560/AE XX.GP
Entschließungsantrag
Der Abgeordneten Maria Schaffenrath, Partnerinnen und Partner
betreffend Einführung einer ,,Geschlechterbewußten Koeduaktion“
laut den Daten der letzten Volkszählung (1991) hat sich das Bildungsniveau der
österreichischen Bevölkerung gegenüber 1981 deutlich verbessert. Dennoch bestehen noch
immer ausgeprägte geschlechtsspezifische Disparitäten:
Mehr als die Hälfte der Frauen (51%) hat nur eine Pflichtschule besucht (Männer 31%),
etwas mehr als ein Fünftel der Frauen (21%) absolvierte eine Lehre (Männer 44%), bei den
Fachschulabsolventinnen überwiegen die Frauen (mit 15%) gegenüber den Männern (mit
7%). 9% der Frauen haben Matura als höchste abgeschlossene Ausbildung (Männer 11%):
Der Anteil der Frauen mit einer abgeschlossenen Hochschulbildung bzw. einer
Hochschulverwandten Ausbildung beträgt 4% (Männer 6%).
Eine Studie der OECD (‚Education at a glance“. Paris 1996) besagt, daß der Unterschied in
Ausbildungsniveau von Frauen und Männern in Österreich zu den höchsten in den OECD-
Ländern gehört.
Zu diesem Bildungsrückstand der österreichischen Frauen und Mädchen kommt laut OECD
("Education at a glance“, Paris 1993) noch die geringere Zahl der natur- und
Ingenieurwissenschaftlichen Abschlüsse hinzu. Der Unterschied ist bei den
Ingenieurwissenschaften besonders deutlich, da männliche Absolventen in Österreich
viermal so stark vertreten sind wie Frauen.
Insgesamt nähert sich in Österreich der Frauenanteil der Studienanfängerinnen der 50%-
Marke, in den mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Richtungen sind Frauen aber
nach wie vor unterrepräsentiert: beispielsweise sind nur 17,9% der Studierenden der
Studienrichtung „Technische Naturwissenschaften“ Frauen, bei der Studienrichtung
„Maschinenbau. Elektrotechnik“ sinkt der Frauenanteil auf 2,6%. Die Abschlüsse von
Frauen bei der zuletzt genannten Studienrichtung liegen bei 0,66%.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, daß diese Begabungen sowohl bei Mädchen
als auch bei Buben von Geburt an vorhanden sind, nur werden diese grundsätzlich gleichen
Begabungen geschlechtsspezifisch unterschiedlich gefördert.
Die Schule kann dafür nicht alleine verantwortlich gemacht werden, da auch die häusliche
Erziehung sicherlich eine wichtige Funktion einnimmt.
In naturwissenschaftlichen und technischen Fächern besteht eine pädagogisch wenig
wünschenswerte Interessenspreizung zwischen Mädchen und Buben, die sich besonders im
Wahlverhalten der Schülerinnen und Schüler zeigt. Überall dort, wo eine Fächerwahl
zugleich eine Wahl zwischen „männlichen“ oder „weiblichen“ Domänen bedeutet, wählen
Buben und Mädchen auch heute noch nach traditionellen Normen. Diese Polarisierung des
Interesses ist außerordentlich folgenreich, da die Interessenentwicklung maßgeblich das
spätere Berufsverhalten bestimmt.
Wissenschaftliche Untersuchungen und Beobachtungen durch und von Lehrerinnen und
Lehrern zeigen in geschlechterheterogenen Klassen folgendes Bild:
• Der koedukative Unterricht allein baut keineswegs die Klischees vom Doininanzverhalten
der Buben und der Anpassungsfähigkeit der Mädchen ab. Durch die Dominanz und die
Bevorzugung der Buben in allen schulischen Bereichen, werden die Leistungs- und
Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen und damit langfristig ihre Entfaltungs
möglichkeiten und Chancen beeinträchtigt.
• Schülerinnen haben häufig ein ihren schulischen Leistungen nicht entsprechendes
Selbstvertrauen in ihre eigene Leistungsfähigkeit. So läßt sich die Diskrepanz zwischen
schulischer Leistung in Mathematik und beruflichen Ambitionen, bei denen Mathematik
wichtig ist, durch folgende Zahlen zeigen: Von den Mädchen, die ein Sehr gut oder ein Gut
in Mathematik im letzten Schulzeugnis haben, entwickeln nur 17% gegenüber 44% der
Burschen eine ausgeprägte berufliche Verwertungsperspektive ihrer Mathematikkenntnisse.
Dabei hängen offenbar fehlendes Selbstvertrauen und einseitige Berufsorientierung eng
miteinander zusammen.
• Durch Interaktion im Unterricht werden traditionelle Rollenbilder aufrechterhalten oder
sogar verstärkt, so erhalten z.B. Buben regelmäßig mindestens 58% der
Lehreraufmerksamkeit. während den Mädchen derselben Klasse höchstens 42% zugebilligt
werden. Sich von solch fatalen Strategien zu befreien ist offenbar sehr schwierig und fällt
selbst problembewußten Lehrerinnen und Lehrern schwer.
• Zahlreiche Untersuchungen belegen, daß während der Pubertät (und damit zeitgleich in der
Vorbereitung auf den Schulabschluß und den Beruf) Mädchen - wie in zwangsläufig
kommender Selbstaufgabe - gerade in jenen Fächern nachlassen, in denen die Buben als
künftige Männer der Tradition gemäß dominieren: Mathematik, Technik und
Naturwissenschaften. Die pragmatischen Vorteile dieser Fächer liegen auf der Hand. Die
Berufschancen sind ungleich höher, und auch die Bezahlung ist lukrativer.
• Handlungspraktiken wie auch Sprachverhalten von Lehrenden und Lernenden sind
geschlechtsspezifisch geprägt. wie die unterschiedliche Aufmerksamkeitsverteilung an
Schülerinnen und Schüler, die Marginalisierung von Mädchen und Frauen und deren
Lebensrealität in der Auswahl des gesamten Unterrichtsstoffes (nicht nur in den
Lehrbüchern) usw. Eine ISMA Umfrage ergab, daß deutlich weiniger Mädchen als Buben
das Gefühl haben, in der Schule mitreden zu dürfen und deutlich seltener als Buben
angeben, daß Lehrerinnen und Lehrer auf ihre Persönlichkeit eingehen.
•Internationale Vergleichsstudien (COM PED) weisen bei österreichischen Mädchen nicht
nur ein gegenüber den Buben geringeres (und in höheren Schulstufen noch abnehmendes)
Interesse am Umgang mit Computern nach, sondern auch größte Differenzen in den
Testleistungen von Mädchen und Buben. Mädchen haben deutlich weniger Spaß und
Interesse an Computern als Buben. Diese Freude an der Arbeit mit Computern sinkt bei 18-
jährigen Mädchen von 4 1% auf 27% ab. Die Testleistungen der Mädchen sind signifikant
niedriger. wobei die Differenz in Österreichs Oberstufe nach der COMPED-Studie die
größte aller untersuchten Staaten ist. Es fehlen allerdings auch weibliche Vorbilder in der
Schule, denn nur 19% der Informatiklehrkräfte sind weiblich, bei einem Anteil von 69%
Lehrerinnen in allgemeinbildenden Schulen. Andere Vergleichsstudien (TIMSS) weisen
auch für Österreich deutliche geschlechtsspezifische Leistungsunterschiede in, Mathematik
und vor allem in den Naturwissenschaften
zugunsten der Burschen nach (OECD. 1996).
• Buben hingegen leiden unter typisch männlichen" Rollenerwartungen wie: Buben
sprechen eine andere Sprache: Buben fehlen häufig männliche Identifikationsfiguren, die
(für durch ein klischeehaftes .Manns-Bild"‘ ersetzt werden; Buben werden kaum ermuntert,
sich mit ihren Gefühlen auseinanderzusetzen, bzw. sind es nicht gewöhnt, über ihre Gefühle
mit anderen Buben zu reden: Buben haben eine höhere Repetentenquote und sitzen häufiger
in der Sonderschule.
In der Auseinandersetzung mit einer Erziehung zur Gleichstellung" wird oft primär vom
Konzept der Mädchenförderung ausgegangen. Buben werden dabei nicht selten auf der
Suche nach erweiterten geschlechtsspezifischen Verhaltensmustern allein gelassen.
Wie die oben angeführten Beispiele und empirische Analysen beweisen, wird immer noch
ungebrochen geschlechterdifferente Sozialisation unter dem Deckmantel der Koedukation
vermittelt. Rollenklischees und geschlechterstereotype Verhaltensweisen, durch die
Mädchen und Buben gesellschaftlich benachteiligt sind, werden reproduziert anstatt
thematisiert. Um diesem Teufelskreis ein Ende setzen zu können, muß der „heimliche
Lehrplan", der bei der obligatorischen Koedukation oft unbewußt und ungewollt - daher entlarvt und zur Disposition gestellt werden.
zwangsläufig mitgelehrt wird, fokussiert, schonungslos entlarvt und zur Disposition
gestellt werden.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
Entschließungsantrag
Der Nationalrat wolle beschließen:
"Die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten wird aufgefordert,
bildungspolitische Maßnahmen zu setzen, um eine geschlechterbewußte Koedukation und
somit eine Reform der jetzigen Koedukation einzuleiten, die folgenden Leitlinien
entsprechen:
1) Maßnahmen im Bereich der Lehrerlnnenaus- und -fortbildung
(Universitäre Ausbildung und Pädagogische Akademien)
2) Verankerung der ,.Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern im Zuge der
Lehrplanrefom in Erweiterungs- und Kernstoff.
3) Phasenweise Trennung nach Geschlechtern (z.B. in technischen Fächern)
4) Gleichstellung der Geschlechter im Bereich der Unterrichtsmittel (Bücher, Filme),
Aufzeigen geschlechtsspezifischer Ungleichheiten von Benachteiligungen, Vermeidung voll
sexistischer Sprache und klischeehaften geschlechtsspezifischen Vorurteilen in Texten und
Bildern.
5) Sprachliche Gleichbehandlung
Geschlechtergerechten Sprachgebrauch im Bereich der Lehrpläne."
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Unterrichtsausschuß beantragt.