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der A bgeordneten Dr. Fuhrmann, Dr. Kostelka
und Genossen
betreffend ein Bundesgesetz. mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird
Der Nationalrat wolle beschließen:
Bundesgesetz vom ..., mit dem das Strafgesetzbuch geändert wird.
Der Nationalrat hat beschlossen:
A r t i k e l I
Das Strafgesetzbuch, BGBl. Nr. 60/1974, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl.
Nr. 622/1994, wird wie folgt geändert:
Die § § 209, 220 und 221 entfallen.
A r t i k e l Il
( 1) Dieses B undesgesetz tritt mit 1 . März l996 in Kraft.
(2) Mit der Vollziehung dieses Bundesgesetzes ist der Bundesminister für Justiz betraut.
Es wird ersucht, diesen Antrag unter Verzicht auf die Erste Lesung dem Justizausschuß
zuzuweisen.
B e g r ü n d u n g:
Der geltende § 209 StGB entspricht eindeutig nicht mehr dem europäischen Rechtsstandard.
Die parlamentarische Versammlung des Europarates hat bereits 1981 den Mitgliedsstaaten
empfohlen, für homosexuelle und heterosexuelle Handlungen dieselbe "Altersgrenze der
Mündigkeit" vorzusehen (Empfehlung 924).
In keinem europäischen Staat mit vergleichbarer Rechtskultur gibt es eine Strafbestimmung,
die dem § 209 StGB entsprechen würde.
Die österreichische Rechtsordnung sollte im Bereich des Sexualstrafrechtes keine geringere
Menschenrechtskonformität aufweisen, als dies in den meisten anderen Staaten der Fall ist.
Die Strafrechtsreformen am Beginn der Siebzigerjahre hatten damals die sexuelle
Diskriminierung Homosexueller zwar entscheidend gemildert, aber nicht vollkommen
beseitigt.
Maßgebend für die Beibehaltung der Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Unzucht
zwischen Erwachsenen und jungen Männern unter 18 Jahren war die Befürchtung, ein
Liebesverhältnis zwischen einem jungen Mann und einem Erwachsenen könnte den jungen
Mann homosexuell prägen und ihn zu einem heterosexuellen Geschlechtsleben unfähig
machen. Bei Mädchen gäbe es eine solche Prägung nicht. Verläßliche Untersuchungen oder
wenigstens gesicherte Beobachtungen, welche die Furcht vor homosexueller Prägung junger
Männer untermauern könnten, gibt es nicht.
Gleichgeschlechtliche Handlungen mit jungen Männern von 16, 17 und fast 18 Jahren mit
Strafe zu bedrohen, ist nicht sinnvoll, weil junge Männer in diesem Alter nicht selten sexuell
aktiv sind und der Anstoß zur Aufnahme des homosexuellen Liebesverhältnisses mitunter gar
nicht vom Erwachsenen, sondern von dem jungen Mann ausgeht, den das Gesetz als "Opfer"
ansieht. Daß junge Menschen heute früher sexuell reif werden, als in früheren Jahrzehnten, ist
eine Erkenntnis, der das JGG durch Herabsetzung des Schutzalters in § 208 StGB von 18 auf
16 Jahren Rechnung getragen hat. Es ist Zeit, daß der Gesetzgeber aus dieser Erkenntnis auch
für § 209 StGB die Konsequenzen zieht. Homosexuelle und heterosexuelle Handlungen mit
einer Person von mehr als 14 Jahren sollte straffrei sein.
Erwachsene, die homosexuelle Handlungen an Jugendlichen vornehmen, die ihnen zur
Erziehung, Ausbildung oder zur Aufsicht anvertraut wurden, sollten strafbar bleiben - wie
auch der Lehrer, der mit einer seiner Schülerinnen Geschlechtsverkehr hat - strafbar ist. In
solchen Fällen wird § 212 StGB anzuwenden sein.
1971 war es vermutlich ein vertretbares politisches Argument, daß die Bevölkerung die
Beseitigung aller Sondertatbestände für Homosexuelle noch nicht verstanden und akzeptiert
hätte. Inzwischen ist die Toleranz der Gesellschaft Homosexuellen gegenüber doch größer
geworden, und ebenso die Empfindlichkeit für die Diskriminierung von Minderheiten. So
.scheint es angebracht, homosexuelle und heterosexuelle Handlungen strafrechtlich einander
gIeichzu.stellen.
§ 220 StGB erklärt die Werbung für gleichgeschlechtliche Unzucht, § 221 StGB Begründung
und Mitgliedschaft in Verbindungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht für
.strafbar. Beide Paragraphen sind heute nur mehr historisch verständlich. Als der Gesetzgeber
1971 die Strafdrohung für gleichgeschlechtliche Unzucht größtenteils aufhob, fürchteten viele
Leute, Homosexuelle könnten die neue Freiheit nutzen und in unerträglicher Weise für ihr
Geschlechtsleben werben, homosexuelle Zirkel könnten Macht und Einfluß gewinnen und die
heterosexuelle Gesellschaft untergraben. Die Jahre seit 1971 haben eindeutig gezeigt, daß
diese und ähnliche Befürchtungen grundlos sind. Die Homosexuellen sind eine kleine
Minderheit; die Furcht, sie könnten der heterosexuellen Mehrheit gefährlich werden, entbehrt
jeder Grundlage.
Am 10. Oktober 1995 hat in einem Unterausschuß des Justizausschusses, welcher zur
Behandlung von Anträgen eingesetzt worden ist, die auf eine Abschaffung der
diskriminierenden Homosexuellenbestimmungen des Strafgesetzbuches gerichtet waren, ein
Hearing mit hochqualifizierten Experten stattgefunden. An diesem auf hohem Niveau
stehenden Hearing nahmen insbesondere Experten aus dem Bereich der Neuropsychiatrie, der
Sexualforschung, der Evangelischen und der Katholischen Theologie, vom Institut für Staats-
und Verwaltungsrecht der Universität Wien, der Psychotherapie, der
Entwicklungspsychologie, der Rechtsanwaltskammer sowie Betroffene teil. Die
überwältigende Mehrheit der Teilnehmer dieses Hearings hat sich mit überzeugenden
Argumenten für die Abschaffung der § § 209, 220 und 221 des Strafgesetzbuches
ausgesprochen.
Mehr als 50 Jahre nach Wiedererrichtung der freien demokratischen Republik Österreich
dürfte in deren Rechtsordnung kein Platz mehr für Bestimmungen sein, die eine sexuelle
Minderheit gegen alle Grundsätze der Menschenrechte und der Menschenwürde diskriminiert.