1015/A(E) XX.GP
E N T S C H L I E S S U N G S A N T R A G
der Abgeordneten Sigisbert Dolinschek, Haller, Mag. Haupt
betreffend Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts und Strukturreform der
Sozialversicherungsträger
Die österreichische Sozialversicherung hat nach Ansicht der Antragsteller folgende
grundlegenden Probleme:
1. zersplitterte Gesetzeslage
2. Mißachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Bürger
3. Zergliederung der Organisation
4. ineffiziente und kostspielige Selbstverwaltung.
Im Einzelnen stellen sich diese Problembereiche wie folgt dar:
1. Die gesetzliche Regelung des Sozialversicherungsbereiches ist aus historischen Gründen
über eine Vielzahl von Gesetzen verstreut. Über hundert Novellierungen ohne Wiederver -
lautbarung, in ihrer Gesamtheit nahezu undurchschaubare Übergangsbestimmungen und
die Tendenz zu immer kasuistischeren Detaillösungen tragen wesentlich zum ständig
wachsenden Verwaltungsaufwand bei. Die Vereinheitlichung der rechtlichen Grundlagen
der Sozialversicherung wäre daher die wesentlichste Voraussetzung für eine Optimierung
der Verwaltung.
Aus der Sicht der betroffenen Bürger ist die bestehende Gesetzeslage unzumutbar und
wegen des Rechtsstaatsprinzipes vermutlich sogar verfassungswidrig, weil nicht nur das
Auffinden der geltenden Bestimmungen durch die zahllosen Novellen erschwert ist,
sondern auch das Verstehen der Anordnungen des Gesetzgebers durch überaus kom -
plizierte Formulierungen, zahlreiche Querverweise und Übergangsbestimmungen nahezu
unmöglich gemacht wird.
2. Eine einheitliche gesetzliche Basis für die Sozialversicherung aller Österreicher ist nahe -
liegend, weil ohnehin nahezu alle Berufstätigen in die Sozialversicherung oder vergleich -
bare Sicherungssysteme einbezogen sind. Die bestehenden Unterschiede zwischen den
einzelnen Gruppen bzw. der Ausschluß aus der Sozialversicherung sind jedoch weder
sachlich notwendig, noch aus dem Blickwinkel der Gleichbehandlung zu rechtfertigen.
3. Auch die Verwaltungsorganisation ist noch immer so, wie sie geschichtlich nacheinan -
der für die einzelnen Gruppen von Erwerbstätigen entstanden ist. Eine Vielzahl von Ver -
waltungseinheiten und vermeidbaren Mehrgleisigkeiten für sachlich gleiche Verwaltungs -
aufgaben stellen eine unnötig komplizierte und teure Lösung dar, ohne daß damit Vor -
teile für die Bürger verbunden wären. Derzeit bestehen in Österreich unter dem Hauptver -
band der Sozialversicherungsträger folgende Verwaltungseinheiten: neun Gebietskran -
kenkassen, zehn
Betriebskrankenkassen, eine Sozialversicherungsanstalt der Bauern mit
neun Landesstellen, eine Versicherungsanstalt der öffentlich Bediensteten mit sieben
Landesstellen, eine Allgemeine Unfallversicherungsanstalt mit vier Landesstellen, eine Pen -
sionsversicherungsanstalt der Angestellten, eine Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter
mit vier Landesstellen, eine Versicherungsanstalt der österreichischen Eisenbahnen, eine
Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues und eine Sozialversicherungsanstalt
der gewerblichen Wirtschaft mit neun Landesstellen; insgesamt gibt es also einen Haupt -
verband, 27 Sozialversicherungsträger, 33 Landesstellen und ca. 116 Außenstellen.
Zusätzlich ist noch darauf hinzuweisen, daß derzeit in Österreich über 100 regionale
Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice bestehen, die zu einem großen Teil durchaus
ähnliche Tätigkeiten verrichten wie die Sozialversicherungsträger (Bemessung und Aus -
zahlung von Leistungen) und jetzt auch als Selbstverwaltungskörper konstruiert sind; ihre
organisatorische Integration in die Sozialversicherungsorganisation scheint daher durchaus
sinnvoll, auch um der Bevölkerung eine gemeinsame Anlaufstelle zu bieten.
Diese Zersplitterung der Sozialversicherung in zahlreiche Organisationen bedingt einen
beachtlichen Mehraufwand, der langfristig durch die weitere Stärkung des Hauptver -
bandes der Sozialversicherungsträger und die Zusammenlegung der Sozialversicherungs -
träger mit ähnlicher Aufgabenstellung bzw. die Verlagerung ähnlicher Leistungen zu
einem Träger zu vermeiden wäre. Viele Aufgaben müßten dann nur noch einmal statt
vielfach erledigt werden (z.B. die Betreuung der EDV, Klärung allgemeiner Rechtsfragen,
Organisation, Formularerstellung, Personalverwaltung) und z.B. Gebäude - und Personal -
kosten (vor allem in den höheren Einkommensstufen) könnten verringert werden. Es kann
nach Meinung der Antragsteller davon ausgegangen werden, daß alleine die Zusammen -
legung der Sozialversicherungsträger Einsparungen in Höhe von etwa 3 bis 4 Mrd.
Schilling ermöglichen würde. Mit einer Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechts
steigt das Einsparungspotential sicher noch beträchtlich an.
4. Die Organisation der österreichischen Sozialversicherungsträger basiert auf einer Zwei -
teilung in die Verwaltung und die Organe der Selbstverwaltung. Die Verwaltung erledigt
die anfallende Arbeit, während den Verwaltungskörpern - besetzt durch etwa 800 Ver -
sicherungsvertreter, die von den Sozialpartnern entsendet werden - mehrheitlich formale
Beschlüsse und Kontrollaufgaben obliegen. Das Prinzip der Selbstverwaltung ist historisch
dadurch entstanden und sinnvoll gewesen, daß früher in den Sozialversicherungsgesetzen
für branchenspezifische Einzelregelungen wesentlich größere Regelungsspielräume als
jetzt vorhanden waren. Mittlerweile ist der überwiegende Teil der Aufgaben gesetzlich so
genau determiniert, daß der Entscheidungsspielraum des einzelnen Versicherungsträgers
nicht mehr allzu groß ist.
Zusätzlich hat sich in zahlreichen Rechnungshofberichten herausgestellt, daß die derzei -
tige Form der Selbstverwaltung nicht geeignet ist, Mißstände in den Sozialversicherungs -
trägern zu verhindern. Meist entsteht sogar eher der Eindruck, daß die Gefahr von Fehl -
entwicklungen durch die politisch besetzten Versicherungsvertreter erhöht wird. Die
Entsendung der Versicherungsvertreter ist zwar zahlenmäßig festgelegt, jedoch innerhalb
der Sozialpartnerorganisationen mehr oder weniger den dort dominierenden Parteien
überlassen.
Der einzelne Sozialversicherte fühlt sich durch diese indirekte Entsendung
weder wirklich vertreten noch vor Mißständen innerhalb der Sozialversicherungsträger
geschützt. Angesichts hoch dotierter Sonderverträge, protektionistischer Postenbesetzun -
gen, luxuriöser Dienstwagen, exotischer Dienstreisen und Willkürakten gegen verdiente
Mitarbeiter kann der Pflichtversicherte nur mehr den Eindruck haben, daß die Selbst -
verwaltung seinen Interessen nicht ausreichend zum Durchbruch verhilft.
Zusätzlich unterliegt die Selbstverwaltung zwar der Aufsicht der Bundesministerin für
Arbeit, Gesundheit und Soziales, vielfach sind aber ihre Eingriffsmöglichkeiten zu gering
und damit ihre Verantwortlichkeit für das Funktionieren der Selbstverwaltung in der
Sozialversicherung reduziert.
Die Antragsteller sind der Meinung, daß es nur zwei Lösungsmöglichkeiten gibt: die
Abschaffung der Selbstverwaltung und Unterstellung der Sozialversicherung unter das
Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales oder eine grundlegende Demo -
kratisierung und Effizienzsteigerung der Selbstverwaltung. Eine Abschaffung der Selbst -
verwaltung erscheint derzeit nicht durchsetzbar und würde zudem durch eine lange
Umstellungsphase Verbesserungen weit in die Zukunft verschieben. Die Antragsteller
schlagen daher vor, die Selbstverwaltung massiv zu entschlacken und durch eine Direkt -
wahl der Versichertenvertreter zu demokratisieren und andererseits die Kontrolle durch
vermehrte Aufsichtspflichten der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales zu
stärken.
Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher den nachstehenden
Entschließungsantrag:
Der Nationalrat wolle beschließen:
“Die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales wird ersucht, Vorarbeiten zu
einer umfassenden gesetzlichen Neuordnung der Sozialversicherung und ihrer Organi -
sation nach folgenden Grundsätzen einzuleiten und dem Nationalrat über das Fortschrei -
ten der Arbeiten jährlich zu berichten:
I. Etappenweise Vereinheitlichung des Sozialversicherungsrechtes bis spätestens 2020.
II. Etappenweise Umstrukturierung der Sozialversicherungsverwaltung unter Einbe -
ziehung des Arbeitsmarktservice im Einklang mit der Vereinheitlichung des Sozialver -
sicherungsrechtes mit dem Endziel einer Struktur von: Bezirksstellen für den direkten
Parteienverkehr unter Einbeziehung der Arbeitslosenversicherung (die begonnene
Privatisierung der Arbeitsvermittlung sollte energisch durchgezogen werden); neun
Landesstellen für Berufungsvorentscheidungen und länderweise unterschiedliche
Aufgaben (Gesamtverträge etc.); eine oder maximal drei Zentralstellen (je nach der
optimalen Größe der Verwaltungseinheit) für die einzelnen Versicherungssparten
und
als organisatorische Klammer den Hauptverband der
Sozialversicherungsträger.
III. Laufende Kontrolle der verwaltungsökonomischen Effekte der Umstrukturierung mit
dem Ziel, Verwaltungseinheiten in optimaler Größe und Anzahl einzurichten
IV. Sukzessiver Ersatz der Pflichtversicherung durch eine Versicherungspflicht der Be -
günstigten in einem gesetzlich festgelegten Mindestausmaß unter Wahrung eines
beim jeweiligen Versicherer gleichen Leistungsniveaus zu einem für alle Versiche -
rungswerber einheitlichen Preis beginnend mit der Krankenversicherung und der
Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, wobei die Weitergabe der dadurch eintreten -
den Kostenverringerung für die Arbeitgeber an die Arbeitnehmer sicherzustellen ist.
V. Umstellung der Finanzierung aller nicht mit der Arbeit im Zusammenhang stehen -
den Leistungen auf eine Steuerfinanzierung (z.B. Mitversicherung).
Überdies wird die Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales ersucht, dem
Nationalrat ehestmöglich einen Gesetzentwurf zuzuleiten, der folgende Veränderungen
bei der Selbstverwaltung der Sozialversicherungsträger vorsieht:
I. Reduktion der Verwaltungskörper auf:
1. einen Vorstand, der sich aus den gewählten Vertretern (fünf Personen bei bis
zu 100.000 Versicherten, neun bei bis zu 500.000 Versicherten, bis zu je
100.000 mehr Versicherte eine Person mehr bis zu maximal 15), einem
Vertreter der selbständig Erwerbstätigen in den Versicherungsträgern für un -
selbständig Erwerbstätige (Nominierungsrecht der mitgliederstärksten bundes -
weit tätigen Interessenvertretung), dem leitenden Angestellten und einem
Vertreter der Beschäftigten des Versicherungsträgers (intern gewählt, je nach
dem von der Entscheidung hauptbetroffenen Arbeitsgebiet) zusammensetzt
und
2. einen Kontrollausschuß aus gewählten Vertretern (zwei Personen bei bis zu
100.000 Versicherten, vier bei bis zu 500.000 Versicherten, bis zu je 200.000
mehr Versicherte eine Person mehr bis zu maximal sieben), der die Geneh -
migung des Rechnungsabschlusses und die Entlastung des Vorstandes
vorzunehmen hat
II. direkte Wahl der Vorstands - und Kontrollausschußmitglieder durch die Versicherten
und Leistungsempfänger des jeweiligen Versicherungsträgers in Form einer Brief -
wahl alle zehn Jahre
III. Ausschreibung einer Neuwahl vor Ablauf der Wahlperiode, wenn die Bundes -
ministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Rahmen der Aufsicht gravierende
Mängel feststellt oder solche bei einer auf Antrag von mindestens einem Prozent
der Versicherten oder Leistungsempfänger verpflichtend vorzunehmenden Prüfung
feststellt
IV. Besetzung der Funktion des leitenden Angestellten durch den Vorstand jeweils nur
auf maximal zwei Jahre
V. Funktionsgebühr für die gewählten Vertreter im Vorstand und Kontrollausschuß
durch Übernahme des Einkommensausfalls bzw. Ersatz der Kosten für die aufgrund
der Funktion nicht erbrachte Arbeitsleistung an den Arbeitgeber und einen Fixbetrag
von S 3.000,-- pro Monat (6.000,-- für den Obmann, nicht aber die Stellvertreter)
valorisiert nach Verbraucherpreisindex für die echten Mehrkosten
VI. ausdrückliche Verpflichtung für die Sozialversicherungsträger, nach den Grund -
sätzen
der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu agieren
VII. Verpflichtung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales, als Auf -
sichtsbehörde alle Beschlüsse aufzuheben, die gegen diese Grundsätze oder die
Rechtsvorschriften verstoßen.”
In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuß für Arbeit und Soziales
vorgeschlagen.