarlberg am 3. November 1918 und am 15. März 1919 einhellig gefassten Beschlüsse bestehen voll aufrecht. Auf Grund dieser Beschlüsse ist das Land Vorarlberg an die Republik Österreich nur provisorisch angeschlossen. Landtag und Volk von Vorarlberg beanspruchen nach wie vor und unter allen Umständen das unbedingte Recht, sich zu gegebener Zeit über den definitiven Anschluss des Landes an ein lebensfähiges Staatswesen frei zu entschließen.

Dem derzeit in Verhandlung stehenden Gesetze über die Verfassung kann daher lediglich in dem Sinne die Zustimmung erteilt werden, dass Vorarlberg unter voller Wahrung seiner Selbständigkeitsrechte und Entschlussfreiheit auch unter der neuen Verfassung nur provisorisch im Rahmen des Staates Österreich verbleibt, wie es unter der bisher geltenden, provisorischen Verfassung Österreichs der Fall war.“

Präsident: Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Dr. Angerer.

Abgeordneter Dr. Angerer: Hohes Haus! Schon in der Generaldebatte wurde von unserer Seite das Problematische dieser Verfassung dargestellt. Darauf will ich jetzt nicht eingehen, sondern ich will nur einige Punkte dieses ersten Teiles der Spezialdebatte, wo ich Abänderungsanträge vorzubringen mir erlauben werde, kurz besprechen.

Es handelt sich zunächst um den Artikel 2. Dort wird festgestellt, dass Österreich ein Bundesstaat sei, und es werden die selbständigen Länder aufgezählt, aus denen sich dieser Bundesstaat zusammensetzt, und in Punkt 3 dieses Artikels 2 wird dann vom Burgenland gesprochen, von welchem gesagt wird, dass es als selbständiges und gleichberechtigtes Land in den Bund aufgenommen wird, sobald es seinen Willen dazu ausgedrückt hat.

Die Großdeutsche Vereinigung ist der Meinung, dass die Formulierung des Artikels 2 nicht angängig ist. Laut Friedensvertrag ist das Burgenland ein Teil des österreichischen Staatsgebietes. Es wäre daher nach unserer Meinung auch von Seiten der Nationalversammlung dieser Rechtsstandpunkt einzunehmen und das könnte dadurch geschehen, dass das Burgenland unter jenen Ländern aufgezählt wird, die eben hier genannt sind, und zwar, weil die Länder in alphabetischer Ordnung aufgezählt sind, an erster Stelle. Die Willenskundgebung der Bevölkerung gehört unserer Meinung nach nicht in ein Verfassungsgesetz; wir wollen aber speziell der Auffassung der sozialdemokratischen Partei Rechnung tragen, dass auch eine Kundgebung des Willens der Bevölkerung eingeholt werden soll, doch wünschen wir, dass die Festsetzung dieser Willenskundgebung nicht einen Bestandteil des Verfassungsgesetzes ausmacht, sondern in den § 12 des Übergangsgesetzes hineingenommen werden sollte, so dass also in diesem Verfassungsgesetz lediglich im Sinne des Friedensvertrages das Burgenland als ein selbständiges Land bezeichnet würde. Der Abänderungsantrag würde lauten (liest):

„Antrag des Abgeordneten Dr. Angerer und Genossen zu Artikel 2:

Im Artikel 2, Punkt 2, ist in der zweiten Zeile nach dem Worte „ „Ländern“ “ das Wort „ „Burgenland“ “ einzuschalten. Der Punkt 3 des Artikels 2 hat zu entfallen.“

In dieser Hinsicht hat eine Vereinbarung zwischen den Parteien stattgefunden und ich würde daher den Herrn Berichterstatter bitten, diesem Antrage seine Zustimmung zu geben.

Ein zweiter Artikel, gegen den wir Einwendung zu erheben haben, ist der Artikel 7. Dort heißt es nämlich in Punkt 2, dass die ungeschmälerte Ausübung der politischen Rechte den öffentlichen Angestellten „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ gewährleistet ist. Die Großdeutsche Vereinigung stand schon bei Beratung des Wehrgesetzes auf dem Standpunkte, dass eine Armee, welche das Wahlrecht ausübt, keine unpolitische sein könne. Sie stellt sich daher in Konsequenz dieses damaligen Standpunktes auch jetzt bei der Verfassungsfrage wieder auf den Standpunkt, dass die Worte „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ im Absatz 2 des Artikels 7 zu entfallen haben. Wenn eingewendet wird, dass im Wehrgesetz das politische Recht zu wählen den Wehrmännern gewährleistet ist und daher ein Widerspruch mit dem Verfassungsgesetz entstünde, wenn es hier nicht angeführt wäre, so gilt diese Einwendung nach unserer Meinung nicht, weil das Verfassungsgesetz die Grundlage darstellt und die anderen Gesetze sich naturgemäß nach dem Verfassungsgesetz, das ja in allen seinen einzelnen Paragraphen mit qualifizierter Mehrheit beschlossen wird, zu richten haben.

Ich erlaube mir daher, zu Artikel 7, Punkt 2, den Antrag zu stellen, dass die Worte „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ zu entfallen haben.

Den allerschwerwiegendsten Einwand aber erheben die Mitglieder der Großdeutschen Volkspartei gegen den Artikel 14 dieser Verfassung. Dort wird nämlich erklärt (liest):

„Auf dem Gebiete des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens wird der Wirkungsbereich des Bundes und der Länder durch ein besonderes Bundes-Verfassungsgesetz geregelt.“

Gegen diesen Artikel 14 nehmen die Mitglieder der Großdeutschen Volkspartei mit aller Entschiedenheit Stellung. Es ist nach unserer Meinung eine außerordentlich starke Zumutung, die man einem Verfassungsgesetz antun kann, wenn man so wichtige Fragen wie die Schul-, Erziehungs- und Volksbildungsfragen nicht löst, sondern auf eine spätere Zeit hinausschiebt, einer Nationalversammlung zuschiebt, die dann wieder vor die große Entscheidung gestellt sein wird, ob fix die Frage wird lösen können oder nicht; oder mit anderen Worten, wenn man Schule und Unterricht zum Schacherobjekt der politischen Parteien macht. Es ist kein Zweifel — wir erinnern uns an die Schulnovelle vom Jahre 1883 —, dass durch die Hinausschiebung solcher Fragen statt durch ihre grundsätzliche Behandlung die Gefahr entsteht, dass in so grundsätzlichen Fragen politische Konzessionen gemacht werden oder mit anderen Worten eine Schacherei entsteht, die der Sache außerordentlich abträglich ist. Wie ist es mit der Novelle des Jahres 1883 gegangen, mit jener Novelle, welche uns eigentlich die sechsjährige Schulpflicht gebracht hat, welche das Reichsvolksschulgesetz in seinem Wesen umgebracht hat, ehe es noch voll zur Durchführung gekommen war? Jener Novelle vom Jahre 1883, die uns den § 48 gebracht hat, wodurch das Gesetz über die Gleichberechtigung der Konfessionen in Österreich eigentlich außer Kraft gesetzt worden ist, indem der Schulleiter jener Konfession angehören muss, die der Mehrheit der Kinder entspricht, im Gegensatz zu den Bestimmungen des Staatsgrundgesetzes, dass den Staatsbürgern unbeschadet der konfessionellen Zugehörigkeit alle staatsbürgerlichen Rechte gewährleistet sind. Und wie ist es dazugekommen, dass diese Novelle vom Jahre 1883, welche das Reichsvolksschulgesetz so außerordentlich zurückgeworfen hat, angenommen wurde? Dadurch, dass die Bedingung gestellt wurde, dass man für Eisenbahnbauten, für Transversalbahnen durch Böhmen, Mähren, Galizien seitens der klerikalen Kreise nur dann die Zustimmung gab, wenn auf der anderen Seite als Kompensation diese Schulgesetznovelle gewährt würde. Selbst die Polen, jene Polen, welche für ihr eigenes Land stets Ausnahmen verlangt haben und die auch diese Novelle für sich nicht haben in Kraft treten lassen, waren es, die in diesem Hause zugestimmt haben, unser Reichsvolksschulgesetz vom Jahre 1869 in einer solchen Weise zu entstellen, nur deswegen, damit die Zustimmung der Mehrheit für die Eisenbahnbauten erlangt werde. Man hat also die Schul- und Erziehungssache zugunsten von Eisenbahnbauplänen und für Interessen geopfert, die damit im Zusammenhange gewesen sind. Es wurde unsere Jugendbildung verschachert.

Das ist es, was wir aus dem Jahre 1883 lernen können, und das ist es, was wir befürchten, wenn solche Fragen, statt frischweg in dem einen oder in dem anderen Sinn gelöst zu werden, auf die lange Bank geschoben und zum Gegenstand des politischen Handels gemacht werden. Wir sind daher der Meinung, dass in der Schul- und Unterrichtsfrage deutlich ausgesprochen werden muss, was die einzelnen Parteien für einen Standpunkt einnehmen. Ich habe auch deswegen heute das Wort ergriffen, um den Standpunkt der Mitglieder der großdeutschen Volkspartei in der Großdeutschen Vereinigung mit aller Schärfe und Klarheit zu kennzeichnen.

Wir legen der Schule einen ganz außerordentlichen Wert bei. Wir stehen heute noch auf dem
Standpunkte, auf dem seinerzeit der Unterrichtsminister Hasner gestanden ist, als er in seiner

zweiten Rede im österreichischen Abgeordnetenhause am 23. April 1869 bei der Verhandlung des Reichsvolksschulgesetzes erklärte (liest):

„Wenn wir keine gute Volksschule haben, so werden wir niemals stark. Man muss seine Kräfte aufraffen und von der Überzeugung getragen sein, dass die Volksschule, wenn auch nicht das allein entscheidende Moment, so doch ein wesentlich entscheidendes Moment in Beziehung auf beide Seiten der Kultur ist, nicht nur in Beziehung auf die geistige allein, sondern auch in Beziehung auf die materielle, dass die ökonomische Lage, daher die Kraft zum Tragen, von Lasten wesentlich durch die Erfolge der Volksschule bedingt ist. Nicht bloß auf dem Schlachtfelde, sondern auch auf dem Felde, welches der Ackersmann bebaut, überall ist die Volksschule entscheidend. Das wird jedermann zugestehen und deshalb bedürfen gerade die ärmsten Länder vor allem guter Schulen“.

Das ist die Äußerung des damaligen Ministers für Kultus und Unterricht gewesen, als er gegen die slawischen Autonomisten und deutschen Klerikalen jener Zeit den Reichsvolksschulgesetzentwurf verteidigte. Und wir müssen heute erklären, dass auch wir heute noch auf dem Standpunkte stehen, dass ein Volk, welches in Not und Armut ist, gerade durch Hebung seiner geistigen Kräfte in die Lage versetzt werden muss, lebensfähig zu werden. Je ärmer die Länder sind, um so notwendiger haben es die Bewohner, eine gute Schulbildung zu genießen, weil eine gute Schulbildung ein unverlierbarer Besitz und eine Kraftquelle für den Menschen sein ganzes Leben lang ist.

Wir sind daher der Meinung, dass alles daran gesetzt werden muss, um auch bei uns in Österreich unserer Jugend eine gute Bildung angedeihen zu lassen. Es gibt freilich Leute, welche meinen, der Bauer auf dem Lande brauche die Bildung nicht, er lächle darüber, wenn über so große Fragen der Kultur gesprochen wird; auf der anderen Seite heißt es wieder, der Kaufmann brauche die Schulbildung nicht, rechnen werde er können. Nein, wir sind ganz anderer Meinung, wir sind der Meinung, dass gerade der Bauer im abgelegensten Gebiete ganz besonders eine gute Schulbildung braucht, damit er nicht wieder zurückkehren muss in die Zeiten, wo er unter seine Verträge drei Kreuze machen musste, ohne zu wissen, was in der Urkunde enthalten ist, und gerade unsere alpenländischen Bauern haben Gelegenheit genug, in jenen alten Zeiten nachzublättern, wo sie mit drei Kreuzeln Verträge unterschrieben haben, sie haben Gelegenheit genug, darüber nachzudenken, wie sie dadurch geschädigt worden sind und wie man es vermeiden muss, dass künftighin wieder solche Schädigungen vorkommen. Ich glaube daher, dass es gerade im Interesse unserer armen Alpenländer und gerade im Interesse der bäuerlichen Bevölkerung liegt, dass den Bauern auf dem flachen Lande eine gute Schulbildung zuteilwerde.

Wir sind nun der Meinung, dass eine gute Schulbildung nur erreicht werden kann, wenn wir die Schule dem Staate überlassen; denn die Länder sind nicht imstande, die Schule zu errichten, sie sind nicht imstande ... (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Das erzählen Sie den Kärntnern!) Das erzähle ich den Kärntnern! Das ist der Beschluss der großdeutschen Volkspartei, der Landesparteileitung Kärntens und des Landesparteitages, den wir abgehalten haben. Das müssen wir in die ganze Welt hinausrufen, überallhin. (Abgeordneter Fischer: Damit werden Sie keine Begeisterung erwecken!) Mit Wahltaktik, mit Mandatspolitik dürfen solche Dinge nicht zusammenhängen; das sind Fragen der Gesinnung, der politischen Überzeugung, mit solchen Fragen stehen und fallen wir. (Zustimmung.) Deswegen lassen wir uns durch keine noch so gehässige und unwahre Agitation von der Überzeugung abbringen, die wir haben (Zustimmung), und unsere Überzeugung ist es, dass einzig und allein nur die staatliche Schule die Gewähr bietet, dass wir in unserem Schulwesen einen Fortschritt erzielen, dass wir jenes Unglück vom Jahre 1883 wieder ausbessern, dass wir es nicht nur ausbessern, sondern neu aufbauen und fortfahren können auf dem Gebiete der Schulreform, wovon heute schon von dieser Stelle aus gesprochen worden ist. Wir müssen unsere Schule reformieren, wir müssen sie den heutigen Verhältnissen anpassen. Die Schulreform ist auf dem Wege und niemand — man mag die Sache noch so verdächtigen — wird imstande sein, diese Reformbewegung aufzuhalten. Das steht fest, denn die Anhänger der Reformbewegung sind von solcher Überzeugung und Begeisterung durchdrungen, dass man die Bewegung wohl hemmen, aber niemals aufzuhalten imstande sein wird.

Wer wird nun eine solche Schulreform machen? Etwa die Landesschulbehörden in neun verschiedenen Ländern? Nein, die haben die geistige Fähigkeit nicht. (Zwischenrufe.) Ich will kein Land antasten, aber ich glaube, wir müssen froh sein, wenn unser kleiner Staat so viel geistige Kraft in seiner Gesamtheit aufbringt, um das durchführen zu können. Die einzelnen Länder werden nicht imstande sein, die geistige Kraft aufzubringen, die notwendig ist, um dieses große Werk der Schulreform durchzuführen. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Nur die Wiener Genies!) Nein, nicht die Wiener Genies, es ist gleichgültig, woher die Männer kommen, die die Reform durchführen; wir müssen danken, wenn sie nur da sind, weil wir arme Teufel sind und froh sein müssen, wenn ein tüchtiger Mensch die Schulreform angreift und in die Hand nimmt, mag er woher immer kommen. Vom Standpunkte der Länder darf die Schulreform nicht beurteilt werden, sondern

nur aus sachlichen Gesichtspunkten. Bei keiner technischen Erfindung, bei keiner großen wirtschaftlichen Leistung hat man gefragt, ob es ein Wiener, Kärntner oder Steirer war, der die Sache gemacht hat. Er hat sie gemacht, hat dadurch die Kultur erhöht und vermehrt und sich dadurch den Anspruch erworben, geachtet zu werden. So steht es auch auf diesem Gebiet. (Abgeordneter Dr. Wagner: Hier liegt der Fehler!) Nein, jedem das Verdienst, dem ein Verdienst gebührt, das ist meine Überzeugung.

Präsident: Darf ich bitten, Herr Abgeordneter. Es geht doch nicht an, dass wir jetzt das ganze Gebiet der Schule und der Erziehung und der Schulreform sachlich erörtern. Wir befinden uns in der Beratung über die Verfassung, und zwar über die Frage, ob hier die Bundes- oder die Landeskompetenz bestimmt, beziehungsweise ausgeschaltet werden soll. Ich möchte also schon bitten, sich mehr auf diesen Gegenstand zu beschränken.

Abgeordneter Dr. Angerer: Ich muss hier leider den Erklärungen des Herrn Präsidenten ganz entschieden entgegentreten.

Präsident (das Glockenzeichen gebend): Ich bitte, das ist unzulässig!

Abgeordneter Dr. Angerer: Ich kann nicht anders. Ich stehe auf dem Standpunkte, dass wir, wenn wir die Kompetenzen abgrenzen wollen, zuerst die Gründe anführen müssen, die für die Länderkompetenz oder für die Staatskompetenz sprechen. Ohne dass wir diese Sache auseinandersetzen, können wir ein Urteil über die Kompetenzabgrenzung meines Erachtens nicht finden. Ich muss schon den Herrn Präsidenten bitten, meinem Gedankengang insofern freien Lauf zu lassen, dass man hier die Gründe auseinandersetzen kann, aus welchen wir diesen Artikel 14 ablehnen und wünschen, dass im Artikel 10 die Verstaatlichung des Schul- und Unterrichtswesens eingefügt wird.

Ich habe erklärt, dass nach unserer Meinung die Länder dazu nicht imstande sind. Das ist kein Vorwurf, das ist ein Tatbestand. Wir haben nicht so ungeheuer viel Intelligenz. Ich gehöre selbst dazu, ich nehme mich selbst nicht aus. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Selbsteinschätzung!) Gewiss, hätten wir genug Genies, könnten wir Gott danken, aber wir in Österreich haben nicht so viel. (Zwischenrufe.) Und wenn wir sie hätten, wäre es unökonomisch, die Sache so zu machen. Mit einem Wort, neun verschiedene Schulreformbewegungen in dem kleinen Österreich sind meines Erachtens ein Unding. Die Verländerung der Schule würde die Schule ertöten, würde das Ende unserer Volksschule bedeuten. Erstens deswegen, weil die Schulreform getrennt nicht gemacht werden kann. Wir sehen schon an unserer Realschule, welche Schwierigkeiten es mit sich bringt; zum Beispiel bei Übersiedlung der Eltern von einem Land in das andere. Rein sachliche Schwierigkeiten bieten sich und das würde bei der Volksschule natürlich in erhöhtem Maße eintreten.

Neben diesem Gesichtspunkte der sachlichen Entwicklung sind auch die Länder vom Standpunkte der finanziellen Leistungsfähigkeit nicht imstande, für die Schulkosten aufzukommen. Ein Beweis dafür ist, dass sämtliche Länder an den Staat mit der Bitte herantreten: Staat, gewähre uns die und die Zuschüsse für die Kosten der Volksschule! Der Staat hat andere Einnahmen, er kann sich Einnahmsquellen verschaffen, die die Länder nicht besitzen. Daher ist der Staat allein imstande — in beschränktem Maße, betone ich ausdrücklich — für die Schulbildung vorzusorgen. Denn in ausgedehntem Maße, in vollkommenem Maße wird auch der Staat bei der Armut, in der wir sind, nicht in der Lage sein, für die Volksschule aufzukommen, und wir werden daher, was die Kosten anbelangt, sehr sparen müssen, um den Zustand zu erhalten, den wir heute haben. Die Länder sind in der Zwangslage, die Schule einfach verelenden zu lassen oder die Umlagen so zu erhöhen, dass es zu einem Bankrott einer ganzen Reihe von Wirtschaftsbetrieben in den betreffenden Ländern kommt. (Abgeordneter Steinegger: Was beim Staate nicht der Fall ist!) Was beim Staate nicht der Fall ist, weil der Staat andere Einnahmsquellen hat, wie ich betonte und Sie selbst unbedingt wissen müssen.

Neben dieser Frage der Schulreform und der Frage der Finanzen ist es aber noch eine dritte Frage, das ist die nationale Frage, die uns dazu bringt, für die Einbeziehung der Schule in die Kompetenz des Staates zu stimmen. Wir sind der Meinung, dass ein Einheitsstaat nur durch den einheitlichen Schulgeist erreicht werden kann. Ein Volk, ein Staat! Das kann nur dadurch erzielt werden, dass derselbe deutsche Geist den Kindern vermittelt wird, ob nun das Kind in der Schule in Steiermark, Kärnten oder Tirol ist. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Oder in der Leopoldstadt!) Aber ich bitte Sie! (Abgeordneter Steinegger: Reinrassige Lehrer anstellen!) Gewiss, wir in Kärnten werden ganz bestimmt dafür sorgen, dass die Kärntner in der Kärntner Schule zur Geltung kommen, denn das steht wohl fest, dass auf die Besetzung der Lehrstellen die einzelnen Länder Einfluss nehmen werden und dass beispielsweise die christlichsoziale Ausrede, die Wiener Juden werden alle nach Steiermark und Kärnten kommen, meines Erachtens lächerlich ist. Ich will durchaus nicht die Gefahr der
Verjudung Wiens unterschätzen, aber wenn alles so sicher wäre wie das eine, dass die Wiener jüdischen

Lehrer nicht in unsere alpenländischen Provinzen als Lehrer kommen, dann könnten wir zufrieden sein. Denn was würde ein solcher jüdischer Lehrer draußen machen, in den antisemitischen bäuerlichen Gegenden Kärntens, Tirols? Er müsste vereinsamen, er könnte keine Amtswirksamkeit entfalten und es würde keinem Unterstaatssekretär einfallen, solch einen Unsinn zu machen. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Na!) Und wenn das schon vorkommen könnte, würden wohl die Abgeordneten des betreffenden Landes eingreifen und so viel Einfluss würden sie schon haben, um das Land zu sichern gegen derartige Übergriffe einer Wiener Zentralstelle. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Wir verstehen ja nichts von Schulsachen, haben Sie gesagt!) Das ist ihre Sache, Herr Kollege. Ich glaube, Sie verstehen alles. Es gibt ja Männer, die von sich glauben, dass sie alles verstehen. Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr, sagt ein Sprichwort. Darüber will ich nichts mehr reden. Ich stehe also auf dem Standpunkte, dass die Erörterungen von der Verjudung unserer Volksschule durch die Verstaatlichung der Schule ein Argument ist, das nur für die allerdümmsten Kälber bestimmt ist, aber nicht für einen denkenden Menschen.

Aber etwas anderes ist es, weshalb wir die Verländerung so sehr fürchten, und diese Befürchtung, die wir haben, ist keineswegs so lächerlich wie die andere, ist kein Schlagwort, sondern Erlebnis. Das ist die Verklerikalisierung der Volksschule. (Abgeordneter Dr. Alfred Gürtler: Jetzt ist’s heraus! — Zwischenrufe.) Gewiss, wir wollen es hier erklären und klipp und klar aussprechen, welchen Standpunkt wir einzunehmen haben. Die Verländerung der Schule bedeutet nach unserer festen Überzeugung eine Auslieferung der Schule an jene Geistesauffassung, die im Reichsvolksschulgesetze bekämpft wurde und die bekämpft wurde von den freiheitlichen Kreisen seit Jahrhunderten. Wir können die Schule nicht ausliefern jenen Kreisen, die den westphälischen Frieden, der den Anfang der religiösen Toleranz gebracht hat, verurteilt haben, wir können sie nicht ausliefern jenen Kreisen, die einen Syllabus von 1864 und 1907 geschrieben haben (Zustimmung), welche die Allokution vom 22. Juni 1868 zur Verurteilung unserer österreichischen Staatsgrundgesetze erlassen haben. (Ruf: Jetzt reden Sie aufrichtig, weil die Bauern draußen sind!) Bei den Bauern rede ich selbstverständlich so, wie wo anders. Sie werden mich nie anders reden hören, als es meine Überzeugung ist. Hier haben wir es mit Überzeugungsfragen zu tun und nicht mit Wahlfragen. Es gibt auch Bauern, die ganz bestimmt freiheitlichen Geist haben, wenn auch manche noch nicht einsehen, wohin die andere Richtung führt. (Zwischenrufe.) Es gibt bestimmt in allen österreichischen Ländern und auch bei uns in

Kärnten freiheitliche Bauern, die eine gute Schule unbedingt haben wollen, und gerade im gemischtsprachigen Gebiete, das am 10. Oktober zur Abstimmung kommen wird, gerade unter den slowenischen Bauern gibt es nicht wenige, die wir als eifrige Kämpfer für eine freiheitliche Schule zu verzeichnen gehabt haben, und diese freie Entwicklung wird bei uns in Österreich gewährleistet im Gegensatz zum SHS.-Staate. Das ist auch ein Grund, dass wir den Leuten sagen: Haltet am 10. Oktober mit uns, bei uns im Lande nördlich der Karawanken könnt ihr eine kulturelle Entwicklung haben, aber im Süden der Karawanken, im SHS.-Staate, wird es ein Chaos geben, wenn wir im deutschen Lande schon längst Ordnung gemacht haben werden. Dazu gehört auch die Schule und deswegen sind es auch völkische Gründe, die für die Einheitlichkeit der Schule sprechen. Es sind also kulturelle, finanzielle und völkische Gründe, die für die Vereinheitlichung, Verstaatlichung der Schule sprechen.

Wenn aber gesagt wird: Ja dann wird die Einheitsschule eingeführt, das heißt, in der Stadt Wien mit zwei Millionen Menschen und droben in einem Gebirgsdorf mit einigen Hundert Einwohnern wird überall das Gleiche vorgetragen werden, nein, das ist die Einheitsschule nicht. Da würde gerade die christlichsoziale Partei sich ein großes Verdienst erwerben, wenn sie hier Aufklärung verbreiten würde, wie es wirklich ist, und ich muss betonen, so sehr ich mit Kollegen Leuthner in manchen Fragen in Widerspruch stehe, dass es auch meine Empfindung im Schulabschluss gewesen ist, dass wir so heftige Kämpfe, wie sie in der „Reichspost" dargestellt worden sind, nie gehabt haben. (Zustimmung — Zwischenrufe.). Das muss ich als Obmann des Ausschusses für Unterricht und Erziehung wahrheitsgemäß feststellen. Wer dabei gewesen ist, kann etwas anderes nicht sagen, und wer nicht dabei gewesen ist, hat kein Recht, etwas anderes zu sagen. (Beifall. — Zwischenruf: Koalition!) Nicht Koalition, Wahrheit ist es. (Lebhafte Rufe.)

Wir haben schon zu Beginn der Tagung den Antrag Straffner eingebracht, welcher besagt, dass das gesamte Schul- und Erziehungswesen zu verstaatlichen ist, und schon damals haben wir eine ganz ungeheuerliche Verdrehung dieses Tatbestandes in den Blättern, insbesondere in den Blättern der christlichsozialen Partei gefunden. (Zwischenrufe.) Ich habe Blätter gesammelt, wo ausdrücklich festgestellt worden ist, der Antrag Straffner bezwecke die Beseitigung des Religionsunterrichtes aus der Volksschule. Da muss ich schon feststellen, dass wir diesen Standpunkt nicht vertreten. Unser Standpunkt unterscheidet sich von
dem der Sozialdemokraten sehr wesentlich und in dieser Hinsicht muss ich den Aus-


 

führungen des Kollegen Leuthner mit Entschiedenheit entgegentreten. Während die Sozialdemokraten jeden Religionsunterricht aus der Volksschule beseitigt haben wollen, stehen wir auf dem Standpunkt der interkonfessionellen Schule, wie es das Reichsvolksschulgesetz verlangt. (Abgeordneter Steinegger: Bei Ihnen kennt man sich nicht aus. — Zwischenrufe.) Sie werden sich halt mehr interessieren müssen für diese Sache, dann werden Sie sich schon auskennen, und das werden Sie als Politiker tun müssen. (Zwischenrufe.)

Ich möchte mir erlauben, jene Stelle des Salzburger Programmes der Großdeutschen Volkspartei vorzulesen, wo in charakteristischen Sätzen unsere Stellung zur Religion ausdrücklich festgelegt ist, und zwar in einer Art, welche durchaus meiner vollen Überzeugung entspricht (liest): „Wir erkennen die Bedeutung der Religion als Kulturbestandteil an und lehnen jede Glaubensfeindlichkeit, jede Verspottung oder Verhöhnung der Religion ab. Wir bekämpfen im Klerikalismus das Streben, weltliche Machtziele durch die Vorschützung religiöser Zwecke zu erreichen, ein Streben, das sich gegen Staat und Volk richtet. Zusammenfassend kann gesagt werden: der Materialismus bekämpft die Religion, wir bekämpfen den Missbrauch zu weltlichen Zwecken."

Ich glaube, das ist deutlich genug und drückt aus, welchen Unterschied wir gegenüber den klerikalen Parteien machen, die aus politischen Gründen die Religion verwerten, und welchen Gegensatz wir gegenüber der sozialdemokratischen Auffassung haben, welche auf diesem Gebiete auf rein materialistischem Boden steht. (Abgeordneter Hafner: Es gibt aber sehr viele Deutschnationale, die unseren Standpunkt einnehmen!) Dann gehören sie zu den Sozialdemokraten und nicht zu uns; das gibt es nicht. Ich muss das ausdrücklich feststellen, weil sehr häufig von Seiten christlichsozialer Vertreter behauptet wird, dass diejenigen, die die Verstaatlichung der Schule vertreten, die Beseitigung des Religionsunterrichtes aus der Volksschule wollen. Nein, zwischen der Frage der Verstaatlichung der Schule und der Beseitigung des Religionsunterrichtes aus der Schule ist ein sehr großer Unterschied, und wir, die Mitglieder der Großdeutschen Volkspartei, treten programmgemäß wohl für die Verstaatlichung ein, nicht aber für die Beseitigung des Religionsunterrichtes aus der Schule und das Programm ist für jeden bindend, der sich als Mitglied der Großdeutschen Volkspartei bekennt. Ich muss aber zugleich betonen, dass auch jetzt, wo der Herr Unterstaatssekretär Glöckel im Unterrichtsamte tätig ist, nicht ein einziger Erlass herausgegangen ist, wo wir uns hätten beklagen müssen, dass Unterstaatssekretär Glöckel über die Gesetze hinweg die Beseitigung des Religionsunterrichtes aus der Schule hätte durchführen wollen. Es ist kein solcher Erlass herausgegeben worden und es hat diesbezüglich eine Debatte im Ausschuss nicht stattgefunden. Anders steht die Sache natürlich mit dem Zwange zur Teilnahme an religiösen Übungen. (Zwischenrufe.)

Wenn Sie glauben, dass ich zwischen Religionsunterricht und religiösen Übungen nicht unterscheiden kann, so können wir darüber nicht reden. Wenn ich darüber gesprochen hätte, so hätte der Herr Präsident das Recht, mich zur Sache zu rufen, denn diese Frage gehört nicht hieher. Aber wohl gehört die Frage hieher, ob die Schule in die Kompetenz des Staates oder der Länder fallen soll. Wenn auf den vielen Parteitagen der Christlichsozialen an Stelle der interkonfessionellen Schule die konfessionelle Schule gefordert wird, auch jetzt in der Kriegszeit und Nachkriegszeit, wo es immer heißt: Keinen Kulturkampf! so müssen wir Freiheitlichen gegen diese konfessionelle Schule Stellung nehmen. Wir sind der Meinung, dass dies eine sittliche Pflicht ist, wir müssen die freiheitlichen Errungenschaften, die unsere Vorfahren nach großen Kämpfen auf uns vererbt haben, auch für unsere Nachkommen erhalten. Ich glaube, dass sich auch tief religiös denkende Männer, die die Religion als Erziehungsmittel wertschätzen, unserer Auffassung gegenüber durchaus nicht ablehnend verhalten werden.

Dann wurde gesagt, wenn die Schule verstaatlicht wird, dann werde von Wien aus nicht bloß die Judenherrschaft ausgehen, sondern es werde die Schule überhaupt nur mehr eine rote Parteischule sein. Auch dagegen muss ich unbedingt Stellung nehmen. Ich habe nicht die Überzeugung, dass man von Wien aus in der Lage wäre, die Schule zu einer roten Parteischule zu machen, wohl aber habe ich mir die Überzeugung verschafft, dass man, wenn man die Schule den Machthabern in den einzelnen Ländern ausliefert, die Schule dann zu einem Instrument der klerikalen Parteiorganisation in den Ländern macht. Ich muss hier dem Herrn Unterstaatssekretär Glöckel bei dieser Gelegenheit den Vorwurf machen, dass zum Beispiel in Oberösterreich und Vorarlberg so viele nicht freiheitliche Lehrpersonen an verschiedene Stellen ernannt worden sind, wie nie früher. Hier liegt eine Schwäche vor, und wenn jemand sagt, dass die Schule in Vorarlberg und Oberösterreich versozialdemokratisiert werde, so muss ich auf Grund der Ernennungslisten gerade das Umgekehrte feststellen. Ich gebe zu, dass es dem Herrn Unterstaatssekretär selbst kein Vergnügen macht, das zu tun. (Abgeordneter Hafner: Ihre Parteigenossen haben sich nicht darum gekümmert!) Das ist auch schlecht. (Heiterkeit.) Ich weiß es nicht, ich bin nicht aus Oberösterreich. (Abgeordneter Hafner: Ich bin in Oberösterreich!) Dann hätten Sie sich besser darum kümmern sollen. (Abgeordneter Hafner: Ich habe mich um die roten
Inspektoren schon gekümmert!) Ich stelle nur die Tatsache fest, und deswegen sage


 

ich: Die Verstaatlichung der Schule wird die Schule nicht ins rote Lager bringen. In Wien laufen die Kräfte zusammen, dort ist noch immer die Möglichkeit der verhältnismäßig unparteiischsten. Leitung. (Abgeordneter Steinegger: Die Möglichkeit!) Ja, die Möglichkeit der verhältnismäßig unparteiischsten Leitung. Deswegen treten wir auch aus diesem Grunde für die Verstaatlichung der Schule ein, weil hier der Sammelpunkt aller, auch der politischen Kräfte ist und daher am ehesten ein Mittelweg gefunden werden kann, der dem richtigen Standpunkt am nächsten kommt. Es können solche Ausschreitungen nicht vorkommen, wie sie in den einzelnen Ländern nach gemachten Erfahrungen möglich sind.

Deswegen sind wir der Meinung, es ist ein grober Fehler, dass wir in unserer Verfassung die Schule nicht als eine Staatssache erklärt, sondern diese Frage auf die lange Bank geschoben haben, um sie zum Schacherobjekt für die nächste Nationalversammlung zu machen, die dann den Schacher entweder durchführen oder dabei wieder zu Falle kommen wird. Ich befürchte, dass sich da unser Werk der Jugenderziehung auf einer sehr gefährlichen Bahn befindet und dass die fortschreitende Entwicklung der Reform dadurch bedeutende Hemmungen erfahren wird, wo doch der Ausbau der Reform so notwendig wäre. Ich weiß aber auch, dass wir nicht in der Lage sein werden, diese Überzeugung in den Reihen der christlichsozialen Partei durchzusetzen; denn das sind nicht bloß Überzeugungsfragen, sondern auch politische Machtfragen und ich weiß sehr wohl, dass gerade der Kampf um die Schule als eine politische Machtfrage besonders von Seiten der christlichsozialen Partei aufgefasst wird. Gerade aus diesem Grunde glaube ich, dass die nichtchristlichsozialen Kreise, alle diejenigen, die auf eine freiheitliche und fortschrittliche Entwicklung unseres Schulwesens Gewicht legen und von der Notwendigkeit dieser Entwicklung überzeugt sind, rücksichtslos zusammenhalten müssen, um ihr Prinzip durchzuführen, gehe es so oder so. (Ruf: Ausschließlich Dr. Steinwender!) Ja, ausschließlich Dr. Steinwender, dessen Haltung in der Schulfrage ich auf das schärfste verurteile. (Heiterkeit.) Ich bedauere, dass ein sonst so verdienstvoller Abgeordneter wie Dr. Steinwender schon im Jahre 1908 im Kärntner-Landtage den Antrag auf Einführung der sechsjährigen Schulpflicht gestellt hat. Wir sind nur wenige gewesen, die im scharfen Abwehrkampf gegen die Steinwenderschen Schulanträge auf den Plan getreten sind. Wenn Sie daher hier den Namen Steinwender nennen, so kann ich Ihnen erklären, dass er kein Mitglied der Großdeutschen Volkspartei ist, weil er jenes Programm nicht anerkennt, von dessen Anerkennung wir selbstverständlich die Zugehörigkeit nicht nur des Parteimitgliedes, sondern auch insbesondere des Mandatars abhängig machen.

Ich wende mich in meinen Ausführungen nicht an die christlichsoziale Partei als solche, aber es wird unter den Mitgliedern dieser Partei ganz gewiss auch Leute geben, die sich, wenn sie ernstlich Nachdenken, sagen werden: Eine Länderschule bedeutet für uns eigentlich den Zusammenbruch unserer Schulbildung. Denn, dass man dann an den Staat herantreten und sagen wird: Du zahlst und wir Länder werden anschaffen! das wird es nicht geben, das gibt es jetzt in der Übergangszeit, aber in der Zukunft wird das nicht so sein. Zahlen ist kein Vergnügen, aber, wenn man nur zahlen soll, was der andere anschafft, so geht das schon gar nicht. Das wird für die Schule eine besonders wichtige Frage sein. (Zwischenrufe.)

Es wird auch hervorgehoben, dass die Länder bei einer Verstaatlichung gar keine Berücksichtigung mehr erfahren. Das ist auch nicht richtig. Einer der Grundgedanken unserer Schulreform ist die Bodenständigkeit des Unterrichtes. Das heißt, der Unterricht muss Rücksicht nehmen nicht bloß auf die Verhältnisse des Landes, sondern sogar auf die Verhältnisse des Schulbezirkes, ja des einzelnen Ortes. Die Bodenständigkeit ist einer der Kernpunkte unserer Schulreform und das muss man allen jenen Leuten entgegenhalten, die entweder absichtlich oder unabsichtlich die Einheitsschule als Uniformierungsschule auffassen, im Gegensatze zum Grundsatze der Bodenständigkeit, der der wirkliche Untergrund der Schulreformbewegung ist. Einheitlichkeit, das heißt ein einheitlicher Geist soll in der Schule in ganz Deutschösterreich sein. Aber berücksichtigt müssen nicht nur die Verhältnisse der Länder, sondern sogar die Verhältnisse des einzelnen Schulortes werden. In diesem Sinne sind bereits Weisungen hinausgegangen und in diesem Sinne arbeitet bereits die Lehrerschaft in Deutschösterreich. Eine Gefahr für die Länder und ihre Eigenart ist also durch die Verstaatlichung nicht gegeben, und wenn das Wort Einheitsschule als Schreckgespenst hingestellt wird, so ist das eine Irreführung und ich muss diejenigen verehrten Mitglieder der Nationalversammlung, die über solche Dinge reden, unbedingt einladen, die Berichte zu lesen, welche über die Grundgedanken der Schulreform gedruckt vorliegen, und bei der Wahrheit zu bleiben; denn ein ehrlicher Mensch muss bei der Wahrheit bleiben, ohne Rücksicht auf jene Fragen, wo verschiedene Meinungen bestehen. (Bravo!) Politische Meinungsverschiedenheiten gibt es selbstverständlich, weil die Weltauffassungen verschieden sind, aber über Tatsachen kann ein ernsthafter Mensch, nicht hinwegschreiten, die Wahrheit muss Wahrheit bleiben trotz der Verschiedenheit der politischen Anschauungen. Wenn Sie daher diese Irrtümer nicht in die Zeitungen hinausgeben, sondern die wirklichen Berichte, wie
sie dem Unterrichtsausschusse vorgelegen sind, und die wirklichen Verhandlungen, wie

sie der Herr Unterstaatssekretär mit den Lehrern der verschiedenen Länder und in Elternabenden durchgeführt hat, und die Wahrheit verkünden, dann wird man mit ganz anderen Augen diese Schulreform ansehen, als wenn man nur diese Schlagworte hinausschreit, die nur dazu da sind, das erst in Geburt befindliche Kind umzubringen. Deswegen meine ich, dürfen wir uns durch solche irrige Ausführungen nicht leiten lassen. Die Länder kommen schon zu ihrem Rechte und ich wäre als Kärntner der letzte, der sagen würde, dass es uns Kärntnern ganz gleich ist, was in Kärnten geschieht, die Wiener mögen nur regieren. Nein, wir Kärntner mögen die Wiener nicht, das muss ich offen sagen, und zwar deswegen, weil wir in Wien so wenig Arbeitslust, so wenig Disziplin sehen, dass wir gar keine Vorliebe für die Wiener haben können. (Ruf: So ein Schwefel!) Das sollten Sie wohl verstehen, so viel Intelligenz sollten Sie besitzen, Herr Kollege! Aber ich meine, ich wäre der letzte, der sagen würde, wir Kärntner werden uns von den Wienern einfach regieren und diktieren lassen. Nein, das wollen wir nicht, wir wollen unsere landsmannschaftliche Eigenart wahren, wir wollen vor allem, dass in Kärnten die Kärntner berücksichtigt werden. Aber über dem Kärntner Lokalstandpunkte steht der deutschösterreichische Standpunkt und über dem deutschösterreichischen hoffen wir, dass auch einmal der großdeutsche Standpunkt stehen wird. (Gelächter bei den Christlichsozialen.) Ja, das hoffen wir; Sie als Christlichsoziale werden freilich nicht dafür sein, das glaube ich schon, aber wir sind dafür und hoffen, dass von den Karawanken bis zum Belt einmal ein großes Deutsches Reich zum Glück und Segen für unsere Nachkommen — wenn wir es schon nicht mehr erleben sollten — entstehen wird. Und deshalb sind wir der Meinung, dass der Geist, der unserer Jugend in der Schule beigebracht wird, der deutsche Geist sein soll, weil wir in diesem deutschen Geiste etwas sehen, was höher steht, als die landsmannschaftliche Eigenart in den Ländern. Also Rücksichtnahme auf die landsmannschaftliche Eigenart nennen wir Bodenständigkeit, aber Zusammenfassung des großen Ganzen zur Einheit der Nation, die nationale Volksschule, das ist es, was wir erstreben und verlangen. Deswegen erlaube ich mir, den Antrag zu stellen, dass im Artikel 10, Punkt 13, zu Beginn, also vor den Worten „wirtschaftlicher und fachtechnischer Archiv- und Bibliotheksdienst“ die Worte eingeschaltet werden „gesamtes Schul- und Erziehungswesen, Volksbildungswesen“. Für den Fall der Annahme dieses Antrages hat der Artikel 14, gegen den sich meine Polemik richtet, dann zu entfallen.

Das ist der Standpunkt, den wir einnehmen. Wir sind der Meinung, dass das Abgehen von dem Prinzipe der Verstaatlichung der Schule ein Verbrechen an der Schule und damit ein Verbrechen am Volke bedeutet. Wir müssen darauf Gewicht legen, dass diese prinzipielle Frage auch prinzipiell behandelt werde, und zwar behandelt werde im Sinne der Entwicklungsmöglichkeiten unseres deutschen Volkes. Diese Entwicklungsmöglichkeit kann nur dann gegeben sein, wenn schon unseren Kindern ein einheitlicher deutscher Volksgeist in allen deutschen Ländern beigebracht wird neben den praktischen Kenntnissen, die sie aus der Schule für das Leben mitbekommen. Ich bitte daher um die Annahme meines Abänderungsantrages. (Beifall.)

Präsident: Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Dr. Schoepfer.

Abgeordneter Dr. Schoepfer: Hohes Haus! Wenn ich in so vorgerückter Stunde in der Spezialdebatte das Wort ergreife, so tue ich es im Namen der christlichsozialen Mitglieder der Nationalversammlung aus Tirol und um zwei Punkte dabei zu berühren. In Artikel 2, Alinea 2, werden die Länder angegeben, aus denen der Bundesstaat besteht. Tirol, das hier genannt wird, ist nicht das Tirol, das wir aus der Geschichte kennen. Es ist ein Rumpf, es ist ein Teil des alten Landes und das schönste deutsche Gebiet von Tirol, die Urstätte; der deutschen Kultur in Tirol, ist uns durch den Friedensvertrag entrissen worden. Wir betrachten das als einen tatsächlichen Zustand, der das Werk der Gewalt ist, aber nicht das Werk des Rechtes.

Hohes Haus! Ich erinnere Sie an die wehmutsvollen Worte, mit denen unser Kollege Nicolussi im Namen der anderen Kollegen aus dem abgetretenen Südtirol von uns Abschied genommen hat. Was er damals gesagt hat, das bleibt aufrecht. Die Tiroler aus dem deutschen Südtirol und aus Nordtirol werden immer daran festhalten, dass diese beiden Teile zusammengehören, und sie werden mit allen Mitteln daran arbeiten, dass diese Vereinigung wieder erfolgt, nicht bloß im Interesse des Landes, nicht bloß im Interesse des Staates, sondern im Interesse jenes Staates selbst, der uns dieses schöne Gebiet entrissen hat.

Ich möchte jetzt über den Weg, auf dem diese Verfassung nach der Auffassung der Mehrheit des Tiroler Landtages zustande kommt, einiges vorbringen. In dem Berichte, den der Herr Referent erstattet hat, ist auf der ersten Seite ganz klar ausgedrückt, dass die Republik Österreich zustande kommt durch die Form eines Vertrages zwischen den Ländern, welche diesen Staat bilden sollen. Wenn man diese Auffassung annimmt, wie sie hier dargelegt ist, dann kommt man durch den Zwang der Konsequenz dazu, weiter anzunehmen, dass die endgültige Verfassung dieses Staates nicht durch einen Beschluss der Nationalversammlung
allein, sondern nur durch das Hinzutreten der Vertretungen der

Länder aufgerichtet werden kann. Diesen Standpunkt hat der Tiroler Landtag von Anfang an eingenommen. Er hat das nicht aus Separationsbestreben getan, sondern in der Überzeugung, dass nur auf solche Weise eine feste Verfassung, eine feste Konstitution dieses Staates erreicht werden kann. Wenn wir uns auch vorbehalten, dass der Landtag zu diesen Fragen Stellung nehme, so sind wir doch dafür, dass die Verbindung der einzelnen Länder zu dem Staatsganzen eine recht feste werde. Das kann aber nur dann sein, wenn der Zusammenschluss in einer Weise erfolgt, dass die Länder dabei befriedigt werden. Eine geschriebene Verfassungsurkunde allein wird uns, wenn sie nicht in der Überzeugung des Volkes Wurzel gefasst hat, über die Verfassungskämpfe nicht hinweghelfen. Der Tiroler Landtag hat zu wiederholten Malen in dieser Angelegenheit Stellung genommen, insbesondere am 27. September v. J., wo er einen mächtigen Impuls gegeben hat, damit die Verfassungsfrage endlich ins Rollen komme, und wo er den Anstoß dazu gegeben hat, dass die Länder durch Entsendung eigener Delegierter zur Mitarbeit berufen werden.

Ich will Sie nicht weiter damit aufhalten Ihnen die Bedeutung einer solchen Zusammenarbeit der Länder untereinander und mit der Nationalversammlung darzulegen. Ich begnüge mich, Ihnen im Namen der christlichsozialen Kollegen aus Tirol folgende Erklärung zur Kenntnis zu bringen (liest):

„Die christlichsozialen Tiroler Mitglieder der Konstituierenden Nationalversammlung haben bei Beratung des Gesetzes, betreffend die Staatsform und das besetzte Staatsgebiet, in der Sitzung vom 12. März 1919 durch den Abgeordneten Dr. Stumpf nachstehende Rechtsverwahrung abgegeben:

„ „Die unterzeichneten Mitglieder der Konstituierenden Nationalversammlung aus Tirol sind der unerschütterlichen Rechtsüberzeugung, dass auf Grund des wiedererlangten freien Selbstbestimmungsrechtes des Landes Tirol und kraft der geschichtlichen Rechtsentwicklung sowohl, wie kraft der fortdauernden Geltung der Tiroler Landesordnung vom 26. Februar 1861 nur ein freigewählter Tiroler Landtag berufen ist, souverän über die weitere staatsrechtliche Zukunft des Landes zu entscheiden.

Solange eine solche Entscheidung nicht erfolgt ist, können die Unterzeichneten nur unter Vorbehalt und unter Aufrechterhaltung ihres grundsätzlichen Standpunktes an den Verhandlungen der Nationalversammlung teilnehmen.

Dr. Mayr, Steinegger, Dr. Stumpf, Unterkircher, Haueis.“ “

In der Folge hat der verfassungsgebende Tiroler Landtag, als er in der Sitzung vom 27. September 1919 zur Schaffung eines Verfassungsgesetzes für die Republik Österreich Stellung nahm, den gleichen Standpunkt eingenommen und im einstimmigen Beschluss (unter Stimmenenthaltung der sozialdemokratischen Landtagsmitglieder) erklärt, dass „„die Staatsverfassung nicht ohne Zustimmung der Länder und deren hiefür erforderliche Einigung auf das Verfassungsstatut ausgerichtet werden kann.““ Damit hat sich der Landtag die Zustimmung zur Staatsverfassung für deren Anerkennung vorbehalten.

Der Tiroler Landtag nimmt diesen Standpunkt auch aus der von ihm immer festgehaltenen Rechtsüberzeugung ein, dass bestehende Rechte des Landes nur durch den Landtag selbst, nicht aber durch Staatsgesetz aufgehoben oder eingeschränkt werden können.

Wir behalten darum dem Tiroler Landtag die endgültige Stellungnahme zu dem in Beratung stehenden Verfassungsgesetz und damit auch die Prüfung vor, ob und inwieweit dadurch bestehende Rechte des Landes Tirol berührt werden. Nur unter Aufrechterhaltung dieses grundsätzlichen Standpunktes und ohne dem Tiroler Landtag dadurch irgendwie zu präjudizieren, nehmen wir an der Beratung dieses Verfassungsgesetzes teil.“ (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Präsident: Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Stocker.

Abgeordneter Stocker: Den unabhängigen Bauernbündlern Deutschösterreichs, beziehungsweise der deutschösterreichischen Bauernpartei, kann man gewiss nicht den Vorwurf machen, dass sie Feinde der Schule wären. Im Gegenteil, die deutschösterreichische Bauernpartei strebt mit allen Mitteln eine möglichst gute Volksschul- und Fachschulbildung an. Aus sachlichen Gründen und im Interesse der Schule können wir aber dem Antrage des Herrn Abgeordneten Dr. Angerer nicht beistimmen, welcher dahin geht, dass das Schulwesen verstaatlicht werden soll. Wir glauben vielmehr, dass den Ländern ein entsprechender, ein maßgebender Einfluss auf dem Gebiete des Bildungswesens gewahrt bleiben muss, da die Länder für die Schule ein größeres Verständnis aufbringen und mit größerem Interesse bestrebt sind, in ihren einzelnen Gebieten eine möglichst gute Schule zu schaffen, als dies dem Staate möglich ist. Aus diesem und aus verschiedenen sachlichen Erwägungen stimmen wir der jetzigen Fassung des Verfassungsgesetzes zu, mit einem Wort, wir stimmen dagegen, dass die Schule vollständig Staatssache werden soll.

Ganz besonders am Herzen liegt nur im Interesse der Landwirtschaft und der Bodenproduktion
überhaupt die Stellung der Landwirtschaft und insbesondere die Stellung der Boden-

reform und die Kompetenzabgrenzung in der Verfassung. Im Artikel 12 ist vorgesehen, dass die Bodenreform, agrarische Operationen, Wiederbesiedelung, Forstwesen und Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge nun in die Durchführung der Länder fallen sollen. Der Staat hat die grundsätzliche Gesetzgebung, die Durchführung obliegt Landesgesetzen.

Meine Herren! Durch eine derartige Kompetenzabgrenzung würde, fürchte ich, die Bodenreform, auf die ein Großteil der Bevölkerung große Hoffnungen setzt, so ziemlich begraben und ich möchte betonen, dass die Stellungnahme der christlichsozialen Partei in der Frage der Bodenreform nun in vollem Widerspruch zu ihrem bisherigen Verhalten in dieser Angelegenheit steht. Im April vorigen Jahres hat die Staatsregierung, hat der Staatssekretär Stöckler einen Gesetzentwurf über die Wiederbesiedlung gelegter Bauerngüter eingebracht. Damals habe ich die Ansicht vertreten, dass es zweckmäßiger wäre, die Wiederbesiedlung und ähnliche Bodenreformfragen durch Landesgesetze durchzuführen. Man stand damals vor einer vollständig neuen Frage und hatte keine Erfahrungen. Nun sind die christlichsoziale Partei und die sozialdemokratische Partei damals auf dem strikten Standpunkte gestanden, Gesetzgebung und Exekutive in der Wiederbesiedelungsfrage seien Sache des Staates, die Durchführung obliege als oberster Behörde dem Staatsamte für Landwirtschaft. Im Laufe der Zeit konnte man sehen, dass dies tatsächlich der richtige Standpunkt war und man konnte auf Grund des Verhaltens der einzelnen Landesregierungen zu den Bodenreformfragen sehen, dass die Landesregierungen in einer Reihe von Ländern diesen Agrargesetzen keineswegs freundlich gegenüberstehen. Als wir diese Erfahrung gemacht hatten, war es unsere Partei, welche von nun an mit aller Entschiedenheit auch hier im Hause für die Kompetenz der Staatsregierung in der Bodenreform eingetreten ist. Im Berichte des landwirtschaftlichen Ausschusses vom 29. April, der von dem christlichsozialen Abgeordneten Buchinger verfasst und von dem jetzigen Staatssekretär Haueis als Obmann mit unterfertigt ist, sagt der christlichsoziale Berichterstatter: „Letzten Endes handelt es sich daher um die Hebung und Vermehrung unserer landwirtschaftlichen Produktion, eine Angelegenheit, die für jeden deutschösterreichischen Staatsbürger von schwerwiegender Bedeutung ist. Im Hinblick darauf ist auch der Ausschuss in seiner überwiegenden Mehrheit von dem Gesichtspunkte ausgegangen, dass die legislative Behandlung des Gegenstandes keine Sache der Landeskompetenz, sondern eine eminente Angelegenheit der Staatsgesetzgebung selbst ist.“ Und weiter heißt es: „Der Ausschuss konnte sich aber weiters der Tatsache nicht verschließen, dass eine länderweise, im Wesen nicht einheitlich gehaltene Behandlung der Materie auch sozialpolitisch insofern höchst bedenklich werden müsste, als dies falls ein Abströmen der bodenhungrigen Bevölkerungsschichten in das Land der günstigsten Siedlungsbedingungen unvermeidlich wäre und auch auf dem Gebiete der Administrative die unbedingt notwendige Gleichartigkeit der Judikatur nicht erreicht werden könnte.“

Mit einem Wort: Eine strikte Ablehnung der christlichsozialen Partei, dass dieses erste und wichtigste Bodenreformgesetz in die Kompetenz der Länder fallen soll. In der Sitzung der Nationalversammlung vom 31. Mai hat auch in Vertretung des Staatssekretärs Stöckler der Herr Vizepräsident Pantz erklärt, dass vom sachlichen Standpunkte und vom Standpunkt der Durchführung des Gesetzes unbedingt die Kompetenz der Exekutive der Staatsregierung zu empfehlen sei. In dieser selben Sitzung vom 31. Mai erklärte der christlichsoziale Abgeordnete, Berichterstatter Buchinger (liest):

„Das Wiederbesiedelungsgesetz ist weiters auch eine Neuregelung der Rechtsverhältnisse von Grund und Boden und ein Enteignungsgesetz, daher ist es unbedingt nötig, dass es in die Kompetenz der Staatsregierung komme. Ich bin mir dabei wohl bewusst, dass die Landeskultur eine Angelegenheit der einzelnen Länder sein soll, doch hat darüber noch nie eine genaue Feststellung stattgefunden. Ein Rahmengesetz als solches kann es unter gar keinen Umständen sein. Was würde uns sonst in Zukunft passieren? Dass so manche Landesregierungen und Landtage die diesbezüglichen Gesetze in einem bedeutend späteren Zeitpunkt erlassen würden.

Jedes Land als solches müsste sein eigenes Landesgesetz erlassen und die Folge wäre, dass die einzelnen Gesetze ganz und gar verschieden wären — manche Länder würden bedeutend günstigere Siedelungsverhältnisse haben, und es würde sich zeigen, dass ein bedeutend größeres Abströmen der bodenhungrigen Bevölkerung in diese Gebiete stattfinden würde.“

Das, was die christlichsoziale Partei damals mit Entschiedenheit abgelehnt hatte, will sie nun heute in der Verfassung im entgegengesetzten Sinne festgelegt wissen. Ich möchte betonen, dass in einer Reihe von Fällen in dieser Nationalversammlung einheitlich von allen drei Parteien, der christlichsozialen Partei, der Großdeutschen Bereinigung und der sozialdemokratischen Partei, bei allen Bodenreformgesetzen die Kompetenz und die Exekutive des Staates beschlossen wurde, und dass in wiederholten Fällen auch darüber im landwirtschaftlichen Ausschusse gesprochen worden ist, wo man sich immer im Interesse der Sache dahin geeinigt hat, es
müsse dies Angelegenheit des Staates sein. Ich betone, dass auch die Provisorische Nationalver-

sammlung im August das erste damalige Bodenreformgesetz, das Zinsgründlergesetz, als Staatsgesetz erlassen hat; dass weiter selbst der christlichsoziale Abgeordnete Vizekanzler Fink in diesem Hause einen Gesetzentwurf über das Grundverkehrsgesetz eingebracht hat, ein Gesetz, das in der Gesetzgebung und in der Exekutive ein Staatsgesetz ist. Ferner hat diese Nationalversammlung das Gesetz über die Errichtung und Ausgestaltung der Agrarbehörden beschlossen. Auch damals sind aus gewissen Kreisen Stimmen laut geworden, es sollen diese Agrarbehörden zweckmäßiger Organe der Landesgesetzgebung und Landesregierung werden. Wir haben uns auch damals wiederum einstimmig auf den Standpunkt gestellt, dass die Behörden, wenn sie entsprechend arbeiten sollen und wenn unsere Bodenreform etwas werden soll, einheitlich als staatliche Behörden organisiert sein müssen, wie sie seit Jahrzehnten bestanden haben. Wir haben weiter in dieser Nationalversammlung eine Entschließung angenommen, dass das Staatsamt für Landwirtschaft diesem Hause ein Rentengutsgesetz als Ergänzung zum Wiederbesiedlungsgesetz vorlegen soll. Auch die christlichsoziale Partei hat einstimmig diese Entschließung angenommen. Es war der christlichsoziale Abgeordnete Buchinger, der anlässlich der Resolution über die Einführung eines Rentengutsgesetzes den Resolutionsantrag gestellt hat, dass die Staatsregierung aufgefordert wird, ehestens der Nationalversammlung ein Gesetz über den Abbau des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes vorzulegen. Mit einem Wort, in einer Reihe von Gesetzen, die zum Teil bereits in Ausführung sind, hat die christlichsoziale Partei durch ihre eigenen Vertreter aus sachlichen Erwägungen, im Interesse der Sache, die Kompetenz und Exekutive der Staatsregierung in Anspruch genommen, und wir wundern uns, dass nun nach dem Verfassungsgesetze die Nationalversammlung bloß Rahmengesetze zu erlassen hat und die Durchführung Landesgesetzen vorbehalten werden soll. Und wir haben weiter heute im landwirtschaftlichen Ausschusse ein weiteres Bodenreformgesetz beschlossen, das sogenannte Luftkeuschengesetz.

Warum wir dagegen eintreten, dass das Bodenreformgesetz nun Landessache wird, hat folgenden Grund. Ich erwähnte bereits, dass die Landesregierungen mit den Bodenreformfragen in manchen Ländern scheinbar nicht einverstanden sind. Der frühere Staatssekretär Stöckler ist es selbst gewesen, welcher von dieser Stelle aus erklärt hat, als wir die Anfrage richteten, warum es mit der Wiederbesiedlung nicht vorwärts geht, dass die Landesregierungen den größten Widerstand entgegenstellen. Und ich habe dasselbe gesagt, dass dies bedauerlich ist, und ich muss feststellen, dass die Landesregierungen fast durchwegs in den Händen der christlichsozialen Partei sind. Es zeigt sich, dass in den Ländern und insbesondere dort, wo die christlichsoziale Partei die vorherrschende ist, die Bodenreformfrage sabotiert wird.

Und weiter. Es besteht über Verordnung des Staatssekretärs Stöckler ein sogenannter Fachbeirat beim Staatsamte für Landwirtschaft. Dieser Fachbeirat ist die Vertretung sämtlicher land- und forstwirtschaftlicher Körperschaften, das heißt der Landeskulturräte und der Landeswirtschaftsgesellschaften und gesetzmäßig hat dieser Fachbeirat dem Staatsamte für Landwirtschaft mit Rat und Tat beizustehen Es war speziell auch eine Forderung der christlichsozialen Partei, dass dieser Fachbeirat, in dem sie ja gleichfalls darin sitzen, eingeführt wird.

Nun, meine Herren, wenn eine derartige Institution besteht, wie es der Fachbeirat des Staatsamtes für Landwirtschaft ist, so hat er nur dann Wert, wenn er nicht bloß auf dein Papier steht und wenn man ihn nicht bloß vom fachlichen Standpunkte beraten und reden lässt und dann seine Beschlüsse und Wünsche nicht befolgt, sondern eine derartige Einrichtung hat nur dann Wert, wenn man sich nach dem, was man selbst geschaffen und als notwendig erkannt hat, richtet, wenn man sich danach richtet, was er beschließt und was er als gut und notwendig findet. Ich möchte betonen, dass die diesjährige Hauptversammlung des Fachbeirates, bei der alle landwirtschaftlichen Körperschaften Deutschösterreichs vertreten gewesen sind, im Juni unter dem Vorsitze und unter der Mitarbeit des Staatssekretärs Stöckler eine Resolution angenommen hat, worin gesagt wird, dass wir vom Standpunkte der Landwirtschaft ein starkes Staatsamt für Landwirtschaft fordern und wünschen. Wenn aber der Staatssekretär für Landwirtschaft in der Bundesregierung die entsprechende Stellung haben soll, dann darf dieses Staatsamt nicht bloß ein Subventionsverteilungsapparat sein, sondern dann muss es auch entsprechende Befugnisse haben, sonst wird es im Kreise der Bundesregierung einfach gegenüber den anderen Ressorts, denen eine Fülle von Kompetenzen zusteht, nichts zu reden haben. Der Herr Staatssekretär Stöckler hat auch an folgender Resolution mitgearbeitet, die einstimmig angenommen wurde und die lautet (liest):

„Zunächst wird dem Bundesamt für Landwirtschaft die Gesetzgebung und Exekutive auf dem Gebiete der Bodenreform, des Tarifwesens, der Zoll- und Handelsverträge, des Veterinärwesens, des Forstwesens usw. zustehen. Ebenso wird diesem Bundesamt die Aufstellung der Grundsätze für die landeskulturellen Gesetze, die ländlichen Arbeitsrechte, die Jagd und Fischerei und die Servitutenregelung zu obliegen haben. In die Kompetenz des Staates wird fallen das land- und forstwirtschaftliche Hochschulwesen, Mittelschulwesen und der landwirtschaftliche Spezialunterricht.“

Nun, meine Herren, es ist damals auch in diesem Fachbeirat eingehend erörtert worden, inwieweit die Kompetenz in landwirtschaftlichen und Bodenreformfragen reichen soll. Es wurden auch Ansichten vertreten, die sich etwa mit denen in diesem Verfassungsentwurfe decken. Nach eingehender Debatte hat sich der ganze Fachbeirat mit seinem Delegierten, einschließlich des Staatssekretärs Stöckler, auf den Standpunkt gestellt, die Bodenreform sei Sache des Staates sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Exekutive. Da möchte ich nun denn fragen: wozu haben wir denn die Fachbeiräte, die unsere Organisationen darstellen, die Landeskulturräte und die Landwirtschaftsgesellschaften, wo auch Ihre Leute sitzen? Wozu werden sie denn einberufen, wozu lässt man sie tagelang beraten, wenn Sie sich hier in der Nationalversammlung, wo es gilt, die Beschlüsse Ihrer eigenen Berufsvertretungen zu vertreten, darüber einfach zur Tagesordnung hinwegsetzen? Daher ist es begreiflich, dass die landwirtschaftlichen und die forstwirtschaftlichen Gesellschaften mit dieser Parteivertretung vollständig unzufrieden sind, weil sie sehen, die Fachinteressen der Land- und Forstwirtschaft kommen durch die christlichsoziale Partei nicht zur Vertretung. Wenn man über die Beschlüsse eines Fachbeirates, einer unserer wichtigsten landwirtschaftlichen Organisationen, die die berufene Vertretung der Gesamtheit ohne Unterschied der Partei darstellt, einfach zur Tagesordnung hinweggeht, so heben Sie diese Einrichtung auf, weil sie so wie so für die Katz ist, weil Sie sich in der Durchführung um die Beschlüsse des Fachbeirates nicht kümmern. Der Fachbeirat wird es sich für die Zukunft überlegen, Vorschläge, die immer frei von parteipolitischer Erwägung waren, zu machen, über die Sie zur Tagesordnung hinweggehen, als ob die von Ihnen selbst geschaffenen Einrichtungen nicht existieren würden.

Es wird wohl von christlichsozialer Seite eingewendet werden: die Geschichte ist etwas anders, denn wir haben Artikel 15 und da wird bestimmt, wenn die Nationalversammlung ein derartiges Gesetz erlassen hat, sind die einzelnen Länder gebunden, Landesgesetze zur Durchführung zu erlassen. Jedes einzelne Land, und auch das kleinste Land, ist verhalten, wenn ein Gesetz Geltung bekommen soll, ein eigenes Landesgesetz zu erlassen. Erlässt das einzelne Land kein Durchführungslandesgesetz im Rahmen der Grundsätze, so erlässt die Staatsregierung auch das Durchführungsgesetz.

Der Herr Abgeordnete Buchinger hat in dem Bericht über die Wiederbesiedlungsfrage selbst erklärt, wir kämen da zu einem unhaltbaren Zustande, wenn in so wichtigen Fragen, die schließlich einheitlicher Natur sind und eine einheitliche Angelegenheit behandeln, jedes Land ein eigenes Gesetz erlassen müsste, im Interesse der Sache sei dies abzulehnen.

Das ist auch richtig. Denn die Bodenreform, die Wiederbesiedlung, der Abbau des Großgrundbesitzes und verschiedene andere Gesichtspunkte müssen tatsächlich von einem höheren und gemeinstaatlichen Standpunkte behandelt werden. Es kommen vielfach Fälle vor, wo zum Beispiel — ich erinnere an das beschlossene Luftkeuschengesetz — im einzelnen Lande vielleicht nur fünf oder sechs Fälle vorkommen werden und es müsste das einzelne Land ein eigenes Durchführungsgesetz erlassen. Sicher ist — und das wird allgemein von denen befürchtet, die in das Wesen der Bodenreform Einblick haben und insbesondere die offenen oder versteckten Absichten vieler Landesregierungen erkennen —, dass diese Kompetenzzuteilung, wie sie in diesem Verfassungsgesetze vorgesehen ist, eine ungemeine Erschwerung der Agrarreform oder sogar eine vollständige Sabotierung bedeutet. Ich erinnere beispielsweise daran: wenn aus unserer Agrarreform etwas werden soll, brauchen wir Rentenbanken. Nun kann selbstverständlich das Land Vorarlberg oder Salzburg für seine Fälle nicht eine eigene staatliche Rentenbank zur Durchführung der Bodenreform errichten, sondern es ist da eine gemeinsame staatliche Institution, eine gemeinsame staatliche Kreditanstalt erforderlich. Und in vielen anderen Dingen kommen wir eben zur Ansicht, diese große volksbewegende Frage der Bodenreform muss nach einheitlichen Gesichtspunkten bearbeitet werden. Es ist in den Vollzugsanweisungen bisher das individuelle Interesse der einzelnen Länder ohnedies immer gewahrt worden. Wenn es aber vorwärts gehen soll, muss insbesondere eine oberste Leitung da sein und da muss ich sagen, dass die Agraroberbehörde beim Staatsamt für Landwirtschaft und dessen Beamten sicherlich bestrebt gewesen sind, mit bestem Willen bestrebt gewesen sind, die Bodenreformgesetze tatsächlich durchzuführen. Sie haben aber die Widerstände draußen gehabt und wenn Ihnen das ganze entgleiten soll, dann können wir überhaupt der Bodenreform ade sagen.

Meine Herren! Warum die christlichsoziale Partei entgegen ihren bisherigen Beschlüssen und entgegen ihrem bisherigen Verhalten in dieser Frage in der Nationalversammlung nun den entgegengesetzten Standpunkt einnimmt, kann ich mir nur aus dem Widerstande erklären, den die Klöster und die Großgrundbesitzer der Agrarreform entgegensetzen, und die christlichsoziale Partei — wir bemerken das draußen schon lange — hat ihnen da williges Gehör geschenkt und eine solche Kompetenzzuteilung gewühlt, durch die dem weltlichen und dem geistlichen Großgrundbesitz zum Schaden der Bauern in weitgehendstem Maße entgegengekommen wird. Aber, meine Herren! Sie werden sich täuschen. In dieser Frage lässt die Bauernschaft nicht handeln,
sondern die Bauernschaft, ohne Unterschied der Partei, will, dass die Agrargesetz-

gebung durchgeführt werde. Da wird kein Sträuben nützen, und die Bauernpartei wird dafür sorgen, dass dieses Verhalten auch den entsprechenden Kreisen der bäuerlichen Bevölkerung zur Kenntnis kommt.

Ich bedaure nur sehr, dass es auf Grund der Parteiverhältnisse nicht möglich ist, die Forderung gesetzmäßig durchzubringen, dass die Frage der Bodenreform aus dem Artikel 12 in den Artikel 10 überstellt werde. Ich stelle fest, dass die Großdeutsche Vereinigung erklärt hat, sie bestehe auf dieser Forderung der Überstellung der Bodenreform in die Kompetenz der Staatsgesetzgebung und in ihre Exekutive. Die gleiche Erklärung hat auch die sozialdemokratische Partei abgegeben. Die christlich soziale Partei erklärte, für diese Forderung nicht stimmen zu können, und nun wäre, wenn ein solcher Antrag durchgehen soll, eine Zweidrittelmehrheit für ihn notwendig. Es würden für unseren Antrag die Großdeutsche Vereinigung und die sozialdemokratische Partei stimmen. Die christlichsoziale Partei würde dagegen sein. Es fehlt die Zweidrittelmehrheit, der Antrag wäre demnach abgelehnt. Wenn dann der Artikel 12 zur Abstimmung käme und die Groß deutsche Vereinigung und die sozialdemokratische Partei stimmen dagegen, so wäre auch der Artikel 12 nicht angenommen. Und das bedeutet das Scheitern der Verfassung. Weil wir diese Verantwortung nicht auf uns nehmen können, können wir nur mit Bedauern das Verhalten der christlichsozialen Partei in dieser ungemein wichtigen Frage feststellen. Ich hoffe, dass es bei einer Novellierung der Verfassung gelingen wird, in der künftigen Nationalversammlung für diese Kompetenzzuteilung eine Zweidrittelmehrheit zustande zu bringen, und ich hoffe es insbesondere, wenn in der christlichsozialen Partei die intelligenten Kreise der landwirtschaftlichen Bevölkerung mehr zur Geltung kommen, als es bis heute der Fall ist. (Zwischenrufe.) Der Fachbeirat des Staatsamtes für Landwirtschaft hat in dieser Entschließung die Forderung nach der Schaffung eines starken Bundesamtes ausgedrückt. Durch diese Verfassung und durch diese Kompetenzzuteilung machen Sie das Staatsamt für Landwirtschaft zu einer Null, zu einem Bundesamte, das nichts zu reden hat. Dass dies nicht im Interesse der Landwirtschaft, im Interesse der Bodenproduktion und der gesamten Volkswirtschaft liegt, ist feststehende Tatsache.

Zum Schlusse stelle ich nochmals fest: Die christlichsoziale Partei hat, offenbar in dem Bestreben, die Agrarreform zu sabotieren, im Gegensatze zu ihrem bisherigen Verhalten nun eine solche Kompetenzzuteilung gewählt, dass den Bestrebungen der agrarreformfeindlichen Klöster und des Großgrundbesitzes in weitestgehender Weise entgegengekommen wird. (Beifall.)

Präsident: Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Dr. Wagner.

Abgeordneter Dr. Wagner: Hohes Haus! Es ist heute davon die Rede gewesen, dass es im Schulausschusse so unendlich gemütlich war. Es hat angeblich eine Partei der anderen gewissermaßen immer die Hände gedrückt. Nun, so war die Sache nicht. Es ist schon auch öfters ein bisschen kritisch hergegangen, und ich möchte daran erinnern, dass gerade meine zwar sonst ziemlich unbedeutende, aber doch immerhin in den Schulausschuss hineingelotste Persönlichkeit es war, die sich einmal erlaubt hat, dem Herrn Unterstaatssekretär Glöckel das Misstrauen auszusprechen — das ist durch alle Blätter gegangen — und in der nächsten Sitzung habe nicht nur ich, sondern haben einer nach dem anderen alle von der christlichsozialen Partei ihm sanft aber eindringlich das Misstrauen ausgesprochen. Sie dürfen ja, meine Verehrten, doch nicht verlangen, dass sich ein Abgeordneter, der gewissermaßen die Auslese des Volkes darstellt, so benimmt, wie sich die Zeitungen benehmen. Die Presse muss immer ein bisschen schärfer sein, dazu ist sie da. Wir sind im Grunde doch dazu da, die Differenzen, die sich nun einmal finden, nach Möglichkeit auszugleichen. Deswegen ist es im Schulausschusse nicht so hergegangen, wie in der Presse. Aber dass es gar so gemütlich und sanft zugegangen wäre, das leugne ich direkt und muss es leugnen.

Der Herr Abgeordnete Dr. Angerer stellt sich auf den Standpunkt der Verstaatlichung der Schule. Ich will darüber gar nicht viel reden, weil dieser Punkt, heute nicht in Frage kommt; das ist einer zukünftigen Novellierung vorbehalten. Ich möchte aber nur darauf hinweisen, dass das Schulwesen in der Schweiz vielleicht nicht das schlechteste ist. Meines Erachtens haben sie in der Schweiz die Kantonalschule und haben nicht einmal ein Unterrichtsministerium für die gesamte Schweiz, wenn ich mich nicht irre. Ich glaube, das einmal gelesen zu haben. Es kann also das, was für die anderen passt, vielleicht auch für uns passen, und wenn sich nun die Länder einmal diese Sache nicht ganz aus der Hand winden lassen wollen, so muss man halt da den Ländern ein bisschen nachgeben; es wird wohl nichts anderes übrig bleiben.

Was uns so gegen die Verstaatlichung der Schule aufzutreten zwingt, das ist das Misstrauen, das wir heute noch gegen die Zentralwirtschaft haben: denn, meine sehr Verehrten, die Sache ist die: In letzter Zeit hat uns ja der Herr Unterstaatssekretär im Schulausschusse immer alles Schöne und Gute gesagt, und da haben wir natürlich gesagt, das ist recht schön, aber er hat uns auch manches nicht gesagt, das haben wir von anders-

woher erst erfahren müssen, wir hatten aber dann keine Möglichkeit mehr im Schulausschusse, wie es sich eigentlich gehört hätte, aufzudrahn. Wenn es schon hätte sein müssen, hätten wir natürlich auch aufgedraht, aber es war keine Gelegenheit mehr dazu da, weil uns klugerweise nicht alles gesagt wurde, nach dem alten Rezepte: Kinder dürfen nicht alles wissen. (Heiterkeit.) Den Religionsunterricht hat der Herr Unterstaatssekretär Glöckel freilich noch nicht aus der Schule hinausgeworfen, weil er es nicht konnte, aber so viel ist sicher, er hat ihn zum Teile gelähmt. Ich möchte sagen, halbseitig ist er dadurch gelähmt. Ich bin auch Katechet gewesen und Sie werden mir da schon eine gewisse Fachkenntnis zutrauen, weil in den religiösen Übungen gerade das liegt, was man heute in den modernen Arbeitsschulen durchsetzen will. (Ruf: Die Bodenständigkeit!) Ja, dass nämlich das Gelernte in Fleisch und Blut übergeht, aus dem Kinde selber herausgearbeitet, nicht nur hineingestopft wird; auch das, was in dem Kinde drinnen steckt, muss herausgearbeitet werden. Was die Bodenständigkeit anbelangt, so sind wir da vollständig auf dem gleichen Boden, nur fassen wir Christlichsozialen die Bodenständigkeit etwas weiter. Wir verstehen unter Bodenständigkeit — ich habe das schon einmal hier gesagt — nicht bloß die Anknüpfung an die nächste Umgebung des Kindes, wir verstehen unter Bodenständigkeit das Volkstum selber, das die Kinder eigentlich auf die Welt mitbringen und zum Teil von ihren Ahnen und Vorfahren ererbt haben, und das sie, insoweit es Kulturgüter betrifft, weiter vererben sollen. Unser Volkstum, unser Österreichertum gehört eben zur Bodenständigkeit, und ein Bestandteil dieses Österreichertums ist meines Erachtens und meiner Überzeugung nach auch das religiöse Bewusstsein (Sehr richtig!), das so tief in unserem Österreichertum drinnen steckt, dass es Ihnen nicht gelingen wird, es gänzlich zu entwurzeln. (Beifall.) Dagegen aufzutreten, das ist unsere Aufgabe, dazu sind wir von unseren Wählern hereingeschickt worden, die gerade dieses religiöse Bewusstsein auf die Nachwelt übertragen wollen, als Bestandteil unseres Volkstums und damit auch als integralen Bestandteil dessen, was man unter Volkstum versteht.

Ich möchte mich auch dagegen wenden, dass man uns vorwirft, die Schule sei für uns ein Schacherobjekt der Parteien. Nein, meine sehr Verehrten, wenn Sie dem, was ich jetzt gesagt habe, gefolgt sind, werden Sie sofort wissen, woran es uns liegt. Die Bewahrung des echten und wahren Volkstums verlangt eben auch von uns — und das ist unsere Überzeugung, und eine Überzeugung darf man ja doch in einer demokratischen Republik auch haben, meine ich ... (Ruf: Aber wir haben auch eine!) ... Ja, ich beleidige auch Ihre Überzeugung, meine ich, nicht dadurch, dass ich die meinige ausspreche. (Ruf: Wir haben Sie auch nicht beleidigt!) Ihr Herr Kollege Leuthner ist etwas anders auf uns losgefahren, das werden Sie zugeben. (Abgeordneter Schiegl: Es hat nicht geschadet!) Es hat gewiss nicht geschadet, darum wird Ihnen auch das nicht schaden, was ich sage. (Abgeordneter Leuthner: Wir sind ganz ruhig!)

Aha, da ist er ja. (Heiterkeit. — Abgeordneter Leuthner: Ich bin eigens hergekommen, um Sie zu hören!) Ich habe mich aber jetzt gerade nicht mit Ihnen zu beschäftigen — ist mir übrigens leid —, ich habe mich damit zu beschäftigen, dass der Herr Abgeordnete Angerer gesagt hat, für uns sei die Schule ein Schacherobjekt. Nein, das ist sie nicht.

Präsident (unterbrechend): Ich bitte, Herr Abgeordneter, ich habe dem Herrn Abgeordneten Angerer schon mitgeteilt, dass wir uns jetzt nicht in einer langen theoretischen Erörterung über die Schulreform ergehen können, sondern dass wir uns doch an den Gegenstand der Kompetenzen halten müssen. Ich bin also gezwungen, auch Sie daran zu erinnern.

Abgeordneter Dr. Wagner: Gut, dann beschränke ich mich darauf, diesen Ausdruck einfach zurückzuweisen (Bravo! Bravo!) und hiemit habe ich alles gesagt, was ich dem hohen Hause sagen wollte. (Beifall und Händeklatschen.)

Präsident: Zum Worte gelangt der Herr Abgeordnete Hollersbacher.

Abgeordneter Hollersbacher: Hohes Haus! Ich fühle mich veranlasst, den Ausführungen des Herrn Abgeordneten Stocker entgegentreten zu müssen. Herr Stocker hat uns Christlichsozialen den Vorwurf gemacht, dass wir nicht dafür sind, die Punkte 5 und 6 des Artikels 12 in den Artikel 10 umzustellen. Herr Stocker hat ausgeführt, dass es viel zweckmäßiger wäre, wenn diese agrarischen Gesetze durchwegs von der Bundesgesetzgebung aus gemacht würden. Er hat erwähnt, dass in diesem Sinne, wie er gesprochen hat, sich auch der Fachbeirat des Staatsamtes für Land- und Forstwirtschaft ausgesprochen habe. Ich gebe das zu, aber damals, wie diese Beschlüsse gefasst wurden, hat es keine Verfassungsvorlage und darin keinen Artikel 15 gegeben. Wenn dieser Artikel 15 der Verfassung bekannt gewesen wäre, so hätte nach meiner Meinung dieser Fachbeirat jedenfalls einen anderen Beschluss gefasst. (Sehr richtig!) Ich muss auch wirklich mein Erstaunen zum Ausdruck bringen, dass Herr Abgeordneter Stocker hier in dieser Weise gesprochen hat.
Vor eineinhalb Jahren war es nämlich ganz anders. Damals hatte sich der landwirtschaftliche

Ausschuss mit dem Wiederbesiedlungsgesetz zu befassen und da war es der Abgeordnete Stocker (So ist es!), der in seinem Namen sowie im Namen seiner Partei und im Namen des Vereines der steirischen Bodenreformer die Erklärung abgegeben hat, dass er sowie die betreffenden Körperschaften nur dem zustimmen können, dass diese Agrargesetze unbedingt in die Kompetenz der Länder fallen. (Abgeordneter Stocker: Ich habe Ihnen erklärt, dass wir auf Grund der Sabotierung, die man uns in den Ländern macht, zur entgegengesetzten Ansicht gekommen sind!) Eine Sabotierung kann jetzt doch gar nicht stattfinden, nachdem ja der Artikel 15 des jetzigen Gesetzes die Länder verpflichtet, innerhalb einer kurzen Zeit die Vollziehung der Gesetze vorzunehmen. Wird die Vollziehung von den einzelnen Ländern nicht vorgenommen, so hat ja die Bundesgesetzgebung das Recht, auch die Vollziehung zu besorgen. Sie selbst. Herr Stocker, haben zugegeben, dass ja ein Artikel 15 vorhanden ist, und dieser Artikel 15 ist es ja, der uns da vollständig deckt. Wir auf der christlichsozialen Seite stehen auf dem Standpunkt, dass es richtig und gerecht ist, die Gesetze betreffend die Agrarreform als Bundessache zu erklären, dass die Vollziehung aber Landessache ist.

Der Herr Abgeordnete Stocker hat sich auch beschwert, dass die Angelegenheiten der Agrargesetze bei den Ländern draußen so lange liegen bleiben. Sie bleiben aber darum so lange liegen, weil die Länder sich nicht hineinfinden können. Wenn die einzelnen Länder die Durchführung und Vollziehung vorzunehmen gehabt hätten, so wäre es ja viel leichter gegangen. Gerade darum stehen wir auf dem Standpunkt, dass es richtig und gerecht ist, dass die Gesetzgebung Bundessache, die Vollziehung aber Landessache ist. Damit schließe ich. (Beifall und Händeklatschen.)

Präsident: Die von den Abgeordneten Dr. Mataja, Parrer und Genossen und Dr. Angerer und Genossen zu Artikel 2 gestellten gleichlautenden Abänderungsanträge sind gehörig gezeichnet und stehen in Verhandlung. Ebenso der Antrag des Abgeordneten Dr. Angerer zu Artikel 7 sowie der Antrag der Abgeordneten Clessin, Pauly, Dr. Angerer und Genossen zu Artikel 10. Ich erteile nunmehr dem Herrn Berichterstatter das Schlusswort.

Berichterstatter Dr. Seipel: Hohes Haus! Ich habe nur mitzuteilen, dass bezüglich des einen der gestellten Anträge ein Parteienübereinkommen erzielt worden ist, nämlich bezüglich jenes, der das Burgenland betrifft. Die Meinung aller Parteien ist, dass dann eine entsprechende Bestimmung in dem Übergangsgesetz Aufnahme finden soll. Diesem Antrage kann ich mich als Berichterstatter anschließen, während ich bezüglich aller übrigen das hohe Haus bitte, den Beschlüssen des Verfassungsausschusses zuzustimmen.

Präsident: Wir schreiten zur Abstimmung. Ich bitte die Abgeordneten die Plätze einzunehmen.

Gemäß § 7 der Geschäftsordnung konstatiere ich die Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder des Hauses. Beschlüsse haben in diesem Gegenstande nur Gültigkeit, wenn sie mit Zweidrittelmajorität gefasst werden.

Ich werde nun abstimmen lassen über: Erstes Hauptstück, Allgemeine Bestimmungen, Artikel 1: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Ich bitte die Abgeordneten, die diesem Artikel samt der Überschrift ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Hohes Haus! Ich werde selbstverständlich nicht bei jedem einzelnen Artikel immer wieder die Tatsache konstatieren, dass er mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen worden ist. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn ein besonderer Wunsch auf Feststellung des Stimmenverhältnisses ausgesprochen werden sollte, werde ich diesem Wunsch natürlich Folge leisten.

Wir kommen zum Artikel 2. Hier liegt ein Zusatzantrag der Abgeordneten Mataja, Parrer, Angerer vor, den ich, wenn der Artikel angenommen ist, zur Abstimmung bringen werde.

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich mache aufmerksam, dass im Absatz 2 das Wort „und“ auszufallen hat und durch einen Beistrich zu ersetzen ist.

Abgeordneter Dr. Bauer: Ich bitte um gesonderte Abstimmung über den dritten Absatz des Artikels 2.

Präsident: Der Herr Abgeordnete Dr. Bauer wünscht, über den dritten Absatz sei getrennt abzustimmen.

Zunächst konstatiere ich: im Absatz 2 ist ein Druckfehler. Dort hat das Wort „und“, das zwischen „Tirol“ und „Vorarlberg“ steht, zu entfallen; es soll heißen: „Tirol, Vorarlberg.“

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, die für den ersten und zweiten Absatz des Artikels 2 sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die gemäß den Anträgen der Abgeordneten Mataja, Parrer, Angerer und Genossen vor „Kärnten“ eingeschaltet wissen wollen „Burgenland“, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir kommen zum dritten Absatz. Er lautet (liest): „Das Burgenland wird als selbständiges und gleichberechtigtes Land in den Bund aufgenommen, sobald es seinen Willen dazu ausgedrückt hat.“

Ich bitte jene Abgeordneten, die diesem Absatz ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Dieser Absatz ist abgelehnt.

Artikel 3! Zum Artikel 3 sind einige Zusatzanträge gestellt, und zwar zunächst ein Zusatzantrag der Abgeordneten Fink und Genossen, der als Minoritätsvotum auf Seite 9 des Berichtes angeführt ist. Dieser Zusatzantrag lautet (liest):

„Dem Artikel 3 ist anzufügen:

(4) Innerhalb der ersten zehn Jahre des Bestandes dieser Verfassung kann ein Land durch Volksabstimmung beschließen, sich einem anderen Staatswesen anzuschließen oder einen selbständigen Staat zu bilden.

(5) Entscheidet die Volksabstimmung mit absoluter Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen für die Einverleibung in ein anderes angrenzendes Staatswesen oder für die Bildung eines selbständigen Staates, so ist dieser Entscheid der Bundesversammlung vorzulegen. Verweigert die Bundesversammlung die Zustimmung, so kann das Land die Entscheidung des Völkerbundes anrufen.

(6) In gleicher Weise kann das Land an den Völkerbund berufen, wenn sich aus Anlass der Lösung des Bundesverhältnisses finanzrechtliche Schwierigkeiten ergeben, die nicht durch Einvernehmen des Bundes mit dem ausscheidenden Lande behoben werden können.“

Ferner liegt ein Minoritätsvotum der Abgeordneten Dr. Danneberg und Genossen vor, es sei nach dem Artikel 3 folgender Artikel neu einzuschalten (liest):

„(1) Wenn Gemeinden, deren Einwohner die Mehrheit in einem zusammenhängenden Landesgebiete bilden, es verlangen, hat in diesem Gebiete eine Volksabstimmung darüber stattzufinden, ob dieses Gebiet einem anderen angrenzenden Lande angegliedert werden oder ein neues Land bilden soll.

(2) Entscheidet die Volksabstimmung mit absoluter Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen für die Angliederung an das andere Land, dann erfolgt die Gebietsänderung, durch einfaches Gesetz dieses Landes.

(3) Entscheidet die Volksabstimmung für die Bildung eines neuen Landes, dann ist, wenn das Gebiet wenigstens 140.000 Einwohner zählt, durch den Bundespräsidenten nach dem Nationalratswahlrecht ein verfassungsgebender Landtag zur Konstituierung des neuen Landes einzuberufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.

(4) Über Streitigkeiten, die aus der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung zwischen den Ländern in dem im Absatz 1 bis 3 erwähnten Fällen entstehen, entscheidet der Verfassungsgerichtshof.“

Ich bitte jene Mitglieder, welche für Artikel 3 zunächst in der Fassung des Ausschusses sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nunmehr jene Mitglieder, welche für den Antrag Fink sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Abgeordneter Forstner: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung! Ich beantrage Konstatierung des Stimmenverhältnisses über den Antrag Fink.)

Wer für den Antrag Fink ist, bitte ich, sich vom Sitze zu erheben. (Geschieht.) Wünscht der Herr Abgeordnete Forstner noch die Konstatierung des Stimmenverhältnisses? (Abgeordneter Forstner: Nein!) Der Herr Abgeordnete Forstner verzichtet, der Antrag ist abgelehnt.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, welche für den Antrag Danneberg sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Auch dieser Antrag hat die erforderliche Zweidrittelmehrheit nicht gefunden; er ist daher abgelehnt.

Artikel 4! Ich bitte jene Abgeordneten, welche dem Artikel 4 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Artikel 5 und 6! Ich bitte jene Mitglieder, die diesen zwei Artikeln ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen,

Artikel 7! Zu Artikel 7 wird von dem Herrn Abgeordneten Angerer beantragt, im zweiten Absatz seien die Worte: „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ zu streichen, so dass der Wortlaut folgender wäre: „Den öffentlichen Angestellten ist die ungeschmälerte Ausübung ihrer politischen Rechte gewährleistet.“

Ich werde unter vorläufiger Hinweglassung der Worte „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ über den Artikel 7 abstimmen lassen und bitte jene Abgeordneten, die ihm ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, die auch die Worte „einschließlich der Angehörigen des Bundesheeres“ annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.)

Gleichfalls angenommen.

Artikel 8 und 9! Ich bitte jene Abgeordneten, die diesen Artikeln ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir gelangen zum Artikel 10. Bei Artikel 10 ist ein Minoritätsvotum der Abgeordneten Seipel und Genossen eingebracht, wonach bei Punkt 11 nach „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz“ einzuschalten wären die Worte: „soweit es sich nicht nur land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt.“ Dann hieße es weiter: „Sozial- und Vertragsversicherungswesen.“

Ich werde zunächst über Artikel 10, Absatz 1 bis inklusive 10, abstimmen lassen und bitte jene Abgeordneten, die diesen Punkten ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich werde nunmehr über Punkt 11 abstimmen lassen, und wenn dieser angenommen ist, über den einschränkenden Zusatzantrag Seipel. Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Punkt 11 ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, welche den einschränkenden Zusatzantrag des Abgeordneten Seipel annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Es ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, der Antrag ist daher abgelehnt.

Wir kommen zum Punkt 12. Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Punkt 12 ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir kommen zum Punkt 13. Hier liegt ein Zusatzantrag des Abgeordneten Dr. Angerer vor, es solle gleich am Beginne des Punktes 13 vor dem Worte „wissenschaftlicher“ eingefügt werden: „gesamtes Schul- und Erziehungswesen und Volksbildungswesen.“

Ich werde zunächst über Punkt 13 in der Fassung des Ausschusses abstimmen, und wenn derselbe angenommen ist, über den Zusatzantrag Angerer.

Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche den Punkt 13 in der Fassung des Ausschusses annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche für den Zusatzantrag des Abgeordneten Dr. Angerer sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht) Ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, daher abgelehnt.

Punkt 14 und Punkt 15 sind unbestritten. Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche für diese Punkte sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Punkt 16 ist ein Druckfehler. Es steht hier: „Einrichtung der Bundesämter und sonstigen Bundesbehörden;“ und es sollte umgekehrt heißen: „Einrichtung der Bundesbehörden und sonstigen Bundesämter; Dienstrecht der Bundesangestellten.“ Ich konstatiere diesen Druckfehler und bitte, ihn zu berichtigen. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Punkte 16 mit dieser Korrektur die Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir gelangen zur Abstimmung über den Artikel 11. Ich werde zunächst über Artikel 11, 1. Absatz, Punkt 1, abstimmen lassen. Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Beim Punkt 2 liegt ein Minoritätsvotum der Abgeordneten Dr. Seipel und Genossen vor, welches wünscht — hier auf Seite 10 ist ein kleiner Druckfehler, es soll nicht heißen „im Artikel 1“, sondern im „Artikel 11“ — im Artikel 11, Absatz 1, Zahl 2, sei nach dein Worte „fallen“ am Schlusse noch hinzufügen: „jedoch mit Ausnahme jener auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiet.“

Wünscht der Herr Abgeordnete Dr. Seipel jetzt, nachdem dies schon früher abgelehnt worden ist, die Abstimmung? (Berichterstatter Dr. Seipel: Ja, das hängt nicht mit dem Früheren zusammen!)

Ich werde also zunächst in der Fassung des Ausschusses abstimmen lassen und dann über den einschränkenden Zusatzantrag Seipel. Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche Punkt 2 des Artikels 11 in der Fassung des Ausschusses annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen. Ich bitte diejenigen Mitglieder, die auch dem Zusatzantrag Seipel ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, daher abgelehnt.

Beim 3. Punkt: „öffentliche Agentien und Privatgeschäftsvermittlung;“ bei den Punkten 4, 5, 6, 7 und Absatz 2 sind Gegenanträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche diesen Bestimmungen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir kommen zum Artikel 12: Beim Absatz 1, bei den Punkten 1, 2, 3, 4 sind Gegen- oder Zusatzanträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen Mitglieder, welche ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ein Minoritätsvotum Seipel verlangt: Im Artikel 12, Absatz 1 ist nach Zahl 4 unter eigener Zahl
einzufügen: „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um

land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt.“

Ich bitte jene Abgeordneten, welche nach Punkt 4 als Punkt 5 im Sinne des Antrages Seipel diese Bestimmung „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“, annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich muss aufmerksam machen, dass jetzt zwischen den Abstimmungen, beziehungsweise Enunziationen ein Widerspruch besteht. Es kann nicht zugleich der frühere Artikel 10, Punkt 11, angenommen sein und der jetzige Antrag. Ich muss daher bitten, die Abstimmung über den Artikel 10, Punkt 11, zu reassumieren.

Präsident: Es ist eine Reassumierung in der Geschäftsordnung nicht vorgesehen. Es ist vielmehr vorgesehen, dass bei Unstimmigkeiten, die sich aus Abstimmungen ergeben, die Behebung von Widersprüchen in der dritten Lesung erfolgt. Es bliebe also übrig, auch diesen Widerspruch in der dritten Lesung zu beheben. Wenn aber kein Widerspruch erfolgt, bin ich auch bereit, eine Reassumierung vorzunehmen. Wird ein Widerspruch erhoben? (Nach einer Pause.) Es ist dies nicht der Fall.

Ich werde daher über diese Reassumierung abstimmen lassen. Es handelt sich da um den Artikel 10, Punkt 11, zu dem der Herr Abgeordnete Seipel einen Zusatzantrag gestellt hat, und um den Artikel 11.

Ich bitte jene Abgeordneten, welche zustimmen, dass wir im Artikel 10, Punkt 11, nach den Worten: „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz“ im Sinne des Antrages Seipel hinzufügen die Worte: „soweit es sich nicht um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nun jene Abgeordneten, die im Artikel 11, Absatz 1, Zahl 2, die von dem Abgeordneten Dr. Seipel beantragten Worte: „jedoch mit Ausnahme jener auf land- und forstwirtschaftlichem Gebiete“, annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen. Dadurch ist dieser Widerspruch behoben.

Jetzt wird nach Punkt 4 als Punkt 5 eingeschaltet: „Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt“. Dadurch wird der folgende Punkt 5 „Bodenreform“ usw. anders nummeriert und bekommt jetzt die Nummer 6.

Es kommen daher jetzt Punkt 6, der mit den Worten „Bodenreform“ beginnt, dann Punkt 7 „Forstwesen“, Punkt 8 „Elektrizitätswesen und Wasserrecht“. Ein Gegenantrag ist nicht gestellt, desgleichen kein Zusatzantrag.

Abgeordneter Dr. Dinghofer: Ich ersuche den Herrn Präsidenten, getrennt abzustimmen, und zwar zunächst über Punkt 6 und 7, „Bodenreform und Forstwesen“.

Präsident: Dem Wunsche wird Rechnung getragen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die diesen zwei Punkten ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Es kommt nun Punkt 8, „Elektrizitätswesen und Wasserrecht, soweit sie nicht unter Artikel 10 fallen.“

Ich bitte jene Abgeordneten, die diesem Punkt zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Punkt 9, „Bauwesen“. Hier liegt ein Minoritätsantrag des Abgeordneten Seipel vor, es sei dieser Punkt 9 zu streichen. Ich werde also positiv abstimmen lassen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Punkt 9 „Bauwesen“ ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Punkt 10, „Dienstrecht“ usw., dann Schlussabsatz „Die Entscheidung oberster Instanz“ usw.

Ich bitte jene Abgeordneten, die diesen Bestimmungen ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zum Artikel 13 ist kein Antrag gestellt. Ich bitte jene Abgeordneten, die ihm ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Artikel 14! Hier liegt ein Antrag des Abgeordneten Dr. Angerer vor; der ist aber jetzt gegenstandslos geworden.

Ich bitte jene Abgeordneten, die für Artikel 14 sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Beim Artikel 15 ist im zweiten Absatz ein Druckfehler. Der zweite Absatz lautet (liest): „Soweit dem Bunde bloß die Gesetzgebung über die Grundsätze vorbehalten ist, liegt ...“ Und jetzt soll es weiter heißen: „innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens die nähere Ausführung der Landesgesetzgebung ob“. Es sind also hinter das Wort „liegt“ die Worte „innerhalb des bundesgesetzlich festgelegten Rahmens“ einzufügen.

Ich bitte jene Abgeordneten, welche Artikel 15 in der jetzt korrigierten Form annehmen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Artikel 16 ist ein Druckfehler im Absatz 2; statt „Ebenso hat der Bund in Durchführung ...“ heißt es richtig: „Ebenso hat der Bund bei Durchführung“.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Artikel 16 in der jetzt korrigierten Form zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Artikel 17!

Ich bitte jene Abgeordneten, die ihn annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 18 beantragt der Abgeordnete Seipel dessen Streichung.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Artikel 18 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht) Der Artikel 18 ist angenommen. (Rufe: Nein, er ist abgelehnt!)

Artikel 18! Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Artikel 18 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Hat die Zweidrittelmehrheit nicht gefunden, ist also abgelehnt.

Artikel 19! Ich bitte jene Abgeordneten, die ihm ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Artikel 20! Der Abgeordnete Clessin hat hier ein Minoritätsvotum eingebracht, es seien in der vorletzten Zeile des ersten Absatzes die Worte „die Staatssekretäre“ zu streichen. Ich werde Artikel 20 in der Fassung des Ausschusses bei vorläufiger Hinweglassung der Worte „die Staatssekretäre“ zur Abstimmung bringen und bitte diejenigen Abgeordneten, die diesem Artikel unter vorläufiger Hinweglassung der Worte ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche auch den Worten „die Staatssekretäre“ ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Ist angenommen.

Im Absatz 2 des Artikels 20 ist noch ein Druckfehler zu korrigieren. Statt: „Die Geschäftsführung der Volksbeauftragten unterliegt der Aufsicht ....“ soll es heißen: „Die Geschäftsführung der Volksbeauftragten steht unter der Aufsicht ....“

In der 3. Zeile des nächsten Absatzes soll es in der Mitte statt „bestimmt“ „bestimmen“ heißen.

Zu Artikel 21, 22, 23 und 24, sind keine Anträge gestellt. Ich werde über sie unter Einem abstimmen.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Damit ist das erste Hauptstück erledigt.

Wir kommen zur Spezialdebatte über das zweite Hauptstück. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort?

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich möchte das hohe Haus nur bitten, auch diesem zweiten Hauptstück unter Ablehnung der Minoritätsanträge zuzustimmen.

Präsident: Zum Worte gemeldet ist der Abgeordnete Dr. Straffner; ich erteile ihm das Wort.

Abgeordneter Dr. Straffner: Hohes Haus! Unsere provisorische Verfassung hat eigentlich keine Möglichkeit geboten, den Volkswillen jederzeit und bei jeder Gelegenheit voll und ganz zum Ausdruck zu bringen. Dieser Mangel der provisorischen Verfassung hat sich auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete wiederholt gezeigt und auch dazu geführt, dass die Mehrheit des Volkes, ich darf es wohl offen aussprechen, eigentlich nicht hinter der Regierung gestanden ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung war, ihre Willensmeinung sei eine andere als nicht allein die der Regierung, sondern vielfach auch der erwählten Abgeordneten. Wir begrüßen es deshalb, dass im Rahmen unserer neuen Verfassung, in den Artikeln 42 und 44, diese Bestimmungen über den Volksentscheid und über das Volksbegehr ausgenommen sind und auf diese Art und Weise der Bevölkerung die Möglichkeit gegeben ist, ihren Willen zum Ausdruck zu bringen. In politischer Beziehung, habe ich mir zu sagen erlaubt, ist der Wille des Volkes nicht immer und jederzeit zum Ausdruck gekommen. Namentlich in bezug auf unsere Außenpolitik war das nicht immer und jederzeit der Fall. Ich darf wohl hier sagen, dass unser Auswärtiges Amt in der Außenpolitik Wege gegangen ist, die von der Bevölkerung nicht immer verstanden und in den wenigsten Fällen gutgeheißen wurden, denn wenn der berufenste Staatsmann, der Staatssekretär für Äußeres und gewesene Staatskanzler zum Beispiel den Gedanken des Anschlusses an das Deutsche Reich als eine Spielerei hingestellt hat, so kann das die Bevölkerung nicht verstehen. Und wenn umgekehrt von anderer Seite wieder behauptet wurde, dass der Anschlussgedanke etwas sei, was nicht in der Bevölkerung wurzle, dass eine andere Lösung zur Rettung des Staates Deutschösterreich gefunden werden müsse, so stimmt das ebenfalls nicht mit dem Willen der Bevölkerung überein. Es ist ja im Laufe der Wahlbewegung so weit gekommen, dass sich diese beiden Anschauungen in einigen Wahlbezirken heftig gegenüberstehen.
Auf diese Art und Weise, nachdem die politischen Führer eigentlich versagt haben, konnte das
Ausland nie und nimmer den Eindruck gewinnen, dass das Volk

von Deutschösterreich ehrlich und aufrichtig den Anschluss an das Deutsche Reich wolle, dass das Volk von Deutschösterreich hierin eigentlich die einzige Rettung erblicke. Dies konnte wegen des Mangels unserer Verfassung eigentlich nicht zum Ausdruck gebracht werden.

Wenn ich mir nur wenige Worte als Vertreter des Landes Tirol erlauben darf, so muss ich sagen, dass diese Frage für uns in Tirol von besonderer Bedeutung ist, und zwar mit Rücksicht darauf, dass auf Grund des Friedensvertrages von St. Germain, auf Grund einer ganz kurzsichtigen Politik das Land Tirol entzweigerissen ist und dass wir vor einigen Tagen es erleben mussten, dass die Annexion Deutschsüdtirols ausgesprochen worden ist. Wir sind nun der Meinung, dass, wenn wir den Volkswillen in der Weise kundtun, dass sich die Bevölkerung für den Anschluss an das Deutsche Reich auf Grund der Möglichkeit, die nunmehr in der Verfassung gegeben ist, ausspricht, wir die letzte Hoffnung nicht sinken lassen brauchen, dass wir Deutschsüdtirol noch einmal erhalten. Denn für eine Donauföderation wird Italien Deutschsüdtirol nie herausgeben, wohl aber können wir hoffen, dass in dem Fall, als sich die Bevölkerung Deutschösterreichs für den Anschluss an das Deutsche Reich ausspricht, eine derartige Möglichkeit besteht. Wir brauchen dann die letzte Hoffnung in Bezug auf unsere Brüder in Deutschsüdtirol nicht sinken lassen. Ich erlaube mir deshalb einen Resolutionsantrag zu stellen, welcher lautet (liest):

„Die Staatsregierung wird aufgefordert, spätestens innerhalb sechs Monaten, womöglich gelegentlich der Wahlen in die Nationalversammlung am 17. Oktober 1920, eine Volksabstimmung bezüglich des Anschlusses Deutschösterreichs an das Deutsche Reich anzuordnen.“

Ich bin gezwungen, im Namen der Großdeutschen Vereinigung diesen Antrag zu stellen, weil ein Gesetzentwurf, den wir eingebracht haben und der eine Volksabstimmung gelegentlich der Wahlen vorsieht, leider von den beiden großen Parteien des Hauses nicht mehr in Verhandlung gezogen wurde. Wir sind deshalb gezwungen, weil wir in dem Anschluss unsere einzige Rettung zu finden glauben, auf einem anderen Wege die Regierung aufzufordern, dem Willen der überwiegenden Mehrheit des Volkes Deutschösterreichs nachzukommen. Und in dem Gedanken, dass eben die einzige Rettung in völkischer, in politischer und in wirtschaftlicher Beziehung in dem Anschlusse besteht, bitte ich das hohe Haus, dem Resolutionsantrage zuzustimmen. (Lebhafter Beifall und Händeklatschen.)

Präsident: Dieser gehörig unterzeichnete Resolutionsantrag steht in Verhandlung und wird nach der dritten Lesung zur Abstimmung gelangen.

Es ist niemand mehr zum Worte gemeldet. Wünscht der Herr Berichterstatter das Schlusswort?

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich habe nichts mehr zu bemerken.

Präsident: Wir kommen zur Abstimmung über das zweite Hauptstück. Zu den Artikeln 25, 26 und 27 liegen Anträge nicht vor. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zu Artikel 28 liegt ein Minoritätsvotum des Abgeordneten Dr. Danneberg vor. Es soll in der zweiten Zeile statt „vier“ heißen: „zwei“.

Im zweiten Absatze soll es demgemäß in der vorletzten Zeile statt „vierten“ heißen: „zweiten Jahres“.

Ich werde unter vorläufiger Hinweglassung der Wörter „vier“ und „vierten“ über den Artikel 28 abstimmen lassen und bitte diejenigen Abgeordneten, die ihm ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nun diejenigen Abgeordneten, welche im Sinne des Antrages Danneberg für die Worte „zwei“ und „zweiten“ sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche für die Wörter „vier“ und „vierten“ sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zu den Artikeln 29 und 30 liegen keine Anträge vor.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Sie sind angenommen.

Im Artikel 31 sind Druckfehler. Es soll im zweiten Absätze nicht heißen (liest): „Die Geschäftsführung des Nationalrates erfolgt ....“, sondern es soll heißen: „Die Geschäfte des Nationalrates werden auf Grund eines besonderen Gesetzes und einer im Rahmen dieses Gesetzes vom Nationalrate zu beschließenden autonomen Geschäftsordnung geführt.“

Hier kommt also das Wort „geführt“ nach „Geschäftsordnung“, dann geht es weiter, wie hier gedruckt: „Das Gesetz über die Geschäftsordnung .... „ usf.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 31 in der jetzt korrigierten Form ihre

Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben (Geschieht.) Angenommen.

Zu den Artikeln 32, 33, 34 und 35 samt Überschrift sind Abänderungsanträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 36 muss ich wieder einen Schreibfehler konstatieren, und zwar heißt es im zweiten Absatz (liest): „In den Bundesrat kann nur gewählt werden, wer zum Landtage wählbar ist.“

Es soll heißen (liest):

„Die Mitglieder des Bundesrates müssen nicht dem Landtage angehören, der sie entsendet, sie müssen jedoch zu diesem Landtag wählbar sein.“

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 36 in der jetzt korrigierten Form ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zu den Artikeln 37, 38 und 39 ist ein Abänderungsantrag nicht gestellt. Ich bitte diejenigen Abgeordneten die diesen Artikeln ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 40 ist ein Druckfehler, es soll in der dritten Zeile statt der Zahl „54“ heißen „65“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 40 in dieser korrigierten Form und dem Artikel 41 ihre Zustimmung geben, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Artikel 42 ist ein Druckfehler. Es soll in der vierten Zeile nicht heißen „im Wege“, sondern „durch Vermittlung“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 42 ihre Zustimmung geben, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Artikel 43 sind Druckfehler zu berichtigen. Es soll im dritten Absatz wiederum statt „im Wege“ heißen „durch Vermittlung“ und dann auf der nächsten Seite soll es im vierten Absatz in der sechsten Zeile nicht heißen „Absatz 2“, sondern „Absatz 3“ und im fünften Absatz soll es in der sechsten Zeile am Beginn statt „und Konvertierung“ heißen „oder Konvertierung“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 43 in dieser korrigierten Fassung ihre Zustimmung geben, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 44 ist in der ersten Zeile das Wort „ferner“ irrtümlich hineingekommen. Der Satz lautet also (liest): „Einer Volksabstimmung ist jeder Gesetzesbeschluss des Nationalrates ... usw“. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 44 ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 45 steht in der sechsten Zeile das Wort „künftighin“; dieses Wort ist auch nur irrtümlich stehen geblieben, es gehört weg und der Satz soll heißen: „sie sind als solche .... ausdrücklich zu bezeichnen“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 45 in der korrigierten Form ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Die Artikel 46, 47, 48 und 49 sind unbestritten. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Der Artikel 50 ist arg verdruckt. Es heißt hier: „Die Kundmachung der Bundesgesetze und der .... usw.“ Der Artikel 50 hat richtig folgendermaßen zu lauten (liest):

„Die Bundesgesetze und die in Artikel 51 bezeichneten Staatsverträge sind vom Bundeskanzler im Bundesgesetzblatte kundzumachen. Ihre verbindende Kraft beginnt .... usw“, wie es hier dann weiter steht.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche dem Artikel 50 in dieser richtiggestellten Form ihre Zustimmung geben wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zu den Artikeln 51, 52, 53, 54 und 55 liegen keine Abänderungsanträge vor.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die diesen Artikeln ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

In Artikel 56 ist auch irrtümlich eine alte Textierung in diese Vorlage gekommen. Der richtige Text des Artikeln 56 lautet (liest):

„An der Vollziehung des Bundes wirkt der Nationalrat auch durch den aus seiner Mitte nach dem Grundsatze der Verhältniswahl gewählten Hauptausschuss in den durch dieses Gesetz bestimmten Fällen mit. Dem Hauptausschuss liegt insbesondere die Mitwirkung an der Bestellung der Bundesregierung ob (Artikel 71). Außerdem kann durch Bundesgesetze festgesetzt werden, dass bestimmte Verordnungen der Bundesregierung des Einvernehmens mit dem Hauptausschuss bedürfen.“

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Artikel 56 in der jetzt verlesenen Form ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zu den Artikeln 57, 58, 59 und 60 sind Anträge nicht gestellt. Ich bitte diejenigen

Abgeordneten die diesen Artikeln ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Damit ist die zweite Gruppe unserer Spezialdebatte, das zweite Hauptstück, erledigt.

Wir kommen zur dritten Gruppe, das ist das dritte und vierte Hauptstück. Der Herr Berichterstatter hat das Wort.

Berichterstatter Dr. Seipel: Zu dieser Gruppe liegt nur ein Minderheitsantrag der Abgeordneten Danneberg und Genossen zu Artikel 120 vor. Ich bitte, dem Text in der Fassung des Ausschusses zuzustimmen.

Präsident: Wünscht jemand das Wort?

(Abgeordneter Stöckler meldet sich zum Wort.) Herr Abgeordneter Stöckler!

Abgeordneter Stöckler: Hohe Nationalversammlung! Der heutige Tag ist nicht allein für das ganze Reich ein sehr bedeutender, sondern insbesondere für Niederösterreich und Wien, weil in diesem definitiven Verfassungsgesetz endlich, obwohl sehr schüchtern, die Selbständigkeit des Landes Niederösterreich aufgeführt erscheint. Es handelt sich hier um die Trennung der politischen und autonomen Verwaltung und auch deren Gesetzgebung in diesen beiden neuen Ländern. Das Bundesgesetz nennt sie natürlich noch nicht „Länder", sondern umschreibt diese Länder ganz besonders. Die bisherigen Verhältnisse sind unhaltbar geworden, seitdem das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht auf den Kopf der Bevölkerung existiert. In der früheren Zeit hat es gewisse Wahlrechtsprivilegien für den niederösterreichischen Landtag zugunsten des flachen Landes gegeben und da war es denn doch noch angängig, die gemeinsame Verwaltung zu führen, weil die Vertreter des flachen Landes Niederösterreich die Majorität in der Landstube hatten. Jetzt ist das Verhältnis so geworden, dass die Majorität aus Wien ist, welche ihre Verwaltungsangelegenheiten in den meisten Belangen selbst im Rathaus regelt, dass aber die Majorität auch im niederösterreichischen Landtag aus Wien ist und dass die Abgeordneten des flachen Landes eigentlich nur mit beratender Stimme — kann man sagen — dort sitzen. Wir haben diese Trennung nicht vielleicht herbeigesehnt mit dem Rufe „Los von Wien", der aus verschiedenen Teilen unseres Heimatlandes jetzt immer erschollen ist. Wir sind uns klar, dass die Fäden, die Wien und Niederösterreich zusammenhalten, so enge sind, dass sie auch in der Zukunft fortbestehen müssen. Es handelt sich hier nur — ich möchte das ausdrücklich betonen — um die autonome und politische Verwaltung, zu deren Durchführung Niederösterreich selbst das Recht hat. Wir hoffen und wünschen auch, dass in der Zukunft das freundschaftliche Verhältnis weiter bestehe, und es wird auch weiter bestehen, weil beide Teile so eng aufeinander angewiesen sind. Namens des flachen Landes kann ich ruhig erklären: wie wir bisher Freud und Leid mit der Stadt Wien geteilt haben, werden wir es gewiss auch in der Zukunft tun. Mit den einzelnen Bestimmungen, die über diese Trennung hier enthalten sind, können wir uns aber absolut nicht einverstanden erklären. Hier wird angeführt, dass noch ein gemeinsamer Landtag bestehen soll und diese beiden Länder werden nur als „Kurie Land" und „Kurie Wien" bezeichnet. Wir können nicht finden, dass ein gemeinsamer Landtag mit Gesetzgebungsrecht überhaupt notwendig erscheint, weil wir für ihn gar keine Kompetenz finden und wissen. Der vernünftigste Weg wäre natürlich der, dass bei der Trennung jene Verwaltungsapparate, die einen gemeinsamen Wert haben — dies wäre auch das billigste — von einem dieser Teile übernommen werden und der andere dafür seinen Beitrag leistet. Wenn man aber nicht so weit gehen will, so ist ja im Artikel 114 die gemeinsame Verwaltungskommission angeführt. Diese Kommission, glauben wir, könnte für alles genügen. Dieser gemeinsame Landtag erscheint uns jedoch vollständig überflüssig. Er steht auch in Widerspruch zu allen Bestrebungen, die Verwaltung zu vereinfachen. Wir machen da wieder neue Kompetenzen, neue Konen, einen neuen großen Verwaltungs- und Beamtenapparat. Aus diesen Gründen sind die Vertreter des flachen Landes Niederösterreich nicht in der Lage, für die Artikel 109 bis 115 zu stimmen und ich bitte den Herrn Präsidenten, über diese Artikel 109 bis 115 getrennt abstimmen zu lassen.

Präsident: Es ist niemand mehr zum Worte gemeldet. Zu Artikel 99 beantragt der Abgeordnete Dr. Danneberg, dass im Absatz 2 nach dem Worte „Landtag“ eingeschaltet werden sollen die Worte „bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder“. Dieser Antrag ist gehörig gezeichnet und steht in Verhandlung. Der Herr Berichterstatter hat das Schlusswort.

Berichterstatter Dr. Seipel: Während der Verhandlungen ist ein Antrag der Abgeordneten Dr. Danneberg und Genossen gestellt worden, dahingehend, analog den Bestimmungen bezüglich der Wiederholung eines vom Bundesrate abgelehnten Gesetzes im Nationalrate auch in dem Artikel, in dem von der Landesgesetzgebung die Rede ist, und zwar von dem Fall, dass ein Einspruch seitens der Bundesregierung erfolgt, ein Quorum in dem Sinne auszunehmen, dass zur Wiederholung des Beschlusses die Hälfte der Mitglieder des Landtages anwesend


 

sein muss. Da eine Parteienvereinbarung in dieser Beziehung getroffen ist, nehme ich namens des Ausschusses den Antrag Danneberg auf.

Präsident: Ich bitte die Plätze einzunehmen. Wir schreiten zur Abstimmung.

Drittes Hauptstück. „Vollziehung des Bundes. A. Verwaltung, 1. Bundespräsident“.

Im Artikel 61 ist in der letzten Zeile nach dem Worte: „Nationalrat“ einzuschalten: „hat“. Es heißt dann: „ ... wer das Wahlrecht zum Nationalrat hat und ...“

Im Artikel 66 ist in lit. a ein Druckfehler. Es soll dort heißen: „die Ernennung der Bundesangestellten“ — die Klammer gehört weg — „einschließlich der Offiziere“. Die darnach befindliche Klammer gehört auch weg.

Bei Artikel 68 soll in der 4. Zeile statt der Wörter: „dieser hiezu“ das Wort: „ihr“ stehen; das Wort: „zuständigen“ gehört weg. Der Text ist darnach: „ ... oder des von ihr ermächtigten Bundesministers“.

Zu Artikel 69 ist nichts zu bemerken.

Gegen die Artikel 61 bis inklusive 69 ist ein Gegenantrag nicht gestellt. Ich werde sie unter Einem zur Abstimmung bringen.

Ich bitte jene Abgeordnete, die diesen Artikeln ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

„2. Bundesregierung.“

Im Artikel 70 soll es in der letzten Zeile statt „gesamten“ richtig: „gesamtem“ und statt „Wirkungskreis2 heißen „Wirkungsbereich“.

Im Artikel 71 ist aus dem alten Text in Absatz 3 irrtümlich ein ganzer Satz stehen geblieben, der weggehört: „Nach seinem Zusammentritt hat der Nationalrat der so bestellten Regierung sein Vertrauen in der ersten Sitzung durch Beschluss auszusprechen. Kommt ein solcher Beschluss nicht zustande, so ist dies einem Beschluss gemäß Artikel 75, Absatz 2, gleichzuachten.“ Der Absatz 3 besteht also nur aus dem 1. Satz: „Ist der Nationalrat ... zu erfolgen.“

Im Artikel 72 gehört in der 2. Zeile das Wort „so“ weg. Es heißt also: „Ist die Bundesregierung aus dem Amte geschieden, hat der Bundespräsident ...“.

In der drittvorletzten Zeile ist statt des Wortes „findet“ das Wort „wird“ zu setzen und statt „Anwendung“ das Wort „angewendet“, so dass es heißt: „Diese Bestimmung wird sinngemäß angewendet ...“

Im Artikel 75 ist im dritten Absatz das Wort „gesamte“ zu streichen, so dass es heißt: „Die Bundesregierung“, worunter immer die gesamte Bundesregierung zu verstehen ist.

Im Artikel 77 heißt es im Absatz 2 in einer früheren Auflage — vielleicht haben manche Herren Abgeordneten diese in der Hand — „142“; in der letzten Auflage des Berichtes heißt es richtig „143“.

Im Artikel 78 soll es wieder im 2. Absatz, statt „Wirkungskreis“ heißen „Wirkungsbereich“.

Im Artikel 79 soll es statt „...kann die Bestellung von Bundesministern...“ heißen „...können Bundesminister...“ und in der 3. Zeile des 1. Absatzes ist an Stelle des Wortes „erfolgen“ zu setzen „bestellt werden“, so dass der Absatz lautet: „In besonderen Fällen können Bundesminister auch ohne gleichzeitige Betrauung mit der Leitung eines Bundesministeriums bestellt werden.“

Da bei Artikel 79 eine Streichung beantragt ist, werde ich über die verlesenen Artikel bis inklusive 78 unter Einem abstimmen lassen. Ich bitte jene Abgeordneten, welche ihnen ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben, (Geschieht.) Angenommen.

Artikel 79. Der erste Absatz ist unbestritten. Ich bitte jene Abgeordneten, die diesem ersten Absatz ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Der zweite und dritte Absatz wird von dem Herrn Abgeordneten Clessin zur Streichung beantragt. Ich werde aber natürlich positiv abstimmen lassen und bitte jene Abgeordneten, die zu Absatz zwei und drei ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

„3. Bundesheer.“

Im Artikel 88 soll es im dritten Absatz in der dritten Zeile statt „im Vorhinein“ heißen „im Voraus“.

Im Artikel 89 soll es im letzten Absatz in der drittvorletzten Zeile statt „unter“ heißen „bei“.

Im Artikel 92, Absatz 1, gehört bei dem Wort „Rechtssprechung“ das „s“ weg, ebenso im dritten Absatz.

Im Artikel 95 soll der zweite Absatz folgendermaßen lauten: „Wenn eine Verwaltungsbehörde über Privatrechtsansprüche zu entscheiden hat, steht es dem durch diese Entscheidung Benachteiligten frei, falls“ — an Stelle von „wenn nicht im Gesetze anderes bestimmt ist“ — „etwas“ gehört weg — „Abhilfe gegen die andere Partei im“ — hier ist einzuschalten „ordentlichen“ — „Rechtsweg zu suchen.“ Es heißt also: „... falls nicht im Gesetze anderes bestimmt ist, Abhilfe gegen die andere Partei im ordentlichen Rechtswege zu suchen.“

Ich werde also die restlichen Artikel des dritten Hauptstückes in der korrigierten Form jetzt unter Einem zur Abstimmung bringen lassen.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir kommen nunmehr zum vierten Hauptstück. Der Artikel 96 hat auch einige Druckfehler. Ich werde den ersten Absatz in der richtigen Fassung vorlesen (liest):

„Die Gesetzgebung der Länder wird von den Landtagen ausgeübt. Deren Mitglieder werden auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechtes aller nach den Landtagswahlordnungen wahlberechtigten männlichen und weiblichen Bundesbürger gewählt, die im Land ihren ordentlichen Wohnsitz haben.“ Die Artikel 97 und 98 sind unbestritten.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die den Artikeln 96 bis inklusive 98 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Artikel 99 ist im ersten Absatze ein Druckfehler. Dort soll es statt „Bundesminister“ heißen „Bundesministerium“; im zweiten Absatz soll es in der fünften Zeile gleichfalls statt „Bundesminister“ „Bundesministerium“ heißen; das Wort „Begründung“ in derselben Zeile ist zu streichen und dafür das Wort „Gründen“ zu setzen.

Hier liegt ein Zusatzantrag des Abgeordneten Dr. Danneberg vor, dem sich auch der Berichterstatter angeschlossen hat, und der dahin geht, dass zwischen den Worten „Landtag“ und „wiederholt“ am Schlusse des zweiten Absatzes eingefügt werden soll: „bei Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder“.

Ich werde zunächst den Artikel 99 in der korrigierten Fassung zur Abstimmung bringen und, wenn er angenommen ist, den Zusatzantrag Danneberg. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche dem Artikel ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die den Zusatzantrag annehmen wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Bei Artikel 100 sind im ersten Absatz zwei Gedankenstriche zwischen den Worten „kann“ und „durch“ durch zwei Beistriche zu ersetzen.

Im Artikel 102 soll es statt „wird durch“ heißen „übt“; unten wird natürlich das Wort „geübt“ gestrichen und es bleibt das Wort „aus“. Demnach heißt der erste Absatz (liest):

„Die Vollziehung jedes Landes übt eine vom Landtag zu wählende Landesregierung aus.“

Im vierten Absatz sollen die Worte „durch den“ gestrichen werden und durch „vom“ ersetzt werden. Ebenso in der dritten Zeile dieses Absatzes, so dass es heißt (liest):

„Der Landeshauptmann wird vom Bundespräsidenten, die anderen Mitglieder der Landesregierung werden vom Landeshauptmann vor Antritt des Amtes auf die Bundesverfassung angelobt.“

Der Artikel 103 hat folgende Druckfehler: In der ersten Zeile soll es statt des Wortes „wird“ heißen „üben“, in der dritten Zeile am Schlusse statt „durch den Landeshauptmann“, „der Landeshauptmann“ und unten bleibt statt des Wortes „ausgeübt“ bloß das Wort „aus“. Dann im zweiten Absatze sind die Worte „durch das Bundesverfassungsgesetz“ zu streichen und ist dafür zu setzen „verfassungsmäßig“; nach dem Worte „unmittelbar“ ist das Wort „durch“ zu ersetzen durch das Wort „von“. Dieser Artikel 103 lautet in seinen ersten zwei Absätzen jetzt richtig (liest):

„(1) Im Bereiche der Länder üben die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung).

(2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden versehen werden.“

Auf der andern Seite steht hier im Artikel 103 nach dem Worte „Hinterbliebene“ „Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen“. Das ist zu streichen und im letzten Absatze soll es statt der Worte „wird durch“ heißen „regelt“; es entfällt daher das Wort „geregelt“.

In Artikel 107 ist das Wort „gesamten“ zu streichen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die den Artikeln 100 bis inklusive 108 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht) Angenommen.

Bei Artikel 109 sollen die Worte: „Abgeordneten“ gestrichen werden, so dass es heißt: „Die Wahl der anderen (Kurie Stadt) wird durch die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien geregelt.“

In Artikel 110 soll es statt „des selbständigen Wirkungsbereiches“ heißen: „der ehemals autonomen Landesverwaltung“.

Im Artikel 112 soll es im ersten Absatze statt „Artikel 35“ heißen: „Artikel 36“.

Im Artikel 113 sollen in der vorletzten Zeile die Worte „der Stadt Wien“ gestrichen werden, so dass es heißt „einer Landesregierung und der Magistratsdirektor auch die Stellung eines Landesamtsdirektors“.

Bei den Artikeln 109 bis inklusive 115 wünscht der Herr Abgeordnete Stöckler eine eigene

Abstimmung. Ich bitte diejenigen Herren, welche dem Artikel 109 bis 115 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Sie sind mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die weiters den Artikeln 117, 118, 119 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Sind angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Artikel 120. Hier ist im Absatz 2 etwa in der Mitte der Satz: „doch kann für die Wahlen in die Vertretungen der Ortsgemeinden das Wahlrecht von der Dauer des Aufenthaltes in der Gemeinde bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden.“ Dieser Satz ist durch ein Minoritätsvotum des Abgeordneten Dr. Danneberg bestritten. Ich werde daher zunächst den Artikel 120 unter vorläufiger Hinweglassung der bestrittenen Worte zur Abstimmung bringen und dann diese Worte.

Ich bitte jene Abgeordneten, welche dem Artikel 120 unter vorläufiger Hinweglassung des bestrittenen Teiles ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, die auch diesen Satz: „doch kann für die Wahlen . . . abhängig gemacht werden“ ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Es ist daher dieser Satz abgelehnt und wird aus dem Artikel 120 gestrichen.

Artikel 121 ist unbestritten.

Nur sind zwei Druckfehler im 3. Absatz. Dort soll es statt „Gemeinden“ richtig „Ortsgemeinden“ und statt „Wirkungskreis“ heißen: „Wirkungsbereich“.

Ich werde den Artikel 121 mit dieser Korrektur zur Abstimmung bringen. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche diesem Artikel ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Wir kommen nunmehr zum letzten Abschnitt der Spezialdebatte, das ist das fünfte, sechste und siebente Hauptstück.

Berichterstatter Dr. Seipel: Hiezu habe ich nur an etwas zu erinnern, was ich schon gelegentlich der Generaldebatte geäußert habe. Es ist eine wichtige Änderung nebst der Berichtigung einiger Druckfehler in diesem Texte vorzunehmen. In Artikel 151 ist der zweite Satz zu streichen, weil sich der Verfassungsausschuss dahin entschlossen hat, das ganze Übergangsgesetz als Verfassungsgesetz zu erklären.

Präsident: Wünscht jemand das Wort? (Niemand meldet sich.) Es ist dies nicht der Fall. Wir schreiten zur Abstimmung.

Fünftes Hauptstück, Rechnungskontrolle des Bundes, Artikel 122! Im 3. Absatz ist vor dem Worte „insoweit“ das Wort: „sind“ einzuschalten, dagegen ist in der nächsten Zeile das Wort „sind“ zu streichen. Der 3. Absatz würde also lauten: „Alle Urkunden über Staatsschulden (Finanz- und Verwaltungsschulden) sind, insoweit sie eine Verpflichtung des Bundes beinhalten, vom Präsidenten des Rechnungshofes gegenzuzeichnen; ... “.

Im Artikel 127 ist in der zweiten Zeile nach dem Worte „Unternehmungen“ einzuschalten: „beteiligt sein“, so dass es heißt: „Kein Mitglied des Rechnungshofes darf an der Leitung und Verwaltung von Unternehmungen beteiligt sein“; dagegen sind in der 6. Zeile nach dem Worte „stehen“ die Worte „beteiligt sein“ zu streichen.

Im Artikel 130 ist im zweitem Absatz nach den Worten „einer Landesbehörde“ einzuschalten: „für“.

Im Artikel 133 ist in der 3. Zeile statt des Wortes „einer“ das Wort „der“ zu setzen. Die Artikel 122 bis 137 sind unbestritten.

Ich bitte jene Mitglieder, die den Artikeln 122 bis inklusive 137 ihre Zustimmung geben, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Diese Artikel sind mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

„B. Verfassungsgerichtshof.“

Im Artikel 143 ist ein Druckfehler. Es soll in der vorletzten Zeile statt „kann sich der Verfassungshof darauf beschränken, festzustellen“ richtig heißen: „kann sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung beschränken“.

In Artikel 144 soll es in der drittletzten Zeile statt „nebst“ richtig heißen „neben“. Die Artikel 138 bis 149 sind unbestritten.

Ich bitte jene Mitglieder, die den Artikeln 138 bis inklusive 149 ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Diese Artikel sind mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Beim siebenten Hauptstück „Schlussbestimmungen“, Artikel 150, soll als erstes Wort statt „Außer“ richtig stehen „Neben“, in der zweiten Zeile statt „Artikel 3“ „Artikel 45“. Es soll also heißen: „Neben diesem Gesetz haben im Sinne des Artikels 45 ...“.

Dann auf der andern Seite soll es im 2. Absatz statt „Artikel 20 des Gesetzes“ heißen „Artikel 20 des Staatsgrundgesetzes“.

Ich bitte jene Abgeordneten, die Artikel 150 in der korrigierten Form ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

In Artikel 151 ist aus einem früheren Konzept ein Passus stehen geblieben, der nicht mehr her gehört. Der Artikel soll beim Worte „geregelt“ schließen. Es ist der ganze Satz: „Auf die Abänderung ...“ bis „keine Anwendung“, zu streichen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die Artikel 151 in der korrigierten Form ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

In Artikel 152 ist wieder ein Druckfehler. Statt: „Dieses Gesetz tritt am Tage des ersten Zusammentretens“ soll es heißen: „Dieses Gesetz tritt am Tage der ersten Sitzung der Nationalversammlung als Nationalrat in Kraft.“

Im zweiten Absatz soll in der ersten Zeile statt der Ziffer „50“ die Ziffer „51“ gesetzt werden.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Artikel 152 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Artikel 153 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Gleichfalls angenommen.

Ich bitte jene Abgeordneten, die für Titel und Eingang des Gesetzes sind, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Auch Titel und Eingang sind bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Damit haben wir diesen Gegenstand in zweiter Lesung erledigt.

Wir kommen nunmehr zum nächsten Punkt der Tagesordnung, das ist der Bericht des Verfassungsausschusses über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung (992 der Beilagen).

Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr. Seipel. Ich bitte ihn die Verhandlung einzuleiten.

Berichterstatter Dr. Seipel: Hohes Haus! Schon gelegentlich meines Berichtes über das Gesetz, das wir eben in zweiter Lesung erledigt haben, musste ich darauf hinweisen und es auch entsprechend begründen, dass zum Bundesverfassungsgesetz ein Übergangsgesetz notwendig ist. Ich kann mich daher jetzt in meinem Berichte kurz fassen, weil ja den Damen und Herren des hohen Hauses meine Ausführungen vom ersten Berichte noch in Erinnerung sein dürften. Ich erinnere nur an das eine, dass wir zweierlei Übergangsbestimmungen in diesem Gesetze enthalten haben: solche, welche für den Augenblick berechnet sind, nämlich für jene Zeit, in welcher erst ein Teil des Bundesverfassungsgesetzes in Kraft tritt, und dann Übergangsbestimmungen, die auch für die ganze Folgezeit zu gelten haben werden. Die Übergangsbestimmungen der ersten Art finden sich im dritten Abschnitt, der „Schlussbestimmungen“ überschrieben ist.

Zu Einzelheiten des vorliegenden Gesetzes möchte ich mir folgende Bemerkungen erlauben: Zunächst möchte ich beantragen — auch wiederum auf Grund einer Parteienvereinbarung —, dass wir schon in der Überschrift des Gesetzes diesem die Bezeichnung „Verfassungsgesetz" geben. Wir haben soeben im Artikel 45 des Bundes-Verfassungsgesetzes beschlossen, dass in Hinkunft jedes Verfassungsgesetz als ein solches zu bezeichnen ist. Nun wären wir freilich im Augenblick noch nicht an diese Bestimmung gebunden, da die Bundesverfassung noch nicht in Kraft getreten ist. Aber es wird sich doch empfehlen, bei diesem ersten Gesetze, das neben dem Bundes-Verfassungsgesetze zu gelten hat, sich schon an diese Form zu halten.

Zu einzelnen Paragraphen des Gesetzes sind wieder einige Druckfehlerkorrekturen oder Stilverbesserungen anzumerken, welche ich dann gelegentlich der Annahme in der Spezialdebatte gleich mitzubeschließen bitten werde.

Zum § 8 habe ich eine sachliche Anmerkung zu machen. Es ist hier die Rede von den „Agrarbehörden erster und zweiter Instanz“. Damit dieser Ausdruck vollständig verständlich sei, ist zu empfehlen, hier in der Klammer hinzuzufügen: „Agrarbezirksbehörden und Agrarlandesbehörden.“ Sie werden durchwegs so genannt und die Bezeichnung „Agrarbehörden erster und zweiter Instanz“ ist weniger geläufig.

Ein Minderheitsantrag liegt zum § 13 vor, der im Zusammenhang mit dem Artikel 4 des Bundesverfassungsgesetzes steht. Es ist hier die Frist für das Aufhören gewisser Verkehrsbeschränkungen entsprechend dem Mehrheitsbeschlusse des Ausschusses mit dem 30. Juni 1921 festgesetzt. Der Abgeordnete Fink beantragt, an Stelle dieser Fristbestimmung eine andere zu setzen, nämlich den 31. August 1922.

Von besonderer Bedeutung ist dann der Artikel 20. Er handelt von der neu zu wählenden Nationalversammlung, erklärt sie für den ersten Nationalrat, stellt aber fest, dass das Wahlgesetz, das Gesetz über die Wahl und Einberufung dieser Nationalversammlung und ebenso die Gesetzgebungs-Periode, die im Wahlgesetz enthalten ist, nämlich die dreijährige Gesetzgebungsperiode in Geltung zu bleiben haben. Es wird also für diesen ersten Nationalrat nicht die entsprechende Bestimmung der Bundesverfassung selbst zu gelten haben.

Der Absatz 4 dieses Artikels weist den Beamten und Dienern der Nationalversammlung ihre künftige Stellung zu. Es heißt hier (liest):

„Die Beamten und Diener der Nationalversammlung werden Angestellte der Kanzlei des Nationalrates.“

Ich erlaube mir, auf Grund einer Parteienvereinbarung vorzuschlagen, hier einzufügen: „der Kanzlei des Präsidenten des Nationalrates“. Außerdem möchte ich eine Interpretation hinzufügen. Es wurden von gewisser Seite Bedenken dagegen geäußert, dass die Beamten, die jetzt Beamte der Nationalversammlung genannt wurden, nun zu Beamten der Kanzlei des Nationalrates oder wie es jetzt heißen soll: „der Kanzlei des Präsidenten des Nationalrates“ gemacht werden. Es bestand nämlich die Befürchtung, dass das der Wertung dieser Beamten oder der Einreihung in die entsprechenden Besoldungsklassen nach dem künftigen Besoldungsgesetze abträglich sein und dass das Missverständnis entstehen könnte, diese Beamten - wären als Kanzleibeamte zu zählen, während doch ein Teil von ihnen derzeit als Konzeptsbeamte geführt wird. Ich kann erklären, dass das natürlich nicht in der Absicht der Nationalversammlung oder des hohen Hauses ist. Ebenso wenig wie die Beamten der Staatskanzlei deswegen, weil eben dieses Amt die Bezeichnung einer Kanzlei führt, Kanzleibeamte im üblichen Sinne sind, und ebenso wenig als die Konzeptsbeamten der Staatskanzlei um ihre Stellung als Konzeptsbeamte kommen, ebenso wenig kann ein ähnliches Missverständnis der Stellung der bisherigen Beamten der Nationalversammlung abträglich sein.

Der Artikel 21 bringt das Konkrete bezüglich des Bundesrates. Hier wird aufgezählt, wieviel Mitglieder zunächst in den Bundesrat zu entsenden sind. Außerdem ist hier eine wichtige Zeitbestimmung enthalten, nämlich die Bestimmung der Zeit der ersten Sitzung des Bundesrates. Diese erste Sitzung wird am 21. Tage nach dem Zusammentritt des Nationalrates in einem Sitzungsraume des Parlamentsgebäudes statthaben, der vom Bundeskanzler zu bestimmen und bekanntzumachen sein wird.

Das hohe Haus erinnert sich daran, dass die Bundesverfassung bestimmt, wie der Vorsitz im Bundesrat zu führen ist. Es soll der Vorsitz in alphabetischer Ordnung halbjährig zwischen den Ländern wechseln. Das wird nun hier genauer bestimmt, indem festgesetzt wird, welches Land zuerst den Vorsitz bekommen soll. Der Verfassungsausschuss hat in seiner letzten Sitzung beschlossen, zum ersten Male der Stadt Wien, die in dieser Beziehung nach der Bundesverfassung die Stellung eines eigenen Landes einnimmt, den Vorsitz zu übertragen. Nach Wien werden dann die anderen Länder daran kommen. Sollte bis dahin das Burgenland schon selbst einen Landtag haben und Delegierte in den Bundesrat entsenden, so käme dann das Burgenland, im anderen Falle das Land Kärnten daran.

Eine ähnliche Zeitbestimmung enthält § 24, der vom Bundespräsidenten handelt.

Die erste Sitzung der Bundesversammlung, das heißt die Wahlsitzung der Bundesversammlung wird am 28. Tage nach der ersten Sitzung des Nationalrates um 11 Uhr vormittags im Parlamentsgebäude statthaben. An diesem Tage wird also der Bundespräsident gewählt werden. Bis dahin, das heißt bis zur Angelobung des neuen Bundespräsidenten versieht der Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung jene Funktionen, die ihm bisher in Vertretung eines Staatshauptes übertragen gewesen sind.

Dann erlaube ich mir noch besonders auf den § 33 aufmerksam zu machen, der die konkreten Übergangsbestimmungen in Bezug auf die Ordnung des Verhältnisses zwischen Wien und Niederösterreich-Land, beziehungsweise beider Halbländer zum ganzen Lande enthält. Zuerst ist vom Landtage von Niederösterreich — da ist der gemeinsame Landtag gemeint — die Rede, dann von der Verwaltungskommission, welche in Artikel 114 der Bundesverfassung erwähnt wird. Es wird bestimmt, dass bis zur Wahl dieser Verwaltungskommission die jetzige Landesregierung die gemeinsamen Geschäfte des Gesamtlandes zu führen haben wird. Dann werden besondere Bestimmungen für Wien und für Niederösterreich-Land erwähnt; für Wien wird sofort der Bürgermeister in die Funktionen des Landeshauptmannes eintreten, für Niederösterreich-Land wird, bis sich die Kurie Land das selbst neu ordnet, der eine bisherige Landeshauptmann-Stellvertreter, der nicht aus den Abgeordneten von Wien entnommen ist, der erste Landeshauptmann für Niederösterreich-Land sein.

Weiter beansprucht besonderes Interesse der Absatz 5 dieses Paragraphen; hier wird nämlich angeordnet, wie es in der Zukunft mit dem Instanzenzuge in Wien sein soll, und zwar wird verfügt, dass die Geschäfte der mittelbaren Bundesverwaltung, was man früher den übertragenen Wirkungskreis genannt hat, in erster und zweiter Instanz für Wien in eine Instanz zusammengelegt werden, dagegen wird bezüglich jener Angelegenheiten eine Ausnahme gemacht, in denen auf Grund besonderer gesetzlicher Bestimmungen bisher schon der Instanzenzug beim Lande endet. Es soll nämlich in beiden Fällen gesichert sein, dass zwei Instanzen zu entscheiden haben. In dem ersten Falle geht der Instanzenzug vom Bürgermeister von Wien als Landeshauptmann an die Bundesämter, die Bundesministerien, im zweiten Falle, in dem das ausgeschlossen ist, weil schon bisher der Instanzenzug beim Lande Halt machen musste, werden zwei Instanzen
in der Weise geschaffen, dass als erste Instanz die zuständige Amtsstelle des

Magistrats zu fungieren hat, als zweite Instanz der Bürgermeister als Landeshauptmann.

§ 34 enthält Übergangsbestimmungen zu dem Abschnitte über die Gemeinden. Bekanntlich kann dieser Abschnitt auch erst verwirklicht werden, wenn das Bundesverfassungsgesetz über die Organisation der Verwaltung geschaffen sein wird. Für die Zwischenzeit sollen lediglich Bezirksvertretungen geschaffen werden, wie sie ja in einzelnen Teilen unseres Bundesgebietes bereits bestanden haben. Die Festsetzung der weiteren Grundsätze für die Ausgestaltung der bisherigen Bezirksverwaltung, für den Wirkungskreis der Bezirksvertretungen ist der Landesgesetzgebung übertragen. Ich darf hier einen bedeutenderen Druckfehler anmerken; es ist im dritten Absatze vom Wahlrecht für diese Bezirksvertretungen die Rede, ohne dass ausdrücklich das Verhältniswahlrecht genannt worden wäre. Es versteht sich von selbst, dass wir auch für diese Vertretungen das Verhältniswahlrecht werden vorzusehen haben.

Endlich, hohes Haus, muss ich Sie bitten, Ihre Aufmerksamkeit besonders dem § 42, dem vorletzten des Gesetzes, zuzuwenden. Hier ist enthalten, welche Teile des Bundesverfassungsgesetzes einstweilen vom Inkrafttreten ausgenommen sind und an welche weiteren Verfassungsgesetze des Bundes ihr künftiges Inkrafttreten gebunden sein soll, nämlich an das Verfassungsgesetz des Bundes über die finanzielle Auseinandersetzung zwischen dem Bunde und den Ländern, beziehungsweise Gemeinden, dann an das Verfassungsgesetz des Bundes über den Wirkungsbereich des Bundes und der Länder auf dem Gebiete des Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesens und endlich an das Verfassungsgesetz des Bundes über die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern.

Der Absatz 2 dieses Paragraphen bestimmt nun im Einzelnen, was bis dahin rechtens zu sein hat, und zwar wird zunächst gesprochen vom Gebiete der Gesetzgebung und Vollziehung. Es wird die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gegenüber der bestehenden zwischen Staat und Ländern nicht geändert. Dann wird aber verfügt, dass alle Angelegenheiten der ehemals autonomen Verwaltung sofort von den Ländern im selbständigen Wirkungsbereiche übernommen werden. Alle übrigen Angelegenheiten der Vollziehung werden von den Ländern als Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung im Sinne des Bundes-Verfassungsgesetzes geführt, soweit der Bund nicht berechtigt ist, eigene Bundesbehörden mit der Führung seiner Geschäfte auch in den Ländern zu betrauen. Welche das sind, haben wir im Artikel 103 des Bundes-Verfassungsgesetzes aufgeführt.

Im Punkte d wird dann erwähnt, dass die Angestellten jener Behörden, die vorläufig Bundesbehörden bleiben, selbstverständlich Bundesangestellte sind, dass dasselbe aber auch gelten soll für den Bereich der allgemeinen politischen Verwaltung, welche sofort von den Ländern übernommen wird. Die Angestellten dieser allgemeinen politischen Verwaltung bleiben jedoch, solange nicht ein eigenes Dienstrecht für sie im Sinne des Bundes-Verfassungsgesetzes geschaffen wird, Bundesangestellte und unter ihrem bisherigen Dienstrecht.

Endlich verweist Punkt f dieses Artikels auf dasjenige, was in den Vereinbarungen, die der Fassung dieses Gesetzes vorausgegangen sind, über das Aufrechterhalten des bestehenden Zustandes auf dem wichtigen Gebiete des Schul- und Erziehungswesens beschlossen worden ist. Auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens können demnach Änderungen der Staatsgesetze, einschließlich der früheren Reichsgesetze, nur durch übereinstimmende Gesetze des Bundes und der beteiligten Länder erfolgen; hievon sind lediglich jene gesetzlichen Bestimmungen ausgenommen, die das Hochschulwesen oder das Ausmaß der Bezüge der Lehrpersonen betreffen. Wie das zu verstehen ist, habe ich schon gelegentlich der Besprechung der analogen Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes festgelegt. Änderungen der bestehenden Landesgesetze können nur durch übereinstimmende Gesetze des Landes und des Bundes erfolgen.

Ich stelle namens des Verfassungsausschusses den Antrag: Das hohe Haus möge das eben vorgelegte Verfassungsgesetz, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung zum Beschlusse erheben. (Beifall.)

Präsident: Ich werde die General- und Spezialdebatte unter Einem abführen. (Zustimmung.)

Zum Worte hat sich gemeldet der Herr Abgeordnete Dr. Angerer; ich erteile ihm das Wort.

Abgeordneter Dr. Angerer: Hohes Haus! Wir müssen in Konsequenz der Abstimmung über den Artikel 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes auch den § 12 des vorliegenden Gesetzes abändern. Es handelt sich um das Burgenland. Es sind zunächst im § 12 dieses Gesetzes in der Aufschrift die Worte „Absatz 3“ wegzulassen, weil es einen Absatz 3 im Bundesgesetze nicht mehr gibt. Wir haben ihn ja in unserer früheren Abstimmung gestrichen.

Dafür soll nun der § 12 folgenden Wortlaut haben (liest):

„Das Burgenland wird als selbständiges und gleichberechtigtes Land in den Bund

aufgenommen, sobald es seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat.“

Der zweite Absatz hat zu lauten (liest):

„Die näheren Bestimmungen über die Stellung des Burgenlandes als selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund werden durch ein besonderes Verfassungsgesetz des Bundes festgesetzt.“

Ich bitte diese in Übereinstimmung der Parteien angenommene Fassung des § 12 dieses Gesetz anzunehmen.

Präsident: Dieser Antrag ist gehörig gezeichnet und steht in Verhandlung. Wünscht noch jemand das Wort? (Niemand meldet sich.) Es ist nicht der Fall. Die Debatte ist geschlossen. Der Herr Berichterstatter hat das Schlusswort.

Berichterstatter Dr. Seipel: Ich werde soeben aufmerksam gemacht, dass bezüglich der Interpretation, die ich ganz im Sinne der Besprechungen im Verfassungsausschuss betreffend die Reihenfolge im Vorsitz im Bundesrate gegeben habe, Bedenken aufgetaucht sind. Ich bin bei dieser Interpretation von der Auffassung ausgegangen, dass Wien, da dieses Wort mit „W" anfängt, nach Vorarlberg kommt und daher das letzte in der Reihenfolge der Länder sein wird. Mir wird nun gesagt, wenn man Wien als in der Klammer beigesetzt neben Kurie Land bei Niederösterreich aufzählt, insofern ein Missverständnis entstehen könnte, als man dann nicht wüsste, warum man mit dem Burgenlande, beziehungsweise mit Kärnten anfängt und nicht mit Oberösterreich usw. fortfährt. Ich glaube, das hohe Haus stimmt meiner ursprünglichen Interpretation zu, dass man Wien in Bezug auf den Vorsitz im Bundesrate als letztes nach dem Alphabet in der Reihe der Länder gelten lässt. Es kann dann vom Anfang an sei es mit dem Burgenlande oder mit Kärnten begonnen werden. Ich füge hinzu, dass es dem Bundesrat natürlich freigestellt sein wird, eventuell in seiner eigenen Geschäftsordnung eine andere Anordnung zu treffen. Nur solange das nicht geschehen ist, möchte ich den anderen Ländern nicht etwas Abträgliches verkündet haben, weil sonst Wien zu bald wieder zur großen Ehre des Vorsitzes im Bundesrat kommen könnte.

Präsident: Wir schreiten zur Abstimmung. Ich bitte, die Plätze einzunehmen.

Der Herr Berichterstatter hat ja bekanntgegeben, welche Änderungen in dem Text noch vorgenommen worden sind.

Im § 1 würde es in der 7. Zeile heißen: „ ... sowie alle Gesetze und Vollzugsanweisungen (Verordnungen) ...“

Im § 2 würde es in der 4. Zeile statt „letztere“ heißen „diese“.

Im § 3, Absatz 2 ist gleichfalls ein Druckfehler zu bemerken. Das Wort „aber“ in der zweiten Zeile ist zu streichen und nach dem Worte „sind“ in der 1. Zeile anzufügen.

Im § 5 sind die Worte „die in diesen bezeichneten“ zu streichen, so dass § 5 lautet (liest):

„Die Bestimmungen der §§ 2 bis 4 über Gesetze gelten sinngemäß auch für die auf Grund dieser“ — an Stelle von „der“ — „Gesetze ergangenen Vollzugsanweisungen (Verordnungen).“

Im § 8 ist im ersten Absatz nach dem Worte „Instanz“ in der vorletzten Zeile in der Klammer zu setzen („Agrarbezirksbehörden und Agrarlandesbehörden“).

Die §§ 1 bis 11 sind unbestritten. Ich bitte jene Abgeordnete, welche den §§ 1 samt Überschrift bis inklusive 11 mit den eben bekanntgegebenen Korrekturen ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.)

Diese Paragraphen sind mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der Mitglieder angenommen.

Wir kommen nunmehr zum § 12. Da beantragt der Herr Abgeordnete Angerer, dass zunächst in der Überschrift die Worte „Absatz 3“ zu streichen seien; ferner sei ein eigener erster Absatz folgenden Wortlautes einzufügen (liest:)

„Das Burgenland wird als selbständiges und gleichberechtigtes Land in den Bund aufgenommen, sobald es seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat.“

Ich bitte jene Abgeordneten, die dafür sind, dass die Überschrift bloß heißen soll „Zu Artikel 2“, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Dadurch ist in der Überschrift das Wort „Absatz 3“ gestrichen.

Ich bitte nunmehr jene Abgeordneten, die als ersten Absatz einfügen wollen, was der Herr Abgeordnete Angerer beantragt hat, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Demgemäß beantragt nun der Abgeordnete Angerer, dass der nunmehrige 2. Absatz lauten soll:

Die näheren Bestimmungen über die Stellung des Burgenlandes als selbständiges und gleichberechtigtes Land im Bund werden durch ein besonderes Verfassungsgesetz des Bundes festgesetzt.“

Ich werde über den Absatz 2, sowie er vorgedruckt ist, unter vorläufiger Hinweglassung der Worte „Aufnahme“ und „in den Bund“ abstimmen lassen und bitte jene Abgeordneten, die diesem Absatz ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich lasse nunmehr über den Abänderungsantrag Angerer abstimmen, wonach statt des Wortes „Aufnahme“ das Wort „Stellung“ zu setzen ist. Ich bitte jene Abgeordneten, welche diesem Antrage ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Gemäß diesem angenommenen Antrag müsste es statt „in den Bund“ heißen „im Bund“. Ich bitte jene Abgeordneten, welche auch diesen Worten zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Zum § 13 liegt ein Minderheitsantrag vor, und zwar beantragt der Herr Abgeordnete Fink, dass es im zweiten Absatz heißen soll (liest):

„Bestehende Verkehrsbeschränkungen, die nicht vom Staate ausgegangen sind, treten, soferne sie nicht vom Staate genehmigt wurden oder vom Bunde nachträglich genehmigt werden, spätestens mit 31. August 1922 außer Kraft.“

Statt der Worte, die hier stehen: 30. Juni 1921“ soll es also heißen: „31. August 1922“. (Abgeordneter Forstner: Ich bitte ums Wort zur Abstimmung.) Bitte!

Abgeordneter Forstner: Ich beantrage bei der Abstimmung über den Minderheitsantrag des Herrn Abgeordneten Fink im § 13, Absatz 2, die Konstatierung des Stimmenverhältnisses.

Präsident: Ich werde diesem Antrage Rechnung tragen. Ich werde den § 13 zunächst unter Hinweglassung der Worte „30. Juni 1921“ zur Abstimmung bringen und bitte diejenigen Abgeordneten, die ihm ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Nunmehr kommt der Gegenantrag des Abgeordneten Fink auf Erstreckung dieser Frist auf den 31. August 1922.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem Antrage Fink zustimmen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, ist daher abgelehnt.

Ich bitte nunmehr diejenigen Abgeordneten, welche dem Ausschussantrage „30. Juni 1921“ ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Das ist mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Wir kommen zu den §§ 14, 15, 16, 17, 18.

Im § 18 soll es im zweiten Absatz heißen: „In Angelegenheiten“, das Wort „den“ fällt weg.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die diesen Paragraphen bis inklusive 19 ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Beim § 20 hat der Herr Berichterstatter einen Abänderungsantrag gestellt. Es soll im vierten Absatz in der zweiten Zeile heißen: „der Kanzlei des Präsidenten des Nationalrates“. Es sind also zwischen die Worte „Kanzlei“ und „des Nationalrates“ einzufügen die Worte „des Präsidenten“.

Ich werde über den § 20 abstimmen lassen und dann über den Zusatzantrag des Herrn Berichterstatters.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, welche dem § 20 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Ich bitte nun diejenigen Abgeordneten, die dem Zusatzantrag ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Gleichfalls angenommen.

Im § 21 soll es in der letzten Zeile statt „an erster Stelle von Wien“ heißen „von Wien an erster Stelle“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die den §§ 21, 22, 23 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im § 24, dritten Absatz, soll es richtig heißen (liest):

„Bis zur Angelobung des Bundespräsidenten versieht der bisherige Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung alle dem Bundespräsidenten übertragenen Funktionen.“

Das ist also eine stilistische Änderung, während es hier heißt (liest): „werden alle ihm übertragenen Funktionen vom bisherigen Präsidenten der Konstituierenden Nationalversammlung versehen“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die dem § 24 in dieser geänderten Fassung, wie sie der Herr Berichterstatter beantragt, ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Es kommen die § 25, 26, 27, 28, 29. Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die ihnen ihre Zustimmung geben wollen, sich von ihren Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im § 30 ist wieder ein Druckfehler.

Es soll in der drittvorletzten Zeile heißen: „gilt der Tag des Einlangens des Gesetzes beim zuständigen Staatsamte als der Tag des Einlangens beim zuständigen Bundesministerium“.

Im § 31 ist statt der Worte „in diesem“ „dort“ zu setzen.

Im § 32 muss im Absatz 2, dritte Zeile, nach dem Worte „Der“ eingefügt werden „bisherige“ Landeshauptmann.

§ 33 ist unbestritten.

Ich bitte jene Abgeordneten, die den §§ 30 bis inklusive 33 ihre Zustimmung geben wollen sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im § 34 soll es in der fünften Zeile statt „Bereiche“ heißen „Sprengel“ und im dritten Absatz, dritte Zeile statt „Wahlrechtes“ „Verhältniswahlrechtes“.

Ich bitte diejenigen Abgeordneten, die den §§ 34 und 35 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im § 36 ist in der zweiten Zeile nach dem Worte „sobald“ einzufügen: „die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes und“; dann heißt es weiter „das Verwaltungsstrafverfahren neu geregelt sind“.

Im § 40 soll es statt „welche“ in der ersten Zeile heißen „die“.

Ich bitte jene Abgeordneten, die den § 36 bis einschließlich 41 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Nun kommen die Schlussbestimmungen.

Im § 42 sollen sich nach den Worten „Artikel 15“ in der zweiten Zeile die Worte folgen „des Bundesverfassungsgesetzes“.

Dann ist im Punkt 1 in der zweiten Zeile zu setzen statt „Bunde“ „Bund“ und ist hinzuzufügen nach den Worten „den Ländern“ „beziehungsweise den Gemeinden“.

Dann heißt es in diesem § 42, Punkt 3, lit. e: „Die Bestimmungen des § 6, Absatz 1, werden nur insoweit angewendet“ statt „finden nur insoweit Anwendung“. In lit. f soll es heißen „Auf dem Gebiete des Schul- und Erziehungswesens können die Staatsgesetze einschließlich der früheren Reichsgesetze abgeändert werden“ statt „können Änderungen der Staatsgesetze ... erfolgen“.

Ich bitte jene Abgeordneten, die den §§ 42 und 43 ihre Zustimmung geben wollen, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Angenommen.

Im Titel soll es statt „Gesetz“ heißen „Verfassungsgesetz vom ..., betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung“.

Ich bitte jene Abgeordneten, die dem Titel und Eingang des Gesetzes nach dieser Korrektur ihre Zustimmung geben, sich von den Sitzen zu erheben. (Geschieht.) Gleichfalls mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen.

Damit ist das Gesetz in zweiter Lesung bei Anwesenheit der notwendigen Zahl der Mitglieder mit Zweidrittelmehrheit beschlossen.

Die dritte Lesung der beiden Gesetze werde ich auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung stellen, so dass wir erst morgen diese Arbeit werden endgültig beenden können.

Ich beabsichtige nun zum Schlusse der Sitzung zu schreiten und schlage als nächsten Sitzungstag vor, Freitag, den 1. Oktober, 10 Uhr vormittags, mit folgender Tagesordnung:

1. Dritte Lesung

a) des Bundesverfassungsgesetzes,

b) des Verfassungsgesetzes, betreffend den Übergang zur bundesstaatlichen Verfassung.

2. Berichte des Ausschusses für soziale Verwaltung

a) über die Vorlage der Staatsregierung (988 der Beilagen), womit einige Bestimmungen des Invalidenentschädigungsgesetzes vom 25. April 1919, St. G. Bl. Nr. 245, abgeändert und ergänzt werden (997 der Beilagen).

b) über die Vorlage der Staatsregierung (934 der Beilagen), betreffend das Gesetz über die Einstellung und Beschäftigung Kriegsbeschädigter (Invalidenbeschäftigungsgesetz) (1022 der Beilagen).

3. Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung über die Vorlage der Staatsregierung (987 der Beilagen), betreffend das das Gesetz zur Abänderung und Ergänzung des Gesetzes vom 24. März 1920, St. G. Bl. Nr. 153, über die Arbeitslosenversicherung (1000 der Beilagen).

4. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (999 der Beilagen), betreffend die Regelung von Ruhegenüssen der in der Zeit vom 1. Jänner bis 29. Februar 1920 in den Ruhestand versetzten Zivilstaatsbeamten, Staatslehrpersonen, Unterbeamten und Diener, welche in der Zeit vom 1. Jänner bis 29. Februar 1920 in der Aktivität gestorben oder in den Ruhestand versetzt worden sind (1019 der Beilagen).

5. Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung über den Antrag Forstner und Genossen (1003 der Beilagen),

betreffend Änderung des Zahntechnikergesetzes (1020 der Beilagen).

6. Bericht des Ausschusses für soziale Verwaltung über den Antrag Tomschik, Pick und Genossen (1001 der Beilagen), betreffend Änderung des Gesetzes über die Arbeiterkammern (1023 der Beilagen).

7. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (989 der Beilagen), betreffend das Gesetz über Kreditoperationen (1018 der Beilagen).

8. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlagen der Staatsregierung (1016 und 1017 der Beilagen), womit die Ausscheidung der unter das Gesetz vom 25. Jänner 1914, R. G. Bl. Nr. 15 (Dienstpragmatik), fallenden Postbediensteten (Beilage 1016) und Telegraphen- und Fernsprechbediensteten (Beilage 1017), aus diesem Gesetze vorgenommen wird (Entpragmatisierungsgesetz) (1028 der Beilagen).

9. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (995 der Beilagen), womit der Artikel II des Gesetzes vom 15. Mai 1920, St. G. Bl. Nr. 227, abgeändert wird (3. Nachtrag zum Besoldungsübergangsgesetz) (1029 der Beilagen).

10. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (982 der Beilagen), betreffend das Gesetz über die begünstigte Versorgungsbehandlung der Hinterbliebenen nach im Dienste verunglückten Staatsangestellten (Unfallhinterbliebenennovelle) (1030 der Beilagen).

11. Mündlicher Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (998 der Beilagen), betreffend Teuerungszulagen für den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, seinen Stellvertreter und die ständigen Referenten dieses Gerichtshofes (3. Verfassungsgerichtshofnovelle).

12. Bericht des Justizausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (984 der Beilagen), betreffend die Rechtsanwalts-und Notarsgehilfen (1024 der Beilagen).

13. Bericht des Justizausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (993 der Beilagen), betreffend die Durchführung der Grenzregelung auf Grund des Staatsvertrages von St. Germain.

14. Bericht des Finanz- und Budgetausschusses über die Vorlage der Staatsregierung (981 der Beilagen), betreffend das Gesetz über die Beitragsleistung des Staates zu dem Aufwand der autonomen Körperschaften für die Bezüge der aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie der Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1920 (1026 der Beilagen).

15. Bericht des Ausschusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Vorlage der Staatsregierung (996 der Beilagen), betreffend das Gesetz über die Ermächtigung der Regierung zur provisorischen Regelung der Handels- und Verkehrsbeziehungen mit auswärtigen Staaten (1031 der Beilagen).

16. Bericht des Ausschusses für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten über die Vorlage der Staatsregierung (907 der Beilagen), womit einige Bestimmungen des Gesetzes vom 4. April 1919, St. G. Bl. Nr. 220, über die Errichtung von Einigungsämtern für Streitigkeiten aus bestimmten Lieferungsverträgen abgeändert und ergänzt werden (1025 der Beilagen).

17. Bericht des Ausschusses für Land- und Forstwirtschaft über die Anträge des Abgeordneten Schneidmadl und Genossen, betreffend die Ablösung landwirtschaftlicher Pachtgründe (358 der Beilagen), Stocker und Genossen, betreffend Ablösung langjährig verpachteter Grundstücke (435 der Beilagen) und Haueis und Genossen, betreffend die Enteignung von Pachtgründen (447 der Beilagen) (1021 der Beilagen).

18. Bericht des Ausschusses für Erziehung und Unterricht über die Anträge Th. Schlesinger, betreffend die Zulassung weiblicher Schüler zu den Unterrichtsanstalten aller Kategorien (211 der Beilagen) und Dr. Angerer, Pauly, betreffend die Errichtung und Ausgestaltung der Mädchenmittelschulen (309 der Beilagen) (699 der Beilagen).

19. Bericht des Ausschusses für Erziehung und Unterricht über den Antrag der Abgeordneten Frau Dr. Burjan und Genossen (196 der Beilagen), betreffend Schaffung weiblicher Referentenstellen im Staatsamt für Inneres und Unterricht (687 der Beilagen).

Wird gegen meinen Vorschlag in Bezug auf Tagesordnung, Tag und Stunde eine Einwendung
 

erhoben? (Abgeordneter Dr. Mataja: Ich bitte ums Wort!)

Der Herr Abgeordnete Dr. Mataja hat das Wort.

Abgeordneter Dr. Mataja: Im Sinne des § 34a der Geschäftsordnung beantrage ich, auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung als ersten Punkt den Bericht des Verfassungsausschusses über das Auslieferungsbegehren des Bezirksgerichtes Josefstadt gegen den Abgeordneten Skaret wegen Übertretung der Sicherheit der Ehre zu setzen, vorausgesetzt, dass dieser Bericht bis zum Beginn der morgigen Sitzung vorliegt.

Präsident: Wie der Herr Abgeordnete selbst konstatiert, liegt ein solcher Bericht nicht vor....

Abgeordneter Dr. Mataja: Herr Präsident, es liegen schon Präzedenzfälle vor. Sie haben für den Fall der Fertigstellung des Berichtes schon Gegenstände auf die Tagesordnung einer nächsten Sitzung gesetzt und ich bitte, im vorliegenden Falle die Meinung des Hauses einzuholen.

Präsident: Ich habe es gar nicht abgelehnt, sondern nur bemerkt, dass ein solcher Bericht nicht vorliegt. Es besteht aber selbstverständlich gar kein Hindernis, dass auch dieser Bericht, sobald eine Vereinbarung unter den Parteien geschlossen wird, ebenso wie die anderen Berichte, über die eine solche Vereinbarung unter den Parteien besteht, noch auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ich habe heute eine Liste aller dieser Berichte bekommen, über die unter den Parteien Vereinbarungen getroffen worden sind, und habe gemäß einem Beschlusse des Hauptausschusses, wonach der Präsident ersucht wird, alle diese Berichte auf die Tagesordnung zu setzen, dies auch getan. Ich werde selbstverständlich, wenn mir gemeldet wird, dass auch darüber eine Vereinbarung getroffen ist, diesen Bericht ebenfalls auf die Tagesordnung setzen.

Abgeordneter Dr. Mataja: Ich bitte, im Sinne des § 34a der Geschäftsordnung um die Abstimmung darüber. Es heißt da (liest): „Wird eine Einwendung erhoben, so entscheidet das Haus ohne Debatte“. Das ist die Geschäftsordnung, die uns alle bindet.

Präsident: Es ist mir sehr lieb, Herr Abgeordneter Dr. Mataja, dass Sie mich auf die Geschäftsordnung verweisen. Wenn Sie sie in die Hand nehmen werden, werden Sie sich selbst davon überzeugen, dass ich nach der Geschäftsordnung nicht anders vorgehen kann, als ich eben vorgehe. Ich kann den Bericht eines Ausschusses auf die Tagesordnung setzen, wenn der Bericht vorliegt. Ich kann aber, obwohl die Geschäftsordnung das nicht vorsieht und nicht gestattet, in dem Falle, wo keine Einwendung erhoben wird, also die Parteien es vereinbaren, nicht nach der Geschäftsordnung, sondern anders vorzugehen, auch anders vorgehen und einen Bericht, der nicht vorliegt, dennoch auf die Tagesordnung setzen. Wenn mir gemeldet wird, dass eine solche Vereinbarung darüber besteht, diesen noch nicht erstatteten Bericht auf die Tagesordnung zu setzen, werde ich selbstverständlich diesem Wunsch der Parteien Rechnung tragen. Es steht auch dem Herrn Abgeordneten frei, am Beginn der nächsten Sitzung, wenn der Bericht vorliegt, einen Antrag dahin zu stellen, die Tagesordnung durch diesen Gegenstand zu ergänzen.

Zu einer Einwendung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bauer das Wort.

Abgeordneter Dr. Bauer: Ich möchte nur bemerken, dass der Verfassungsausschuss jetzt einberufen ist, sofort nach der Haussitzung zusammentreten wird, und dass falls ein Bericht vorliegt, von unserer Partei keine Einwendung erhoben werden wird, dass er auch morgen verhandelt wird. (Abgeordneter Dr. Mataja: Bitte sehr, das genügt mir!)

Präsident: Ich bitte aber, meine Herren, dann morgen zu Beginn der Sitzung nicht zu vergessen, den Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung zu stellen.

Wird sonst noch eine Einwendung gegen Tag, Stunde und Tagesordnung erhoben? (Nach einer Pause:) Es ist dies nicht der Fall, sonach bleibt es bei meinem Vorschlage.

Die Sitzung ist geschlossen.

 

Schluss der Sitzung: 6 Uhr 45 Minuten abends.

 

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