909/A XX.GP
DRINGLICHER ANTRAG
der Abgeordneten Öllinger, Freundinnen und Freunde
betreffend Versäumnisse in der Bildungspolitik, insbesondere beim Gelialtsgesetz
Das Schulklima an Österreichs Schulen hat einen absoluten Tiefpunkt erreicht: Noch nie
waren die Lehrerinnen so demotiviert wie heute. Die Eltern wiederum haben immer mehr
zusätzliche Belastungen zu tragen wie z.B. den Selbstbehalt bei Schulbüchern und
Schulfreifahrten, kostenpflichtige Freigegenstände und Nachmittagsbetreuung. Die
Leidtragenden dieser Politik wie auch des gegenwärtigen Streites um das Gehaltsrecht sind
die Schülerinnen.
Die Stimmung unter den Lehrerinnen ist deshalb so schlecht, weil sie seit Monaten auch
von der eigenen Ministerin unterschwellig als Abkassiererinnen dargestellt werden, die
wenig arbeiten. Etwa wenn BM Gehrer den Lehrerinnen via APA (30.9.1998) ausrichtet,
daß ein Lehrer “genauso wie jeder andere Österreicher 1.793 Stunden im Jahr zu arbeiten
hat. Davon 700 in der Klasse. Die restliche Zeit ist unterrichtsfrei, aber Dienstzeit. Da fällt
vielleicht ein Projekttag, eine Konferenz, die Vor - und Nachbereitung hinein.”
Viel abwertender kann die Arbeit der LehrerInnen außerhalb des klassischen Unterrichts
(“Da fällt vielleicht ... die Vor - und Nachbereitung hinein.”) kaum dargestellt werden.
Doch selbst in dieser geringschätzigen Darstellung der außer - unterrichtlichen
Lehrerinnenarbeit durch die Ministerin zeigt sich, daß das bestellende Besoldungs - und
Arbeitszeitschema von Lehrerinnen nur mehr wenig mit ihren tatsächlichen Tätigkeiten,
ihrer Arbeitsbelastung und mit der tatsächlichen Schulentwicklung zu tun hat.
Ein weiterer Grund der miserablen Stimmung vor allem unter den interessierten und
informierten LehrerInnen liegt in der praktischen Undurchführbarkeit der bzw. in der
enormen Verbürokratisierung durch die neuen Abrechnungsbestimmungen. Wie
Personalvertretung und Gewerkschaft der Unterrichtsministerin schon im Frühjahr
prophezeit haben, funktioniert die vorgesehene Abrechnung der LehrerInnen - Arbeit über
direkte Standleitungen mit dem Bundesrechenamt weder hard - noch softwaremäßig. Das ist
auch nicht verwunderlich: Für derartige Neuerungen wird in der Wirtschaft mit einer
Vorlaufzeit von bis zu zwei Jahren gerechnet. Daher geht es wohl auch im BMUkA nicht in
einem halben Jahr. Außerdem ist die jetzt notwendige Stundenzählerei eine völlig unnötige
Verbürokratisierung. Es schafft Ärger, wenn jede/r Lehrerin wöchentlich den Stundenplan
kopieren und alle gehaltenen und entfallenen Stunden eintragen und durchstreichen muß -
aber gleichzeitig alle außerstundenplanmäßige Arbeit als selbstverständlich und nicht zu
zählen und nicht zu zahlen bewertet wird. Und es schafft Ärger bei Schulleitungs - und
Verwaltungspersonal, wenn mit immer weniger
Budget immer mehr zu tun ist.
Die Novellierungen des Bundeslehrer - Lehrverpflichtungsgesetz (BLVG) und des
Gehaltsgesetzes (GG) im Herbst 1997 gehen von der Intention aus, vorrangig
Lehrerinnenleistungen zu entlohnen, die unmittelbar in der Klasse erbracht werden.
Arbeiten, die außerhalb der klassischen Unterrichtsarbeit (Unterricht, Vorbereitung,
Nachbereitung) anfallen, etwa die Beratung von Schülerinnen und Eltern, die Vorbereitung
und Durchführung von pädagogischen Tagen, von Projektunterricht, Schulfesten,
Fachbesprechungen, Tätigkeiten zur Qualitätsentwicklung und Evaluation von Schule und
Unterricht sind in ihrem arbeitszeitlichen Umfang durch das bestehende Besoldungs - und
Arbeitszeitschema mit seinen unterrichtsbezogenen Stundenwertigkeiten nicht erfaßt und in
ihrem arbeitszeitlichen Umfang unbestimmt. Gerade diese Tätigkeiten, die im Zuge der
Weiterentwicklung von Schule dringend notwendig sind, haben in den letzten Jahren
deutlich zugenommen, ohne daß die traditionelle LehrerInnentätigkeit abgenommen hätte.
Im Gegenteil: durch steigende KlassenschülerInnenzahlen, fehlende Werteinheiten bzw.
Abbau von Klassenteilungen im Fremdsprachenunterricht wurde nicht nur die
Arbeitsintensität erhöht, sondern auch die Unterrichtsqualität vermindert.
Das Besoldungsschema von LehrerInnen mit den Novellierungen des BLVG und GG ist
• ein bildungspolitischer Rückschritt, weil es Schulqualität und Lehrerinnenarbeit in erster
Linie an geleisteten Unterrichtsstunden festmacht;
• ein extremes Modell deregulierter Arbeitszeit, weil es die auch von der Bundesregierung
und der Unterrichtsministerin propagierte Schulentwicklung weitgehend der persönlichen
Initiative und dem Engagement von Lehrerinnen überantwortet und
• deshalb vor allem engagierte Lehrerinnen durch Nichtanerkennung ihrer Leistungen
bestraft und zu Dienst nach Vorschrift (de-)motiviert.
Diese Politik steht im Kontext von allgemeinen Sparprogrammen im Bildungsbereich. So
sinkt trotz seitens der Bundesregierung jährlich propagierter Bildungsoffensiven der Wert
von Bildung und Ausbildung:
- der Anteil des Unterrichtsbudgets am Gesamtbudget lag Mitte der 70er Jahre bei 8,6
Prozent und wird im Schuljahr 1998/99 bei 7,2 % liegen
- lt. OECD sind die öffentlichen Bildungsausgaben in Österreich von 1985, wo sie 5,8
Prozent des BIP ausmachten bis 1994 auf 5,4 Prozent des BIP gesunken
- der Zuwachs im Unterrichtsbudget liegt unter der Inflationsrate
- die SchülerInnen sind dem Staat immer weniger wert: 1993 gab es an den AHS etwa in
der Steiermark noch 2,03 Werteinheiten pro SchülerIn, heute nur mehr 1‚83. Auch die
BHS büßten rund 9 Prozent ein
- die KlassenschülerInnenzahlen nehmen wieder zu: Während etwa AHS Unterstufenklassen
1990 durchschnittlich 25,9 SchülerInnen hatten, ist die Klassenschülerdurchschnittszahl im
Schuljahr 97/98 wieder auf knapp 27 gestiegen, ähnliches gilt für die BMS und BHS
(93/94 22,8 Schülerinnen, 97/98 25 SchülerInnen)
- Freigegenstände und unverbindliche Übungen sind stark zurückgegangen bzw. wurden
Opfer des ersten Sparpakets
- die in den letzten Jahren durchgeführten Stundenkürzungen für die 11 - bis 13 jährigen
SchülerInnen sowie in den berufsbildenden Schulen verursachten einen beträchtlichen
Verlust von Mitteln für die Bildung
- gesetzlich vorgesehene Teilungen für Fremdsprachengruppen können zum Teil nicht mehr
erfolgen, weit die nötigen
Werteinheiten fehlen
- der sprunghafte Anstieg der EDV - Ausstattung und -Nutzung an den Schulen hat bis heute
keine wirklich spürbare Aufstockung der EDV - Kustodiate zur Wartung der Hard - und
Software sowie der lokalen Netze und Internetzugänge zur Folge gehabt. Die zugesagten
Zulagen stehen in keiner Relation zur tatsächlichen Mehrarbeit.
Gleichzeitig werden neben den Lehrerinnen vor allem die Eltern zusätzlich zur Kasse
gebeten durch:
- Selbstbehalte bei Schulbüchern und Schülerfrei fahrten
- Bezahlung der Nachmittagsbetreuung durch die Eltern
- Steigende Kosten für Kopien und andere Unterrichtsmaterialien
- Einführung eines kostenpflichtigen Angebotes von Freigegenständen und unverbindlichen
Übungen
Die gegenwärtigen Proteste und der angedrohte Boykott bei Schulveranstaltungen sind die
Antwort auf diese politischen Versäumnisse. Statt etwa ein zeitgemäßes Arbeitszeitmodell
zu entwickeln, das die geänderten Bedingungen an den Schulen retlektiert, orientiert sich
die Bezahlung der Lehrerinnen, wie erwähnt, nach wie vor am Unterricht, obwohl der
Unterricht und dessen Vor - und Nachbereitung nur mehr ein - wenn auch wichtiges -
Element der Tätigkeit von Lehrerinnen darstellt. Das System der Zulagen und
Zusatzabgeltungen entspricht dem Denkansatz kleinkarierter Bürokraten, hat aber mit den
tatsächlichen Leistungen und Arbeitszeiten nur wenig zu tun. Dafür hat die
Unterrichtsministerin mit mindestens 260.000 Schilling ein LehrerInnenleitbild (“Lehrer
sein erfordert mehr”) mitfinanziert, das außer Worthülsen nichts bietet, jedenfalls keine
Antwort auf die geänderten Bedingungen an den Schulen.
Schule ist aber mehr als Unterricht. Es muß daher ein Arbeitszeitmodell entwickelt werden,
das den realen Anforderungen der Lehrerinnenarbeit gerecht wird, der zunehmenden
Autonomisierung der Schulen Rechnung trägt und daher auf mehr Flexibilität und
Eigengestaltung in den einzelnen Schulen setzt.
Notwendig ist ein leistungsgerechtes, transparentes und an den tatsächlichen Arbeitszeiten
orientiertes Arbeitszeit - und Gehaltsgesetz, das von der durchschnittlichen Arbeitszeit im
öffentl ichen Dienst ausgeht.
Die Tätigkeit der Lehrerinnen sollte dabei in drei Gruppen eingeteilt werden:
a) Tätigkeiten mit den Schülerinnen
- Unterricht im weitesten Sinn
- Schulveranstaltungen
- Betreuung
- Beratung
- Aufsicht
b) dazugehörige vorbereitende, nachbereitende und begleitende Tätigkeiten
- Planung und Auswertung von Unterricht und Schulveranstaltungen
- Kooperation mit Lehrkräften
- Kommunikation mit Eltern und externen Institutionen, sowie
c) Tätigkeiten zur Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Organisation der Schule
- Management
und Organisation der Schule
- Evaluation und Innovation der Schule
- Fort- und Weiterbildung
- Kooperation und Kommunikation nach innen und außen.
Die Verteilung auf diese drei Bereiche kann, entsprechend den Personalressourcen und dem
Profil der einzelnen Schulen, unterschiedlich sein, wobei bestimmte Bandbreiten nicht
unter - bzw. überschritten werden dürfen, damit der Auftrag der Schule gegenüber allen
Beteiligten erfüllt werden kann.
Ein neues Arbeitszeit - und Gehaltsmodell dürfte nicht mehr von einer auf
Unterrichtsstunden und Stundenwertigkeiten fixierten Lehrverpflichtung ausgehen, sondern
es müßte ermöglichen, daß der von den LehrerInnen zu erteilende Unterricht tiexibel an den
einzelnen Schulen entsprechend den vorhandenen Personalressourcen und den zu
erfüllenden Aufgaben festgelegt wird. Wie der Unterricht zeitlich, formal und inhaltlich
gestaltet wird, kann in Selbstverantwortung der einzelnen Schule organisiert werden.
Aus pädagogischen Gründen wie auch zum Schutz der Lehrerinnen müßten
Mindeststandards bzw. Schutzvorschriften beachtet werden. So sollte etwa jede Lehrkraft
Unterricht maximal bis zu einer definierten Obergrenze erteilen dürfen/müssen, jede
Lehrkraft sollte aktiven Anteil am pädagogischen Leben der Schule nehmen, wer
Schülerinnen unterrichtet, sollte sie auch beraten müssen. Die Fort - und Weiterbildung von
Lehrerinnen sollte ebenso wie die Beteiligung an der Schulorganisation verankert werden.
Ein derartiges Arbeitszeitmodell konnte nicht nur eine Antwort auf die gegenwärtigen
Auseinandersetzungen um die Gehaltsregelungen der Lehrerinnen und den Boykott von
Schulveranstaltungen sein, sondern es würde erst die pädagogischen Reformen und
Vorsätze, die durch die derzeitigen starren Regelungen verhindert werden, ermöglichen.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden
DRINGLICHEN ANTRAG
Der Nationalrat wolle beschließen:
Die Unterrichtsministerin wird aufgefordert,
1) unverzüglich Beratungen über ein leistungsgerechtes und transparentes Arbeitszeit - und
Gehaltsmodell für Lehrerinnen aufzunehmen und dem Parlament bis zum Sommer 99 zur
Beratung und Beschlußfassung vorzulegen, das vom tatsächlichen Leistungsumfang und den
Anforderungen einer kooperativen, an Schulgemeinschaft und Autonomie orientierten
Schule ausgeht. Dieses Modell soll im Gegensatz zum bisherigen - ausschließlich an
Unterrichtsstunden orientierten - mindestens folgende Tätigkeitsgruppen von Lehrerinnen
enthalten:
a) Tätigkeiten mit den Schülerinnen
- Unterricht im weitesten Sinn
- Schulveranstaltungen
- Betreuung
- Beratung
- Aufsicht
b) dazugehörige vorbereitende, nachbereite nde und begleitende Tätigkeiten
- Planung und Auswertung von Unterricht und Schulveranstaltungen
- Kooperation mit Lehrkräften
- Kommunikation mit Eltern und externen Institutionen, sowie
c) Tätigkeiten zur Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Organisation der Schule
- Management und Organisation der Schule
- Evaluation und Innovation der Schule
- Fort - und Weiterbildung
- Kooperation und Kommunikation nach innen und außen.
2) Weiters wird die Unterrichtsministerin aufgefordert, unverzüglich eine Gesetzesvorlage
vorzubereiten, die bis zur Beschlußfassung eines neuen Gehaltsgesetzes die Regelungen des
§ 4 des Bundeslehrer - Lehrverpflichtungsgesetzes und des § 61 Gehaltsgesetz in der
novellierten Fassung für Lehrerinnen außer Kraft setzt.
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung dieses Antrages unter Verweis auf
§ 93 Abs 2 GOG verlangt.