637/AE XX.GP
der Abgeordneten Dr.Preisinger, MMag. Dr. Brauneder, Mag. Schweitzer, Mag.Dr. Grollitsch,
Madl, Dl Schöggl
und Kollegen
betreffend Aussetzen der Rechtschreibreform
„Man kann doch auch einmal klüger werden und man muß sich auch dazu bekennen, daß man
sich irren kann“, meinte der deutsche Außenminister Klaus Kinkel am 4. November d.J. in
einem Rundfunkinterview in dem der Minister erneut auf eine Revision der Rechtschreibre-
form drängte und den Befürwortern „falschen Reformeifer“ vorwarf. Als besonders gewichti-
ges Argument führte Außenminister Kinkel ins Treffen. daß laut Umfragen eine überwiegende
Mehrheit der Deutschen die Reform für „überflüssig und falsch“ halte und die Politik nicht
einfach darüber hinweggehen könne, zumal das ab 1. November 1997 begonnene Volksbegeh-
ren in Schleswig-Holstein und die Entscheidung Niedersachsens, die Rechtschreibreform aus-
zusetzen, sowie die bei den Verwaltungsgerichten anhängigen zahlreichen Klagen eine völlig
neue Situation geschaffen haben. In diesem Fall, so Kinkel, haben sich die Auffassungen von
Bevölkerung und Politik so weit auseinander entwickelt, daß die einzig vernünftige Konse-
quenz ein Aussetzen der Rechtschreibreform sein müßte.
Tatsächlich hat sich in der Bundesrepublik Deutschland die Diskussion über die neue Recht-
schreibung während der vergangenen Monate immer deutlicher auf zwei wesentliche Fragen
zugespitzt: Inwieweit könnten die handwerklichen Mängel der Reform durch die zwischen-
staatliche Kommission in Mannheim behoben werden, und: Wird das umstrittene Werk tat-
sächlich vor den obersten Gerichten scheitern? Ersteres hängt davon ab, ob die durch die
Rechtschreibreform versprochenen „Erleichterungen“ für die Schreibung tatsächlich erreicht
worden sind. Ein Mitglied der Mannheimer Kommission hatte im Juli dieses Jahres doku-
mentiert, daß das neue Regelwerk 8.000 (!) Zweifelsfälle hervorgebracht habe und die Kom-
mission ein volles Jahr für die Klärung der Zweifelsfälle benötigen werde. Letzteres, nämlich
ein höchstrichterliches Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, ist nicht vor Ende 1998 zu er-
warten. Dennoch ist die diesbezügliche Rechtslage zur Durchführung der Rechtschreibreform
in der Bundesrepublik Deutschland ein Jahr nach der gemeinsamen Absichtserklärung höchst
verwirrend: Bis jetzt gibt es 18 deutsche
Gerichtsentscheidungen, in denen sich die Richter
mit dieser Materie zu befassen hatten, und insgesamt 26 Bürgerinitiativen mit mehr als
500.000 Unterschriften, die für die Beibehaltung der alten Regeln gesammelt wurden.
In Österreich wird diese Situation seitens der Verantwortlichen anders gesehen: Obwohl so-
wohl der Verfassungsdienst wie auch das Unterrichtsministerium ständig bemüht sind, darauf
hinzuweisen, daß die verfassungsrechtliche Situation in der Bundesrepublik Deutschland eine
völlig andere als in Österreich und das Unterrichtswesen in Österreich naturgemäß anders
geregelt sei, kann nicht verhehlt werden, daß ein Kippen der Rechtschreibreform in der Bun-
desrepublik Deutschland gravierende Folgen für alle weiteren Unterzeichner der „Wiener Er-
klärung“, somit auch für Österreich hätte, was allerdings seitens des Unterrichtsministeriums
mit relativ sorgloser Haltung quittiert wird. Nach Auskunft des im Unterrichtsministerium für
die Rechtschreibreform verantwortlichen Beamten gehe man in Deutschland nicht von einer
Absetzung aus, da die Reform bereits zu weit fortgeschritten sei. Allerdings räumte dieser ein,
daß Österreich ein ernstes Problem bekäme, wenn Deutschland als wesentlicher Partner aus-
fallen sollte. Und man wird hiebei auch an die Schweiz zu denken haben, insbesondere, wenn
sie mit der Bundesrepublik Deutschland mitzieht.
Mit der Haltung des Unterrichtsministeriums ist auch plausibel erklärt, weshalb in Schulen
bereits voreilig seit dem Schuljahr 1996/97 nach der neuen Rechtschreibung gelehrt wird: Die
„Wiener Erklärung“ ist eine Absichtserklärung und ein reiner Formalakt, der völkerrechtlich
nicht bindend ist und der an der Gesetzgebung vorbei mittels Erlaß in den Schulen und mittels
Weisung an die Ämter Eingang finden soll. Haben erst möglichst viele Schulen und Ämter
nach der neuen Schreibweise geschrieben, würden auch die Printmedien und Verlage nachzie-
hen und jeder Schritt zurück wäre äußerst mühsam. In diesem Zusammenhang hat wohl ein
Artikel von Dieter Kolonovits im Journal für Rechtspolitik mit dem Titel „Staatssprache und
Rechtschreibreform" wenig Beachtung gefunden. Der Autor verweist auf Art. 8 B-VG, wo
Deutsch als Staatssprache festgelegt ist, daß aber die Verfassung keinen Anhaltspunkt darüber
enthält, wer ermächtigt sei autoritativ festzulegen, was deutsche Sprache ist. Das bedeutet
nach Ansicht des Autors, daß die Verbindlichkeit eines solchen Regelwerks für Schulkinder
oder beispielsweise Beamte verfassungwidrig sei.
Die Rechtschreibreform beschäftigt aber nicht nur Experten, sondern erregt auch nachhaltig
den Unmut der Bevölkerung, was die jüngste Studie des Linzer Meinungsforschungsinstitutes
spectra“ eindrucksvoll belegt: Die Ablehnung der Rechtschreibreform zieht sich quer durch
alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten. Von 92 % der Befragten, die schon von der Recht-
schreibreform gehört hatten, empfanden 70
% das neue Regelwerk als „nicht gut“ und 69 %
unterstützen die Forderung nach Aussetzen der Rechtschreibreform. Kein Wunder, denn nach
einem Jahr der Konfrontation mit den neuen Regeln und der praktischen Anwendung der
Rechtschreibreform traten die Schwachpunkte zutage: Von der anfänglichen Absicht, auf die
Großschreibung zu verzichten, blieb nur mehr ein unüberschaubarer Ausnahmedschungel üb-
rig, der die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Rechtschreibreform in vielen Teilen unbeant-
wortet läßt.
Die für die Einführung der Rechtschreibreform in Österreich zuständige Unterrichtsministerin
gibt sich seit Jahren - ganz im Gegensatz zum deutschen Außenminister Kinkel - trotz zuneh-
mender Kritik an der Reform weiterhin unbeeindruckt und sieht, abgesichert durch ein Gut-
achten des - nicht unabhängigen - Verfassungsdienstes, das Recht auf ihrer Seite. Bereits vor
mehr als einem Jahr sind freiheitliche Abgeordnete in Anträgen (260/A(E) 405/A(E)) mit
Nachdruck für ein Befassen des Nationalrates mit einer alle Bevölkerungs- und Altersgruppen
betreffenden Rechtschreibreform bzw. für deren Aussetzung eingetreten. Anläßlich eines
Auftrittes in der Fernsehsendung !"Vera" im Oktober d.J. versuchte die Unterrichtsministerin
diese Gegenargumente dahingehend auszuräumen, daß ‚niemand gezwungen werde, die neue
Rechtschreibung anzuwenden, daß alle Schüler eine Übergangsfrist bis 2004 hätten, bis dahin
für Orthographiefehler auch nicht beurteilt würden und daß die Schüler seit der Einführung
bereits meßbar 80 % weniger Beistrichfehler und 10 % weniger Rechtschreibfehler machten.“
Als weiteres Gegenargument zur Rechtschreibreform sind die damit verursachten Kosten an-
zuführen. Ersten Schätzungen zufolge rechneten österreichische Verlage mit Mehrkosten in
der Höhe von 100 Mio. Schilling. Den größten Anteil an den Kosten macht die Umstellung
der ca. 3.500 Schulbücher aus, wobei die Lehrbücher für die Volksschulen bereits ganz. für
die Haupt- und Mittelschulen zu einem großen Teil umgestellt sind. Der Sprecher der öster-
reichischen Schulbuchverlage, Othmar Spachinger. schätzte die Kosten für die Umstellung auf
ca. 40 Mio. Schilling, Pessimisten gehen von 80 Mio. Schilling auf vier Jahre verteilt für die
Adaptierung der Unterrichtsmittel aus. Gerade in Zeiten rigoroser Sparmaßnahmen im Lehrbe-
trieb ist es unverantwortlich, das Budget unnötig zu belasten. Welche weiteren Kosten durch
die Umstellung von Formularen oder durch die Unterweisung von Lehrern und Beamten in
der neuen Rechtschreibung entstehen, ist bis
dato nicht geklärt.
Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden
Entschließungsantrag:
Der Nationalrat wolle beschließen:
‚Die Bundesministerin für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten wird ersucht, für das
Aussetzen der neuen Rechtschreibung umgehend Sorge zu tragen und dem Parlament einen
Bericht über die tatsächlichen Kosten, insbesondere vor dem Hintergrund der aus der Novelle
zum Familienlastenausgleiehsgesetz resultierenden Neuorganisation der Schulbuchaktion,
vorzulegen.“
In formeller Hinsicht wird ersucht, diesen Antrag unter Verzicht auf die Erste Lesung dem
Unterrichtsausschuß zuzuweisen.